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Im Mittelpunkt dieses dreibändigen Buchs stehen drei in Archiven von Trier und Köln aufbewahrte handschriftliche Exemplare der Schriften der hl. Angela von Foligno, deren lateinische Texte im zweiten Band mit einer deutschen Übersetzung ediert wurden. Weil ihre Schriften, die gewöhnlich zusammenfassend als "Liber" bezeichnet werden, einen autobiographischen Teil (Memorial) und einen belehrenden Teil (Instruktionen) haben, erscheint der zweite Band dementsprechend in zwei Teilbänden. Doch um welche Handschriften handelt es sich? Bringen die Texte nur Altbekanntes oder auch Neues? Die Sensation ist perfekt! Es handelt sich um die frühesten Texte des "Liber" überhaupt. Die im Buch spannend beschriebene Spurensuche führt zu Ubertin von Casale und zum ehemaligen belgischen Kartäuserkloster Edingen. Die Indizien weisen darauf hin, dass Ubertins Nachlass dort verblieben ist. Salimbenes Worte, Ubertin sei in einem Kartäuserkloster verstorben, bestätigen sich so auf unerwartete Weise.
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Seitenzahl: 774
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Vorwort und Einleitung
Angela von Foligno – Memorial (Edition und Übersetzung)
Memoriale Memorial
Prologus Vorwort
Caput I Erstes Kapitel
Caput II (prima pars) Zweites Kapitel (erster Teil)
Caput III (prima pars) Drittes Kapitel (erster Teil)
Caput II (secunda pars) Zweites Kapitel (zweiter Teil)
Caput III (secunda pars) Drittes Kapitel (zweiter Teil)
Caput IV Viertes Kapitel
Caput V Fünftes Kapitel
Caput VI (prima pars) Sechstes Kapitel (erster Teil)
Caput VII (prima pars) Siebtes Kapitel (erster Teil)
Caput VI (secunda pars) Sechstes Kapitel (zweiter Teil)
Caput VII (secunda pars) Siebtes Kapitel (zweiter Teil)
Caput VIII Achtes Kapitel
Caput IX Neuntes Kapitel
Conclusio Memorialis Schlusswort
Endnoten
Die hier im Band II des Buchs „Altes und Neues zur hl. Angela von Foligno“ veröffentlichten Schriften der erwähnten Heiligen, sind eine Wiedergabe von drei Handschriften, von denen eine in Köln und zwei in Trier aufbewahrt werden. Diese Handschriften sind in jüngster Zeit ausführlich von Paolo Mariani fachgerecht beschrieben worden (s. Endnote 1). Somit genügt hier eine kurze Präsentation der erwähnten Handschriften.
Um die Mitte des 15. Jahrhunderts entschloss man sich im Kartäuserkloster Sankt Alban in Trier, die Schriften der hl. Angela, die sich schon seit 1335 in der dortigen Bibliothek befunden haben müssen, zu kopieren. Damit beauftragt wurde der Kartäusermönch Eberhard von Ziegen, der die Arbeit im Jahr 1460 abschloss. Die Kopie trägt die Signatur Bx2. Ausführliche Angaben zur Entstehung von Bx2 sind in Band I unter 7.4ff. und 7.5ff. nachzulesen. Die Originalhandschriften (MF=Memoriale Foligno und IF=Instructiones Foligno), aus denen der Text mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, ihn bearbeitend, „kopiert“ wurde, sind nicht mehr vorhanden.
Was E. von Ziegen aus seiner Vorlage abschrieb oder nur auszugsweise und stark überarbeitet niedergeschrieben hat, wurde im Jahr 1481 für das Trierer Benediktinerkloster Sancta Maria ad martyres unter dem Abt Johannes vom Ordensbruder Nikolaus kopiert. Diese Handschrift ist in der Edition mit Bx1 gekennzeichnet. Beide Handschriften, Bx1 und Bx2, befinden sich heute im Stadtarchiv Trier.
Um das Jahr 1585 oder noch etwas später wurde für das Kartäuserkloster in Köln eine Kopie von Bx2 angefertigt. Veranlasst wurde diese höchstwahrscheinlich durch den Trierer Kartäuser Johannes Reckschenkel, der vom 18.1.1580-1611 Prior im Kölner Kartäuserkloster war. Dieser Text hat hat die Signatur Bx(Köln). Diese etwas außergewöhnliche Kennzeichnung wurde notwendig, weil die Handschrift schon in der „edizione critica“ (EC) von 1985 unter der Signatur Bx verwendet wurde, hier in der Edition aber auch alle 3 Handschriften zusammen als Bx-Handschriften bezeichnet werden, sodass zur Unterscheidung die Kölner Handschrift im vorliegenden Buch deshalb stets als Bx(Köln) bezeichnet wird. Die Handschrift befindet sich heute im historischen Archiv der Stadt Köln (s. Band I, Fn.29, S. 161).
Diese drei Handschriften Bx2, Bx1, Bx(Köln), die hier im Buch zusammen als „Trierer Handschriftengruppe“ sowie als „Bx-Gruppe“ oder einfach als Bx bezeichnet werden, sind die ältesten bekannten Texte des „Liber“ Angelas auf deutschem Boden (vgl. Band II/2, Anhang III, S. 543).
Auffallend ist, dass es keine Mitwirkung von Franziskanern bei der Entstehung der „Trierer Handschriftengruppe“ gegeben hat. Es sind vielmehr Klöster von Kartäusern und Benediktinern, in denen Angelas „Liber“ seinen Platz fand, so wie es auch bei den Texten der „Brüsseler Handschriftengruppe“ (B1-5) der Fall war, deren Edition auf eine Initiative der Augustiner-Chorherren zurückgeht. Die Gründe für die „Neufassung“ des „Liber“ in Trier sind also nicht im franziskanischen, sondern im monastischen Bereich zu suchen.
Der Text der Handschriften Bx2, Bx1, Bx(Köln) unterscheidet sich sehr von dem der anderen Handschriftengruppen des „Liber“. Was die textliche Seite angeht, so kann kaum ein Zweifel bestehen, dass Eberhard von Ziegen, der erste Kopist (Bx2), als Textvorlage für das Memorial die Handschrift MF, das Urexemplar der „zweiten Redaktion“ des „Memorials“, und für die Instruktionen den Text der Handschrift IF, das Heft mit der ältesten Sammlung der Instruktionen, die auch in den Handschriften B kopiert wurde, verwendet hat.
Was die sprachliche Seite der „Trierer Handschriftengruppe“ angeht, so wurden die Texte des Memorials durchgehend als ein zusammenhängender Text im Stil eines Berichts oder einer Erzählung wiedergegeben, sodass alle Texte, bis auf die unvermeidlichen Dialoge, in der dritten Person Singular über Angela berichten, was in der Vorlage (MF), aus der E. von Ziegen kopierte, so nicht der Fall war. Bei den Endnoten zur Edition wird dieser Sachverhalt immer wieder zur Sprache kommen. Ein weiteres Merkmal der „Bx-Gruppe“ ist, dass die Texte des Memorials sehr reduziert wiedergegeben sind und öfter dem Zeitgeschmack entsprechend formuliert wurden. Bei den Instruktionen folgen diese Handschriften jedoch grundsätzlich und weitgehend dem Originaltext (IF).
