Alles zum Wohle der Kinder - Rolf-Heiko Buyny - E-Book

Alles zum Wohle der Kinder E-Book

Rolf-Heiko Buyny

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Beschreibung

Über das, was zum "Wohl des Kindes" ist, besonders in Fragen der Erziehung und Bildung, bestehen zwischen staatlichen Stellen und christlichen Eltern sehr unterschiedliche Meinungen. Diese werden in dem vorliegenden Buch mit letzter Konsequenz in dramatischer Weise ausgetragen. Die Heim- oder Hausschule, wie sie hier vorgestellt wird, ist nichts grundsätzlich Neues. Solche Schulen gibt es in fast allen europäischen Ländern, besonders zahlreich in Nordamerika.

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„Bei jeder Mühe wird

Gewinn sein“

(Sprüche Salomos, Kap.14,23)

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Der Tag X

Die geistliche Zurüstung

Erkenntnisse aus der biblischen Prophetie

Zustände an öffentlichen Schulen

Ideologische Hintergründe

Die Vorgeschichte der Hausschule

Anfangszeit der Hausschule

Der Kampf mit den Behörden

Die Schule bekommt einen Namen

Organisation des Hausunterrichts

Die erste Zweigschule entsteht

Schüler und Lehrer der Heim-Schule

Was ist aus den Heim-Schülern geworden?

Wo werden in Deutschland Heimschüler unterrichtet?

Eine Schule nach Gottes Plan

Modell einer christlichen Gesamtschule

Christliche Heimschulen im Ausland

Was bietet die Philadelphia-Schule?

Abschlusszeugnisse der Heimschüler

Heimschulfamilien flüchten ins Ausland

Lied der Heimschule

Anhang

Petition an den Niedersächs. Landtag

Vorwort

Für den einen bedeutet es verklärte Erinnerung an vergangene Zeiten, dem anderen ist es ständige Auseinandersetzung mit Personen, Dingen und Sachverhalten. Man blickt auf Vergangenes zurück oder nimmt Bezug auf Gegenwärtiges. Es gibt Kritik, Anklagen oder Resignation, aber auch Ansätze zu Neuem und Besserem: Schule ist ein Reizthema für viele, seit langem.

Wer sich äußert, hat in jedem Falle eine Schule durchlaufen, vielfach ist er auch durch eigene Kinder oder Berufliches mit dieser Einrichtung verbunden und versucht, Änderungsvorschläge einzubringen. Seit Jahrzehnten wird in und an der Schule reformiert, wobei die Ideen zu diesen Reformen jedoch in den seltensten Fällen von den unmittelbar Betroffenen zum Tragen kommen oder sich an deren tatsächlichen Erfordernissen ausrichten. Auch alle gegenteiligen und oft vollmundigen Beteuerungen ändern an dieser Tatsache nichts.

So stellen denn immer mehr Menschen betroffen fest: Die Verhältnisse in den öffentlichen Schulen sind so ungeordnet und besorgniserregend, daß vorgegebene Bildungs- und Erziehungsziele weitestgehend nicht mehr erreichbar sind. Von diesem Tatbestand haben wir auszugehen.

Gesunde und geordnete Zustände in den Schulen, deren Besuch verpflichtend ist, werden von vielen erhofft und sehnlichst herbeigewünscht - seit Jahren schon, aber dennoch meist vergeblich.

Christen haben auf diese bedrückenden Zustände im schulischen Raum beispielsweise durch Gründung von sog. Bekenntnisschulen reagiert, deren Anzahl inzwischen etwa fünfzig beträgt. Gemeinden ganz unterschiedlicher Prägung und Zielsetzung haben dafür die Verantwortung übernommen, und nicht selten ist die Trägerschaft auf mehrere solcher Gemeinden zugleich verteilt. Die Inanspruchnahme dieser Schulen ist bemerkenswert groß. Die Kosten sind hoch, und eine Finanzierung durch Mittel der beteiligten Gemeinden und durch Spenden reicht nicht entfernt aus, so daß staatliche Zuschüsse unabdingbar für den Betrieb solcher Schulen sind. Oft ist es schwierig, genügend geeignete Lehrer zu finden, die nicht nur fachliche und menschliche Qualitäten mitbringen, sondern zugleich ihren Dienst als einen Auftrag des Evangeliums ansehen. Fragen von Autorität und Disziplin sind keineswegs ausgeschaltet und bereiten oft erhebliche Schwierigkeiten, selbst wenn man nicht gerne darüber spricht. Manche bibelgläubige Eltern sehen in den Bekenntnisschulen kein wirkliches Gegenstück zu den staatlichen Einrichtungen.

