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Ein Roman wie ein schmutziges Geheimnis: Was Macht in Hollywood bewirkt Mae Pruett ist Krisenspezialistin in Hollywood. Sie wird gerufen, wenn das Leben der VIPs und Stars außer Kontrolle gerät. Mae weiß, wie man Skandale verschwinden lässt. Nach Jahren im Job hat sie keine Illusionen mehr, nur ihr Traum von einem eigenen Haus lässt sie ausharren. Bis ihr Vorgesetzter bei einem Überfall erschossen wird und die Ungereimtheiten am Tatort sie wachrütteln. Bei ihren heimlichen Ermittlungen kommt sie einigen mächtigen Spielern der Traumfabrik zu nah, man rät ihr zu schweigen. Einzig Chris Tamburro, Ex-Cop und Maes Ex-Freund, hilft ihr. Wie sie kennt er die Regeln Hollywoods: Niemand redet. Doch die Gerüchte sind immer wahr. Eine schwangere Minderjährige bringt Mae und Chris auf die richtige Spur – und in größte Gefahr. ***Ein kluger und messerscharfer Pageturner, der wie Polanskis Chinatown Korruption erzählt und dabei wie aus dem Leben gegriffen wirkt.*** »Harper erzählt von den Kontrasten in der Unterhaltungsbranche, den strahlenden Influencern, die ihre Drogensucht verstecken, den übergroßen Villen neben den Obdachlosencamps, und legt offen, welche Trostlosigkeit sich hinter dem Schutzschild Ruhm verbirgt.« Washington Post »Brutal wie James Ellroy, feinsinnig wie Raymond Chandler – Harper kennt sich aus in L.A.s Unterwelt, wo Wahrheit und Gerechtigkeit irrelevant sind und die einzige Währung Macht ist.« Publishers Weekly »Der große L.A.-Roman« Los Angeles Times
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Alles schweigt
Jordan Harper wurde 1976 in Missouri geboren. Er war Musikjournalist, Filmkritiker und Fernsehautor. Als Drehbuchautor war er u.a. Lead Writer bei den Fernsehserien The Mentalist und Gotham. Er lebt in Los Angeles, wo er als Autor und Produzent arbeitet.
Mae ist eine mit allen Wassern gewaschene PR-Frau, darauf spezialisiert, die schlimmsten Fehltritte wichtiger Persönlichkeiten auszubügeln. Maes Aufgabe ist es, Verantwortung und Macht zu trennen. Sie hat vor Jahren alle Illusionen verloren, allein der Wunsch, sich irgendwann ein Haus kaufen zu können, lässt sie durchhalten.Ihre frühere große Liebe Chris arbeitet wie sie für das Ungeheuer, ein Netz aus PR-Agenturen, Anwälten, Investoren. Der Ex-Cop setzt seine Muskeln für eine Sicherheitsfirma ein, er hatte noch nie Illusionen, aber er liebt Mae noch immer.Als Maes Vorgesetzter auf dem Weg zu ihr überfallen und getötet wird, glaubt sie nicht, dass es ein Zufall war. Er war an einer geheimen Sache dran, und Mae beginnt Fragen zu stellen. Auch Chris hat mit dem Überfall zu tun, er soll für seinen Auftraggeber klären, welche Verbindungen der Täter hatte. Gemeinsam folgen Mae und Chris den Spuren und Hinweisen, bis sie ins Herz des Skandals vorstoßen.Ein kluger und messerscharfer Pageturner, der das System Korruption erzählt und dabei wie aus dem Leben gegriffen wirkt.
Jordan Harper
Roman
Aus dem Amerikanischen von Conny Lösch
Ullstein
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Die Originalausgabe erschien 2023 unter dem Titel Everybody Knows bei Mulholland Books, Little Brown and Company, ein Teil von Hachette, New York
© 2023 by Jordan Harper© der deutschsprachigen Ausgabe2023 by Ullstein Buchverlage GmbH, BerlinAlle Rechte vorbehaltenWir behalten uns die Nutzung unserer Inhalte für Text und Data Mining im Sinne von §44b UrhG ausdrücklich vor.Umschlaggestaltung: semper smile, MünchenTitelbild: © Gallery Stock/Jens Goerlich; © Shutterstock/ArjinAutorenfoto: © Brian HenniganE-Book Konvertierung powered by pepyrusISBN: 978-3-8437-3016-7
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Titelei
Der Autor / Das Buch
Titelseite
Impressum
Erster Teil: Brutales Blendwerk
Kapitel 1 Mae
Kapitel 2 Chris
Kapitel 3 Mae
Kapitel 4 Chris
Kapitel 5 Mae
Kapitel 6 Chris
Kapitel 7 Mae
Kapitel 8 Chris
Kapitel 9 Mae
Kapitel 10 Mae
Kapitel 11 Mae
Kapitel 12 Chris
Kapitel 13 Mae
Zweiter Teil: Schlimmer als ein Trauerfall in der Familie
Kapitel 14 Mae
Kapitel 15 Chris
Kapitel 16 Mae
Kapitel 17 Mae
Kapitel 18 Chris
Kapitel 19 Mae
Kapitel 20 Chris
Kapitel 21 Mae
Kapitel 22 Chris
Kapitel 23 Mae
Kapitel 24 Chris
Dritter Teil: Kranke Hollywoodtypen
Kapitel 25 Mae
Kapitel 26 Chris
Kapitel 27 Mae
Kapitel 28 Chris
Kapitel 29 Mae
Kapitel 30 Chris
Kapitel 31 Mae
Kapitel 32 Chris
Kapitel 33 Mae
Kapitel 34 Chris
Vierter Teil: Wonderland
Kapitel 35 Mae
Kapitel 36 Chris
Kapitel 37 Mae
Kapitel 38 Mae
Kapitel 39 Chris
Kapitel 40 Mae
Kapitel 41 Chris
Kapitel 42 Mae
Kapitel 43 Chris
Kapitel 44 Mae
Kapitel 45 Chris
Kapitel 46 Mae
Kapitel 47 Mae
Kapitel 48 Chris
Kapitel 49 Chris
Fünfter Teil: Aus Falschem folgt Beliebiges
Kapitel 50 Mae
Kapitel 51 Chris
Kapitel 52 Mae
Kapitel 53 Chris
Kapitel 54 Mae
Kapitel 55 Chris
Kapitel 56 Mae
Kapitel 57 Chris
Kapitel 58 Mae
Kapitel 59 Chris
Kapitel 60 Chris
Kapitel 61 Mae
Kapitel 62 Chris
Sechster Teil: The Dead Flag Blues
Kapitel 63 Mae
Kapitel 64 Mae
Kapitel 65 Mae
Kapitel 66 Chris
Kapitel 67 Mae
Kapitel 68 Mae
Anhang
Danksagung
Social Media
Vorablesen.de
Cover
Titelseite
Inhalt
Erster Teil: Brutales Blendwerk
Hotel Chateau Marmont
Los Angeles brennt.
Irgendein Irrer fackelt Obdachlosenlager ab. Heute hat’s eine Zeltstadt in Los Feliz an der Interstate 5 erwischt. Das Feuer hat sich bis Griffith Park ausgebreitet. Durch den Rauch gab’s einen unglaublichen Sonnenuntergang. Die Partikel in der Luft schluckten das Licht, färbten es rot. Der Himmel wurde zur neonfarbenen Wunde.
