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Ruhiges und friedliches Landleben? Von wegen!
Eigentlich wollte sich die ehemalige PR Beraterin Agatha Raisin in den beschaulichen Cotswolds zur Ruhe setzen. Doch statt idyllischem Landleben warten mysteriöse Kriminalfälle auf Miss Raisin, die sie auf eigene Faust und mit viel Charme zu lösen versucht.
Band 3 und 4 der Kultserie jetzt in einem eBook!
Agatha Raisin und die tote Gärtnerin.
Home Sweet Home. Als Agatha Raisin nach einer anstrengenden Weltreise ihr Cotswolds-Cottage betritt, ist sie heilfroh, endlich wieder zu Hause zu sein. Die Freude währt allerdings nicht lange, denn in Agathas Abwesenheit hat ihr attraktiver Nachbar James doch tatsächlich mit einer anderen Frau angebandelt! Mary Fortune heißt das blutjunge Ding, das leidenschaftlich gern gärtnert - ganz im Gegensatz zu Agatha. Trotzdem ist diese sich sicher, die unliebsame Konkurrentin in der bevorstehenden Gartenschau zu übertrumpfen. Doch dazu kommt es erst gar nicht, denn ausgerechnet Agatha stolpert eines Nachts über Marys Leiche - und die steckt kopfüber in einem Blumenkübel.
Agatha Raisin und die Tote im Feld.
Eine militante Wanderin, die ihr Ende im Feld des Erzfeindes findet - dieser Fall schreit förmlich nach einer Spürnase wie Agatha Raisin, meint Deborah, eine Freundin der Toten. Die geschmeichelte Agatha ist zwar gerade erst wieder in den Cotswolds angekommen, lässt sich aber nicht zweimal bitten. Ihr Plan: Sie und ihr Schwarm James schleusen sich als Ehepaar getarnt in den Wanderkreis des Opfers ein, um ungestört herumschnüffeln zu können. Gesagt, getan. Als kurze Zeit später ein weiteres Mitglied der Wandergruppe ermordet wird, schwant es den beiden, dass sie sich geradewegs in die Höhle des Löwen begeben haben ...
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Seitenzahl: 450
Cover
Über dieses Buch
Über die Autorin
Titel
Impressum
Agatha Raisin und die tote Gärtnerin
Widmung
Danksagung
Eins
Zwei
Drei
Vier
Fünf
Sechs
Sieben
Acht
Neun
Epilog
Agatha Raisin und die Tote im Feld
Eins
Zwei
Drei
Vier
Fünf
Sechs
Sieben
Acht
Ruhiges und friedliches Landleben? Von wegen!
Eigentlich wollte sich die ehemalige PR Beraterin Agatha Raisin in den beschaulichen Cotswolds zur Ruhe setzen. Doch statt idyllischem Landleben warten mysteriöse Kriminalfälle auf Miss Raisin, die sie auf eigene Faust und mit viel Charme zu lösen versucht.
Die Fälle drei und vier der Kultserie jetzt in einem eBook!
Agatha Raisin und die tote Gärtnerin
Home Sweet Home. Als Agatha Raisin nach einer anstrengenden Weltreise ihr Cotswolds-Cottage betritt, ist sie heilfroh, endlich wieder zu Hause zu sein. Die Freude währt allerdings nicht lange, denn in Agathas Abwesenheit hat ihr attraktiver Nachbar James doch tatsächlich mit einer anderen Frau angebandelt! Mary Fortune heißt das blutjunge Ding, das leidenschaftlich gern gärtnert – ganz im Gegensatz zu Agatha. Trotzdem ist diese sich sicher, die unliebsame Konkurrentin in der bevorstehenden Gartenschau zu übertrumpfen. Doch dazu kommt es erst gar nicht, denn ausgerechnet Agatha stolpert eines Nachts über Marys Leiche – und die steckt kopfüber in einem Blumenkübel.
Agatha Raisin und die Tote im Feld
Eine militante Wanderin, die ihr Ende im Feld des Erzfeindes findet – dieser Fall schreit förmlich nach einer Spürnase wie Agatha Raisin, meint Deborah, eine Freundin der Toten. Die geschmeichelte Agatha ist zwar gerade erst wieder in den Cotswolds angekommen, lässt sich aber nicht zweimal bitten. Ihr Plan: Sie und ihr Schwarm James schleusen sich als Ehepaar getarnt in den Wanderkreis des Opfers ein, um ungestört herumschnüffeln zu können. Gesagt, getan. Als kurze Zeit später ein weiteres Mitglied der Wandergruppe ermordet wird, wird den beiden klar, dass sie sich geradewegs in die Höhle des Löwen begeben haben …
M.C. Beaton ist eines der zahlreichen Pseudonyme der schottischen Autorin Marion Chesney. Nachdem sie lange Zeit als Theaterkritikerin und Journalistin für verschiedene britische Zeitungen tätig war, beschloss sie, sich ganz der Schriftstellerei zu widmen. Mit ihren Krimi-Reihen um den schottischen Dorfpolizisten Hamish Macbeth und die englische Detektivin Agatha Raisin feiert sie bis heute große Erfolge in über 15 Ländern. M.C. Beaton lebt und arbeitet in einem Cottage in den Cotswolds.
M.C. BEATON
Agatha Raisin
Die tote Gärtnerin
Die tote im Feld
Aus dem Englischen von Sabine Schilasky
BASTEI ENTERTAINMENT
Digitale Originalausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
Für die Originalausgaben:
Copyright © 1994 (»Agatha Raisin and the Potted Gardener«), 1995 («Agatha Raisin and the Walkers of Dembley”) by M. C. Beaton
Published in Arrangement with Marion Chesney Gibbons.
Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30827 Garbsen.
Für die deutschsprachigen Ausgaben:
Copyright © 2014 (»Agatha Raisin und die tote Gärtnerin«), 2015 (»Agatha Raisin und die Tote im Feld«) by Bastei Lübbe AG, Köln
Für diese Ausgabe:
Copyright © 2016 by Bastei Lübbe AG, Köln
Projektmanagement: Christina Bleser
Umschlaggestaltung: Thomas Krämer unter Verwendung einer Illustration © shutterstock: Arken-bob
eBook-Produktion: le-tex publishing services GmbH, Leipzig
ISBN 978-3-7325-3836-2
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
M.C. BEATON
Agatha Raisin
und die tote Gärtnerin
Kriminalroman
Aus dem Englischen von Sabine Schilasky
Für Jane, in Liebe
Die Autorin möchte Nic Dicker vom Batsford Garden Centre für seine Hilfe bei der Suche nach den richtigen Pflanzen für Agathas »Instant-Garten« danken.
Ein mildfeuchter Winter ging in den Frühling über, als Agatha Raisin nach einem ausgedehnten Urlaub langsam in ihr Heimatdorf Carsely zurückfuhr. Sie redete sich ein, dass sie fernab von diesem verschlafenen Dorf eine wunderbare Zeit gehabt hatte. Agatha war in New York gewesen, von dort auf die Bermudas und anschließend nach Montreal gereist, um sodann nach Paris und weiter nach Italien, Griechenland und in die Türkei zu fliegen. Und obwohl sie eine vermögende Frau war, plagte sie ihr schlechtes Gewissen, denn sie war es schlicht nicht gewohnt, solche Summen nur zum Vergnügen zu verschleudern. Früher hatte sie fast ausschließlich die etwas teureren Pauschalangebote gebucht, bei denen sie in einer Gruppe reiste. Diesmal war sie allein unterwegs gewesen. Carsely hatte ihr das nötige Selbstvertrauen gegeben, neue Kontakte zu knüpfen. Zumindest hatte sie das gedacht. Jetzt schien es ihr, als hätte sie zahllose Wochen in austauschbaren Hotelzimmern verbracht und einsam irgendwelche Sehenswürdigkeiten abgeklappert.
Natürlich würde sie ebenso wenig zugeben, dass sie einsam gewesen war, wie sie jemals eingestehen würde, dass ihre Abwesenheit irgendetwas mit ihrem Nachbarn James Lacey zu tun hatte.
Am Ende ihres »letzten Falles«, wie sie es gern nannte, hatte sie im örtlichen Pub mit einer der hiesigen Frauen zu viel getrunken und auf dem Heimweg eine obszöne Geste in James’ Richtung gemacht, als der gerade vor seinem Cottage stand.
Am nächsten Tag hatte sie sich zerknirscht bei ihrem attraktiven Nachbarn entschuldigt, und er hatte ihre Entschuldigung ruhig angenommen. Aber ihre aufkeimende Freundschaft war seitdem zu einer lauwarmen Bekanntschaft heruntergekühlt. Er redete kurz mit ihr, wenn er sie im Pub oder im Dorfladen traf, kam jedoch nicht mehr auf einen Kaffee vorbei. Und wenn er in seinem Vorgarten arbeitete und Agatha kommen sah, verschwand er flugs im Haus. Deshalb hatte Agatha ihr blutendes Herz ins Ausland getragen. Fernab vom beruhigenden Einfluss Carselys hatte sich ihr altes Naturell erneut durchgesetzt, sprich: Sie war wieder reizbar, aggressiv und voreingenommen. Ihre Kater befanden sich in einem Korb auf dem Rücksitz, denn Agatha hatte sie auf dem Rückweg in der Katzenpension abgeholt. Und obgleich sie bis heute verheiratet war – auch wenn sie ihren Mann seit Jahren nicht gesehen und ihn praktisch vergessen hatte –, kam sie sich wie die wunderliche alte Jungfer des Dorfes vor, mitsamt den dazugehörigen Katzen.
