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Wenn Tschingis Aitmatows Kinder Eldar und Shirin nicht einschlafen wollten, baten sie ihren Vater um eine Geschichte. Und so erzählte er: von einem Äffchen, das keines war, von drei tapferen Schwestern, die in ihrer Not Berge und Wälder sprießen lassen, und von den Wirbelwinden der weiten Steppen, die im Balchaschsee versinken und das Schicksal der furchtlosen Königstochter Akbara heraufbeschwören. Dieser Band versammelt drei Märchen, die Tschingis Aitmatow seinen Kindern erzählt hat, inspiriert von den Sagen und Legenden Kirgisiens.
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Seitenzahl: 150
Wenn Tschingis Aitmatows Kinder nicht einschlafen wollten, baten sie ihren Vater um eine Geschichte. Und so erzählte er: von einem Äffchen, das keines war, von drei Schwestern, die in ihrer Not Berge und Wälder sprießen lassen, und von den Wirbelwinden der weiten Steppen, die das Schicksal der furchtlosen Königstochter Akbara heraufbeschwören.
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Tschingis Aitmatow (1928–2008) erlangte mit der Erzählung Dshamilja Weltruhm. Er besuchte das Maxim-Gorki-Literaturinstitut in Moskau und war Redakteur einer kirgisischen Literaturzeitschrift. Sein Werk fußt auf den Erzähltraditionen Kirgisiens und verarbeitet die Grundfragen der Zeit.
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Friedrich Hitzer (1935–2007) war freischaffender Autor, Übersetzer und Redakteur und engagierte sich als Kulturvermittler zwischen Europa, Russland und Mittelasien. 2006 wurde er mit der Puschkin-Medaille für sein Lebenswerk als Brückenbauer geehrt.
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Tschingis Aitmatow
Akbara
und andere Märchen
Aufgezeichnet und aus dem Russischen von Friedrich Hitzer
E-Book-Ausgabe
Unionsverlag
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Die Originalausgabe erschien 1997 im Verlag Faber & Faber, Leipzig.
© by Friedrich Hitzer 1997
© by Unionsverlag, Zürich 2024
Alle Rechte vorbehalten
Umschlag: The Hungry Soul, Lucy Campbell, www.lupiart.com
Umschlaggestaltung: Sven Schrape
ISBN 978-3-293-31190-9
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Cover
Über dieses Buch
Titelseite
Impressum
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Inhaltsverzeichnis
AKBARA
AkbaraDas Glück der drei armen MädchenDas Äffchen mit der SchultascheMehr über dieses Buch
Über Tschingis Aitmatow
Tschingis Aitmatow: Über mein Leben
Kasat Akmatow: Tschingis Aitmatow bei sich zu Hause
Über Friedrich Hitzer
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In den endlosen Weiten um den Balchaschsee breiten sich abgestorbene, menschenleere Steppen aus. Es wird erzählt, dass es hier vor langer Zeit fruchtbares Land gegeben hat, Regen, Pflanzen und grünes, grünes Gras. Und es sprudelten Bäche und Quellen, und Flüsse strömten durch das weite Land, wo viele Menschen glücklich lebten, die mit ihren Herden von Weide zu Weide zogen.
Und es war einmal das Khanat Toro Baital. Niemand weiß so recht, ob es tatsächlich ein großes Königreich war oder nur ein winziges Feudalreich. Aber man kann bis in unsere Tage die Ruinen der Grabstätten sehen, die einst prachtvolle Mausoleen waren. Heute ist aber dort keine Menschenseele mehr anzutreffen. Nichts lebt, alles ist erstarrt und wie tot, erbarmungslos glüht die Sonne auf die trockene Erde herab.
Nur dann und wann im Hochsommer, wenn die Hitze unerträglich ist, tauchen am fernen Horizont Sandsäulen auf – Wirbelwind um Wirbelwind jagt über die Einöde. Die Wirbelwinde kommen von weit her, sie fegen durch die weiten Steppen, und wenn sie endlich ihr Ziel, den Balchaschsee, erreicht haben, versinken sie im Wasser.
