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Die versuchte Invasion der Sodoraner ist gescheitert, einige der Krieger haben aber in ihrem beschädigten großen Schiff sowie in einem der Beiboote überlebt. Mit einer gewagten Aktion gelingt es Chet Morrow mit Rauminfanteristen und der Unterstützung einiger verbündeter Geierköpfe, die Besatzungen auszuschalten. Viele Sodoraner, darunter Fürst Hansar, geraten in Gefangenschaft. Auf der Erde schmiedet ein Nachfahre einst geflüchteter Sodoraner Pläne, um diese Gefangenen gewaltsam zu befreien, dazu benutzt er auch Menschen, die er mit seinen Kräften manipuliert. Tatsächlich kommen einige Krieger frei, zudem gelingt es mit einem nächtlichen Täuschungsmanöver, wichtige Köpfe der Navy und des Geheimdienstes festzusetzen, darunter auch Chets Frau Linda. Chet selbst entgeht knapp der Gefangennahme und sucht verzweifelt nach Verbündeten für einen Gegenschlag, denn die Zeit wird knapp.
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Seitenzahl: 342
Veröffentlichungsjahr: 2024
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In dieser Reihe bisher erschienen
e601 Thomas T. C. Franke Ad Astra 01: Franke Schatten über dem Mars
e602 Thomas T. C. Franke Ad Astra 02: Die Kometenfalle
e603 A.N. O’Murtagh Ad Astra 03: Söldner der Galaxis
e604 Melanie Brosowski Ad Astra 04: Gestrandet in der weissen Hölle
e605 Thomas T. C. Franke Ad Astra 05: Jagt den Milan!
e606 Melanie Brosowski Ad Astra 06: Das Maki-Komplott
e607 Melanie Brosowski & Margret Schwekendiek Ad Astra 07: Hölle auf Eden
e608 Thomas T. C. Franke Ad Astra 08: Entscheidung auf Ceres
e609 Melanie Brosowski & Udo Mörsch Ad Astra 09: Die Aurora-Mission
e610 Melanie Brosowski & Udo Mörsch Ad Astra 10: Im Bann der Geierköpfe
e611 Thomas T. C. Franke Ad Astra 11: Geheimwaffe Dakota
e612 Thomas T. C. Franke Ad Astra 12: Der Malivia-Effekt
e613 Michael Edelbrock & Oliver Müller Ad Astra 13: Sodors Ultimatum
e614 Thomas T. C. Franke Ad Astra 14: Stunden der Angst
Ad Astra – Chet Morrows Weg zu den Sternen, Neue Abenteuer
Buch Vierzehn
Copyright © 2024 Blitz Verlag, eine Marke der Silberscore Beteiligungs GmbH, Mühlsteig 10, A-6633 Biberwier
In Zusammenarbeit mit
Heinz Mohlberg Verlag GmbH, Pfarrer-Evers-Ring 13, 50126 Bergheim
Redaktion: Danny Winter
Titelbild: Mario Heyer unter Verwendung der KI Software Midjourney
Umschlaggestaltung: Mario Heyer
Logo: Mario Heyer
Satz: Gero Reimer
Alle Rechte vorbehalten
Die Printausgabe des Buches ist 2018 im Mohlberg-Verlag erschienen.
ISBN: 978-3-945416-61-7
www.Blitz-Verlag.de
ISBN: 978-3-68984-144-7
e614 vom 15.12.2024
Vorwort
Was zuletzt geschah:
77 Stunden nach dem EMP
Neue Pläne, neue Kämpfer
Neue Intrigen
Entscheidung an Bord
Ein besonderes Maskottchen
Die Übergabe
Überraschung in der Nacht
Lindas Story
Chets Flucht
Ein Hoffnungsschimmer
Ein Zeichen der Hoffnung
Annas Attacke
Sturm auf das Hauptquartier
Das große Aufräumen
Finale in Port Dyna
Vorschau
Über den Autor
Mit einigen Cliffhangern haben wir die Leser mit dem Ende des letzten Bandes zurückgelassen: Dutzende Sodoraner, eingeschlossen in einem Schiff, die gerettet werden sollen, dafür bleibt fast keine Zeit mehr. Und gleichzeitig schmieden Attentäter auf der Erde weiter ihre finsteren Pläne zugunsten Sodors. Allerdings war bei den Autoren das Wissen im Hinterkopf, dass der neue Band möglichst schnell im Anschluss erscheinen sollte, damit die Leser nicht zu lange auf die Auflösung warten müssen. Hier sind also die neuen Abenteuer von Chet Morrow und seinen Mitstreitern. Und endlich, ein mehrfach geäußerter Leserwunsch, spielt die Geschichte zumindest in weiten Teilen wieder auf der Erde. Wir haben zudem schon etwas im Auge für die nächsten Bände, hier sei nur ein Stichwort für alle Fans genannt: Ophiuchi. Und jetzt noch ein Dankeschön an Michael Edelbrock, er hat mich besonders unterstützt bei der so wichtigen Überarbeitung.
Die Horizont unter ihrer neuen Kommandantin Megan Riordan bekam die ersten drei neuen Dynas, die den revolutionären Warp-Antrieb, konstruiert von Sir Hektor Rivas, ab Werk eingebaut haben. Beim ersten Testflug am 1. Januar 2120 tauchte Dyna New l nach einem Mikrosprung in der Nähe eines gewaltigen Schiffes auf: An Bord waren mehrere hundert Sodoraner, angeführt von ihrem blutrünstigen Herrscher Jalif Hansar. Ihm hatten die Großen eines ihrer größten Schiffe anvertraut, damit sollen die Sodoraner künftig die willigen Helfer der Großen spielen.
Der erste Auftrag führte Jalif Hansar zur Erde, hier waren die Großen vor Jahren mit einer Invasion gescheitert. Hansar hatte allerdings eigene Pläne. Zum einen wollte er die Sodoraner auf der Erde, deren Vorfahren von Sodor geflohen waren, bestrafen. Zum anderen wollte er die Erde selbst beherrschen. Es kam zu mehreren Gefechten mit Dynas, die allerdings nur Nadelstiche für das große Schiff bedeuteten. Cayden Vaughan, einer der auf der Erde geborenen Sodoraner und guter Freund von Chet Morrow, wollte sich Jalif Hansar stellen. Chet flog mit ihm an Bord eines New Dynas zum Schiff der Sodoraner, Hansar ließ den Dyna nahe herankommen, wollte zeigen, wie unverwundbar sein Schiff ist. Während Cayden auf das andere Schiff umstieg, katapultierte sich Chet Morrow aus dem Dyna, der dann in unmittelbarer Nähe des Raumers seinen Antrieb aktivierte. Die Energieblase des Warp-Antriebs erfasste auch Teile des Sodoranerschiffes, schnitt diese förmlich ab, als der Dyna zum Mikrosprung ansetzte. Das große Schiff erlitt gewaltige Schäden, während Cayden an Bord ums Überleben kämpfte, setzten sich Hansar und viele seiner Krieger in zwei Beibooten ab. Cayden gelang es mit ein paar verbliebenen Kriegern an Bord, das Schiff so weit zu stabilisieren, dass es nicht auseinanderbrach.
