Agatha Raisin und das Geisterhaus - M. C. Beaton - E-Book

Agatha Raisin und das Geisterhaus E-Book

M.C. Beaton

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Beschreibung

Als die Lokalzeitung über ein Geisterhaus im Nachbardorf berichtet, ist Agathas Neugier geweckt. Während sie dort herumschnüffelt, stellt sich allerdings heraus, dass keineswegs ein Geist sein Unwesen treibt. Stattdessen spielt jemand der alten und allseits unbeliebten Hausbesitzerin Mrs. Witherspoon Streiche. Und dann ist die alte Dame plötzlich tot. Das ist für Agatha natürlich ein noch größerer Ansporn: Schließlich macht es viel mehr Spaß, ein Verbrechen aufzuklären, als einen Geist zu jagen!

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Inhalt

Cover

Über das Buch

Über die Autorin

Titel

Impressum

Widmung

Eins

Zwei

Drei

Vier

Fünf

Sechs

Sieben

Acht

Neun

Zehn

Elf

Über das Buch

Als die Lokalzeitung über ein Geisterhaus im Nachbardorf berichtet, ist Agathas Neugier geweckt. Während sie dort herumschnüffelt, stellt sich allerdings heraus, dass keineswegs ein Geist sein Unwesen treibt. Stattdessen spielt jemand der alten und allseits unbeliebten Hausbesitzerin Mrs. Witherspoon Streiche. Und dann ist die alte Dame plötzlich tot. Das ist für Agatha natürlich ein noch größerer Ansporn: Schließlich macht es viel mehr Spaß, ein Verbrechen aufzuklären, als einen Geist zu jagen!

Über die Autorin

M.C. Beaton ist eines der zahlreichen Pseudonyme der schottischen Autorin Marion Chesney. Nachdem sie lange Zeit als Theaterkritikerin und Journalistin für verschiedene britische Zeitungen tätig war, beschloss sie, sich ganz der Schriftstellerei zu widmen. Mit ihren Krimi-Reihen um den schottischen Dorfpolizisten Hamish Macbeth und die englische Detektivin Agatha Raisin feiert sie bis heute große Erfolge in über 15 Ländern. M.C. Beaton lebt und arbeitet in einem Cottage in den Cotswolds.

M.C. BEATON

Agatha Raisin

und das Geisterhaus

Kriminalroman

Aus dem Englischen von Sabine Schilasky

Vollständige E-Book-Ausgabedes in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes

Deutsche Erstausgabe

Für die Originalausgabe:Copyright © 2003 by M. C. BeatonPublished by Arrangement with the AuthorTitel der englischen Originalausgabe: »Agatha Raisin and the Haunted House«Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30161 Hannover.

Für die deutschsprachige Ausgabe:Copyright © 2020 by Bastei Lübbe AG, KölnTextredaktion: Anke Pregler, RösrathUmschlaggestaltung: Kirstin OsenauUnter Verwendung eines Motivs von © Arndt Drechsler, LeipzigE-Book-Produktion: two-up, Düsseldorf

ISBN 978-3-7325-7806-1

www.luebbe.dewww.lesejury.de

Für Edwina Mori,in Liebe

Eins

Die Maul- und Klauenseuche hatte das Land im Griff und faktisch abgesperrt. Wanderwege und Weidegatter waren mit Ketten und Vorhängeschlössern versehen. Der Frühling war kalt und nass, und die ersten Narzissen duckten ihre gelben Köpfe im prasselnden Regen.

Vom Reetdach von Agatha Raisins Cottage tropfte es elendig herab. Sie saß mit ihren Katzen auf dem Küchenfußboden und fragte sich, wie sie das vertraute Gefühl der Langeweile abwehren konnte, das sich in ihr regte. Auf Langeweile folgte eine nervöse Depression, wie sie sehr wohl wusste.

In das Cottage nebenan, das früher ihrem Exmann James gehört hatte, war ein interessant aussehender Mann eingezogen, doch sämtliches Interesse an Männern war Agatha gründlich vergangen. Deshalb hatte sie sich nicht in die Schlange von Frauen aus dem Dorf eingereiht, die ihm Kuchen und selbstgemachte Marmeladen brachten. Und sie hatte auch noch keinen Klatsch gehört, weil sie gerade erst aus London zurückgekehrt war, wo sie freiberuflich als PR-Beraterin gearbeitet und bei der Markteinführung einer neuen Modelinie für junge Leute namens Mr. Harry geholfen hatte. Mit dem Resultat, dass Agatha sich nun noch älter vorkam. Einige der hageren Models – der Heroin-Chic war immer noch modern – hatten ihr das Gefühl gegeben, fett und alt zu sein. Außerdem hatte es ihr Gewissen belastet, dass die Sachen aus billigstem Material in Taiwan gefertigt wurden und nach kurzem Tragen auseinanderfallen dürften.

Sie stand auf und ging nach oben in ihr Schlafzimmer, wo sie sich in ihrem großen Spiegel betrachtete. Eine etwas mollige Frau mittleren Alters mit hübschen Beinen, schimmerndem braunem Haar und kleinen Bärenaugen blickte ihr entgegen.

Tu was, sagte sie sich. Sie würde sich schminken und ihre Freundin Mrs. Bloxby besuchen, die Vikarsfrau, um den neuesten Dorftratsch zu erfahren. Agatha legte ein helles Make-up auf. Es war noch nicht lange her, dass sonnengebräunte Haut der letzte Schrei gewesen war, doch da es sich inzwischen quasi jeder leisten konnte, mitten im Winter in die Sonne zu fliegen, galt es nicht mehr als vornehm, sich sonnengebräunt zu zeigen oder auch nur so zu schminken. Beunruhigt zupfte sie an der Haut unter ihrem Kinn. Wurde sie schlaffer? Agatha schlug sich sechzigmal mit der flachen Hand unters Kinn und ärgerte sich anschließend über ihren geröteten Hals.

