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Wenn das Schwein Glück hat, muss der Bulle dran glauben ...
Winter Parva, ein Dorf in der Nähe von Carsely, begeht den Beginn der Winterferien traditionell mit einem kleinen Fest. Auch Agatha Raisin nimmt an dem fröhlichen Treiben teil. Kulinarisches Highlight der Feierlichkeit soll ein Schweinespieß sein. Doch als der zum glühenden Grill getragen wird, wird Agatha klar, dass hier eine große Schweinerei im Gange ist: Statt eines Tiers wurde der nicht sehr beliebte Polizist Gary Beech aufgespießt. Agatha und die Dorfbewohner sind mehr als entsetzt über die grauenvolle Tat. Und natürlich steht außer Frage, dass sich die ehrgeizige Detektivin direkt auf den Fall stürzt, um dem Mörder das Handwerk zu legen!
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Seitenzahl: 279
Cover
Über das Buch
Über die Autorin
Titel
Impressum
Widmung
Eins
Zwei
Drei
Vier
Fünf
Sechs
Sieben
Acht
Neun
Zehn
Elf
Zwölf
Epilog
Über das Buch
Parva, ein Dorf in der Nähe von Carsely, begeht den Beginn der Winterferien traditionell mit einem kleinen Fest. Auch Agatha Raisin nimmt an dem fröhlichen Treiben teil. Kulinarisches Highlight der Feierlichkeit soll ein Schweinespieß sein. Doch als der zum glühenden Grill getragen wird, wird Agatha klar, dass hier eine große Schweinerei im Gange ist: Statt eines Tiers wurde der nicht sehr beliebte Polizist Gary Beech aufgespießt. Agatha und die Dorfbewohner sind mehr als entsetzt über die grauenvolle Tat. Und natürlich steht außer Frage, dass sich die ehrgeizige Detektivin direkt auf den Fall stürzt, um dem Mörder das Handwerk zu legen!
Über die Autorin
M. C. Beaton ist eines der zahlreichen Pseudonyme der schottischen Autorin Marion Chesney. Nachdem sie lange Zeit als Theaterkritikerin und Journalistin für verschiedene britische Zeitungen tätig war, beschloss sie, sich ganz der Schriftstellerei zu widmen. Mit ihren Krimi-Reihen um die englische Detektivin Agatha Raisin und den schottischen Dorfpolizisten Hamish Macbeth feierte sie große Erfolge in über 17 Ländern. Sie verstarb im Dezember 2019 im Alter von 83 Jahren.
M. C. BEATON
Agatha Raisin
und der tote Polizist
Kriminalroman
Aus dem Englischen von Sabine Schilasky
Vollständige E-Book-Ausgabedes in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes
Deutsche Erstausgabe
Für die Originalausgabe:Copyright © 2011 by M.C. BeatonPublished by Arrangement with M.C. BEATON LIMITEDTitel der englischen Originalausgabe: »As the Pig Turns«
Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30161 Hannover.
M.C. BEATON® and AGATHA RAISIN® are registered trademarks of M.C. Beaton Limited
Für die deutschsprachige Ausgabe:Copyright © 2023 byBastei Lübbe AG, Schanzenstraße 6–20, 51063 Köln
Vervielfältigungen dieses Werkes für dasText- und Data-Mining bleiben vorbehalten.
Umschlaggestaltung: Kirstin OsenauUmschlagmotiv: © Arndt Drechsler, LeipzigeBook-Erstellung: two-up, Düsseldorf
ISBN 978-3-7517-4798-1
luebbe.delesejury.de
Für Sinead Goss mit herzlichem Dank für ihre Unterstützung von Target Ovarian Cancer
Müde bog Agatha Raisin auf die Straße ab, die hinunter in ihr Heimatdorf Carsely in den Cotswolds führte, und hielt dann abrupt an. Vor ihr war eine lange Autoschlange. Sie zog die Handbremse an.
Es war Ende Januar und ein sehr kalter Monat, sogar ungewöhnlich kalt. Die hohen Bäume zu beiden Seiten reckten ihre kahlen Äste zum bleigrauen Himmel, als beteten sie, dass der Frühling zurückkehrte. Agatha betete, dass es nicht schneite. Anscheinend reichten zwei Zentimeter Schnee aus, damit die Straßen gesperrt wurden. Grund war die Klage des Gemeinderats, die Streusalzbestände seien aufgebraucht und sämtliche Straßen nach Carsely sehr steil, folglich zu gefährlich für den Autoverkehr.
Was war bloß los? Agatha hupte ungeduldig, und der junge Mann in dem verbeulten Ford vor ihr zeigte ihr den Mittelfinger.
Fluchend stieg Agatha aus, marschierte zu dem Wagen und klopfte ans Fenster. Der blasse Jugendliche öffnete das Fenster. »Was?«
»Was zur Hölle ist hier los?«, fragte Agatha.
Der Junge musterte sie von oben bis unten, registrierte den teuren, maßgeschneiderten Mantel, die vorwurfsvollen kleinen Augen und den »vornehmen« Akzent und runzelte die Stirn. »Schlaglöcher«, antwortete er achselzuckend. »Die reparieren Schlaglöcher.«
»Und wie lange dauert das?«
»Weiß ich doch nicht«, sagte er und schloss sein Fenster.
Agatha kehrte zu ihrem warmen Wagen zurück. Sie kochte vor Wut, zumal sie sich selbst über den Zustand der Straßen beschwert hatte. Doch es gab noch zwei andere Wege ins Dorf. Man hätte wenigstens eine Umleitung ausschildern können, solange diese Straße ausgebessert wurde. Agatha überlegte zu wenden, aber bei ihren unterdurchschnittlichen Fahrkünsten müsste sie dafür auf dieser schmalen Straße endlos manövrieren.