Dann sagen die Hirten am Ufer des Sees: »Das ist Akbara, die schöne Akbara, die vor ihren Feinden flieht.«
Die Hirten sprechen das mit ehrfürchtiger Stimme aus und fallen zurück in ihr Schweigen.
Der Ort, wo die Wirbelwinde verschwinden, liegt nahe der schönsten Bucht des Balchaschsees. Sie zieht sich hin wie ein schmaler, langer Strich aus Wasser. Auch die Bucht heißt Toro Baital – die braun gescheckte Stute.
In den alten Zeiten, als das Land gesegnet war und Menschen darin lebten, als Gräser wuchsen und das Vieh weidete, gab es dort einen weithin gerühmten Khan. Ihm war nur ein einziges Kind geboren worden – die bildschöne Akbara.
Dieser Khan war klug und geachtet, natürlich war er ein reicher Mann. Aber das genügte ihm nicht. Er wünschte sich, dass sein einziges Kind alles erlernte, was es zu lernen gab, ohne jeden Zwang sollte es aufwachsen und einzigartig sein. Die besten Lehrer und Mullahs unterrichteten das Mädchen. Und so lernte Akbara, die Tochter des Khans, lesen und schreiben, und Akbara war sehr begabt.
Aber unter den Stämmen in den Weiten um den Balchaschsee war dieser Khan der Vasall eines noch mächtigeren Khans. Und der Großkhan war ein gefürchteter Tyrann, der danach strebte, mit Allmacht über die Menschen zu herrschen. Er führte ständig Kriege. Er selbst und seine Nächsten waren zueinander wie Katz und Maus, da traute keiner dem anderen, sie belogen und betrogen sich und stellten sich gegenseitig Fallen.
Natürlich suchte der tyrannische Großkhan mit Akbaras Vater, dem guten Khan, Streit. Sie mochten sich nie, doch einer offenen Fehde waren sie bis dahin aus dem Weg gegangen. Alle wussten, dass der Großkhan den Vater der schönen Akbara hasste. Die Feindschaft zwischen den beiden war groß, und die Spannung wuchs beständig. Aber nicht davon handelt unsere Geschichte.
In derselben Gegend gab es einen jungen Mann, der von armen Leuten abstammte. Er hieß Muchtar, war voller Tatendrang und Wissbegierde. Die Mullahs seines Ortes entdeckten sein Talent, lehrten ihn ihre Kunst und ihr Wissen, und er hatte bald alles gelernt, was ihm die Lehrer seiner Heimat beibringen konnten. Dann sorgten sie dafür, dass er in die Medrese nach Chiwa geschickt wurde – in die beste Schule von ganz Mittelasien. Chiwa war das Zentrum der Kultur und lag weit entfernt vom Ail am Balchaschsee, aus dem er stammte. Doch der Ruhm des Khanats von Chiwa war weit verbreitet. Chiwa ist längst versunken, aber noch heute kann man an den großartigen Mausoleen erkennen, wie prachtvoll das mittelalterliche Chiwa gewesen ist.
Die Mullahs seiner Gegend schickten also den fähigen jungen Mann zum Studium nach Chiwa. Aber Muchtar blieb mit seiner Heimat verbunden und kam immer wieder zu Besuch nach Hause an den Balchaschsee.
Das größte Talent des jungen Mannes war die Poesie, er konnte wunderschöne Gedichte schreiben. Auch Akbara verfasste Verse. Und die Neigung der beiden, Gedichte zu verfassen, brachte die schöne Akbara, Tochter des reichen Khans, und Muchtar, den begabten Sohn einer armen Familie im Ail am Balchaschsee, einander näher.