Mae wartet vor dem geheimen Eingang zum Chateau Marmont. Sie sieht die Samstagabendtouristen über den Sunset Boulevard schlendern, die Augen rot vom Qualm. Sie husten und wechseln Blicke. Dass es auf dem Sunset Strip so nach Lagerfeuer stinkt, hätten sie nicht gedacht.
Mae bewegt sich über den Gehweg wie ein Boxer vor dem Kampf. Sie trägt einen geblümten Overall aus dem Secondhandladen, ihr Gesicht ist eingerahmt von einem Lulu-Bob. Sie wirkt scharfsinnig, belesen. Ihr Blick ist der eines Wolfs auf der Pirsch, sie versteckt ihn hinter einer klobigen, viel zu großen Brille.
Sie verlagert ihr Gewicht von einem Fuß auf den anderen, die Absätze sind nicht zum Laufen gedacht. Sie hatte sie für ein erstes Date angezogen, das sie aber abgesagt hat, als vor zwanzig Minuten Dans Nachricht kam. Kein großer Verlust – sie war mit einem Stand-up-Comedian verabredet gewesen, den sie auf Bumble kennengelernt hatte. Comedians missbrauchen Frauen beim Daten oft als Testpublikum oder Psychotherapeutinnen – oder halten sie für so hohl, dass sie sich die Mühe gar nicht machen.
Dan hatte geschrieben Hannah Chateau asap und die Nummer von Hannah Heards neuer Assistentin mitgeschickt. Dans Nachricht war wie immer kryptisch. Die Regel lautet: Lass möglichst viel unausgesprochen.
Das Chateau Marmont: die hippste Absteige der Welt. Ein Märchenschloss im Shabby-Chic am Fuß der Hollywood Hills. Eigentlich gelangt man links über eine schmale gewundene Straße zum Hotel. Der geheime Eingang auf dem Sunset Boulevard führt direkt in die Grotte mit den privaten Cottages. Die unbeschriftete Tür in der weißen Backsteinwand besteht aus grünem Stoff – könnte man locker aufschlitzen und die Reichen und Berühmten ausplündern. Macht aber keiner.
Chateau-Jobs sind meistens unschön. Und dramatisch. Aber ein Riesenspaß. Mit Hannah Heard wahrscheinlich alles gleichzeitig.
Die grüne Tür geht auf. Das Mädchen auf der anderen Seite ist Anfang zwanzig. Sie hat blaue Haare und trägt ein Alaska-Thunderfuck-T-Shirt als Kleid – vom Typ her ist sie Manic Pixie E-Girl mit weit aufgerissenen Augen, wie ein Kaninchen in der Falle. Mae denkt, lange wird die sich in der Branche nicht halten. Nicht weil sie Angst hat, sondern weil man’s ihr anmerkt.
Die Regel lautet: Lass niemals die Maske fallen.
»Ich bin Shira, Hannahs Assistentin.« Sie schluckt die eigene Stimme, noch bevor sie ihren Mund verlässt. Angesichts derart offenkundiger Schwäche zerkaut sich Mae die eigene Wange. »Bist du die Presseagentin?«
»So was Ähnliches. Bring mich zu ihr.«
In der Grotte wirkt alles gedämpft wie unter Xanax. Das Getöse vom Strip verhallt. Selbst der Brandgestank ist irgendwie verflogen. Es raschelt traumhaft, überall Bougainvillea, Bambus und Jugendstilglas. Auf beiden Seiten der Grotte befinden sich je sechs kleine Cottages. In der Mitte ein ummauerter Teich, unbeweglich und ruhig, voller Seerosen und vermooster Steine.
Eins aber stört den Traum: Der Beton-Buddha am Teich ist umgekippt und wurde beim Aufprall geköpft. Sein abgetrennter Schädel lächelt gen Himmel. Mae denkt, es muss gerade erst passiert sein. Im Chateau hat man Routine darin, Leichen zu verstecken.
Shira sieht, dass Mae den gestürzten Gott betrachtet.
Sie sagt: »Hannah hat einen langen Flug hinter sich.«
Das Mädchen versteht, Dinge zu sagen, ohne sie zu sagen. Vielleicht kann sie sich doch in der Branche halten.
Im Cottage riecht’s wie auf einer Müllhalde – der scharfe Ammoniakgestank, von was auch immer geraucht wurde, treibt Mae Tränen in die Augen. Sie wendet sich zu der Assistentin um, bevor diese die Tür hinter sich schließen kann.
»Lass offen.«
»Der Gestank …«
»Interessiert keinen.«
Das Wohnzimmer ist mehr als unaufgeräumt. Klamotten hängen aus Gucci-Koffern, eine Mischung aus Couture und Jogginghosen. Überall stehen Tabletts vom Zimmerservice und leere Flaschen. Pommes auf einem Teller, festgeklebt in angetrocknetem Ketchup. Zu Aschenbechern umfunktionierte Kombucha-Flaschen. Dom Pérignon und Cool Ranch Doritos auf einem Tablett. Daneben auf einem Tisch ein Tütchen mit etwas gelblich Weißem, wie Knochensplitter, außerdem eine häufig benutzte Glaspfeife. Mae schaut zu Boden – sie ist auf steinharte Hundekacke getreten. Muss Wochen gedauert haben, so viel Schaden anzurichten, aber die Assistentin meinte ja, Hannah sei gerade erst wieder eingeflogen. Hannah lässt die Rechnungen weiterlaufen, auch wenn sie gar nicht in der Stadt ist, dabei kosten die Cottages einen Tausender pro Nacht.
Zwei Männer und eine Frau fläzen sich wie Zierkissen auf dem Vintage-Sofa. Lifestyle und Face Filler haben sie optisch zu Drillingen gemacht. Mae kennt die Sorte: Sie sind die kleinen Fische, die den Haien den Dreck von der Haut fressen. Sie sehen Mae mit ihren ausdruckslosen Fischaugen an.
Mochi, wenn sie gepflegt wird, ein flauschiges weißes Hündchen, jetzt aber grau und verfilzt, kläfft in der Küche. Eine schrille Vorbotin der Ankunft der einzig wahren Hannah Heard.
Man kennt ihr Gesicht. Selbst mit Kapuze über dem Kopf und viel zu großer Sonnenbrille kennt man sie. Ihre Bekanntheit hängt wie Feuerqualm in der Luft. Auch wer nicht alle sechs Staffeln As If! oder ihre beschissenen Teeniefilme gesehen hat, kennt sie. Vielleicht erinnert man sich sogar noch, wie sie groß rausgekommen ist. Dass sie Witz hatte, ein Gespür für das richtige Timing und sehr viel Herz. Man hat sie in aufreizender Pose auf dem Titel von Vanity Fair gesehen, erschienen im selben Monat, in dem sie achtzehn wurde. In den letzten Jahren hörte man eher was von verpassten Rollen und Flops oder dem ganzen Boulevard-Blödsinn – alles, was Mae und Dan nicht abwürgen konnten –, ihre Seele erlag dabei wie in Zeitlupe einem frontalen Auffahrunfall.
