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Agatha Raisin kommt es mehr als gelegen, dass der attraktive Witwer George Selby sie bittet, ihn bei der Organisation eines Kirchenfestes zu unterstützen. Die Freude ist groß, als dieses ein großer Erfolg zu werden scheint und die Gäste von überallher herbeiströmen. Doch dann geschieht das Unfassbare: Einigen der Marmeladen, die auf dem Fest angeboten werden, wurde Gift beigemischt, und die fröhliche Feier wird zum Tatort, als gleich zwei Menschen daran sterben. Gemeinsam mit ihrer Assistentin Toni macht sich Agatha auf die Suche nach dem hinterhältigen Mörder und stößt dabei auf die dunklen Geheimnisse des Dorfes ...
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Seitenzahl: 284
Cover
Über das Buch
Über die Autorin
Titel
Impressum
Widmung
Eins
Zwei
Drei
Vier
Fünf
Sechs
Sieben
Acht
Neun
Zehn
Elf
Epilog
Über das Buch
Agatha Raisin kommt es mehr als gelegen, dass der attraktive Witwer George Selby sie bittet, ihn bei der Organisation eines Kirchenfestes zu unterstützen. Die Freude ist groß, als dieses ein großer Erfolg zu werden scheint und die Gäste von überallher herbeiströmen. Doch dann geschieht das Unfassbare: Einigen der Marmeladen, die auf dem Fest angeboten werden, wurde Gift beigemischt, und die fröhliche Feier wird zum Tatort, als gleich zwei Menschen daran sterben. Gemeinsam mit ihrer Assistentin Toni macht sich Agatha auf die Suche nach dem hinterhältigen Mörder und stößt dabei auf die dunklen Geheimnisse des Dorfes …
Über die Autorin
M. C. Beaton ist eines der zahlreichen Pseudonyme der schottischen Autorin Marion Chesney. Nachdem sie lange Zeit als Theaterkritikerin und Journalistin für verschiedene britische Zeitungen tätig war, beschloss sie, sich ganz der Schriftstellerei zu widmen. Mit ihren Krimi-Reihen um die englische Detektivin Agatha Raisin und den schottischen Dorfpolizisten Hamish Macbeth feierte sie große Erfolge in über 17 Ländern. Sie verstarb im Dezember 2019 im Alter von 83 Jahren.
M. C. BEATON
Agatha Raisin
und das tödliche Kirchenfest
Kriminalroman
Aus dem Englischen von Sabine Schilasky
Vollständige E-Book-Ausgabedes in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes
Deutsche Erstausgabe
Für die Originalausgabe:Copyright © 2008 by M. C. BeatonPublished by Arrangement with M. C. BEATON LIMITEDTitel der englischen Originalausgabe: »A Spoonful of Poison«
Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30161 Hannover.
Für die deutschsprachige Ausgabe:Copyright © 2022 by Bastei Lübbe AG, KölnTextredaktion: Anke Pregler, RösrathTitelillustration: © Arndt Drechsler, LeipzigUmschlaggestaltung: Kirstin OsenaueBook-Erstellung: two-up, Düsseldorf
ISBN 978-3-7517-2068-7
luebbe.delesejury.de
Dieses Buch widme ich meinen drei Buchhändler-Engeln im Cotswolds Bookstore in Moreton-in-Marsh, Gloucestershire – Tony Keats, David Whitehead und Nina Smith.
Nervös blickte Mrs. Bloxby, Ehefrau des Vikars von Carsely, ihren Besucher an. »Ja, Mrs. Raisin ist eine Freundin von mir, eine sehr gute Freundin, doch sie ist sehr mit ihrer Detektei beschäftigt und hat keine Zeit für …«
»Aber es ist für solch einen guten Zweck«, unterbrach Arthur Chance sie, der Vikar von Saint Odo The Severe im Dorf Comfrey Magna. »Die Dienste einer richtigen PR-Expertin, die Besucherscharen zu unserem jährlichen Dorffest locken kann, wären überaus willkommen. Immerhin dient der Erlös der Renovierung des Kirchendachs und geht überdies an zahlreiche wohltätige Organisationen.«
»Ja, aber …«
»Es würde nicht schaden, einmal zu fragen, oder? Das ist Ihre christliche Pflicht.«
»Sie brauchen mich nicht an meine Pflichten zu erinnern, danke«, sagte Mrs. Bloxby gereizt und musste an all die Gemeindebesuche denken, an die Müttertreffen und den Frauenverein von Carsely. Also wirklich, dachte sie, während sie den Vikar ansah, für so einen milde und zurückhaltend wirkenden Mann ist er entsetzlich bevormundend. Arthur Chance war ein kleiner Mann mit einer dicken Brille und grauem Haar, das in Büscheln seitlich von seinem faltigen Gesicht abstand und an Stoßzähne gemahnte. Mrs. Bloxby erinnerte sich, dass er eine zwanzig Jahre jüngere Frau geheiratet hatte. Wahrscheinlich hatte er der Armen auch keine andere Wahl gelassen.
»Hören Sie, ich werde tun, was ich kann, aber ich verspreche Ihnen nichts. Wann ist das Fest?«
»Am Samstag in einer Woche.«
»Nur noch eine Woche? Da bleibt Mrs. Raisin ja überhaupt keine Zeit!«
»Gott wird ihr helfen«, entgegnete Mr. Chance.