Als Nächstes zog sie die alte Hose und den Pullover aus, die sie morgens angezogen hatte, und wechselte in einen mittelbraunen Hosenzug aus Leinen und eine goldfarbene Seidenbluse. Nicht dass ihr plötzlicher Wunsch, sich gut anzuziehen, irgendwas mit dem neuen Bewohner im Cottage nebenan zu tun hatte, versuchte sie sich einzureden. Wenigstens stimmte die Redensart, dass die Zeit alle Wunden heilte. Inzwischen dachte sie kaum noch an James und hatte jede Hoffnung aufgegeben, ihn jemals wiederzusehen.

Unten im Flur schlüpfte sie in ihren Burberry, schnappte sich einen Golfschirm und trat dann hinaus in den strömenden Regen. Warum in aller Welt trug sie hohe Absätze, fragte sie sich, als sie den Pfützen in der Lilac Lane auswich und in Richtung Pfarrhaus stöckelte.

Mrs. Bloxby, eine sanftmütige Frau mit grauen Haaren, öffnete ihr. »Mrs. Raisin! Seit wann sind Sie wieder zurück?«

»Seit gestern Abend«, antwortete Agatha. Nach London kam es ihr seltsam vor, mit Nachnamen angesprochen zu werden. Doch im Frauenverein, in dem Agatha Mitglied war, blieb man förmlich.

»Kommen Sie herein. Was für abscheuliches Wetter. Und diese Maul- und Klauenseuche ist beängstigend. Den Wanderern wurde schon gesagt, dass sie nicht über das Land gehen sollen, aber sie hören nicht. Dabei scheint es einigen von ihnen hier nicht einmal zu gefallen, wenn Sie mich fragen.«

»Gibt es in der Gegend denn schon Krankheitsfälle?«, fragte Agatha, während sie ihren Mantel auszog und an einen Garderobenhaken hängte.

»Nein, um Carsely herum nicht … noch nicht.«

Mrs. Bloxby ging ins Wohnzimmer voraus, und Agatha folgte ihr. Sie sank auf das weiche alte Sofa, streifte ihre Schuhe ab und streckte die nassen Füße zum Feuer.

»Ich leihe Ihnen nachher ein Paar Gummistiefel«, bot Mrs. Bloxby an. »Jetzt hole ich uns erst mal Kaffee.«

Agatha lehnte sich zurück und schloss die Augen, als Mrs. Bloxby in die Küche ging. Auf einmal fühlte es sich gut an, wieder daheim zu sein.

Mrs. Bloxby kam mit einem Tablett herein, auf dem zwei Kaffeebecher standen.

»Was gibt es Neues?«, fragte Agatha.

»Äh … James war hier, als Sie fort waren.«

Agatha setzte sich kerzengerade auf. »Wo ist er jetzt?«

»Das weiß ich leider nicht. Er war nur einen Nachmittag hier und hat gesagt, dass er ins Ausland reist.«

»Mist!«, sagte Agatha finster, und der alte Schmerz stieg wieder in ihr hoch. »Haben Sie ihm erzählt, wo ich bin?«

»Ja, habe ich.« Die Vikarsfrau wirkte verlegen. »Ich habe ihm gesagt, wo Sie in London wohnen, und ihm Ihre Telefonnummer gegeben.«

»Er hat mich nicht angerufen«, gestand Agatha unglücklich.

»Anscheinend war er in Eile. Er lässt Sie herzlich grüßen.«

»Das ist ein Scherz«, erwiderte Agatha verbittert.

»Nun trinken Sie Ihren Kaffee. Ich weiß, dass es noch früh ist, aber hätten Sie lieber etwas Stärkeres?«

»Oh nein, damit will ich gar nicht erst anfangen, und erst recht nicht wegen eines Schuftes wie James.«

»Haben Sie Ihren neuen Nachbarn schon kennengelernt?«

»Nein. Ich habe ihn gesehen, als er eingezogen ist, also aus der Ferne, aber dann bekam ich diesen PR-Auftrag und bin nach London gefahren. Wie ist er so?«

»Er scheint nett und klug zu sein.«

»Und was macht er beruflich?«

»Irgendetwas mit Computern. Freiberuflich. Er hat gerade einen großen Auftrag abgeschlossen, für den er täglich zwischen Milton Keynes und hier gependelt ist, und ist froh, dass es vorbei ist.«

»Das ist eine weite Strecke. Morde gab es keine?«

»Nein, Mrs. Raisin, und ich würde meinen, dass Sie davon bereits genug hatten. Es gibt allerdings ein kleines Rätsel.«

»Aha, und was für eins?«

»Alf wurde kürzlich gebeten, einen Exorzismus vorzunehmen, aber er hat sich geweigert.« Alf war der Vikar. »Er sagt, er glaubt nur an den Heiligen Geist und an keine sonstigen.«

»Wo soll der Geist denn sein?«

»In einem Haus in Hebberdon – Sie wissen schon, dieses winzige Dorf hinter Ancombe. Das Haus gehört einer alten Dame, Mrs. Witherspoon, einer Witwe. Sie sagt, dass sie nachts komische Stimmen hört und Lichter sieht. Alf schiebt es auf Kinder aus dem Dorf, die der alten Frau einen Streich spielen, und hat vorgeschlagen, dass sie die Polizei ruft. Das hat sie auch getan, aber die konnte nichts finden. Jedenfalls bleibt Mrs. Witherspoon bei ihrer Geschichte, dass es bei ihr spukt. Möchten nicht Sie der Sache nachgehen?«

Agatha überlegte eine Weile. »Nein. Ich denke, Alf hat wahrscheinlich recht. Wissen Sie, als ich eben hier gesessen habe, bin ich zu dem Entschluss gekommen, dass ich nicht mehr auf der Suche nach Dingen herumlaufen will, die mir die Langeweile vertreiben. Es wird Zeit, das alte Muster zu durchbrechen. Von jetzt ab werde ich häuslich.«

Mrs. Bloxby sah sie unglücklich an.