Die Horizont setzte die Verfolgung fort, die beiden Schiffe der Sodoraner trennten sich, eines setzte den Kurs zur Erde fort, das andere flog Richtung Mars, die Dynas konzentrierten ihre Attacken zuerst auf dieses Schiff. Mit einer tollkühnen Attacke gelang Amazone Anna-Maria Cruz ein Treffer genau in die Antriebssektion, worauf das getroffene Schiff förmlich verdampfte …
Unterdessen kam es auf der Erde zu Attacken auf Regierungsgebäude und das Labor von Sir Hektor Rivas, dahinter verbargen sich Gefolgsleute von John Sheffield, ebenfalls Nachkomme von Sodoranern. Er allerdings wollte – wie Jalif Hansar – die Erde unterwerfen, sah jetzt seine Chance gekommen. Im All gelang es den Dynas in einer weiteren Attacke, das Schiff Jalif Hansars zu verwunden, es konnte aber den Kurs Richtung Erde fortsetzen.
Dort schmiedeten Sir Hektor Rivas und seine wieder aufgetauchte geniale Partnerin Letta Huo einen Plan, das Schiff noch zu stoppen. Kurz vor Erreichen des hohen Orbits über der Erde kam es in Flugrichtung des Schiffes der Sodoraner zu gewaltigen Explosionen, verursacht durch Dutzende Atomraketen, die zeitgleich zündeten. Das erzeugte einen gewaltigen Elektromagnetischen Puls (EMP), die elektronischen Geräte an Bord fielen aus, das Schiff treibt seither, doch die Besatzung lebt noch …
Schreiend brach der Sodoraner zusammen, stürzte aber nicht auf den Boden. Kurz war die Dunkelheit durch helle Blitze erleuchtet. Die Nadlerstöße zischten wie winzige Glühwürmchen durch den Gang. Ein zweiter Sodoraner taumelte, drei andere blieben stocksteif stehen. Das heißt, sie versuchten es. Aber jede Bewegung in der Schwerelosigkeit führte dazu, dass die Gegner ein bizarres Ballett in der Luft vollführten. Ein dritter Sodoraner stieß gegen die Metalldecke, heftig. Der volle Klang übertönte sogar die einzelnen Befehle und Rufe. Der Mann hatte sich beim Versuch auszuweichen zu kräftig vom Boden abgestoßen.
Seit über einer Stunde war das Kommando Dima Jaschin an Bord des Sodoranerschiffes. Ihr eigentlicher Auftrag lautete: Die Besatzung zu evakuieren. Eine Rettungsaktion also. Dumm nur, dass sich die Krieger an Bord heftig wehrten, nicht nur mit Händen und Füßen.
Déjà-vu. Chet Morrow musste wider Willen grinsen. Dabei war die Situation alles andere als fröhlich. Wieder befand er sich in einem dunklen Korridor. Umgeben von einigen Bewaffneten. Sein alter Freund Dima Jaschin war wieder an seiner Seite. Der stark gepanzerte Skaphander zeigte noch Spuren des letzten Einsatzes, es war gar nicht so lange her, dass Chet und Dima in einer ähnlichen Situation gesteckt hatten.
Allerdings hatte der Oberst der Rauminfanterie heute darauf bestanden, dass Chet nicht wieder, wie sonst häufig, an der Spitze des Kommandos durch die düsteren Gänge schwebte. Das hatte Dima nicht zuletzt Chets Partnerin Linda versprechen müssen, Lindas Wort wog schwer, nicht mal der Rang eines Commodore konnte das aufwiegen. Und wieder einmal durften sich die Invasoren neben der Dunkelheit mit fehlender künstlicher Schwerkraft herumschlagen. Aber auch damit wurden sie erwiesenermaßen fertig, davon könnten die Geierköpfe-Krieger ein Lied singen. Wenn sie denn singen würden ...
Natürlich gab es auch Unterschiede. Diesmal war es keine Raumstation, in der sie kämpften, sondern ein Schiff. Aber ein gewaltiges, mit rund 150 Metern Länge und 50 Metern Durchmesser, was wiederum zahlreiche Stockwerke mit vielen Gängen, verbunden durch Treppen oder Röhren, bedeutete.
Gemeinsam hatten beide Missionen, dass die Menschen einmal mehr als Eroberer gekommen waren, wie schon bei der Enterung der Station über Aarknar. Nur die Art der Gegner unterschied sich deutlich, sowie ihre Zahl. Weniger als 200 äußerst menschenähnliche Sodoraner hielten sich an Bord dieses Zerstörers auf, bewaffnete Sodoraner. Und die meisten von ihnen verfügten über fast unheimliche Kräfte. Ihre Gegner konnten sie allein mit der Kraft ihrer Gedanken lähmen, sie beeinflussen.
Zum Glück müssen sie dafür ganz nah ran. Und die Chance geben wir ihnen nicht.
Dabei hatten die Menschen keineswegs vor, die Besatzung zu töten. Dummerweise galt dies nicht für die Kontrahenten. Deren Kommandant an Bord, Jalif Hansar, seines Zeichens zugleich Herrscher auf Sodor, wollte mit den Menschen ganz und gar nicht human umgehen. Jalif Hansar war gekommen, um die Erde zu unterwerfen. Und mit den Menschen auch die Sodoraner zu versklaven, die auf der Erde über Jahrzehnte heimlich im Exil gelebt hatten.
Schwierige Missionen brauchten clevere Lösungen. Weil die Erde nicht nur die Besatzung möglichst unblutig festsetzen wollte, sondern gerne auch das Schiff unversehrt, oder zumindest nicht weiter beschädigt, in die Hände bekommen wollte. Dafür hatten sich Chet und Dima für diese Aktion eine besondere Rückendeckung besorgt, die bei ihren Vorgesetzen zu schlaflosen Nächten führte.
Chet musste unter seinem Helm lächeln, als einer seiner Verbündeten im nachtschwarzen Raumanzug und durchsichtigem Visier an die Spitze schwebte. Neben Fähnrich Marc Krüger, der aus unerfindlichen Gründen Bum genannt wurde. Bum schwebte vor dem nächsten Gangknick. Das menschengroße Wesen schwebte an seine Seite. Hielt sich an einem Vorsprung des Ganges fest. Mit scharfen Krallen. Und dann drehte sich das Wesen vorsichtig um, das Visier war entspiegelt, so sahen die Nachfolgenden, wie das Wesen den gelben Schnabel öffnete. Dieser hatte ihnen bei den Menschen den unpassenden Spitznamen Geierköpfe eingetragen.
„Müssen `ach `inks.“
Lo-Ran, bis vor kurzem Oberkommandierender der Raumstreitkräfte des schwarzen Volkes, deutete in die entsprechende Richtung. In seinen Krallen hielt er eine allen Menschen nur zu bekannte Waffe: Einen Nadler.