Ein Tropfen bildete sich an ihrer Nasenspitze. Sie griff zu der Schachtel mit den Papiertüchern auf dem Beifahrersitz und putzte sich die Nase. Jemand klopfte an ihr Fenster.
Agatha blickte hinaus. Ein Polizist beugte sich zu ihr und sah sie an. Er war ein vierschrötiger Mann mit einer zerknautscht wirkenden Nase, großen Poren und vorwurfsvollen kleinen Schweinsäuglein.
Agatha ließ ihr Fenster herunter. »Wie lange dauert das noch, Officer?«
»So lange, wie es eben dauert, Madam«, antwortete er mit einem starken Gloucestershire-Akzent. »Sie haben widerrechtlich die Hände vom Lenkrad genommen.«
»Wie bitte? Sind Sie verrückt? Ich habe mir nur die Nase geputzt. Die Handbremse ist angezogen, und ich stehe hier …«
»Das macht sechzig Pfund.«
»Eher friert die Hölle zu, als dass ich die bezahle«, heulte Agatha.
Er reichte ihr einen Strafzettel. »Dann sehen wir uns vor Gericht.«
Einen Moment lang saß Agatha zitternd vor Wut da. Dann holte sie tief Luft. Sie begann zu wenden, doch stauten sich hinter ihr immer mehr Wagen, deren Fahrer auf dieselbe Idee gekommen waren. Als sie endlich freie Bahn hatte, sah sie im Rückspiegel, dass sich die Schlange, die sie eben verlassen hatte, in Bewegung setzte.
Bis sie ihr reetgedecktes Cottage in der Lilac Lane erreichte, hatte feiner Schneefall eingesetzt. Zum Teufel mit den Experten und ihrem Jaulen über die globale Erwärmung, dachte Agatha. Als sie die Wagentür öffnete und aussteigen wollte, riss eine Windböe den Strafzettel aus dem Seitenfach der Tür und wehte ihn über das Dach ihres Cottage.
Sie schloss die Haustür auf. Ihre beiden Kater Hodge und Boswell kamen angelaufen und begrüßten sie so euphorisch wie immer, wenn sie Hunger hatten.
Agatha fütterte die beiden, schenkte sich einen Gin Tonic ein und rief ihren Freund an, Detective Sergeant Bill Wong. Sobald er sich meldete, beschwerte Agatha sich bitterlich über den Polizisten, der ihr einen Strafzettel wegen Naseputzens verpasst hatte.
»Das wird Gary Beech gewesen sein, der Planzielteufel«, sagte Bill. »Du weißt ja, dass wir bestimmte Zielvorgaben erfüllen müssen, um befördert zu werden. Er dreht gerade ein bisschen durch. Vorletzte Woche hat es die Mutter eines Neunjährigen erwischt, der mit Kreide Kästchen für Himmel und Hölle auf den Gehweg gemalt hat. Beech hat den Jungen verhaftet und wegen Graffiti angezeigt. Und er hat ein Kleinkind mit einem Bußgeld wegen Führens einer gefährlichen Waffe belangt, dabei hatte das Kind bloß eine Wasserpistole bei sich. Einen Pensionär hat er wegen Terrorismus festgenommen, weil er ein Plakat mit der Aufschrift Holt unsere Jungs aus Afghanistan in die Höhe hielt.«
»Was mache ich jetzt?«
»Wahrscheinlich wird das Verfahren eingestellt. Oder du könntest einfach das Bußgeld bezahlen.«
»Kommt nicht infrage!«
»Wie läuft das Geschäft?«
»Nicht gut. Die Rezession macht uns zu schaffen. Die Leute haben einfach kein Geld mehr.« Agatha blickte aus ihrem Küchenfenster. »Mist! Es schneit immer mehr. Hätte ich mir doch bloß Winterreifen oder einen Wagen mit Allradantrieb zugelegt. Roy Silver kommt am Wochenende. Bis dahin sind die Straßen hoffentlich frei.«
Roy hatte für Agatha gearbeitet, als sie noch eine erfolgreiche PR-Agentur in London führte. Dann hatte sie die Agentur verkauft, war vorzeitig in den Ruhestand gegangen und in die Cotswolds gezogen. Und nachdem sie dort mehrere Morde aufgeklärt hatte, hatte sie beschlossen, eine eigene Detektei zu eröffnen.
Bill sagte, er wolle versuchen, am Wochenende zu ihr zu kommen, und legte auf.
Danach rief Agatha in ihrem Büro an. Sie hatte nur wenige Mitarbeiter: Patrick Mulligan, ein pensionierter Polizist, Phil Marshall, ein älterer Mann aus Carsely, die junge Toni Gilmour und die Sekretärin Mrs. Freedman. Als gewiefte Geschäftsfrau hatte Agatha die Rezession lange vor den meisten anderen Leuten kommen gesehen und entschieden, niemanden mehr einzustellen. Allerdings gab es einen ehemaligen Mitarbeiter, dessen Abwesenheit ihr ein schlechtes Gewissen machte. Ein kluger junger Detektiv namens Simon Black, den Agatha erst wenige Monate zuvor eingestellt hatte, war offensichtlich in Toni verliebt gewesen. Im Interesse der beiden, wie sich Agatha einredete, hatte sie Simon erklärt, dass Toni zu jung sei und er drei Jahre warten solle. Dann hatte sich Toni von ihm abgewendet, weil sie fand, dass er sie unmöglich behandelte, und zu Agathas Entsetzen war Simon zur Army gegangen und kämpfte nun in Afghanistan.