Jetzt sind Rotweinflecken auf ihrem orangefarbenen Hoodie von Celine – schon wieder tausend Dollar im Arsch. Aber Mae beunruhigt eher die Sonnenbrille. Hannah trägt eine zu große Sonnenbrille in einem sowieso dunklen Raum. Maes Auftrag befindet sich unter der Brille.
Hannahs Stimme klingt abgehackt und kaputt: »Hey, Bitch. Siehst geil aus.«
Sie begrüßen sich mit Luftküsschen. Hannahs Schweiß duftet nach Lackverdünner. Ihr Körper dünstet Giftstoffe aus allen Poren aus. Die Umarmung wird heftig, Hannah lehnt sich auf Mae, bittet Mae flehentlich, ihr Gewicht abzunehmen. Mae hält sie, so fest sie kann.
»Hast du Narcan?«, fragt Mae Shira über Hannahs Schulter hinweg. Die Assistentin nickt. Hannah stößt sich aus der Umarmung ab.
»Fick dich. Ich fass kein Fentanyl mehr an. Seit Brad nicht mehr.«
In Maes Kopf existiert Brad Cherry nur als wunderschöne Leiche auf einer Doppelbettmatratze. Maes erster Toter. Mae hatte vergessen, dass Hannah als Teenager mit Brad As If! gedreht hatte, lange bevor es für beide bergab ging. Sie blinzelt sich den Anblick des toten Jungen aus den Gedanken.
»Das ist Mae«, sagt Hannah zu den Drillingen. »Sie ist ein Killer.«
»Hannah«, sagt Mae und trifft dabei genau den richtigen Ton – erfüllt von Fürsorge und Mitgefühl, gerade genug, um Hannah zu trösten, aber nicht so viel, dass sie die Herablassung spürt. Die Regel lautet: Bearbeite deinen Klienten. »Wieso nimmst du nicht die Sonnenbrille ab und erzählst mir, warum ich hier bin?«
Hannah nimmt die Brille ab. Ihr linkes Auge ist lila und angeschwollen wie eine aufgeplatzte Pflaume.
Mae verzieht keine Miene. Die Regel lautet: Behalt’s für dich. Sie dreht sich wieder zu Shira um.
»Wann wird sie abgeholt?«
»Um vier muss sie in die Maske.«
»Scheiße.«
Laut der Geschichte – der Geschichte, die sich Hannahs Team ausgedacht hat – hat Hannah ihr Leben in den vergangenen sechs Monaten umgekrempelt und wieder in den Griff bekommen. Ihre Presseleute haben Läuterungsinterviews mit freundlich gesinnten Partnern bei den großen Hochglanzzeitschriften arrangiert. Paparazzi bekamen Tipps, wann sie Hannah beim Kauf frisch gepresster Bio-Säfte und veganer Wraps ablichten können. Die Geschichte hatte funktioniert. Morgen beginnen für sie die Dreharbeiten zu einem Oscar-verdächtigen Indie-Drama. Nicht die Hauptrolle, aber eine gute. Wenn alles glattgeht, folgt der Geschichte zweiter Akt: Popsternchen zeigt, dass sie’s voll draufhat.
Mit dem Auge aber hat sie’s verkackt.
Die Filmleute flippen aus, wenn sie das sehen. Vielleicht können sie um sie herum filmen oder ihr Auge nachbearbeiten. CGI-Bearbeitungen sind bei den großen Stars inzwischen Standard – vertraglich vereinbartes digitales Augenlifting und virtuelles Botox. Aber so groß ist Hannah nicht. Wenn Hannah gleich am ersten Tag mit dem Auge auftaucht, wird man das als Hinweis verstehen, dass sie rettungslos hinüber ist, die Produzenten werden sie absägen und das nächste angesagte Filmsternchen ranholen, das garantiert schon in der Warteschleife hängt.
Mae weiß, wenn ein Mann in der Branche über die Klippe fällt, kann er sich vielleicht wieder hochhangeln, möglicherweise strecken ihm ein paar Leute sogar eine Hand entgegen und helfen ihm rauf. Wenn eine Frau aber erst mal gefallen ist, bleibt sie unten liegen. Klammert sie sich noch an der Kante fest, treten ihr die anderen auf die Finger, einfach nur, weil das Drama Spaß macht. Wenn Hannah die Rolle verliert, stürzt sie ins Bodenlose. Die Regel lautet: Schütze den Klienten – auch vor sich selbst.
Hannah muss die Rolle behalten, das ist Maes Auftrag.
»Wo ist Tonya?« Hannahs Managerin.
»Geht in Santa Monica auf den Strich, was weiß ich?«, sagt Hannah. »Die Bitch ruft mich nicht zurück.«
»Jonathan?« Ihr Anwalt.
»Incommunicado.«
»Was ist mit Enrique?« Ihr Agent.
»Der hat gesagt, ich soll euch anrufen.«
Das Platsch-Platsch-Platsch, das man jetzt hört, kommt von den Ratten, die eine nach der anderen von Bord ins Wasser springen. Hannahs Team hat bereits entschieden, wie die Sache ausgehen wird. Sie werden keine Anstalten machen, den Produzenten das mit ihrem Auge zu erklären. Sie übergeben den Fall an das Aufräumkommando. Und Dan übergibt ihn ihr.
»Hannah, ich muss wissen, was passiert ist.« Mae nickt Richtung Schlafzimmerflur und meint: Lass uns da hinten weiterreden. Hannah schüttelt den Kopf, tut die Drillinge auf dem Sofa mit einer Handbewegung ab.
»Was? Die lebenden Toten da drüben? Die sind jenseits von Gut und Böse. Ich wette, für die klingen wir wie Charlie Browns Lehrerin.«
»Na gut. Schieß los.«
Hannah erzählt Mae die Geschichte in Brocken und Fetzen. Große Teile lässt sie unausgesprochen. Mae reimt sie sich zusammen.
Im Flüster-Netzwerk spricht man von Yachting. Frauen werden außer Landes geflogen und auf Boote gebracht, wo sie mit reichen Männern Partys feiern – reich im Sinne von Summen, die das menschliche Gehirn gar nicht erfassen kann. Die Jachten schippern um den Erdball, immer dem besten Bikini-Wetter hinterher, bleiben dabei in internationalen Gewässern. 24/7/365 immer um die Welt. Die Frauen sind Gastgeschenke. Früher wurden ganze Maschinen voller angehender Schauspielerinnen aus Burbank ausgeflogen. Gerüchten zufolge werden die meisten jetzt aus Osteuropa geholt – ist billiger. Auf den Flügen aus L. A. wird inzwischen angeblich strenger ausgewählt. Jetzt heißt es, nur noch bekannte Gesichter, die dann für sechsstellige Summen pro Nacht in Privatjets ausgeflogen werden. Sieht aus, als wäre an den Gerüchten was Wahres dran.
Mae weiß, Gerüchte sind immer richtig. Sogar die falschen.