Was in diesem Buch zur Sprache kommt, ist kein Beitrag zur Schulreform. Die Heim- oder Hausschule, in ihrer erweiterten Form als Gemeindeschule, wie sie hier vorgestellt wird, ist nichts grundsätzlich Neues. Solche Schulen gibt es seit Jahren in einigen europäischen Ländern, etwa Österreich oder England, und besonders zahlreich in Kanada und den USA. Literatur über diese Schulform ist ausreichend verfügbar, liegt aber meistens nur auf englisch vor. Verallgemeinernd ist zu sagen, daß in diesen Ländern wohl eine Unterrichts-, aber keine Schulpflicht besteht. Deutschland ist von einer solchen gesetzlichen Regelung bedauerlicherweise weit entfernt. In verschiedenen Zeitungen, beispielsweise in Bonn, Nürnberg und Naumburg, erschienen in letzter Zeit Berichte über amerikanische Heimschulen (Home-Schools), wobei auch auf den Gründer der ersten deutschen Heimschule hingewiesen wurde. Ein Gericht, das mit der Beurteilung eines Falles von Schulpflichtverweigerung aus Glaubensgründen befaßt ist, ließ sich Unterlagen über Heimschulen im Ausland besorgen. Sollte es doch auch endlich in deutschen Amtsstuben zu dämmern beginnen, daß selbst ganz kleine Schulen erfolgreich sein können, wenn sie im Geiste uneingeschränkter Verantwortung vor Gott geführt werden!

Um die hier im Buch erwähnten oder irgendwie mit ihm in Zusammenhang stehenden Personen vor Mißverständnissen zu bewahren, bleiben die Namen entweder unerwähnt, oder sie erscheinen nur mit ihrem Vornamen. Das gilt allerdings nicht für diejenigen, die in wesentlichem Maße Pionierarbeit für die deutschen Hausschulen geleistet haben: Helmut Stücher und seine Familie. Dieser „Fall“ ist ohnehin durch die verschiedensten Medien gegangen und hat weite Aufmerksamkeit erregt. Dem Familienvater brachte die eindringliche Beschäftigung mit biblischen Aussagen im Vergleich mit den bedrückenden Verhältnissen an öffentlichen Schulen die geistliche Erkenntnis, daß nur eine christliche Hausschule der Ausweg aus der Schulnot sein könne. Kenntnis davon, daß solche Schulen in anderen Ländern längst erfolgreich arbeiten, erhielt er erst viel später.

Es geht nicht um eine dokumentarische Darstellung in diesem Buch, sonst hätten innere Vorgänge, Erkenntnisse und Meinungen kaum einen Platz. Aus diesem Grunde wird auf Quellenangaben weitestgehend verzichtet, und es kommen nur wenige Dokumente zum Abdruck. Die genaue Kenntnis der Ereignisse und ihrer Hintergründe, aber auch den Einblick in die zeitliche Abfolge verdankt der Verfasser den umfangreichen Unterlagen, die ihm zur Verfügung gestellt wurden, manchen Gesprächen und schließlich der langjährigen Bekanntschaft mit der Familie Stücher.

Das Anliegen dieser Veröffentlichung besteht darin, gelebten und jederzeit vor Jesus Christus verantworteten Glauben als alleingültig und grundsätzlich bindend auch für die Erziehung und Bildung von Kindern vorzustellen und dazu aufzurufen, die notwendigen Schlußfolgerungen zu ziehen, wenn die eigene Lage des Lesers es erfordert. Letztlich geht es darum, Gott die Ehre zu geben, Seinen Namen zu verherrlichen und Seine Macht zu rühmen, die sich auch heute noch denen zu erkennen gibt, die ihr ganzes Vertrauen auf Ihn setzen.

„Preisen will ich den HErrn von ganzem Herzen, verkündigen all deine Wundertaten, ich will deiner mich freun und frohlocken, will lobsingen deinem Namen, du Höchster.“ (Ps. 9,1-2 nach H. Menge)

Rolf-Heiko Buyny

Der Tag X

Jeden Augenblick kann die Klingel ertönen, herrisch und ungeduldig. Sie erscheinen meist im Morgengrauen, das ist bekannt. Wenn der Tag kommt und mit ihm das Licht, dann ist es so, als ob manches nicht sichtbar werden dürfe, weil es diesem oder jenem nicht gefällt.