Es war die Frage, ob die drei Handschriften der „Bx-Gruppe“ in den Archiven verbleiben oder veröffentlicht werden sollten. Die Antwort darauf ist das vorliegende Buch! Wenn die Italiener ihre „großen Handschriften“ haben und die Franzosen und Spanier ihre „Avignoneser Handschriften“ sowie die Belgier ihre „Brüsseler Handschriften“, dann hat die franziskanische Familie des deutschen Sprachraums mit der „Trierer Handschriftengruppe“ Texte in der Hand, die sie als ein ihr von anderen Orden überliefertes franziskanisches Erbe betrachten kann, das alles andere als zweitrangig ist. Für eine kritische Edition des „Liber“ sind sie sogar die erste, wenn auch zum Teil lückenhafte Adresse.
Unverzichtbar sind noch einige Hinweise zur sogenannten „ratio editionis“ des lateinischen Textes in der vorliegenden Edition, also Hinweise zur Art und Weise, wie der Text wiedergegeben wurde. Was diesbezüglich den Text des Memorials angeht, so sind alle Erklärungen in der Endnote 1 (En.1) nachzulesen, und was den Text der Instruktionen angeht, so stehen sie in Band II/2 in der Endnote 360 (En.360). Über alles andere geben weitere Endnoten Auskunft. Erwähnt sei hier nur, dass beim Text der Instruktionen sowohl die entsprechenden Texte der „Handschriften Bx“ als auch der „Handschriften B“ vollständig, und zwar auf eine Weise berücksichtigt wurden, dass sie jetzt dort als eine Art „kritische Edition“ vorliegen, das heisst der Band II/2 somit den Text der in 8 Kopien vorliegenden Handschrift IF zusammen vorstellt.
Auf eine Besonderheit des lateinischen Textes ist noch ausdrücklich hinzuweisen. Weil in den Handschriften der „Bx-Gruppe“ anstelle der heutigen lateinischen Schreibweise „ae“ grundsätzlich „e“ steht, ist dies für die vorliegende Edition übernommen worden, sodass z. B. „hec“ für „haec“ steht oder „iste“ für „istae“. Weil die erwähnte Schreibweise auch in (fast) allen anderen Handschriften Angelas üblich ist, wurde grundsätzlich bei allen Zitationen aus dem „Liber“ „e“ anstelle von „ae“ geschrieben, was auch für die Zitationen aus EC und MM (Memorial und Instruktionen) gilt, die dementsprechend geändert wurden. Das Gesagte gilt auch für „oe“, für das grundsätzlich auch „e“ geschrieben wurden, z. B. „cepit“ für „coepit“ oder „pena“ für „poena“. Weil die Handschriften der „Bx-Gruppe“ bei manchen Wörtern „c“ anstelle von „t“ schreiben, wurden diese Wörter auch so in den Text der Edition übernommen. Es sind hauptsächlich folgende Wörter: leticia, tristicia, malicia, negocia, vicia, mundicia, duricia. Um ein einheitliches Schriftbild für alle Zitationen aus dem „Liber“ zu haben, wurden auch diese Wörter aus EC und MM dementsprechend geändert.
Zur deutschen Übersetzung ist zu sagen, dass der Text bewusst von irgendwelchen Erklärungen freigehalten wurde, damit sich bei der Lektüre die Wirkung der Worte Angelas ungestört entfalten kann. Erwähnt sei, dass „delectatio“ stets mit „Wonne“ und „delectare“ immer mit „Wonne haben, empfinden“ übersetzt wurde, um es von „leticia (Freude)“ zu unterscheiden, und „poena (pena)“ wurde stets mit „Pein“ wiedergegeben, auch dort wo es mehr die Bedeutung „Strafe“ hat, und „videre“ wurde immer mit „sehen“ übersetzt, auch wenn es mehr in der Bedeutung „erkennen“ verwendet wurde. Die Signatur G im deutschen Text weist auf die Übersetzung von Louise Gnädinger hin (s. dazu En.1, Punkt 3).
Ansonsten gilt, dass Band I und Band II sich ergänzen .So ist in Band I viel zu den Anliegen und Hintergründen gesagt worden, die letztlich in Band II zur Edition der „Trierer Handschriftengruppe“, so wie sie jetzt vorliegt, führten. Dessen ungeachtet ist Band I jedoch als eine umfassende Einführung zum „Liber“ insgesamt zu verstehen.
[Bx2/61r] [Bx1/1] [Bx(Köln)43va] 1 Vita 2 et doctrine angele recluse de fulgineo, cuius cor tamquam recens in duo divisum cum armis Christi ostenditur in urbe spolitana. 3
Das Leben und die Lehren Angelas, Rekluse von Foligno, deren Herz wie frisch in zwei Teile geteilt mit den Wappen Christi in der Stadt Spoleto gezeigt wird.
[EC128] Vere 4fidelium experientia5 (Bx(Köln): experientia fidelium) probat, perspicit et contrectat de verbo vite incarnato quemadmodum ipse dicit: Si quis diligit me, sermonem meum servabit, et pater meus diliget eum et ad eum veniemus et mansionem apud eum (Bx2: ipsum) faciemus. Et qui diligit me, manifestabo ei meipsum.
Quam experientiam et ipsius experientie doctrinam ipse deus fideles suos facit probare plenissime. Et hoc etiam nuper cuidam religiose dignatus est experimentaliter revelare.
Cuius revelationes ego frater religiosus ordinis sancti francisci 6 cuius similiter ipsa exstitit scripsi ex ore ipsius fidelis deo misericorde, ut posteris viam salutis prebeant ad hoc ipsam cogente e monente (Bx1: ipsa cogente).
Die Erfahrung der wahrhaft Gläubigen ersprobt, erschaut und erfasst auf die Weise das Wort des Lebens, das Fleisch geworden ist, wie dieses selbst im Evangelium sagt: „Wenn jemand mich liebt, wird er mein Wort bewahren, und mein Vater liebt ihn und wir werden zu ihm kommen und Wohnung bei ihm nehmen.“ Und: „Wer mich liebt, dem werde ich mich selbst offenbaren.“
Diese Erfahrung und die Lehre dieser Erfahrung lässt Gott seinen Gläubigen immer wieder in vollster Weise erproben. Und auch hier ließ er sich neuerdings herab, die erwähnte Erfahrung und Lehre zur Erbauung der Seinigen einer gewissen Odensfrau auf erfahrbare Weise zu offenbaren.
Die Offenbarungen derselben habe ich, ein Ordensmann des Ordens des hl. Franziskus, dem auch sie selbst auf ähnliche Weise angehört, aus dem Mund dieser Gläubigen hörend durch Gottes Erbarmen geschrieben, damit sie den Nachfahren den Weg des Heils darbieten, dieselbe dazu zwingend und mahnend.
Hec fidelis Christi colloquendo de deo cum socia sua assignavit aliquos passus sive mutationes quos facit anima que proficiscitur per viam penitentie quos inveniebat in se, quos duxi in hoc opere primitus scribendos. 7
[EC132] Primus passus 8 est cognitio peccati, qua anima valde timet damnationem inferni (Bx1: damnari). Et in isto plangit amare.
Secundus 9 passus est confessio, ubi adhuc habet anima (Bx1: anima habet) verecundiam et amaritudinem, et ibi non sentit amorem, sed dolorem. Unde retulit [Bx1/1b] de seipsa, quod sepe comunicaverat cum peccatis, que pre verecundia non audebat (Bx1: pre verecundia ea non audens) plene confiteri, quamvis [Bx(Köln)/43vb] continue reprehendetur (Bx1: reprehenderetur) a propria conscientia. Super quo rogavit 10 beatum franciscum, qui nocte sibi apparens consolatus est eam monens (Bx1: monens ad) fideliter confitendum, quod die sequenti humiliter adimplevit. 11
[EC134] Tertius 12 passus 13 est penitentia, quam facit quis satisfaciendo de peccatis. Et adhuc est in dolore.