Agatha Raisin, eine Frau mittleren Alters, die ihre erfolgreiche PR-Agentur verkauft hatte, um frühzeitig in den Ruhestand zu gehen und sich in ein Cottage in den Cotswolds zurückzuziehen, hatte festgestellt, dass Untätigkeit nichts für sie war, und ihre eigene Privatdetektei gegründet. Nun, da die ebenfalls erfolgreich war, wünschte sie sich allerdings, sie hätte mehr Zeit zum Ausspannen. Obendrein handelte es sich bei den Fällen, die ihr angetragen wurden, um hässliche Scheidungen, vermisste Kinder, entlaufene Katzen und Hunde und nur hin und wieder um etwas so Spannendes wie Industriespionage. Agatha hatte begonnen, die Detektei an den Wochenenden zu schließen, weil sie das Gefühl hatte, überhaupt keine Freizeit mehr zu haben. Doch sie vergaß, dass sie mit zu viel davon auch nichts anfangen konnte.
Für eine Frau von Anfang fünfzig sah sie immer noch gut aus. Ihr Haar war zwar getönt, glänzte aber hübsch, und sie hatte schöne Beine. Leider waren ihre Augen eher klein geraten, dafür hatte sie nur sehr wenige Falten. Sie hatte einen üppigen Busen und zu ihrem Leidwesen auch sehr runde Hüften.
Als sie am Freitagabend nach Hause kam, begrüßte sie überschwänglich ihre beiden Kater, Hodge und Boswell, streifte ihre Schuhe ab, mixte sich einen starken Gin Tonic, zündete sich eine Zigarette an und sank seufzend auf ihr Sofa.
Beiläufig fragte sie sich, wo ihr Exmann, James Lacey, sein mochte. Er wohnte nebenan, arbeitete jedoch als Reisebuchautor und war deshalb viel im Ausland. Wie üblich kramte Agatha in ihrem Hirn nach der alten Obsession, der alten Sehnsucht nach ihm, aber die schien für immer verschwunden zu sein. Ohne eine Obsession hatte Agatha nur noch sich selbst, was ihr nicht gefiel. Inzwischen hatte sie all den Schmerz und das Elend verdrängt, die ihr die Besessenheit von ihrem Ex beschert hatte. Stattdessen erinnerte sie sich nur an die wenigen, sehr kurzen Glücksmomente.
Die Türklingel schrillte. Agatha schwang die Beine vom Sofa und ging öffnen. Ihre Miene erhellte sich, als sie Mrs. Bloxby sah. »Kommen Sie rein«, rief sie. »Ich trinke gerade einen Gin Tonic. Möchten Sie auch einen?«
»Nein, aber einen Sherry nehme ich gerne.«
Manchmal überlegte Agatha, die in einem Armenviertel aufgewachsen war, wie es wäre, innerlich wie äußerlich eine Dame wie Mrs. Bloxby zu sein. Die Vikarsfrau trug einen recht ausgeleierten Tweedrock, und ihre rosa Bluse hatte schon bessere Tage gesehen. Einige dünne Strähnen ihres grauen Haars hatten sich aus dem Knoten in ihrem Nacken gelöst, dennoch strahlte sie wie immer Freundlichkeit und Würde aus.
Wie es im Frauenverein von Carsely Sitte war, siezten sich die beiden Frauen bis heute.
Agatha schenkte Mrs. Bloxby einen Sherry ein. »Ich habe Sie länger nicht gesehen«, sagte Agatha. »Es war so viel los.«
Für einen kurzen Moment blitzten Schuldgefühle in Mrs. Bloxbys grauen Augen auf. »Arbeitet diese junge Detektivin noch bei Ihnen, Toni Gilmour?«
»Ja, dem Himmel sei Dank! Sie leistet hervorragende Arbeit. Doch ich denke, wir müssen anfangen, Fälle abzulehnen. Ich will wirklich nicht noch mehr Leute einstellen.«
Mrs. Bloxby trank von ihrem Sherry und sagte halb zu sich: »Ich habe doch gewusst, dass Sie zu viel zu tun haben. Das habe ich ihm auch gesagt.«
»Wem gesagt?«
»Mr. Arthur Chance, dem Vikar von Saint Odo The Severe.«
»Odo wer?«
»Ein angelsächsischer Heiliger. Ich weiß nicht mehr, was er getan hat. Es gibt so viele Heilige.«
»Und warum haben Sie mit Mr. Chance über mich gesprochen?«
»Er wohnt in Comfrey Magna …«
»Da war ich nie.«
»Die wenigsten Menschen waren da schon mal. Es liegt abseits der Touristenrouten. Jedenfalls findet dort morgen in einer Woche das jährliche Dorffest statt, und Mr. Chance bat mich, Sie zu bitten, dafür Werbung zu machen.«
»Ist irgendwas an diesem Vikar besonders? Gibt es einen Grund, warum ich das wollen würde?«
»Nun, es ist für einen wohltätigen Zweck. Und der Vikar ist ziemlich beharrlich.«
Agatha lächelte. »Sie sehen wie eine Frau aus, die gerade drangsaliert wurde. Wissen Sie was? Wir fahren morgen Vormittag zu ihm, und ich werde ihm ein schallendes Nein entgegenschmettern, dann belästigt er Sie nicht wieder.«
»Das ist so nett von Ihnen, Mrs. Raisin! Ich bin noch nie sonderlich stark gewesen, wenn es um ein Nein zu wohltätigen Dingen ging.«
An Wintertagen, wenn es endlos regnete und dicker, nasser Nebel die Hügel verhüllte, fragte Agatha sich hin und wieder, warum sie sich in den Cotswolds unter dem Reetdach ihres Cottage vergrub.
Doch als sie am nächsten Morgen mit Mrs. Bloxby losfuhr, zeigte sich die Landschaft im Mantel eines richtig warmen Frühlingstags. Schlehdorn sprenkelte die Hecken, Blauregen und Clematis rankten an Gartenmauern, Glockenblumen erzitterten in einer hauchzarten Brise, und über allem wölbte sich ein makellos blauer Himmel.
