Agatha Raisin und der tote Göttergatte - M. C. Beaton - E-Book
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Agatha Raisin und der tote Göttergatte E-Book

M.C. Beaton

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Beschreibung

Agatha Raisin kommt es nach einer aufregenden Zeit ganz gelegen, dass Robert Smedley sie lediglich damit beauftragt, zu beweisen, dass seine Frau Mabel ihn betrügt. Agatha übernimmt den Fall mit größtem Vergnügen. Leider scheint Mabel die perfekte Ehefrau zu sein: jung, hübsch und eine regelmäßige Kirchgängerin. Von Betrug weit und breit keine Spur. Aber just, als Agatha den Fall ad acta legen will, wird Robert Smedley mit Unkrautvernichter umgebracht - und seine Witwe damit zur Hauptverdächtigen ...



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Inhalt

Cover

Über das Buch

Über die Autorin

Titel

Impressum

Widmung

Eins

Zwei

Drei

Vier

Fünf

Sechs

Sieben

Acht

Neun

Zehn

Elf

Zwölf

Epilog

Über das Buch

Agatha Raisin kommt es nach einer aufregenden Zeit ganz gelegen, dass Robert Smedley sie lediglich damit beauftragt, zu beweisen, dass seine Frau Mabel ihn betrügt. Agatha übernimmt den Fall mit größtem Vergnügen. Leider scheint Mabel die perfekte Ehefrau zu sein: jung, hübsch und eine regelmäßige Kirchgängerin. Von Betrug weit und breit keine Spur. Aber just, als Agatha den Fall ad acta legen will, wird Robert Smedley mit Unkrautvernichter umgebracht – und seine Witwe damit zur Hauptverdächtigen …

Über die Autorin

M.C. Beaton ist eines der zahlreichen Pseudonyme der schottischen Autorin Marion Chesney. Nachdem sie lange Zeit als Theaterkritikerin und Journalistin für verschiedene britische Zeitungen tätig war, beschloss sie, sich ganz der Schriftstellerei zu widmen. Mit ihren Krimi-Reihen um den schottischen Dorfpolizisten Hamish Macbeth und die englische Detektivin Agatha Raisin feiert sie bis heute große Erfolge in über 15 Ländern. M.C. Beaton lebt und arbeitet in einem Cottage in den Cotswolds.

M.C. BEATON

Agatha Raisin

und der tote Göttergatte

Kriminalroman

Aus dem Englischen von Sabine Schilasky

Vollständige E-Book-Ausgabedes in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes

Für die Originalausgabe:Copyright © 2005 by Marion ChesneyPublished by Arrangement with Marion Chesney Gibbons Titel der englischen Originalausgabe: »The Perfect Paragon«Originalverlag: St. Martin’s Press

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30161 Hannover.

Für die deutschsprachige Ausgabe:Copyright © 2021 by Bastei Lübbe AG, KölnTextredaktion: Anke Pregler, RösrathUmschlaggestaltung: Kirstin OsenauCovermotiv: © Arndt Drechsler, LeipzigeBook-Erstellung: two-up, Düsseldorf

ISBN 978-3-7325-9459-7

luebbe.delesejury.de

Für Dawn und Clive Simonssowie ihre Töchter Keriann und Kimberlee,in Liebe

Eins

Alle im Dorf Carsely waren sich einig, dass sie einen solchen Frühling noch nie erlebt hatten.

Mrs. Bloxby, die Vikarsfrau, trat hinaus in ihren Garten und atmete tief die frische, duftende Luft ein. Niemals zuvor hatte sie eine solche Blütenpracht gehabt. Die Fliedersträucher bogen sich unter dem Gewicht der violetten und weißen Blüten. Die Weißdornhecken verwandelten die Landstraßen in Prachtalleen. Clematis ergossen sich Wasserfällen gleich über die Mauern, und Blauregen zierte den goldenen Stein der Cottages mit seinen zartlila Blüten. Sämtliche Bäume waren leuchtend grün. Es war, als hätte sich die Landschaft einen dichten Pelz aus Laub und Blumen übergeworfen.

Die wenigen Miesepeter im Dorf schüttelten die Köpfe und sagten, es sei ein schlechtes Omen und kündige einen harten Winter an. Die Natur habe ihre eigenen rätselhaften Wege, sich zu schützen.

Die Pfarrhausklingel läutete, und Mrs. Bloxby ging an die Tür, um zu öffnen. Draußen stand Agatha Raisin, untersetzt und eigenwillig mit einer Sorgenfalte zwischen den Brauen.

»Kommen Sie rein«, sagte Mrs. Bloxby. »Warum sind Sie nicht im Büro? Gibt es keine Fälle zu lösen?«

Agatha betrieb eine Detektei in Mircester. Und wie immer dieser Tage war sie gut gekleidet. Sie trug einen Hosenanzug, und ihr schimmerndes braunes Haar war modisch geschnitten. Doch ihre kleinen braunen Augen blickten besorgt drein.

Mrs. Bloxby ging voraus in den Garten. »Kaffee?«

»Nein«, antwortete Agatha. »Den hatte ich schon literweise. Ich wollte eigentlich nur plaudern.«

»Na, dann plaudern Sie los.«

Agatha fühlte, wie sie eine wohlige Ruhe beschlich. Mrs. Bloxby mit ihren sanften Augen und ihrem grauen Haar hatte stets eine beruhigende Wirkung auf sie.