36 Stunden zuvor. Commodore Chet Morrow saß wie auf glühenden Kohlen, sein Rang brachte ihm hier keine Vorteile. Jeder im gerade eingerichteten neuen Kommando der Space Navy im gerade wieder aufgebauten Port Dyna wusste, dass Commodore nur ein Ehrenrang war. Chet würde noch lange auf Admiralsehren warten müssen. Vorerst war er ein einfacher Captain, ein immer noch sehr junger dazu.
Eigentlich habe ich auf Admiral sowieso keine Lust. Weil es bedeuten würde, auf das Kommando über ein Schiff, vielleicht sogar über mehrere, zu verzichten. Na schön, Linda würde es begrüßen. Weil wir uns dann viel öfter sehen würden.
Alles war vorerst sowieso akademisch, die neue UNO-Regierung verfügte gerade einmal über zwei größere Einheiten, die beiden Dyna-Carrier Horizont und Aurora. Chet war erster Kapitän der Horizont gewesen. Jetzt hatte er das Kommando an Bord an Megan Riordan übergeben, die den Dienstgrad Commander trug. Und Chets Kumpel Phil Dickens behielt als neuer Captain das Kommando auf der Aurora. Daneben verfügte die Erde noch über kleine Einheiten, mehrere Dynas und TOS, letztere waren Dyna-Vorgänger, die Transport outer Space genannt wurden. Und das war es.
Größere Neubauten waren nicht in Sicht, der Wiederaufbau würde noch auf Jahre, vielleicht Jahrzehnte, alle Kräfte der Erde aufzehren. So müsste die Flottenvergrößerung auf andere Weise erfolgen.
Nach dem jüngsten, gerade noch glimpflich verlaufenen Invasionsversuch der Sodoraner schwebte ein ziemlich beschädigtes Schiff in Erdnähe. Sozusagen zum Greifen nah. Das Kommando der Navy wollte das Schiff bergen, auch die Wissenschaftler um Sir Hektor Rivas waren ganz wild darauf, die fremde Technik studieren zu können, die vielleicht den Menschen im Konflikt mit den Großen den entscheidenden Vorteil bot.
Dumm nur, dass zahlreiche Sodoraner an Bord ausharrten. Angesichts ausgefallener Bordenergie mit schwindenden Vorräten an Sauerstoff blieb nicht viel Zeit, um einzugreifen. Aber die Wesen einfach sterben lassen, das wollten die Menschen nicht. Also sollten einmal mehr die Rauminfanteristen die Kastanien aus dem Feuer holen. Sozusagen einmal in die Hölle und zurück.
Der scheidende Kommandant der Rauminfanterie, Chets guter Freund Anatoli Onkel Tolja Anduri hatte schnell alle verfügbaren Kämpfer versammelt. Und mit Dima Jaschin stand ja ein erfahrener Kommandeur zur Verfügung. Onkel Toljas aktive Tage waren endgültig vorbei. Beim letzten Einsatz an Bord der Raumstation der Geierköpfe war er einmal mehr verwundet worden. Einmal zu viel für einen aktiven Kämpfer.
„Aber mein Hirn ist nicht verletzt, Freunde. Und ich denke, als Planer kann ich euch weiter von Nutzen sein.“
Onkel Tolja gestattete sich ein leichtes Grinsen. Keine Woche war es her, seit Anduris Rauminfanteristen zusammen mit vielen Freunden und Bekannten den Jahreswechsel gefeiert hatten, alle hatte die Hoffnung auf eine bessere, friedlichere Entwicklung geeint.
Der Wiederaufbau bekam langsam Schwung. Dazu waren die Verbindungen mit den Römern enger geworden, den Nachfahren einer einst in Britannien verschwundenen – mittlerweile war klar: entführten – Legion. Die Römer hatten auf einem Planeten im System Alpha Centauri überlebt. Zudem waren die Makis zu guten Verbündeten der Menschen geworden. Und nach dem Einsatz auf und über Aarknar gab es sogar gute Aussichten auf friedliche Geierköpfe.
Aber derart viel Mir, Drushba, Blintschiki, oder auf deutsch: Friede, Freude, Eierkuchen hielt ja kein Mensch aus, hatte Onkel Tolja in seinem Toast zu Mitternacht gespottet. Und wie zur Bestätigung dieser Worte stolperte, keine 24 Stunden später, die Besatzung eines Dynas über die nächste tödliche Bedrohung.
„Schön, Commodore. Sie gehören zu unseren erfahrensten Männern.“ Antonio Molinas, der ältere Spanier, schaute Chet ruhig an. Molinas war Stabschef des gerade installierten neuen UNO-Raumkommandos, der Space Navy. Schön flach war die Hierarchie dort noch, gerade einmal vier Admirale umfasste die Führung, weitere vier Admirale waren im Bereich Forschung, Ausbildung und Neubauten beschäftigt. Hier, wie überall auf der Erde, war es immer noch kompliziert, weil im Chaos nach dem Kometeneinschlag der chinesische Dyna-Carrier Mao Zedong mehrere UNO-Einrichtungen angegriffen hatte, gab es nur wenige überlebende Fachleute. Und die wieder entstehenden Nationalstaaten, allen voran die USA, waren mit erneuten Abstellungen an die UNO sparsam, bestanden auf eigenen Befehlssträngen.
Offizieller erster Kommandeur der Raumstreitkräfte der Erde war Karwindra R. S. Singh, ein indischer Sikh, der stets einen blauen Turban trug. Er hatte bereits Jahrzehnte im Dienst der UNO gestanden. Ihm zur Seite, offiziell als Co – aber in Einsatzdingen die Nummer 1 – stand Elliot Svenson III., ein amerikanischer Admiral, der allerdings deutlich mehr Erfahrungen in Seekriegsführung mitbrachte. Bis vor kurzem war er noch nie an Bord eines Raumschiffes gewesen. Und um das wichtige Trio zu vollenden, stand den beiden Kyril Makarow, ein russischer Raumadmiral, zur Seite.
Als Berater standen Chets alte Freunde bereit. Simon Weißkamm, ehemaliger Kommandeur von Port Dyna und einer der Väter des Dyna-Programms. Port Dyna wurde mittlerweile von Admiral Andrea Rizzo geleitet, hier erhielten die jüngsten Piloten ihre Einführung, leider noch auf alten Mustern. Ein Problem für Simon Weißkamm war allerdings, dass er noch für eine Weile auf Neu-Rom seinen Schreibtisch stehen hatte. Aber dafür gab es schließlich die direkte Transmitter-Verbindung, solange es keine gegenteiligen Indizien gab, galten die Maki-Transmitter weiterhin als sicher.
Mit ihrer jüngsten Idee, einem Passepartout, mit dem sich auch bislang nicht an die Strecke angeschlossene Transmitter ansteuern und benutzen ließen, auch die der Großen, hatten die Makis ein Meisterstück vollbracht. Allerdings fürchteten so manche irdischen Wissenschaftler, dass die feindliche Übernahme demnächst umgekehrt auch den Großen gelingen könnte. Und dann hätten Menschen und Makis ein wirklich ernstes Problem.