»Sie? Halten Sie das für eine gute Idee?«

»Im Garten wuchert das Unkraut, und es kann ja nicht ewig regnen. Ich werde ein bisschen gärtnern.«

»Davon werden Sie bald die Nase voll haben.«

»Sie kennen mich nicht«, entgegnete Agatha spitz.

»Mag sein. Wann sind Sie zu diesem Entschluss gelangt?«

Agatha grinste unwillkürlich. »Vor fünf Minuten.«

Ihr trotziger Stolz erlaubte ihr nicht, sich einzugestehen, dass es sie zutiefst verletzte, dass sich James bei seinem Besuch nicht bei ihr gemeldet hatte.

Als es dann endlich trockener und sommerlicher wurde, deutete tatsächlich alles darauf hin, dass Agatha Raisin häuslicher wurde. Da sie die faulen Gärtner leid war, entschied sie, diese Arbeit selbst zu erledigen, und stellte fest, dass sie den Schmerz linderte, den sie nach wie vor wegen James empfand. Die Damen aus dem Dorf informierten Agatha, dass ihr Nachbar, Paul Chatterton, ein charmanter, aber so gar nicht geselliger Mann war. Für einen Moment wurde Agathas Konkurrenzdenken geweckt, aber dann dachte sie daran, wie viel Unglück und Komplikationen Männer mit sich brachten. Am besten machte man einen großen Bogen um sie.

Eines sonnigen Tages lag sie in einem Liegestuhl in ihrem Garten, mit Sonnencreme eingeschmiert und ihre beiden Kater Hodge und Boswell zu ihren Füßen, als eine zaghafte Stimme sagte: »Hallo?«

Agatha öffnete die Augen. Ihr Nachbar hatte sich über den Gartenzaun gebeugt. Er hatte einen dichten weißen Haarschopf und blitzende dunkle Augen in einem schmalen, klugen Gesicht.

»Ja?«, fragte Agatha schroff.

»Ich bin Ihr neuer Nachbar, Paul Chatterton.«

»Und? Was wollen Sie?«, fragte Agatha und schloss die Augen wieder.

»Ich wollte nur mal Hallo sagen.«

»Das haben Sie.« Agatha sah ihn an. »Wollen Sie es mal mit ›Auf Wiedersehen‹ versuchen?«

Abermals schloss sie die Augen, bis sie das Gefühl hatte, er hätte den Wink verstanden. Vorsichtig blickte sie zum Zaun. Doch er stand immer noch da und grinste sie an.

»Ich muss sagen, Sie sind eine angenehme Abwechslung«, befand er. »Seit meiner Ankunft werde ich von den Damen aus dem Dorf belagert, und jetzt, da ich beschlossen habe, umgänglicher zu sein, stoße ich auf die einzige Person, die mich nicht kennenlernen will.«

»Belästigen Sie jemand anderen«, schlug Agatha vor. »Warum mich?«

»Sie wohnen am nächsten. Außerdem habe ich gehört, dass Sie die Dorfdetektivin sind.«

»Was hat das damit zu tun?«

»Ich habe in der Lokalzeitung von einer alten Frau drüben in Hebberdon gelesen, die vor Angst halb von Sinnen ist, weil es bei ihr spuken soll. Ich will hinfahren und ihr meine Dienste als Geisterjäger anbieten.«

Nun wurde ein anderer Wettbewerbsinstinkt in Agatha wachgekitzelt, und sie setzte sich auf. »Kommen Sie vorne herum. Dann lasse ich Sie rein, und wir reden darüber.«

»Bis gleich.« Er winkte und ging davon.

Agatha versuchte, sich mühsam aufzurappeln, und hegte dabei den Verdacht, diese altmodischen Liegestühle, wie man sie auch im Green Park in London mieten konnte, wären eigens entworfen, damit sich die Leute wie Greise fühlten. Sie kam einfach nicht hoch, sodass sie letztlich mit dem Ungetüm zur Seite kippte und sich hinausrollte, um aufzustehen. Sie verpasste dem Ding einen Tritt. »Du kommst ins nächste Lagerfeuer«, schimpfte sie. »Gleich morgen ersetze ich dich durch eine richtige Sonnenliege.«

Sie eilte ins Haus und blieb nur einen Augenblick in der Küche stehen, um sich die Sonnencreme aus dem Gesicht zu wischen.

Sie zögerte, ehe sie die Tür öffnete, und blickte an sich herab auf das ausgeblichene Hauskleid und die Latschen. Dann zuckte sie mit den Schultern. Männer! Wer scherte sich um die?

Sie öffnete die Haustür. »Kommen Sie rein. Wir trinken einen Kaffee in der Küche.«

»Ein Tee wäre mir lieber«, antwortete er, als er hinter ihr her trottete.

»Was für einen? Ich habe Darjeeling, Assam, Earl Grey und einen, der Afternoon Tea heißt.«

»Darjeeling wäre nett.«

Agatha stellte den Wasserkocher an. »Arbeiten Sie zurzeit nicht?«

»Nein, ich warte auf den nächsten Auftrag. Bis dahin gönne ich mir einen kurzen Urlaub.«

Agatha lehnte sich an den Küchenschrank. Pauls kluge dunkle Augen musterten sie, und plötzlich wünschte Agatha, sie würde etwas Hübscheres tragen oder hätte zumindest ein wenig Make-up aufgetragen. Ihr Nachbar war nicht gutaussehend im engeren Sinne, aber diese Kombination aus weißem Haar und fast schwarzen Augen in einem blassen Gesicht, dazu seine hochgewachsene, sportliche Statur dürfte ziemlich vielen Frauen gefallen – ausgenommen natürlich ihr selbst, erinnerte sich Agatha Raisin.

»Ich glaube, mein Cottage hat früher Ihrem Exmann gehört, James Lacey«, sagte er. Das Wasser begann zu kochen. Agatha nahm zwei Becher aus dem Oberschrank, hängte einen Teebeutel in den einen und löffelte Instantkaffee in den anderen.