»Ich könnte einen richtig großen Fall gebrauchen. Alles scheint so banal, ständig nur entlaufene Katzen und Hunde. Und ich will nicht in die roten Zahlen rutschen. Miss Simms, die für mich als Sekretärin gearbeitet hat, ist mit meinem Vollzeitdetektiv Patrick Mulligan auf und davon. Er ist pensioniert und hat nun endgültig genug von der Arbeit. Sammy Allen hat sich um die Fotos gekümmert, und Douglas Ballantine ist für alles Technische zuständig gewesen, doch beide musste ich entlassen, weil einfach nicht genug Arbeit da ist. Dann ist da noch Sally Fleming, Patricks Nachfolgerin, die mir von einer Londoner Detektei abgeworben wurde, und mein Schatz von Sekretärin, Mrs. Edie Frint, hat wieder geheiratet und deshalb aufgehört. Vielleicht ist das Problem, dass ich keine Scheidungsfälle mehr angenommen habe. Dabei hätten mir die Anwälte gute Aufträge zugeschanzt.«

Da Agatha von James Lacey, der Liebe ihres Lebens, geschieden war, vermutete Mrs. Bloxby, dass sie sich deshalb nicht mit diesem Thema beschäftigen wollte.

»Vielleicht sollten Sie doch ein paar Scheidungsfälle annehmen, um sich finanziell zu erholen«, sagte sie. »Gewiss wollen Sie keine Mordfälle mehr lösen.«

»Ein Mord wäre mir allemal lieber als eine Scheidung«, murmelte Agatha.

»Kann es sein, dass Sie zu viel gearbeitet haben? Eventuell brauchen Sie ein paar freie Tage. Ich meine, es ist ja ein herrlicher Frühling.«

»Wirklich?« Agatha sah zu der Blütenpracht und stellte fest, dass sich ihr Städterblick nie ganz auf das Landleben eingestellt hatte. Sie hatte ihre erfolgreiche PR-Agentur verkauft und war vorzeitig in den Ruhestand gegangen. Schon seit der Kindheit hatte sie davon geträumt, irgendwann in den Cotswolds zu leben, doch die Stadt mit all ihrem Trubel und ihrer Hektik steckte nach wie vor in ihr.

»Wen haben Sie als Ersatz für Patrick und Miss Simms gefunden? Sind Sie sicher, dass Sie nichts möchten? Ich habe Scones gebacken.«

Agatha war versucht, aber ihr Hosenbund zwackte bereits. Sie schüttelte den Kopf. »Mal überlegen … Tja, da wäre Mrs. Helen Freedman aus Evesham als Sekretärin. Sie ist mittleren Alters, kompetent und ein echter Glücksgriff. Um die Detektivarbeit kümmere ich mich selbst.«

»Und was ist mit den technischen Sachen?«

»Da suche ich noch jemanden. Fachleute sind nur so teuer.«

»Was ist mit Mr. Witherspoon aus dem Dorf? Er ist ein versierter Fotograf und kennt sich sehr gut mit Computern aus.«

»Ich kenne Mr. Witherspoon. Er muss an die hundert Jahre alt sein.«

»Nicht doch. Er ist erst sechsundsiebzig, und das ist heutzutage doch noch recht jung.«

»Ist es nicht. Ehrlich, sechsundsiebzig ist steinalt.«

»Warum besuchen Sie ihn nicht mal? Er wohnt im Rose Cottage bei der Schule.«

»Nein.«

Mrs. Bloxbys sonst so sanfter Blick wurde ein wenig härter, und Agatha sagte hastig: »Andererseits schadet es nichts, wenn ich mal bei ihm vorbeischaue.« Agatha Raisin wurde mit so gut wie allem fertig, doch die kleinste Andeutung von Verärgerung bei der Vikarsfrau ließ sie verlässlich einknicken.

Trotz des Namens waren am Rose Cottage keine Rosen zu sehen. Der Vorgarten war geteert, um als Parkplatz für Mr. Witherspoons alten Ford herzuhalten. Sein Cottage war eines von den moderneren in Carsely, ein hässlicher zweigeschossiger Rotklinkerbau. Agatha kannte Mr. Witherspoon nur vom Sehen, beschloss jedoch, dass sie niemanden mit so einem schlechten Geschmack mögen könnte.

Sie wollte eben klingeln, da ging die Tür auf, und Mr. Witherspoon stand vor ihr. »Sind Sie hier, um mir einen Job anzubieten?«, fragte er vergnügt.

So sehr sie Mrs. Bloxby auch liebte, Agatha hätte sie in diesem Moment erwürgen können. Sie hasste es, manipuliert zu werden, und anscheinend tat Mrs. Bloxby gerade genau das.

»Weiß ich nicht«, antwortete Agatha schroff. »Kann ich reinkommen?«

»Unbedingt. Ich habe gerade Kaffee gekocht.«

Sie muss ihn direkt angerufen haben, als ich weg war, dachte Agatha. Sie folgte dem Mann in ein Zimmer, das zu einem Büro umfunktioniert war.

Alles war makellos sauber und ordentlich. Am Fenster stand ein Computertisch, der zu beiden Seiten von Regalen mit Akten flankiert war. In der Zimmermitte befand sich ein kleiner runder Tisch mit zwei Stühlen. An der Wand gegenüber dem Fenster waren Regale, auf denen zahlreiche Kameras und Objektive lagen.

»Setzen Sie sich bitte«, sagte Mr. Witherspoon. »Ich hole den Kaffee.«

Er war durchschnittlich groß und hatte dichtes graues Haar. Sein Gesicht war eher zerknautscht als faltig – so als müsste man bloß mit einem Bügeleisen darübergehen, damit es wieder wie früher aussah. Und er war schlank.

Kein Bierbauch, dachte Agatha. Dann kann er zumindest kein Trinker sein.

Wenig später war er mit einem Tablett zurück, auf dem sich alles für den Kaffee und ein Teller Scones befanden.

»Schwarz, bitte«, sagte Agatha. »Darf ich hier rauchen?«

»Nur zu.«

Na, das ist schon mal ein Pluspunkt, dachte sie.