Natürlich saß Anatolij Onkel Tolja Anduri mit am Konferenztisch. Seine von ihm ausgebildeten Frauen und Männer stellten die Kämpfer an Bord der Schiffe. Onkel Tolja würde ab sofort nur noch vom Schreibtisch aus Chet und die anderen unterstützen können. Die letzte Verwundung an Bord der Raumstation war eine zu viel gewesen, um im aktiven Dienst zu bleiben. Aber seine Erfahrung war unverzichtbar. Für den Kampf in Raumschiffen und Stationen. Sowie auf unwirtlichen Welten.
„Wir haben also eine tödliche Bedrohung knapp abgewehrt. Dank unserer tapferen Dyna-Besatzungen. Und einer Idee von Sir Hektor Rivas.“
Antonio Molinas unterbrach Chets Gedanken, nickte gerade dem Commodore und dem Wissenschaftler zu. Sir Hektor Rivas rutschte etwas nervös in seinem Sessel hin und her. Die Lippen des Brasilianers bewegten sich, es war aber nichts zu hören. Sir Hektor litt deutlich an den Nachwirkungen des Attentats auf sein Labor. „Es ... stimmt nicht ganz, Senor ... ah ... Admiral Molinas.“ Der sonst in Besprechungen meist souveräne Wissenschaftler hielt die Hände kurz vor sein Gesicht. Wischte sich über die Augen. „Meine ... ah ... exaltierte Mitarbeiterin und gute Freundin ist wieder aufgetaucht. Und sie hat mich auf die richtige Idee gebracht. Danken Sie Letta Huo.“
„Nun, das können Sie gerne in unserem Namen tun.“ Molinas rieb sich ebenfalls über die Augen. Kein Soldat aus seinem Kommando war in den letzten zwei Tagen viel zum Schlafen gekommen. Langsam setzte sich die Müdigkeit durch. Aber die Krise war noch nicht vorbei. Molinas setzte nach. „Kommen wir zum Kern des Problems. Dort draußen, nicht weit entfernt, schwebt ein Raumschiff. Soweit wir wissen, ist der Antrieb offline. Und praktisch alle Elektronik zerstört, dank des gewaltigen EMP. Fürs Protokoll: Dafür haben unsere Nationen nahezu den gesamten verbliebenen Bestand an LRBM gestartet ... ballistischen Langstreckenraketen.“
„Na, zumindest galt der Einsatz einem guten Zweck. Und nicht dafür, andere Nationen auf der Erde zu zerstören.“ Simon Weißkamm, mit seinen dünn gewordenen weißen Haaren und dem schütteren Bart fast wie ein netter Großvater aus der Reklame wirkend, setzte sich auf. Die bisherige Diskussion hatte er zurückgelehnt verfolgt. Das eingebaute Pad vor seinem Sitz hatte er bisher keines Blickes gewürdigt, anders, als die meisten Teilnehmer, die ständig kurze Blicke auf die Bildschirme warfen, sich einzelne Vid-Sequenzen ansahen.
Admiral Elliot Svenson nickte bedächtig. „Simon, alter Freund, das stimmt sicher. Und wir haben weiß Gott genug Zerstörung erlebt in den letzten Jahren. Niemand hat Lust auf weitere Tote. Und das sagen wir Uniformträger auch unseren Regierungen. Nicht nur durch die Blume. Weil wir ganz genau wissen, was unsere Waffen anrichten können. Aber mit diesem EMP haben wir eine Möglichkeit weniger, uns zu verteidigen. Was, wenn bald noch einer dieser ... wie haben sie ihn genannt, Commodore? Ah, ja: Ein Dreadnought. Als waschechter Matrose kann ich ihnen da nur zustimmen. Also, wir werden Verteidigungsmöglichkeiten gegen diese mächtigen Schiffe brauchen. Und deswegen wäre es gut, wenn wir dieses angeschlagene Schiff kapern könnten.“
Chet wollte nicken. Wieso höre ich da so ein kleines Aber durch?
Simon Weißkamm übernahm für Chet die Argumentation. „Meine Damen und Herren, Kameraden, wir wissen alle, dass es ganz wichtig wäre, dieses Schiff zu bergen. Wo wir dabei sind. Wenn es geht, sollten wir auch versuchen, den großen angebissenen Apfel ...“
Das Lachen am Tisch blieb dezent, Simon Weißkamm hatte die Bezeichnung der Vid-Medien aufgegriffen. Das treibende, inzwischen verlassene Großkampfschiff sah in der Tat in den Aufnahmen genauso aus. Wie ein runder, dunkler Apfel, aus dem ein ordentlicher Happen herausgebissen worden war. Dies war das Werk des Warp-Antriebs. Genauer: Des neuen Antriebs, entwickelt von Sir Hektor. Der bildete jeweils eine Blase um das eigene Schiff, kapselte es so vom Normalraum ab. Nur dass bei der Mission, die Chet Morrow selbst geflogen war, die Blase neben dem Dyna auch einen Teil des Dreadnoughts eingehüllt hatte. Und als der Dyna zusammen mit der Blase, gestartet war, hatte diese tatsächlich den Teil des Schiffes mitgerissen. Das Wort gerissen traf es allerdings nicht. Auf molekularer Basis getrennt, so nannten es die Wissenschaftler um Sir Hektor.
Für alle Besatzungsmitglieder, die sich in den entsprechenden Bereichen aufgehalten hatten, war das Ergebnis sofort tödlich gewesen. Der große Rest des Dreadnoughts war vom Untergang bedroht. Und niemand am Tisch wollte eine Selbstmordmission. Allerdings war die Stimmung auch gegen eine Rettung der momentan eingeschlossenen Besatzungsmitglieder des kleineren Zerstörers. „Wir wissen doch ganz genau, zu was diese Wesen fähig sind. Muss ich irgendjemanden in dieser Runde tatsächlich daran erinnern?“
Zum ersten Mal hatte Karwindra R. S. Singh etwas zur Debatte beigetragen, sein Satz klang ziemlich endgültig. Der Oberkommandierende stammte aus Indien, hatte aber die letzten Jahrzehnte im Dienst der UNO an so ziemlich jedem Ort der Erde verbracht, an dem es zu Konflikten gekommen war. Indien und China hatten unter den Attacken des Letzten von Sodor besonders gelitten, der Fallout der Atombombe hatte dazu geführt, dass größere Landflächen im sowieso übervölkerten Subkontinent aufgegeben werden mussten. Zahlreiche Kameraden Singhs waren damals getötet worden. Und nicht zuletzt hielten die UNO-Streitkräfte einige Vid-Sequenzen unter Verschluss, die zeigten, wie Menschen von Sodoranern geistig übernommen wurden, darauf andere Menschen und schließlich sich selbst töteten. Alles unter dem Einfluss der unheimlichen Geisteskräfte, über die einige Sodoraner verfügten.