Quartus passus 14 est recognitio divine misericordie que eam misericorditer retraxit de ceno peccati et via inferni. [Bx2/61v] Et hic incipit anima illuminari. Et tunc plus plangit et dolet quam prius, et desiderat facere penitentiam 15 acutiorem. 16
Quintus passus est cognitio sui, quia iam anima aliquantulum illuminata nihil videt in se nisi defectus. Et tunc condemnat se ipsam coram deo dignam ignibus gehenne cruciandam. Et hic recipit adhuc amarum planctum.
Et est in quolibet istorum multa mora. Unde magna pietas et doli cordium est de anima, que 17 nisi tam graviter potest se movere et cum dolore et gravi pondere ad deum graditur, et parvum passum facit. 18
[EC136] Sextus passus 19 est quedam illuminatio gratie, qua profunde datur anime cognitio omnium peccatorum suorum. Et dicebat hec fidelis Christi quod in hoc sexto per hanc illuminationem gratie dabatur sibi profunde cognitio omnium peccatorum suorum (Bx1: certa et profunda noticia et cognitio omnium malefactorum et peccatorum suorum). Et videbat (Bx1: Et videbat ipsa fidelis Christi) se offendisse omnes creaturas, quas (Bx1: quas ipsa) tunc [Bx1/2r] rogabat 20, ut (Bx1: quatenus) non accusarent se (Bx1: ipsam) apud creatorem. Et tunc dabatur sibi cum magno igne amoris orare [Bx(Köln)/44ra] beatam virginem mariam cum omnibus sanctis, ut intercederent pro se illum amorem a quo tanta bona receperat, ut, quia cognoscebat 21 se mortuam, faceret vivam.
Septimo 22 dabatur sibi respicere in crucem, ubi videbat Christum mortuum pro nobis. Sed erat adhuc visio insipida, quamvis haberet ibi magnum dolorem.
Octavo 23, in aspectu crucis data est sibi maior cognitio, quomodo (Bx1: quo) filius dei secundum humanitatem fuerat 24 mortuus pro peccatis nostris. Et tunc recognovit omnia peccata sua cum maximo dolore, quibus Christum iterum crucifixerat. Et in hac cognitione crucis, ex nimio igne amoris sibi dato iuxta crucem expoliavit se omnia vestimenta sua, et totam se ei obtulit eique promisit, licet [Bx2/62r] cum timore, se perpetuo castitatem servaturam, illo igne amoris ad hoc se cogente. 25
Nono 26 dabatur sibi querere, que esset via crucis, ut posset stare ad pedem (Bx1: ad pedes) eius, quo refugiunt omnes peccatores. Que via sibi fuit [EC138] hoc modo ostensa et inspirata, videlicet 27 si cuperet ire ad crucem, parceret omnibus qui se offendissent, expoliaret se omnibus possessionibus suis, omnibus terrenis (Bx1: terrenis), parentibus et omnibus hominibus et seipsam et cor suum daret Christo qui pro ea seipsum dedit, et per viam spinosam, scilicet tribulationis 28 ambularet.
Et ex tunc cepit dimittere vestimenta meliora, et induere humiliora, et de cibariis similiter, sed [Bx(Köln)/44rb] adhuc erat ei verecundum nimis et penosum. Et (Bx1/2v) erat adhuc cum viro suo et erat sibi amarum cum diceretur29 (Bx1: dicerentur) ei aliqua vel fieret iniuria (Bx(Köln): vel fieret aliqua iniuria), sustinebat tamen patienter propter Christum, prout poterat ipso auxiliante. Et factum est deo volente, quod illo tempore mater 30 sua, vir suus et omnes filii sui defuncti essent, quod fuit ei magna consolatio, quia rogaverat Deum, ut sibi ab hac luce subtraherentur (Bx(Köln): subtraheretur), ne in via predicta, scilicet crucis, quam iam ceperat (Bx1: inceperat), impedimentum ei prestarent. Et cogitabat, quod deinceps cor suum esset in corde dei, et cor dei in corde suo. 31
[EC 138] Decimo 32, cum quereret a deo, quid faciendo 33 plus ei placeret, pro sua pietate sibi dormienti pluries et vigilanti dignatus est apparere crucifixus dicens, quod 34 respiceret in plagas suas. 35 [EC140] Et ostendebat singillatim, que pro ea sustinuit a pedibus usque ad caput, et pilos barbe et superciliorum et capitis sibi evulsos, et numerabat (Bx1: numeravit) omnes flagellationes, dicendo: Hec omnia per te sustinui. Quid ergo potes facere, quod sufficiat? 36 [Bx2/62v] Et tunc in memoriam sibi reducebantur 37 omnia peccata sua, quibus ostendebatur ei, quod Christum recenter plagaverat, unde dolor vehemens inerat ei 38, et lacrimabatur tam ardenter, quod lachryme sibi carnem decoquebant, ita quod se oportebat apponere aquam frigidam ad refrigerandum.
Undecimo 39 propter predicta movit se deo auxiliante ad faciendum (Bx1: ad faciendam) penitentiam asperiorem. Ego frater, qui hec scripsi, pretereo hunc passum, quia [Bx1/3r] nimis prolixum [Bx(Köln)/44va] esset scribere de eius mirabili abstinentia, que fuit supra humanum morem difficilis. 40
Duodecimo 41, cum videretur sibi, quod non posset cum rebus mundi facere penitentiam sufficientem et ad crucem domini pervenire, prout a deo sibi [EC142] inspiratum fuerat, omnia penitus relinquere cupiebat, timens ne forte moreretur prius quam fieret pauper. Sed e regione varie tentationes obsistebant ei, proponentes sibi iuvenilem etatem, periculum mendicitatis et verecundie, famis, frigoris et nuditatis. In hoc conflictu sic (Bx1: sibi) existenti quadam vice a deo miserante fuit illuminata in corde taliter et confirmata, quod ex tunc deliberavit penitus omnia relinquere, etiam si certa fuisset quod pericula predicta et multa graviora sibi acciderent, ex quo deo placebat et placere poterat, ut Christum pauperem ipsa pauper sequi valeret.
(13. passus) Deinde 42 introivit per dolorem matris Christi et joannis evangeliste rogans eos humiliter, ut sibi a domino obtinerent aliquod signum certum, quo iugiter haberet in memoria passionem Christi (Bx(Köln): Christi passionem). Et fuit sibi dormienti ostensum cor Christi, et dictum fuit: In isto corde non est mendacium, sed omnia sunt ibi vera. 43
(14. passus)Postea, dum maneret in oratione, Christus ostendit seipsum sibi vigilanti in cruce, et dedit sibi maiorem sui cognitionem quam prius. Et dixit ei, quod apponeret [Bx2/63r] os sum et biberet sanguinem eius [Bx1/3v] recenter fluentem de suo latere. Et videbatur [Bx(Köln)/44vb] ei, quod ore proprio plage sacratissimi lateris apposito, biberet [EC144] sanguinem eius preciosum. Et dabatur 44 ei intelligere, quod in illo mundaretur a Christo. Et hic cepit et habuit magnam leticiam, quamvis ex passionis consideratione tristiciam sustineret. Et desiderabat 45spergere (Bx(Köln): spargere) quantuncumque vilissima et asperrima sanguinem suum pro amore Christi, sicut pro ea ipse fecerat. 46
(15. passus)Deinde figebat se in beatam virginem matrem Christi et beatum joannem evangelistam, cogitando dolorem quem habuerant ex Christi passione, et 47 rogabat, quatenus sibi obtinerent gratiam, qua semper sentiret de dolore passionis Christi vel saltem de dolore eorum. De quo 48 semel sanctus joannes tantum dedit ei (Bx(Köln): dedit ei tantum), quod fuit de maximis doloribus, quos unquam senserit de passione et morte Christi et dolore matris eius, ex quo estimavit illum fuisse plus quam martyrem.