»Ich hole einen Aschenbecher. Nehmen Sie sich einen Scone.«

Als er aus dem Zimmer war, starrte Agatha misstrauisch zu dem Teller. Sie nahm einen Scone und biss hinein. Ja, er stammte von Mrs. Bloxby. Das hätte Agatha schwören können. Wieder fühlte sie sich manipuliert und empfand eine boshafte Freude bei dem Gedanken, Mr. Witherspoon abzulehnen.

Er kam wieder und stellte Agatha einen großen Glasaschenbecher hin.

Dann setzte er sich ihr gegenüber hin und fragte: »Was kann ich für Sie tun?«

»Es ist nur ein Höflichkeitsbesuch«, antwortete Agatha.

Ein Hauch von Enttäuschung spiegelte sich in seinen blassgrünen Augen.

»Wie nett. Was macht die Detektei?«

»Momentan ist nicht viel zu tun.«

»Wie seltsam. Es gibt so viel Untreue in den Cotswolds, dass ich gedacht hätte, Sie wären ausreichend beschäftigt.«

»Ich übernehme keine Scheidungsfälle mehr.«

»Schade, denn mit denen ist Geld zu machen. Nehmen wir beispielsweise Robert Smedley drüben in Ancombe. Er ist sehr reich, hat eine Elektrofirma. Und er ist krankhaft eifersüchtig und denkt, dass seine Frau ihn betrügt. Er würde alles bezahlen, um das herausfinden zu lassen.«

Einen Moment sahen sie einander stumm an. Ich brauche wirklich Geld, dachte Agatha.

»Aber er hat mich nicht angesprochen«, sagte sie schließlich.

»Ich könnte dafür sorgen, dass er es tut.«

Agatha verfügte über ein passables Vermögen, Aktien und Beteiligungen. Aber sie wollte keine dieser traurigen Gestalten werden, deren Ersparnisse von einem erfolglosen Geschäft verschlungen wurden.

Also sagte sie zögerlich: »Dann bräuchte ich jemanden, der sich mit Abhörvorrichtungen auskennt und fotografieren kann.«

»Das könnte ich machen.«

»Manchmal bedeutet das lange Arbeitstage.«

»Ich bin gut in Form.«

»Mal überlegen. Heute ist Sonntag. Wenn Sie mit Mr. Smedley reden und morgen mit ihm ins Büro kommen, lasse ich Mrs. Freedman einen Vertrag für Sie aufsetzen. Sagen wir, einen Monat Probezeit?«

»Einverstanden. Sie werden es nicht bereuen.«

Agatha stand auf. »Vergessen Sie nicht, Mrs. Bloxby für die Scones zu danken«, sagte sie zum Abschied.

Draußen wurde ihr bewusst, dass sie vergessen hatte zu rauchen, und sie steckte sich eine Zigarette an. Das war das Problem mit all den Nichtrauchern dieser Tage. Es war beinahe, als würde ihre Ablehnung die Luft verpesten und einen zwingen, sich eine Zigarette anzustecken, selbst wenn man es gar nicht wollte.

Die Tradition im Frauenverein von Carsely verlangte es, dass sich die Damen im Dorf alle mit Nachnamen ansprachen. Folglich war Mrs. Freedman auch im Büro Mrs. Freedman. Doch Mr. Witherspoon stellte sich direkt als Phil vor.

Agatha war verärgert, als Phil allein erschien, aber er sagte, dass Robert Smedley später nachkomme. Nachdem er nichts wegen des bescheidenen Gehalts gesagt hatte, das Agatha ihm anbot, bekam sie ein schlechtes Gewissen und versprach ihm mehr, sollte sie mit seiner Arbeit zufrieden sein.

Das Büro war ein niedriger Raum über einem Laden im Altstadtkern von Mircester nahe der Abtei. Agatha und Mrs. Freedman hatten beide Schreibtische am Fenster. Phil sollte Patricks alten Schreibtisch an der Wand bekommen. Es gab ein Chintzsofa, einen niedrigen Couchtisch sowie zwei Sessel für Besucher. Aktenschränke und ein Wasserkocher mit einem Päckchen Tee sowie einem Glas Instantkaffee, Milch und Würfelzucker rundeten die Einrichtung ab.

Schließlich erschien Mr. Robert Smedley, und Agatha war enttäuscht. Er sah wie der Typ Mann aus, den sie aufrichtig verabscheute. Zunächst einmal war er in einen zu engen Anzug gequetscht, der gewiss teuer gewesen war. Doch Mr. Smedley sah offensichtlich nicht ein, dass er zugenommen hatte, oder war zu geizig, um den Anzug ändern zu lassen. Er hatte kleine dunkle Augen in einem teigigen Gesicht, die von buschigen Brauen überschattet wurden. Sein glattes Haar war pechschwarz. Die Tönungen werden immer besser, dachte Agatha. Es sah fast echt aus. Mr. Smedleys kleiner Mund war dauergeschürzt – »wie ein Arschloch«, würde sie später Mrs. Bloxby erzählen und sich sofort für ihre Ausdrucksweise entschuldigen.

»Bitte, setzen Sie sich«, sagte Agatha, die sich im Geiste bereit machte, ihn mit einer astronomischen Honorarforderung zu vergraulen. »Wie kann ich Ihnen helfen?«

»Die Angelegenheit ist sehr unangenehm.« Mr. Smedley schaute sich in dem kleinen Büro um. »Ach, sei’s drum. Ich denke, Mabel trifft sich mit einem anderen Mann.«

»Ist Mabel Ihre Frau?«, fragte Agatha.