»Ja«, sagte sie, rührte in dem Tee, fischte dann den Beutel heraus und stellte den Becher vor ihn hin. »Milch und Zucker stehen hier.«

»Danke. Warum Raisin? Haben Sie wieder geheiratet?«

»Nein, es ist der Name meines ersten Mannes. Ich habe ihn behalten, als ich James geheiratet habe. Sind Sie verheiratet?«

Für einen Moment herrschte Stille, während Paul sich Milch und Zucker nahm und seinen Tee umrührte. »Ja, das bin ich.«

»Und wo ist Mrs. Chatterton?«

Wieder Stille. Dann sagte er: »Sie besucht Verwandte in Spanien.«

»Dann ist sie Spanierin?«

»Ja.«

»Wie heißt sie?«

»Ähm … Juanita.«

Agatha verengte die Bärenaugen. »Wissen Sie, was ich denke? Ich denke, Sie sind gar nicht verheiratet. Ich glaube, es gibt keine Juanita. Hören Sie, ich habe Sie nicht eingeladen, weil ich Ihnen an die Wäsche will, sondern weil mich diese Spukgeschichte interessiert.«

Seine schwarzen Augen blitzten amüsiert. »Sind Sie immer so unverblümt?«

»Wenn man mich belügt, ja.«

»Aber es gibt eine Juanita. Sie hat lange schwarze Haare …«

»Und spielt Kastagnetten und hat eine Rose zwischen den Zähnen. Vergessen Sie es! Also, was haben Sie wegen dieses Spuks vor?«

»Ich dachte, ich fahre mal hin und biete meine Dienste an. Möchten Sie mitkommen?«

»Warum nicht?«, sagte Agatha. »Wann wollen wir aufbrechen?«

»Wie wäre es mit jetzt gleich?«

»In Ordnung. Trinken Sie Ihren Tee aus, und ich ziehe mich um.«

»Ist nicht nötig. Dieser Hausfrauen-Look wirkt vielleicht beruhigend auf Mrs. Witherspoon.«

»Pah!«, sagte Agatha. Sie verließ die Küche und eilte nach oben. Dort zog sie sich ein luftiges rosa-weiß gestreiftes Hemdblusenkleid an und schminkte sich sorgfältig. Sie sehnte sich danach, hohe Schuhe zu tragen, aber dafür war es viel zu warm, und geschwollene Knöchel waren so gar nicht schick. Seufzend schlüpfte sie in ein Paar flache Sandalen.

Sie war schon wieder halb die Treppe hinunter, als ihr einfiel, dass sie die Feinstrumpfhose vergessen hatte. Ein heißer Tag ohne Feinstrümpfe bedeutete, dass ihr die Sandalenriemen die Füße blutig scheuerten und ihre Oberschenkel in dem kurzen Kleid am Autositz festkleben könnten. Hastig kehrte sie ins Schlafzimmer zurück und kämpfte sich in eine Strumpfhose mit der Packungsaufschrift Universalgröße. Wer immer das aufgedruckt hatte, musste an eine hagere Vierzehnjährige gedacht haben. Sie schaute in den Spiegel. Von der Anstrengung glänzte ihre Nase rosig, also puderte Agatha sie – leider etwas zu energisch, sodass sie einen Niesanfall bekam. Danach war ihr Make-up hinüber, und sie durfte von vorne anfangen. Gut! Ein letzter Blick in den Spiegel. Oh Gott! Die Knöpfe des Hemdblusenkleides spannten sich über ihrem Busen. Sie zog es aus und wählte eine weiße Baumwollbluse und einen Baumwollrock mit elastischem Bund.

Bereit. Noch ein Kontrollblick. Mist! Sie trug einen schwarzen BH, der durch die weiße Bluse schimmerte. Raus aus der Bluse und dem schwarzen BH, einen weißen an und die Bluse wieder darüber.

Diesmal sah sie bewusst nicht noch einmal in den Spiegel und rannte nach unten.

»Sie hätten sich keine solchen Umstände machen müssen«, sagte Paul.

»Kaum der Rede wert«, knurrte Agatha.

»Sie waren ewig weg, und ich dachte … egal. Fahren wir. Nehmen Sie lieber Gummistiefel mit.«

»Warum?«

»Weil immer noch die Maul- und Klauenseuche umgeht, und falls sie in der Nähe einer Farm wohnt, könnte es gut sein, dass wir durch ein Desinfektionsbad gehen müssen.«

»Stimmt. Ich habe ein Paar an der Tür stehen. Welchen Wagen nehmen wir? Ihren oder meinen?«

»Ich fahre.«

Sein Wagen war ein alter MG. Agatha stöhnte innerlich, als sie sich in den niedrigen Sitz mühte. Sie hatte das Gefühl, auf dem Pflaster zu sitzen. Mit röhrendem Motor fuhr Paul los, und Agatha flog das Haar ins Gesicht.

»Wieso ist es in Filmen immer so, dass der Heldin im offenen Wagen das Haar nach hinten weht?«, fragte sie.

»Weil sie in einem stehenden Wagen im Studio gefilmt wird, dahinter ein Film von einer Landschaft läuft und ein Studioventilator direkt auf sie gerichtet ist. Falls es Sie stört, kann ich anhalten und das Verdeck hochklappen.«

»Nein«, sagte Agatha mürrisch. »Jetzt ist es eh zu spät. Wo in Hebberdon wohnt diese Mrs. Witherspoon?«

»Ivy Cottage, Bag End.«

Agatha verstummte, als die Landschaft an ihnen vorbeirollte – die von der Maul- und Klauenseuche ruinierte Landschaft. Würde sie noch in London leben, wäre ihr das komplett schnurz. Jetzt jedoch hatte sie irgendwie das Gefühl, hierher zu gehören, und was hier passierte, erschütterte sie.