Et tunc datum est sibi plenum desiderium expropriandi se omnibus possessionibus et terrenis cum tanta voluntate, quod, licet impugnaretur a multis contradicentibus, [EC146] nequaquam ab hoc proposito avelli potuisset. Non enim sibi videbatur posse aliquid reservare sine magna offensione et sequi Christum. Et adhuc anima sua erat in amaritudine pro suis peccatis, et clamabat amaro planctu nesciens an essent deo placita que faciebat, et dicebat: Domine, etiam si damnanda fuerim, nihilominus faciam penitentiam et expropriabo me [Bx1/4r] et serviam tibi (Bx1: et serviam tibi).
(16. passus), [Bx(Köln)/45ra] Post hec, cum semel postularet a deo aliquam gratiam sibi fieri, posuit in corde suo orationem dominicam, scilicet pater noster, cum tam claro intellectu bonitatis divine et sue indignitatis 49, quod singula verba sibi in corde [Bx2/63v] exponebantur, ita ut, cum multa mora dicendo illud, acciperet sui ipsius cognitionem, unde ex una parte flebat amare propter peccata 50 et indignitatem suam et ex alia magnam consolationem habebat ex gustu divine dulcedinis et bonitatis, quam ibi 51 plus quam alibi inveniebat. Et ex huiusmodi cognitione peccatorum et indignitatis proprie [EC148] cepit effici tam verecunda 52, quod vix audebat levare oculos.
In quolibet passuum supradictorum mansit 53 multo tempore, antequam se movere posset ad alium passum, in aliquo plus, in alio minus. Unde dicebat: O cum quanta gravedine proficiscitur anima. 54
(17. passus)Post hoc monstratum est ei, quod beata virgo maria acquisivit sibi gratiam, et dedit ei fidem maiorem solito, adeo ut ei videretur quod fides, quam prius habuerat, fuisset mortua in comparatione, et quicquid faciebat, videbatur ei parum esse. 55 Et ex tunc reclusit se in passione domini (Bx1: domini nostri) Jesu Christi, et data est ei spes ibi posse liberari. Et cepit sibi dari dulcedo divina in anima vigilanti et dormienti. 56
Quadam vice cum se reclusisset (Bx1: se recluisset se) in quodam carcere propter quadragesimam maiorem [EC150] et meditaretur in uno verbo evangelii maxime dignationis et excessive [Bx(Köln)/45rb] dilectionis, [Bx1/4v] cuperetque illud videre in missali quod erat iuxta se 57, nec auderet presumere illud aperire suis manibus, quodam sompno sopita in illo desiderio obdormivit. Et statim ducta fuit in visione dictumque est ei, quod si quis bene sentiret intellectum epistole pre nimia delectatione oblivisceretur omnium mundanorum. Et fecit eam experiri. Et tunc intelligebat cum tanta delectatione bona divina, quod statim oblita fuit omnium mundanorum. 58 Deinde de [Bx2/64r] evangelio similiter, in quo intelligebat bona divina cum tam suavi intellectu et delectatione, quod non solum omnium mundanorum, verum etiam sui ipsius erat oblita. 59 Unde postulabat ab eo, qui se ducebat, quod eam ab illo statu nequaquam de cetero (Bx1: de cetero nequaquam) abstraheret. Et respondit, illud nondum posse fieri. Et statim reduxit eam et 60 aperuit oculos. Et ex tunc tanta certitudo sibi remansit 61 et lumen et ardor divini amoris, quod affirmabat certissime, quod quasi nihil predicatur de delectatione divina prout est. Et ita dixit ei ille, qui predictam visionem sibi ostendit.
(18. passus) [EC152] Postea habuit dulcia sentimenta de deo et tantum delectabatur in oratione, quod obliviscebatur comedere. Et bene voluisset, nisi 62 impossibilitas nature obstitisset (Bx1: obstetisset), nunquam avelli ab oratione propter comestionem. 63 Et pervenit ad tantum ignem amoris, quod cum audiret loqui de deo, stridebat, nec a tali stridore valebat abstinere. 64 [Bx(Köln)/45va] Unde 65 multum erubescebat, quia ex hoc homines vocabant eam demoniacam. 66 Et quando videbat passionem 67 depictam, vix se sustinere [Bx1/5r] poterat, et inde aliquando egrotabat. Unde sua socia studiose abscondebat ei picturas passionis Christi.
(19. passus) Intra illud tempus stridendi fuit tracta 68 ad considerandum divinitatem et humanitatem Christi, in cuius contemplatione fuit ei maior consolatio quam unquam 69 habuisset. [EC154] Unde postea iacuit et perdidit loquelam, ita ut socia sua eam sic reperiens putaret statim morituram. Cuius, scilicet sue socie (Bx(Köln): socie sue) presentia erat illi tunc temporis onerosa 70 multum, eo quod 71in illa consolatione (Bx(Köln): in consolatione illa) maxima faceret sibi impedimentum.
Quadam 72 vice 73 antequam penitus erogasset omnia bona sua 74 temporalia, quamvis parum remansisset ei, dum esset in oratione lamentabatur rogans 75 deum et dicens: Domine, istud quod (Bx1: quod) [Bx2/64v] facio non facio nisi ut inveniam te. An inveniam te, postquam perfecero? 76 Et responsum est ei: Quid vis? 77 Que 78 ait: Nolo argentum neque aurum (Bx(Köln): aurum neque argentum) 79, et 80 si dares mihi totum mundum, nihil horum cupio. Nolo enim nisi te. Et respondit ita: Stude te expedire, quia statim quod perfectum fuerit hoc quam cepisti (scilicet quod expropriaret se omnibus terrenis) tota trinitas veniet in te. Et tunc remansit cum multa suavitate divina. 81 [EC156] Hesitabat tamen de huiusmodi promissione, eo quod nimis magna esset pro se tali. 82
Diese Christgläubige, als sie sich mit ihrer Gefährtin über Gott unterhielt, wies auf einige Schritte oder Veränderungen hin, die von einer Seele, die auf dem Weg der Buße fortschreitet, gemacht werden, und auf die sie bei sich selbst gestoßen war. Und ich habe mir vorgenommen, genau diese zuerst in diesem Werk zu beschreiben.
(G33) Der erste Schritt ist die Erkenntnis der Sünde, weshalb die Seele sich sehr vor der Verdammnis der Hölle fürchtet. Und dabei weint sie bitterlich.
Der zweite Schritt ist die Beichte, wo die Seele noch Beschämung und Bitternis hat, und sie fühlt da keine Liebe, sondern Schmerz. Dazu berichtete sie über sich selbst, dass sie oft mit Sünden kommuniziert hatte, die sie aus Scham nicht vollständig zu beichten wagte, obwohl sie ständig vom eigenen Gewissen getadelt wurde. Deswegen bat sie den seligen Franziskus, der ihr in der Nacht erschien, sie tröstete und mahnte, getreulich zu beichten, was sie am folgenden Tag demütig erfüllte.
(G34) Der dritte Schritt ist die Buße, die jemand tut, um Gott für die Sünden Genugtuung zu leisten. Und noch ist sie im Schmerz.