Alles in Karwindra Singh sträubte sich dagegen, nun womöglich Dutzende blutrünstige Sodoraner aus einem Schiff bergen und zur Erde bringen zu lassen. Obwohl sein Gesicht eine unbewegte Maske zeigte, schienen seine schwarzen Augen, mit denen er Chet betrachtete, vor Wut zu glühen. Schließlich war es Chet Morrow und dem Team der Horizont zu verdanken, dass es bereits einige sodoranische Gefangene gab. Vorerst waren diese allerdings weitab von der Erde. Was auf Dauer natürlich auch keine Lösung war. Chet räusperte sich.
Verdammte Unsicherheit. Hört das nie auf?
„Jeder am Tisch hier weiß das, Admiral.“ Chet Morrow hatte sich aufgerichtet, wischte die schweißnassen Handflächen so unauffällig wie möglich an der Hose ab. Legte die Hände dann flach auf das virtuelle Display des eingebauten Pads. „Ich ... und meine Mannschaft, wir waren damals beteiligt, als der Letzte von Sodor nach der Macht gegriffen hat. Besser gesagt, wir waren mittendrin in dem höllischen Kampf, Sir.“ Chet tippte eine Sequenz. Sie sorgte dafür, dass seine aufgerufene Vid-Datei an die anderen am Tisch übertragen wurde. „Was sie hier sehen, sind kurze Splitter, aufgenommen von Gefechtskameras, oder von der Bordüberwachung. Ich möchte Sie zudem mit Cayden Vaughan bekannt machen ...“
Die Daten über den Halbsodoraner wurden am unteren Rand der Bilder eingeblendet. Die Militärs und der Vertreter der Regierung wurden Augenzeugen von Chets Begegnung mit Cayden auf dem Eisplaneten, sahen Szenen an Bord der Horizont. Dann kamen Bilder des Bombenanschlags auf Cayden, die tödliche Auseinandersetzung im Hangar schilderte Chet kurz, ohne Einzelheiten zu nennen. Schließlich zeigte er Vid-Bilder vom Einsatz auf dem ehemaligen Militärgelände bei Tucson gegen den verrückten Sektenführer Bruder John und dessen Anhänger, die sich ein einfaches Weltbild geschnitzt hatten: Am Weltuntergang durch den Kometeneinschlag musste es Schuldige geben. Und dies waren in Bruder Johns Augen die Sodoraner. Dämonen, die man foltern und töten durfte. Bruder John hatte von chinesischen Agenten Informationen über einige der versteckten Camps erhalten, in denen die Nachfahren der Sodoraner mit Menschen friedlich zusammenlebten. Schwer bewaffnete Gläubige machten darauf Jagd auf Sodoraner. Erst mit dem Eingreifen Caydens und Chets endete der Spuk, an ihrer Seite kämpften Menschen und Nachfahren der Sodoraner.
Chet zeigte einige Aufnahmen, so bekamen die gefürchteten Wesen ein Gesicht. Diesmal gab es keine Einspielungen. Es war einfach Chets Stimme zu den Vid-Bildern zu hören. „Das ist Antonio Campos, hier ihr Anführer, José Hernandez, sein Bruder Julio und sein Sohn Ernesto. Das ist Fulvio Cabreras, der Sprachbegabte. Er hört sich in der ersten Sekunde an wie der typische Mexikaner, der amerikanisch mit starkem Akzent spricht, nur um im nächsten Satz wie ein alter Texaner zu klingen. Und dann Francisco Zarate. Sie alle haben ihre Deckung aufgegeben, haben uns unterstützt und dabei ihr Leben riskiert.“
Chet räusperte sich. „Und zwei verloren dabei ihr Leben, erst Julio Hernandez. Und José starb zuletzt, als er Sir Hektors Anlage bewachte, beide waren einfache Arbeiter. Ja, mit sodoranischem Erbe, sie alle sind Nachfahren von Flüchtlingen, die auch hier um ihr Leben fürchten mussten. Auch das gehört zur Wahrheit.“
Er zeigte die letzten Bilder, ohne Ton, ohne Untertitel. Die brauchte es auch nicht. Zu sehen waren zwei blutende, zerschlagene junge Männer, zwei Opfer der Sekte, die mit knapper Not überlebt hatten. Überlebt dank Cayden, Chet und einigen Sodoranern. Die Jungen waren gefoltert worden, sie waren die einzigen Überlebenden dieses Horrors. Es war so still im Raum, dass Chets leichter Schlag mit der Handfläche auf den Schirm, der alle Bilder beendete, nur schwarze Schirme zurückließ, rundum zu hören war.
Der indische Admiral runzelte die Stirn. „Ich weiß nicht, was Sie mir damit sagen wollen, Commodore. Selbstverständlich kenne ich die Akten, auch wenn ich nicht alle Einzelheiten im Kopf habe ...“
„Verzeihen Sie meine Unterbrechung. Aber genau auf diese Einzelheiten kommt es an. Sie sehen hier, dass es einige Nachkommen der Sodoraner auf Erde und Mars gibt. Und sie sind loyal uns gegenüber. Alles, was sie wollten, war ein angstfreies Leben. Und zuvor sahen sie, was passiert, wenn Menschen gegen Fremde hetzen, weil sie Angst vor ihnen haben.“
„Verdammt noch eins, Commodore. Wir reden hier nicht von der Angst vor Asylbewerbern oder vor Kriegsflüchtlingen. Das hat nichts mit den Flüchtlingswellen zu tun, wie wir sie aus dem vergangenen Jahrhundert kannten. Sodoraner sind gefährlich, Punkt! Und gerade diese Krieger an Bord sind es. Jeder einzelne ist wie eine ... ah ... Bombe auf zwei Beinen. Verdammt, unsere chinesischen Verbündeten wissen das nur zu genau. Und Sie doch auch!“
Chet sah den Admiral an. „Aber das gibt uns nicht das Recht, sie wie wilde Tiere zu behandeln!“ Chet hatte ein weiteres Mal nicht gewartet, bis die Anzeigen an seinem Platz blinkte, zum Zeichen dafür, dass er dran war. Er rieb sich verlegen mit dem Zeigefinger über die Oberlippe, die feucht vor Schweiß war. Chet war ungeheuer angespannt. Die nächsten Sätze, die nächste Minute, musste die Entscheidung bringen. „Sir, meine Herren. Wenn wir einfach warten, bis diese Menschen, ja, ich sage bewusst Menschen, dort an Bord erfrieren, oder ersticken, weil wir Angst davor haben, sie lebend auf die Erde zu bringen, dann sind wir nicht besser als dieser Jalif Hansar. Verdammt, was wäre es für ein Zeichen für alle Fremden? Wir töten im Zweifel allein aus Angst? Oder verweigern jede Hilfe? Was würden die Sodoraner, die unter uns, die mit uns leben, davon halten? Was glauben Sie, werden diese Menschen weiterhin unverbrüchlich an unserer Seite stehen, wenn sie uns so handeln sehen?“
„Verdammt, Commodore, so wie sie es ausdrücken, machen Sie ja geradezu Monster aus uns. Das ist niemand hier an diesem Tisch. Aber wir haben diesen Krieg nicht angefangen. Sie und ihre Dyna-Piloten haben doch in zwei Aktionen womöglich einige hundert dieser Krieger getötet, oder irre ich mich da? Und dann diese Untergrundkämpfer. Verdammt, da draußen herrscht Angst, pure Angst. Auch daran ...“
General a. D. Simon Weißkamm klopfte mit den Fingerknöcheln der rechten Hand vernehmlich auf das Aluplas des Bildschirms. Irritiert blickte Karwindra Singh zu seinem alten Kameraden. Erteilte ihm dann das Wort.