Im Büro nahm Toni ihren Anruf entgegen und sagte, Mrs. Freedman und Phil hätten Feierabend gemacht, ehe der Schnee allzu schlimm würde. Agatha war oft neidisch auf die junge, blonde, hübsche Toni, musste jedoch zugeben, dass das Mädchen eine geniale Detektivin war.
»Was haben wir an offenen Fällen?«, fragte Agatha.
»Zwei Seitensprünge, vier verschwundene Haustiere und zwei vermisste Teenager.«
Agatha seufzte. »Es kommt mir vor wie gestern, dass ich geschworen habe, nie wieder Fälle von entlaufenen Haustieren anzunehmen. Doch jetzt brauchen wir das Geld.«
»Es ist leicht verdient«, sagte Toni. »Die Leute denken fast nie daran, im Tierheim nachzufragen. Ich gehe mit einem Foto dorthin, die geben mir Tiddles oder wen auch immer, und ich rufe die überglücklichen Besitzer an und kassiere das Geld.«
»Roy kommt am Wochenende, und Bill will vielleicht auch vorbeikommen. Haben Sie Lust, zu uns zu stoßen? Vielleicht finde ich etwas Interessantes, was wir unternehmen können.«
»Ich bin verabredet.«
»Mit wem?«
»Paul Finley.«
»Wie haben Sie ihn kennengelernt?«
Toni hätte der neugierigen Agatha zu gern gesagt, sie solle sich um ihren eigenen Kram kümmern, antwortete aber widerwillig: »Ich mache einen Abendkurs in Französisch, weil es hier momentan eher ruhig ist, und er ist der Dozent.«
»Wie alt ist er denn?«
»Ich muss Schluss machen. Es klingelt auf der anderen Leitung.«
Nachdem sie aufgelegt hatte, saß Agatha besorgt da. Toni hatte eine Schwäche für ältere Männer und war deshalb schon einmal in Schwierigkeiten geraten.
Agathas Putzhilfe, Doris Simpson, hatte ihr eine Lokalzeitung auf den Küchentisch gelegt, und Agatha blätterte darin, um zu sehen, ob am Wochenende irgendwelche Veranstaltungen stattfanden. Tatsächlich fiel ihr eine in Winter Parva auf, einem rund zwanzig Meilen entfernten Dorf. Agatha war erst einmal dort gewesen. Es war eines der bei Touristen beliebten Cotswolds-Dörfer mit Souvenirläden, einem Mittelaltermarkt und Reetdach-Cottages. In dem Artikel hieß es, das Weihnachtsgeschäft der dortigen Geschäftsleute sei eher dürftig ausgefallen, weshalb der Gemeinderat entschieden hatte, ein besonderes Januar-Event zu veranstalten, um Interesse zu wecken. Am Sonntag sollte auf dem Dorfanger ein Schwein am Spieß gegrillt werden, und die Dorfbewohner wurden angehalten, in altmodischen Kostümen zu erscheinen. Die Morris-Dancer von Winter Parva sollten mit der örtlichen Blaskapelle und dem Dorfchor auftreten. Es wurden zwei Busse mit chinesischen Touristen zu dem Event erwartet.
Das wird es tun, dachte Agatha, sofern ich bis dahin nicht eingeschneit bin.
Da sie hungrig war, kramte sie in ihrem Tiefkühler nach etwas, das sie sich in der Mikrowelle erhitzen konnte. Plötzlich gingen alle Lichter aus. Stromausfall.
Agatha erinnerte sich, dass der Pub Red Lion über einen Generator verfügte. Sie zog sich eine Hose, Stiefel und einen Parka mit Kapuze an und machte sich auf den Weg, um dort zu Abend zu essen.
Im Pub wimmelte es von Einheimischen. Agatha bestellte sich am Tresen Lasagne mit Pommes frites und ein halbes Lager, bevor sie sich nach einem freien Tisch umschaute. Erstaunt sah sie ihre Freundin, die Vikarsfrau Mrs. Bloxby, allein an einem Ecktisch sitzen und unglücklich in ein kleines Sherryglas blicken.
Agatha eilte zu ihr und fragte sich, was los sein mochte, war Mrs. Bloxby doch nie im Pub, es sei denn, sie sammelte Spenden für irgendetwas. Das graue Haar der Vikarsfrau hatte sich teils aus dem altmodischen Knoten gelöst, und ihre gewöhnlich freundlichen Züge wirkten müde. Sie trug eine abgetragene Tweedjacke über einem verwaschenen Pullover und einer Strickjacke, dazu einen Tweedrock. Es war allerdings vollkommen gleich, was sie anzog, ging es Agatha nicht zum ersten Mal durch den Kopf, denn alles an ihr sprach ausnahmslos »Lady«. Agatha und Mrs. Bloxby siezten sich noch immer, weil es so Tradition im hiesigen Frauenverein war, dem sie beide angehörten.
»Wie seltsam, Sie hier zu sehen«, sagte Agatha. »Wo ist Ihr Mann?«
»Weiß ich nicht, und es interessiert mich auch nicht«, antwortete Mrs. Bloxby. »Setzen Sie sich gern zu mir, Mrs. Raisin.«
Agatha nahm ihr gegenüber Platz. »Was ist mit Ihnen?«
Mrs. Bloxby schien sich zu sammeln und lächelte matt. »Ach, eigentlich ist es nichts. Wollen Sie das wirklich essen?«
Die Kellnerin hatte einen Teller mit Lasagne und Pommes frites vor Agatha hingestellt. »Ja, sicher. Was ist damit?« Agatha stach ihre Gabel hinein und nahm einen Bissen.
Mrs. Bloxby fand, dass ihre Freundin die Geschmacksknospen eines Aasgeiers hatte.
