Aller Anfang ist küssen - Carly Phillips - E-Book
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Carly Phillips

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Beschreibung

Avery Dare führt als Videobloggerin für Mode und Make-Up ein beschauliches Leben in Miami. Sie hat gute Freunde und ein enges Verhältnis zu ihrer großen Familie. Dass in der Liebe bei ihr nicht viel los ist, findet sie eigentlich ganz gut. Doch als einer ihrer Exfreunde sie zu einem Konzert und auch hinter die Bühne einlädt, will sie das Risiko eingehen … und wird mit der Realität seines Rockstar-Lebens konfrontiert – der Presse, den Massen und den halbnackten Groupies.

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DAS BUCH

Avery Dare führt als Videobloggerin für Mode und Make-up ein beschauliches Leben in Miami. Sie hat gute Freunde und ein enges Verhältnis zu ihrer großen Familie. Dass in der Liebe bei ihr nicht viel los ist, findet sie eigentlich ganz gut. Doch als ihr Exfreund Grey Kingston sie zu einem Konzert und auch hinter die Bühne einlädt, will sie das Risiko eingehen – und wird mit der Realität seines Rockstar-Lebens konfrontiert: der Presse, den Massen und den halb nackten Groupies.

Mit achtzehn ließ Grey Kingston alles hinter sich, um als Rockstar reich und berühmt zu werden. Bei der Band Tangled Royal fand er als Leadgitarrist und Sänger, wonach er gesucht hatte. Die Fans beten ihn an, Frauen werfen sich ihm an den Hals, und er kann sich alles leisten, was er in seiner Jugend nicht hatte. Trotzdem will er auf dem Höhepunkt seiner Karriere alles aufgeben und nach Hause zurückkehren, um ein einfacheres Leben zu führen – mit der Frau, die er zurückgelassen hat, falls er sie überzeugen kann, ihm noch eine Chance zu geben.

DIE AUTORIN

Carly Phillips hat sich mit ihren romantischen und leidenschaftlichen Geschichten in die Herzen ihrer Leserinnen geschrieben. Sie veröffentlichte bereits über zwanzig Romane und ist inzwischen eine der bekanntesten amerikanischen Schriftstellerinnen. Mit zahlreichen Preisnominierungen ist sie nicht mehr wegzudenken aus den Bestsellerlisten. Ihre Karriere als Anwältin gab sie auf, um sich ganz dem Schreiben zu widmen. Sie lebt mit ihrem Mann und den zwei Töchtern im Staat New York.

CARLY PHILLIPS

Aller Anfang ist Küssen

Aus dem Amerikanischen von Karla Lowen

WILHELM HEYNE VERLAGMÜNCHEN

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

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Die Originalausgabe erschien 2015 unter dem Titel Dare To Rock bei CP Publishing.

Copyright © 2015 by Karen Drogin

Copyright © 2017 der deutschsprachigen Ausgabe by Wilhelm Heyne Verlag, München, in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Straße 28, 81673 München

Redaktion: Birgit Groll

Covergestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von shutterstock (Christos Siatos, Lisa)

Covermotiv:

Umsetzung eBook: Greiner & Reichel, Köln

ISBN 978-3-641-19462-8V002

www.heyne.de

Prolog

Der Schweiß lief Grey Kingston in Strömen herunter, und sein Herz pumpte in viel zu schnellen Schlägen Adrenalin durch seine Adern. Er war noch immer high von seinem Auftritt, als er in die Backstage-Lounge kam, wo er sich das durchgeschwitzte Shirt vom Leib riss und zu Boden warf. Zum Glück stand hier alles bereit, darunter auch ein Stapel Handtücher. Er trocknete sich Gesicht und Haar und versuchte, langsamer zu atmen.

Das Lärmen der Tangled-Royal-Fans, die klatschten und trampelten und nach einer Zugabe verlangten, hallte durch die Wände, doch die Band hatte ihr letztes Stück gespielt. Auch wenn sein Puls noch raste.

Greys Blick huschte zur Tür. »Hat sie die Karte abgeholt?«, fragte er Manager Simon Colson, der mit seinem Handy spielte.

»Was? Wer?« Simon, der stets gut gekleidete Brite, schob sein Handy in die Hosentasche. Natürlich trug er keine Jeans. »Gutes Konzert«, sagte er zu Grey und dem Rest der Band, ohne auf die Frage einzugehen.

Lola Corbin, Lead-Sängerin und Greys beste Freundin, tänzelte in ihren Stilettos herum und war noch ganz aufgekratzt von ihrem gemeinsamen Höhenflug. »Wir haben sie gerockt«, rief sie aus und warf ihre dunkle Mähne über die Schulter.

Milo Davis, ihr Bassist, grunzte etwas Unverständliches und fiel in einen Sessel in der Ecke. Grey musterte ihn. Milo schaffte es mittlerweile nur noch mit Ach und Krach durch ein ganzes Konzert, und das bereitete ihm Sorgen.

Aber im Moment hatte Grey andere Probleme und wandte sich erneut an Simon. »Ich habe dich gefragt, ob Avery Dare die Backstage-Ausweise abgeholt hat, die du am Einlass hinterlegen solltest.«

Simon zuckte die Schultern. »Weiß ich doch nicht.«

Grey verzog das Gesicht. Der gleichgültige Ton seines Managers ärgerte ihn. In letzter Zeit ging es ihm immer mehr auf die Nerven, dass Simon die Bedürfnisse der Bandmitglieder kaum zu kümmern schienen. Lola würde ihn vielleicht auch für ihre geplante Solo-Karriere als Manager engagieren, aber Grey wollte in Zukunft bestimmt nicht mehr mit ihm zusammenarbeiten.