Hannahs Ausflug verlief so: Sie wurde mit einem privaten Wagen zum Flughafen in Santa Monica gebracht, mit einem Privatjet zu einem privaten Hangar in Frankreich geflogen, kein Zoll – sie hatte nicht mal ihren Reisepass dabei. Vom Hangar aus fünfzehn Meter weiter in einen Helikopter. Ihre Füße berührten höchstens eine Minute lang französischen Boden. Der Helikopter brachte sie in internationale Gewässer. Er landete auf einem Versorgungsschiff, einem dreißig Meter langen Boot, das der Megajacht hinterherfuhr, mit Helikoptern und Jetskis und anderen Spielsachen an Bord. Security, Mitarbeiter und die Mädchen, die doch nicht ganz den Anforderungen entsprachen, wurden auf dem Boot untergebracht. Dann setzte sie auf einem stilvollen Beiboot aus Holz zu der dreistöckigen Megajacht über, wo der Kunde wartete. Zehn Mädchen waren bereits an Bord. Hannah war der Hauptgewinn.
Wie sie an den Auftrag kam, wer das arrangiert und angestoßen hat, sagt sie nicht. Teilweise erzählt sie – die schlimmsten Sachen – in einem Babysprech-Singsang und sieht dabei Mochi an. Sie lacht, als wär’s kein Ding. Vielleicht glaubt sie das sogar wirklich.
Mae ist aufgewühlt – wegen dem ganzen Horror, aber auch weil es so spannend ist. Insiderwissen über diese geheime Welt ist aufregend. Die Welt zu sehen, wie sie wirklich ist.
Zum Kotzen.
Und elektrisierend.
»Er hat sich für schlau gehalten. Wollte mich filmen … dabei. Also hab ich sein Handy aus dem Fenster oder wie das heißt geworfen.«
»Bullauge«, sagt Shira. Hannah sieht sie an, und das Mädchen schrumpft in sich zusammen. Mae erkennt in dieser einen Sekunde die ganze Beziehung zwischen den beiden – die späten nächtlichen Anrufe, die nie enden wollenden Botengänge und mäkeligen Essensbestellungen, die Schikane, die Beschimpfungen und die eigenartig liebevollen Momente. Kaum ein Job ist so anstrengend oder intim wie der einer Assistentin eines Hollywoodstars – und die allermeisten werden besser bezahlt.
»Bullauge. So oder so, ich hab den Delfinen das Handy von dem Arschloch geschenkt. Also …« Hannah fasst sich vorsichtig an ihr dickes Auge und verstummt, als eine Erinnerung sie überrollt. Tränen steigen ihr in das andere. Sie schnappt nach Luft, verzieht das Gesicht, als hätte sie etwas Schlechtes geschmeckt. Eine Sekunde lang droht alles viel zu real zu werden. Dann schluckt Hannah, was auch immer sich Bahn zu brechen drohte, runter, und der Augenblick ist vorüber. Sie lächelt ihr Tausendwattlächeln, dem sie ihr Ticket zu der Veranstaltung zu verdanken hat.
»Kennt man ihn?«, fragt Mae. Könnte eine weitere Schwierigkeitsstufe bedeuten.
»Hier nicht.«
»Wo denn?«
»Irgendwo, wo’s normal ist, dass behaarte alte Säcke in viel zu engen Badehosen rumlaufen.«
Hannah greift in die Tasche ihres Hoodies, zieht ein kleines Säckchen mit Kordelzug heraus. Leert es aus. Ein Häufchen Diamanten glitzert irre schön in ihrer Hand.
»Wahrscheinlich hat er ein schlechtes Gewissen bekommen«, sagt sie, aber nicht so, als würde sie’s ernst meinen. »Das ist so was wie eine Wiedergutmachung. Wie viel sind die wert?«
»Keine Ahnung. Hast du mal deine Managerin gefragt?«
Hannah schüttelt den Kopf. »Dann will sie noch Provision.«
Sie stopft die Diamanten wieder in ihre Hoodie-Tasche. »Wahrscheinlich sowieso mehr, als ich mit dem Film verdiene.«
Sie macht ein Geräusch wie jemand, der etwas sehr Schweres schleppt. Schaut hoch und sagt an die Zimmerdecke gerichtet:
»Fick dich, Eric. Sieh nur, was du mir angetan hast.«
»Der Speedo-Typ hieß Eric?«
»Der doch nicht«, sagt Hannah. »Vergiss es. Kapierst du nicht.«
Maes Gehirn spuckt einen Namen aus: Eric Algar, Creator / Show-Runner von As If!. Der Mann, der Hannah und die meisten anderen Teeniestars in der Stadt entdeckt hat. Gerüchten zufolge ein Widerling allererster Güte. Einer von hundert anderen, deren Namen Mae einfiele, wenn sie sich hinsetzen und drüber nachdenken würde.
Wie ihre Freundin Sarah sagt:
Niemand sagt was.
Aber alle tuscheln.
Nach Hannahs Geschichte stehen sie schweigend zusammen. Mae klappert mit den Nägeln auf ihrem Handy. Mochi kläfft auf Hannahs Arm. Mae holt tief Luft, so wie es das Internet empfiehlt. Sie konzentriert sich auf den Auftrag. Dem Monster auf dem Boot kann das alles nichts anhaben, das ist schon mal klar – so läuft das Spiel.
»Ich brauch frische Luft«, sagt sie. »Wenn ich wiederkomme, bin ich schlauer.«
Draußen vor der Grotte sind Luft und Zeit traumhaft golden. Mae hört gedämpftes Sexgestöhne aus dem Cottage links. Verstärkt nur noch die Luxus-Vibes. Der kopflose Buddha ist weg. Hatte sie sich schon gedacht. Die vertuschen einen toten Gott genauso schnell wie alles andere.
Mae wägt die Möglichkeiten ab. Von ihrem eigenen Team wurde Hannah offensichtlich bereits abgeschrieben. Mae könnte sich einfach umdrehen und gehen, außer Hannah wäre niemand sauer. Wenn Mae geht, wird Hannah in zwei Tagen schon so bedeutungslos sein, dass man sich sowieso keine Gedanken mehr um sie machen muss.
Mae geht durch die Grotte und über die Treppe hoch zum Pool. Bei einem Shooting am Beckenrand wird das Licht des goldenen Sonnenuntergangs genutzt. Der Mann im Zentrum ist so schön, dass man bei seinem bloßen Anblick Druck auf den Augäpfeln spürt. Leute halten Kameras und Reflektoren hoch. Mae betrachtet ein junges Mädchen, das Flüssignahrung in einer Plastikflasche für das Model bereithält. Wenn du Anfängerin in der Branche bist, könnte auch ein unbelebtes Objekt deinen Job übernehmen, und das lassen sie dich spüren.
Der Gedanke weckt Erinnerungen an frühere schlimme Jobs. Wut kocht hoch. Mae beschließt, sie zu nutzen und Hannah den Arsch zu retten, nur um zu beweisen, dass sie’s kann. Freude pulsiert in ihrem Gehirn. Wütende Freude ist ihre Lieblingsempfindung. Damit fühlt sie sich lebendig.
Sie geht den Job in Gedanken durch. Denkt an die Grundregeln der Verschleierung, die Dan ihr beigebracht hat.
Mach dir keinen Kopf um die Wahrheit. Ist nicht so, dass sie nicht wichtig wäre, aber es kommt nicht drauf an.
Auch eine Lüge, die keiner glaubt, kann wirkungsvoll sein – wenn sie Menschen erlaubt zu tun, was sie sowieso tun wollen.
Besorg dir einen blutigen Handschuh – eine objektive Entsprechung, ein reales Ding, auf das du verweisen kannst, um die Lüge zu untermauern.