Carsely lag friedlich im milden Sonnenschein. Rauch stieg aus den Schornsteinen auf. Agatha fuhr in die unscheinbare Hauptstraße. Eigentlich war diese Straße das Dorf, sah man von den wenigen abzweigenden Seitenwegen und der Sozialsiedlung am Dorfrand ab. Von hier bog Agatha scharf in die Lilac Lane, in der ihr reetgedecktes Cottage stand. James Lacey wohnte gleich nebenan. Aus seinem Schornstein rauchte es. Sogleich schöpfte sie neuen Mut. Wie gern würde sie vor seiner Tür anhalten und rufen: »Ich bin wieder da!« Doch sie wusste, dass er herauskommen, sie ernst ansehen und bloß etwas Höfliches wie »Schön, dass Sie zurück sind« sagen würde, bevor er sich wieder nach drinnen verkrümelte.
Und so hielt sie erst vor ihrem Cottage, schnappte sich ihre Kater Boswell und Hodge und schloss die Haustür auf. Drinnen roch es streng nach Reinigungs- und Desinfektionsmitteln. Ihre Putzhilfe, Doris Simpson, hatte sich während Agathas Abwesenheit offenbar nach Herzenslust ausgetobt. Agatha fütterte ihre Kater, ließ sie nach draußen und schleppte dann ihre Koffer herein. Nachdem sie ihre Urlaubskleidung in den Wäschekorb gestopft hatte, packte sie die kleinen Päckchen aus, die sie als Souvenirs für die Damen von Carsely mitgebracht hatte.
Der Vikarsfrau Mrs. Bloxby hatte sie einen sehr hübschen Schal in Istanbul gekauft. Und weil Agatha sich nach etwas menschlicher Gesellschaft sehnte, beschloss sie, jetzt gleich zum Pfarrhaus zu gehen und ihr Mitbringsel zu überreichen.
Inzwischen war die Sonne untergegangen, und das Pfarrhaus sah dunkel und still aus. Plötzlich bekam Agatha Angst. Bei allen Vorbehalten gegen Carsely konnte sie sich das Dorf nicht ohne die sanftmütige Vikarsfrau vorstellen. Könnte der Vikar in eine andere Gemeinde versetzt worden sein, während sie fort war?
Agatha war eine stämmige Frau mittleren Alters mit einem runden, kampflustigen Gesicht und kleinen Bärenaugen. Ihr volles braunes Haar ließ sie seit Jahrzehnten zu einer Kurzhaarfrisur mit langem Pony schneiden, die im Grunde seit den Siebzigern nicht so ganz aus der Mode gekommen war. Sie besaß passable Beine und kleidete sich teuer, weshalb niemand, der sie vor der Pfarrhaustür stehen sah, auf den Gedanken gekommen wäre, dass sie sich nichts mehr ersehnte als ein freundliches Gesicht. Dieser scheue Wunsch lag allerdings sicher verborgen hinter dem dicken Schutzpanzer, den Agatha sich im Laufe der Jahre zugelegt hatte.
Sie klopfte und hörte erfreut, wie sich drinnen Schritte der Tür näherten. Im nächsten Moment öffnete Mrs. Bloxby und lächelte Agatha an. Die Vikarsfrau hatte ein sanftmütiges Gesicht und braunes, zu einem Dutt gebundenes Haar mit einigen grauen Strähnen.
»Kommen Sie herein, Mrs. Raisin«, sagte sie mit diesem besonderen Lächeln, das ihre Züge erstrahlen ließ. »Ich wollte gerade einen Tee trinken.«
Da Agatha über die letzten Wochen vergessen hatte, wie es war, gemocht zu werden, schleuderte sie Mrs. Bloxby das eingewickelte Päckchen entgegen und sagte schroff: »Das ist für Sie.«
»Oh, wie nett! Aber kommen Sie doch herein.« Mrs. Bloxby ging ins Wohnzimmer vor und schaltete eine kleine Lampe ein. Nun fühlte Agatha sich richtig zu Hause und sank zwischen die weichen Kissen auf das Sofa, während Mrs. Bloxby einen Holzscheit in den glimmenden Kamin warf und das Feuer mit dem Schürhaken zum Brennen brachte.
Mrs. Bloxby wickelte das Päckchen aus und stieß einen verzückten Laut aus, als sie den Seidenschal sah, der in Gold, Rot und Blau schimmerte. »Wie exotisch! Den werde ich am Sonntag in der Kirche tragen und von der gesamten Gemeinde beneidet werden. Tee und Scones, würde ich sagen.« Sie verließ das Zimmer. Agatha hörte, wie sie vom Flur aus ihrem Mann zurief: »Schatz, Mrs. Raisin ist wieder zurück!« Auch seine gemurmelte Antwort entging Agatha nicht.
Ungefähr zehn Minuten später erschien Mrs. Bloxby mit einem Tablett, auf dem Tee und Scones standen. »Alf kann uns leider keine Gesellschaft leisten. Er arbeitet an seiner Predigt.«
Agatha war ein bisschen beleidigt, denn der Vikar schaffte es stets, bei ihren Besuchen anderweitig beschäftigt zu sein.
»Also, erzählen Sie von Ihrer Reise«, forderte Mrs. Bloxby sie auf. Und so prahlte Agatha damit, wo sie überall gewesen war, und hoffte inständig, dass ihre Schilderungen das Bild einer erfahrenen Globetrotterin wiedergaben. Anschließend schwenkte sie ihren gebutterten Scone und sagte überheblich: »Ich nehme an, hier war nicht besonders viel los.«
»Ach, wir haben schon unsere kleinen Ereignisse«, antwortete die Vikarsfrau. »Und wir haben ein neues Gemeindemitglied, eine wahre Bereicherung für unser Dorf: Mrs. Mary Fortune. Sie hat Mrs. Josephs Haus gekauft und es ausgesprochen hübsch renoviert. Zudem ist sie eine wunderbare Gärtnerin.«
»Mrs. Josephs hatte doch nur einen kleinen Garten«, sagte Agatha.
»Nun, nach vorn gibt es schon ein wenig Platz, und Mrs. Fortune hat ihn bereits neu gestaltet. Und sie hat einen Wintergarten an die Küche anbauen lassen, in dem sie tropische Pflanzen zieht. Hervorragend backen kann sie ebenfalls. Ich muss gestehen, dass sich meine Scones neben ihren erbärmlich ausnehmen.«
»Und was macht Mr. Fortune?«
»Es gibt keinen Mr. Fortune. Sie ist geschieden.«
»Wie alt?«
»Schwer zu sagen. Sie ist eine überaus gutaussehende Dame und eine große Bereicherung bei den Treffen unserer Botanischen Gesellschaft. Sie und Mr. Lacey sind solch leidenschaftliche Gärtner.«
Agatha war maßlos enttäuscht. Sie hatte insgeheim gehofft, dass James sie vermisst hätte. Nun aber schien es, als hätte er sich die Zeit bestens mit einer hübschen, geschiedenen Hobbygärtnerin vertrieben.
Während Mrs. Bloxby mit ihrer sanften Stimme von den sonstigen Neuigkeiten in der Gemeinde berichtete, schweiften Agathas Gedanken ab, so dass sie kaum etwas von dem hörte, was die Vikarsfrau sagte. Agathas Interesse an James Lacey war gleichermaßen romantischer wie kämpferischer Natur. Da sie eine durch und durch vernünftige Frau war, könnte sie sogar hinnehmen, dass James Lacey sich überhaupt nicht für sie interessierte. Aber die bloße Erwähnung dieser »Bereicherung für die Gemeinde« genügte, um Agathas Kampfgeist zu wecken.
Die Stimme des Vikars erklang aus dem hinteren Teil des Hauses. »Gibt es heute kein Abendessen?«
»Bald«, rief Mrs. Bloxby. »Möchten Sie mit uns essen, Mrs. Raisin?«
»Ich habe gar nicht bemerkt, dass es schon so spät ist.« Agatha stand auf. »Sehr freundlich, aber nein danke.«
Agatha ging zurück zu ihrem Cottage und ließ die Kater wieder von draußen herein. Viel war von ihrem Garten nicht zu sehen, weil es dunkel war. Im letzten Jahr hatte Agatha einige Sträucher und Blumen gepflanzt, die sie fertig vorgezogen im Gartenhandel kaufte, denn Agatha war eine »Instant-Gärtnerin«. Nun aber musste sie notgedrungen echtes Gärtnern lernen, und echte Gärtner besaßen Gewächshäuser und zogen ihre Pflanzen eigenhändig aus Samen. Außerdem sollte sie schleunigst dieser Botanischen Gesellschaft beitreten.