Im geräumigen Wohnzimmer der Vorortstraße sitzen sie an dem langgestreckten Tisch, der Platz bietet für ein Dutzend oder mehr Leute. So viele sind es jetzt nicht. Die kleineren Kinder schlafen noch, ahnungslos über das, was ihre Eltern und die älteren Geschwister innerlich beschäftigt und bedrückt. Es ist etwa halb sieben, aber niemandem ist zum Frühstücken zumute. Im Raum und zugleich in den Herzen der Anwesenden ist etwas, was dringlicher ist als das sonst übliche morgendliche Essen.

In diesem Raum wird oftmals gebetet. Die Gebete aber, die in der Morgenfrühe fünf Tage vor Weihnachten des Jahres 1983 zu Gott emporsteigen, sind ganz besonders innig, anhaltend und voll Vertrauen. Gott kennt die Gedanken eines jeden Menschen, noch bevor er sich selbst darüber bewußt wird. Das betrifft gläubige und nichtgläubige Menschen. Aber nur die gläubigen wissen um Gottes Allmacht, um die Tatsache, daß Er nie zu spät kommt, und auch darum, daß alles, was Gott zuläßt, zu ihrem Besten dient. Dieses Wissen macht zuversichtlich und gibt Trost, den man erleben muß, um ihn begreifen zu können. Je verwickelter die Lage, in der man sich befindet, desto wirkungsvoller der Trost und das Vertrauen, wenn beides wirklich auf Dem ruht, der die Geschicke der Menschen lenkt.

Was die Erwachsenen schon oft im Leben erfahren haben, häufig genug ganz unmittelbar, spüren jetzt auch die Jüngeren in der Familie: Hier ist einerseits eine große Not, aber da ist auch Gott der HErr, der sie wegnehmen kann, wann und wie Er es will. Deshalb sind alle Bitten in dieser Morgenstunde zugleich voll Lobpreis. Lieder lösen Gebete ab. Lob und Dank sollen auch dann gesagt werden, wenn die Not unüberwindbar erscheint, wenn nichts mehr als sicher gilt, wenn alle Stützen weggebrochen sind. Gottes Kinder sagen immer Lob und Dank.

Was war geschehen?

Am 5. September 1983 war den Eltern nach einer Sitzung des Vormundschaftsgerichtes am Amtsgericht für fünf ihrer insgesamt elf Kinder die „Personensorge einschließlich des Erziehungs- und Aufenthaltsbestimmungsrechts“ entzogen worden. Zugleich wurde amtlicherseits ein Pfleger zur Wahrung des Sorgerechtes bestellt und verpflichtet. In Anwendung von gesetzlichen Grundlagen, deren Gültigkeit auf einen asozialen Personenkreis zugeschnitten ist, wurde einer intakten Familie etwas auferlegt, was den tatsächlichen Verhältnissen offen Hohn sprach: Weil die Eltern aus Glaubensgründen in Übereinstimmung mit den Aussagen der Bibel ihre Kinder nicht mehr am Unterricht der staatlichen Schule teilnehmen lassen konnten, stempelte man sie zu Außenseitern der Gesellschaft. Seit dem 4. August 1980 hatten sie sich mit Entschiedenheit geweigert, erst zwei, dann weitere drei Kinder noch weiter in die öffentliche Schule zu schicken und hatten begonnen, sie statt dessen zu Hause selber zu unterrichten.

Die Gründe für diesen so entscheidenden Schritt waren vielschichtig. Die Zeit, bis der Entschluß zur Herausnahme der Kinder aus der Schule gefaßt wurde, betrug etwa ein Jahr. Bei steter aufmerksamer Beobachtung der Geschehnisse rund um die Schule bedeutete dieser Zeitraum für die Eltern, in Sonderheit für den Familienvater, einen geistlichen Reifungsvorgang.

Die geistliche Zurüstung

Die Gegend, in der sich die Ereignisse abspielen, ist altes Erweckungsgebiet mitten in Deutschland. Zahlreich sind die Gemeinden, deren Gründung noch in jene Zeit der bewußten und entschiedenen Umkehr vieler Menschen zur biblischen Wahrheit zurückreichen. Daneben findet man neuere und junge Gemeinden ganz unterschiedlicher Prägung und Ausrichtung. Sprach man lange Zeit von einer „frommen“ Gegend, so hatte diese Kennzeichnung ihre volle Berechtigung.

