Almunde - Eberhard Bohn - E-Book

Almunde E-Book

Eberhard Bohn

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Beschreibung

Almunde taucht eines Tages unvermittelt im Dorf auf und lässt sich in einem alten, seit langer Zeit unbewohnten Haus ohne Wasser, Strom, Kochgelegenheit und Heizung nieder. Das Dorf begegnet dieser verschrobenen Frau mit ihren kuriosen Marotten erwartungsgemäß eher feindselig. Doch der alte Johann gewinnt nach und nach Almundes Vertrauen, indem er ihr einfach zuhört und sie so akzeptiert, wie sie ist. Schnell wird Johann klar, dass Almunde psychisch krank ist. Nach und nach gewährt sie ihm einen Einblick in ein erstaunliches alternatives Universum, welches für Almunde aber genauso real ist wie für uns die wirkliche, mit unseren vermeintlich "gesunden Sinnen" erfassbare Welt. Leider verschlimmert sich Almundes Zustand zusehends, und so führt ihr Weg langsam aber unausweichlich in die geschlossene Psychiatrie.

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Almunde Edeltraud Gundermann

»Gar mancher zündelt mit der Stalllaterne, Und er denkt, er sei das Licht der Welt. Doch droben scheinen Sonne, Mond und Sterne, Die er sozusagen für entbehrlich hält.«

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Lykos Häuschen

Wolfgang

Almunde

Johann

Der große Tag

Herbst

Ebelinchen und Helmelinchen

Post von Almunde

Der Schneider

Tomasz und Rudi

Das Foto

Kindheit und Jugend

Eine stürmische Liebe

Das liebe Geld

Der Tank ist leer

Veränderungen

Ängste

Winter

Der Betreuer

Schluss mit Autofahren

Auf Schusters Rappen

Chrystelle

Gemeinsame Ausflüge

Die weiße Frau

Frau Dr. Xiao

Verschwunden

Post von Almunde

Ein Wiedersehen

Postskriptum

Der Autor

Vorwort

Haben wir es verlernt, aufmerksam auf den Menschen neben uns zu schauen, der nicht zu unserer Familie und dem Freundeskreis gehört? Haben wir seine Signale übersehen oder überhört, die uns auf eine Problemsituation hinweisen, in der er sich befindet und in der Hilfe nötig, aber auch möglich wäre? Sind wir zu überlastet dazu, um uns mit fremden Schicksalen zu befassen? Oder wollen wir das gar nicht, weil sich als logische Konsequenz daraus für uns eine Aufforderung zum persönlichen Engagement ergeben könnte?

Diese unbequemen Fragen müssen wir uns alle stellen und brauchen dazu immer mal wieder einen Anstoß! Das vorliegende Buch, das die Geschichte einer Frau erzählt, die durch psychische Erkrankung ins gesellschaftliche Abseits geriet, ist ein solcher Anstoß! Die Frau fällt durch ihr "Anders sein" auf, wie reagiert die Umwelt darauf? Das Buch schildert eindrucksvoll die Umsetzung der einfachsten und zugleich schwierigsten Grundformel der Menschlichkeit: Hilf deinem Mitmenschen nach Kräften, der unverschuldet in Not geraten ist! Lassen wir uns also berühren, aufrühren und den Blick in unserem Alltag wieder schärfen.

Dr. Gabriele Brien

Berlin im Oktober 2016

Lykos Häuschen

Er war ein eigenartiger, ein besonderer Mann, der alte Lyko. Er war nicht von hier und sprach einen anderen Dialekt als den im Dorf üblichen.

Seine rothaarige Frau sah ein wenig zerzaust aus, und war deswegen von den Kindern des Dorfes als Hexe gefürchtet. Sie war aber eine gutmütige Frau, die niemandem etwas zu Leide tat.

Die beiden lebten allein. Sie hatten weit und breit keine Verwandten und wohnten zurückgezogen in ihrem kleinen Haus, in einem abgeschieden Dorf, dort droben auf der rauen Alb. Sie hatten es irgendwann gekauft. Die herbe, schwermütige Gegend der Alb hatte es ihnen angetan, die gefiel ihnen.