Gleich am nächsten Tag machte Agatha sich daran, ihre neue Gegnerin unter die Lupe zu nehmen. Sie fuhr nach Moreton-in-Marsh, besorgte einen Kuchen in der Konditorei und fuhr wieder zurück nach Carsely. Dort ging sie zu Fuß zum Haus der Neuen, das in einer Reihe mit ziemlich unscheinbaren viktorianischen Cottages am oberen Dorfende stand. Als Agatha die Gartenpforte öffnete, überkam sie ein mulmiges Gefühl. Das letzte Mal, als sie durch diese Pforte gegangen war, hatte sie drinnen die ermordete Bibliothekarin Mrs. Josephs gefunden. Nun war vorn am Haus ein Anbau: eine Art verglaste Veranda, in der Pflanzen, Blumen und Korbmöbel standen.
Den Kuchen in einer Hand, läutete Agatha mit der anderen. Beim Anblick der Frau, die ihr öffnete, schwanden Agathas Hoffnungen rapide. Sie war ohne Frage hübsch, hatte ein glattes, wohlproportioniertes Gesicht, blondes Haar und leuchtend blaue Augen.
»Guten Tag, ich bin Agatha Raisin, die Nachbarin von Mr. Lacey in der Lilac Lane. Ich bin gerade von einem längeren Urlaub zurück und erfuhr, dass Sie neu ins Dorf gezogen sind, also wollte ich Ihnen diesen Kuchen bringen.«
»Wie nett von Ihnen.« Mary Fortune strahlte. »Kommen Sie herein. Selbstverständlich habe ich schon von Ihnen gehört. Sie sind unsere Miss Marple.« Etwas an der Art, wie sie es sagte und Agatha dabei ansah, legte den Schluss nahe, dass sie sich weniger auf die detektivischen Fähigkeiten der fiktiven Figur bezog als auf ihr Alter.
Mary führte sie in ein gemütliches Wohnzimmer. An den Wänden reihten sich Bücherregale, Topfpflanzen glänzten sattgrün und gesund, und im Kamin knisterte ein Feuer. Es duftete nach Frischgebackenem. Ja, Agatha konnte sich lebhaft vorstellen, wie James hier entspannt in einem Sessel saß, die langen Beine von sich gestreckt. »Ich möchte mir nur rasch Ihre Telefonnummer notieren«, sagte Agatha, klappte ihre geräumige Handtasche auf und kramte ein Notizbuch, einen Stift sowie ihre Lesebrille hervor. Zwar wollte sie Marys Nummer nicht zwingend haben, aber sie brauchte einen Vorwand, um ihre Brille aufsetzen und nachsehen zu können, ob die Neue tatsächlich so faltenfrei war, wie es Agatha ohne Sehhilfe schien.
Mary gab ihr die Telefonnummer, und Agatha blickte auf, um sie genauer zu betrachten. Heiliger Kuhmist! Das war aber mal ein Lifting, wie es im Buche stand. Die Haut war eindeutig künstlich gestrafft und das Haar fachmännisch gesträhnt, nicht einfach nur mit einer Tönung aufgehellt.
»Wie ich höre, sind Sie Mitglied in der Botanischen Gesellschaft«, sagte Agatha, nahm ihre Brille ab und steckte sie ins Etui zurück.
»Ja, und ich darf sagen, dass ich meinen bescheidenen Teil zur Grüngestaltung des Dorfes beitrage. Mr. Lacey ist eine große Hilfe. Sie kennen ihn ja gewiss, schließlich ist er Ihr Nachbar.«
»Und ob. Wir sind sehr gut befreundet«, sagte Agatha.
»Ach ja? Aber nun sollten wir unbedingt den Kuchen probieren, den Sie mitgebracht haben.« Mary stand auf. Sie trug einen grünen Pullover und eine grüne Tuchhose. Ihre Figur war perfekt.
Es klingelte. »Wo wir gerade von James sprechen, das wird er sein«, sagte Mary. »Er kommt oft zu Besuch.«
Agatha strich sich ihren Rock glatt. In diesem Moment fiel ihr ein, dass sie nicht daran gedacht hatte, Make-up aufzulegen. Manche Frauen waren in der glücklichen Lage, kein Make-up zu brauchen, doch bedauerlicherweise konnte Agatha das nicht von sich behaupten.
James Lacey kam herein, und für einen Sekundenbruchteil wirkte er enttäuscht, Agatha zu sehen. Er war ein sehr großer Mann in den Fünfzigern. Sein dichtes schwarzes Haar zeigte lediglich eine Spur von Grau, und seine Augen waren strahlend blau, genau wie Marys. Er küsste Mary auf die Wange, lächelte Agatha an und sagte: »Willkommen daheim. Hatten Sie einen schönen Urlaub?«
»Mrs. Raisin hat Kuchen mitgebracht«, unterbrach Mary sie. »Ich werde Tee kochen, solange Sie beide plaudern.«
James lächelte Mary zu, ohne sie richtig anzusehen. Es war die Sorte Blick, die verriet, dass er es zu gerne getan hätte, jedoch zu schüchtern war, es zu wagen. Wie ein Schuljunge. Er ist verliebt, dachte Agatha. Am liebsten wäre sie sofort aufgestanden und gegangen.
Stattdessen zwang sie sich, möglichst munter von ihren Reisen zu erzählen. Sie wünschte, sie hätte einige amüsante Geschichten zum Besten geben können, nur hatte sie kaum mit irgendjemandem gesprochen.
Mary kam mit einem Tablett ins Zimmer zurück. »Schokoladenkuchen. Jetzt werden wir alle fett.«
»Sie doch nicht«, schmeichelte James. »Sie brauchen sich keinerlei Sorgen zu machen.«
Mary lächelte ihn an, und James erwiderte es mit einem scheuen Lächeln, bevor er den Kopf über seinen Kuchenteller neigte.
»Ich hatte überlegt, der Botanischen Gesellschaft beizutreten«, sagte Agatha. »Wann treffen Sie sich?«
»James und ich gehen heute Abend zu einem Treffen, falls Sie mitkommen möchten«, antwortete Mary. »Es ist um halb sieben in der Schulaula.«
»Ich wusste nicht, dass Sie sich fürs Gärtnern interessieren, Mrs. Raisin«, bemerkte James.
»Was soll die Förmlichkeit?« Agatha musterte James mit ihren Bärenaugen. »Sie nennen mich doch sonst Agatha.«
»Nun, Agatha, Sie haben bisher immer nur vorgezogene Pflanzen beim Gärtner gekauft.«
»Aus praktischen Gründen. Aber jetzt habe ich Zeit und will richtig gärtnern.«
»Wir helfen Ihnen«, bot Mary freundlich an. »Nicht wahr, James?«
»Ja, gewiss doch.«
»Was hat Sie veranlasst, nach Carsely zu ziehen, Mary?« Agathas Rockbund begann, ein bisschen zu zwacken, deshalb stellte sie ihren Teller mit dem halbgegessenen Kuchenstück hin und schob ihn von sich.
»Ich hatte eine Spazierfahrt durch die Cotswolds gemacht und mochte dieses Dorf auf Anhieb«, sagte Mary. »Es ist so friedlich, so ruhig, und die Leute hier sind wunderbar.«
»Wissen Sie, dass jemand in diesem Haus ermordet wurde?«, fragte Agatha. Sie war entschlossen, das Gespräch auf den Mordfall zu bringen, den sie gelöst hatte. Aber Mary tat es direkt ab. »Ja, ich kenne die Geschichte, aber das kümmert mich nicht. In diesen alten Häusern sind doch ohnehin schon viele Menschen gestorben.« Sie wandte sich zu James und fing an, über das Gärtnern zu sprechen. »Ich habe meine Sämlinge ausgesetzt.«
»Na, was Sie in Ihrem Privatleben machen, geht ja keinen was an«, sagte Agatha mit einem tiefen Lachen.
Für einen Moment herrschte eisiges Schweigen, dann redeten Mary und James weiter. Sie warfen mit lateinischen Pflanzennamen um sich, die Agatha noch nie zuvor gehört hatte.
Sie fühlte sich herabgesetzt und ausgeschlossen. Doch auch wenn sie eigentlich nur wegwollte, wollte sie James nicht allein hier zurücklassen.
Schließlich, als hätte er geahnt, dass Agatha sich nicht vom Fleck rühren würde, ehe er sich verabschiedete, stand James auf. »Also bis heute Abend, Mary.«
Mary und Agatha erhoben sich ebenfalls. »Ich komme mit Ihnen, James«, sagte Agatha. »Bis heute Abend, Mary.«
Agatha und James gingen hinaus. Doch bei der Gartenpforte machte James plötzlich kehrt und eilte zurück zu Mary, die noch an der Tür stand. Er neigte seinen attraktiven Kopf und flüsterte ihr etwas zu, woraufhin Mary lachte und ihrerseits etwas flüsterte. Dann kam James wieder zu Agatha, und sie gingen gemeinsam fort.