Das Wort „fromm“ war noch nicht mit dem abwertenden Beigeschmack behaftet, den es heute hat. In der vorreformatorischen Zeit bedeutete es „nützlich“ oder „brauchbar“, und wenn es auf Menschen bezogen wurde, bekam es den Sinn von „tüchtig, tapfer, rechtschaffen“. So verwendete es auch Martin Luther in seiner Bibelübersetzung, beispielsweise in Matthäus 25 im Gleichnis von den anvertrauten Zentnern. Später wandelte sich die Bedeutung und erhielt den Sinn von „gottesfürchtig, gottgläubig“, daneben auch noch die Bedeutung von „sanft, leicht lenkbar, gehorsam“.

Es handelt sich also um einen Landstrich, wo der Geist Gottes so mächtig an vielen Menschen gewirkt hatte, daß deren Leben völlig umgekrempelt wurde und Gottes Wort in allem Denken, Reden und letztlich auch im Handeln oberste Norm war und es auch lange Zeit hindurch blieb. Wen wollte es wundern, daß es heute damit nicht mehr so weither ist!? In einer Zeit der Umwertung aller überkommenen Wertvorstellungen sind es mitunter gerade sog. strenge Gemeinden, die wegen ihrer erprobten und von ihren Mitgliedern als festen Halt betrachteten Lehre und Gemeindeordnung schleichenden Einflüssen der Zersetzung unterliegen. Ausgesprochene Irrlehren erkennt man recht bald und weist sie mit Entschiedenheit zurück. Unterschwelliges, vermeintlich Harmloses hingegen sickert oft unbemerkt und damit ungestraft ein. Dieses Vorgehen des Satans ist weltweit zu beobachten, und es hat immer wieder und immer mehr Erfolg. Der Sog des Mit-der-Zeitgehen-Müssens ist ungewöhnlich stark und deutet dadurch bereits auf Kräfte, die weit über die übliche Beeinflussung hinausgehen. Auch diejenigen, die in oft regelrecht blindem Vertrauen an der Lehre ihrer Gemeinde festhalten, weil die seit Generationen erprobt ist, sind diesem Zeitgeist gegenüber nur gefeit, wenn sie ständig sich selbst und das an sie Herangebrachte vor Gottes Angesicht prüfen und ggf.dazu Stellung beziehen.

Es ist menschlich sehr verständlich, wenn man festzuhalten versucht, was sich als gut und nützlich erwiesen hat und schon den Vätern und Großvätern Richtschnur war. In vielen Fällen stellen die überkommenen und übernommenen Regeln und Werte ein Höchstmaß an Güte und Zuverlässigkeit dar. Dennoch können Irrtümer und Ungenauigkeiten weitergegeben worden sein, ohne daß jemand sie bemerkt hat. Und es kann etwas eintreten, was viel bestürzender und letztendlich verhängnisvoll ist: die Beibehaltung von Formen unter meist nicht entdeckter Duldung von geringen Änderungen, die den Gehalt der Lehre betreffen. Davor sicher sein können nur diejenigen, die stets wachsam sind und unter der Leitung des Heiligen Geistes alles prüfen und nur das behalten, was wirklich von Gott ist. Wachsam sein kann grundsätzlich jeder, aber die Gabe der Unterscheidung von Richtigem und Falschem in der Lehre haben immer nur einige. Diese Gabe zu erkennen und sich ihr zu stellen, ist nicht unbedingt ein und dasselbe. Möchtegern-Wächter einerseits und solche, die ihre warnende Aufgabe uneigennützig wahrnehmen, weil sie gar nicht anders aufgrund ihrer Worterkenntnis können, auf der anderen Seite, vermag man meist erst auf den zweiten Blick zu unterscheiden. Leicht kann es geschehen, daß man dem unrecht tut, der es nicht verdient hat.

Warner und Mahner sind erfahrungsgemäß unbequeme Leute. Sie erschüttern nicht nur Einzelne, sondern u.U. ganze Gemeinden. Wenn nicht erkannt wird, daß solche Erschütterungen zum allgemeinen Besten geschehen, da bestimmte Positionen völlig festgefahren sind, so ist die Reaktion mimosenhaft empfindlich. Häufig wird der lästige Mahner über kurz oder lang ausgeschlossen. Dabei reicht es mitunter aus, wenn ein oder zwei Verantwortliche eine Gegenposition beziehen, die bedauerlicherweise oft nicht frei ist von geistlichem Dünkel, den man jedoch eher in dem aufmüpfigen Bruder sehen will. In wie vielen Fällen hat man nicht durch einen förmlichen Ausschluß des Mahnenden aus der Gemeinde schnell wieder Ruhe und Ordnung hergestellt! Denn wenn die Mehrheit der Brüder oder gar alle gemeinsam die Rechtmäßigkeit des Beschlusses für gegeben halten, muß er doch wohl richtig sein. Wohl der Gemeinde, aus deren Mitte nach einem solchen Ausschlußverfahren Fragen auftauchen, auch noch lange danach, ob nicht der ausgestoßene Bruder mit seinen Einsichten und Mahnungen doch teilweise oder sogar völlig recht hatte!