Hebberdon war ein winziges, malerisches Dorf, das sich in ein kleines Tal schmiegte. Es gab keine Läden, dafür einen Pub und einige Cottages. Paul hielt den Wagen an und blickte sich um. »Ich klopfe mal an eines der Häuser und frage, wo Bag End ist.«

Agatha holte eine Zigarette aus ihrer Tasche und zündete sie an. Wo einst der Aschenbecher gewesen war, befand sich nur ein Loch, aber dies war ein offener Wagen, also konnte Paul sich schlecht beschweren.

Er kam zurück. »Wir können den Wagen hier stehen lassen. Bag End ist gleich um die Ecke.«

Aus dem Auto zu steigen erinnerte Agatha unangenehm an ihr Liegestuhlerlebnis, aber sie schaffte es, ohne sich über den Boden rollen zu müssen.

Sie gingen um die Ecke herum in die Straße Bag End, bei der es sich um einen schmalen Weg mit nur einem einzigen Cottage am Ende handelte. Agatha nahm einen letzten Zug von ihrer Zigarette und schnipste sie an den Straßenrand. Paul sammelte sie auf und drückte sie richtig aus. »Bei diesem Wetter können Sie damit einen Brand verursachen«, schalt er sie.

»Entschuldigung«, murmelte Agatha. Vielleicht war sie doch noch nicht ganz die Frau vom Lande, für die sie sich inzwischen hielt. »Wie alt ist diese Mrs. Witherspoon?«

»Laut der Zeitung zweiundneunzig.«

»Da könnte sie gaga sein.«

»Glaube ich nicht, aber warten wir es ab.«

Ivy Cottage war reetgedeckt und tatsächlich mit Efeu bewachsen, der im Sommerwind raschelte. Paul griff nach dem Messingklopfer und knallte ihn einige Male an die Tür. Nach wenigen Momenten klappte der Briefschlitz auf, und eine Frauenstimme rief: »Geht weg!«

»Wir sind hier, um Ihnen zu helfen«, sagte Paul, der sich vor den Briefschlitz hockte. »Wir wollen Ihrem Geist die Hölle heißmachen.«

»Ich habe genug von Spinnern. Verschwindet!«

Paul grinste Agatha zu. »Klingt nach einer Seelenverwandten von Ihnen.« Er wandte sich wieder zum Briefschlitz.

»Wir sind keine Spinner, Mrs. Witherspoon. Wir möchten ehrlich helfen.«

»Und wie wollen Sie das anstellen?«

»Ich bin Paul Chatterton, und bei mir ist Agatha Raisin. Wir wohnen in Carsely. Wir werden die Nacht in Ihrem Haus verbringen und den Geist fangen.«

Zunächst herrschte Stille, dann klimperten und rasselten diverse Ketten und Riegel. Die Tür ging auf, und Agatha musste nach oben sehen. Sie hatte sich eine kleine, gebrechliche, bucklige alte Dame vorgestellt. Doch vor ihr stand eine Riesin.

Mrs. Witherspoon war eine mächtige Frau, mindestens einen Meter fünfundachtzig groß, mit rotgefärbtem Haar und großen, kräftigen Händen.

Ihre Begrüßung bestand aus einem Rucken mit dem Kopf, und sie folgten ihr in ein kleines dunkles Wohnzimmer. Der Efeu draußen war weit genug in die Fenster gerankt, um beinahe alles Licht zu schlucken.

»Und wie kommen Sie zwei auf die Idee, dass Sie den Geist finden, der hier spukt?«, fragte sie. Ihr Kopf berührte beinahe die niedrigen Deckenbalken. Agatha, die sich hingesetzt hatte, stand wieder auf, weil ihr nicht wohl dabei war, wie sehr die Frau sie überragte.

»Einen Versuch ist es wert«, antwortete Paul lässig. »Ich meine, was haben Sie zu verlieren?«

Mrs. Witherspoon richtete ihre leuchtenden Augen auf Agatha. »Hat er gesagt, dass Sie Raisin heißen?«

»Hat er, und ja, so heiße ich.«

»Ah, dann sind Sie die Frau aus Carsely, die sich für eine Detektivin hält. Ihr Mann ist Ihnen weggelaufen. Wundert mich nicht.«

Agatha ballte die Fäuste. »Und was ist mit Ihrem passiert?«

»Der ist vor zwanzig Jahre gestorben.«

Agatha sah zu Paul und sagte: »Vielleicht ist es doch eine blöde Idee …« Doch er zischte sofort: »Lassen Sie mich das machen.«

Er drehte sich zu Mrs. Witherspoon um. »Wir würden Ihnen nicht zur Last fallen«, säuselte er. »Wir könnten uns die Nacht über hier unten hinsetzen und warten.«

»Erwarten Sie nicht, dass ich Ihnen ein Essen serviere.«

»Das fiele uns nicht im Traum ein. Wir kommen gegen zehn wieder.«

»Ach, na schön. Ich wohne schon mein ganzes Leben in diesem Cottage, und ich lasse mich jetzt nicht daraus vertreiben.«

»Wie genau sieht dieser Spuk eigentlich aus?«

»Flüstern, Schritte, eine Art grauer Nebel, der unter der Schlafzimmertür durchkommt. Die Polizei hat alles abgesucht, aber es gibt keine Spuren, die auf einen Einbruch deuten.«

»Haben Sie Feinde?«, fragte Agatha.

»Nicht dass ich wüsste. Ich bin eher freundlich und tue nie etwas, was die Leute gegen mich aufbringen könnte.« Sie fixierte Agatha mit einer Verachtung, die dieser offensichtlich zu verstehen geben sollte, dass es sich bei ihr, Agatha, ganz anders verhielt.

Paul schob Agatha behutsam zur Tür, da er merkte, dass sie gleich platzen würde. »Wir sind um zehn wieder da«, sagte er.