»Mary ist eine interessante Frau«, sagte James. »Sie ist schon viel gereist. Bevor sie herkam, hat sie sogar eine Weile in Kalifornien gelebt.«
»Da hat sie sich wahrscheinlich liften lassen.«
James sah zu ihr hinab und sagte unvermittelt: »Mir fällt gerade ein, dass ich noch etwas fürs Abendessen einkaufen muss. Da sollte ich mich beeilen, aber hetzen Sie sich nicht meinetwegen.« Wie ein Wagen, bei dem man das Gaspedal durchtrat, preschte er davon. Agatha blickte ihm entgeistert nach.
Während ihres einsamen Marsches nach Hause kam Agatha beinahe zu dem Schluss, die ganze Sache zu vergessen. Sollte Mary doch James kriegen. Wenn er sich zu solchen Frauen hingezogen fühlte, war er ohnehin nichts für eine Agatha Raisin.
Aber so schnell wollte sie dann doch nicht aufgeben. Jedenfalls hatte sie bis zum späten Nachmittag ein kleines Gewächshaus samt Heizsystem bestellt und ein halbes Vermögen auf den Preis draufgelegt, damit es bis zum Wochenende aufgebaut war. Außerdem hatte sie sich einen Stapel Gartenbücher gekauft.
Vor dem Treffen der Botanischen Gesellschaft ging Agatha noch im Pub vorbei, dem Red Lion. Sie wollte dringend irgendeinen Menschen sehen, der Mary Fortune nicht liebte. John Fletcher, der Wirt, begrüßte sie herzlich und reichte ihr einen Gin Tonic. »Geht aufs Haus«, sagte er. »Schön, Sie wieder hierzuhaben.«
Zu ihrem Entsetzen stellte Agatha fest, dass sie den Tränen nahe war. Allein zu reisen war die Hölle gewesen. Alleinstehende Frauen schienen für andere Reisende einfach unsichtbar, wurden nicht beachtet und erst recht nicht mit Respekt behandelt. Folglich war die warmherzige Begrüßung des Wirts fast zu viel für sie. »Danke, John«, sagte sie ein bisschen heiser. »Sie haben eine Neue im Dorf. Was halten Sie von ihr?«
»Mrs. Fortune? Die ist oft hier. Eine nette Dame. Sehr spendabel. Bestellt immer Drinks für alle. Das ganze Dorf redet von nichts anderem. Sie backt die besten Scones und Kuchen, ist die beste Gärtnerin, erledigt Klempnerarbeiten selbst und weiß alles über Automotoren.«
Jimmy Page, einer der örtlichen Farmer, kam herein und steuerte geradewegs auf Agatha zu. »Wie gut, Sie wieder bei uns zu haben, Agatha«, sagte er und hievte seinen gewaltigen Hintern auf den Barhocker neben ihr. »Was trinken Sie?«, fragte Agatha, die sich in puncto Großzügigkeit nicht von Mary übertrumpfen lassen wollte.
»Ein halbes Pint«, antwortete Jimmy.
»Ich habe ein Mitbringsel für Sie und Ihre Frau«, sagte Agatha. »Das bringe ich Ihnen morgen vorbei.«
»Sehr nett von Ihnen. Übrigens gab’s hier keine Morde, solange Sie weg waren. Totenstill war’s. Diese Mary Fortune hat was Witziges gesagt. Sie hat gesagt: ›Vielleicht ist Mrs. Raisin so was wie ein Aasgeier, und solange sie nicht im Dorf ist, passiert auch nichts Schlimmes.‹«
»Das ist aber nicht besonders freundlich.« Agatha kochte.
»Na, nehmen Sie’s nicht krumm. Sie hat wirklich eine lustige Art, Sachen zu sagen, und meint es nicht böse. Aber erzählen Sie von Ihrem Urlaub.«
Während mehr und mehr Dörfler hinzukamen, berichtete Agatha von ihren Abenteuern, erfand lustige Szenen und genoss es, im Mittelpunkt zu stehen, bis ihr ein Blick auf die Uhr hinterm Tresen sagte, dass sie sich lieber auf den Weg zur Schule machen sollte.
In der dämmrig beleuchteten Schulaula und unter den – in Agathas zynischen Augen – muffigsten Dorfbewohnern nahm sich Mary mit ihrem blonden Haar und dem figurbetonten grünen Wollkleid wie ein leuchtender Stern aus. Sie saß neben James, und als Agatha hereinkam, hörte sie Mary sagen: »Wir hätten wohl lieber vorher essen gehen sollen. Ich verhungere gleich.«
Also hat er gelogen, als er behauptete, noch fürs Abendessen einkaufen zu müssen, dachte Agatha gekränkt.
Mr. Bernard Spott, ein älterer Herr, leitete die Versammlung. Agatha erkannte einige vertraute Gesichter im matten Licht der Aula. Zwei der Neonlampen waren kaputt, und die verbliebene dritte surrte und flackerte über ihren Köpfen. An den Wänden hingen Kinderzeichnungen. Agatha fand, dass solche Zeichnungen in einem Raum voller Erwachsener, deren eigene Kindheit längst vorbei war und nie wiederkommen würde, etwas Deprimierendes hatten. Die Boggles waren da, jenes sauertöpfische alte Ehepaar, das sich über alles und jeden beschwerte. Und Mrs. Mason, die Vorsitzende des Frauenvereins von Carsely, saß neben Mrs. Bloxby in der ersten Reihe. Doris Simpson, Agathas Putzhilfe, kam und setzte sich neben Agatha, wobei sie ihr ein »Willkommen zurück« zuflüsterte. Hinter ihr stöckelte Miss Simms, eine unverheiratete Mutter und Sekretärin des Frauenvereins, auf ihren hohen Absätzen in den Saal.
Mr. Spott erzählte von der jährlichen Blumenschau, die im Juli stattfinden sollte. Danach, im August, stand der große Tag an, an dem die Mitglieder ihre Gärten zur Besichtigung öffneten. Dorfpolizist Fred Griggs verlas das Protokoll der letzten Versammlung, was sich wie eine Zeugenaussage vor Gericht anhörte.
Agatha unterdrückte ein Gähnen. Was sollte das alles? James wollte offensichtlich nichts von ihr, und daran konnte sie nichts ändern. Schon tat es ihr leid, so viel Geld für das Gewächshaus ausgegeben zu haben. Ihre Gedanken schweiften ab. Es war zweifellos verwerflich, sich einen weiteren Mord zu wünschen, aber genau das tat Agatha. Sie hasste Veranstaltungen wie diese, auf denen sie einfach nichts verloren hatte. Hobbygärtner war man entweder von Kindesbeinen an oder man wurde es nie, beschloss Agatha. Und jede Pflanze, die sich im Armenviertel von Birmingham blicken ließ, wo Agatha aufgewachsen war, war sofort von irgendwem zertrampelt worden.
Allgemeines Stühle- und Füßescharren setzte am Ende der Versammlung ein. Und an der großen Teemaschine im hinteren Bereich der Halle stand natürlich Mary, die – wie sollte es anders sein? – auch eine formvollendete Gastgeberin war.
Agatha drehte sich zu Doris. »Danke, dass Sie mein Haus so herrlich sauber gehalten haben«, sagte sie. »Sind Sie passionierte Gärtnerin?«
»Ich habe erst letztes Jahr angefangen«, antwortete Doris. »Aber es macht Spaß.«
»Das hier kommt mir nicht sonderlich spaßig vor«, bemerkte Agatha mit einem mürrischen Blick hinüber zu James, der neben Mary stand, während sie Tee ausschenkte und Kuchenteller reichte.
»Es wird besser, wenn wieder alles zu wachsen beginnt.«
»Unsere Neue ist anscheinend sehr beliebt«, bemerkte Agatha.
»Nicht bei mir.«
Ach, die wunderbare Doris! Was für ein Schatz von einer Frau und so vernünftig! »Warum denn nicht?«
»Weiß ich nicht.« Doris’ blassgraue Augen blickten hellwach durch die Brillengläser. »Sie macht alles richtig und ist nett zu jedem, aber da ist überhaupt keine Wärme. Es ist, als würde sie eine Rolle spielen.«
»James Lacey ist offenbar hingerissen von ihr.«
»Das ist nicht von Dauer.«
Neue Hoffnung keimte in Agatha. »Wieso?«
»Weil er ein kluger Mann ist und sie nur klug tut. Er ist ein netter Mann, und sie gibt bloß vor, nett zu sein. So sehe ich die Sache zumindest.«
»Ich habe Ihnen etwas mitgebracht«, sagte Agatha. »Sie können es morgen mitnehmen, wenn Sie kommen.«
»Vielen Dank, aber das wäre wirklich nicht nötig gewesen. Wie geht es Ihren Katern?«
»Sind beleidigt. Sie fanden die Katzenpension furchtbar.«
»Statt Geld für die Tierpension auszugeben, lassen Sie die zwei nächstes Mal einfach zu Hause, dann gehe ich einmal am Tag hin, füttere sie und lasse sie nach draußen. In ihrem eigenen Zuhause ist es für sie am besten.«
Mrs. Bloxby kam zu ihnen, gefolgt von Miss Simms. Die Vikarsfrau trug den neuen Schal. »Er ist so hübsch, dass ich nicht bis Sonntag warten konnte.«
»Für Sie habe ich auch ein Souvenir«, sagte Agatha zu Miss Simms.