Mrs. Bloxby dirigierte Agatha durch ein Labyrinth von Landstraßen. »Hier sind wir endlich«, sagte sie schließlich. »Parken Sie einfach vor der Kirche.«
Agatha fand, dass Comfrey Magna wie ein seltsames, verschlossenes Dorf wirkte. Es gab keine neuen Häuser zwischen den uralten Cottages zu beiden Seiten der Straße. Und es war niemand auf der Hauptstraße, in den Gärten oder auch bloß an den Fenstern zu sehen.
»Schrecklich ruhig«, bemerkte sie.
»Zu wenige junge Leute, das ist das Problem«, sagte Mrs. Bloxby. »Keine jungen Familien, die herziehen, weil sie sich die Preise nicht leisten können. Entsprechend überaltert ist der Ort.«
»In solch einem toten Nest können die Häuser doch nicht so furchtbar teuer sein«, sagte Agatha und stellte den Wagen ab.
»Sie sind überall entsetzlich teuer.«
Sie stiegen aus. »Da drüben ist das Pfarrhaus«, sagte Mrs. Bloxby. »Wir nehmen die Abkürzung über den Friedhof.«
Das Pfarrhaus war ein altes graues Gebäude mit alten Cotswolds-Steinziegeln auf dem Dach, die ein Vermögen kosteten. Oder vielmehr: Kosten würden, denn die Gemeindeverwaltungen erlaubten einen Verkauf nur, wenn man sie durch exakt die gleichen ersetzte, was natürlich absurd war.
Als sie den Friedhof betraten, sah Agatha einen Mann, der sich an einem der Gräber aufrichtete, auf dem er Blumen niedergelegt hatte. Er drehte sich um, sah sie und lächelte.
Agatha blinzelte hektisch. Er war groß, hatte helles Haar, ein leicht sonnengebräuntes Gesicht und grüne Augen. Seine Augen sind richtig grün, dachte Agatha, ohne einen Flecken Braun darin. Er trug ein Sportsakko aus Tweed und eine Hose aus Cavalry-Twill.
»Guten Morgen«, sagte Mrs. Bloxby höflich und zupfte an Agathas Arm, denn sie schien auf der Stelle festgefroren zu sein.
»Guten Morgen«, antwortete der Mann.
»Wer war das?«, flüsterte Agatha, als sie sich der Pfarrhaustür näherten.
»Weiß ich nicht.«
Mrs. Bloxby läutete. Eine große Frau in einem Gymnastikanzug öffnete ihnen. Ihr Haar war auberginefarben getönt, lang und glatt. Sie hatte ziemlich unangenehme Gesichtszüge – ihr Mund war schmal, und ihre Augen standen zu dicht zusammen. Ihre dünne Nase hatte einen seltsamen Buckel in der Mitte, als wäre sie schon mal gebrochen gewesen und schlecht wieder zusammengewachsen. Ende dreißig, schätzte Agatha.
»Sie stören bei meinen Pilates-Übungen«, sagte die Frau.
»Wir möchten zu Mr. Chance«, entgegnete Mrs. Bloxby.
»Dann müssen Sie die PR-Leute sein. Er ist im Arbeitszimmer. Ich bin Trixie Chance.«
Du liebe Güte, dachte Mrs. Bloxby. Sie hatte schon häufiger gedacht, dass modische Vikarsfrauen ebenso sehr zum Schrumpfen der Gemeinden beitrugen wie modische Vikare. Mrs. Chance war ein ihr durchaus vertrauter Frauentyp: immerfort verzweifelt bemüht, »cool« zu sein, den neuesten Trends zu folgen und mit den Namen der neuesten Popgruppen um sich zu werfen.
Trixie war verschwunden. Indem sie einige Türen öffneten, die von der Diele abgingen, entdeckten sie das Arbeitszimmer. Arthur Chance saß an einem großen viktorianischen Schreibtisch, auf dem sich Papiere stapelten.
Er sprang auf und kam hinter dem Schreibtisch vor, um sie zu begrüßen. Seine blassen Augen hinter den dicken Brillengläsern leuchteten. Er ergriff Agathas Hände. »Teuerste, ich wusste, dass Sie kommen würden. Wie wunderbar von Ihnen, uns zu helfen!«
Agatha befreite ihre Hände. »Ich bin hier, um …«, begann sie.
Von draußen war trillerndes Lachen zu hören, und durchs Fenster sah Agatha, dass Trixie sich mit dem gutaussehenden Mann unterhielt.
»Wer ist der Mann?«, fragte sie und zeigte zum Fenster.
Verwundert drehte Arthur sich um. »Oh, das ist ein Gemeindemitglied, Mr. George Selby. So tragisch, seine Frau auf diese Weise zu verlieren! Er ist mir eine große Hilfe bei der Planung des Dorffestes. Er hat die Festzelte bestellt, falls es Regen gibt. Was sehr wichtig ist, bedenkt man die Launen des englischen Wetters, meinen Sie nicht auch, Mrs. Raisin?«
»Unbedingt«, sagte Agatha verträumt. »Vielleicht möchten Sie Mr. Selby hereinrufen, damit wir unser Vorgehen gemeinsam besprechen können?«
»Gewiss doch, gewiss.« Arthur eilte davon. Mrs. Bloxby unterdrückte ein Stöhnen. Ihr war klar, dass ihre Freundin wild entschlossen war, einer neuen Romanze nachzujagen. Und nicht zum ersten Mal wünschte sie sich, Agatha würde endlich erwachsen werden.
George Selby betrat das Arbeitszimmer hinter dem Vikar. Er lächelte Agatha zu. »Sind Sie sicher, dass Sie das machen wollen?«, fragte er. »Mr. Chance kann sehr überzeugend sein.«
»Es ist überhaupt kein Problem«, antwortete Agatha, die bereute, keine hohen Schuhe anstelle der altbackenen flachen Sandalen angezogen zu haben.