Weißkamm nickte ihm zu. „Danke, Karwindra. Bevor das hier in einen offenen Streit ausbricht, von dem niemand etwas hat, möchte ich auf ein paar Punkte aufmerksam machen. Wir wollen das Schiff, wenn es irgend geht, unbeschädigt entern. Wenn wir einfach warten, könnten die Überlebenden eine Verzweiflungstat begehen, etwa das Schiff zu sprengen. Oder sie schaffen es, Beiboote aus dem Hangar zu schleusen. Mit denen sie dann auf der Erde landen. Das wäre dann wirklich ein Albtraum. Abgesehen davon könnten uns Aussagen der Überlebenden helfen im weiteren Konflikt. Und nicht zuletzt: Gelingt es uns, den Herrscher, diesen Jalif, lebend zu fassen, könnte es ein großer Schritt für uns sein. Stirbt er dagegen im Kampf, findet sich auf Sodor bestimmt ein Nachfolger. Der Rache schwört ...“
Simon Weißkamm sah sich um. In Momenten wie diesem hätte er sich liebend gerne eine Pfeife angesteckt. Auch wenn er dieses Laster vor Jahren abgelegt hatte. Manchmal überkam es ihn noch, Nikotinkaugummis waren wirklich keine Lösung.
Er hob beide Hände, deutete in die Runde. „Also, niemand hier am Tisch ist ein Monster. Keiner geht kaltlächelnd über Leichen. Auch nicht über die toten Körper von anderen Wesen. Seit wir wissen, dass wir nicht allein im Universum sind, zugegeben, die ersten Kontakte hatten wir uns freundlicher vorgestellt, als Sodoraner und Geierköpfe, von den Großen nicht zu sprechen, da hat sich auf der Erde einiges verändert. Natürlich haben es die Makis hier leichter, akzeptiert zu werden. Klein und knuddelig, vor denen hat niemand Angst. Bin gespannt, wie das demnächst mit den Geierköpfen wird. Selbst als Jugendliche sind sie noch immer reichlich ... ah ... gewöhnungsbedürftig. Aber bei ihnen ist es nur das Äußerliche. Die Sodoraner aber machen uns, machen vielen da draußen Angst, allein wegen ihrer geistigen Fähigkeiten. Weil sie uns manipulieren, zu etwas zwingen können. Aber, wer zum Teufel, wäre besser geeignet, Sodoraner zu fassen und später auf sie aufzupassen als andere Sodoraner?“
Die beiden Führungsköpfe drehte sich synchron, blickten Simon Weißkamm an wie zwei feuerbereite Zwillingstürme. Karwindra R. S. Singh und Elliot Svenson III. brauchten einen Moment. Der Amerikaner fasste sich als Erster, grinste jetzt. „Glückwunsch, Simon. Das war wohl die Beantwortung der Millionen-Frage. Aber bevor du jetzt hier auf die herunter rieselnde Goldfolie hoffst: Es dürften nur ganz wenige Sodoraner qualifiziert genug sein, mit unseren Infanteristen zusammen an Bord eines Schiffes zu kämpfen. Die Gefangenen später bewachen, okay. Und als Unterstützung für die Bewachung von Gebäuden gegen die Untergrundkämpfer, da nehmen wir gerne Hilfe entgegen. Verdammt, ich möchte unsere Jungs und ... ah ... Mädels möglichst nur geringer Gefahr aussetzen.“
„Dafür sind wir unendlich dankbar.“ Onkel Tolja schaffte es, Svenson mit seinem undurchdringlichen Pokergesicht zu mustern. Auch Dima Jaschin, amtierender aktiver Kommandeur der Truppe, der direkt hinter Onkel Tolja saß, verzog keine Miene. Er wusste, egal wie sehr sie auch planten: Dieser Einsatz war und blieb gefährlich. Ohne Opfer würde er kaum durchzuführen sein. Und Dima Jaschin hasste nichts mehr, als bei einem Begräbnis dabei sein zu müssen. Bei zu vielen hatten er und Onkel Tolja in den letzten Jahren weinende, erstarrte oder wütende Angehörige erlebt, die mit Worten kaum zu trösten waren.
Wenn es jemanden gab, der Konflikte möglichst friedlich lösen wollte, dann waren es erfahrene Soldaten. Nicht die jungen, unerfahrenen. Dima hatte mehr als einmal Kopf und Kragen riskiert, erst vor kurzem, beim Kampf um eine Raumstation der Geierköpfe. Aber da hatten sie die Überraschung auf ihrer Seite gehabt, dazu Verbündete an Bord sowie Gegner, die nicht wirklich darauf trainiert waren, es mit voll gepanzerten Infanteristen aufzunehmen. Das sah jetzt deutlich anders aus.
Admiral Svenson nahm Augenkontakt zu Dima auf. „Da wir gerade über ihre Frauen und Männer reden. Auch wenn wir am Ende entscheiden müssen, so möchte ich ... so möchten wir doch wissen: Was denken Sie über den geplanten Einsatz, Oberst Jaschin?“
„Darf ich offen sprechen?“
„Verdammt, warum fragt ihr das immer?“ Admiral Svenson sah Onkel Tolja geradezu anklagend an, dann schaffte er es nicht mehr, grimmig zu blicken, er musste grinsen. Ein leichtes Lachen ging um den Tisch. Elliot schaute Dima wieder an, der kräftige Infanterist mit den ehemals dunklen, schon deutlich grauen Haaren wirkte neben dem eher kleinwüchsigen, fast glatzköpfigen Admiral wie ein Riese.