Helmut Stücher, das Oberhaupt der Familie, die als erste im Nachkriegs-Deutschland der staatlichen Schulpflicht nicht mehr nachkam, hatte seine gemeindemäßige Heimat bei der „Versammlung“, zu der bereits sein Vater gehörte. Es handelt sich dabei um eine Gemeinschaft ohne starre Organisation und ohne jegliche Amtsträger, in deren Zusammenkünften die unmittelbare Leitung durch den Heiligen Geist entscheidend ist. Wer nie an einer solchen Versammlung teilgenommen hat, wird den ungeheuren Ernst auch nicht verstehen können, mit dem hier um Wegweisung gebetet und gerungen wird. Tiefe der Erkenntnis ist nicht eine Frage theologischen Studiums, jedoch immer des Sich-hineinführen-Lassens durch unermüdliche Beschäftigung mit dem biblischen Wort und der ständigen Bereitschaft zum Hören und Gehorchen. Die Wege sind dabei recht unterschiedlich, wie die Erkenntnisgrade in einer Gemeinde unterschiedlich sind. Entscheidend ist nicht die äußere Form der Zusammenkünfte, vielmehr das ständige Bemühtsein darum, Gottes Wort immer besser zu verstehen und mit Kraft und Vertrauen jeden Tag danach zu leben, gerade auch dann, wenn schwierige Lebensumstände Glaubensproben abverlangen. Gelebter Glaube - oft zum bloßen Schlagwort herabgesunken - ist tagtägliche Selbstverleugnung mit immer wiederkehrendem Begreifen, daß wir ohne Gott nichts tun können, mögen wir es auch noch so sehr versuchen. Vorbilder im Glauben und Handeln sind bei einer solchen Lebensführung oft in besonderer Weise hilfreich.

Eine derartige Vorbildrolle nimmt für Stücher dessen eigener Vater ein. Besondere Bedeutung hat dabei ein Ereignis aus der Zeit des beginnenden Nationalsozialismus. Im Jahre 1933, Stüchers Geburtsjahr, hatte der Vater in seinem Wohnort als Einziger nicht an den politischen Wahlen teilgenommen. Die Folge davon war, daß er sich dadurch die Gefolgsleute des Regimes auf den Hals lud. Auch die Glaubensgeschwister der eigenen Gemeinde fielen über ihn her und wollten ihm die Gemeinschaft aufkündigen, denn sie alle hatten ihre Stimme abgegeben. Wie der Vater in seinen Erinnerungen berichtet, bekannte sich Gott nach diesem Wahlboykott zu seinem treuen Zeugen: „Ich war der freieste Mann im ganzen Gau, niemand hat mehr von mir etwas verlangt. Die anderen sagten immer: Wie müssen dies, wir müssen das tun. Ich sagte: Ich brauche gar nichts zu tun.“

Gott mehr zu gehorchen als den Menschen, ist oftmals leichter gesagt, als danach gehandelt. Vorbilder im Glaubensgehorsam machen es ein wenig einfacher, ebenso oder doch ähnlich zu handeln, wenn es die Situation erfordert. „Ein Mann mit Gott ist die Majorität“, so umriß Stüchers Vater seine Haltung, und der Sohn konnte diesen Ausspruch schon in jungen Jahren immer wieder mit der Wirklichkeit des väterlichen Tuns in Übereinstimmung bringen. Dem Vater gehorsam zu sein, war damals eine Selbstverständlichkeit; sich dessen Glaubensmut zum Beispiel zu nehmen, ist eine Sache, die an keine zeitliche Einschränkung gebunden ist.

1971 fand am Wohnort von Familie Stücher eine Großevangelisation statt. Viele Gemeinden, auch wenn sie mit der Organisation nichts zu tun hatten und an den Vorbereitungen nicht beteiligt gewesen waren, wollten sich ein Bild von dieser Veranstaltung machen, denn schließlich ist Evangelisation ein Grundanliegen jedes Gläubigen und jeder Gemeinde. Die Gemeinde, zu der Stücher gehörte und die sich zuvor um seinen Vater geschart hatte, der zwei Jahre vorher heimgegangen war, beauftragte ihn, die Evangelisation zu besuchen und anschließend darüber zu berichten. Dieser Bericht fiel sehr kritisch aus, denn die Methoden, wie dabei zur Bekehrung aufgerufen wurde, standen für ihn in krassem Gegensatz zu dem, was die Heilige Schrift über die Umkehr zu Gott sagt. Viele der Geschwister gaben Stücher recht. Als er jedoch einen Bericht darüber in der Zeitung veröffentlichte, wandten sich die Gemeindemitglieder gegen ihn: Er habe wohl mit seinen Beobachtungen ins Schwarze getroffen, hätte aber diese Kritik keineswegs in die Öffentlichkeit bringen dürfen. Die leitenden Brüder hatten diese ablehnende Haltung in der Gemeinde regelrecht erzwungen. Sie führte dann folgerichtig zum Ausschluß Stüchers aus dieser Gemeinde.