Ihr Optimismus erlitt einen Dämpfer, als man ihr das Programm beschrieb. Bei dem Fest sollte die Dorfkapelle spielen, und die hiesigen Morris-Tänzer wollten auftreten. Außerdem sollten der beste Kuchen, das beste Brot, die besten Pickles und die besten Relishes gekürt werden. Höhepunkt wäre die Auszeichnung der besten selbstgemachten Marmelade.
Nachdem der Vikar alles aufgezählt hatte, saß Agatha schweigend da. George schenkte ihr einen mitleidigen Blick aus seinen schönen grünen Augen, und da kam Agatha eine Idee.
»Ja, ich kann mich um die Werbung kümmern«, sagte sie. »Viel Zeit geben Sie mir zwar nicht, aber überlassen Sie ruhig alles mir.« Sie wandte sich an George. »Vielleicht können wir uns in der nächsten Woche mal zum Dinner treffen und die Fortschritte besprechen?«
Er zögerte ein wenig. »Eine glänzende Idee«, sagte der Vikar. »Gemeinsame Planung. Es gibt ein sehr gutes Restaurant in Mircester. Trixie, meine Frau, mag es besonders. La Belle Cuisine. Wie wäre es, wenn wir uns dort alle am Mittwochabend treffen? Um halb sieben.«
»Gut«, antwortete Agatha finster.
»Ja, das geht«, sagte George ohne jeglichen Enthusiasmus.
Agathas Mitarbeiter, bestehend aus den Detektiven Phil Marshall, Patrick Mulligan und der jungen Toni Gilmour sowie der Sekretärin Mrs. Freedman, erfuhren am Montagmorgen, dass die übliche Morgenbesprechung ausfiel. »Machen Sie einfach mit den Fällen weiter, mit denen Sie gerade beschäftigt sind«, sagte Agatha. »Ich muss ein Dorffest verkaufen.«
Toni war niedergeschlagen. Sie hatte es schon wieder mit einem Scheidungsfall zu tun, und die hasste sie. Doch während sie noch im Büro war, lauschte sie fasziniert, wie Agatha Raisin am Telefon zur PR-Frau des Schreckens wurde. »Ja, ich denke, Sie sollten einen Reporter schicken. Wir veranstalten hier einen echten Biokost-Tag. Gute, regionale, selbstgemachte Produkte und kein Supermarktmist. Und ich kann Ihnen eine Überraschung versprechen. Ja, hier ist Agatha Raisin. Nein, kein Mord, haha. Schicken Sie einfach einen Reporter.«
Der nächste Anruf. »Ich möchte mit Betsy Wilson sprechen.«
Toni erstarrte. Betsy Wilson war eine berühmte Popsängerin. »Sagen Sie ihr, hier ist Agatha Raisin. Hallo, Betsy, meine Liebe, erinnerst du dich an mich? Ich möchte, dass du nächsten Samstag ein Dorffest eröffnest. Ich weiß, dass du viel zu tun hast, aber zufällig weiß ich auch, dass du gerade zwischen zwei Gigs bist. Die Presse wird dort sein, und es ist gut für dein Image … Ein bisschen gutsherrinnenmäßig, also großer Hut, klassisches Sommerkleid, elegant – komm schon, bis ich mit dir fertig bin, bist du mit jemandem aus dem Hochadel verlobt. Ja, komm nur, und ich sehe mal, welchen namhaften Adligen ich an Land ziehen kann.« Dann wies sie Betsy an, um zwei Uhr mittags dort zu sein und beschrieb ihr den Weg nach Comfrey Magna.
»Dumm wie Brot«, murmelte Agatha, »aber sie kommt.«
»Sie ist berühmt!«, sagte Toni verblüfft. »Warum sollte sie kommen?«
»Weil ihre Karriere seit dieser Drogengeschichte schlingert«, antwortete Agatha. »Ich habe freiberuflich für sie gearbeitet und sie wieder auf die Bühne gebracht.«
Sie nahm den Telefonhörer wieder auf. »Nachrichtenredaktion? Vergessen Sie das mit der Biokost. Bessere Story: Das Dorffest wird von Betsy Wilson eröffnet. Ja, dachte ich mir, dass Sie da die Ohren spitzen.«
Toni wartete, bis Agatha das Telefonat beendet hatte. »Können Sie wirklich jemanden vom Hochadel bekommen?«, fragte sie dann.
»Natürlich nicht, aber die dämliche Kuh glaubt, ich schaffe alles.«
Beim Dinner am Mittwochabend wurde Agathas Neuigkeit, dass Betsy Wilson das Dorffest eröffnen würde, zwar von Trixie Chance begeistert aufgenommen, doch George Selby sagte beunruhigt: »Aber dann wird das Dorf von Teenagern und Presseleuten überrannt. Das wird eine Katastrophe!«
Agatha wurde panisch. Sie hatte inzwischen zwei Reporter von überregionalen Blättern und diverse Vertreter der Lokalblätter locken können.
»Ich hab’s«, sagte sie. »Vikar, Sie eröffnen das Fest mit einem Gebet. Besorgen Sie sich eine anständige Lautsprecheranlage. Denken Sie an die Größe der Gemeinde. Ich sage Betsy, sie soll Amazing Grace singen, das schafft die richtige Stimmung.«
Die Augen des Vikars leuchteten. »Ja, ich sehe es schon vor mir«, sagte er und schlug die Hände wie zum Gebet zusammen.
»Ich auch«, sagte George. »Überall Chaos und Müll.«
Trixie drückte seinen Arm. »Ach, Georgy Porgy, sei nicht so ein großer Brummbär! Die kleine Trixie ist total begeistert.«
Sie ist knapp einen Meter achtzig groß, dachte Agatha angesäuert, und Leute, die von sich selbst in der dritten Person sprechen, sind ausnahmslos entsetzlich langweilig.