Wenigstens klang es so, als hätte er die Karten hinterlegt. Wenn nicht, war er seinen Job los. »Dann finde es verdammt noch mal raus.«

»Was ist so besonders an diesem Chick?« Simon brachte den Satz kaum zu Ende, da packte ihn Grey bei seinem schnöseligen Hemdkragen und drückte ihn gegen die Wand.

»Rede noch einmal in diesem Ton über sie, und du bist erledigt.«

»Wow.« Die zierliche Lola schob sich zwischen sie und drückte Grey von ihrem Manager weg. »Alle mal tief durchatmen«, sagte sie. »Geh eine Runde spazieren und beruhige dich, bevor dein Besuch kommt«, befahl sie Grey.

Gehorsam stapfte er davon, ohne mitzubekommen, was sie anschließend Simon an den Kopf warf.

Gewiss, der Mann hatte gute Arbeit geleistet und Tangled Royal an die Spitze der Charts gebracht, doch ihm ging es vor allem um den Profit. Der Rest interessierte ihn kaum, zum Beispiel, dass Tangled Royal mehr als eine Band war, sondern aus Leuten mit echten Gefühlen, Problemen und einem Leben bestand. Deshalb war es kein Wunder, dass Simon noch immer nicht verstanden hatte, wie ernst es Grey und Lola mit ihren neuen Plänen war.

Drummer Danny Bills hatte Frau und zwei Töchter in L. A. Alle wussten, dass er zu seiner Familie wollte. Für Milo gab es eine andere Baustelle: Wenn er nicht mit den Drogen aufhörte, hatte er keine Zukunft.

Und was Grey betraf: Er wollte mehr, als herumziehen und berühmt sein, was ihm einst so wichtig erschienen war. Er wollte sie.

Sein Blick streifte erneut die Tür. Kein Zeichen von Avery. Er ließ den Kopf in den Nacken fallen und fragte sich, ob sie noch kommen würde oder ob sie die Einladung ignorierte … und damit ihn. Sein Magen zog sich zusammen bei dem Gedanken, sie nicht wiederzusehen. Als sie Teenager waren, war sie die Einzige gewesen, die ihn verstanden hatte. Damals war er ein einsamer Musiker gewesen, und sie hatte ihm Halt gegeben, als er abzuheben drohte. Mit ihrer weichen Stimme, dem vollen schwarzen Haar und Augen in der Farbe von Lavendel war ihr Bild tief in ihm verankert. Dennoch hatte sie ihn nicht halten können, als sein Wunsch nach Ruhm und Reichtum, danach, mehr zu sein, immer stärker geworden war.

Doch es war Averys Gesicht, das er in all den namenlosen Frauen suchte, mit denen er im Laufe der Jahre schlief, Avery, die ihn mit ihrem Glauben an ihn in dunklen Stunden half. Schon komisch. Er fragte sich, ob sie über all die Jahre hinweg auch an ihn gedacht hatte, und ob sie ebenfalls aufgeregt war, ihn heute vielleicht wiederzusehen.

Lautes Gekreische riss ihn aus den Gedanken, und er blickte auf. Eine Gruppe von Frauen kam in die Backstage-Lounge, spärlich bekleidet, toupiertes Haar, grelles Make-up und in eine Wolke aus Parfüm gehüllt, dass ihm schlecht wurde. Verdammt, hörte Simon eigentlich jemals zu? Grey hatte ausdrücklich gesagt, dass keine ihrer verrückten weiblichen Fans in den Backstage-Bereich gelassen werden sollten.

Also stieß er sich von der Wand ab und stürmte auf ihren Manager zu. »Ich sagte doch: Keine Groupies mehr nach den Konzerten.« Besonders heute nicht, wo er Avery erwartete.

Er warf einen angewiderten Blick auf die Frauen, die sich auf den benommenen Milo stürzten. Sie hätten sich vermutlich noch über ihn hergemacht, wenn er tot gewesen wäre. Bei dem Gedanken wurde ihm übel.

»Ist nicht meine Schuld, die Security muss geschlafen haben«, sagte Simon, aber Grey kaufte es ihm nicht ab. Simon hatte immer Hintergedanken.

»Grey!«, quietschte eine der Frauen so hoch, dass ihm fast das Trommelfell platzte. Er blickte auf und erkannte eins der Groupies. Sie kam auf ihn zu und warf sich an seinen Hals, so dass sich ihre großen, künstlichen Brüste an ihn drückten, und kratzte mit langen Nägeln über seine Kopfhaut.

»Baby, du warst fantastisch! Du bist so heiß auf der Bühne. Ich wusste einfach, dass du für mich gesungen hast.«

Ihm blieb fast die Luft weg, als er ihr süßliches Parfüm einatmete, vor allem aber, weil er vor Jahren so blöd gewesen war, nach einem Konzert und viel zu viel Alkohol mit ihr zu schlafen. Seitdem verfolgte sie ihn. Er hatte versucht, sie loszuwerden, doch sie ließ einfach nicht locker. Das war der Grund, warum es Zeit war aufzuhören.

»Marco!«, rief er nach dem Bodyguard, der ihn normalerweise vor übereifrigen Fans beschützte, doch der Kerl war nirgends zu sehen.

Nur Simon stand grinsend neben ihm und freute sich über die lukrative Beliebtheit der Band.

»Lass mich in Ruhe«, knurrte Grey und zerrte an den Armen der Frau, aber sie hielt ihn fest umklammert.

»Baby, das meinst du doch nicht so.«

»Oh, doch, verdammt.« Hilfesuchend sah er sich nach Lola oder Danny um, als er die Frau bemerkte, die gerade hereingekommen war.

Sie war so schön, dass es ihm einen Stich versetzte. Gesund, sexy, samtige Haut, wundervolles seidiges Haar und einen nervösen Ausdruck im Gesicht, während sie sich umsah. Ihre ganze Erscheinung stand im Kontrast zu den aufgetakelten Groupies, die der Band nachstellten.