Dieses zwangsweise Verlassen der bisherigen geistlichen Heimatgemeinde stellt ein Schlüsselereignis für sein weiteres Leben dar, für Entscheidungen, die ihn in seiner Person und in seinem Glauben immer wieder und wieder fordern: die Schulpflichtverweigerung für eine Reihe seiner Kinder und alles damit Zusammenhängende. Aber das geschieht nicht sogleich. Wer sich in eine Gemeinde eingebunden weiß, wer die Gemeinschaft mit Brüdern und Schwestern sowie die mit dem HErrn Jesus Christus als festen Bezugspunkt im Leben braucht, den kann ein Ausschluß nicht innerlich unberührt lassen.

Was hatte er getan? Aus dem Verständnis der Heiligen Schrift heraus waren ihm bei der Evangelisation Dinge aufgefallen, die einfach nicht in Ordnung waren, auch wenn sie mit großer Geste und vielleicht sogar Überzeugung vorgetragen wurden, weil sie einer Haltung entsprachen, die wohl modern, aber deswegen noch keineswegs bibelgemäß war. Hätte man Stücher wegen einer Irrlehre ausgeschlossen oder wegen einer sonstigen Verfehlung, so wäre das lehrmäßig gerechtfertigt gewesen, und er hätte Zeit und Muß gehabt, darüber nachzusinnen und Buße zu tun. Nichts davon galt aber hier, obwohl in der nachfolgenden Zeit die Angelegenheit doch von vielen so gedeutet wurde: Er sei ein Irrlehrer, der sich zur Zeit seines Ausschlusses nur noch nicht eindeutig zu erkennen gegeben habe. Durch die Weiterverbreitung dieser Meinung entstand der Eindruck, daß die Aufkündigung der Gemeinschaft vollkommen rechtens gewesen sei. So wurde dem Ausschluß ein Stempel aufgedrückt, der eine falsche Entscheidung im nachhinein als richtig erscheinen ließ.

So etwas muß verwunden, muß schmerzen! Menschlich gesehen wären Bitterkeit und Gefühle der Trauer verständlich. Stüchers Gebete, daß solches nicht aufkomme möge, wurden vom HErrn erhört. Die Liebe zu den Brüdern, die ihn ausgeschlossen haben, ist nicht erloschen. Auch nach Jahrzehnten ist das Sehnen nach Gemeinschaft mit den Geschwistern ungebrochen; und immer wieder ist er bemüht, den Riß zu schließen, den er nicht zu verantworten hat. So schreibt er z.B. im Herbst 1996 „Ein Wort an meine Brüder!“ Darin heißt es u.a.: „Obwohl ich durch die Jahre einen ziemlichen Abstand von den ‚Brüdern‘ von der ‚Versammlung‘ gewonnen habe, kann ich sie doch nicht vergessen... Ich leide mit Euch, wenn ich höre, welche Schwierigkeiten und Nöte in Eurer Mitte aufgebrochen sind... Nun habt ihr das Feuer im Haus und könnt es nicht mehr löschen. Ich bin nur froh, daß ich nicht mehr dazwischen hänge...“ 40 Jahre sind inzwischen seit Stüchers Ausschluß aus der Gemeinde vergangen.

Damals standen Stücher und seine Familie urplötzlich ohne Gemeindebindung da. Einsamkeit und Wehmut bestimmen nur eine kurze Zeit sein Inneres. Wenn der HErr das alles zugelassen hat, so erkennt er, muß Er etwas Neues mit ihm vorhaben. Gottes Wege sind nicht menschliche Wege, aber oftmals bedingt ein vordergründig gefaßter menschlicher Beschluß eine Richtungsänderung, die nicht vorauszusehen war. Stücher forscht, sofern es berufliche Tätigkeit und familiäre Aufgaben zulassen, gleichsam Tag und Nacht in der Bibel, wobei ihn die prophetischen Schriften wie nie zuvor fesseln. Aber es ist nicht das oft zu beobachtende spekulative Interesse an dem, was da vorausgesagt wird, nicht das Aufrechnen von bereits Erfülltem und noch Kommendem. Das Buch Daniel markiert den Anfang dieser Bibelstudien.