»Es wird wunderbar«, sagte Agatha. »Danach kennt jeder Comfrey Magna!«
Sie fragte sich, wie sie es hinbekommen könnte, einen Abend allein mit George zu arrangieren. Sie durfte nicht zu bedürftig wirken. Das rochen Männer über zwei Kontinente hinweg.
Während des Essens bemühte George sich vergebens, gegen den Popstarbesuch zu votieren. Der Vikar und seine Frau waren viel zu aufgeregt, um ihm zuzuhören.
Schlimmer noch war, dass George begann, Agatha mit etwas wie Abneigung in diesen grasgrünen Augen anzusehen.
Er beugte sich über den Tisch, unterbrach den Vikar inmitten seiner enthusiastischen Planung und sagte frostig: »Ich habe entschieden, dass ich hierbei wirklich nicht mehr mitmachen will.«
»Aber George«, jammerte Trixie, »wir sind auf dich angewiesen, was das Beschaffen der Festzelte und so angeht!«
»Sicher kann die so versierte Mrs. Raisin das für mich übernehmen. Ich war ohnehin bloß eingesprungen, weil Saint Odo eine schöne Kirche ist und das Fest eine Möglichkeit bietet, Geld für die notwendigen Reparaturen und für einige andere gute Zwecke einzunehmen.«
»Hören Sie«, sagte Agatha, die Panik bekam, weil George über den flachen Horizont ihres gegenwärtig männerlosen Lebens zu verschwinden drohte, »ich habe eine Idee, mit der Sie genug Geld einnehmen können, um eine Kathedrale zu bauen. Es bedeutet nur einen Tag Chaos. Sie stellen Sperren an den beiden Straßen auf, die in den Ort führen, und nehmen fünf Pfund Eintritt pro Kopf. Warum bitten Sie nicht ein paar Farmer, Ihnen ihre Felder als Parkflächen zur Verfügung zu stellen. Haben Sie Pfadfinder?«
»Ja, haben wir«, antwortete der Vikar.
»Dann machen Sie die zu Parkplatzeinweisern, und, schwups, haben Sie ein Vermögen.«
Stille trat ein. Der Vikar sah aus, als hätte ihm eben jemand den Heiligen Gral überreicht. George lächelte verhalten.
»Ich denke, das könnte funktionieren. Uns bleibt nicht viel Zeit.«
»Berufen Sie für morgen eine Notfall-Gemeindeversammlung ein«, schlug Agatha vor.
»Es sind nur noch wenige Tage«, warnte George.
»Wir können es schaffen«, beteuerte Agatha. »Das weiß ich.«
»Was ist mit all den Massen, die kommen werden? Wir müssen die Polizei informieren.«
Agatha wollte sich die Reaktion ihres Freundes, Detective Sergeant Bill Wong, lieber nicht vorstellen. »Ich regle das«, sagte sie. »Und ich heuere eine Sicherheitsfirma für den Bereich an, in dem das Fest stattfindet.«
»Sie sind ein Engel!«, konstatierte der glückliche Vikar.George hingegen wirkte nach wie vor skeptisch. »Ich habe kein gutes Gefühl dabei.«
Das Dinner endete um acht, weil der Vikar gern zeitig aß und früh ins Bett ging.
Agatha blickte George sehnsüchtig hinterher, als er in seinem gut geschnittenen Jackett zu seinem Wagen ging.
Sie musste mehr über ihn herausfinden. Sicher wusste Mrs. Bloxby etwas.
Später an dem Abend hörte sich Mrs. Bloxby voller Sorge Agathas Pläne an. Und während Agatha energisch voranpreschte, kam es der Vikarsfrau vor, als wäre jeder Widerspruch zwecklos. Als Agatha schließlich die unglaubliche Schönheit des Cotswolds-Frühlings pries und sich auf den Nachhauseweg machte, unterdrückte Mrs. Bloxby ein Seufzen. Anscheinend steuerten hauptsächlich Hormone Agathas Wahrnehmung von Schönheit. Hätte sie doch nur nicht den Mann auf dem Friedhof gesehen! Agatha war auf dem Weg in eine neue Obsession, und solange diese dauerte, wären die Cotswolds wundervoll und hätte jeder Popsong eine besondere Bedeutung.
Am Freitagabend erhielt Agatha Besuch von einem sehr verärgerten Bill Wong. »Sie hätten als Erstes mir sagen müssen, was Sie planen«, beschwerte er sich. »Und ich hätte alles getan, was ich kann, um Sie zu stoppen. Betsy Wilson! Ebenso gut hätten Sie Celine Dion buchen können!«
Die Nachricht, dass Agatha eine private Sicherheitsfirma engagiert hatte, die versprach, so viele Männer wie möglich auf dem Gelände zu platzieren, versöhnte ihn nur wenig.
Bill war der Sohn eines chinesischen Vaters und einer englischen Mutter aus Gloucestershire. Er hatte die Augen seines Vaters geerbt, und die betrachteten Agatha nun misstrauisch. »Wer ist er?«, fragte Bill.
»Er? Wer?«
»Sie haben sich in jemanden verliebt.«
»Bill, können Sie nicht ausnahmsweise mal positiv von mir denken? Ich tue das für einen guten Zweck.«
»Das behaupten Sie. Ich werde am Samstag dort sein.«
»Was macht eigentlich Ihr Liebesleben?«, konterte Agatha. »Sind Sie noch mit meiner jungen Detektivin Toni Gilmour zusammen?«
»Wir treffen uns, wenn wir beide ein bisschen Freizeit haben, aber …«
»Aber was?«
»Agatha, könnten Sie versuchen herauszufinden, wie sie zu mir steht? Toni ist sehr liebevoll und mag mich, aber da ist kein Funken, kein Hauch von Leidenschaft. Mutter und Vater mögen sie sehr.«
Agatha sah ihn prüfend an. »Ihnen ist klar, dass Sie nicht mit einer Frau zusammenbleiben dürfen, nur weil Ihre Eltern sie mögen, oder? Verzehren Sie sich nach ihr?«
»Seien Sie nicht peinlich.«
»Na gut. Ich finde heraus, was sie denkt.«
Agatha, die auf ihrem Küchenstuhl gesessen hatte, erhob sich geschmeidig, um ihn zur Tür zu begleiten.