Und sie hatte ihn noch nicht gesehen.

Ihm blieb keine Wahl, er musste sich mit Gewalt von dieser Klette befreien. Also umfasste er ihre Taille, um sie von sich wegzuschieben, gerade als Averys Blick auf ihn fiel und dann auf die Frau, die er in den Armen zu halten schien.

Ein Schatten huschte über ihr Gesicht. Erkennen, Schock, Ekel und Schmerz blitzten in ihren Augen auf, bevor sie sich abwandte und zurück zur Tür ging.

»Avery!«, rief er laut durch die Lounge und stieß die Frau unsanft von sich. Sie stolperte rückwärts und begann zu jaulen und zu weinen. Ihre Freundinnen umringten sie, doch Grey achtete nicht darauf. Er erreichte die Tür, als Avery stehen blieb und sich nach ihm umsah.

»Avery.« Er sah ihr in die Augen.

Sie blinzelte, und eine Mischung aus Schmerz und Verwirrung stand in ihren einzigartigen lavendelblauen Augen. »Ich hätte nicht kommen sollen.«

»Doch, das hättest du.« Sie stand so nah, dass er die kleinen Sommersprossen auf ihrer Nase sah, und sein Herz schlug ihm bis zum Hals. »Es ist nicht so, wie es aussieht.«

Sie neigte den Kopf. »Aber es ist dein Leben. Du hast so hart dafür gearbeitet, und … ich freue mich für dich.« Doch die Worte passten nicht zu dem traurigen Lächeln auf ihren glänzenden Lippen. »War schön, dich zu sehen, Grey.« Sie winkte und ging.

Scheiße. »Avery!« Er trat in den Flur.

»Kingston!«, rief Simon. »Ich habe den Rolling Stone am Telefon, sie wollen ein Interview. Was sagst du?«

Grey sah sich nach Avery um, doch sie hatte sich bereits in der Menge verloren, die von der Security zurückgehalten wurde. In seinem Kopf dröhnte es, als er zurück in die Lounge ging und seinen Manager ignorierte.

»War sie das?« Lola erschien neben ihm. Ihre Stimme war tröstlich in dem Tumult, der um ihn herrschte.

»›War‹ trifft die Sache wohl ziemlich genau auf den Punkt«, brummte er. »Ich kann das nicht mehr, Lo.«

Anteil nehmend legte sie den Kopf auf seine Schulter. »Ich weiß, was du meinst. Unserer Beziehung tut es auch nicht gut. Rep steht nicht auf den Mist, den dieses Leben mit sich bringt.« Lola war mit dem erfolgreichen Wide Receiver der Miami Thunders zusammen. »Ich möchte in der kommenden Saison bei ihm sein, und er sorgt sich immer, wenn wir auf Tournee sind und er nicht mitfahren kann.« Sie seufzte. »Aber diese Tour müssen wir zu Ende bringen.«

»Das stimmt«, gab er ihr recht. »Aber danach gehe ich heim.« Und er würde sich sein Mädchen holen.

1

Drei Monate später

»Und immer daran denken: Zeigt euch von eurer besten Seite!« Avery winkte in den Computerbildschirm und stoppte die Aufnahme. Wieder ein Video im Kasten, dachte sie selbstironisch. Sie würde es später sichten und bearbeiten, bevor sie es zu den anderen stellte.

Sie zeichnete die Videos für ihren Blog im Voraus auf und hatte ein gutes Gefühl, was das Material für die kommende Woche betraf. Zwischen die Filmchen streute sie Texte ein, garniert mit Fotos von Mode und Make-up und Promis, denen die Styles besonders gut standen. Auch die Texte schrieb sie im Voraus. Und sie hatte schon wieder jede Menge Ideen, dachte sie mit Blick auf den noch unsortierten Stapel kostenloser Proben, die man ihr zum Testen geschickt hatte.

Das gehörte zu den Vorteilen, wenn man professionelle Videobloggerin mit einer großen Präsenz in den sozialen Netzwerken war: Man bekam bergeweise Produkte zugeschickt, um sie zu testen und ihren Absatz zu steigern. Außerdem verließ sie sich auf ihre persönlichen Lieblingsprodukte und Looks, für die sie Online-Tutorials anfertigte. Es hatte als cooles Hobby begonnen und sich dann irgendwie zu ihrem Beruf ausgeweitet. Es war einfach fantastisch. Auf diese Weise finanzierte sie sich selbst, ergänzt durch das Vermögen, das sie von den Großeltern mütterlicherseits geerbt hatte. Sie hatte Glück und wusste es. Sie betrachtete ihre Privilegien nie als Selbstverständlichkeit.

Die Diskrepanz zwischen ihrer Online-Identität und ihrem wahren Charakter belustigte sie immer wieder. Avery war alles andere als die nach außen gekehrte Persönlichkeit, als die sie sich darstellte. Mit neun hatte sie ihre erste Panikattacke erlitten, nachdem der Skandal über die Zweitfamilie ihres Vaters ans Licht gekommen war. Die Paparazzi bedrängten ihre Familie und schreckten auch nicht davor zurück, den Kindern nachzustellen. Sie träumte noch heute von den Blitzlichtern und Journalisten, die sie umringt hatten. Seit den Ereignissen damals hatte sie sich zurückgezogen und hielt sich lieber im Kreis von Freunden und Familie auf als unter vielen Menschen oder zudringlichen Fremden.

Doch unter Menschen, die ihr nahestanden, war sie locker und offen. Blogging empfand Avery als ein Leben hinter den Kulissen, so wie sie es vorzog, obwohl sie sich dabei vor der Kamera präsentierte. Sie lieferte ihren Zuschauerinnen Anleitungen und Tipps zu den neuesten Mode- und Styling-Trends. Avery selbst war fünfundzwanzig, ihr Publikum gleich alt und jünger. Ihre selbstbewusste Art kam an und brachte Erfolg. Das Ergebnis war, dass ihre Fans sie als Freundin betrachteten, der sie sich anvertrauen konnten.

