Absurdistan - Norman Liebold - E-Book

Absurdistan E-Book

Norman Liebold

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Beschreibung

Die Skulptur der Mutter Gottes wird lebendig, um die wahre Geschichte Jesus' zu erzählen. Deserteure feindlicher Armeen spielen Schach im Schützengraben, der Attentäter entschuldigt sich bei den Flugpassagieren und der Garten Eden ist ein soziologisches Experiment Außerirdischer. Diese und andere Geschichten, dramaturgisch erzählt, lenken den Blick auf den selbstverständlichen Wahnsinn der Zeit - bitterböse, skurill und zum Heulen komisch: Absurdistan - der Wahnsinn einen Schritt weiter.

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Seitenzahl: 54

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Altenheim

Einzelzimmer im Altenheim. Auf der Bühne steht nichts als ein Sessel, in dem Altmann sitzt und ein Buch liest. Er sitzt, wie er glaubt, als Student in seiner ersten eigenen Wohnung, und für den Zuschauer soll dieser Eindruck ebenfalls entstehen. In Wirklichkeit jedoch ist ein Greis im Altenheim und kann nicht mehr laufen. Der Zivildienstleistende Sebastian klopft.

Altmanns Ja?

SebastianKommt herein, als sei er hier zuhause. Er spricht laut, jugendlich, ein wenig über-fröhlich. Guten Abend, Herr Altmanns!

AltmannsÜber die überdrehte Art des Zivis pikiert. Wer sind Sie denn?

SebastianAuf penetrante Weise gutmütig und fröhlich. Aber Herr Altmanns. Herr Altmanns! Sie kennen mich doch. Ich bin‘s, der Sebastian!

Altmanns Wollen Sie mich zum Narren halten? Ich habe Sie noch nie gesehen! Was wollen Sie von mir?

SebastianEine leicht genervte Traurigkeit auf seinem Gesicht. Ich komme doch jeden Abend, Herr Altmanns, das wissen Sie doch.

Da Altmanns ihn zweifelnd ansieht. Um Sie zum Essen abzuholen. Haben Sie das vergessen?

Altmanns Ich kenne Sie nicht und ich weiß nicht, was Sie von mir wollen. Daß ich meine Tür nicht abgeschlossen habe, stellt keine Generaleinladung für jeden dahergelaufenen komischen Fatzke dar! Und jetzt verschwinden sie bitte, und zwar prommt.

Sebastian Äh. Tritt auf Altmanns zu, legt seine Hand auf dessen Arm. Zutraulich, wie zu einem kleinen Kind. Nun kommen Sie schon, das Essen wird doch kalt!

AltmannsStarrt Sebastian ziemlich entgleist an, dann auf seinen Arm. Plötzlich fegt er Sebastians Hand beisteite und schreit. Was erlauben Sie sich? Fassen Sie mich nicht an! Altmanns Gesicht ist drohend, die Hand zum Schlag erhoben.

Noch einmal: Wer sind Sie, zum Teufel?

SebastianSeufzt. Sebastian, Herr Altmanns... oder Herr Müller, wenn Ihnen das lieber ist. Ich wollte Ihnen wirklich nicht zu nahe treten...

Altmanns Sie sind mir ganz entschieden zu nahe getreten, Sie seltsames Mensch!

Sebastian Entschuldigen Sie, das ist nicht immer leicht für mich, wissen Sie? Würden Sie mir den Gefallen tun, und sich zum Essen bringen lassen? Ich krieg sonst wieder Anschiß.

Altmanns Ich verstehe nicht, von was Sie reden.

Sebastian Es ist sechs, Herr Altmanns.

Altmanns Und? Das ist es jeden Tag zwei Mal, Herr Müller, halten Sie das für etwas Besonderes?

Sebastian Äh... Essenszeit. Die Anderen sitzen alle schon am Tisch und warten nur auf Sie.

Altmanns Welche „Anderen“?

Sebastian Na, der ganze Flur.

Altmanns Was für ein Flur? Sind Sie nicht ganz klar bei Verstand, Herr Müller?

Sebastian Ich? Lacht unwillkürlich. Nein, Herr Altmanns, i c h bin bei Verstand.

Altmanns Was erlauben Sie sich? Er versucht aufzustehen. Und bricht zusammen. Stöhnt. Verdammt!

SebastianEilt hin und versucht ihn aufzuheben. Herr Altmanns! Seien Sie doch vernünftig!

Altmanns Fassen Sie mich nicht an! Fassen Sie mich nicht an! Stößt Sebastian grob zu Seite. Versucht aufzustehen, aber seine Beine sind tot. Er ist verwirrt und voller Angst. Sie! Ich rufe die Polizei! Ich sage Ihnen, ich ruf die Polizei!