»Ja.«

»Wie kommen Sie darauf, dass sie eine Affäre haben könnte?«

»Ach, Kleinigkeiten. Eines Tages kam ich früher nach Hause und habe gehört, wie sie sang.«

»Was ist daran eigenartig?«

»Sie singt nie, wenn ich im Haus bin.«

Wundert mich nicht, dachte Agatha säuerlich.

»Sonst noch etwas?«

»Letzte Woche hat sie ein neues Kleid gekauft, ohne vorher mit mir darüber zu sprechen.«

»Das tun Frauen«, sagte Agatha geduldig. »Warum sollte sie Ihre Erlaubnis einholen, um ein Kleid zu kaufen?«

»Ich suche alle ihre Kleider aus. Ich bin ein wichtiger Mann und sehe es gern, wenn meine Frau entsprechend angezogen ist.«

»Sonst noch etwas?«

»Reicht das nicht? Ich sage Ihnen, wenn sie heimlich jemand anderen trifft, will ich Beweise für eine Scheidung.«

In diesem Moment hätte Agatha sowohl Phil als auch Mrs. Bloxby erwürgen können. Sie hatte sich durch die Aussicht auf diesen Fall verleiten lassen, einen Greis einzustellen, und jetzt schien es, als ob dieser Smedley nichts weiter als ein eifersüchtiger Haustyrann wäre.

Um ihn loszuwerden, nannte sie eine exorbitante Summe an Honorar und Spesen. Er zückte sein Scheckbuch. »Ich gebe Ihnen tausend Pfund als Anzahlung, und Sie können mir die Spesen und den Rest in Rechnung stellen, wenn Sie erfolgreich waren.«

Agatha blinzelte, dachte an ihre Fixkosten und nahm den Scheck an.

Als Robert Smedley gegangen war, sagte sie zu Phil: »Das ist ein Haufen Blödsinn, aber gehen wir einfach routinemäßig vor. Wir beide fahren nach Ancombe und observieren das Haus. Haben Sie Ihre Kamera dabei?«

»Ich habe den ganzen Wagen voller Kameras«, antwortete Phil munter.

»Okay, los geht’s.«

Ancombe war nur wenige Meilen von Carsely entfernt, und das Smedley-Haus war schnell gefunden. Es stand am Dorfrand in einer dicht bewaldeten Gegend auf einer Anhöhe. Ehedem war es ein kleines Cottage aus dem achtzehnten Jahrhundert gewesen, erbaut aus dem hiesigen hellgelben Stein, doch hinten war ein großer Anbau ergänzt worden. Phil parkte seinen Wagen ein wenig weiter weg an der Straße und im Schutz einiger Bäume. Dann holte er eine Kamera mit einem langen Teleobjektiv hervor.

»Ich bin blöd«, jammerte Agatha. »Ich hätte ihn um ein Foto von ihr bitten müssen.«

Phil blickte die Straße hinunter. »Da kommt ein Wagen aus der Einfahrt. Übernehmen Sie das Steuer. Wir fahren hinterher.«

Agatha schwang das Lenkrad herum und folgte dem Auto in einigem Abstand, während Phil den Wagen und das Nummernschild fotografierte.

»Sie fährt nach Moreton«, sagte Agatha. »Wahrscheinlich will sie wieder ein Kleid kaufen oder etwas ähnlich Böses anstellen.«

»Sie biegt auf den Bahnhofsparkplatz. Vielleicht holt sie jemanden ab.«

»Oder will einen Zug nehmen.«

Eine kleine, altbacken wirkende Frau stieg aus dem Wagen. »Ich hoffe, das ist sie und nicht die Putzhilfe«, sagte Agatha. »Falls er ihr dieses Kleid ausgesucht hat, gehört er erschossen.«

Die Frau, von der sie hofften, dass es sich um Mabel Smedley handelte, trug ein Hemdblusenkleid, dessen Muster in den Augen brannte. Der Saum reichte ihr praktisch bis zu den Knöcheln. Sie hatte flache Lacklederschuhe an. Ihr sandfarbenes Haar war zu einem Dutt nach hinten gebunden. Offensichtlich war sie erheblich jünger als ihr Mann. Agatha schätzte Smedley auf Ende vierzig, und Mrs. Smedley, sofern sie es war, musste Anfang dreißig sein. Ihr ungeschminktes Gesicht war faltenfrei und nichtssagend. Kleine, müde Augen, normaler Mund, kleines Kinn.

Sie ging zum Fahrkartenschalter. Wie üblich war dort eine Schlange, sodass Agatha und Phil sich unbemerkt ein Stück hinter ihr anstellen konnten. So hörten sie, wie Mrs. Smedley ein Tagesticket nach Oxford und zurück bestellte.

Als sie an der Reihe waren, kauften sie sich ebenfalls Tickets dorthin und gingen über die Brücke zum Bahnsteig.

Phil hatte das Teleobjektiv abgeschraubt und machte diskret mehrere Aufnahmen von Mrs. Smedley, wie sie auf den Zug wartete.

Letzterer hatte zehn Minuten Verspätung. In der Hinsicht waren Züge wie einige Chefs, die Leute zehn Minuten vor der Tür warten ließen, um ihnen klarzumachen, wie wichtig sie waren.

In Oxford stieg Mrs. Smedley aus und ging zu Fuß weiter. Sie folgten ihr. Agatha holte ihr Handy hervor und rief Mrs. Bloxby an. »Wissen Sie, wie Mrs. Smedley aussieht?«

»Ja, und Sie müssen sie auch schon gesehen haben, Mrs. Raisin. Na ja, vielleicht ist sie Ihnen nicht aufgefallen. Jedenfalls macht sie viel für den Frauenverein von Ancombe. Sie ist klein, dünn und hat mittelblondes Haar. Ich denke, sie ist ungefähr fünfzehn Jahre jünger als ihr Mann. Sehr still. Was …?«

»Das erzähle ich Ihnen später«, sagte Agatha und legte auf. »Sie ist es«, berichtete sie Phil. »Ich frage mich, wo sie hinwill.«

Sie folgten Mrs. Smedley durch die Worcester Street und die Walton Street entlang. Schließlich blieb sie vor dem Phoenix Cinema stehen und ging hinein.