»Sie haben eine neue Hüfte!«, rief Bill aus.
»Unsinn. Es war gar keine Arthritis, nur ein gezerrter Muskel.«
Agatha hatte nicht vor, Bill oder irgendwem sonst zu erzählen, dass sie eintausend Pfund im Nuffield Hospital in Cheltenham für eine Hüftinjektion bezahlt hatte. Der Chirurg hatte sie gewarnt, dass sie bald eine neue Hüfte brauchen würde, doch da sie fürs Erste schmerzfrei war, vergaß Agatha seine Worte. Arthritis hörte sich zu alt an. Sicher war es bloß ein gezerrter Muskel gewesen.
George Selby musste sich eingestehen, dass die Sache ein Erfolg zu werden versprach. Betsy Wilson war eine dieser raren Popgestalten, die sowohl Familien als auch Teenager ansprach. Und er musste auch zugeben, dass ohne ihre Eröffnung des Dorffests nur wenige Leute gekommen wären. Als Höhepunkt des Fests galt die Preisverleihung für die beste selbstgemachte Marmelade. Dafür waren kleine Schälchen mit Marmelade vorbereitet worden, aus denen die Leute probierten und dann einen Zettel mit dem Namen ihres Favoriten in eine Wahlurne warfen.
Aus einem wolkenlosen Himmel schien die Sonne auf die schöne Frühlingslandschaft. Der Frühlingsanfang war kalt und nass gewesen, doch jetzt, in der plötzlichen Wärme, schien alles auf einmal zu blühen: Kirschen und Flieder, Blauregen, Weißdorn und all die prächtigen Obstbäume in den Gärten des Dorfes.
Betsy Wilson, die ein hauchdünnes, mit Rosen verziertes Kleid trug, hielt eine kurze Ansprache, faltete die Hände und sang ihren neuesten Hit, Every Other Sunday. Es war eine traurige Ballade. Ihre klare, junge Stimme wehte hinauf in die Hügel der Cotswolds, und selbst die hartgesottensten Presseleute standen lauschend da.
Sie sang noch zwei Balladen, endete mit Amazing Grace und wurde dann von ihren eigenen Sicherheitsleuten zu einer Stretchlimousine gebracht. Ihre Begleitband packte zusammen und ging, um von der Dorfkapelle ersetzt zu werden.
Dann zupfte Toni, die mit Agatha gekommen war, an Agathas Ärmel. »Das ist komisch.«
»Was ist komisch?«, fragte Agatha.
»Die vielen Teenager, die vorm Marmeladenzelt anstehen.«
»Aha? Hätte ich geahnt, dass das so beliebt ist, hätte ich Eintritt verlangt.«
»Könnte jemand in dem Zelt Drogen verticken?«, fragte Toni.
»Warum?«
»Weil einige von denen, die wieder herauskommen, weggetreten aussehen.«
Agatha wollte zu dem Zelt gehen, als sie Schreie und Unruhe aus Richtung der Kirche bemerkte. Leute zeigten nach oben. Dort stand eine Frau auf der quadratischen Spitze des normannischen Turms, die Arme seitlich weit ausgestreckt. Als Agatha, dicht gefolgt von Toni, zur Kirche rannte, hörte sie jemanden sagen: »Das ist die alte Mrs. Andrews. Sie hat irgendwas davon gebrabbelt, dass sie fliegen kann.«
Agatha sah George in die Kirche laufen und eilte ihm nach, Toni dicht auf ihren Fersen. Agatha stürmte die Treppe hinauf und stolperte atemlos auf das Turmdach.
Mrs. Andrews stand auf der Brüstung. »Ich kann fliegen«, sagte sie verträumt. »Genau wie Superman.«
George sprang auf sie zu – aber zu spät.
Mit einem befremdlichen Kichern segelte Mrs. Andrews ins Leere. George, Agatha und Toni beugten sich über die Brüstung. Unten lag die zerschmetterte Mrs. Andrews auf einer Grabplatte, und um ihren Kopf bildete sich eine dunkle Blutlache.
George war kreidebleich. »Was ist nur in sie gefahren? Sie war eine vollkommen vernünftige Frau.«
»Die Marmelade«, sagte Toni plötzlich. »Ich glaube, jemand hat was in die Marmelade getan.«
»Laufen Sie nach unten und sagen Sie den Sicherheitsleuten, sie sollen das verfluchte Zelt absperren«, wies Agatha sie an.
Sie wollte hinter Toni her, als George ihren Arm packte. »Was ist mit der Marmelade?«
»Toni ist aufgefallen, dass sehr viele Teenager vor dem Marmeladenzelt anstehen und weggetreten aussehen, wenn sie wieder herauskommen. Ich muss da runter.«
Als sie aus der Kirche liefen, kam ihnen eine verzweifelte Frau entgegen. »Rufen Sie einen Krankenwagen! Die alte Mrs. Jessop ist in den Fluss gesprungen.«
Die Polizei begann, alle Anwesenden über Lautsprecher aufzufordern, sich nicht von der Stelle zu rühren, ehe sie befragt worden waren.
»Das sind Tausende«, stöhnte Toni. »Ich habe Bill schon gesagt, dass mit der Marmelade etwas nicht stimmt.«
Sir Charles Fraith, ein Freund von Agatha, legte die Füße auf einen Hocker in seinem Wohnzimmer und schaltete die BBC-Nachrichten im Fernsehen ein.