Brüllt aus vollem Hals. Polizei! Polizei! Hilfe!

Sebastian Lassen Sie sich doch helfen! Geht auf Altmanns zu, wird aber unwirsch abgewiesen. Er geht ab, während Altmanns versucht, sich aufzurichten und laut flucht. Kurze Zeit später kommt Sebastian mit der Pflegerin wieder.

PflegerinRecht grob. Herr Altmanns! Nun hören Sie aber auf! Tritt auf Altmanns zu, greift ihm unter die Achsel und hievt ihn mit Hilfe Sebastians hoch. Altmanns wehrt sich heftig, aber kraftlos. Herr Altmanns! Müssen wir Sie wieder festbinden?

AltmannsVöllig panisch. Festbinden? Wer seid Ihr? Wer seid Ihr? Was wollt Ihr von mir?

Pflegerin Sie haben Ihre Tabletten wieder nicht genommen, Herr Altmanns!

Altmanns Was? Was für Tabletten? Was ist das hier? Wer sind Sie?

Die nun folgenden rasanten Szenen werden zum Teil durcheinander und sehr dynamisch gespielt.

Pflegerin Halt ihn fest, Sebastian!

Sebastian Ich...

Pflegerin Halt ihn fest, habe ich gesagt!

SebastianZwiegespalten. Drückt schließlich den sich wehrenden und völlig verängstigten Altmanns in den Sessel und hält ihn fest.

Keine Angst, Herr Altmanns, ist gleich wieder gut!

Die Pflegerin beginnt die Spritze vorzubereiten. Sebastian betrachtet das mit Widerwillen.

Muß das wirklich sein?

Pflegerin Du siehst doch selbst!

Altmanns Nein! Lassen Sie mich! Sie können nicht einfach in meine Wohnung kommen und... Sieht die Spritze. Was ist das? Lassen Sie mich in Ruhe!

PflegerinKommt mit der Spritze näher. Ganz ruhig, Herr Altmanns!

AltmannsAußer sich vor Angst, kann sich nicht mehr bewegen. Was haben Sie vor? Was ist das? Sie können doch nicht!

Pflegerin Tut doch gar nicht weh, Herr Altmanns. Sie sticht dem schreienden Altmanns die Nadel der Spritze in den Arm. Nach einer Weile hört er auf zu schreien und wirkt ein wenig dumpf. Schwester Luise fühlt Altmanns Puls, um die Wirkung der Spritze zu überwachen.

SebastianWirkt traurig und entsetzt, während er Altmanns anschaut. Schweigt. Dann, vorsichtig. Wie geht es Ihnen?

AltmannsSchleppend. Was haben Sie mit mir gemacht?

Pflegerin Sie hätten noch einen Infarkt bekommen, oder einen Schlag, so wie Sie sich aufgeregt haben!

Altmanns Gehen Sie, gehen Sie weg!

Sebastian Das können wir nicht!

Altmanns Wer sind Sie? Ich sitze in meiner Mansarde und morgen schreibe ich Examina! Und Sie? Sie kommen einfach herein, halten mich fest, setzen mich unter Drogen... was wollen Sie von mir?

Pflegerin Sie sind nicht in Ihrer Studentenwohnung, Herr Altmanns.

Altmanns Sie haben mich weggebracht? Schaut sich um, erschrickt. Wo bin ich? Was ist das für ein Raum?

Pflegerin Warum lassen Sie sich nicht einfach zum Essen bringen? Es ist doch gleich nebenan, und unser netter Zivi führt sie ganz vorsichtig hinüber.

Sebastian Wie jeden Tag, Herr Altmanns.

Altmanns Niemand wird mich irgendwohin führen! Versucht aufzustehen, aber Sebastian hält ihn fest. Laßt mich los!

SebastianSchaut die Pflegerin fragend an.

Pflegerin Laß ihn los.

SebastianLäßt Altmanns los. Sehen Sie, niemand hält Sie fest.

Pflegerin Stehen Sie doch auf, Herr Altmanns! Zu Sebastian, leise. Paß auf, daß er nicht fällt.

AltmannsVersucht aufzustehen, bricht jedoch zusammen und wird von Sebastian aufgefangen. Ich verstehe das nicht!

Pflegerin Herr Altmanns, hören Sie mir bitte zu!

Altmanns Habe ich eine Wahl? Sie haben mich festgehalten, unter Drogen gesetzt, irgendwas mit meinen Beinen gemacht... ich kann nicht weg, bin gefangen, und wenn ich nicht mache, was Sie wollen, geben Sie mir noch eine Spritze... oder Schlimmeres!

Sebastian Bitte, Herr Altmanns, wir wollen doch nur Ihr Bestes. Ich... ich verstehe, daß das alles schwer für Sie ist. Verstehen Sie, Sie sind, nun...

Pflegerin