Dennoch gelang es Agatha bisweilen, dass sich die Vikarsfrau minderwertig fühlte. Obwohl sie über fünfzig war, strahlte Agatha vor Gesundheit, und ihr schimmerndes braunes Haar war zwar professionell gefärbt, glänzte aber wie Seide.
»Es kann nicht nichts sein«, sagte Agatha, griff nach der Ketchupflasche, schraubte sie auf und ertränkte ihre Pommes frites.
»Wahrscheinlich bilde ich es mir nur ein«, entgegnete Mrs. Bloxby zögerlich.
»Sie haben von jeher ein gutes Gespür. Raus damit«, befahl Agatha.
Mrs. Bloxby stieß ein herzzerreißendes Schluchzen aus, wie es ein Kind tat, das lange geweint hatte. »Ich glaube, dass Alf eine Affäre hat. Sie tropfen mit dem Ketchup.«
»Oh, Verzeihung.« Agatha legte das in Ketchup gebadete Pommes-Stäbchen zurück auf den Teller. »Ihr Mann und eine Affäre? Quatsch!«
»Sie haben recht. Ich bin albern.«
»Nein, nein, das hätte ich nicht sagen sollen. Ich meine, wer würde ihn wollen?«, fragte Agatha in ihrer üblichen Taktlosigkeit.
»Nur dass Sie es wissen, da er hier der Gemeindevikar ist, kommt es oft vor, dass Frauen hinter ihm her sind«, erwiderte ihre Freundin beleidigt.
»Und wie kommen Sie darauf, dass er eine Affäre hat? Haben Sie Lippenstift an seinem Priesterkragen gefunden?«
»Nein, nichts dergleichen. Es ist nur so, dass er sich häufig ohne seinen Priesterkragen rausstiehlt und mir nicht erzählen will, wohin er geht.«
»Hat er sich kürzlich neue Unterwäsche gekauft?«
»Seine Unterwäsche kaufe ich.«
»Hören Sie, ich finde für Sie heraus, was los ist, damit Sie beruhigt sind. Geht aufs Haus.«
»Oh nein, tun Sie das nicht! Wenn er sieht, dass Sie ihn verfolgen, wird er wütend.«
»Er wird mich nicht sehen. Zufällig bin ich eine sehr gute Detektivin.«
»Sie lassen das«, sagte Mrs. Bloxby ernst. »Versprochen?«
»Versprochen«, antwortete Agatha, wobei sie kindisch die Finger auf dem Rücken überkreuzte.
Nachts hatte ein warmer Westwind den Schnee in Matsch verwandelt, und als der Wind nach Norden drehte, gefroren die Straßen zu Eisbahnen. Agatha erwachte am nächsten Morgen mit schlechter Laune. Wie in aller Welt sollte sie nun aus dem Dorf kommen? Und es schien nur ein kleiner Trost, dass sie wieder Strom hatte.
Bei ihrem Standardfrühstück aus schwarzem Kaffee und Zigaretten vernahm sie jedoch ein schwaches Geräusch vom Ende der Straße, das sie schon länger nicht mehr gehört hatte. Sie zog sich ihre Stiefel und einen Mantel an und lief hinaus. Ein Streuwagen rollte langsam auf das Dorf zu und spie Splitt und Salz auf die Straße.
Agatha eilte zurück, um sich zu schminken und fürs Büro anzuziehen.
Sie bog eben aus der Lilac Lane, als sie vor sich den Wagen des Vikars erkannte. »Ein kurzer Blick kann nicht schaden«, versicherte sie sich. Sie ließ den Wagen hinter sich überholen und folgte ihm, das Auto des Vikars im Blick. Er fuhr ins Nachbardorf Ancombe und parkte bei St. Mary’s, einer großen katholischen Kirche. Das Dorf Ancombe war Charles I. treu geblieben, während überall sonst die Puritaner Cromwell unterstützt hatten.
Neugierig parkte Agatha am Ende der Straße und ging die Einfahrt hinauf an Grabsteinen vorbei zur Kirche.
Im Dämmerlicht drinnen konnte sie die hagere Gestalt von Mr. Bloxby ausmachen, der in einen Beichtstuhl ging. Sie duckte sich in eine Kirchenbank, als ein Priester kam und gleichfalls den Beichtstuhl betrat.
Ich muss wissen, was er sagt, dachte Agatha. Sie zog ihre Schuhe aus und schlich auf Zehenspitzen zu dem Beichtstuhl, in dem der Vikar verschwunden war, drückte das Ohr dagegen und lauschte.
»Was machen Sie denn da?«, brüllte eine laute Stimme.
Agatha blickte zu einem furchteinflößenden Mann, der gerade in die Kirche gekommen war. Rasch schloss sie die Augen und sackte zu Boden. Die Beichtstuhltüren gingen auf, und Mr. Bloxby und der Priester kamen heraus.
»Was geht hier vor?«, fragte der Priester näselnd.
Agatha öffnete die Augen. »Was ist passiert?«, fragte sie matt. »Mir ist schwindlig geworden, und da habe ich Mr. Bloxby kommen gesehen und wollte ihn um Hilfe bitten .«
»Sie hat gelauscht!«, behauptete ein dünner, sauertöpfischer Mann.
»Ich kenne diese Frau«, erklärte Mr. Bloxby. »Mrs. Raisin, kommen Sie mit mir nach draußen.«
Agatha stand auf. Niemand half ihr. Sie zog ihre Schuhe an. Mr. Bloxby ging voraus, und Agatha folgte ihm.
Vor der Kirche befahl Mr. Bloxby scharf: »Steigen Sie in meinen Wagen, Mrs. Raisin. Sie haben einiges zu erklären.«
Sie stieg auf der Beifahrerseite ein. Ein sanfter Nieselregen hatte eingesetzt.