Horror oder Tränendrüse. Was anderes hilft nicht.
Ihr fällt die Lösung ein.
Sie geht zurück zum Cottage. Würdigt die Drillinge keines Blicks. Schlägt einen Ton gegenüber Hannah an, als wollte sie sagen: Das ist ein Befehl.
»Spring unter die Dusche, Bitch. Wir drehen einen Film.«
Hält man sich zum ersten Mal mit einem Star im selben Raum auf – nicht nur mit einer berühmten Person, sondern mit einem Star –, kapiert man’s sofort. Man kann den Blick gar nicht abwenden. Unter dem ganzen Dreck und Schmerz strahlt Hannah immer noch.
Nach dem Dreh im Schlafzimmer – bei dem Hannah jede Zeile, die Mae für sie getextet hat, auf den Punkt perfekt abgeliefert hat – geht Mae ins Wohnzimmer zurück. Die Drillinge haben sich nicht gerührt. Einer der Männer ist inzwischen bewusstlos, ein Spuckefaden hängt aus seinem Mund. Mae gibt Shira ein Zeichen: Komm her.
»Hannah lädt das Video auf Instagram hoch. Wenn du was hast, das ihr beim Einschlafen hilft, gib es ihr. Sechs Stunden kann sie noch mitnehmen. Schaff die drei hier raus. Aber lass sie vorher eine Vertraulichkeitserklärung unterschreiben.«
»Wie soll ich das machen?«
Mae schnappt sich ihre Tasche vom Tresen. »Hier. Ich hab immer Blankoformulare dabei.«
Mae beschließt, in der Nähe zu bleiben, bis das Video einschlägt. Sie geht am Pool vorbei – jetzt ist es dunkel, und das Shooting ist beendet. Sie passiert Bungalow 3, wo John Belushi an einer Überdosis starb. Dann die Stufen runter, an denen sich Jim Morrison den Schädel aufgeschlagen hat, als er besoffen vom Dach fiel. Und quer über die Auffahrt, auf der Helmut Newton die Kontrolle über seinen Cadillac verlor, gegen die Mauer knallte und starb. Auch die Geister verstärken die Luxus-Vibes.
Sie betritt das Hotel, geht die Treppe zur Lobby hinauf. Gary Oldman schlappt mit Quäkerhut an ihr vorbei. Sie geht zu den Hostessen. Alle tragen dasselbe Rostrot. Alle sehen auf dieselbe Art umwerfend aus. Mae lässt Hannahs Namen fallen. Sie sieht den Hostessen ihre Genervtheit an. Es funktioniert – an der kleinen Bar ist noch ein Platz frei. Sie bestellt einen Cocktail, irgendwas mit Yuzu und Meskal, das nach köstlichem Leder schmeckt. Dakota Johnson stakst in einem riesigen Kunstpelzmantel vorbei. In der Luft liegt künstlicher Blumenduft. Sam Rockwell und Walton Goggins sitzen an einem dichtgedrängten Tisch hinter ihr. Über die Anlage läuft Grimes – immer wieder singt sie mit ihrer naiven Mädchenstimme das Wort violence. Mae guckt heimlich zu den berühmten Leuten und sieht, dass auch die sie heimlich ansehen – sie überlegen, ob Mae jemand ist. Geheimnisvoll sein gefällt ihr. Schrödingers große Nummer. Sie lässt sich von der Magie des Hotels beruhigen. Sie denkt nicht mehr an Männer auf Jachten, die machen, wozu sie Lust haben.
Ihr Handy brummt in ihrer Tasche. Dan. In der Bar sind Handys nicht erlaubt. Sie lässt fünfundzwanzig Dollar liegen, meldet sich beim Rausgehen am Telefon. Dan hält sich mit keinem Hallo auf.
»Ihr scheiß Hund?« Pure Freude in seiner Stimme.
»Horror oder Tränendrüse. Was anderes hilft nicht. Hab ich mir sagen lassen …«
Er lacht.
»Dann hat sie’s also hochgeladen?«, fragt sie.
Das Video dauert ungefähr zwei Minuten. Hannah hat Mochi auf dem Arm, ihre Sonnenbrille auf und erzählt eine lustige Geschichte, von wegen die kleine Hundedame müsse unbedingt Medikamente gegen ihre Angststörung nehmen, was sie aber hasst und dabei immer wieder versucht, sich loszureißen. Höhepunkt der ganzen Rangelei ist, dass Mochi Hannah eine Kopfnuss verpasst. Hannah zieht genau im richtigen Augenblick die Brille ab – das blaue Auge ist der Clou. Sie lässt sich von Mochi über das Gesicht lecken – alles ist verziehen. Das Video ist perfekt. Hashtag »Mochi, die kleine Rabaukin«. Hashtag »Geht viral wie Hölle«.
»Die vom Studio haben das Video schon getwittert«, sagt er. »Die erkennen einen Hit, wenn sie einen vor sich haben.«
»Dann hat sie ihre Rolle noch?« Mae bleibt in der Hotellobby stehen.
»Drehbeginn ist um sechs. Die flicken ihr Auge später in der Post-Production. Ihre Managerin hat mich angerufen. Alle Achtung, soll ich dir ausrichten. Sie meint, du hast das Schiff durch die Klippen gesteuert.«
Das hat die Managerin nicht gesagt. So redet Dan. Mae kennt ihn gut. Sie weiß, dass er nicht fragen wird, wie’s wirklich war, nicht am Telefon.
»Meinst du, sie hält die Dreharbeiten bis zum Ende durch?«
»Mir scheißegal«, sagt er. Er lacht. Irgendwas ist seltsam an seinem Tonfall. Das macht Mae nervös. Sie haben gelernt, einander zu durchschauen. Mae weiß, dass das Gespräch auch bis Montag hätte warten können. Sie weiß, dass es ein Vorwand für etwas anderes ist. Sie weiß, dass der Small Talk zu Ende ist und er gleich zum wahren Grund seines Anrufs übergehen wird.
»Hast du Montag nach der Arbeit schon was vor?«, fragt er.
»Vielleicht Barre-Workout.«
»Lass uns was trinken gehen.« Irgendwas in seiner Stimme macht ihr Gänsehaut.
Dan ist ihr Lieblingschef von allen, die sie je hatte. Er hat sie noch nie angeschrien, blöd dastehen lassen oder mit irgendwas beworfen.
Und er hat sie nie angegraben.
»Was trinken?«, sagt sie, als wüsste sie gar nicht, was das bedeutet – ein reiner Lückenfüller, während sie sich innerlich vorbereitet.
»Polo Lounge«, sagt er. »Ich lad dich ein. Aber behalt’s für dich, okay?«
Schlechte Vibes und obendrauf noch mehr schlechte Vibes. Die Polo Lounge im Beverly Hills Hotel. Drinks an der Hotelbar. Schöne breite Doppelbetten nur eine Fahrstuhlfahrt entfernt.