Der vierte Schritt ist die Anerkennung der göttlichen Barmherzigkeit, die sie barmherzig vom Kot der Sünde und vom Weg der Hölle weggeholt hat. Und hier beginnt die Seele, erleuchtet zu werden. Und nun weint und wehleidet sie mehr als früher, und wünscht, schärfere Buße zu tun.
(G35) Der fünfte Schritt ist die Selbsterkenntnis, denn schon halbwegs erleuchtet sieht die Seele in sich nichts als Mängel. Und dann verurteilt sie sich selbst vor Gott als würdig, in den Feuern der Hölle gequält zu werden. Und hier überkommt sie noch bitteres Weinen.
Und bei jedem dieser Schritte ist viel Verzug. Deshalb muss man großes Erbarmen und Herzeleid mit der Seele haben, die sich nur so schwerfällig bewegen kann und mit Schmerz und Beschwernis zu Gott schreitet, und einen kleinen Schritt tut.
Der sechste Schritt ist eine gewisse Gnadenerleuchtung, durch die der Seele zutiefst die Kenntnis aller ihrer Sünden gegeben wird. Und die Christgläubige sagte, dass ihr bei diesem sechsten Schritt durch diese Gnadenerleuchtung zutiefst die Kenntnis aller ihrer Sünden gegeben wurde. Und sie sah, dass sie alle Geschöpfe beleidigt hatte, die sie nun bat, sie nicht beim Schöpfer anzuklagen. Und dann wurde ihr gegeben, mit großem Feuer der Liebe die selige Jungfrau Maria mit allen Heiligen zu bitten, sie möchten für sie Fürsprache einlegen bei jener Liebe, von der sie so viel Gutes empfangen hatte, damit, weil sie sich als tot erkannte, sie (diese Liebe) sie lebendig machte.
(G36) Beim siebten Schritt wurde ihr gegeben, auf das Kreuz zu blicken, wo sie Christus sah, der für uns gestorben. Aber es war noch eine fade Schau, obwohl sie dort großen Schmerz hatte.
Beim achten Schritt wurde ihr beim Anblick des Kreuzes eine größere Erkenntnis gegeben, wie der Sohn Gottes seiner Menschheit nach für unsere Sünden gestorben war. Und da erkannte sie mit größtem Schmerz alle ihre Sünden, mit denen sie Christus wiederum gekreuzigt hatte. Und bei dieser Erkenntnis des Kreuzes entledigte sie sich aus übergroßem ihr gegebenem Feuer der Liebe heraus beim Kreuz all ihrer Kleider und brachte sich ihm ganz dar und versprach ihm, wenn auch mit Furcht, immerdar die Keuschheit wahren zu wollen, von jenem Feuer der Liebe dazu gedrängt.
(G36-38) Beim neunten Schritt wurde ihr gegeben, zu fragen, welches der Weg des Kreuzes sei, damit sie am Fuß desselben, zu dem alle Sünder Zuflucht nehmen, stehen könnte. Dieser Weg wurde ihr auf diese Weise gezeigt und eingegeben, nämlich wenn sie zum Kreuz zu gehen begehrte, müsste sie alle verschonen, die sie beleidigt hätten, und müsste all ihrer Besitztümer, aller Grundstücke, der Verwandten und Freunde und aller Menschen und ihrer selbst sich entledigen, und ihr Herz Christus geben, der sich selbst für sie gegeben hat, und auf dem dornenvollen Weg, das heißt der Drangsal, wandeln.
Und von da an begann sie, die besseren Kleider abzulegen und minderwertigere anzuziehen, und in ähnlicher Weise bei den Speisen; aber es war ihr noch überaus peinlich und peinvoll. Und sie war noch mit ihrem Mann, und es war ihr bitter, wenn ihr Schimpf gesagt wurde oder geschah. Sie ertrug jedoch alles geduldig um Christi willen, so wie sie es mit seiner Hilfe konnte. Und es geschah, Gott wollte es, dass in jener Zeit ihre Mutter, ihr Mann und alle ihre Kinder starben, was ihr ein großer Trost war; denn sie hatte Gott gebeten, dass sie ihr aus diesem Erdenlicht entrissen würden, damit sie ihr auf dem erwähnten Weg, nämlich des Kreuzes, den sie schon begonnen hatte, kein Hindernis wären. Und danach, so dachte sie, würde ihr Herz im Herzen Gottes sein, und Gottes Herz in ihrem Herzen.
(G38) Beim zehnten Schritt, als sie Gott fragte, was zu tun sei, um ihm mehr zu gefallen, ließ er sich in seiner Güte herab, ihr mehrmals beim Schlafen und beim Wachen als Gekreuzigter zu erscheinen, wobei er sagte, dass sie auf seine Wunden blicken sollte. Und er zeigte im Einzelnen, von den Füßen bis zum Kopf, was er für sie ertragen hat, sowohl die ihm ausgerissenen Haare des Bartes und der Augenbrauen als auch die des Kopfes, und er zählte alle Geißelhiebe auf und sagte: „Das alles habe ich für dich ertragen. Was also kannst du tun, dass es genügt?“ Und da kamen ihr alle ihre Sünden ins Gedächtnis zurück, durch welche ihr gezeigt wurde, dass sie Christus jüngst wieder verwundet hatte, weshalb ein heftiger Schmerz in ihr war und sie so brennend weinte, dass die Tränen ihr Fleisch kochten, sodass sie genötigt war, zur Abkühlung kaltes Wasser draufzutun.
(G39) Beim elften Schritt ging sie wegen des soeben Gesagten mit Gottes Hilfe dazu über, härtere Buße zu tun. Ich, der Bruder, der ich dies geschrieben habe, übergehe diesen Schritt; denn es würde zu weitläufig sein, über ihre wunderbare Abstinenz zu schreiben, die über menschliche Gepflogenheit hinaus schwer war.
(G39-40) Beim zwölften Schritt, als es ihr schien, dass sie mit den Dingen der Welt nicht genügend Buße tun und zum Kreuz des Herrn, wie es ihr von Gott eingegeben worden war, gelangen konnte, begehrte sie, alles vollständig zu verlassen, fürchtend, dass sie vielleicht sterben würde, bevor sie arm geworden wäre. Aber es widersetzten sich ihr geradewegs verschiedene Versuchungen, die ihr das jugendliche Alter, die Gefahren des Bettelns und der Beschämung, des Hungers, der Kälte und der Blöße vor Augen stellten. In diesem Widerstreit hin und her gerissen, wurde sie einmal durch Gottes Erbarmen auf solche Art im Herzen erleuchtet und gestärkt, dass sie daraufhin beschloss, alles vollständig zu verlassen, damit sie selbst dem armen Christus arm nachzufolgen vermöchte, auch wenn sie sicher wäre, dass die genannten Gefahren und viele schwerere, sofern es Gott gefiel und gefallen konnte, ihr zustoßen würden.
(G40) (Dreizehnter Schritt) Hierauf trat sie ein durch den Schmerz der Mutter Christi und des Evangelisten Johannes und bat sie demütig, sie möchten vom Herrn irgendein sicheres Zeichen für sie erlangen, durch das sie immerfort das Leiden Christi im Gedächtnis hätte. Und im Schlaf wurde ihr das Herz Christi gezeigt und gesagt: „In diesem Herzen gibt es keine Lüge, dort ist alles wahr.“
(Vierzehnter Schritt) Danach, als sie im Gebet weilte, zeigte sich ihr bei wachem Zustand Christus selbst am Kreuz und gab ihr eine größere Erkenntnis ihrer selbst als früher. Und er sagte zu ihr, dass sie ihren Mund an seine Seitenwunde drücken und sein frisch daraus fließendes Blut trinken sollte. Und es schien ihr, dass sie, als sie ihren Mund an seine heiligste Seitenwunde gedrückt hatte, sein kostbares Blut trank. Und es wurde ihr zu verstehen gegeben, dass sie dadurch von Christus gereinigt wurde. Und hier empfing und hatte sie große Freude, obgleich sie aus der Betrachtung des Leidens auch Trauer ertragen musste. Und sie wünschte, so sehr gering und unbedarft sie auch war, aus Liebe zu Christus ihr Blut zu vergießen, wie er selbst es für sie getan hatte.