»Also, erklären Sie sich, Sie schreckliche Frau«, verlangte Mr. Bloxby. Der Vikar hatte Agatha nie gemocht und konnte nicht verstehen, warum seine Frau ihr so zugetan war.
Sie wird nie wieder mit mir reden, dachte Agatha traurig, als ihr klar wurde, dass sie die Wahrheit sagen musste.
»Es ist so, Alf … darf ich Alf sagen?«
»Nein.«
»In Ordnung, gestern Abend habe ich Ihre Frau im Pub getroffen, und sie hat geweint. Sie glaubt, dass Sie eine Affäre haben.«
»Wie lächerlich … auch wenn ich mich im Laufe der Jahre einiger verliebter weiblicher Gemeindemitglieder erwehren musste.«
»Ich habe versprochen, nicht nachzuforschen«, sagte Agatha.
»Was in Ihrem Fall dasselbe ist, als würden Sie versprechen, nicht zu atmen.«
»Genau! Und ich habe es satt, ein schlechtes Gewissen zu haben«, entgegnete Agatha. »Was zur Hölle wollten Sie im Beichtstuhl einer katholischen Kirche?«
»Ich habe spirituellen Rat gebraucht.«
»Sagen Sie nicht, Sie sind vom Glauben abgefallen!«
»Nein, das ist es nicht. Ist Ihnen bekannt, dass wir das alte Gebetbuch und die King-James-Bibel benutzen?«
War es nicht, trotzdem antwortete Agatha mit »Ja«.
»Beides wunderschön geschrieben, auf einer Stufe mit Shakespeare. Der Bischof hat mich angewiesen, zu den modernen Übersetzungen zu wechseln. Das kann ich nicht. Ich kann einfach nicht. Und ich hatte das Gefühl, dass ich mich in dieser Sache dem Priester einer anderen Konfession anvertrauen müsste.«
»Warum haben Sie denn Ihrer Frau nichts erzählt?«
»Weil ich mit meinem Gewissen gerungen habe. Ich habe sogar überlegt, in die katholische Kirche einzutreten.«
»Und im Zölibat zu leben?«
»Der Vatikan schlägt Regelungen für Leute wie mich vor.«
»Reden Sie denn nicht mit Ihrer Frau?«
»Ich ziehe es vor, spirituelle Angelegenheiten mit mir selbst auszumachen.«
Auf einmal sah Agatha einen Ausweg für sich. Sie warf ihm einen verschlagenen Blick zu. »Ich könnte das für Sie regeln.«
»Sie?! Hören Sie bloß auf!«
»Werde ich, wenn Sie still sind und zuhören. Der Bischof wird sich nicht gegen die Wünsche der Gemeindemitglieder stellen. Das ganze Dorf unterschreibt eine Petition, dass die Dinge so bleiben sollen, wie sie sind, und schickt sie an den Bischof. Nichts leichter als das. Ich organisiere das für Sie, wenn Sie versprechen, Mrs. Bloxby nicht zu verraten, dass ich etwas damit zu tun habe. Ich bringe die Petition im Dorfladen an. Bei schlechtem Wetter kaufen alle dort ein. Und ich überrede Mrs. Tutchell, die neue Besitzerin, zu sagen, dass es ihre Idee ist. Fangen Sie sofort an, überall im Dorf darüber zu reden, angefangen bei Ihrer Frau. Sollte ich natürlich erfahren, dass Sie auch nur ein Wort über meine Beteiligung fallen gelassen haben, sind Sie auf sich gestellt, Freundchen. Von allen dummen Vikaren …«
»Warum hast du mir denn nichts gesagt?«, fragte Mrs. Bloxby eine halbe Stunde später, nachdem sie die Erklärung ihres Mannes gehört hatte.
»Zuerst wollte ich es mit mir allein ausmachen, aber als ich auf dem Rückweg im Dorfladen war, habe ich es dort zufällig erwähnt. Nun wollen die Dorfbewohner helfen und schicken eine Petition an den Bischof.«
»Hat Mrs. Raisin etwas damit zu tun?«
»Selbstverständlich nicht«, sagte der Vikar mit Blick zum Kaminfeuer. Nur eine Notlüge, Herr, versicherte er seinem Schöpfer. »Kannst du dir vorstellen, dass ich diese Frau um Hilfe bitte?«
Den Rest des Tages beschäftigte Agatha sich hauptsächlich damit, im Dorf von Tür zu Tür zu gehen, um Unterstützung für den Vikar zu bitten und jeden zu drängen, die Petition im Dorfladen zu unterschreiben. Ein großer Teil der Leute waren Neuzugezogene, die nur an Ostern und Weihnachten in die Kirche gingen, aber unbedingt »das Dorfding richtig machen« wollten, wie es eine übergewichtige Matrone formulierte. Am späten Nachmittag fuhr Agatha zum Büro, das Toni gerade am Arm eines großen bärtigen Mannes in Tweed verließ.
»Darf ich Ihnen Paul Finlay vorstellen?«, sagte Toni.
»Ah, die große Detektivin!« Paul war Ende dreißig, schätzte Agatha, und trat furchtbar bevormundend auf. Er hatte zerklüftete Züge und die Art blitzende Augen, die darüber hinwegtäuschten, dass ihr Besitzer keinerlei Sinn für Humor hatte.