»Lassen Sie sich nicht zu sehr von dem Film ablenken«, zischte Agatha.

Sie kauften sich Karten. Das Kino war beinahe leer. Sie wählten Plätze drei Reihen hinter Mrs. Smedley. Es wurde ein russischer Film namens Die Steppen der Freiheit gezeigt. Er war schön fotografiert, doch Agathas Ansicht nach passierte nichts, außer dass die Heldin entweder in Tränen ausbrach oder den Blick über die Steppe schweifen ließ. Offensichtlich war Mrs. Smedley genauso gelangweilt, denn sie stand noch vor dem Ende auf. Sie gaben ihr eine Minute, ehe sie ihr folgten – zurück durch die Walton Street und zum Bahnhof.

Dann ging es mit dem Zug nach Moreton und wieder zu ihr nach Hause.

»Vielleicht hatte sie gehofft, im Kino jemanden zu treffen«, sagte Phil, »und er ist nicht gekommen. Ich meine, es ist doch merkwürdig, so weit zu fahren, um in einem öden Film zu sitzen.«

»Haben Sie Fotos von ihr, wie sie ins Kino geht?«

»Natürlich.«

»Ich habe eine Idee!«, sagte Agatha. »Fahren wir zu Mrs. Bloxby. Sie scheint alles über Mrs. Smedley zu wissen.«

Sie fuhren zum Pfarrhaus. Alf Bloxby, der Vikar, öffnete und verzog das Gesicht, als er Agatha sah.

»Falls Sie zu meiner Frau wollen, sie ist beschäftigt«, sagte er.

Mrs. Bloxby erschien hinter ihm. »Was redest du denn, Alf? Kommen Sie rein, Mrs. Raisin. Und Sie auch, Mr. Witherspoon.«

Der Vikar murmelte etwas wie Pah! und marschierte in sein Arbeitszimmer.

»Gehen wir in den Garten«, sagte Mrs. Bloxby. »Es ist so ein schöner Tag. Und das Wetter wird gewiss nicht so bleiben. Sobald Wimbledon anfängt, regnet es wieder.«

Sie setzten sich an den Gartentisch. »Wie ich sehe, haben Sie Mr. Witherspoon eingestellt«, konstatierte Mrs. Bloxby strahlend.

»Vorerst«, entgegnete Agatha. »Er ist noch in der Probezeit. Der Fall, an dem wir sind, hat mit Mrs. Mabel Smedley zu tun. Ihr Mann glaubt, dass sie eine Affäre hat.«

»Das halte ich für wenig wahrscheinlich. In einem kleinen Ort wie Ancombe würde sich so etwas sofort herumsprechen.«

»Wie ist sie so?«

»Schwer zu sagen. Aber haben Sie vergessen, dass der Frauenverein von Ancombe übermorgen einen Wohltätigkeitsbasar veranstaltet, Mrs. Raisin? Da helfen einige von uns aus. Sie könnten mitkommen und sie sich selbst ansehen. Mrs. Smedley engagiert sich sehr für gute Zwecke, ist allerdings still und sehr zurückhaltend. Die Smedleys sind übrigens erst seit zwei Jahren verheiratet.«

»Haben sie Kinder?«

»Nein, und es gibt auch keine aus Mr. Smedleys erster Ehe.«

»Was ist mit der ersten Mrs. Smedley passiert?«

»Armes Ding. Sie litt unter schweren Depressionen und hat sich das Leben genommen.«

»Wundert mich nicht. Wenn man mit so einem Mann verheiratet ist.« Agatha beschrieb ihn in recht harschen Worten und endete mit der Bemerkung über seinen Mund.

»Mrs. Raisin! Also wirklich.«

»Verzeihung«, murmelte Agatha.

Phil überspielte ein Lachen, indem er einen Niesanfall vortäuschte.

»Ich denke, Mr. Smedley ist einfach nur übertrieben eifersüchtig«, sagte Mrs. Bloxby.

»Ja, und mir kommt es wie pure Zeitverschwendung vor.« Agatha seufzte. »Lassen wir es für heute gut sein, Phil. Sie dürfen mich zurück zum Büro fahren, damit ich meinen Wagen holen kann, und dann sehe ich Sie morgen im Büro. Ich muss noch an einigen Sachen arbeiten.«

Als Agatha sich zu ihrem Abendessen aus Mikrowellen-Pommes und Mikrowellen-Lasagne setzen wollte, klingelte ihr Telefon. »Wagt es ja nicht, mein Essen anzurühren«, warnte sie ihre Kater, Hodge und Boswell.

Sie nahm ab und hörte die aufgekratzte Stimme ihres früheren Assistenten Roy Silver.

»Ich habe ewig nichts von dir gehört«, sagte er. »Gibt es keine Morde mehr bei euch?«

»Nein, nichts. Bloß ein Scheidungsfall, und ich hasse Scheidungsfälle.«

»Verständlich, Süße. Schließlich bist du selbst nur sehr ungern geschieden.«

»Nicht deshalb! Ich finde sie einfach geschmacklos.«

»Scheidungsfälle dürften doch die Existenzsicherung für Detekteien sein. Aber ich rufe an, weil ich fragen wollte, ob ich am Wochenende kommen kann?«

»Nächstes Wochenende? Ist gut. Sag mir Bescheid, welchen Zug du nimmst, und ich hole dich in Moreton ab.«

Als Agatha auflegte, war sie von der Aussicht auf Besuch munterer gestimmt. Sie hatte eine kurze, unglückliche Ehe mit James Lacey hinter sich, mit dem sie nicht einmal zusammengelebt hatte. Doch seit es vorbei war, stellte sie fest, dass sie einsam wurde, wenn sie nicht besonders viel zu tun hatte.