»Gibt’s einen Anlass?«
»Ich will dir von meinen grandiosen Visionen für eine strahlende Zukunft berichten. Vor allem deiner.« Sie weiß, wie gut er lügen kann, eine Maske aufsetzen. So gut, dass sie merkt, wenn sie verrutscht, sogar am Telefon – das macht sie fertig. Sie will auch lügen, so tun, als würde ihr einfallen, was sie am Montagabend vorhat. Aber sie kriegt es nicht hin. Er wird merken, dass es gelogen ist, so wie sie weiß, dass er lügt. Er wird sauer sein. Die Regel lautet: Behandle deinen Chef wie deinen Klienten.
»Abgemacht«, sagt sie. Der Rest der Unterhaltung zieht verschwommen an ihr vorbei. Ihr Gehirn durchläuft fieberhaft sämtliche Möglichkeiten. Nach Ende des Telefonats geht sie runter zum Parkservice an der Hotelauffahrt. Gibt einem der Mitarbeiter ihr Ticket. Er trägt Schweißausbruch zum Smokinghemd und sprintet los. Sie wartet.
Ein Maybach hält. Hinten steigt ein alter Mann aus, urgroßvateralt den adrigen Händen und spinnenfadendünnen Haaren nach zu urteilen. Sein gebrechlicher Oberkörper von der Farbe eines Fischbauchs schimmert unter seinem schwarzen Seidenhemd hervor. Mit ihm steigt eine Frau aus, höchstens ein Viertel so alt wie er – eine Assistentin, keine Freundin, Mae sieht es an ihrer Kleidung. Aber wie er an ihren Arm fasst, ist einfach falsch, und Mae beobachtet ihre Reaktion – das Mädchen ist gut, sie versteht es, ihr Schaudern auf ihren Blick zu beschränken. Sie sieht die beiden zum Hotel gehen. Sie denkt an Ärzte – wenn Ärzte jemanden behandeln, sehen sie dann überhaupt noch die Person? Oder nur das Fleisch, die Eingeweide, die Venen und Tumore? Wenn Mae mit Leuten zu tun hat, sieht sie nur noch Geheimnisse.
Mid-Wilshire
Das Apartment des Briten sieht aus wie im Katalog, aber es stinkt nach schmutziger Wäsche. Einmachgläser mit Murmeln, hübsch platziertes antikes Spielzeug – dieser ganze sinnlose Kram. Überall gerahmte Poster, kitschige Sinnsprüche in fetten Großbuchstaben: LIVE LAUGH REPEAT. DAS LEBEN IST WIE FAHRRAD FAHREN. ZAUBERE DEINE EIGENE MAGIE. Überall Ringleuchten und Stative. Die Wohnung des Briten ist ein Set.
Chris steht mittendrin, ist eindeutig ein Eindringling in dieser Welt. Er ist einundvierzig und groß. Früher hätte man ihn für einen Footballspieler gehalten, heutzutage geht es eher Richtung Menschenfresser. Er steckt in einem Jogginganzug XXXL. Die Haare sind ungekämmt, die Haut blass unter dem ungleichmäßigen Vollbart.
Chris ist die Faust am Arm eines anderen.
Er sieht sich im Apartment um, schließt die Tür hinter sich. Zwei Plattenspieler und ein Mischpult stehen auf einem Extratisch. Die Küchenzeile in dem offenen Wohnbereich ist vollgestellt mit Kisten – Mucki-Pulver, Nahrungsergänzungsmittel, Testosteron-Booster, zuckerfreie Energydrinks. Sponcon. Gesponserte Inhalte. Der Brite postet für Geld Bilder von sich mit dem ganzen Mist.
Die Wohnungstür ist billig und hohl, zu seiner Zeit als Cop hätte Chris sie mit einem Tritt geöffnet. Jetzt hat er sich mit einer Kreditkarte Zugang verschafft. Das lernt man als Ex-Cop: unsichtbare Mauern halten die Menschen auf Linie. Will man sie nicht sehen, sind sie auch nicht da. Geht man einmal durch, tauchen sie nie wieder auf.
Chris sieht auf sein Handy. Patrick hat ihm vor zehn Minuten geschrieben, dass der Brite die Bar in Little Tokyo verlassen hat. Chris schätzt, dass ihm zehn Minuten bleiben, bis der Brite zu Hause ankommt. Er durchsucht das Apartment allein schon, um die Zeit totzuschlagen. Er geht vor, wie er’s an der Polizeiakademie gelernt hat – teilt die Räume in ein Raster ein, arbeitet sich von oben nach unten durch. Polizeigewohnheiten legt man nur schwer ab.
Er findet einen Haufen bunte Pillen in einer Sandwichtüte. Einen Eight-Ball-Fishscale Kokain in der Sofaritze. Einen mit Koksrückständen verschmierten Spiegel. Sexspielzeug und Kokosöl im Nachttisch und eine Gummi-Pussy in der Sockenschublade. Außerdem ein Bündel Hunderter in einer Anzugtasche im Schrank. Er steckt das Geld, das Koks und die Pillen ein. Polizeigewohnheiten legt man nur schwer ab.
Er beendet die Suche. Setzt sich aufs Sofa. Nimmt sein Handy und steckt es wieder ein. Dann steht er auf. In seinem kaputten Knie knackt es wie in einem Funkgerät.
Er hört Schritte im Flur, dann schabt ein Schlüssel betrunken ums Schloss.
Die Tür geht auf. Herein kommt ein dürrer kleiner Brite mit verkokstem Blick – er ist berühmt auf eine Art, die Chris nichts sagt. Der Brite sieht Chris. Erstarrt. Chris sieht sich selbst in den Augen des anderen. Was macht dieser Troll von einem Mann in seinem Apartment?
»Alter, wer bist du?« Er versucht’s mit großer Klappe, aber seine Stimme spielt nicht mit. Er wird auf eine Art rot, die Chris verrät, dass er ein Arschloch ist.
Chris sendet weiter seine Keinen-Mucks-und-Rühr-dich-nicht-Vibes aus. Der Brite macht gar nichts. Sein Kampf-oder-Flucht-System blockiert.
»Also«, sagt Chris, »ich erklär dir, wie du’s verkackt hast.«
Chris geht auf den Briten zu. Der Kleine haut nicht ab. Er ist schlau genug, um zu wissen, dass er nirgendwo hinkann. Dass er’s dadurch nur schlimmer machen würde. Chris geht an ihm vorbei und schließt die Tür.
»Du hast es genauso verkackt, wie’s alle verkacken. Du bist zu gierig geworden.«
»Du verkackst es doch gerade, Alter. Kann es sein, dass du wirklich so blöd bist, wie du aussiehst? Weißt du nicht, wer ich bin?«
»Vielleicht hättest du bis in alle Ewigkeit Scheiße im Internet verkaufen können. Aber du bist zu gierig geworden.«
Der Brite hat viele D-Prominente als Freunde – in der Liga der Reality-Shows und Instagram-Influencer. Nebenbei hat er deren Geheimnisse verkauft – an alle, die sie haben wollten. TMZ und Truth or Dare oder was von den Printzeitschriften noch übrig war.