Wie heute gab es auch damals Treffpunkte der jungen Menschen, wo sie sangen, spielten und tanzten. Eines schönen Abends, als die Mädchen und Burschen beisammen waren und sich vergnügten, da verliebten sich Akbara und der Dichter aus Chiwa ineinander. Die siebzehnjährige Akbara und der Chiwine, wie ihn alle nannten, trugen ihre Verse vor. Der Chiwine blickte in Akbaras Augen. Von diesem Tag an konnte er nicht mehr vergessen, wie die Augen Akbaras strahlten, und wie herrlich ihre Stimme klang, als sie ihre Verse sang.
Die Augen Akbaras waren ganz blau. Unter asiatischen Menschen kommt das selten vor, und Akbaras Augen waren von einem ganz besonderen Blau.
Als sie um die besten Lieder und Gedichte wetteiferten, war dem Chiwinen sofort klar, dass Akbara in allem unvergleichlich war. Sie fesselte ihn nicht nur durch ihre Schönheit, sondern auch durch ihr ungezwungenes Wesen, war sie doch die Tochter eines Khans. Er empfand, der Vortrag ihrer Lieder und Verse war ganz ihm, dem Dichter aus Chiwa, bestimmt. Er erwiderte ihr darauf mit seiner Kunst. Um nicht gleich allen zu zeigen, was er empfand, begann er mit Versen, die andere verfasst hatten und schon bekannt waren. Erst dann trug Muchtar eigene Lieder und Verse vor, denen er einen tieferen Sinn unterlegte. Diese Gedichte enthielten etwas Verborgenes, das allein Akbara galt, sie drückten das Gefühl und die Sehnsucht des Chiwinen aus. Der Dichter aus Chiwa wandte sich also an die schöne Akbara mit Worten, die er verschlüsselte.
So begann die Geschichte der großen Liebe Akbaras und Muchtars.
Natürlich war die schöne Tochter des reichen Khans für ihn unerreichbar. Was besaß er schon? In seiner Sippe gab es niemanden, der ihn, wie es Sitte und Brauch jener Zeit erforderten, unterstützen konnte. Niemand konnte für Muchtar bei Akbaras Vater um die Hand der Tochter anhalten. Um überhaupt vor den Khan treten zu dürfen, hätte Muchtar mit einer Karawane ankommen müssen, mit Geschenken und Menschen von Rang, die der Khan anerkennt und anhört.
Das erfüllte den Dichter aus Chiwa mit tiefer Trauer, ja es machte ihn fast schwermütig. Muchtar liebte Akbara mehr als alles in der Welt, und Akbara erwiderte die gleichen Gefühle. Er war der einzige Mann, dem sie ihr Herz öffnete. Nur ihn wollte sie ewig lieben. Und je länger der Wunsch währte, desto heftiger wurde die Liebe.
Es gab damals keine Post wie in unseren Tagen. Dann und wann reiste jemand von Chiwa an den Balchaschsee, oder vom Balchasch ins berühmte Chiwa mit ihrer Medrese, den prachtvollen Mausoleen und dem herrlichen Schloss in Kunja-Ark. Wer eine Liebesbotschaft überbringen wollte, suchte einen Reisenden und gab ihm seine Worte mit auf den Weg, die schönsten Verse der Zeit, die dann die Jugend als Lieder sang. Ganz besonders das Lied über Akbara und ihre unsterbliche Liebe zu Muchtar, dem Chiwinen, der sich so weit weg von ihr danach verzehrt, sie zu sehen und zu umarmen.
»O, Akbara«, schrieb er ihr, »ich bin so weit weg von dir, lese Bücher um Bücher und schreibe dir meine Verse, all das erfüllt meine Tage, und dennoch brennt in mir die Sehnsucht nach dir, geliebte Akbara, wie kann ich nur zu dir gelangen, für immer bei dir sein, um in deine blauen Augen zu blicken, deinen Gesängen zu lauschen und mich an deiner Stimme zu berauschen.«
Muchtar schrieb ihr all das, was das Herz eines jungen Liebenden erfüllt, und sie antwortete ihm mit derselben Leidenschaft.