Vom Bildschirm sprang ihm geradezu Agathas panisches Gesicht entgegen. »Ich weiß auch nicht, was passiert ist«, sagte sie zu dem Reporter. »Ich glaube, irgendein Irrer hat etwas in die Marmeladen getan.«
Der Reporter beschrieb die Ereignisse auf Agathas katastrophalem Dorffest. Abgesehen davon, was mit Mrs. Andrews und Mrs. Jessop geschehen war, hatten zwei weitere Dorfbewohner Herzattacken erlitten.
Die Kamera schwenkte über das Dorf. Es sah aus, als wäre die gesamte Polizei der Gegend vor Ort und notierte Namen und Adressen. Sie werden Agatha nie verzeihen, was sie dies allein an Arbeitszeit und Personaleinsatz kostet, dachte Charles. Ich fahre heute Abend zu ihr und kehre die Scherben zusammen.
Als sich die Dämmerung über die Cotswolds senkte und die Blüten im schwindenden Licht weißlich schimmerten, herrschte überall Ruhe und Frieden – außer in Comfrey Magna.
In dem von grellen Halogenstrahlern erhellten Zelt saßen die beiden Organisatorinnen der Marmeladenverkostung, Mrs. Glarely und Mrs. Cranton, leise weinend beieinander.
Agatha und Toni wurden in dem Zelt zum hundertsten Mal befragt, wie es Agatha vorkam.
Ihr gegenüber saß Detective Inspector Wilkes, flankiert von Detective Sergeant Collins. Bill Wong war von Collins verdrängt worden, einer unangenehmen, aggressiven Frau, die Wilkes darauf hingewiesen hatte, dass Bill wegen seiner Freundschaft mit Agatha voreingenommen war und deshalb aus der Befragung herausgehalten werden musste. Collins hatte gesagt, sie würde zur Metropolitan Police wechseln, doch Bill hatte das ungute Gefühl, dass sie dort abgelehnt worden war. Hinter Agatha warteten der Vikar, seine Frau und George darauf, erneut befragt zu werden.
»Also, diese Betsy Wilson«, sagte Wilkes, »war doch vor einigen Jahren in einen Drogenskandal verwickelt.«
»Sie ist clean«, entgegnete Agatha. »Und sie war nicht mal in der Nähe des Marmeladenzelts. Betsy ist direkt auf die Bühne gegangen. Ihre Band war früh gekommen und hatte aufgebaut. Betsy hat ihre Songs gesungen und ist wieder weggefahren.«
»Was ist mit den Bandmitgliedern?«, fragte Collins. Sie hatte ihr Haar so stramm zurückgebunden, dass sich Agatha fragte, warum ihr nicht die Augen tränten. »Die nehmen alle Drogen. Vorausgesetzt es waren Drogen und kein fieses hiesiges Kraut in den Marmeladen.«
»Ich glaube, es war LSD«, sagte Toni auf einmal. »Ich habe darüber nachgedacht, und das ist ein Halluzinogen.«
»Und wie kommt es, dass Sie das wissen, junges Fräulein?«, fragte Wilkes.
»Von dem Fall, den wir Anfang des Jahres an das Worcester CID übergeben haben«, antwortete Toni. »Erinnern Sie sich, Agatha? Eine Mutter dachte, dass ihr Sohn Drogen nimmt. Ich bin ihm zu diesem Club in Evesham gefolgt und habe gesehen, dass sie da ziemlich offen Blotter verteilten. Dann habe ich die Polizei informiert, und die hat eine Razzia in dem Club gemacht.«
»Was sind Blotter?«
»LSD wird normalerweise auf kleinen Löschpapierquadraten verteilt, die Blotter heißen«, erklärte Toni. »Es handelt sich um eine farblose Flüssigkeit. Jemand musste nur ein paar Tropfen in jedes der Marmeladenschälchen geben. Ich habe gehört, hier wurde alles am Morgen aufgebaut, und danach sind die Organisatorinnen nach Hause zum Frühstück gegangen. Es könnte eine gute Idee sein, die Drogenquelle zu finden. LSD ist heute in den Clubs nicht mehr so verbreitet. Ecstasy, Crack oder Heroin sind angesagter.«
Toni war eine hübsche Achtzehnjährige mit naturblondem Haar, und Collins warf ihr einen hasserfüllten Blick zu. »Sie scheinen eine Menge über Drogen zu wissen.«
»Das ist mein Job«, sagte Toni. »Ich bin Detektivin. Deshalb habe ich auch herausgefunden, dass unsere beiden Organisatorinnen das Zelt verlassen hatten. Bis es dann für alle geöffnet wurde, waren die Marmeladenschälchen mit einem weißen Tuch bedeckt, das mit Reißzwecken fixiert war. Und geöffnet wurde das Zelt erst nach Betsys Auftritt.«
»Wir waren es nicht!«, heulte Mrs. Glarely.
»Wir brauchen die Namen von allen Frauen, die Marmeladen für den Wettbewerb eingereicht haben«, sagte Wilkes und seufzte. »Sind das viele?«
»Nur sechs«, antwortete Toni und holte ein Notizbuch hervor. »Ich habe die Namen und Adressen.«
»Gut gemacht, Mädchen«, sagte Wilkes, und Agatha empfand einen kleinen Anflug von Eifersucht. Sie war müde und erschöpft, während Toni aussah wie das blühende Leben. Hatte George Toni bemerkt? Das war das Problem mit Männern mittleren Alters. Sie durften sich an sehr viel jüngere Frauen heranmachen. Frauen mittleren Alters, die ein Auge auf jüngere Männer warfen, nannte man Kinderschänderinnen.