Letzten Monat hatte er verkauft, Patrick DePaulo, ein schauspielernder B-Promi, hätte sich die Nasenscheidewand weggekokst. Bei Truth or Dare wurde die Geschichte gebracht: Patrick DePaulos verko(r)kste Nasen-OP. Kann sein, dass es für den Briten Routine war. Vielleicht weiß er nicht, wie sehr er’s verkackt hat. Vielleicht hat sich der Brite nie danach erkundigt, womit Patricks Vater sein Geld verdient. Vielleicht hat er gedacht, Patrick kann sich von seinen sporadischen Sitcom-Gastauftritten einen Bugatti und Unmengen von Kokain leisten. Aber Patricks Daddy Leonard gehört BlackGuard, das größte private Sicherheitsunternehmen in L. A. – Überwachung, Gegenüberwachung, Schutz und viele andere Dienstleistungen, über die man nicht spricht.
BlackGuard hat wie immer in solchen Fällen einen Subunternehmer beauftragt. Patricks Vater wollte nicht direkt mit dem eigenen Unternehmen eingreifen, da es sich um eine Familienangelegenheit handelt. Eine gewisse glaubhafte Bestreitbarkeit sollte gewährleistet bleiben, sollte die Sache in die Hose gehen. Also wandte man sich bei BlackGuard an Stephen Acker. Acker ist Anwalt und ebenfalls ein Arm dessen, was Chris insgeheim als das Ungeheuer bezeichnet. Acker meldete sich wie immer bei Chris. Chris ist Patricks Lieblingsfaust.
»Du hast deine Hausaufgaben nicht gemacht und keine Ahnung, wen du verkauft hast.«
Irgendwas schaltet im Hirn des Briten. Chris kann das Funkeln in seinen Augen nicht richtig deuten.
»Ist wegen Patrick, oder?«
Dann weiß der Brite also doch, wer Patricks Vater ist. Das heißt, er wusste, was er tut. Das heißt, vielleicht wollte er, dass es so kommt. Er wollte auffliegen.
»Weißt du, wie wir dich erwischt haben?«, fragt Chris. »Wir haben die Spülung gezogen.«
»Ihr habt die verdammte Spülung gezogen?« Der Brite setzt sich aufs Sofa.
»Wir haben allen Freunden von Patrick einen anderen frei erfundenen Blödsinn erzählt. Dann haben wir gewartet, wessen Scheiße nach oben schwemmt. Weißt du noch die Geschichte, die dir Patrick DePaulo über Alana Dupree erzählt hat? Dass sie in der Entzugsklinik fixt? Die hast du vor zwei Tagen an Truth or Dare verkauft. Du warst der Einzige, dem Patrick den Quatsch aufgetischt hat. Daher wissen wir, dass du der Verräter bist.«
Der Brite sackt vornüber, vergräbt das Gesicht in den Händen. Hinter der Angst in seinen Augen liegt immer noch dieses eigenartige Funkeln.
»Ihr habt die verdammte Spülung gezogen?«
»Der Trick ist uralt«, sagt Chris. »Aber gut.«
Chris muss es wissen – damit haben sie ihn damals selbst erwischt.
Der Brite schiebt die Hand zwischen die Sofakissen, tastet nach seinem Koksvorrat. Chris zwinkert ihm zu, klopft sich auf die Tasche, in die er ihn gestopft hat. Der Brite klappt nach hinten.
»Ein beschissener kleiner Dieb bist du also auch noch. Dann hab ich eben eine scheiß Geschichte verkauft. Na und? Zerreißen sich sowieso alle das Maul, wieso soll ich mich nicht dafür bezahlen lassen?«
So wie er’s sagt, erinnert er Chris an Mae Pruett. Was war ihr Spruch gewesen? Niemand sagt was. Aber alle tuscheln.
Er schiebt den Gedanken beiseite – ist lange her.
»Sein Vater hat jede Menge Soldaten und Killer, aber ausgerechnet dich schickt er los, hm? Einen von seinen Gorillas?«
Chris ist sich jetzt sicher. Irgendwas im Leben des Briten hat ihn auf diesen Moment zusteuern lassen.
Chris kennt die Sorte.
»Ich werde dir jetzt wehtun.«
»Nicht ins Gesicht, Alter. Ich muss morgen drehen.«
Chris nickt. Seinem Gesicht hätte er sowieso nichts getan. Niemand will, dass die Show leidet. Chris hebt den Briten vom Sofa. Packt ihn an den Schultern. Und rammt ihm ein Knie in den Magen. Der Brite kotzt Luft, Chris hält ihn aufrecht. Lässt ihn wieder zu Atem kommen. Sein Gesicht ist eine Maske aus Schmerz, aber das eigenartige Funkeln in seinem Blick bleibt. Chris rammt ihm noch mal ein Knie in den Bauch. Jetzt lässt er ihn fallen. Chris geht langsam in die Knie – sein schlimmes Knie knackt. Chris macht sich an die Arbeit. Er empfindet nichts, als er dem Briten wehtut. Allerdings ist er nicht sicher, ob’s dem Briten genauso geht.
Die West Hollywood Hills / Sixth Street
Mae will noch nicht nach Hause, in ihr brodelt es. Außerdem hat sie Kopfschmerzen vom Feuerqualm. Vor dem Chateau biegt sie nach rechts ab. Überquert die Grenze zur City of West Hollywood. Die Partybars und Hotels drängen sich auf dem Strip dicht aneinander. Gebäude und Himmel sind mit Riesenanzeigen für Fernsehsendungen und Filme tapeziert, aber es sind ausschließlich Fortsetzungen oder Neuverfilmungen. Alles ist ein Nachhall auf was anderes. Wie ihre Freundin Sarah über die Branche sagt: Irgendwo fängt einer einen Blitz in einer Flasche ein – und schon rennen alle los, um Flaschen zu kaufen.
Sie biegt rechts vom Sunset ab, fährt direkt rauf in die Hills. Sechzig Sekunden später befindet sie sich in einer anderen Welt. Gewundene Straßen, unglaubliche Häuser, die an königliche Sommerresidenzen erinnern, weiße Bauhausklötze und Bauten, die wie Selbstmorde über den Klippen hängen. Zahlen gehen ihr durch den Kopf. Fünf Komma drei Millionen. Sieben Komma zwei Millionen. Vier Komma sieben Millionen.
Sie fährt in die Hügel, weit rein und hoch hinauf, öffnet ihr Verdeck, lässt Luft rein. Der Brandgeruch strömt in den Wagen. Sie fährt auf die Spitze der Hills zu. Los Angeles liegt glitzernd unter ihr. Durch das offene Verdeck betrachtet, ist der Himmel flach und schwarz – die Lichtverschmutzung hat ihm den Garaus gemacht. Die Stadt leuchtet unter diesem toten Himmel, als hätte sie nach oben gegriffen und die Sterne gestohlen.
Vor zwanzig Jahren. Eine Zwölfjährige sitzt auf einem Bett in Monett, Missouri. Ihre Augen sind groß und grün. Ihr Name ist Amanda Mae Pruett. Sie hasst es hier. Sie will woandershin, egal wo.
Dad nimmt sie manchmal mit zum Schießen. Sie hat Angst vor Schusswaffen, findet sie aber auch toll. Weil pure Macht daraus hervorbricht. Sie sitzt auf dem Bett und riecht das Schießpulver an ihren Händen. In ihren Ohren hallen die vergangenen Schüsse – der Krach ist gewaltig, sogar noch mit Ohrschützern. Sie nimmt eine Kaliber-22.-Hülse vom Tisch. Wie das Messing glänzt. Was für ein Potenzial sie hat, diese explosive Gewalt.