Alle nannten es »Lykos Häuschen«.

Sie verstarben irgendwann, und das Häuschen kam in andere Hände. Doch ein kleiner Hauch – irgendetwas Unbestimmtes – vom alten Lyko blieb am Häuschen kleben.

Und so blieb es für die Dorfbewohner auch weiterhin »Lykos Häuschen«.

Es gingen viele Jahre ins Land, da kam von auswärts ein junges Ehepaar und kaufte – man weiß nicht von wem – das Häuschen, und zog ein.

Der Mann war Reisevertreter für eine bekannte Lebensmittelkette, er fuhr einen auffälligen Firmenwagen und war viel unterwegs. Er trat im Dorf wenig in Erscheinung.

Sie war eine attraktive Frau, groß, schlank, gewandt und sehr kontaktfreudig. Sie sprach ein exzellentes Hochdeutsch, war immer hilfsbereit, jedoch zeitweise sehr zerstreut – neben der Kapp', wie man hier sagt. Manchmal war sie tagelang nicht zu sehen − es war, als ob sie sich verkriechen würde.

Dieser Zustand wurde immer ausgeprägter. Ihre Bekleidung wurde auffälliger, meist trug sie alles in einem dunklen Blau oder Grün. Immer mit Hut!

Die Fensterläden blieben immer geschlossen. Sie sprach von einer Lichtallergie.

Kinder hatten sie keine, und da ihr Mann wohl irgendwann nicht mehr mit ihr zurechtkam, ließ er sie im gemeinsamen Häuschen zurück und verschwand.

Sie kam immer weiter herunter, war unordentlich, schmuddelig, und wurde von den Dorfbewohnern immer mehr gemieden.

Wolfgang

Da zog ein Mann ins Dorf, der ursprünglich aus einem Nachbarort stammte, jedoch die meiste Zeit seines Lebens in Hamburg verbracht hatte. Auch er passte nicht so recht zu den alt eingesessenen Dorfbewohnern.

Sein Vater war Exportkaufmann in Übersee gewesen und übernahm im fortgeschrittenen Alter – aus welchen Beweggründen auch immer – im Nachbarort eine kleine Landwirtschaft, an welcher er aber wohl keine rechte Freude fand.

Er war sehr ungepflegt, so wie sein Anwesen: Wie der Herr, so 's Gescherr! Er hatte immer eine Mütze schräg auf dem Kopf sitzen und stets eine gebogene Tabakspfeife im Mund. So war er, »der alte Ackermann«!

Johann Jacobs, ein alteingesessener Dorfbewohner, unterhielt sich oft und gerne mit ihm.

Ackermanns Sohn Wolfgang »hatte es zu etwas gebracht«: Er wurde Elektrotechniker. Er war etwa in Johanns Alter, sie hatten aber nicht miteinander die Schule besucht und kannten sich nur wenig – eigentlich nur vom Sehen. Johann konnte sich nicht erinnern, dass er sich je einmal mit Wolfgang unterhalten hätte. Nach seiner Ausbildung war Wolfgang Ackermann – wie man hörte nach Hamburg – verschwunden.

Doch jetzt war er wieder da. Im Familienbesitz der Ackermanns befand sich, mitten im Dorf gelegen, ein altes, mickriges Häuschen. Da hinein zog nun Wolfgang, nachdem er wieder aufgetaucht war. Man sah ihm an, dass er nicht arm, aber eben auch nicht gesund war. Er bewegte sich schwerfällig und war viel mit seinem Auto unterwegs.

Und siehe da! Es dauerte nicht lange, und das Auto von Wolfgang Ackermann stand vor Lykos Häuschen, bei Almunde. Die beiden hatten sich gefunden. Und die Leute im Dorf hatten etwas zum Tratschen.

Almunde

Im Dorf gab es einen »Seniorenkreis«, in welchen sich auch Johann Jacobs aktiv mit einbrachte. Wolfgang Ackermann hatte wenig Gesprächspartner und liebte doch so sehr die Geselligkeit. So fand er zu dem Kreis.