(G40-41) (Fünfzehnter Schritt) Danach konzentrierte sie sich auf die selige Jungfrau, die Mutter Christi, und auf den seligen Evangelisten Johannes, den Schmerz bedenkend, den sie bei Christi Leiden gehabt hatten, und bat, sie möchten ihr doch jene Gnade erlangen, durch die sie immer vom Schmerz des Leidens Christi empfinden könnte oder wenigstens von ihrem Schmerz. Davon gab ihr der heilige Johannes einmal so viel, dass es die größten Schmerzen waren, die sie jemals über Christi Leiden und Tod und über den Schmerz seiner Mutter gefühlt hatte, weshalb sie der Meinung war, er sei mehr als ein Märtyrer gewesen.
Und dann wurde ihr der volle Wunsch, sich aller Besitztümer und Grundstücke zu entäußern, mit solchem Willen gegeben, dass, mochte sie auch von vielen Widersprechenden bestürmt werden, sie jedoch in keiner Weise von diesem Vorsatz abgebracht werden konnte. Es schien ihr nämlich, dass sie nicht etwas zurückbehalten konnte ohne große Beleidigung und Christus folgen. Und ihre Seele war wegen ihrer Sünden noch in Bitternis, und, weil sie nicht wusste, ob das, was sie tat, Gott gefiel, rief sie mit bitterem Weinen und sagte: „Herr, auch wenn ich verdammt werden muss, nichtsdestoweniger werde ich Buße tun und werde mich entäußern und werde dir dienen.“
(G42-43) (Sechzehnter Schritt) Danach, als sie einmal von Gott erbat, dass ihr irgendeine Gnade zuteilwerde, gab er ihr das Herrengebet ins Herz, das heißt das Vaterunser, und zwar mit solch klarer Erkenntnis der göttlichen Güte und ihrer eigenen Unwürdigkeit, dass ihr die einzelnen Worte im Herzen so ausgelegt wurden, dass sie beim Hersagen desselben mit vielem Verweilen Kenntnis ihrer selbst erhielt. Deshalb weinte sie einerseits bitterlich wegen der Sünden und ihrer Unwürdigkeit und hatte andererseits aus dem Geschmack der göttlichen Süße und Güte großen Trost, den sie dort mehr als anderswo fand. Und aus solcherart Erkenntnis der Sünden und der eigenen Unwürdigkeit fing sie an, so beschämt zu werden, dass sie kaum die Augen zu heben wagte.
In jedwedem der obengenannten Schritte blieb sie, bevor sie sich zu einem anderen Schritt bewegen konnte, für lange Zeit, in einem mehr, im anderen weniger. Deshalb sagte sie: „O mit welcher Beschwernis schreitet die Seele voran.“
(G43-46) (Siebzehnter Schritt) Danach wurde ihr gezeigt, dass die selige Jungfrau Maria ihr Gnade erwarb, und diese gab ihr größeren Glauben, als den bis dahin gewohnten, so sehr, dass es ihr schien, dass der Glaube, den sie vorher gehabt hatte, tot gewesen war im Vergleich; und was sie auch tat, allzu wenig schien es ihr zu sein. Und von da an schloss sie sich in das Leiden des Herrn Jesus Christus ein, und es wurde ihr Hoffnung gegeben, dort befreit werden zu können. Und nunmehr begann es, dass ihr sowohl wachend als auch schlafend göttliche Süße in die Seele gegeben wurde.
Als sie sich einmal wegen der Karwoche in einen gewissen Kerker eingeschlossen hatte und über ein Wort des Evangeliums von höchstem Belang und übermäßiger Liebe meditierte und es in einem Messbuch, das neben ihr lag, zu sehen begehrte, sich aber nicht herauszunehmen wagte, es mit ihren Händen zu öffnen, schlief sie, von einem gewissen Schlaf eingeholt, mit jenem Wunsch ein. Und sogleich wurde sie in eine Schau geführt, und es wurde ihr gesagt, dass, wenn jemand recht das Verständnis einer Epistel empfände, er wegen der überaus großen Wonne alles Weltliche vergessen würde. Und er ließ sie es erfahren. Und da verstand sie mit großer Wonne die göttlichen Gaben (Güter), dass sie sogleich alles Weltliche vergaß. Danach geschah es in ähnlicher Weise beim Evangelium, wobei sie die göttlichen Güter mit solch lieblicher Einsicht und Wonne verstand, dass sie nicht nur alles Weltliche, sondern auch sich selbst vergaß. Deshalb erbat sie von dem, der sie führte, dass er sie fürderhin in keiner Weise aus jenem Zustand wegzöge. Und er antwortete, dass es noch nicht geschehen könne. Und sogleich führte er sie zurück, und sie öffnete die Augen. Und von da an blieb ihr dauerhaft so große Gewissheit und Licht und Glut der göttlichen Liebe, dass sie mit ganzer Gewißheit betonte, dass fast nichts über die göttliche Wonne, so wie sie ist, gepredigt werde. Und so sagte es ihr auch jener, der ihr die soeben genannte Schau zeigte.
(G46-47) (Achtzehnter Schritt) Später hatte sie süßes Gottesempfinden und solche Wonne im Gebet, dass sie zu essen vergaß. Und gerne hätte sie gewollt, niemals des Essens wegen aus dem Gebet gerissen zu werden, wenn dem die Unmöglichkeit der Natur nicht entgegengestanden hätte. Und sie gelangte zu einem so großen Feuer der Liebe, dass sie, wenn sie von Gott reden hörte, aufschrie, und nicht vermochte, sich solchen Schreiens zu enthalten. Deshalb errötete sie sehr, weil die Leute sie deshalb „die Dämonische“ nannten. Und wenn sie das Leiden Christi abgebildet sah, konnte sie es kaum ertragen und manchmal erkrankte sie auch daran, weshalb ihre Gefährtin eilfertig die Bilder des Leidens Christi vor ihr verbarg.
(G47-48) (Neunzehnter Schritt) Während jener Zeit des Schreiens wurde sie innerlich gezogen, die Gottheit und Menschheit Christi zu betrachten, bei dessen Kontemplation sie größeren Trost erhielt, als sie je gehabt hatte. Deshalb lag sie anschließend auch danieder und verlor die Sprache, sodass ihre Gefährtin, die sie so vorfand, meinte, sie werde gleich sterben. Deren, nämlich ihrer Gefährtin, Gegenwart war ihr zu dem Zeitpunkt aber überaus lästig, weil sie ihr in jener allerhöchsten Tröstung zum Hindernis wurde.
Einmal, bevor sie alle ihre zeitlichen Güter vollständig veräußert hatte, obgleich ihr wenig geblieben war, während sie im Gebet war, klagte sie, Gott bittend, und sagte: „Herr, was ich tue, tue ich nur, damit ich dich finde. Werde ich dich finden, nachdem ich es ausgeführt habe?“ Und es wurde ihr geantwortet: „Was willst du?“ Sie sagte: „Ich will kein Gold noch Silber, und wenn du mir die ganze Welt geben würdest, nichts dergleichen begehre ich. Ich will nämlich nur dich.“ Und er antwortete so: „Bemühe dich, es auszuführen; denn sobald das, was du begonnen hast, vollbracht ist, (dass sie sich nämlich aller Grundstücke entäußert haben würde), wird die ganze Dreifaltigkeit in dich kommen.“ Und dann verblieb sie mit großer göttlicher Holdseligkeit. Angesichts eines derartigen Versprechens zögerte sie jedoch, weil ein solches allzu groß für sie war.