Dann fiel ihr ein, dass sie Mrs. Bloxby nicht auf die Sache mit Phil angesprochen hatte. Sie rief die Vikarsfrau an.

»Mrs. Bloxby«, begann Agatha. »Ich habe das Gefühl, dass Sie mich praktisch gezwungen haben, Phil einzustellen.«

»Mr. Witherspoon? Ja, man könnte sagen, dass ich Ihnen einen Schubs in die Richtung gegeben habe.«

»Warum? Sie sind sonst nicht so.«

Mrs. Bloxby seufzte. »Zufällig habe ich erfahren, dass er nur eine sehr kleine Rente hat. Anscheinend hatte er einiges Kapital unglücklich angelegt. Er braucht dringend Geld und wollte schon ein paar seiner kostbaren Fotoapparate verkaufen. Sie haben einen Fotografen gebraucht, und er brauchte Arbeit. Da konnte ich nicht anders.«

»Oh, na gut«, murmelte Agatha zerknirscht. »Mal sehen, wie er sich macht.«

»Kommen Sie mit nach Ancombe?«

»Natürlich. Ich hatte vergessen zu fragen, wann es losgeht.«

»Um zwei.«

»Ich werde dort sein.«

Agatha kehrte in die Küche zurück, wo ihre Kater auf dem Tisch hockten und sich über ihr Abendessen hermachten. »Ihr kleinen Stinktiere!«, heulte sie, öffnete die Küchentür und scheuchte die beiden in den Garten. Dann schabte sie die Essensreste in den Mülleimer. Plötzlich brach sie in Tränen aus.

Nach einer Weile tupfte sie sich die Augen mit einem Geschirrtuch trocken und steckte sich zitternd eine Zigarette an. Agatha war Anfang fünfzig, doch in letzter Zeit überkam sie häufiger die Angst, alt zu werden und für immer allein zu bleiben. An nasskalten Tagen plagte sie zudem ein stechender Schmerz in der Hüfte, den sie stoisch ignorierte. Sie konnte unmöglich Arthritis haben, denn dafür war sie zu jung!

Wieder klingelte das Telefon. Verdrossen nahm sie das Gespräch an.

»Charles hier.«

Agathas Freund, Sir Charles Fraith.

»Oh, hallo Charles. Wo hast du in letzter Zeit gesteckt?« Agatha entfuhr ein Schluchzen.

»Hast du geweint, Aggie?«

»Nenn mich nicht Aggie, und das ist nur eine Allergie.«

»Hast du schon gegessen?«

»Wollte ich, aber die Kater haben sich an meinem Abendessen vergriffen.«

»Ich komme vorbei. Ich hatte eine junge Frau zu einem Luxuspicknick eingeladen, und sie hat mich versetzt. Ich bringe die Sachen mit, und wir picknicken in deinem Garten.«

»Danke, Charles.«

»Also trockne dir die Tränen.«

»Ich habe nicht geweint!« Doch Charles hatte bereits aufgelegt.

Eine halbe Stunde später war er da, und Agatha war genügend Zeit geblieben, um sich das Gesicht mit kaltem Wasser zu waschen und frisches Make-up aufzulegen.

Sie war froh, Charles zu sehen, auch wenn er sie hin und wieder wütend machte. Er hatte helles Haar, ebenmäßige Züge und war so unabhängig und eigensinnig wie eine Katze.

Nun trug er einen großen Picknickkorb in den Garten und fing an, den Tisch zu beladen.

»Entenbrust in Aspik, Spargel, Champagner … du musst das Mädchen aber sehr gemocht haben.«

Sie aßen, und Agatha erzählte ihm von dem Smedley-Fall.

»Vielleicht komme ich mit«, sagte Charles. »Kann ich hier übernachten?«

»Ja, du weißt ja, wo das Gästezimmer ist.«

»Ich habe meine Tasche im Wagen. Die hole ich später.«

Langsam sank die Sonne hinter die Bäume am Ende des Gartens. Agatha dachte an ihren Ausbruch von vorhin, der ihr jetzt schon vollkommen irrsinnig vorkam.

Zwei

Am nächsten Morgen war Charles noch im Bett, als sich Agatha, gestärkt von einem Frühstück aus zwei Zigaretten und einer Tasse schwarzen Kaffees, auf den Weg ins Büro machte.

»Was liegt heute an?«, fragte sie Mrs. Freedman.

»Da sind nach wie vor der vermisste Teenager, ein entlaufener Hund und eine verschwundene Katze.«

»Die Tiere sind nur Kleckerkram«, sagte Agatha finster. »Ich habe den Vormittag über Zeit, also mache ich mich mal auf die Suche nach dem Teenager, Jessica Bradleyn. Mabel Smedley lassen wir fürs Erste.«

»Ich komme mit Ihnen«, bot Phil an.