»Ich glaube nicht, dass ich dieser alten Kuh helfen möchte«, schimpfte sie, als sie wieder ins Auto stiegen. »Glauben Sie mir, nicht mal Dracula würde die erschrecken.«

»Trotzdem ist es spannend«, entgegnete Paul. »Haben Sie sich als Kind nie gewünscht, eine Nacht in einem Geisterhaus zu verbringen?«

Agatha dachte kurz an das Armenviertel von Birmingham, in dem sie aufgewachsen war. Dort hatte es so viel realen Schrecken und Gewalt gegeben, dass ihr Bedarf an übernatürlichem Grusel gleich null gewesen war.

Seufzend kapitulierte sie. »Na gut, versuchen wir es.«

»Ich bringe ein spätes Abendessen mit und ein Scrabble-Spiel, um uns die Zeit zu vertreiben.«

»Ein Ouija-Brett könnte angebrachter sein.«

»So etwas besitze ich nicht. Was möchten Sie gern essen?«

»Ich werde vorher essen. Jede Menge schwarzer Kaffee wäre eine gute Idee. Ich bringe eine große Thermoskanne voll mit.«

»Gut, dann wäre alles bereit.«

Unter den wachsamen Augen der Dorfbewohner fuhren sie zurück nach Carsely.

»Ich habe Mrs. Raisin mit diesem Paul Chatterton gesehen«, beklagte sich Miss Simms, die Sekretärin des Frauenvereins bei Mrs. Bloxby, als sie ihr später am Tag im Dorfladen begegnete. »Ich weiß nicht, wie sie das macht! Wir alle hier versuchen, ihn überhaupt mal aus der Nähe zu sehen, und sie greift ihn sich einfach. Ich meine, sie ist ja nicht mehr wirklich taufrisch, oder?«

»Ich glaube, Männer finden Mrs. Raisin sexy«, sagte die Vikarsfrau und trottete mit dem Einkaufskorb über ihrem Arm davon. Miss Simms blieb stehen und starrte ihr nach.

»Können Sie das glauben?«, fragte Miss Simms zehn Minuten später Mrs. Davenport, eine relativ neu Zugezogene, die seit Kurzem Mitglied des Frauenvereins war. »Mrs. Bloxby, also die Frau des Vikars, wohlgemerkt, sagt, dass Mrs. Raisin sexy ist!«

»Und wie kommt sie darauf?«, fragte Mrs. Davenport, die so ganz wie die nach Jahren im Ausland zurückgekehrte Engländerin aussah in ihrem Blümchenkleid, den großen weißen Minnie-Mouse-Schuhen, ihren kleinen weißen Handschuhen und einem furchteinflößenden Hut.

»Na, weil unsere Mrs. Raisin mit Paul Chatterton herumfährt und die beiden wie ein Paar aussehen.« Unter der breiten Hutkrempe nahm Mrs. Davenports Gesicht einen überaus missbilligenden Ausdruck an. Hatte sie Mr. Chatterton nicht einen ihrer besten Schokoladenkuchen gebracht, gefolgt von zwei Gläsern ihrer selbstgemachten Marmelade? Und hatte er nicht die Geschenke zwar höflich angenommen, sie aber nicht einmal auf einen Kaffee hereingebeten?

Mrs. Davenport zog weiter, doch diese Neuigkeiten beunruhigten sie. Nach ihrer erzwungenen Gerüchtefastenkur im Ausland konnte sie nun nicht umhin, diverse Leute auf ihrem Weg anzusprechen und sie mit den Neuigkeiten zu beglücken, die sie eben erfahren hatte. Bis zum Abend war überall im Dorf herum, dass Agatha Raisin ein Verhältnis mit Paul Chatterton hatte.

Um sechs Uhr abends läutete es bei Agatha. Sie hoffte, dass es Paul war, der sie zum Essen einlud. Vor der Tür stand Detective Sergeant Bill Wong, und prompt hatte Agatha ein schlechtes Gewissen. Bill war ihr erster Freund hier gewesen, als sie aufs Land zog. Doch von der Geisterjagd wollte sie ihm nichts erzählen, weil er sonst sicher versuchen würde, sie davon abzuhalten.

»Kommen Sie rein«, sagte sie. »Ich habe Sie ja schon seit einer Weile nicht gesehen. Wie läuft es so?«

»Abgesehen davon, dass wir Wanderer jagen, die ihre Hunde über Farmland laufen lassen, nicht viel. Was haben Sie so getrieben?«

Sie gingen in die Küche. »Ich habe gerade Kaffee gemacht. Möchten Sie welchen?«

»Danke. Das ist die größte Thermoskanne, die ich je gesehen habe!«

»Ich koche bloß Kaffee für den Frauenverein«, log Agatha.

»Wie ich gehört habe, war James wieder in Carsely – kurz.«

»Ja. Ich will nicht darüber reden.«

»Tut es immer noch weh?«

»Ich habe gesagt, dass ich nicht darüber reden will.«

»Okay. Wie ist der neue Nachbar?«

»Paul Chatterton? Scheint ganz nett zu sein.«

Bill, dessen rundes Gesicht halb asiatische, halb westeuropäische Züge trug, betrachtete sie neugierig, und Agatha errötete leicht.

»Und haben Sie irgendetwas Aufregendes erlebt?«

»Ich doch nicht«, antwortete Agatha. »Ich habe ein bisschen PR in London gemacht, aber hier konzentriere ich mich auf den Garten und habe ein paar Scones gebacken. Möchten Sie einen zu Ihrem Kaffee?«

Bill wusste, dass Agatha erbärmlich schlecht backte, weshalb er zögerte. »Na los«, drängte sie. »Die sind unglaublich gut.«

»In Ordnung.«

Agatha legte einen Scone auf einen Teller und stellte Butter und Marmelade auf den Tisch.

Vorsichtig biss Bill hinein. Er war köstlich, ganz leicht und fluffig. »Sie haben sich selbst übertroffen, Agatha«, sagte er.

Und Agatha, die diese Scones am Morgen von Mrs. Bloxby bekommen hatte, lächelte ihn an. »Sie werden nicht glauben, wie häuslich ich inzwischen bin. Oh, es hat geklingelt.«

Sie eilte zur Tür und hoffte, dass es nicht Paul Chatterton war, der ihre geplante Nachtwache im Spukhaus ausplaudern könnte. Doch es war Mrs. Bloxby.