»Wir wollen ausgehen«, erklärte Toni rasch. »Bis dann.«
»Warten Sie kurz«, sagte Agatha. »Freitagabend kommt Roy, und am Samstag wollen wir zum Spießbratenessen nach Winter Parva. Wie wäre es, wenn Sie und Paul mitkommen? Seien Sie einfach rechtzeitig bei mir, dann fahren wir zusammen, denn es wird sicher knapp mit Parkplätzen.«
»Ein Spießbratenessen?« Paul lachte. »Wie putzig. Natürlich kommen wir mit.«
»Schön. Es fängt um sechs an, aber ich möchte ein bisschen früher dort sein«, erklärte Agatha. »Kommen Sie gegen vier auf einen Drink vorbei, und dann fahren wir.«
Agatha blickte ihnen nach, als sie davongingen. Tonis schlanke junge Gestalt nahm sich neben dem großen Paul winzig und verletzlich aus.
»Passt gar nicht. Was für ein Idiot«, murmelte Agatha, und eine Frau, die gerade vorbeikam, sah nervös zu ihr.
Agatha sah im Büro nach, was gegenwärtig anstand, und fuhr wieder nach Hause. Sie näherte sich eben der Lilac Lane, als ein Streifenwagen vor ihr einbog und ihr den Weg abschnitt.
Agatha trat auf die Bremse und sah in den Rückspiegel. Dann kam der Polizist, der ihr einen Strafzettel wegen Naseputzens verpasst hatte, auf sie zu. Sie öffnete ihr Seitenfenster. »Was ist jetzt?«, fragte sie.
»Ich hatte da oben auf der Straße ein Blitzgerät in der Hand, und Sie sind zweiunddreißig Stundenkilometer gefahren. Das macht drei Punkte und ein Bußgeld.«
Agatha wollte ihm gerade ihre Meinung sagen, als ihr bewusst wurde, dass er sie vermutlich wegen Beleidigung eines Polizisten verknacken würde. Er hielt ihr einen Vortrag über die Gefahren des Rasens, und Agatha war klar, dass er sie dazu bringen wollte, die Beherrschung zu verlieren. Also hörte sie sich alles ruhig an, bis er aufgab.
Als er endlich weg war, wendete sie und ging in den Dorfladen, wo sie ein interessiertes Publikum über die Ungeheuerlichkeit der Polizei im Allgemeinen und eines Polizisten im Besonderen informierte. »Ich könnte ihn umbringen«, rief sie. »Mögen er über einem Höllenfeuer rösten.«
Es war ein frostiger Freitagabend, an dem Agatha zum Bahnhof in Moreton-in-Marsh fuhr und Roy abholte. Er trug eine schwarze Hose, einen schwarzen Pullover und darüber eine rote Jacke mit eingewebten Goldfäden. Den Kopf hatte er sich kahlrasiert, und Agatha fand, dass ihr Freund wie eine Kreuzung aus einem gerupften Huhn und einem Bewerber um einen Job als Redcoat-Kinderanimateur in einem Butlins-Ferienlager aussah.
»Dreh die Heizung auf«, bat Roy, als er in den Wagen stieg. »Ich bin am Erfrieren.«
»Wundert mich nicht«, sagte Agatha. »Was soll die Glatze?«
»Das ist in«, antwortete Roy verschnupft, »und es stärkt das Haar. Ist nur vorübergehend.«
»Ich leihe dir warme Sachen.«
»Deine Sachen an mir, Babes?«, fragte Roy spitz. »Ich sähe aus, als würde ich ein Zelt tragen. Ich meine, ich passe ja zweimal in dich.«
»Ich bin nicht fett«, fauchte Agatha. »Du bist ungesund dünn. Im Gästezimmer sind einige Sachen von Charles.« Sir Charles Fraith, ein Freund von Agatha, nutzte ihr Cottage oft als Hotel.
Roy erwiderte störrisch, seine Kleidung wäre vollkommen angemessen, doch als sie zu Agathas Cottage kamen, war der Strom wieder ausgefallen und das Haus kalt.
Während Agatha im Wohnzimmer Feuer machte, hängte Roy sein kostbares Jackett in den Schrank im Gästezimmer und fragte sich, wie jemand solch eine Kreation nicht lieben konnte. Er fand einen Kaschmirpullover von Charles und zog ihn über.
Als er wieder zu Agatha kam, brannte das Feuer im Kamin. »Wie lange dauern diese Stromausfälle?«, fragte er.
»Normalerweise nicht lange«, antwortete Agatha. »Etwas stimmt mit dem Kraftwerk nicht, das diesen Teil des Dorfs versorgt.«
»Gibt es Pläne für das Wochenende?«
»Wir fahren morgen nach Winter Parva, wo sie ein Schwein über offenem Feuer rösten.«
»Keine Chance, ich bin Vegetarier.«
»Seit wann?«
Roy wurde verlegen. »Seit einem Monat.«
»Das ist keine Ernährungsumstellung, du hungerst dich krank«, warf Agatha ihm vor. »Ich habe Steaks zum Abendessen.«
»Die kann ich nicht anrühren«, sagte Roy. »Über offenem Feuer? Heißt das, die rösten das Tier auf einem Spieß wie in diesen historischen Filmen?«
»Ja.«
»Bäh und Doppel-Bäh, Iih-Bäh, Aggie. Das ist ekelhaft.«
Doch als Toni und Paul am nächsten Tag da waren und sie wieder Strom hatten, beschloss Roy, dass alles besser war, als allein zurückzubleiben. Bill Wong hatte angerufen und gesagt, dass er es nicht schaffen würde.
Sie nahmen gerade einen Drink, als Charles Fraith eintraf. Wie immer war er lässig-elegant und teuer gekleidet. Er hatte feine, ebenmäßige Züge und gut geschnittenes Haar. Agatha wusste nie recht, was er über sie dachte. Er nahm sich einen Whisky und spazierte direkt von Fettnäpfchen zu Fettnäpfchen. So fragte er Roy mitfühlend, ob er Krebs hätte. Als der verneinte, sagte Charles: »Ich wollte dir vergeben, dass du einen meiner Pullover trägst, aber da du nicht leidest, finde ich, du hättest mich vorher fragen können.«
»Ich habe ihm gesagt, er kann sich etwas leihen«, erklärte Agatha. »Aber ich habe dir noch gar nicht Paul Finlay vorgestellt.«
»Tonis Onkel?«
»Nein, nur ein Freund«, antwortete Agatha.