„Okay, selbstverständlich wird hier offen geredet, Oberst. Wir sind zu wenige Überlebende, als das wir uns irgendwelche Intrigen leisten sollten. Hier werden keine Entscheidungen leichtfertig am Schreibtisch gefällt. Weil es uns auf jeden Soldaten, jeden Piloten, jedes Besatzungsmitglied ankommt. Und deswegen, noch mal für euch Barbaren von der Infanterie: Nein, wir schicken euch nicht in den Einsatz, wenn es dafür keinen guten Grund gibt. Und wenn wir uns zum Einsatz entschließen, dann sollt ihr auch alle Ressourcen bekommen, um es mit so wenig Opfern wie möglich zu schaffen. Heißt nicht, dass wir versprechen, dass niemand zu Schaden kommt, verstanden, Oberst?“
„Verstanden, Sir. Um ihre Frage offen zu beantworten. Natürlich können wir es schaffen, das Schiff einzunehmen. Wie gesagt, ein paar Sodoraner könnten uns helfen. Aber sie müssten schon ein bisschen Erfahrung mitbringen, so wie Cayden. Aber ganz wohl ist uns nicht dabei, wenn wir an diese Mission herangehen. Denn da gibt es ein Riesenproblem, einen Vorteil für die Verteidiger. Weil wir, verdammt ... äh ... Verzeihung. Also, weil wir so wenig über die Innenbereiche wissen. Die Besatzung wird wahrscheinlich damit rechnen, geentert zu werden. Die werden sich vorbereiten. Und so etwas macht ein Enterkommando eben verdammt schwer. So viele Kämpfer haben wir nicht, dass wir alles abdecken könnten. Und da sind kleine Überraschungen noch nicht mal inbegriffen, wie Zerstörungen auf den Decks, die uns zu Umwegen zwingen. Überall könnten wir in Fallen laufen, wenn sie verstehen. Also, wenn sie mich fragen: Ohne Unterstützung durch Kämpfer, die sich im Inneren auskennen und uns führen können, kann es ... unangenehm werden. Wir könnten viele gute Soldaten verlieren, Sir!“ Dima räusperte sich. Onkel Tolja drehte sich kurz um, nickte Dima zu.
Admiral Svenson nickte ebenfalls. „Verstehe ihre Probleme, Oberst. Wir haben keine Pläne von diesen Schiffen, wissen nicht, wie es drinnen aussieht. Also ich sehe da keine Abhilfemöglichkeit. Damit wären wir wieder am Ausgangspunkt: Fordern wir sie zur Übergabe auf und warten dann ab, was passiert?“
Jetzt war es an Chet, leicht zu lächeln. Onkel Tolja, Dima und er hatten das Problem bereits um und um gewälzt, seit das Kommando die Enteraktion erwogen hatte. Und Onkel Tolja hatte Chet auf die richtige Spur gesetzt. „Admiral, meine Herren. Wir haben da eine Lösungsmöglichkeit. Es gibt Verbündete, die kennen sich in diesen Schiffen aus.“
Chet und Onkel Tolja lächelten sich an, während seine Exzellenz, Admiral Singh sich ein ganz und gar unpassendes Stöhnen leistete. „Mein Gott, da haben doch nicht etwa wieder diese Makis ihre Krallen im Spiel? Langsam kommen die uns richtig teuer zu stehen. Erst Übersetzungssoftware, jetzt etwa Baupläne. Meine Güte, erst Sodoraner als Unterstützung, dann Makis. Demnächst stellen die wohl noch selbst Soldaten. Wahrscheinlich in gut gepanzerten Ganzkörper-Rüstungen in Kindergröße ...“
„Ach, wo Sie es erwähnen.“ Onkel Tolja machte dieser Punkt der Besprechung sichtlich Spaß. „Hab’ ich ihnen schon von dem Spezialeinsatzkommando unserer Kleinen erzählt?“
Onkel Tolja verzichtete auf weitere Einzelheiten. Machte sich aber im Kopf die Notiz, unbedingt das Standbild mit dem ungläubigen Blick des indischen Admirals abzuspeichern. Es würde spätestens beim nächsten großen Fest der Infanteristen ein echter Brüller werden.
„Also, im Ernst, General Anduri.“ Admiral Singh sah den Berater jetzt an. Mit seinem strengsten Blick der Marke: Noch so eine Bemerkung und du fliegst raus.
Singh setzte erneut an. „Wenn es nicht die Makis sind, ist es offenbar schlimmer als Sodoraner. Sprechen wir etwa über Unterstützung durch ...“
„Geierköpfe? Ganz genau.“ Onkel Tolja liebte Alliterationen. Vor allem, wenn er damit viele Vorgesetzte verblüffen konnte.
John Sheffield sah einen Moment irritiert auf das Tablett, dann auf den Ecktisch, auf dem sich die Reste des Essens der Vorgänger türmten. Gerade erst hatte er den Diner in Sacramento betreten, um einen seiner Informanten zu treffen. Er blickte noch einmal auf das Chaos auf dem Tisch. Diese Barbaren würden es nie lernen, mit Lebensmitteln wirklich vernünftig umzugehen. Sheffield kannte die Barbaren genau, schließlich war er auf der Erde geboren. Allerdings hatte er sich Zeit seines Lebens immer verstecken müssen. So hatte es für ihn immer nur wenige Begegnungen mit Menschen gegeben. Zu deutlich war sein sodoranisches Erbe zu sehen, die Schlitze über den eigentlichen Augen. Jedes einzelne Mal, wenn er in diese für ihn feindliche Umwelt hinausging, musste er sich tarnen, auch wenn die Prothesen immer besser geworden waren. Die Angst vor Enttarnung hatte ihn immer begleitet, die Furcht vor den Menschen war immer mehr in Hass umgeschlagen, je älter er wurde. Seine beiden Eltern gehörten zu den Anhängern der Sodoraner, die die Menschen unterjochen wollten. Und John Sheffield hatte dieses Erbe angetreten, einige wenige seiner Anhänger hatten die schlimmen Zeiten der Katastrophe überlebt. Ihr Hass richtete sich heute auch und gerade gegen diejenigen Sodoraner, die für die Koexistenz mit den Menschen eintraten. John wollte sich unbedingt an Cayden Vaughan rächen. Der Mann, der ihm vor Jahren das Augenlicht geraubt und damit Johns Fähigkeiten deutlich beschnitten hatte.
Mittlerweile konnte John wieder sehen, seine Fähigkeiten, Menschen seinen Willen aufzuzwingen, waren fast so stark wie früher. Damit sah er jetzt seine Chance gekommen, sich an allen Barbaren und Abtrünnigen zu rächen. Das Auftauchen des Schiffes der Großen mit Sodors jüngstem Herrscher an Bord hatte John und seine Anhänger förmlich elektrisiert. Sie hatten bereits für mehrere Anschläge gesorgt, unter anderem hatten sie das Labor von Sir Hektor Rivas zerstört. Und das sollte nur der Anfang sein. Doch bevor sie ihre Anschlagsserie ausweiten konnten, war die Invasion der Sodoraner gescheitert. Die Menschen hatten es geschafft, sowohl das große Schiff Jalif Hansars auszuschalten wie auch eines der beiden kleineren Beiboote zu zerstören. Dank einiger Informanten in der Regierung, John hatte mehrere Menschen mit Hilfe seiner mentalen Fähigkeiten davon überzeugt, wussten die Sodoraner, was geplant war: Die Menschen wollten das verbliebene Schiff mit Fürst Jalif Hansar an Bord kapern.