»Nein, wie nett von Ihnen! Aber Sie hatten ja noch gar keinen Tee, Agatha, und Mary backt so leckeren Kuchen.«
»Nächstes Mal vielleicht«, erwiderte Agatha, die nicht so masochistisch war, sich James und Mary zu nähern.
Mary Fortune sah hinüber zu der beständig größer werdenden Gruppe um Agatha Raisin und fing an, Teller und Tassen wegzuräumen und die wenigen Kuchenreste in einer Plastikdose zu verstauen.
»Ich kann Ihnen den Kuchen nach Hause tragen«, bot James an. Ihm entging ebenfalls nicht, dass die Gruppe um Agatha über etwas lachte, was sie sagte, und sich keiner zu Mary und ihm umdrehte, als sie gingen. Umso mehr hätte ihn erstaunt, wenn er gewusst hätte, dass Agatha, ohne einen Blick in ihre Richtung zu werfen, mit jeder Faser ihres Körpers spürte, wie er zur Tür schritt.
Es war ein kalter, frostiger Abend mit einem klaren Sternenhimmel. James war zufrieden mit der Welt.
»Diese Agatha Raisin ist eine seltsam ordinäre Frau«, hörte er Mary sagen.
»Agatha kann bisweilen etwas brüsk sein«, entgegnete er, »aber sie ist im Grunde sehr gutherzig.«
»Aufgepasst, James«, scherzte Mary. »Unsere schrullige Dorfjungfer hat ein Auge auf Sie geworfen.«
»Soweit ich weiß, ist Agatha geschieden, wie Sie selbst«, sagte James steif. Vor lauter Loyalität vergaß er die vielen Male, die er Agatha weiträumig aus dem Weg gegangen war, weil sie ihm allzu offensichtlich nachstellte. »Ich möchte nicht über sie reden.«
Mary lachte. »Armer James! Natürlich nicht.«
Sie lenkte das Gespräch auf Gartenarbeit. James ging neben ihr und versuchte, jene Wärme und Leichtigkeit zu empfinden, die er sonst in ihrer Nähe verspürte. Aber ihre bissige Bemerkung über Agatha hatte ihm nicht gefallen. Er bewunderte Mut, und Agatha Raisin verfügte zweifellos über ein gewisses Maß davon, und folglich bewunderte er auch sie irgendwie.
Er brachte Mary bis zu ihrer Haustür und reichte ihr den Kuchenbehälter. Mary bat ihn wie üblich auf einen Kaffee hinein, doch zu ihrer Verwunderung lehnte James höflich ab.
Agatha war so mit der Geschichte von James und Mary beschäftigt, dass sie gar nicht bemerkte, welcher Beliebtheit sie sich in der Botanischen Gesellschaft erfreute. Doch schließlich war Agatha ihr ganzes Leben lang nie besonders beliebt gewesen, also wie sollte sie es erkennen? Sie war eine erfolgreiche selbständige PR-Managerin gewesen, die vor einiger Zeit ihre Agentur verkauft und sich nach Carsely zurückgezogen hatte. Bis dahin war die Arbeit ihr Leben gewesen und sie war ganz darin aufgegangen. Ihr einziger Umgang waren ihre Angestellten und die Journalisten, die sie dazu bringen musste, über die Leute oder Ereignisse zu schreiben, die sie gerade bewarb.
Als sie ihre Haustür aufschloss und das Telefon zu schrillen begann, starrte sie es geradezu überrascht an.
»Hallo?«, fragte sie zögerlich.
»Aggie? Was macht das Leben als Landei?«, ertönte die affektierte Stimme ihres ehemaligen Assistenten Roy Silver.
»Ah, Roy. Wie geht’s?«
»Viel Arbeit, wie immer, und mir ist langweilig. Wie stehen die Chance auf eine Einladung?«
Agatha überlegte. Sie war nicht sicher, ob sie Roy noch leiden konnte. Wenn sie es recht bedachte, wusste sie nicht mal, ob sie ihn jemals gemocht hatte. Allerdings hatte sie ihn bereits hierher eingeladen, als sie dringend ein wenig Gesellschaft brauchte. Und es wäre auf jeden Fall eine angenehme Abwechslung, über PR zu reden und zu erfahren, was in London los war.
»Du kannst dieses Wochenende kommen«, sagte sie. »Ich hole dich in Moreton-in-Marsh ab. Bringst du eine Freundin mit?«
»Nein, ich komme ganz allein, ich armer Tropf. Darf ich mich auf Mikrowellenfutter einstellen?«
»Nicht mehr. Ich kann inzwischen richtig kochen«, sagte Agatha feierlich.
»Dann nehme ich den Zug, der gegen halb zwölf da ist. Bis dann. Ach ja, irgendwelche Morde?«
Agatha musste unwillkürlich an Mary Fortune denken.
»Noch nicht«, antwortete sie. »Noch nicht.«
Agatha wunderte sich, eine handschriftliche Einladung auf einen Drink bei Mary für Freitagabend zu bekommen. Sie war durch ihren Briefschlitz gesteckt worden, am Tag nach der Versammlung der Botanischen Gesellschaft.
Sie starrte die Einladung an, als handelte es sich um ein giftiges Insekt. Dann ging sie hinauf in ihr Schlafzimmer und betrachtete sich im Spiegel. Auf ihrer Reise hatte sie Kummerspeck angesetzt, denn in ihrer Einsamkeit hatte sie sich ein ums andere Mal mit gutem Essen trösten müssen. Folglich war ihre Figur nun eindeutig matronenhaft. Agatha legte die Einladung auf die Kommode und nahm eines ihrer besten Kleider aus dem Schrank. Hastig streifte sie ihren alten Pulli und die Hose ab und probierte das Kleid an. Zu ihrer Erleichterung schien es genauso an ihr auszusehen wie früher, obgleich es sich eng anfühlte. Doch als Agatha sich umdrehte und ihren Rücken betrachtete, wölbten sich zwei unschöne Rettungsringe um ihre Hüften. Wie sollte sie so mit Mary konkurrieren können? Das war das Schlimme, hatte man die fünfzig erst überschritten: Behielt man seine Figur nicht ständig im Blick, ging sie sofort aus der Form und neigte zu scheußlichen Polstern.
Agatha zog das Kleid aus und Hose und Pullover wieder an. Ob sie Mary zusagte, musste sie sich noch gründlich überlegen. In der Zwischenzeit würde sie zu einem der Supermärkte in Evesham fahren, Essen für das Wochenende einkaufen und frisches Obst und Gemüse von den Ständen an der A44 mitnehmen.
Im Supermarkt beschloss sie, vor dem Einkaufen einen Kaffee zu trinken. Im Café stellte sie fest, dass sie zwar ihre Zigaretten dabeihatte, aber ihr Feuerzeug zu Hause lag. Also ging sie zum Zeitschriftenstand und fragte nach einem billigen Feuerzeug. »Da habe ich genau das Richtige für Sie«, sagte die Verkäuferin, die um die vierzig sein musste.
»Was heißt das?«, fragte Agatha.
»Sehen Sie, Sie brauchen nur wenig zu drücken, und schon haben Sie eine Flamme«, erklärte die Frau strahlend. »Sehr gut für ältere Menschen, die Probleme mit den Daumen haben.«
Agatha funkelte sie böse an. »Ich hasse Sie.«
»Madam, ich meinte doch nur …«
»Schon gut, ich nehme es. Wie viel?«
»Fünfundachtzig Pence. Aber …«
Agatha knallte das Geld passend hin, schnappte sich das Feuerzeug und stürmte davon. War das normal, wenn man mit Mitte fünfzig auf Make-up verzichtete? Dass man für eine Greisin gehalten wurde?
Hör schon auf, schalt sie ihre innere Stimme der Vernunft. Die Frau hat nicht dich gemeint. Oh doch, hat sie!, schrien Agathas verletzte Gefühle. Sie holte sich einen Kaffee am Selbstbedienungstresen, machte einen Bogen um die Sahnekuchen und setzte sich misslaunig ans Fenster, von wo aus man auf den Parkplatz guckte.