Bei der Beschäftigung mit diesem Propheten sind Fragen nach den Ursachen für den Niedergang unseres Christentums ständig gegenwärtig. Stücher überlegt: Wenn die Bibel zu diesen Problemen Aussagen bereithält, dann müssen sie in den prophetischen Schriften zu finden sein! Vers für Vers nimmt er sich Daniel vor. Der Einzeldeutung folgt die Zusammenschau, mitunter geht er auch den umgekehrten Weg.

Erstaunliches und zugleich Erschreckendes tut sich dabei auf: Der Abfall der Kirche der Nationen und - im zweiten Teil des Buches Daniel - das Heraufkommen finsterer Mächte als Folge dieses Abfalles sowie das Wesen des Antichristen als des Verführers der Heiligen deuten darauf hin, daß sich das alles unmittelbar in der Gegenwart abspielt. Der Antichrist beherrscht bereits die Welt und ist im Begriffe, Gottes Volk in Besitz zu nehmen. Der Antichrist - keine Person, sondern eine Macht, die zwar unsichtbar, aber an ihren Erscheinungsformen und Auswirkungen als verheerend zu erkennen ist?

Bisher hat Stücher den endzeitlichen Widerpart Christi getreu der Lehre der Väter als Person gesehen. Er hatte Schriften über Schriften gelesen, die einzig und allein dieser Deutung verpflichtet sind. Und nun soll der Antichrist sich als eine unbekannte finstere Macht darstellen, nicht als eine sichtbare Person? Diese Entdeckung läßt ihn nicht ruhen, zu neu ist sie. Sollte er sich irren? Ist die Lehre der anderen falsch? Gibt es weitere Beweise für diese neue Erkenntnis?

Da die Schrift sich selber auslegt, müssen Beweise auch in anderen biblischen Schriften zu finden sein, die etwas über die Zukunft der Welt und der Gemeinde aussagen. Was wird das Ende von dem allen sein, was sich dem einsamen Bibelleser hier auftut? Das Schreckliche steht ihm deutlich vor Augen, und es erschüttert ihn. Er muß Klarheit gewinnen und das so bald wie möglich.

Stücher drängt es zum letzten Buch der Bibel, der Offenbarung des Johannes, die aber die Offenbarung des HErrn Jesus Christus selber ist. Neben dem unwiderstehlichen Wunsch, in dieses geheimnisumwitterte Buch einzudringen, ist aber auch Furcht vorhanden, eine Furcht, die einmal das betrifft, was sich beim Durcharbeiten auftun wird, zum anderen bezieht sie sich auf das Eindringen in etwas, was ohne immer neues Befragen von Auslegungen älterer und neuerer Zeit einfach tabu ist. Gegen die bisherigen Deutungen anzulesen, ist somit ein Wagnis, gleichzeitig aber auch Notwendigkeit.

Schon beim Durchforschen des Buches Daniel hatte Stücher Sekundärliteratur herangezogen, die ihm jedoch keine Antwort gab auf die drängenden Fragen unserer Zeit. Sollte er nochmals den Versuch wagen, jetzt bezüglich der Auslegung der Offenbarung?

Er beschreitet einen vollkommen neuen Weg, den viele, vielleicht sogar sehr viele bis heute nicht nachvollziehen können oder wollen: Er betrachtet die Offenbarung geistlich! Erklärende Literatur verwirrt nur, weil sie spekulativ ist, Politisches und Menschliches einbezieht und ggf. vermischt. Stücher ahnt, wie sehr er sich innerlich von den Brüdern entfernt, ja entfernen muß - und das ist keineswegs leicht für ihn.

„Meine erste große Entdeckung ist“, so schreibt er dem Verfasser dieses Buches, „daß die sieben Sendschreiben ihr Vorbild in der charakteristischen Geschichte Israels, die in sieben Teile zerfällt, haben. Von den Vorbildern im AT her fällt auch Licht auf die Siegel, Posaunen, Plagen. Die Weissagungen der Propheten, insbesondere Daniels und Hesekiels, erleuchten mir eindeutig, was das Tier, das Bild und Babylon sind.“

Er liest die Offenbarung immer wieder, bis er sie beinahe auswendig kennt. Sie ist sein Lieblingsbuch in der Bibel; und Jahre hindurch gibt es für ihn nur eine einzige Lektüre: Die Heilige Schrift. Es wird in unseren Tagen nicht allzu viele Menschen geben, die das für sich in Anspruch nehmen können.