Ihr Bruder Ian war Präsident der Miami Thunders, einem American Football Team, und ihr Vater besaß eine namhafte Hotelkette, aber Avery trug ihren Familiennamen oder Reichtum nie zur Schau. Sie hatte genug öffentliches Interesse für den Rest ihres Lebens erfahren und suchte nie Aufmerksamkeit außerhalb ihres kleinen Blogs.

Ein vertrautes Pling verkündete den Eingang von E-Mails, und sie klickte sich zurück zu ihrem Postfach. Eine Meldung aus einem lokalen Gossip-Blog fiel ihr ins Auge, und sie las den Betreff.

Berichte über Auflösung der Band Tangled Royal bestätigen sich.

Avery biss sich auf die Unterlippe. Es überraschte sie nicht, den Namen der Band zu lesen, ärgerlich war nur, dass sie dabei jedes Mal ein flaues Gefühl befiel.

Grey Kingston, Sänger und Gitarrist von Tangled Royal, war zu Schulzeiten ihr Freund und ihre erste große Liebe gewesen. Dann hatte sie sieben Jahre lang nichts von ihm gehört, bis vor drei Monaten. Da war plötzlich ein Päckchen mit Karten und einer Nachricht gekommen.

Ich würde dich gern wiedersehen. G.

Nach reiflicher Überlegung – denn Avery handelte immer mit Bedacht – hatte sie ihren Mut zusammengenommen, ihre Schwester Olivia eingeladen und sich entschlossen zum Konzert zu gehen. Die Erinnerung an diesen Abend verfolgte sie bis heute. Sie war nicht naiv oder dumm. Sie wusste sehr wohl, was das Leben eines Rockstars wie Grey Kingston alles mit sich brachte.

Und wäre es ihr nicht bewusst gewesen, hätte sie es im Laufe der Jahre erfahren, denn immer wieder stolperte sie über Meldungen auf Websites, mit denen sie sich für ihren Blog auf dem Laufenden hielt. Außerdem hatte sie einen Google Alert für Tangled Royal eingerichtet und all ihre Platten gekauft, um sie heimlich zu hören. Aber die Fotos und der Klatsch im Netz waren nichts gegen das, was sie mit eigenen Augen gesehen hatte.

Als sie in den Backstage-Bereich gekommen war, hing eine halb nackte wasserstoffblonde Frau wie ein Klammeraffe an Grey. Die anderen Groupies waren genauso aufgedonnert gewesen und hatten die Bandmitglieder umringt, wie um Avery daran zu erinnern, wie sehr sich ihr Leben von dem von Grey unterschied und dass sie schon immer ganz unterschiedliche Ziele gehabt hatten.

Sie war auf der Stelle wieder gegangen, doch zuvor hatten sie und Grey einander in die Augen gesehen. Es war ein langer, geschichtsträchtiger Blick gewesen, der an den Schutzmauern rüttelte, die sie nach seinem Fortgehen errichtet hatte. Es traf sie schwer, in das Gesicht zu blicken, das sie so innig geliebt hatte. Ihr war augenblicklich klar gewesen, dass sie auf sich aufpassen musste – und das hatte sich bestätigt.

Denn Grey hatte nicht aufgegeben. Jedes Mal, wenn sie auf ihrem Blog etwas besonders anpries, sei es eine heiße neue Handtasche oder ein köstlicher Duft, landete es vor ihrer Tür, kunstvoll verpackt und mit Kärtchen versehen.

Es tut mir leid – G.

Gib mir noch eine Chance – G.

Kann nicht erwarten, dich wiederzusehen – G.

Du hast mir all die Jahre gefehlt – G. Ja, die letzte Nachricht hatte sie am tiefsten getroffen. Denn er hatte ihr auch gefehlt.

Doch dann war plötzlich wieder Schluss mit den Geschenken gewesen. Er hatte geschrieben, dass er sich melden würde, wenn er in der Stadt war, aber das war nun Wochen her, und sie rechnete nicht mehr damit, von ihm zu hören. Offensichtlich hatte er beschlossen, dass sie es doch nicht der Mühe wert war, nachdem sich ihm so viele Fans anboten.

Sie versuchte, ihn aus ihrem Kopf zu verbannen, aber ohne großen Erfolg. Jetzt starrte sie auf die Nachricht über die Auflösung der Band. Ihre Finger schwebten über der Tastatur, bevor sie schließlich kapitulierte, die E-Mail anklickte und den Artikel in voller Länge las.

Grey Kingston wurde in der letzten Woche in Miami und South Beach gesichtet, während sich Drummer Danny Bills in L. A. niederlässt und Gerüchte anfeuert, dass sich die Band getrennt hat.

Also war Grey zurück in Miami, und das seit über einer Woche. So viel zu seinem Versprechen, sich zu melden, wenn er in der Stadt war. Averys Herz geriet einen Moment lang aus dem Takt, doch diesmal nicht vor Freude, sondern aus Schmerz.

Dabei hätte es sie nicht überraschen sollen. Schließlich war es nicht das erste Mal, dass die wichtigen Männer in ihrem Leben sie enttäuschten. Grey hatte ihr Herz gestohlen. Erst kürzlich war ihr klar geworden, dass sie es nie zurückbekommen hatte.

»Hallo!« Ella, ihre Mitbewohnerin und beste Freundin, stand in der Tür zu Averys Zimmer.