In einem britischen Supermarkt Kaffee zu trinken und dabei ein- und ausparkenden Wagen zuzusehen, konnte einen ganz schön herunterziehen. Um den Parkplatz staken dürre junge Bäume aus dem Grünstreifen, die als Plastikminiaturen mit grünen Schwammkronen auf dem Architektenmodell sicher hübsch ausgesehen hatten. Agatha konnte sich bildlich vorstellen, wie sie selbst als kleine Plastik-Agatha als Teil des Modells im Café-Fenster hockte. Es war ein trüber, windiger Tag. Weggeworfene Verpackungen wirbelten auf, und ein dünner Regenfilm legte sich auf die Fensterscheiben. Agatha seufzte. Es wäre wunderbar, könnte sie die James Laceys dieser Welt vergessen und stattdessen fett und bequem werden, die Hautcremes beiseiteschieben und die Falten einfach kommen lassen. Sie würde Marys Einladung nicht annehmen, sondern vernünftig sein.
Aber es schadete auch nicht, das Fahrrad herauszuholen und ein bisschen Sport zu treiben.
Am Freitag stand Mary Fortune da und schaute sich unter ihren Gästen um. Sie hatte eine große Getränkeauswahl und warme und kalte Snacks bereitgestellt. Aber die Leute blieben nicht lang, und schrecklich viele hatten sich umgesehen und gefragt: »Wo ist Mrs. Raisin?« Daraufhin hatte Mary jeweils süßlich geantwortet, dass Mrs. Raisin einen Wochenendgast erwartete und zu Hause noch einiges vorzubereiten hätte. Der Farmer Jimmy Page sagte, dass er glaubte, Agatha Raisin auf dem Weg zum Red Lion gesehen zu haben. Und eine verdrießliche Frau, Mrs. Toms, erklärte: »Dann werde ich kurz dorthin gehen und mich für ihr Geschenk bedanken.« Mary konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, dass Mrs. Toms damit einige andere Gäste auf die Idee gebracht hatte, ihr zum Pub zu folgen. Als wäre das noch nicht ärgerlich genug, blickte James sie nicht mehr mit diesem glühenden, schüchternen Ausdruck an und mischte sich ständig unter die anderen. Normalerweise wäre er ihr nicht von der Seite gewichen und später noch geblieben, um ihr beim Aufräumen zu helfen. Mary verstand das alles nicht. Soweit sie es beurteilen konnte, war Agatha Raisin eine mollige, unscheinbare Frau mittleren Alters, die sich offenbar schon vor Jahrzehnten von ihrem letzten bisschen Charme verabschiedet hatte. Unmöglich konnte James sein Interesse an ihr, Mary, für diesen Troll aufgegeben haben. Trotzdem kam es Mary vor, als würde Agatha Raisin fest zu den Leuten und dem Dorf gehören, sie hingegen nicht. Und natürlich blieb James nicht.
Am nächsten Morgen wartete Agatha auf dem Bahnhof von Moreton-in-Marsh auf Roy Silver. Insgeheim hoffte sie, dass er nicht kam. Roy mit seinem schrillen, affektierten Benehmen passte nicht ins beschauliche Carsely. Überdies würde James Lacey gar nicht erst auf die Idee kommen, ihr romantische Verwicklungen zu unterstellen, bloß weil ein Mann das Wochenende bei ihr verbrachte. Immerhin war Roy in den Zwanzigern und somit viel zu jung für sie.
Als Roy in einer schwarzen Jeans und mit einem Mobiltelefon am Ohr aus dem Zug tänzelte, schwand Agathas Zuversicht. Nachdem er sich sicher sein konnte, dass die wenigen Leute auf dem Bahnsteig den jungen Geschäftsmann bei der Arbeit registriert hatten, beendete er das Gespräch und lief auf Agatha zu.
»Was hast du denn mit dir angestellt?«, fragte er anstelle einer Begrüßung. »O schmölze doch dies allzu feste Fleisch… Shakespeare, Aggie. Der hatte für alles die passenden Worte.«
»Der Unterricht in der Erziehungsanstalt war anscheinend nicht schlecht«, konterte Agatha, die es nicht leiden konnte, wenn Leute mit Zitaten um sich warfen.
»Ehrlich, Süße«, fuhr Roy munter fort, »es passt nicht zu dir, so aus dem Leim zu gehen.«
»Ich habe im Urlaub ein bisschen zugenommen, aber das kriege ich auch wieder runter.«
»Mach eine Diät. Ich mache mit«, schlug Roy vor. »Diese Obstdiät ist im Moment der Knaller. Drei Tage nichts als Obst essen, und ich bin drei Tage hier.«
»Musst du nicht Montag wieder zur Arbeit?«
»Nein, ich habe mir einen Tag Urlaub genommen, und ich habe ein Angebot für dich.«
»Ach, Roy, das klingt gar nicht gut. Pack deinen Koffer mit den Costa-del-Sol-Aufklebern hinten rein«, sagte Agatha, »und lass uns losfahren.«
»Klar doch. Ich erzähl dir alles, wenn wir bei dir sind.«
Roy plapperte weiter über die Obstdiät, die er offenbar unbedingt mit Agatha ausprobieren wollte. Unterdes fuhr Agatha durch Bourton-on-the-Hill und bemerkte, dass immer noch Häuser zum Verkauf standen. Die Rezession war wohl doch nicht so schnell vorbei, wie es ihnen die Politiker weismachen wollten. Dann bog sie auf die Landstraße nach Carsely. Am Morgen war alles voller Raureif gewesen und bisher noch nicht vollständig getaut. Weiße Bäume säumten die Straße, und die gesamte Landschaft wirkte still und gefroren.
»Willst du ernsthaft diese Diät durchziehen?«, fragte Agatha, als sie Roy in ihr Cottage ließ. »Ich habe jede Menge leckere Vorräte für das Wochenende, und ich bin eine ganz gute Köchin geworden.«
»Nein, wir machen das, Aggie. Denk doch mal dran, wie schlank du danach aussehen wirst.«
Agatha dachte an Mary Fortune und seufzte. »Na gut, Roy. Also Obst mit Obst.«
Im Geiste verabschiedete sie sich wehmütig von gebratenem Steak und Ofenkartoffeln, die sie für das Mittagessen geplant hatte. Dabei waren die gar nicht fett, wie sie fand. Die Sour Cream und die frische Butter, die sie dazu hatte reichen wollen, schob sie bei ihren Überlegungen geflissentlich beiseite.
»Wollen wir auf einen Drink in den Pub?«, fragte sie hoffnungsfroh. Am Samstag standen auf dem Tresen des Red Lion kleine Schälchen mit Käsesnacks und eingelegten Zwiebeln.
»Alkohol und Kaffee sind tabu«, verkündete Roy munter. »Gehen wir lieber Obst kaufen.«
»Ich habe Obst«, sagte Agatha und wies auf eine Schale voller Äpfel und Orangen.
»Das reicht nicht, Süße. Wir brauchen mehr.«
Auf dem Weg zurück zu ihrem Wagen, der an der Straße vorm Haus parkte, war Agatha versucht, Roy doch noch von dieser lächerlichen Diät abzubringen. Dann aber sah sie Marys Wagen bei James Lacey vorfahren und Mary aussteigen, mal wieder in Grün gekleidet. Mary bedachte Roy mit einem anerkennenden Blick, und prompt wurde Agatha bewusst, wie jung und schlank Roy war. Er hatte ein schmales Gesicht, kleine, wache Augen und einen Körper, bei dem man eher an eine Mastkur als an eine Diät denken musste.
»Wer ist denn der Feger?«, fragte Roy.
»Ist vor Kurzem hergezogen«, antwortete Agatha mürrisch. »Steig in den Wagen.«
Ihr Magen erinnerte sie knurrend daran, dass sie zum Frühstück nur eine Tasse Kaffee und eine Zigarette gehabt hatte.
Nun, wenigstens winkte ihr als Belohnung sofortiger Gewichtsverlust.
Sie fuhren nach Evesham und kauften Äpfel, Melonen, Bananen, Weintrauben, Kiwis, Orangen und eine Auswahl an exotischem und sehr hochpreisigem »Yuppie-Obst«.
Zu Hause aßen sie beide, so viel sie konnten, und beteuerten einander, dass sie sich schon unglaublich gut fühlten. Dann machten sie eine Fahrradtour. Für Roy liehen sie ein Rad im Pfarrhaus. Durch die klare Luft entlang der frostigen Landstraßen zu radeln und auf der Rückfahrt im roten Sonnenuntergang zu sehen, wie Gräser und Bäume in Flammen zu stehen schienen und die überfrorenen Pfützen wie Monsteraugen glühten, war ein Höhepunkt des Wochenendes.
Doch statt eines warmen Abendessens gab es hinterher wieder nur Obst und Mineralwasser.
»Was ist das für ein Angebot, das du vorhin erwähntest?«, fragte Agatha.