»Ach, meinetwegen.«

»Der Fall stand in sämtlichen Zeitungen«, sagte Phil. »Jessica hatte um ein Uhr nachts den Happy Night Club verlassen und ist seitdem nicht mehr gesehen worden. Die Polizei konnte bisher keine Spur von ihr entdecken.«

»Ich habe bereits die Clubbetreiber befragt«, erzählte Agatha, »und ihre Freunde. Jessica wollte allein nach Hause gehen. Anscheinend hat sie keinen festen Freund. Ich weiß nicht, was wir finden sollen, was die Polizei nicht schon entdeckt hat.«

»Vielleicht könnten wir den Weg vom Club zu ihr nach Hause abwandern, um ein Gefühl für die Gegend zu bekommen.«

»Das habe ich schon!«, sagte Agatha patzig. »Und die Polizei hat sogar eine junge Frau auf dem Weg gefilmt und es im Fernsehen gezeigt.«

»Manchmal ist man so fixiert, dass man nicht richtig hinsieht«, entgegnete Phil. »Es kann nicht schaden, die Strecke noch einmal zu gehen.«

»Ach, na gut.« Agatha seufzte. »Besser, als hier herumzusitzen. Geben Sie mir ihr Foto und die von der Katze und dem Hund, Mrs. Freedman. Wer weiß? Vielleicht haben wir Glück und finden einen von ihnen unterwegs.«

Sie brachen zum Happy Night Club auf, der sich in einer schmuddeligen Nebenstraße befand.

»Es ist ziemlich weit bis zu ihr nach Hause«, sagte Agatha.

»Soweit ich mich erinnere, wohnt sie in der Old Brewery Road draußen bei der Umgehung.«

»Stimmt. Ich weiß zwar nicht, was Sie mit diesem Marsch bezwecken, aber ich bin bereit.«

Es wurde recht warm. Agatha hatte morgens hohe Sandalen angezogen, und ihre Füße begannen zu schmerzen. Die Abstände zwischen den Häusern wurden größer, als sie sich der Umgehungsstraße näherten. »Wir nehmen die Brücke über die Umgehung«, sagte Agatha.

In der Mitte der Brücke sagte Phil auf einmal: »Stopp.«

»Was?«

»Ich will mir das alles hier nur genauer ansehen. Seit wann wird sie vermisst?«

»Seit drei Tagen.«

»Und wie alt ist sie?«

»Sechzehn.«

Phil hatte seine Kameratasche dabei. Er kniete sich hin, öffnete die Tasche und nahm eine Kamera und ein Teleobjektiv heraus.

»Wollen Sie die Umgehung knipsen?«

»Nein, manchmal entdecke ich hiermit Dinge, die andere übersehen.«

Normalerweise hätte Agatha widersprochen, aber es tat gut, ein bisschen stehen zu bleiben und ihre Füße auszuruhen.

»Zur Brücke geht es ziemlich steil nach oben«, sagte Phil nach einer halben Ewigkeit. »Und nachts dürfte auf der Umgehung wenig los sein. Also wäre ich Jessica, ich würde mir den Weg bergauf sparen und über die Straße laufen. Angenommen sie hat da unten gestanden und gewartet, dass sie die Fahrbahn überqueren kann, und ein Wagen hielt an.«

»Ich glaube nicht, dass ein Teenager mitten in der Nacht zu einem Fremden ins Auto steigen würde.«

»Stimmt. Aber was ist, wenn es jemand war, den sie kannte?«

»Dann, Sherlock, stehen wir noch schlechter da als vorher schon. Sie steigt in den Wagen, der fährt los, und sie kann jetzt irgendwo in England sein.«

»Erzählen Sie mir von ihren Eltern.«

»Erst mal gehen wir von der Brücke. Ich werde hier noch geröstet. Auf der anderen Seite gibt es einen schattigen Platz.«

Sie gingen auf die andere Seite und einen kleinen grünen Hang hinauf. »Der Vater, Frank Bradley, arbeitet in der Eiscremefabrik. Er ist in den Vierzigern und hat schreckliche Angst um seine Tochter. Die Mutter ist ungefähr so alt wie er, sieht müde aus und weint die ganze Zeit.«

»Warum durfte Jessica abends so lange ausgehen? Ich meine, sie ist erst sechzehn.«

»Sie sollte um elf zu Hause sein. Als sie nicht wieder auftauchte, ist der Vater los und hat nach ihr gesucht.«

»Was ist, wenn er sie gefunden hat? Sie könnte in seinen Wagen gestiegen sein, er hat einen Wutanfall bekommen, weil sie frech zu ihm wurde, und sie im Affekt zu fest geschlagen. Hat die Polizei sich die Familie genauer angesehen?«

»Ja, das war das Erste, was sie gemacht hat.«

»Okay.« Phils Augen wirkten überraschend jung in seinem faltigen Gesicht. »Aber sie setzen sie natürlich nicht zu sehr unter Druck. Besorgte Eltern und so.«

»Ich dachte auch gleich an den Vater«, sagte Agatha. »Aber ich schwöre, der Mann lügt nicht.«

»Was ist mit Onkeln oder Nachbarn?«

»Weiß ich nicht«, antwortete Agatha gereizt.

»Wie wäre es, wenn wir zurück zum Wagen gehen? Wir könnten ein Stück der Umgehung abfahren und nachsehen, ob es da eine Stelle gibt, an der man eine Leiche loswerden könnte. Die Polizei kann nicht überall gesucht haben.«

»Ich bin die Detektivin, nicht Sie«, herrschte Agatha ihn an, und Phil sah gekränkt aus.

»Es ist die Hitze«, entschuldigte sie sich. »Mir tun die Füße weh. Seien Sie ein Schatz, und holen Sie den Wagen. Ich warte hier.«

»Geht klar«, antwortete Phil munter. »Passen Sie auf meine Kameras auf. Ich bin gleich wieder da.«

Er entfernte sich. Ich glaube, er ist fitter als ich, dachte Agatha. Ein Stich fuhr durch ihre Hüfte, und sie rieb fest über die Stelle.

Bald war Phil zurück. Agatha überquerte wieder die Brücke und stieg in seinen Wagen. »Keine Klimaanlage!«, stöhnte sie.