[EC168, 20. passus] Quadam vice 83 hec fidelis Christi venerat per egre (Bx1: pergere) ad sanctum franciscum in ecclesie (Bx(Köln): ecclesia) cuius ingressu (Bx1: in cuius ecclesie ingressu) [Bx(Köln)/45vb] ipsa sedens multum striderat et cum stridore clamaverat. 84 Unde ego frater ibidem residens conventualis [Bx1/5v] tunc temporis nimis erubui propter presentiam quorundam fratrum, qui illuc conven erant ad videndum eam taliter sedentem et vociferantem, eo quod consanguineus et confessor eius essem. 85
(G56) Einmal war diese Christgläubige von auswärts zur Kirche des heiligen Franziskus gekommen, an deren Eingang sitzend sie viel geschrien und mit Schreien gerufen hatte. Ich, der ich mich damals dort als Mitglied des Konvents aufhielt, schämte mich deshalb sehr, und zwar wegen der Anwesenheit einiger Brüder, die dort zusammengekommen waren, um sie auf solche Weise sitzen und schreien zu sehen, weil ich ihr Blutsverwandter und Beichtvater war.
[EC176] Quapropter 86 cum redissem de assisio, ubi hec sibi contigerant in ecclesia sancti francisci, ad terram nostram 87, interrogavi eam et coegi inquantum valui, quatenus (Bx(Köln): quod) mihi diceret causam stridoris 88 predicti.
Et illa prius a me 89 firma promissione recepta, quod nulli 90 eam cognoscenti propalarem, cepit narrare dicens, quod cum iret assisium ad beatum franciscum 91, [EC178] pariter orabat ipsum beatum franciscum, quatenus (Bx(Köln): quod) obtineret ei gratiam a deo, per quam dulciter sentiret de Christo et fideliter servaret regulam ipsius beati francisci, quam noviter promiserat, presertim votum paupertatis quam ardenter cupiebat adimplere 92, dictum est ei 93: Tu rogasti servum meum franciscum, et ego, spiritus sanctus, nolens alium mittere, veni ad te, ut darem tibi consolationem quam nunquam gustasti. Et veniam tecum, intus in 94 te loquens tecum, per istam viam non daturus finem locutionis. [Bx2/65r] Nec poteris aliud facere, quia ligavi te 95, nec discedam a te, quousque secunda vice venies ad sanctum franciscum, et tunc a te discedam secundum istam consolationem, sed nunquam a te discedam, si me dilexeris.
[EC180] Et 96 cepit dicere: Filia mea, [Bx(Köln)/46a] dulcis mihi, templum et delectamentum meum, ama me, quia multum amata es a me, multo amplius quam amer a te. Et sepissime dicebat: Filia et sponsa, dulcis mihi. Et dixit: Ego diligo te multum. [Bx1/6a] Et postquam ego collocavi me et pausavi in te, tu colloca et quiesce in me. Servus meus franciscus multum me dilexit, cui multa bona contuli. Et si adhuc aliquis esset, qui me plus diligeret, plus etiam sibi conferrem.
In istis verbis hec fidelis Christi cepit multum hesitare. Et respondit anima eius: Si tu esses (Bx1: es) spiritus sanctus, non diceres mihi istud, quia non convenit mihi, eo quod sim fragilis, et possim inde inaniter gloriari. Et respondit: Amodo (Bx1: modo) cogita, si ex his valeas aliquam vanam gloriam habere, et exi de istis verbis si potes. Et tunc conata fuit velle inde habere (Bx(Köln): querere) 97 vanam gloriam, ut probaret utrum esset verum quod dixerat. Et cepit respicere per vineas, ut exiret de illa locutione. Sed ubicumque respiciebat, dicebat ei: Ista est creatura mea. Et sentiebat divinam dulcedinem ineffabilem. Et reducebantur ei omnia peccata sua ad memoriam 98, nec videbat in se nisi peccata et defectus, unde sentiebat in se maiorem humilitatem, quam alias senserit. 99 Et dicebatur sibi (Bx1: ei) quod filius dei et beate marie virginis 100 ad eam se ipsum inclinaverat. [EC182] Et dicebat: Ego sum, qui [Bx(Köln)/46rb] fui crucifixus (Bx1: crucifixus sum) pro te, intantum dilexi te. Et dicebat totam passionem.
Et dicebat: Pete gratiam et para te ad recipiendum, quia ego sum paratior multo (Bx1: multum) ad dandum, quam tu ad recipiendum. Tunc anima ipsius fidelis Christi clamavit 101: [Bx2/65v] Nolo petere, quia non sum digna. 102 Et si tu esses filius dei, non diceres mihi tam magna, aut si diceres, inesset mihi tanta leticia, quod anima mea non deberet posse sustinere. Et respondit ei: Nihil potest esse vel fieri, nisi [Bx1/6v] sicut ego volo, et non volo tibi dare plus (Bx(Köln): plus dare) quam istam. Ego minus his, que tibi dico, quandoque dixi alteri, et ille, cui dixi, iacuit non sentiens necque videns. 103 Hi cum quibus veniebat hec fidelis Christi perpendebant aliqualiter de languore suo, pro eo quod in omni verbo recipiebat dulcedinem magnam. Et ipsa voluisset illam viam (Bx(Köln): viam illam) nunquam terminari propter inestimabilem leticiam et dulcedinem divinam quam in ea sentiebat.
[EC184] Et venit cum illa usque in sanctum franciscum, sicut ei dixerat. Et stetit et continuavit secum usque post comestionem, quando secundario venit in ecclesiam 104 sancti francisci. Et tunc ubi genuflexit in ingressu ecclesie, visa imagine sancti francisci (Bx1: in ecclesia sancti francisci visa ipsius sancti francisci imagine) in sinu crucifixi 105, dixit ei: Ita astrictam te tenebo, et plus quam considerari possit corporeis oculis. Et modo est hora, qua, o filia mea dulcis, templum et delectamentum meum, adimpleo quod dixi tibi. 106 Nam pro ista consolatione dimitto te, autem nunquam dimittam, si me dilexeris. Et tunc, quantumcumque esset verbum amarum, [Bx(Köln)/46va] in ipso tamen verbo (Bx1: non tamen verbo) tantam sensit dulcedinem divinam, quod factum est dulcissimum. Et tunc respexit, ut videret eum etiam corporeis oculis et mentis.
Et ut asseruit mihi, fratri, qui hec ex ore eius scripsi, videbat rem plenam maiestate immensa, quam nesciebat aliter dicere, et videbatur ei quod erat omne bonum. Et multa verba dulcedinis dixit ei quando discessit, et cum immensa suavitate et cum mora [Bx1/7r] plane discessit. Et tunc post ipsius discessum ipsa cepit stridere et alta voce clamare et sine ulla [Bx2/66r] verecundia dicendo tantum hec verba 107: Amor, non cognovi te, et quare me dimittis? 108 Nec aliud (Bx1: aliquid) tunc poterat dicere, nec intelligebantur que (Bx1: ea que) dicebat, eo quod intercluderentur verba sua nimia vociferatione cum stridore. Et tunc relicta est firma certitudine et sine ulla hesitatione quod 109 ipse est deus qui secum fuerat et eam sic alloqui et visitare dignatus erat. Et tunc compages 110 eius quasi disiungebantur, et erat ei dolor quod non moriebatur.