Avery schob ihren Stuhl zurück und lächelte gequält. Sie hatte Ella Shaw in der Kinderklinik in Miami kennengelernt, als sie Knochenmark gespendet hatte. Avery war damals neun gewesen, Ella gerade zehn geworden. Sie hatten sich angefreundet und einander später im Sommer und in den Ferien besucht. Bald hatten sie sich zu besten Freundinnen erklärt. Als Averys Schwester Olivia ausgezogen war, um Dylan Rhodes zu heiraten, war Ella bei Avery eingezogen.

»Geht’s dir gut?«, erkundigte sich Ella.

»Mir geht’s blendend«, sagte Avery und wandte sich wieder dem Artikel auf dem Bildschirm zu. Zum Glück hatten sie kein Foto von Grey dazugestellt. Sie brauchte sein Gesicht nicht auf dem Monitor; es war schlimm genug, dass er sie in Gedanken verfolgte.

Ella setzte sich im Schneidersitz auf Averys Bett. Ihr nasses, hellbraunes Haar hing in seidigen Strähnen um ihr Gesicht. »Das glaube ich dir nicht.« Sie durchbohrte Avery mit wissendem Blick.

»Okay, es geht mir nicht blendend.« Avery hatte Ella noch nie anlügen können, und das lag nicht nur daran, dass Avery leicht zu durchschauen war. Ella hatte eine ausgezeichnete Intuition, zusammen mit ihrem warmherzigen, großzügigen Charakter, und Avery vergötterte sie. Dass sie Ella getroffen hatte, war eine der guten Folgen dieser schwierigen Lebensphase von Avery gewesen.

»Es hat nicht zufällig etwas mit Grey Kingston zu tun, dass du so zerstreut bist und es dir nicht ›blendend‹ geht?«, fragte Ella und zeichnete Anführungszeichen in die Luft.

Avery zog eine Schnute und nickte.

Sie hatte ihrer Familie nicht erzählt, was damals bei ihrem Treffen mit Grey passiert war, doch alle hatten mitbekommen, wie traurig und verstört sie danach war. Nur Ella hatte sie sich anvertraut. Das lag nicht daran, dass Avery nicht mit ihrer Schwester reden wollte – es war einfach nie der richtige Zeitpunkt dafür gewesen. Bei Olivia war es drunter und drüber gegangen. Erst war Dylans alte Freundin Meg im Krankenhaus gelandet, und sie mussten sich um ihre Probleme kümmern. Danach war in Olivias Leben der Knoten geplatzt. Sie und Dylan liebten einander, und da wollte Avery ihre Schwester nicht mit ihren Problemen belasten.

»Hat er sich immer noch nicht gemeldet?«, fragte Ella und lenkte ihre Gedanken wieder auf Grey.

»Nein. Und es sollte mir egal sein. Schließlich habe ich ihm gesagt, er solle aufhören, mir zu schreiben, und sich auf seine Tour konzentrieren.« Avery setzte sich auf die Bettkante.

»Aber du willst nur deshalb nichts von ihm wissen, weil du Angst hast, dich wieder in ihn zu verlieben. Außerdem hat er sowieso nicht auf dich gehört.« Sie deutete auf seine Geschenke, die überall in ihrem Zimmer verteilt waren.

»Aber er sagte, er würde sich melden, wenn er das nächste Mal in Miami ist.« Avery zupfte einen nicht existierenden Fussel von ihrer Seidenhose.

»Und?«, drängte Ella, die nie zuließ, dass Avery sich still und heimlich in sich zurückzog, wie sie es so gerne tat.

Avery schluckte, als sich ein schmerzhafter Kloß in ihrem Hals formte. »Ich habe gerade gelesen, dass er seit mindestens einer Woche in der Stadt ist.«

»Und er hat sich nicht gemeldet?«

»Nein. Und es sollte mir egal sein! Ich will, dass es mir egal ist.«

»Aber das ist es nicht.« Ella klopfte neben sich auf die Matratze.

Avery krabbelte zum Kopfende und rollte sich auf dem Kissen zusammen. »Ich weiß, es ist wirklich idiotisch. Ich sollte froh sein, dass er mich vergessen hat. Ich habe ihn mit den Groupies gesehen und bin weggelaufen, weil ich mit dieser Art von Leben nichts zu tun haben will, stimmt’s?«

»Das stimmt.« Ella nickte.

»Also warum kümmert es mich dann, wenn er plötzlich meint, ich wäre die Mühe doch nicht wert?«

»Aber das meint er doch gar nicht!«, rief Ella aus und schüttelte frustriert den Kopf. »Manchmal möchte ich deinen Vater dafür erwürgen, dass er dir diese Unsicherheit eingeimpft hat.«

Unsicherheit war untertrieben, dachte Avery. Nur ihre Schwester, ihre Mutter und ihre Brüder verstanden wirklich, wie klein und wertlos sie sich vorgekommen waren, als sich herausgestellt hatte, dass ihr Vater eine zweite Familie hatte. Sie hatten immer geglaubt, Hotelmagnat Robert Dare hätte keine Zeit für sie, weil er ständig auf Geschäftsreise war. Um seine Abwesenheit und all die verpasste Zeit gutzumachen, hatte er sie immer mit Geschenken überschüttet.

Sie hatten geglaubt, er würde so viel arbeiten, um die Familie zu ernähren, und hatten seine Abwesenheit als notwendig hingenommen. Bis zu dem Tag, an dem er ihrer Mutter Emma eröffnete, dass er nicht nur eine Geliebte, sondern mit ihr auch noch Kinder hatte. Und das jüngste dieser Kinder, Sienna, brauchte eine Knochenmarkspende, um zu überleben. Darum wollte er seine ehelichen Kinder testen lassen, ob sie als Spender infrage kamen. Emma war eine wundervolle Frau, immer freundlich und fürsorglich. Trotz ihres Schmerzes hatte sie zugestimmt.