Noch heute singt man dort, wo Akbara einst lebte, die Lieder über ihre Liebe. Doch leben dort in unserer Zeit fast keine Menschen mehr, nur ein paar alte Hirten, die weitererzählen, was man ihnen erzählte. Wahrscheinlich bin ich der Einzige, der das Glück hatte, dorthin zu gelangen und einen Alten zu treffen, der mir davon berichtete, als ich die seltsamen Wirbelwinde aus Sand sah, die ich nirgendwo sonst in der Welt gesehen habe. Das ist die Jagd der Wirbelwinde, ein Wind prescht hinter dem anderen her, als verfolge er ihn, bis sie alle in der Bucht Toro Baital versinken. Und der Alte sagte mir: »Das ist Akbara, die schöne Akbara, die vor ihren Feinden flieht. Wer hinhört, vernimmt ihre Lieder in den Wirbelwinden …«
Akbara und Muchtar, der Chiwine, lebten also lange voneinander getrennt, er studierte in Chiwa, und sie verbrachte ihre Tage am Balchaschsee.
Allmählich sprach sich herum, was als das Geheimnis der beiden begonnen hatte. Ihre Briefe und Verse wurden zu Liedern des Volkes, die bei Festtagen und Hochzeiten die besten Sängerinnen und Sänger vortrugen. Die Liebe von Akbara und dem Chiwinen war in aller Munde. Und genau dies sollte ihr Verhängnis werden.
Akbaras Vater war inzwischen beim Großkhan in Ungnade gefallen. Der Tyrann wusste wohl, dasssein Vasall nicht schwach war. Hinter dem Vater von Akbara standen mehrere Stämme, die zu kämpfen verstanden. Der Großkhan war sich also nicht sicher, wer in einem Krieg gewinnen würde. Andererseits wollte er aber nicht untätig bleiben und sich lächerlich machen. Ein Mann hatte Mann zu sein, vor allem ein Großkhan.
Der Tyrann wusste natürlich auch von der großen Liebe Akbaras und Muchtars. Auch ihm waren die feurigen Verse des Chiwinen und die Antworten der schönen Akbara zu Ohren gekommen. Der Großkhan war zwar nicht mehr der Jüngste, er hatte bereits drei Frauen, wie es sich damals gehörte, aber keine von ihnen besaß die Reize Akbaras. Mit Gewalt wollte er sich die Tochter seines Vasallen nicht nehmen. Dagegen hätten sich Akbara und ihr Vater gewehrt.
Der Großkhan dachte sich: »Wenn ich mich mit ihr vermähle, dann werden wir zu einem Clan gehören, die Fehden werden eingestellt, es gibt keinen Krieg, und ich besitze die schöne Akbara.«
Daraufhin ersann sich der mächtige, tyrannische Großkhan eine teuflische List.
Noch am selben Tag schickte er seine Leute nach Chiwa und ließ dem Chiwinen ausrichten: »Das Volk rühmt dich, Dichter von Chiwa! Du bist jung, klug und wissend. Du kannst dein künftiges Schicksal selbst bestimmen. Komm an meinen Hof und werde mein Sänger und Chronist. Ich brauche dich in meinen Diensten und werde es dir reichlich entlohnen. Zögere nicht und mache dich sofort auf den Weg!«
Für Muchtar war das ungeheuerlich und unerwartet. Der allmächtige, reiche Großkhan lädt ihn, einen Menschen aus armer Sippe, an den Hof ein. Er ahnte ja nicht, welchen Dienst der Großkhan für ihn vorsah, der ihm Ansehen und Glück versprach. So dachte der Chiwine nicht lange nach und kehrte zurück an den Balchaschsee.
Nun gehörte er zur Horde, zum Kreis derer, die dem Großkhan am nächsten standen.