Er war eine Bereicherung, und die beiden, Johann und Wolfgang, hatten sich immer sehr viel zu sagen. Sie sprachen nicht nur über das Wetter.

Eines Tages rief Wolfgang Johann an und fragte, ob er nicht einmal mit seiner Freundin bei ihm vorbei kommen könne. Sie interessiere sich sehr für die Geschichte des Dorfes und würde sich gerne mit ihm darüber unterhalten. Er habe gehört, dass Johann ein exzellenter Kenner der Ortsgeschichte sei.

Dem stand von Johanns Seite aus nichts im Wege. Und so fuhren die beiden an einem wunderschönen Sommertag bei Johann, dessen weitläufiges Anwesen weit außerhalb des Dorfes lag, vor. Sie setzten sich ins Freie, und nachdem Wolfgang seine Freundin Almunde vorgestellt hatte, und erklärt hatte, warum sie gekommen waren, übernahm Almunde wie selbstverständlich die führende Rolle in ihrer Unterhaltung.

Man merkte sofort: Sie war offensichtlich einmal eine kluge und gebildete Frau gewesen. Eine Frau, die genau wusste was sie wollte und gute Umgangsformen beherrschte. Kurz: Eine echte Frauenpersönlichkeit.

Aber jetzt? Kaum hatte sie sich gesetzt, fing sie an, unentwegt zu reden. Sie war übernervös und zerstreut, ihre Erzählungen waren seltsam flatterhaft und ohne eigentlichen Zusammenhang. Die Geschichte des Dorfes, wegen der sie eigentlich gekommen war, hatte sie längst vergessen, sie wurde nicht mehr erwähnt.

Johann hatte von andern Dorfbewohnern schon einiges über Almunde gehört und nahm jetzt die Gelegenheit wahr, sie zu beobachten und kennen zu lernen.

Sichtlich erschöpft brach sie nach langer Zeit ihren Wortschwall ab. Johann bot ihr an, da sie doch Bürgerin, und damit Mitglied des Dorfes war, »du« zueinander zu sagen. Dieses Angebot nahm sie ganz überschwänglich und mit großer Freude an.

Dies war Johann Jacobs' erstes Zusammentreffen mit Almunde Edeltraud Gundermann.

Wolfgangs Gesundheitszustand wurde immer kritischer. Bald konnte er sein Haus nicht mehr verlassen. Er war alleinstehend, und war daher auf Almundes Hilfe mehr und mehr angewiesen. Und diese kümmerte sich selbstlos und hingebungsvoll um ihn. Sie übernahm seine Pflege.

Nach zwei Jahren starb Wolfgang Ackermann, und kurz darauf verschwand auch Almunde aus dem Dorf und wurde schnell vergessen.

* * *

Jahre später hielt ein Arzt im Seniorenkreis einen Vortrag über Diabetes. Eine fremde Frau war mit dabei, die sich sehr engagiert und kompetent am Gespräch über die Zuckerkrankheit beteiligte.

Johann Jacobs war mit dabei, nahm von der Frau aber keine besondere Notiz, denn er war der Meinung, dass sie zusammen mit dem Arzt gekommen sei.

Da meinte Johanns Sitznachbar: »Das ist doch die ehemalige Freundin von Wolfgang Ackermann!«

Johann sah sie genauer an: Sie war es tatsächlich! Er sprach sie an, und sie erkannte ihn sofort, war hocherfreut und erzählte ihm, dass sie wieder ins Dorf gezogen sei. Sie vergaß den Arzt und alle Anwesenden, und freute sich lautstark darüber, dass sie Johann wieder gefunden hatte. Sie versprach, ihm baldmöglichst einen Besuch abzustatten.

Ein bisschen war es ihm peinlich, aber mehr noch: Er merkte, dass er sich da etwas aufgeladen hatte, das sich nicht so leicht wieder abschütteln ließ.

Schon am nächsten Nachmittag kam sie mit ihrem Auto angefahren und dehnte ihren neuerlichen Antrittsbesuch lange und sehr wortreich aus.