Avery erwies sich als geeignete Spenderin, und so benutzte ihr Vater sie, um ein Kind aus seiner anderen Familie zu retten. Der Familie, mit der er seine Zeit verbrachte. Der Familie, die er eindeutig mehr liebte als Averys. Ausgenutzt und betrogen war kein Ausdruck dafür, wie sie sich dadurch gefühlt hatte.

Ella schloss sie in die Arme. »Ich kenne dich schon so lange. Du hast mir Sachen anvertraut, die nicht einmal deine Geschwister wissen, habe ich recht?«

Avery nickte. Ella war immer ihre Zuflucht gewesen. Grey auch … früher einmal. Sie schob den Gedanken beiseite.

»Dann hör auf mich. Lass nicht zu, dass dein Leben von den Minderwertigkeitskomplexen bestimmt wird, die dir dein Vater eingebrockt hat. Ich weiß, es war ein zweiter herber Schlag, als Grey dich verlassen hat, um reich und berühmt zu werden. Du hast dir eingeredet, dass du unzulänglich bist, dass du nichts wert bist. Doch das ist Unsinn. Das weißt du, und ich bin hier, um dich daran zu erinnern.«

Avery zitterte. Ella hatte recht. Dennoch – sosehr sie versuchte, ihre Unsicherheit zu überwinden, sie ergriff immer wieder Besitz von ihr.

Ella nahm ihre Hände. »Mr. Tangled Royal müsste sich glücklich schätzen, wenn er dich für sich gewinnen könnte. Nicht andersherum.«

Avery seufzte und ließ die Worte ihrer Freundin in ihrem Kopf nachhallen. Es half. »Du hast recht. Grey nach so langer Zeit wiederzusehen war ein bisschen, als hätte er mich noch einmal verlassen. Dabei ist die Situation heute eine ganz andere. Und ich bin längst drüber weg.«

Ella sah sie belustigt an. »Na ja, so weit würde ich vielleicht nicht gehen.«

Avery knuffte sie mit einem Kissen, und ihre Freundin lachte.

»Aber ich würde behaupten, dass du erwachsener geworden bist seit damals. Und mit etwas Glück ist er das auch.«

»Seit wann bist du so weise?«, fragte Avery.

»Seit du meine beste Freundin bist. Du weißt ja, es ist immer einfach, anderen Leuten Ratschläge zu ihrem Liebesleben zu geben.«

So offen Ella über die meisten Dinge redete, von ihrem Liebesleben redete sie so gut wie gar nicht. Sie behauptete, da gäbe es nichts zu erzählen, doch das konnte Avery kaum glauben. Ella war bildhübsch und liebenswürdig und überstrahlte alle um sie herum. Sie hätte einen anständigen Mann verdient.

»Möchtest du vielleicht über etwas reden?«, fragte Avery und hoffte, ihre Freundin würde sich öffnen.

»Nein. Außerdem muss ich zur Arbeit. Ich habe meiner Chefin versprochen, mich mit einer neuen Fotografin zu treffen, die sie vielleicht anstellen will.« Ella war Assistentin einer aufstrebenden Modedesignerin aus Miami. Das war ein weiterer Grund, warum die beiden so gute Freundinnen waren. Sie teilten die Liebe für Kleidung, Make-up und Design.

»Okay, dann danke für das Gespräch«, sagte Avery.

»Jederzeit wieder.« Als Ella aufstand, klingelte Averys Handy auf dem Schreibtisch.

»Wirfst du mir das eben zu?«

Ella nahm das Handy und quietschte. »Sieht aus, als würde Mr. Tangled Royal tatsächlich wieder in deinem Leben auftauchen.«

Averys Augen weiteten sich, als sie Greys Namen auf dem Display las.

»Du musst mir später alles erzählen«, rief Ella grinsend und ging.

Grey saß in seiner Wohnung, umgeben von Wänden in warmen Cremefarben und Möbelstücken in Braun und Taupe. Die Einrichtung stammte noch von Rep, der einen ähnlichen Geschmack wie er hatte, sodass er sich schon jetzt zu Hause fühlte. Die Wohnung bot Grey den Komfort und den Frieden, den er auf Tournee vermisst hatte. Um hier nun ganz anzukommen, musste er Kontakt zu Avery aufnehmen, das sagte ihm sein Bauch.

Einen Anfang hatte er während des letzten Abschnitts der Tangled-Royal-Tour gemacht, indem er ihr Geschenke schickte. Die Ideen dazu hatte er sich von ihrem Blog geholt, der den passenden Namen Averys Attitude trug. Zu seiner Schande musste er gestehen, dass der Einfall nicht von ihm kam. Lola hatte ihn darauf gebracht, als Möglichkeit, Avery wieder für sich zu gewinnen.

Dem ersten Geschenk hatte er seine private Handynummer beigelegt und sie gebeten, ihm eine Nachricht zu schicken. Das hatte sie getan. Und damit hatte ein steifer, immer wieder stockender Dialog zwischen ihnen begonnen. Lola hatte recht behalten, die Geschenke waren ein guter Eröffnungszug gewesen, und er hatte ihr weitere Aufmerksamkeiten geschickt … bis Milo eine Überdosis erwischte. Damit waren alle Aktivitäten der Band zum Stillstand gekommen, und alles hatte sich darauf konzentriert, ihrem Freund zu helfen.

Die Anfangszeit in der Entzugsklinik war für sie alle nicht leicht gewesen. Milo hatte immer wieder gedroht durchzubrennen, Lola hatte geweint, Grey hatte auf ihn eingeredet und alles getan, um ihn zum Durchhalten zu bewegen. Zu diesem Zeitpunkt hatten sie ihr letztes Konzert bereits gespielt und die Auflösung der Band bekanntgegeben.