Paul war empört. Charles’ Oberschichtakzent kitzelte das Schlimmste aus ihm heraus. Sein eigener leichter Birmingham-Akzent wurde stärker, als er plötzlich eine Tirade über die Ungerechtigkeit des britischen Klassensystems und den Adel, der auf Kosten der Armen lebte, von sich gab.
Dem Himmel sei Dank für Charles, dachte Agatha. Jetzt musste Toni erkennen, was für ein Horror dieser Mann war.
Nur lauschte Toni ihm mit leuchtenden Augen.
Charles wartete, bis Paul die Puste ausgegangen war, und erwiderte ruhig: »Was für ein Haufen altmodischer Unsinn. Wann wollen wir los?«
»Trinkt aus«, sagte Agatha. »Ich will rechtzeitig da sein, um einen Parkplatz zu erwischen. Es wird ein bisschen eng im Wagen.«
»Ich nehme Roy mit«, bot Charles an.
»Du brauchst eine dicke Jacke«, sagte Agatha zu Roy. »Meine Barbourjacke hängt in der Diele. Nimm die.«
»Ich kann mein Jackett anziehen.«
»Dann erfrierst du. Kommt, Leute.«
Zarte Nebelschwaden wanden sich ihren Weg zwischen den Bäumen hindurch, als sie nach Winter Parva fuhren. Sie parkten am Dorfrand, da im Dorf selbst schon alle Plätze besetzt waren. Paul, der dringend mit Toni allein sein wollte, verkündete, dass sie sich die Läden ansehen wollten und die anderen rechtzeitig zum Spießbratenessen auf dem Dorfanger treffen würden.
Agatha, Charles und Roy gingen in den nächsten Pub, wo sie ein herrlich warmer Schankraum erwartete.
»Wegen Paul muss etwas unternommen werden«, sagte Charles. »Ich glaube, Toni ist noch unberührt, und der Gedanke, dass sie ihre Unschuld unter den haarigen Schenkeln dieses Langweilers verliert, ist entsetzlich.«
»Er könnte ihr einen Antrag machen«, gab Roy zu bedenken.
»Ich werde mal ein bisschen nachforschen«, sagte Agatha. »Ich wette, dass er entweder verheiratet ist oder es war. Warum erkennt Toni nicht, was für ein Langweiler er ist? Und wie kann sie sich diesen Klassenquatsch anhören?«
»Vielleicht spricht es sie an«, mutmaßte Charles. »Du vergisst, dass sie in rauen Verhältnissen aufgewachsen ist. Kann sein, dass sie nicht weiß, wo ihr Platz in der Welt ist. Solche Propaganda kann sehr verführerisch sein. Wo hat sie ihn eigentlich kennengelernt?«
»In einem Französischabendkurs«, antwortete Agatha finster. »Er ist der Dozent.«
Roy blickte sich zu den Leuten in ihren Mittelalterkostümen um. »Wir hätten uns verkleiden können, Aggie«, jammerte er.
Agatha sah auf ihre Uhr. »Machen wir uns lieber auf den Weg. Ich will sehen, wie sie dieses Schwein vorbereiten.«
Der Nebel hatte sich verdichtet. Ohne die geparkten Autos hätte man denken können, das Dorf sei ins Mittelalter zurückgefallen, so wie die kostümierten Dorfbewohner aus dem Nebel auftauchten und wieder in ihm verschwanden.
Zwei Männer begossen ein riesiges Schwein mit Öl, das auf einem Spieß über einem Kohlefeuer hing.
Einige Dörfler hatten brennende Fackeln bei sich. Als sich der Nebel ein wenig lichtete, sah Agatha deutlich ein tätowiertes Herz mit einem Pfeil mittendurch und dem schnörkeligen Schriftzug Amy. Sie musterte das Ding bis hin zu den dicken Beinen, die oberhalb des Knies abgehackt waren.
»Stopp!«, schrie sie, so laut sie konnte.
Die beiden Männer am Spieß drehten sich zu ihr um. »Schweine haben keine Tattoos«, sagte Agatha.
Sie schauten hin. »Da hat sich wohl jemand einen Scherz erlaubt«, sagte der eine Mann.
Doch Agatha hatte bereits eine Taschenlampe hervorgeholt und untersuchte den Kopf.
»Der Kopf ist angenäht worden«, sagte sie. »Oh, Gott, ich glaube, das ist die Leiche eines Mannes! Ruft die Polizei!«
Toni war kalt, und sie sorgte sich. Sie wäre gern mit den anderen gegangen, aber Paul meinte, er wollte sie etwas Wichtiges fragen. Nun hatten sie ihren ersten Streit gehabt, denn Toni wollte keine Kritik an Charles hinnehmen. Charles war nett zu ihr gewesen, hatte sie erwidert. Paul angelte in seiner Tasche nach dem Ring, den er gekauft hatte.
Doch dann hörten sie das Heulen von Polizeisirenen aus dem Nebel, und eine Frau in der Nähe schluchzte: »Das ist entsetzlich. Krank. Mord!«
Toni sprang auf. »Da stimmt etwas nicht. Ich muss zu Agatha.« Ihre schmale Gestalt in dem knallroten Mantel verschwand im Nebel. Leise fluchend stand Paul auf und folgte ihr.