Von nun an kam sie immer wieder zu Johann.

Johann

Von seinem ehemaligen Betriebsgelände hatte Johann Jacobs eine große Werkstatt an einen Feierabendautomechaniker vermietet. Dort trafen sich mancherlei Gesellen, welche nicht gerade von der feinsten Art waren.

Zu diesen fühlte sich Almunde hingezogen. Und außerdem gab es an ihrem klapprigen Auto immer einiges zu reparieren. Die Mannen trieben ihre Späße mit ihr, sie machte mit, auch wenn sie dabei manches einstecken musste. Sie ärgerte sich darüber, doch sie hatte dadurch die Gelegenheit, oft auf Johanns Hof zu sein und nebenbei noch schnell bei ihm einen Besuch abzustatten.

Sie beschwerte sich über das unflätige Geschwätz der Mechaniker und schimpfte darüber lautstark vor sich hin.

Nebenbei packte sie bei Arbeiten auf Johanns Gelände mit an, half ihm sehr geschickt, und schreckte vor keiner Aufgabe zurück. Ihm kam das sehr zu statten, war doch seine Arbeitskraft altersbedingt ziemlich eingeschränkt. Almunde schob ihn immer mehr zur Seite und forderte ihn auf, sich zu schonen und auszuruhen, sie mache das schon!

Zu ihrer Arbeit gehörten immer sehr laute Selbstgespräche, die mit unverständlichen Schimpftiraden, hauptsächlich aber mit Lacheinlagen gespickt waren. Sie bewegte sich offensichtlich in einer anderen Welt.

Ohne Aufsicht war ihr Tun und Lassen genauso kurios wie ihr ganzes Gerede. In ihrem Kopf stimmte etwas nicht.

Bei ihren gemeinsamen Arbeiten legten die beiden immer eine kleine Pause ein, setzten sich irgendwie, meist recht unbequem, auf Kisten oder einen Holzstapel, und Almunde begann, mehr oder weniger in Gedanken verloren, zu erzählen:

Ihre neue Bleibe im Dorf war eine Einliegerwohnung im feuchten Erdgeschoss. Das Haus gehörte einer Frau von auswärts, welche sich überhaupt nicht um ihren Besitz kümmerte. Almunde hatte weder Strom noch Wasser, nicht einmal einen Ofen oder Herd. Aber sie war damit zufrieden.

Wasser holte sie vom Dorfbrunnen, gleich über die Straße. Elektrizität lehnte sie grundsätzlich ab, und zur Beleuchtung, zum Kochen und Heizen genügten simple Wachskerzen, die sie in großen Mengen verbrauchte.

Sie erzählte von einem Bildschirm aus Styropor, den sie vorne mit einer Alufolie überzogen hatte. Dazu hatte sie links und rechts je zwei Kerzen aufgestellt. Auf diesem »Gerät« konnte sie sowohl in die Vergangenheit als auch in die Zukunft schauen.

Was sollte der gute Johann dazu sagen?

Auf die erwähnten kurzen Zwischenpausen legte sie großen Wert und genoss sie. Sie wurden mit der Zeit zu einem richtigen Ritual, und sie nahm dabei Johann mit in eine ganz andere Welt.

Der große Tag

Die Kirchengemeinde des Dorfes brauchte für verschiedene Vorhaben, vor allem für Reparaturen am Dach des nun über fünfzigjährigen Kirchengebäudes, dringend Geld. Man kam auf die Idee, eine Schrottsammlung durchzuführen.

Johann stellte zum Einsammeln sein Gelände sowie seinen Gabelstapler und die verschiedensten Werkzeuge zur Verfügung. Mehrere große Container wurden im Hof aufgestellt.

Am festgesetzten Tag trafen schon in aller Frühe in großer Zahl Kleintransporter, Traktoren und Personenwagen mit Anhängern, schwer mit Altmaterial beladen, in langer Reihe ein.

Selbstverständlich war Almunde als eine der ersten mit dabei, und nahm mit großer Umsicht gleich die ganze Koordination in die Hand.