Eines Tages lud ihn der Großkhan zu einem Gespräch ein und umwarb den Chiwinen, der natürlich wusste: »Der Khan ist der Herrscher, er hat die Gewalt über alles und alle. Ich bin jung und arm, besitze nichts außer der Fähigkeit, Verse zu schreiben.«
Jetzt schlug ihm der Khan ganz offen vor: »Chiwine, du sollst mein erster Mann werden. Du wirst mächtig sein. Deine Sippe wird Ruhm erlangen. Ihr seid arm und unbekannt. Ihr wart immer schwach. Jetzt könnt ihr zu den Starken gehören.«
Allmählich dämmerte es dem Chiwinen, was der Großkhan mit ihm vorhatte, der ihn aufmerksam beobachtete und dann sagte: »Das geschieht, wenn du dich an die Spitze meiner Karawane stellst und in meinem Namen beim Khan von Toro Baital um die Hand seiner Tochter anhältst. Sag dem Khan: Ich, der Großkhan von Balchasch, habe den Wunsch, Akbara zur Frau zu nehmen. Von da an werden wir in einem Clan verbündet sein. Es wird dann keinerlei Feindschaft mehr zwischen uns bestehen.«
So redete der Großkhan auf den Chiwinen ein, denn er brauchte für die Brautwerbung einen Akyn, der all das im Gesang vorträgt, was er, der Großkhan, sich wünscht. Den Akyn hörte auch das Volk begeistert an. Und ein Akyn, der die Weisheit und die Verhandlungskunst des Khans in schönen Versen rühmt, war selten.
Aber der Großkhan wollte noch mehr. Er wusste von der großen Liebe zwischen Akbara und dem Chiwinen. Diese Liebe musste verschwinden und bloßgestellt werden, damit er seine Wünsche befriedigen konnte. Mit solcher List umgarnte der Großkhan den armen Chiwinen.
Der Dichter aus Chiwa quälte sich lange. Er konnte mit niemandem offen über seinen Schmerz reden. Und er wusste: »Ich habe gar keine andere Wahl. Gegen seinen Willen bin ich machtlos.«
Auch der Großkhan wusste: »Der Chiwine hat gar keine andere Wahl. Mein Wille ist für jeden ein Befehl.«
Akbara hatte schon erfahren, dass ihr Geliebter aus Chiwa zurückgekehrt war, und erwartete ihn voller Sehnsucht. Dafür wollte sie den richtigen Augenblick abwarten. Man musste nur noch den Anlass finden.
Zu der Zeit war Akbara weithin geachtet und beliebt. Alle bewunderten ihre Schönheit und ihren freien Geist. Ihr Vater ließ sie in allem gewähren, und Akbara hatte ihre Freiheit so sehr schätzen gelernt, dass sie sich gar nichts anderes mehr vorstellen konnte.
Akbara besaß eine herrliche Braunstute. Stets war ein Gefolge von Freundinnen und Gespielinnen an ihrer Seite. Sie unternahmen gemeinsame Spaziergänge, ritten aus und waren voller Lebensfreude. Für Akbara und ihr Gefolge richtete man die Pferde immer besonders her. Sie galoppierten ausgelassen über das grüne, fruchtbare Land. Jeder, der sie sah, freute sich über die gertenschlanke, blauäugige Schönheit, die inmitten ihrer Freundinnen als der glücklichste Mensch auf Erden erschien. Denn alle wussten inzwischen, wie sehr Akbara den Chiwinen liebte und wie groß die Sehnsucht des Chiwinen nach der Tochter des Khans war. Nicht wenige glaubten aber auch, dass er ihrer unwürdig sei, weil er von niederem Geschlecht abstammte.
Für Akbara kam dann alles völlig überraschend.
Im Geheimen wurden die Fäden gesponnen. Der Großkhan hatte durch Mittelsleute den Vater Akbaras wissen lassen, auf welche Weise er die Zwistigkeiten und den Hader zwischen Großkhan und Khan beseitigen wollte. Akbaras Vater ahnte zwar, dass Akbara nur Muchtar, den Chiwinen, liebte, aber für ihn war wichtiger, dass die Tochter den Großkhan heiratete. Dieser Bund sollte beide Khanate mächtiger machen und die Nachbarkhanate besser beherrschen lassen.