Toni musste sich einen Weg durch die Menge kämpfen. Die Polizei sperrte den Bereich um das Feuer ab. Mit Ellbogeneinsatz drängte Toni sich nach vorn durch. Im Schein des Feuers und der Fackeln, die einige Dorfbewohner hielten, sah sie, dass Agatha, Charles und Roy von Police Inspector Wilkes befragt wurden. Bill Wong stand neben ihm. Roy war ein Stück hinter ihnen und telefonierte.
Toni duckte sich unter dem Absperrband hindurch. Eine Polizistin rief, sie solle sofort zurückkommen, aber Bill blickte auf und signalisierte, dass sie durchgelassen werden durfte.
Paul wollte hinter ihr her, wurde jedoch von einem bulligen Polizisten zurückgehalten. »Ich muss da durch«, sagte Paul. »Das da drüben ist meine Verlobte.«
»Auf dem Spieß?«, fragte der Polizist.
»Nein, Sie Idiot. Das blonde Mädchen da!«
»Haben Sie mich einen Idioten genannt?«
»Nein, nein«, antwortete Paul kleinlaut und ging zurück.
Agatha fröstelte, und die Befragung wollte kein Ende nehmen. Sie hatte das Gefühl, in einem alten Gruselfilm gelandet zu sein. Ihre Gedanken schweiften zu ihrem Exmann ab. Sie hatte ihn seit dem Abend nicht mehr gesehen, an dem er glaubte, Charles zu ertappen, wie er Agatha einen Antrag machte. Tatsächlich hatte Charles ihr einen Antrag machen wollen, bis Agatha ihn mit dem Hinweis abwürgte, dass es nicht funktionieren würde. Doch als sie James dann kommen hörte, hatte sie Charles rasch angewiesen, sich hinzuknien und es echt aussehen zu lassen.
Auf einmal wurde die schaurige Szenerie von weißem Licht erhellt. Ein Fernsehteam war eingetroffen.
»Stellt ein Zelt um die Leiche auf!«, knurrte Wilkes. »Mrs. Raisin, ich möchte, dass Sie und Ihre Freunde zum Revier fahren und eine offizielle Aussage machen. Und das heißt, Sie auch!« Er packte Roy, der unter dem Absperrband hindurch zum Kamerateam laufen wollte.
Agatha hatte gesagt, sie würde alle nach Mircester fahren. Sie konnte hören, dass Paul hinter dem Absperrband etwas rief, aber das erzählte sie Toni nicht.
Nach stundenlanger weiterer Befragung auf dem Revier unterschrieben sie müde ihre Aussagen. Bill ging mit ihnen hinaus in den Empfangsbereich.
Dort zog Agatha ihn zur Seite. »Kannst du etwas für mich tun?«, flüsterte sie. »Toni hat einen neuen Verehrer namens Paul Finlay, ein Dozent am Mircester College, der Abendkurse in Französisch gibt. Er ist zu alt für sie. Kannst du mal nachsehen, ob irgendetwas gegen ihn vorliegt?«
»Ich habe hier alle Hände voll mit diesem Fall zu tun. Ach, jetzt sieh mich nicht so böse an. Wenn ich eine Minute Zeit habe, versuche ich es.«
Durch die Glastüren konnte Toni sehen, dass Paul draußen wartete. »Kommen Sie mit uns zurück zu mir nach Hause?«, fragte Agatha.
Toni wollte über den Mord reden – falls sich denn herausstellte, dass es Mord war. Vielleicht hatte auch jemand eine Leiche aus einem Grab oder einer Leichenhalle gestohlen. Und plötzlich wollte sie Paul an diesem Abend nicht mehr sehen.
»Ich komme hin«, sagte sie. »Richten Sie Paul aus, dass ich nach Hause gegangen bin.«
»Super! Ich meine, in Ordnung«, korrigierte Agatha sich hastig.
Toni war mit dem Revier vertraut und verließ das Gebäude durch den Hintereingang. Langsam ging sie nach vorn, wo keine Spur mehr von Paul zu sehen war. Sie hatte ihren Wagen bei Agathas Cottage gelassen, weil sie Paul und sich nach Carsely gefahren hatte. Vermutlich war er in einem Streifenwagen zurück nach Mircester gekommen oder hatte ein Taxi genommen.
Sie sah ein freies Taxi vorbeifahren und winkte es heran.
Agathas Cottage war von Presse und Fernsehen belagert, denn Roy hatte alle Medienbüros angerufen, die ihm eingefallen waren. Grinsend stand er neben Agatha, vergaß hin und wieder, dass er kahlköpfig war, und warf den Kopf in den Nacken wie in einer Shampoo-Werbung. Als er sich später im Fernsehen sah, heulte er unglücklich auf. Sein Grinsen sah albern aus, und seine Kopfbewegungen wirkten wie ein nervöses Zucken.
Agatha gab ein kurzes Statement ab. Toni bahnte sich ihren Weg zwischen den Reportern hindurch. »Toni, Toni!«, riefen mehrere von ihnen, die sie erkannten. »Haben Sie einen Kommentar für uns?« Agatha drehte sich um und fixierte Toni mit einem bösen Blick. Ihre wunderschöne Detektivin war nicht einmal dort gewesen, als die Leiche entdeckt wurde, und Agatha würde sich von ihr nicht aus dem Rampenlicht drängen lassen.
Toni huschte ins Cottage, dicht gefolgt von Agatha, die hinter ihnen die Tür zuknallte. Roy und Charles waren bereits im Wohnzimmer, wo Charles den Fernseher eingeschaltet hatte.
»Mach das aus!«, befahl Agatha.
»Aber auf Sky wiederholen Sie CSI Miami«, wandte Charles ein. »Ach, wie du willst.«
»Gut«, sagte Agatha. »Wir müssen diesen Fall lösen.«