John Sheffield setzte sein Tablett entschlossen auf die pappigen Überreste der Mahlzeit, musterte sein Gegenüber. Er sah braune Augen, die etwas klein geraten waren, dazu dunkles Haar. Alles wirkte ziemlich unauffällig. Auch die Bekleidung. Allein die schwarzen Handschuhe wirkten etwas merkwürdig. Zwar war es draußen kalt, aber in diesem Laden herrschten locker 21 Grad Celsius. Gut temperiert jedenfalls, so dass man bestimmt nicht an den Händen fror. Hier wollte jemand keine Fingerabdrücke hinterlassen.
Johns Gegenüber sah auf das Tablett mit den Styroporschachteln. „Probieren Sie ruhig die Nutriburger. Und der Latte furioso ist nicht übel.“ Johns Gegenüber lächelte leicht. Für zufällige Lauscher sollte es nach einer ganz normalen Unterhaltung am Tisch klingen. Zwei Wachen Johns schoben sich an den Nachbartisch, angezogen waren sie wie Rocker: Lederjacken mit Aufnähern, auf denen grinsende Totenschädel, Runen und die altbekannte Polizistenbeleidigung ACAB, all cops are bastards, prangten, signalisierten normalen Gästen sofort: Haltet bloß Abstand!
Da die beiden Rocker sich ansonsten friedlich verhielten, musste John Sheffield nicht fürchten, dass jemand die Polizei holte. So aber konnte er ungestört von neugierigen Ohren ein wichtiges Gespräch führen. Sein Gegenüber schaute ihn an, blickte kurz zu den Rockern. Tippte dann eine kurze Sequenz auf dem Armbandcomp. „Jetzt sind wir wirklich ungestört. Mithören kann niemand. Also: Wo stehen wir?“
„Sie wissen, dass Chet Morrow mit einem Kommando aufbricht, um das Schiff mit den Sodoranern zu entern.“
John verzog das Gesicht. „Das läuft offiziell in den Vids. Verraten Sie mir mal was, was ich noch nicht weiß?“
„Oh, zum einen: Er holt sich Verstärkung. Geierköpfe sollen ihm und den Infanteristen helfen. Sie wissen schon, diese Vögel ...“
„Ich weiß, was Geierköpfe sind. Wozu?“
„Wozu die jetzt diese Vögel holen? Ganz einfach: Weil die sich mit dem Innenleben dieser Schiffe auskennen.“
„Also haben wir noch eine Chance ihnen zuvorzukommen.“
Die braunen Augen sahen ihn einen Moment intensiv an. „Verfügen Sie etwa über Dynas? Oder ähnlich schnelle Schiffe? Und kennen Sie den exakten Standort des angeschlagenen Schiffes, mmh?“
John verzog den Mund. Das reichte dem Gegenüber als Antwort. „Das ist keine Mission nach dem Motto Zuschlagen und weglaufen. Sie könnten vielleicht einen Dyna kapern auf der Erde. Das würde nicht reichen. Und sofort hätten sie den Rest der Schiffe auf dem Hals. Vergessen Sie es also!“
John schaffte es, ruhig zu bleiben. Und er versuchte auch gar nicht erst, sein Gegenüber zu beeinflussen. Dafür war er nicht gekommen. Stattdessen fragte er nach. „Was ... was schlagen Sie vor?“
„Lassen Sie Chet Morrows Mission ungestört laufen. Er nimmt ihnen doch die Arbeit ab. War es nicht ihr Wunsch, dass dieser ... Fürst ... auf die Erde kommt?“
So, wie das Wort Fürst ausgesprochen worden war, klang es ziemlich hochnäsig. Als ob ein Mitglied des Hochadels abfällig über einen Emporkömmling sprach. Hier war sich jemand seiner eigenen Stellung nur zu bewusst. John spürte, wie seine Handflächen, die er auf den reichlich altmodischen Resopaltisch gelegt hatte, feucht wurden.
Hier will jemand selbst Macht haben. Macht ausüben!
John spürte die Gedanken seines Gegenüber, als könne er sie tatsächlich lesen. Dabei war ihm gerade das verwehrt, seit dem verhängnisvollen Duell mit Cayden Vaughan konnte er sich nicht mehr mit einem anderen Geist verbinden. Was ihm geblieben war: Die Macht, andere, schwache Menschen zu beeinflussen. Und dies sogar anhaltend. Wer in John Sheffields Hände geriet, der führte dessen Befehle aus, ohne zu fragen, ohne zu zögern. Ein derartiger geistiger Block musste allerdings regelmäßig erneuert werden, je intensiver die Beeinflussung, je öfter mussten sie sich treffen. Das war einer der Gründe, warum John Sheffields Organisation nur über wenige, aber hochrangige unfreiwillige Helfer verfügte.
Johns heutiger Gesprächspartner allerdings gehörte nicht zu den Gezwungenen. Dieser Gesprächspartner wollte sein Verbündeter sein, auf Augenhöhe. John wusste, dass sein Gesprächspartner Verbindungen zum neuen Oberkommando des Militärs besaß. Und auch zur Regierung, sowie zum Geheimdienst. Viel wichtiger noch: Die Verbindungsaufnahme war nicht von John ausgegangen. „Nennen Sie mich Sam“, hatte es in der ersten kurzen Vid-Botschaft geheißen, die John über eine Ixx mit Anhang erreicht hatte. Wie diese Nachricht von Sam ihn erreicht hatte? John ärgerte sich über die Spuren, die seine Organisation hinterlassen hatte. Die Attentate, die Morde, die Sicherheitsorgane waren anschließend nicht untätig gewesen. Alleine durch Vid-Schnipsel der Anschläge in Brasilia auf das Labor von Sir Hektor waren zwei Attentäter identifiziert worden. Und eine winzige Spur war dann weiterverfolgt worden, sie führte zu einem der echten Mitstreiter, der zwar längst untergetaucht war, jetzt wie John in einem der Verstecke der Gruppe lebte. Aber die Online-Kontakte existierten noch. Und dieser Sam hatte einen davon benutzt.
John Sheffields Vermutung war, dass er es hier mit einem hochkarätigen Mitglied der immer noch existierenden Homeland Security zu tun hatte. Oder wenigstens einem FBI-Angehörigen. Er würde alles daransetzen, die genaue Identität seines Gegenübers zu erforschen. Nur so wäre er sicher, auch weiter alle Fäden in der Hand zu halten.
John wollte endlich wissen, was Sam plante. Es musste etwas Wichtiges sein, wofür der sodoranische Untergrund gebraucht wurde. Zudem ging es um Jalif Hansar. Hier trafen sich ihre Interessen. Sam wollte Macht. Und dabei sollten Sodoraner helfen.
Dein Problem ist nur: Du wirst dich nicht lange deiner Macht erfreuen.
John Sheffield spielte mit seiner Sonnenbrille, die in den letzten Jahren so etwas wie sein Markenzeichen geworden war. Jetzt brauchte er sie eigentlich nicht mehr, doch er hatte sich so daran gewöhnt, seine Augen zu verstecken. „Sie können uns also helfen, unsere ... Freunde zu befreien?“