Es war der richtige Moment gewesen. Lolas Beziehung mit Rep hatte sich gefestigt, und die beiden hatten ein Haus auf der Luxusinsel Star Island gekauft. Grey hatte den Prozess angekurbelt, die Eigentumswohnungen von Lola und Rep in der Stadt zu übernehmen. Die Eigentümerversammlung hatte seinen Antrag endlich bewilligt und die Sache beschleunigt, weil er beide Wohnungen auf einem Stockwerk nahm. Lolas Seite wollte er in ein schalldichtes Tonstudio verwandeln.

All das hatte Zeit in Anspruch genommen. Nicht, dass er dabei nicht an Avery gedacht hätte, sie tauchte ständig in seinen Gedanken auf, aber alles, was er jetzt tat, hatte er systematisch geplant. Er wollte sich niedergelassen haben, bevor er wieder auf sie zuging. Wenn er irgendeine Chance bei ihr haben wollte, musste er sie davon überzeugen, dass er jetzt ein anderes Leben wollte als jenes, für das er sie einst verlassen hatte. Oder das, das sie in der Backstage-Lounge gesehen hatte.

Er nahm sein Handy, wählte ihre Nummer und lauschte, während es endlos klingelte. Er hoffte nur, er hatte seine zweite Chance nicht vertan, bevor es losgegangen war.

Er bereitete sich gerade darauf vor, eine Nachricht auf ihre Mailbox zu sprechen, als sie plötzlich dranging. Er fühlte eine unendliche Erleichterung, und ihre wohlklingende Stimme berührte etwas tief in seinem Herzen. »Hey, meine Süße«, sagte er und war plötzlich nervös.

»Grey, was für eine Überraschung.« Sie klang distanziert. Cool.

»Ich sagte doch, dass ich mich melde.«

Aber offensichtlich hatte sie ihm nicht geglaubt. Jetzt wusste er, dass ein steiles Stück Weg vor ihm lag. Nur gut, dass er nicht davor zurückscheute, für seine Ziele zu kämpfen.

Sie räusperte sich. »Also, seit wann bist du hier?«

Er setzte sich aufs Sofa. »Seit etwas über einer Woche. Ich wollte …« Er verstummte, weil er nicht weiterwusste. Scheiße. »Ich würde es dir lieber persönlich erzählen.«

Sie zögerte. »Ich weiß nicht, ob das eine gute Idee ist.«

Er blickte flehentlich zum Himmel. Nur eine Chance. Etwas, womit er arbeiten konnte. »Triff dich einmal mit mir. Nur zum Reden. Wenn du danach nicht wenigstens mit mir befreundet sein willst, lasse ich dich in Ruhe.« Das war gelogen, aber was blieb ihm übrig?

Er musste nur etwas Zeit mit ihr verbringen. Er glaubte fest an die Verbindung von damals. Der Gedanke an Avery hatte ihm über viele einsame Stunden hinweggeholfen. Er weigerte sich zu glauben, dass diese Verbindung erloschen war. Er wollte sie wieder fühlen, er wollte ihr zeigen, dass das, was sie als Teenager verbunden hatte, jetzt noch fester sein konnte.

Das Schweigen am anderen Ende der Leitung brachte ihn fast um den Verstand, aber er unterbrach es nicht. Er ließ sich nur ungern etwas vom Leben diktieren, doch er spürte, dass sie das Gefühl von Kontrolle haben musste. Er gestand es ihr zu, indem er sie nicht bedrängte.

»Okay. Wann können wir uns treffen?«, fragte sie schließlich.

Er stieß lang gezogen die Luft aus. »Ich habe schon reserviert. Im Tinos.« Er wusste, dass Avery sich an das Restaurant erinnern würde. »Samstagabend, wenn es bei dir passt.«

»Du scheinst dir deiner Sache ja ziemlich sicher zu sein«, murmelte sie.

»Ich bin nur voller Hoffnung«, korrigierte er sie. »Hast du Zeit?«

Sie zögerte, bevor sie antwortete. »Ja.«

Er verbiss es sich, die Faust in die Luft zu stoßen.

»Um wie viel Uhr?«, fragte sie.

»Acht.«

»Das geht. Wir treffen uns dort«, sagte sie knapp, wie um Distanz zu wahren.

Aber nicht mit ihm. »Ich hole dich um halb acht ab.«

»Grey …«

»Avery …«, imitierte er sie, wie er es früher immer getan hatte, wenn sie mit ihm streiten wollte.

Ihr leises Lachen nahm einen großen Teil der Last von seinen Schultern.

»In Ordnung«, gab sie nach. »Meine Adresse hast du ja schon.« Ihr Ton wurde weicher, als seine Geschenke unausgesprochen im Raum standen.

»Das stimmt. Dann sehe ich dich am Samstag um halb acht. Und Avery?«

»Hm?«

»Ich kann es kaum erwarten, dich zu sehen.« Er beendete das Gespräch, bevor sie antworten konnte … oder schlimmer noch, seine Worte vielleicht nicht erwidern würde.

2

Es war Samstagabend, und Avery zog sich zum vierten Mal um. Nichts schien passend, obwohl es sie ärgerte, wie sehr sie Grey imponieren wollte. Aber es war nun einmal sieben Jahre her, seit sie ihren Ex aus der Nähe und unter vier Augen gesehen hatte, und sie wollte Eindruck machen. Das war normal für eine Frau.

Schließlich entschied sie sich für ein ausgefallenes Babydoll-Kleid mit weiten Kimono-Ärmeln in Blautönen, akzentuiert durch ihre Lieblingssilberkette. Dazu zog sie silberne Gladiator-Sandalen an und legte ihr frisch gesträhntes Haar in lose Wellen. Ein Spritzer ihres neuen Lieblingsparfüms, das Grey ihr geschickt hatte, mit einem Hauch von Vanille und Amber, und ihr blieben noch … sie sah auf ihre Armbanduhr. Null Minuten.