»Wenn Sie das Seitenfenster öffnen, haben Sie frischen Fahrtwind.«

Agatha öffnet es, und heiße, trockene Luft blies ihr das Haar ins Gesicht. Sie machte das Fenster wieder halb zu. »Wie weit fahren wir?« Phil schlich quasi die Straße entlang und blickte sich aufmerksam nach rechts und links um.

»Ich denke nach. Tun Sie das auch, Mrs. Raisin. Sagen wir, ich bin ein Onkel oder ein Nachbar. Jessica fängt an, sich zu beschweren: ›Hier geht es nicht nach Hause.‹ Er kann nicht viel weiter fahren, ohne sie irgendwie außer Gefecht zu setzen. Zehn Meilen, würde ich sagen.«

Agatha schloss die Augen und versuchte, sich die Szene vorzustellen. Falls es jemand war, den Jessica gut kannte, hätte sie munter mit ihm geplaudert. Sie wären auf der falschen Seite der Umgehung gewesen, also hätte sie zunächst nichts bemerkt, bis sie zum ersten Kreisverkehr kamen und er nicht wieder zurückfuhr, um zu ihr nach Hause zu kommen.

Sie öffnete die Augen. »Sehen wir uns die drei Meilen hinter dem ersten Kreisel an.«

Phil fuhr über den Kreisverkehr und verlangsamte das Tempo, sodass die anderen Wagen sie überholten. Schließlich bog er in eine Haltebucht ein. »Ungefähr hier?«

Er stellte den Motor aus, und beide schauten sich um. »Da unten ist ein tiefer Graben«, sagte Agatha, die nach links blickte. »Der Täter würde eine Leiche nicht in den Wald da drüben tragen wollen, weil er dann von der Straße aus zu sehen wäre. Ich tippe, dass er sie gegebenenfalls einfach den Hang runtergestoßen hat.«

»Gehen wir sie suchen.«

»In diesen Schuhen?«

»Ich habe mir von Mrs. Freedman ein flaches Paar mitgeben lassen, das Sie im Büro haben. Es liegt auf dem Rücksitz in der Tasche, die ich mitgebracht habe. Dort sind auch eine Thermoskanne mit Kaffee und einige Sandwiches.«

Zum ersten Mal erwärmte Agatha sich wirklich für ihn, während sie die hohen Sandalen abstreifte und ihre bequemen Schuhe anzog. Sie stiegen aus dem Wagen, schlitterten den Hang hinunter und begannen, unten das Gestrüpp abzusuchen. Als sie mindestens eine Meile gewandert waren, keuchte Agatha: »Es bringt nichts. Das hier ist zwecklos.«

»Machen wir eine Pause. Ich habe den Kaffee dabei.«

Nach zwei Tassen starkem, schwarzem Kaffee, einem Sandwich mit Hühnchen und einer Zigarette war Agatha wieder bei Kräften und sah sich um. Oben hinter ihr rauschte der Verkehr auf der Umgehung vorbei. Um sie herum war alles gesprenkelt von Abfall, den Leute aus ihren Autos geworfen hatten. Sie blickte gedankenverloren nach links und rechts. Plötzlich rief sie: »Oh verdammt!«

»Ja, es ist sehr heiß«, stimmte Phil ihr zu.

»Nein, ich glaube, da drüben ist ein Schlüpfer.«

Agatha stand auf, ging ein Stück nach links und bückte sich. Dort hing ein zerrissener Spitzenslip in einem verkrüppelten Strauch. »Der könnte von wer weiß wem sein«, murmelte sie. »Sehen wir uns weiter um.«

»Hier liegt ein Schuh!«, sagte Phil. »Was hat sie angehabt, als sie verschwand?«

»Lassen Sie mich nachdenken. Ein pinkfarbenes, bauchfreies Top mit Pailletten, Jeans und schwarze Sandalen mit hohen Absätzen. Keine Jacke, weil es in der Nacht warm war. Außerdem trug sie eine von diesen Bauchtaschen.«

»Dies ist eine schwarze Sandale. Sollen wir die Polizei rufen?«

»Nein, sehen wir uns noch ein bisschen um. Falls es Jessicas Slip ist und er ihr heruntergerissen wurde, muss auch die Jeans hier irgendwo sein.«

Phil stieg den Hang wieder hinauf.

»Wo wollen Sie hin?«, rief Agatha.

»Von oben hat man einen besseren Überblick.«

Agatha wanderte langsam weiter durch den Graben, bog Zweige auseinander und achtete nicht darauf, dass Dornen an ihrer Strumpfhose rissen.

»Da hat jemand einen alten Kühlschrank hingeworfen«, rief Phil.

Agatha stakste hin. Es war ein großer Kühlschrank, der auf der Seite lag. Sie holte ein Taschentuch hervor und öffnete den Kühlschrank. »Nichts!«, rief sie.

»Versuchen wir es weiter.«

»Vielleicht hat die Polizei hier schon alles abgesucht.«

»Den Schuh und den Slip hat sie jedenfalls nicht gefunden.«

Agatha unterdrückte ein Stöhnen. Dann entschied sie, wieder zu der Stelle zurückzukehren, an der der Schuh gelegen hatte, und von da aus weg von der Straße und zu einem Waldstück zu gehen.

Sie trat zwischen die Bäume und war froh, aus der Sonne zu sein. Auf einmal wurde sie müde. Diese Suche war sinnlos. Was könnten sie finden, was ganze Teams der Spurensicherung nicht gefunden hatten? Sie wandte sich zum Gehen. Nun schien ihr die Sonne ins Gesicht und blendete sie, sodass sie über etwas stolperte und der Länge nach hinschlug.

»Verflucht!«, schimpfte Agatha, stützte sich auf einen Ellbogen auf und blickte sich nach dem um, was sie zu Fall gebracht hatte. Sie schaute in zwei tote Augen und wich erschrocken zurück.