»Und Mrs. Cranton sagt«, fuhr Toni fort, »dass abgesehen von diesen Frauen vor der offiziellen Eröffnung nur Mr. George Selby, der Vikar und seine Frau und ein Schweinezüchter namens Hal Bassett im Zelt …«
»Was macht ein Schweinezüchter vor der Öffnung im Marmeladenzelt?«, unterbrach Wilkes sie.
»Er hatte versucht, vorher schon mal zu naschen. Angeblich isst er selbstgemachte Marmelade löffelweise. Und dann war da noch Miss Triast-Perkins vom Herrenhaus. Sie hat behauptet, nachsehen zu wollen, ob auch alles ordentlich aussieht. Sie meinte, dass Mrs. Raisin das Dorf mit diesem ganzen Zirkus ruinieren will.«
Agatha hasste es, ausgeschlossen zu sein. »Können wir das nicht auf morgen früh vertagen?«, flehte sie.
»Da muss ich ohnehin hier sein, wenn die Leute die Festzelte abbauen und wieder wegfahren«, sagte George.
»Nur noch wenige Fragen«, erwiderte Collins spitz.
Und so ging es bis beinahe Mitternacht weiter, als man ihnen sagte, sie dürften alle gehen, müssten sich aber morgen in der mobilen Polizeieinheit melden, die es dann im Dorf gäbe.
Als sie aus dem Zelt gingen, fragte Agatha George: »Wissen Sie, wie viel eingenommen wurde?«
»Der Vikar will das Geld zählen. Es müssen Tausende sein. Natürlich werden wir die Angehörigen von Mrs. Andrews und Mrs. Jessop entschädigen müssen, ganz zu schweigen von den Leuten, die krank geworden sind.«
Agatha wollte vorschlagen, dass man ihr die Kosten für die Sicherheitsfirma erstattete, entschied jedoch, dass es gefühllos klingen könnte. Sie überlegte fieberhaft, wie sie eine Verabredung mit George arrangieren könnte, da hörte sie den Vikar nach ihr rufen.
Widerwillig drehte sie sich um, während George davoneilte. »Mrs. Raisin«, sagte Arthur Chance, »das ist eine entsetzliche Geschichte. Ich möchte Ihre Detektei engagieren, denjenigen zu finden, der hierfür verantwortlich ist.«
Trixie plusterte sich auf. »Hier wimmelt es doch schon von Polizei!«
»Mrs. Raisins Detektei hat einen guten Ruf«, entgegnete der Vikar streng.
»Ich mache es«, sagte Agatha. »Ich fühle mich mitverantwortlich.«
»Das sollten Sie auch.« Trixie warf ihr langes Haar zurück. »Wo ist George?«
»Ich glaube, er ist nach Hause gegangen«, antwortete Agatha. »Ich bin gleich morgen früh wieder hier.«
Sie ging zu ihrem Wagen, wo Toni auf sie wartete. »Wir sind engagiert worden«, sagte Agatha. »Ich denke, Sie und ich sollten uns auf diesen Fall konzentrieren und die anderen Aufträge Phil und Patrick überlassen.« Plötzlich fiel Agatha Bills Bitte wieder ein. »Wie läuft es mit Ihnen und Bill?«
»Gut.«
»Wahnsinnig verliebt?«
»Wir sind nur Freunde. Mehr ist es nicht. Weder für ihn noch für mich. Aber der arme Bill denkt, es sollte mehr sein, bloß weil seine Eltern es so wollen.« Toni hatte darüber nachgedacht, die Detektei zu verlassen und Polizistin zu werden, aber sie verdankte Agatha eine Menge. Agatha hatte sie aus einem brutalen Zuhause gerettet. Wenn dieser Fall vorbei war, fand Toni vielleicht den Mut zu gehen.
»Wir sehen uns im Büro«, sagte Agatha und unterdrückte ein Gähnen. »Sagen wir um acht Uhr. Ich rufe Phil und Patrick an, damit sie auch kommen.«
Als Agatha auf ihr Cottage zusteuerte, sah sie Charles’ Wagen draußen parken. Verärgert runzelte sie die Stirn. Ihr war nicht danach, sich jetzt mit Charles abzugeben, und ihr gefiel nicht, dass er ihr Cottage als ein Hotel betrachtete.
Sie schloss die Haustür auf. Charles schlief vor dem laufenden Fernseher auf dem Sofa. Agatha schaltete das Gerät aus und ging nach oben, ohne Charles zu wecken. Obwohl sie sehr müde war, konnte sie nicht schlafen. Sie wälzte sich hin und her und dachte an die Ereignisse des katastrophalen Tages. Alles hatte so gut angefangen. Lauter heiter gestimmte Leute waren ins Dorf geströmt und zu einer Wiese gekommen, wo die Bühne für Betsy aufgebaut worden war. Wie hübsch sie in ihrem zarten Kleidchen ausgesehen hatte, das in der leichten Brise aufwehte. Nachdem Betsy wieder weggefahren war, hatten sich auch viele Besucher auf den Heimweg gemacht. Und dann war die arme Mrs. Andrews vom Turm geflogen. Wer könnte LSD – falls es das denn war – in die Marmeladen getan haben? Agatha dachte an Tonis knappen und präzisen Bericht. Ihre junge Detektivin hatte sie richtig dumm dastehen lassen. Und dabei war Agatha hin und her geeilt, um alles von den Sicherheitsleuten absperren zu lassen. Schließlich fiel sie in einen Albtraum, in dem Trixie und George sie auslachten, weil sie splitterfasernackt beim Dorffest erschienen war.
Morgens quälte sie sich aus dem Bett. Sie war wie erschlagen vor Müdigkeit. Nach dem Duschen und Anziehen lief sie nach unten. Charles schlief immer noch auf dem Sofa, die Kater neben ihm. Agatha schrieb ihm eine Nachricht, dass er die Kater füttern und in den Garten lassen sollte, dann fuhr sie zu ihrem Büro nach Mircester.