Da klingelte es auch schon. Avery atmete tief durch und ging zur Tür, froh darüber, dass Ella bei einem Geschäftsessen war, zusammen mit ihrer Chefin und einer Designerin, die übers Wochenende in der Stadt war. Avery konnte kein Publikum bei diesem Wiedersehen gebrauchen. Sie war schon so nervös genug.

Sie öffnete die Tür, und er stand vor ihr. Bei ihrem letzten Treffen hatte sie kaum Gelegenheit gehabt, ihn länger anzusehen, nicht mit diesem Groupie am Hals, und davor waren sie Schüler gewesen.

Der Mann, der jetzt vor ihr stand, war erwachsen.

Er stützte sich mit einer Hand an den Türstock und grinste sie an.

»Hallo Very«, begrüßte er sie mit dem Kosenamen, den er ihr selbst einmal gegeben hatte.

»Hallo«, brachte sie mühsam hervor. Hilfe, er war heiß. Auf den Bildern, die sie im Laufe der Jahre in Zeitschriften und im Internet gesehen hatte, war nicht annähernd zu erkennen gewesen, wie sehr er sich verändert hatte.

Seine Züge waren dieselben, aber reifer. Aus dem hübschen Jungen war ein schöner Mann geworden. Sein pechschwarzes Haar war seitlich kurz und nur oben ein bisschen länger. Der rockige Schnitt stand ihm besser als der Shaggy Look aus Teenagertagen. Früher war sie mit den Fingern durch sein langes Haar gefahren, wenn sie sich liebten. Sie unterdrückte den wehmütigen Seufzer, der ihr bei der Erinnerung entschlüpfen wollte, und konzentrierte sich lieber auf seine jetzige Erscheinung.

Er war noch immer schlank, und seine ausgeblichene Jeans saß eng, doch er war muskulöser geworden. Man sah es an den Unterarmen und an dem Teil der Brust, der unter dem eng anliegenden schwarzen T-Shirt herausschaute. Tätowierungen rankten sich um diese Muskeln und ließen ihr das Wasser im Mund zusammenlaufen. Der Impuls, die schwarzen Linien nachzufahren, die Wärme und die Erhebungen der Muskeln zu fühlen, war so stark, dass sie die Fäuste ballen musste, um ihn zu unterdrücken.

Als sie sah, wie durchtrainiert er war, wunderte es sie nicht mehr, wie er singen, Gitarre spielen und über die Bühne laufen konnte, um das Publikum anzuheizen. Zu sagen, sie wäre immun gegen die maskuline Kraft, die er ausstrahlte, wäre gelogen gewesen.

Erst jetzt sah sie ihm ins Gesicht, und sie hätte sich für ihr Starren entschuldigt, hätte er sie nicht genauso unverhohlen gemustert.

»Du siehst fantastisch aus«, sagte er mit diesem sexy Grinsen, bei dem die Frauen ins Schwärmen gerieten.

Sie schob den Gedanken an andere Frauen – Groupies – beiseite und rief sich ins Gedächtnis, dass es Grey war. Ihr Grey. Obwohl ihre gemeinsamen Zeiten vorbei waren. »Danke.«

»Gibt es keine Umarmung für einen alten Freund?«, fragte er mit tiefer, rauer Stimme, die ihre ohnehin schon aufgekratzten Nerven auf verführerische Weise reizte.

Gleichzeitig versetzte es ihr einen Stich, dass er sich nur als alten Freund bezeichnet hatte. Obwohl es ihr natürlich egal sein sollte. Also trat sie auf ihn zu, und ehe sie sichs versah, schloss er sie in seine starken Arme.

Sein herber, maskuliner Duft mit einem Hauch von Rasierwasser umfing sie und steigerte das erotische Kribbeln, das sie auf keinen Fall zulassen wollte. Doch ihr Körper ließ sich nichts vorschreiben. Ihre Brustwarzen zogen sich zusammen, und in ihrem Bauch setzte ein verlangendes Ziehen ein. Er fühlte sich so vertraut an, als sie seine Umarmung erwiderte … und fremd zugleich. Er war viel fester geworden, der Bauch, die Arme. Der verrückte Impuls, ihn zu berühren, überkam sie erneut, und sie löste sich von ihm, bevor sie etwas Dummes anstellte.

»Ich hole meine Tasche, dann können wir los«, sagte sie mit verräterisch heiserer Stimme. Sie wollte so schnell wie möglich in ein neutrales Umfeld.

»In Ordnung«, sagte er, ließ sie aber keine Sekunde aus den Augen.

Sie schloss ihre Wohnung ab, und er führte sie zum Parkplatz bis zu einem schwarzen Cabriolet. Einem schwarzen Aston Martin DB 9 Cabriolet.

Avery starrte das Luxusgefährt mit offenem Mund an. »Heilige Scheiße, ist das deiner, Grey?«

Sie sagte diese wenig ladyhaften Worte, ohne mit der Wimper zu zucken. Ihre Brüder kannten sich mit Autos aus und hatten sie eingeweiht – und das hier war definitiv ein besonderes Auto.

Er lächelte stolz und war plötzlich wieder ganz der Grey, an den sie sich erinnerte. Jungs und ihr Spielzeug, dachte sie. Obwohl sie die Faszination in seinem Fall verstand. Anders als Avery war Grey nicht umgeben von Luxus aufgewachsen. Er hatte sich sein Geld als Musiker verdammt hart erarbeiten müssen.

»Ich konnte nicht widerstehen.« Er deutete auf den Aston. »In den letzten Jahren war ich so viel auf Tournee, dass ich ein anständiges Auto wollte.« Er zuckte die Schultern. »Ich fand, ich hätte ihn mir verdient.«