»Erinnerst du dich an Mr. Wilson von Pedmans, meinen Boss?«
Agatha wurde misstrauisch. Sie hatte ihre PR-Agentur an Pedmans verkauft. Wilson hatte sein Versprechen, ihr Büro und ihre Angestellten zu behalten, gleich nach dem Kauf gebrochen, alle bis auf Roy entlassen und die Büroräume verkauft. »Natürlich.«
»Er hat neulich von dir gesprochen. Er sagte, dass du einfach die Beste in dem Geschäft warst. Und ich erzählte ihm, dass ich dich besuchen fahre«, erklärte Roy vorsichtig und ließ aus, dass seine Entscheidung, Agatha zu besuchen, erst durch diese lobende Bemerkung seines Bosses gereift war. »Er meinte, dass er dich gern in leitender Position einstellen würde. Pure Cosmetics macht Theater, und du konntest immer gut mit denen.«
»Echte Nervensägen«, sagte Agatha finster. Pure Cosmetics wurde von einer launischen und anstrengenden Frau geleitet, einer modernen Sklaventreiberin.
»Aber diese Frau, Jessica Turnbull, die Chefin von Pure Cosmetics, die hattest du doch immer gut im Griff. Jedenfalls sagt Wilson das.«
»Ich bin im Ruhestand«, entgegnete Agatha. »Huch, du bist ja ganz fleckig im Gesicht.«
Roy schrie auf und rannte nach oben ins Bad. Kurz darauf kam er wieder und jammerte: »Ich sehe aus wie ein aknegeplagter Teenager. Du bist übrigens auch völlig verpickelt.«
»Hören wir mit der blöden Diät auf.«
»Nein«, sagte Roy streng. »Das ist Entgiftung. Alle Unreinheiten werden aus unserem Körper geschwemmt.«
»Ich habe mich zu diesem Quatsch bereiterklärt, um besser auszusehen und nicht um Pickel zu kriegen.«
»Aber du siehst schon schlanker aus, Aggie«, versicherte Roy. »Denk jetzt nicht an Wilsons Angebot. Wir gucken uns das Video an, das ich mitgebracht habe, und gehen früh ins Bett.«
Am nächsten Morgen wurde Agatha früh wach, war hungrig und schlecht gelaunt. Sie ging nach unten, wo sie verdrossen sechs Äpfel aß, ein Glas Mineralwasser trank und fünf Zigaretten rauchte. Dann klingelte es. Agatha ging zur Tür und linste durch den Spion. Sie erkannte James Laceys Brust. Mehr konnte sie von ihm nicht sehen.
Agatha legte die Hände aufs Gesicht und konnte die Pickel fühlen.
Lautlos schlich sie von der Tür weg. So gerne sie auch öffnen würde, sie wollte James sicher nicht picklig und im Morgenmantel gegenübertreten.
Draußen drehte James sich langsam um. Er hatte eben entschieden, dass es albern war, einen kindischen Groll gegen Agatha zu hegen, weil sie einmal eine ungezogene Geste in seine Richtung gemacht hatte, und das auch schon vor langer Zeit. Als er sich wieder seinem Cottage näherte, sah er Marys blonden Schopf in die Straße einbiegen. Ohne nachzudenken, beschleunigte er seine Schritte und huschte in sein Cottage wie ein Wildtier in seinen Bau. Und als kurz darauf seine Türklingel läutete, öffnete er nicht. Er redete sich ein, dass er dringend arbeiten musste.
Er arbeitete nach wie vor an einer Geschichte der Napoleonischen Kriege auf der iberischen Halbinsel. Er fuhr den Computer hoch und betrachtete missmutig die Überschrift auf dem Bildschirm, die schlicht »Fall« lautete. Sie stammte noch aus der Zeit, als Agatha und er einen Mordfall lösen wollten und er alle Fakten aufschrieb, um sie nochmals durchzugehen. Es hatte Spaß gemacht. Und es war aufregend gewesen. Vielleicht war Agatha an etwas Neuem dran. Er schüttelte den Kopf. Niemand in der Umgebung war ermordet worden. Carsely lag immer noch im Winterschlaf. James fragte sich, warum Agatha ihm nicht geöffnet hatte. Sie musste zu Hause gewesen sein, denn ihr Wagen stand vor der Tür und es stieg Rauch aus dem Kamin auf. Dieser Roy war bei ihr. James hatte die beiden gestern auf ihren Fahrrädern gesehen. Aber mehr als eine gute Bekanntschaft konnte das zwischen ihnen gewiss nicht sein. Der Bursche war zu jung. Allerdings wusste man das in diesen Zeiten, in denen Toy Boys in Mode zu kommen schienen, nie so genau. Wahrscheinlich hatten die zwei nebenan einen Riesenspaß, lachten und scherzten, während er hier vor Langeweile einging.
»Ich mag Wilson nicht, und ich mag Pedmans nicht«, sagte Agatha säuerlich. »Außerdem finde ich Obst widerlich und würde morden für einen fetten Hamburger.«
»Guck mal in den Spiegel«, erwiderte Roy nicht minder mürrisch, denn ihm setzten sowohl die Diät als auch die Tatsache zu, dass es alles andere als leicht war, Agatha für die Agentur zu gewinnen. »Du hast dich gehenlassen. Okay, hier gab es mal ein paar spannende Ereignisse, aber das war’s auch. Nie wieder wird hier irgendwas Interessantes passieren, und das solltest du dir klarmachen. Denk an London, Aggie!«
Und Agatha dachte an London. Dabei dachte sie allerdings auch daran, wie komisch und fremd sie sich dort bei ihren seltenen Besuchen fühlte – obwohl die Stadt einst das Zentrum ihres Universums gewesen war.
»Ich bin hier glücklich«, verteidigte sie sich. »Schön, ich habe mich ein klein wenig gehen lassen, aber bald bin ich wieder in Form.«
»Wilson bietet dir fünfundachtzigtausend im Jahr als Anfangsgehalt.«
Agatha wurde noch misstrauischer. »Warte mal. Du und Wilson, ihr scheint das gründlich besprochen zu haben, und weil ich weiß, was für ein schwächlicher Schleimer du bist, Roy, wette ich, dass du gesagt hast: ›Überlassen Sie das nur mir. Ich fahre übers Wochenende runter zu ihr und kriege das alte Mädchen schon rum.‹ Sicher hast du auch geprahlt: ›Aggie und ich, wir sind so dicke. Für mich würde sie alles tun.‹«
Das kam dem, was Roy tatsächlich gesagt hatte, derart nahe, dass er unter seinen Pickeln errötete und wütend wurde. »Nein, so war es überhaupt nicht!«, kreischte er. »Dein Problem ist, Aggie, dass du einen echten Freund nicht mal erkennen würdest, wenn du ersäufst und er dir einen Rettungsring zuwirft. Mir reicht’s, endgültig. Ich gehe mich rasieren, und dann packe ich.«
»Tu das«, rief Agatha ihm nach, »aber pass auf deine Pickel auf. Und weißt du was? Um dir die Abreise leichter zu machen, bringe ich dich sogar nach Oxford!«
Eine Stunde später fuhren sie gemeinsam Richtung Oxford. Agatha schwieg missgelaunt. Ihr Magen knurrte nicht mehr, er stöhnte laut. Sie hasste Roy, hasste Carsely, hasste James Lacey, hasste den gesamten Frauenverein von Carsely, hasste Mrs. Bloxby …
Sie war auf der A40, als ihr dieser letzte Name auf ihrer geistigen Liste in den Sinn kam. Sofort bog sie von der Autobahn und parkte vor einem Restaurant.
»Was wollen wir denn hier?«, fragte Roy. Es war das Erste, was er seit ihrem Aufbruch sagte.
»Ich weiß nicht, wie es dir geht, aber ich esse einen gigantischen Hamburger mit viel Ketchup. Du kannst mir entweder zugucken oder mitmachen, ist mir egal.«
Roy folgte ihr ins Restaurant und beobachtete schmollend, wie sie Kaffee, einen »riesigen« Hamburger und eine »riesige« Portion Pommes frites bestellte. Dann sagte er mit einer verkniffenen quiekenden Stimme zur Kellnerin: »Ich nehme das Gleiche.«
Als das Essen kam, stürzten sie sich schweigend darauf. Hinterher rief Agatha die Kellnerin herbei. »Dasselbe noch mal.«
»Für mich auch«, sagte Roy, der auf einmal kichern musste.
»Tut mir leid, dass ich so biestig war«, entschuldigte Agatha sich. »Ich kann Diäten nicht ausstehen.«
»Ist schon gut, Aggie. Ich kann auch eine ganz schöne Zicke sein.«
»Und sag Wilson, dass ich ihm für sein Angebot danke und es mir überlege. Und …« Agatha lehnte sich zurück, tupfte sich den fettigen Mund mit der Serviette ab und rülpste verhalten, »sag ihm, ich würde es, wenn überhaupt, nur deinetwegen machen.«
»Danke, Aggie.«
»Außerdem würde ich dich den ganzen Weg nach London fahren, falls du bereit bist, mit mir einen Berg Schokokuchen mit Schokosauce und Eis zu vernichten.«
»Ich bin dabei.«
Beim Verlassen des Restaurants lachten und kicherten sie, als hätten sie getrunken statt gegessen. Sie sangen den ganzen Weg nach London und erzählten sich Witze, bis Agatha Roy schließlich vor seiner Wohnung in Chelsea absetzte.