Ich bin ein Geschoss, beschließt sie. Und ich werde eine Waffe bauen, die mich hier rausschießt.
Ich bin ein Geschoss.
Vor zehn Jahren kam sie frisch von der Duke University nach L. A. Die vier Jahre dort hatte sie darauf verwendet, sich neu zu erfinden. Sie sezierte das Mädchen namens Mandy Mae Pruett, das Mädchen aus den Ozarks, das sich mit den wilden Jungs mit den bösen Blicken und den großen Trucks herumtrieb. Sie strich die Provinz aus ihrer Stimme und kappte den ersten Teil ihres Namens, verwendete stattdessen ihren zweiten Vornamen, ließ sich den Pony krass kurz und gerade schneiden, schminkte sich Katzenaugen und legte sich dünne Emo-Boyfriends zu.
Ihr erster Job in der Branche war als Produktionsassistentin in einer Ein-Kamera-Sitcom. Die Frauen am Set bekamen einen eigenen Raum, eine Abstellkammer hinter dem Kantinentisch. »Wozu?«, hatte sie die stellvertretende Regieassistentin gefragt, die ihn ihr zeigte. »Da gehen wir hin zum Heulen«, hatte diese geantwortet. Mae hatte gelacht und gedacht, dass manche Frauen echt schwach sind. Dass einige wenige die anderen in Verruf bringen. Bis sie acht Minuten lang ohne Unterbrechung von der Nummer eins des Casts angebrüllt wurde, weil sie seine Frühstücksbestellung verbockt hatte. Sie besorgte ihm erst ein neues Frühstück, dann ging sie in die Kammer. Und zog neue Mauern in sich hoch.
Anschließend suchte sie sich was anderes. Sie arbeitete als Assistentin für einen Agenten in einer Big-Four-Agentur, wich nach ihr geworfenen Tackern und Popoklapsen aus. Und lernte, sich die Nägel in die Handflächen zu bohren, wenn sie angeschrien wurde – die Wut gegen sich selbst zu richten.
Sie sagte sich: Ich bin ein Geschoss. Und sie wurde eins, immer mehr. Sie suchte sich wieder etwas anderes. Und ergatterte einen Einstiegsjob bei einer PR-Firma, der ihr mit der Zeit sogar gefiel. Sie arbeitete für eine Frau mit rauchiger Zigarettenstimme, die Mae aus Gründen hasste, die Mae nur vage verstand. Die Frau brachte Mae immer wieder in engen Kontakt mit sehr schlimmen Männern und hatte dabei so ein Leuchten in den Augen, weil sie genau wusste, in was für Schlangengruben sie Mae schickte. Mae dachte daran, dass manche Menschen, denen Schlimmes widerfahren war, es nicht abwarten konnten, anderen denselben Schmerz zuzufügen. Sie lernte, wie man Pressestatements verfasst, Reportern in den Arsch kriecht und dass das Leben größtenteils nur aus den Geschichten besteht, die wir einander oder uns selbst erzählen.
Eines Tages, aus heiterem Himmel, wurde sie von Dan abgeworben. Er arbeitete für Mitnick & Associates, die renommierteste Krisenmanagement-Agentur in Los Angeles. Er ging mit ihr Kaffeetrinken und fand genau die richtigen Worte: Black-Bag PR boomt. Wir bringen keine guten Nachrichten heraus – wir sorgen nur dafür, dass die schlechten nicht in die Öffentlichkeit dringen. Das ist wie bei James Bond, die schlüpfrige Hollywood-Fassung. Man kommt an Orte, an die sonst niemand auf der Welt gelangt. Du wirst Sachen erfahren, die sonst niemand weiß. Du wirst hässliche Dinge für hässliche Menschen machen – aber, hey, dafür wirst du auch ausgezeichnet bezahlt. Du darfst einen Blick hinter den Vorhang werfen, und das wird dir Angst machen, aber dir gleichzeitig einen Wahnsinnskick geben.
Sie stieg ein. Sie unterschrieb Vertraulichkeitserklärungen und Non-Disparagement-Verträge, verpflichtete sich zur Verschwiegenheit.
Dan war ein guter Lehrer. Allmählich glaubte sie, ihre Bestimmung gefunden zu haben. Sie blühte auf. Zuerst wusste sie nicht, warum. Eines Tages hatte sie einen Flashback und kapierte es: Mae als Kind am Esstisch der Familie, alle aßen schweigend, diese ganzen irren unausgesprochenen Dinge. Ihr Vater schluckte seine Scham. Ihre Mom die Traurigkeit. Schon als Kind lernte Mae Gesichter und Stille deuten. Sie lernte, Dinge unaufgefordert zu tun und Freude an der Wut zu empfinden – wie man sie einsetzt, ohne auszubrennen. Damals wusste sie nicht, dass das ihr Training war. Sie wusste nicht, dass sie ausgebildet wurde, um in diesem geheimen Krieg zu bestehen.
Dann kam der Tag, an dem sie am Bett des toten Brad Cherry stand und begriff, dass an ihrem Mantra etwas sehr Wahres war. Dass sie, wenn es sein musste, kalt und hart sein und im Innern glühen konnte.
Ich bin ein Geschoss.
Mae verfährt sich am Benedict Canyon. Die Straßen werden schmaler.
Sie verirrt sich im eigenen Kopf. Dans Stimme läuft in einer Endlosschleife. Lass uns was trinken gehen.
Sie ist jetzt seit drei Jahren bei Mitnick & Associates. Drei Jahre war Dan der beste Chef, den sie je hatte. Er ist der erste Mensch überhaupt, der den Kampf in ihr toben sieht und ihr rät, sich nicht zu verstecken. Nimm dir Skalps, sagt er. Trag eine Ohrenkette.
Und er hat sie nie angegraben.
Vielleicht hat sie den Ton missverstanden. Es ergibt keinen Sinn, dass er sich an sie ranmacht. Es sei denn, er tut es trotzdem. Dan betrügt Jenny seit Jahren – das weiß Mae. Die beschämt hängenden Schultern, wenn er an seinem Schreibtisch mit dem Handy telefoniert, der Tür den Rücken zukehrt, ins Telefon flüstert und wie er manchmal sein Handydisplay abschirmt, wenn Textnachrichten ankommen.
Sie biegt von der Benedict Canyon Road in den Cielo Drive. Die Häuser sind jetzt größer und stehen weiter auseinander. Sie verstecken sich hinter riesigen Toren. Die Zahlen in Maes Kopf werden immer größer. Zehn Komma zwei Millionen. Zwölf Komma acht Millionen.
Sie wird nicht mit Dan schlafen. Die Liste dessen, was dagegenspricht, ist endlos lang. Seine Wampe, wie er beim Essen schmatzt, dass er bereits verheiratet ist, noch dazu mit einer Frau, die Mae kennt. Dass er Kinder hat. Dass er Mae verletzen wird, so wie alle Frauen auf lange Sicht immer von ihren Chefs verletzt werden, wenn sie mit ihnen schlafen. Vor allem aber wird es nicht passieren, weil sie ihn nicht will.
Sie braucht ihn aber als Verbündeten. Wenn es so ist, wie sie befürchtet, dann wird sie damit umgehen müssen. Schon beim bloßen Gedanken fühlt sie sich erschöpft.