Nichts anderes zu lesen als die Bibel - das nötigt Respekt ab, weckt aber auch bei dem einen oder anderen möglicherweise den Wunsch, es ähnlich zu tun. Oder gibt es vielleicht auch solche, die eine derartige Bibeltreue für längst überholt und weltfremd halten?

Ständig kreisen Stüchers Gedanken um die Offenbarung. „Ich weiß jetzt“, um das obige Zitat wieder aufzunehmen, „was Babylon, die große Hure, ist: Es ist das verweltlichte Christentum, quer durch alle Kirchen und Gemeinden. Gottes Volk ist in Babylon durch falsche Lehren und vor allem die falsche Prophetie gefangen, aber ein treuer Überrest darin sehnt sich nach Erlösung, der Weg ist frei nach Jerusalem zurück.“ Das sind wunderbare und zugleich beklemmende Erkenntnisse für ihn. Er sieht die Wiederherstellung der Gemeinde als Gottes Israel in einem neuen Jerusalem, nachdem Babylon und das Tier gerichtet sind.

Wenn jemand Neues entdeckt, ist er meist ganz einsam. Er hat sich zu fragen, ob es tatsächlich etwas Neues ist, ganz oder wenigstens teilweise. Er hat zu prüfen, ob er nicht womöglich Irrtümern unterliegt oder etwas hineinlegt, was gar nicht darin ist. Stücher hält sich an das Evangelium, in dem das Gesetz und die Propheten erfüllt sind. Das ist die einzig verbindliche Richtschnur. Er bekennt später: „Ich kann zu keiner anderen Überzeugung kommen, man hat mich auch nicht mit der Schrift widerlegen können. Jahre später bekomme ich die Bestätigung von evangelischer Seite, daß ich diesbezüglich in Übereinstimmung bin mit den Kirchenvätern, den Reformatoren und allen Männern der Erweckungsbewegungen.“ Seine Sicht vom Reich Gottes und davon, was das wahre Volk Gottes ist, verbindet ihn heute mit vielen Freunden im Lande, die sich dem reformatorischen Erbe verpflichtet wissen. Auch mit Mennoniten in Nordamerika ist er durch die Heimschule und das gleiche Schriftverständnis eng verbunden. Und Menschen, die vor zwanzig Jahren böse auf Stüchers Ansichten und Traktate reagierten, geben ihm heute oft recht, weil der jetzige Zustand der Gemeinden ihnen endlich die Augen geöffnet hat.

Es gibt zwei Möglichkeiten, neu Erkanntes zu behandeln: Man behält es für sich, um es vielleicht noch zu prüfen und erst zu einem späteren Zeitpunkt anderen mitzuteilen; oder es drängt einen, andere unmittelbar zu unterrichten, sie aufzuklären, sie zu warnen, wenn es sich um buchstäblich lebenswichtige Dinge handelt. Scharlatane und Profitsüchtige mögen „Erkenntnisse“ auch aus sehr eigensüchtigen Gründen an die Öffentlichkeit bringen, aber wohl sehr rasch wird man ihnen auf die Schliche kommen, meist jedenfalls. Wer tatsächlich auf die Straße geht, um andere auf bestimmte Sachverhalte hinzuweisen, läuft grundsätzlich Gefahr, verlacht zu werden oder Angriffe mit Worten oder auch mit Fäusten zu erleiden. Steht man auf gesichertem Erkenntnisboden, wird man das hinnehmen können.

Sich mit seinen Erkenntnissen zu verkriechen, ist nicht der Weg Stüchers, schließlich sind es Erkenntnisse aus Gottes Wort, die weitergegeben werden müssen. Er kann nicht anders, er muß an die Öffentlichkeit, mag die darüber spöttisch lächeln oder es einfach ignorieren. Er verfaßt Traktate mit dem dringenden Aufruf, den wirklichen Antichristen zu erkennen und aus Babylon hinauszugehen. Diese Schriften verteilt er, unter Mithilfe von Familienmitgliedern, in der Stadt und im Umkreis, bei großen Veranstaltungen mit christlichem Gepräge und bei sonstigen Gelegenheiten. Dadurch wird er nicht nur in der ganzen Gegend bekannt, er trifft auch auf zum Teil völlige Unwissenheit über Gottes Regierung und über den biblischen Heilsweg. Unwissenheit läßt sich recht schnell beheben, Unverstand kaum.