»Wieso bleibst du nicht über Nacht?«, fragte Roy.
»Nein, meine Kater warten auf Futter. Ich muss nach Hause.«
»Tja, deine Pickel sind jedenfalls weg.«
»Ja, sind sie.« Agatha sah in den Rückspiegel. »Es gibt doch nichts Besseres für die Haut als fette Hamburger.«
Bei ihrer Rückkehr nach Carsely fühlte Agatha sich recht glücklich. Am Abend würde sie zum Treffen des Frauenvereins im Pfarrhaus gehen. Als sie in ihre Küche kam und die überquellenden Obstschalen sah, schüttelte es sie. Abends gäbe es Sandwiches und vielleicht einen von Miss Simms’ Schokoladenkuchen. Und Agatha hatte vor, so viel zu essen, wie sie konnte. Ihre Figur musste noch etwas warten.
Erst als sie im Pfarrhaus saß und nach dem ersten Schinkensandwich griff, wurde ihr klar, dass sie nicht den geringsten Wunsch verspürt hatte, in London zu sein. Ihre Putzhilfe hatte einen Hausschlüssel und hätte sicher gerne die Kater gefüttert, wäre sie von Agatha darum gebeten worden. Die Zeiten haben sich geändert, dachte Agatha. Heute waren ihr Tee und Sandwiches im Pfarrhaus wichtiger als alles, was London ihr bieten konnte.
Dann betrat Mary Fortune das Zimmer, umgeben von einer Wolke französischen Parfums. Sie war schlank, aber kurvig, was in der maßgeschneiderten Hose, der Seidenbluse und dem Blazer gut zur Geltung kam. Wieder mal war alles, was sie anhatte, grün. Sie schien nie eine andere Farbe zu tragen.
Agatha hatte den Mund voller Sandwich und war sich der Enge ihres Rockes nur zu bewusst. Allein Mary anzusehen genügte, um Agatha das Gefühl zu geben, fetter und fetter zu werden. Mary hatte einen Kuchen mitgebracht, was für allgemeines Entzücken bei den Damen sorgte. Kümmelkuchen! Wie wunderbar! Dass jemand noch wusste, wie man den backte! Mary strahlte in die Runde und nahm das überschwängliche Lob dankbar entgegen. Sie entdeckte den freien Platz neben Agatha, kam herüber und setzte sich zu ihr.
»Es freut mich, dass Sie der Botanischen Gesellschaft beitreten«, sagte Mary mit einem charmanten Lächeln.
»Ich habe mir ein Gewächshaus bestellt und will dieses Jahr meine Pflanzen selbst ziehen.«
»Sie können gerne Stecklingen von mir haben, wenn Sie wollen«, bot Mary an.
Agatha gestand nicht, dass sie keinen Schimmer hatte, was sie mit einem Steckling anfangen sollte, und murmelte ein Dankeschön. Offenbar wollte Mary sich bei ihr beliebt machen, und etwas in der neuen Agatha Raisin, die fähig war, angebotene Wärme anzunehmen wie eine frostgeplagte Pflanze die Sonne, taute allmählich auf. Ehe sie sichs versah, hatte sie Mary für den folgenden Vormittag auf einen Kaffee eingeladen.
Das Treffen begann mit einer Diskussion über Catering. Nach der jährlichen Blumenschau sollten alle Gärten in Carsely zur Besichtigung öffnen, wodurch man Spenden für einen guten Zweck erhalten wollte. Die Botanische Gesellschaft hatte sich an den Frauenverein gewandt und darum gebeten, dass die Damen in der Schulaula Tee servierten. Agatha, die gewöhnlich gerne im Mittelpunkt stand, sagte nichts. Sie hatte beschlossen, dass vorerst ihre gesamte Energie in ihren Garten fließen musste. Die Leute würden herbeiströmen und sehen, wie er James Laceys Garten nebenan an Blüten- und Farbenpracht mühelos ausstach. Ja, er würde sogar jeden anderen Garten im Dorf weit in den Schatten stellen. Schon jetzt sah Agatha James’ vor Bewunderung glühendes Gesicht vor sich.
Am nächsten Morgen erinnerte sich Agatha, dass sie Mary eingeladen hatte. Sie beschloss, sich nicht groß herauszuputzen, sondern zog einen bequemen weiten Rock und eine weite Bluse an.
In dem Moment jedoch, als Mary erschien, wünschte Agatha, sie hätte etwas mehr Arbeit in ihr Äußeres gesteckt. Mary trug ein grünes Wollkleid, das sich eng an sie schmiegte – an eine Figur, die nur an den richtigen Stellen Rundungen aufwies. Darüber hatte sie einen weiten Mantel aus grünlichem Tweed an, und trotz der Kälte draußen steckten ihre Füße in sehr hohen grünen Lederpumps und Feinstrumpfhosen.
Mary warf ihren Mantel ab, den sie sich lose über die Schultern gehängt hatte, und ließ ihn auf einen Sessel fallen. »Wie hübsch Sie es hier haben, Mrs. Raisin«, sagte sie und blickte sich um. »Es ist schön, dass wir endlich Gelegenheit haben, uns besser kennenzulernen. Carsely ist ja ganz nett, aber die Leute hier reisen nicht viel. Für die meisten von ihnen ist schon eine Fahrt zum Markt in Moreton ein Abenteuer.«
»Stimmt es, dass Sie einige Zeit in Amerika waren?«, fragte Agatha. Zum allerersten Mal missfiel es ihr, dass sie nicht mit den anderen Frauen im Dorf in einen Topf geworfen wurde.
»Ja, in New York.«
Agatha hatte Kalifornien für die Hochburg der Schönheitschirurgie gehalten, aber wahrscheinlich gab es in New York auch reichlich plastische Chirurgen. Jedenfalls hatte Marys Gesicht etwas Künstliches. Oder war es Agathas Eifersucht, die sie glauben machte, Mary hätte sich liften lassen?
»Ich hole den Kaffee«, sagte Agatha. Dann läutete es.
Sie ging zur Tür und öffnete. Draußen stand James Lacey. Agathas erster Gedanke war, dass er gesehen haben musste, wie Mary gekommen war, und deshalb hier war. »Kommen Sie rein«, sagte sie knapp. »Mary ist hier.« Da sie ihm sofort den Rücken zudrehte, verpasste sie den flüchtigen Ausdruck von Unbehagen auf seinem Gesicht. In der Küche stapelte Agatha Tassen und aufgewärmte Kopenhagener, Teller und Servietten auf ein Tablett und beschloss, James Lacey endgültig aufzugeben. Trotzdem wäre sie zu gern nach oben gehuscht und hätte sich etwas Eleganteres angezogen.
James blickte auf, als Agatha ins Wohnzimmer kam, erhob sich höflich und nahm ihr das Tablett ab, um es auf den Couchtisch zu stellen. Es herrschte eine seltsame Stille im Raum. Agatha fragte sich, worüber die beiden in der kurzen Zeit gesprochen hatten, in der sie in der Küche gewesen war. Das Feuer knisterte, Porzellan klirrte, während sie Teelöffel auf Untertassen verteilte, und draußen sang ein Star sein wehmütiges Lied.
»Ich kann nicht lange bleiben«, sagte James. »Eigentlich bin ich nur vorbeigekommen, um zu sehen, wie es Ihnen geht.«
»Offenbar ist heute mein Besuchstag«, bemerkte Agatha, als es abermals klingelte.
Zu ihrer Überraschung und großen Freude war es Detective Sergeant Bill Wong. »Es geht das Gerücht, dass Sie wieder zurück sind«, sagte er munter. »Darf ich reinkommen?«
»Natürlich«, antwortete Agatha. Am liebsten hätte sie den jungen Mann umarmt, doch ausnahmsweise fühlte sie sich an diesem Morgen schüchtern. »James ist hier und eine neue Dorfbewohnerin, Mary Fortune.«
Mary musterte Bill Wong, als er hereinkam, und sah einen kleinen, pausbäckigen Mann mit asiatischem Einschlag und sehr wachen Augen.
Agatha holte eine weitere Tasse, und Bill folgte ihr in die Küche. »Konkurrenz, Agatha?«, fragte er sanft.
Im Laufe der Ereignisse, die Agatha als »ihre Fälle« bezeichnete und bei denen Bill nicht zufällig in der Nähe war, hatten sich die beiden gut kennengelernt. Dennoch ging diese Frage ein bisschen zu weit, wie Agatha fand.
»Ich weiß nicht, was Sie meinen.«
»Oh doch, das wissen Sie«, sagte Bill und nahm ihr die Tasse ab. »Sicher wird es nicht lange dauern, bis Sie über ein Lifting nachdenken.«
Agatha grinste. »Und dabei hatte ich fast vergessen, wie sehr ich Sie mag.«
Irgendwie gab ihr Bills bloße Anwesenheit Kraft in Bezug auf Mary und James. Sie stellte ihn noch einmal richtig vor und fragte ihn, woran er gerade arbeitete.