»Kommen Sie rein«, sagte Agatha. »Bill ist hier.« Der hoffentlich seinen Scone aufgegessen hatte.

Doch als sie mit Mrs. Bloxby in die Küche kam, sagte er zu ihrem Entsetzen: »Ich hätte nichts gegen noch so einen Scone, Agatha.«

»Ah, schmecken sie Ihnen?«, fragte Mrs. Bloxby. »Ich habe sie Mrs. Raisin heute Morgen gebracht, weil ich zu viele gebacken hatte.«

»Kaffee?«, fragte Agatha die Vikarsfrau.

»Für mich nicht, danke. Bei den Treffen des Frauenvereins sind wir in letzter Zeit immer weniger, deshalb wollte ich fragen, ob Sie heute Abend kommen.«

»Kann nicht«, antwortete Agatha, der bewusst war, dass Bill sie amüsiert beobachtete.

»Warum nicht?«

»Ich treffe mich mit jemandem wegen eines PR-Auftrags.«

»Wollen Sie schon wieder arbeiten? Ich dachte, Sie wollten den Sommer in Ruhe genießen.«

»Ach, es ist nur ein kleiner Auftrag.«

»Und worum geht es diesmal? Mode?«

»Eine neue Antifaltencreme.«

»Ach ja? Glauben Sie, dass die wirken?«

»Weiß ich nicht«, sagte Agatha etwas zu laut. »Das Thema ist langweilig. Können wir über etwas anderes sprechen?«

Stille trat ein, und Agatha fühlte, wie sie rot wurde.

»Sie erwerben sich einen ziemlichen Ruf im Dorf«, scherzte Mrs. Bloxby. »Alle erzählen sich, dass Sie und Paul Chatterton zusammen sind.«

»Unsinn.«

»Sie wurden in seinem Wagen gesehen.«

»Er hatte mich mitgenommen.«

»Oh, ist Ihr Wagen kaputt?«

»Hören Sie«, sagte Agatha, »ich wollte nach Moreton fahren, und er kam zufällig gerade aus seinem Haus und hat gesagt, dass er auch nach Moreton fährt und mich mitnehmen kann. Das ist alles. Ehrlich, wie in diesem Dorf getratscht wird!«

»Nun ja, viele sind aufgebracht wegen Ihrer offenkundigen Freundschaft mit ihm. Warum gelingt Ihnen, was so viele andere vergeblich versucht haben? Na, ich gehe lieber wieder.«

Agatha brachte sie zur Tür und kehrte widerwillig in die Küche zurück. »Darf ich jetzt noch einen von den Scones?«, fragte Bill.

»Ich muss Ihnen aus Versehen einen von Mrs. Bloxbys Scones statt von meinen gegeben haben«, sagte Agatha. Fing sie erst an, sich eine Grube zu schaufeln, konnte sie nicht mehr aufhören.

»Dann nehme ich einen von Ihren.«

Agatha öffnete eine leere Dose. »Bedaure, meine sind alle. Wie schade.«

Sie legte ihm noch einen von Mrs. Bloxbys Scones auf den Teller.

»Haben Sie von einer Mrs. Witherspoon gehört, die behauptet, dass es in ihrem Haus spukt?«, fragte Bill.

»Ja, es stand in der Zeitung.«

»Und es hat Sie nicht gereizt, sich das näher anzusehen?«

»Nein, ich will ein ruhiges Leben haben. Wahrscheinlich ist sie ohnehin nur gaga.«

»Ist sie nicht. Ich war einige Male dort, um der Sache nachzugehen. Die Polizei konnte nichts finden. Wieso habe ich das komische Gefühl, dass Sie mir etwas verheimlichen, Agatha?«

»Seien Sie nicht albern.«

»Ich meine, ich frage Sie nach Ihrem neuen Nachbarn, und Sie erzählen mir nicht, dass er mit Ihnen nach Moreton gefahren ist.«

»Was soll das?«, fragte Agatha mürrisch. »Werde ich verhört?«

Bill lachte. »Ich denke immer noch, dass Sie mir etwas verschweigen. Tja, sicher wird Ihnen ein bisschen Geisterjagd nicht schaden.«

»Ich habe nie gesagt …«

»Nein, haben Sie nicht, oder? Ich würde Sie ja nach dieser Gesichtscreme fragen und wo Sie Ihren potenziellen Geschäftspartner treffen wollen, aber ich möchte Ihre Fantasie nicht überstrapazieren.«

»Bill!«

Er grinste. »Man sieht sich.«

Als er weg war, seufzte Agatha erleichtert auf und ging nach oben, um zu duschen. Nach den vielen Lügen fühlte sie sich heiß und klebrig.

Also, was zog man zu einer Gespensterjagd an?

Zwei

Als Agatha am Abend nach unten ins Erdgeschoss ging, ließ sie ein chaotisches Schlafzimmer zurück. Sie hatte fast alles in ihrem Kleiderschrank anprobiert, sich nicht zwischen schick und schäbig entscheiden können und schließlich eine bequeme Hose aus Wolltuch, eine karierte Bluse und einen Kaschmirpullover gewählt.

Fang nicht wieder an, dich für Männer zu interessieren, ermahnte sie sich und blickte so grimmig drein, als sie die Tür öffnete, dass Paul einen Schritt zurückwich und fragte, ob etwas passiert sei. »Nein, nichts«, antwortete Agatha. »Ich hole den Kaffee.«

»Das hatte ich vergessen zu erwähnen. Manchmal ziehe ich Tee vor, und dies ist eine dieser Gelegenheiten.«

Agatha bedachte ihn mit einem vernichtenden Blick und holte die riesige Thermoskanne aus der Küche. Zumindest sollte der viele Kaffee sie selbst wach halten.

»Wir nehmen meinen Wagen«, sagte sie streng. Es war ein kühler Abend, und sie wollte nicht in Paul Chattertons MG durchgerüttelt werden.

Draußen lud Paul einen Picknickkorb in Agathas neuen Audi. »Sie haben aber viel mit«, bemerkte Agatha.

»Ich habe noch nicht gegessen. Sie?«

»Ja, ich hatte etwas«, log Agatha. Irgendwie schämte sie sich, dass sie so viel Zeit mit Umziehen und Schminken, wieder Abschminken und erneutem dezenterem Schminken verbracht hatte. Ihr Magen grummelte, und sie ergänzte rasch: »Nur ein Sandwich.«

»Dann ist ja gut, dass ich genug für zwei dabeihabe«, sagte er.

Agatha fuhr los und fragte sich, wie viele Vorhänge im Dorf zucken würden, wenn sie vorbeifuhren.

»Ist das nicht aufregend?«, fragte Paul.

»Ja«, sagte Agatha, obwohl sie Zweifel hegte. Sie glaubte nicht an Geister. In alten Häusern wie ihrem und Mrs. Witherspoons ächzte, knackste und knarzte es ständig. Und nun lag eine schlaflose Nacht mit einem Mann vor ihr, den sie eigentlich gar nicht kannte.

Sie erreichten Ivy Cottage und luden den Wagen aus. Mrs. Witherspoon öffnete ihnen in einem voluminösen roten Bademantel, dessen Farbe sich mit ihrem roten Haar biss.

»Ah, Sie sind es«, sagte sie unfreundlich. »Gehen Sie ins Wohnzimmer, und machen Sie es sich bequem. Falls Sie ins Bad müssen, es ist gleich die erste Tür oben auf dem Flur. Ansonsten belästigen Sie mich nicht, und wecken Sie mich nicht. Ich habe einen leichten Schlaf.«

»Man könnte fast meinen, sie will gar nicht, dass wir ihren Geist finden«, brummelte Agatha, nachdem Mrs. Witherspoon sich nach oben zurückgezogen hatte.

»Macht nichts. Ich werde etwas essen.« Paul öffnete den Picknickkorb und nahm mehrere Plastikdosen, Teller und Besteck heraus. »Es gibt kaltes Hühnchen, Salat und Baguette«, sagte er munter. »Bedienen Sie sich, und danach spielen wir Scrabble.«

Agatha aß dankbar und trank dazu mehrere Tassen starken schwarzen Kaffee. Paul hatte eine Thermoskanne mit Tee mitgebracht.

»Und was hat Sie nach Carsely verschlagen?«, fragte Agatha.

»Der Wunsch nach einem hübschen, ruhigen Ort. Normalerweise lebe ich in London, aber das ist so laut, überfüllt und schmutzig geworden. Außerdem ist Carsely nur anderthalb Stunden entfernt, also nicht direkt abgelegen.«

»Haben Sie schon immer mit Computern gearbeitet?«

»Ja, ich hatte Glück und bin gleich nach der Universität eingestiegen. Ich bin also praktisch von Anfang an dabei gewesen.«

»Und was genau machen Sie?«

»Ich bin Programmierer. Was ist mit Ihnen? Sind Sie im Ruhestand?«

»Größtenteils, obwohl ich immer noch kleinere Aufträge übernehme. Ich hatte meine eigene PR-Agentur in London, die ich verkauft habe, um vorzeitig in den Ruhestand zu gehen«, antwortete Agatha und betonte »vorzeitig«.

»Und wie kam es, dass Sie Hobbydetektivin wurden?«

»Das war Zufall«, sagte sie. »Es passieren eben Dinge, und ich werde neugierig.«

»Und was machen Sie dann?«

»Ich laufe herum und stelle Fragen. Die Polizei hat oft nicht die Zeit, die Leute näher kennenzulernen, und die Menschen reden offener mit normalen Menschen als mit der Polizei.« Agatha wollte schon prahlen, unterdrückte diese Regung jedoch energisch. Sie hatte ohnehin das unschöne Gefühl, dass Paul sie eher amüsant als attraktiv fand.

Als sie aufgegessen hatten, räumte Paul wieder alles ordentlich weg. So viel zu Juanita, dachte Agatha. Junggesellen waren immer ordentlich und häuslich. Plötzlich fiel ihr James Lacey ein, und es versetzte ihr einen Stich. Tränen stiegen ihr in die Augen.

»Was ist?«, fragte Paul.

»Ich habe mir versehentlich auf die Zunge gebissen.«

»Fies. Spielen wir Scrabble.«

Er baute das Brett auf, legte den Buchstabenbeutel daneben und fing an. Als Erstes legte er XENON.

»Das ist kein Wort«, sagte Agatha verschnupft.

»Doch, ist es. Es ist ein Gas. Hier.«

Er holte ein Wörterbuch hervor und gab es ihr. Agatha schlug das Wort nach. »Okay«, sagte sie beleidigt. Das Spiel ging weiter, und Paul gewann haushoch. Sie begannen noch eine Runde. Eine alte Marmoruhr auf dem Kaminsims tickte laut, und schließlich schlug sie blechern Mitternacht.

Die Zeit kroch dahin. Paul gewann noch zwei Spiele. »Mir ist langweilig«, sagte Agatha.

»Wie wäre es, wenn Sie ein wenig schlafen? Ich halte Wache.«

»Nein, ich bleibe noch ein bisschen wach. Das Haus ist sehr still. Könnten wir uns doch nur mit etwas Spaßigem die Zeit vertreiben.«

Er lächelte sie an. »Tja, da gibt es etwas, was wir tun könnten.«

Agatha fühlte ein leises Kribbeln. »Und was ist das?«

»Ich habe ein Kartenspiel. Wir könnten pokern.«

»Nein, das ist noch langweiliger als Scrabble, und Sie wollen mich bloß noch dümmer dastehen lassen als eben. Existiert Juanita wirklich?«

»Natürlich existiert sie.«