(G57+61) Deswegen, als ich von Assisi, wo sich dies in der Kirche des heiligen Franziskus mit ihr zugetragen hatte, in unsere Heimat zurückkehrte, befragte ich sie und zwang sie, soviel ich es vermochte, dass sie mir den Grund ihres obengenannten Schreiens sagte.
(G61-63) Und jene, nachdem sie zuerst von mir das feste Versprechen erhalten hatte, dass ich es keinem, der sie kannte, preisgeben würde, begann zu erzählen und sagte, dass, als sie nach Assisi zum seligen Franziskus ging und sie dabei den seligen Franziskus gleichermaßen bat, er möchte ihr von Gott die Gnade erwirken, in süßer Weise Christus zu verspüren und treu die Regel des seligen Franziskus, die sie jüngst versprochen hatte, beachten zu können, vor allem das Gelübde der Armut, das sie glühend zu erfüllen begehrte, wurde ihr gesagt: „Du hast meinen Diener Franziskus gebeten, und ich, der Heilige Geist, der ich keinen anderen schicken wollte, bin zu dir gekommen, um dir Trost zu geben, den du noch nie verkostest hast. Und ich werde mit dir kommen, wobei ich innen in dir auf diesem Weg mit dir spreche, ohne mit der Ansprache aufzuhören. Du wirst weder anderes tun können, weil ich dich gebunden habe, noch werde ich von dir scheiden, bis du zum zweiten Mal zum heiligen Franziskus kommst. Und dann werde ich, was diesen Trost angeht, von dir scheiden; aber ich werde nie von dir scheiden, wenn du mich liebst.“
(G63) Und er fing an zu sprechen: „Meine mir so süße Tochter, mein Tempel und meine Wonne, liebe mich, weil du viel von mir geliebt bist, weit mehr als ich von dir geliebt werde.“ Und sehr oft sagte er: „Tochter und Braut, mir so süß.“ Und er sagte: „Ich liebe dich sehr. Und nachdem ich mich in dir niedergelassen habe und raste, lasse du in mir dich nieder und ruhe. Mein Diener Franziskus hat mich viel geliebt, ihm gewährte ich viel Gutes (Gaben). Und wenn noch jemand da ist, der mich mehr liebt, mehr auch würde ich ihm gewähren.“
(G63-64) Bei selbigen Worten begann die Christgläubige sehr zu zögern. Und ihre Seele antwortete: „Wenn du der Heilige Geist wärest, würdest du mir das nicht sagen, da es mir nicht zukommt, weil ich schwach bin und mich dessen eitel rühmen kann.“ Und er antwortete: „Von jetzt an denk daran, und sieh ob du es vermagst, irgendeinen eitlen Ruhm dabei zu haben, und verlass diese Worte, wenn du kannst.“ Und dann versuchte sie, dabei eitlen Ruhm haben zu wollen, um zu prüfen, ob das, was er gesagt hatte, wahr wäre. Und sie fing an, auf die Weinberge zu blicken, um aus jener Ansprache herauszukommen. Aber wohin sie auch blickte, stets sagte er ihr: „Das hier ist mein Geschöpf.“ Und sie verspürte eine unaussprechliche göttliche Süße. Und alle ihre Sünden tauchten in ihrer Erinnerung auf, und sie sah in sich nichts anderes als Sünden und Mängel, weshalb sie in sich eine größere Demut verspürte, als sie sonst verspürt hatte. Und es wurde ihr gesagt, dass der Sohn Gottes und der seligen Jungfrau Maria selbst sich zu ihr geneigt hatte. Und er sagte: „Ich bin es, der für dich gekreuzigt wurde, so sehr habe ich dich geliebt.“ Und er sagte die ganze Leidensgeschichte.
(G64-65) Und er sagte: „Erbitte eine Gnade und bereite dich, sie zu empfangen, denn ich bin viel bereiter zu geben als du zu empfangen.“ Da rief die Seele der Christgläubigen: „Ich will nicht bitten, denn ich bin nicht würdig! Und wenn du der Sohn Gottes wärest, würdest du mir so Großes nicht sagen, oder aber, wenn du es sagtest, würde eine so große Freude in mir sein, dass meine Seele nicht fähig wäre, es auszuhalten.“ Und er antwortete ihr: „Nichts kann sein oder geschehen, außer wie ich es will; und ich will dir nicht mehr geben als dieses. Weniger als das, was ich dir sage, habe ich einst einem anderen gesagt, und der, dem ich es sagte, lag da weder fühlend noch sehend.“ Diejenigen, mit denen die Christgläubige des Weges kam, bemerkten in etwa ihren entrückten Zustand, aufgrund dessen, da sie bei jedem Wort große Süße empfing. Und sie selbst hätte gewollt, dass jener Weg niemals ein Ende nähme wegen der unschätzbaren Freude und göttlichen Süße, die sie auf ihm verspürte.
(G66-67) Und er kam mit ihr bis nach Sankt Franziskus, wie er ihr gesagt hatte. Und er war und blieb bei ihr bis nach dem Essen, als sie zum zweiten Mal in die Kirche des heiligen Franziskus kam. Und dort dann, wo sie am Eingang der Kirche die Kniebeuge machte und im Kirchenfenster das Bild des heiligen Franziskus im Schoß des Gekreuzigten sah, sagte er ihr: „So eng werde ich dich halten, und mehr als es mit leiblichen Augen wahrgenommen werden kann. Und jetzt ist die Stunde, in der ich, o meine süße Tochter, mein Tempel und meine Wonne, erfülle, was ich dir gesagt habe. Denn bezüglich dieser Tröstung verlasse ich dich, aber niemals werde ich dich verlassen, wenn du mich liebst.“ Und dann, mochte das Wort noch so bitter sein, verspürte sie in diesem Wort dennoch eine so große göttliche Süße, dass es ein allersüßestes Wort wurde. Und dann blickte sie hin, um ihn auch mit den leiblichen Augen und denen des Geistes zu sehen.
(G67) Und wie sie mir, dem Bruder, der ich dies aus ihrem Mund aufschrieb, versicherte, sah sie etwas voll unermesslicher Majestät, was sie anders nicht benennen konnte, und es schien ihr, dass es das Alles Gute war. Und, als er schied, sagte er ihr viele Worte der Süße, und er schied mit unermesslicher Holdseligkeit und sachte mit Weile. Und dann nach seinem Scheiden fing sie an zu schreien und mit lauter Stimme zu rufen und ohne jegliche Beschämung nur diese Worte zu sagen: „Liebe, ich habe ich dich nicht erkannt, und warum verlässt du mich?“ Sie konnte da weder anderes sagen noch wurde das, was sie sagte, verstanden, weil wegen ihres allzu lauten Geschreis ihre Worte steckenblieben. Und zurückgelassen wurde sie dann in der festen Gewissheit und ohne irgendein Zögern, dass derjenige Gott ist, der bei ihr gewesen war und sich herabgelassen hatte, sie so anzusprechen und zu besuchen. Und dann verrenkten sich fast ihre Glieder, und ein Schmerz war es ihr, dass sie nicht starb.
[EC170] Tunc ego frater audiens ipsam talia referentem, multum obstupui habens illud suspectum ne forte illuderetur ab aliquo maligno spiritu, 111 et nitebar quantum poteram (Bx1: potui) illud reddere etiam ei suspectum. Sed ut in precedenti narratione patet, licet in via habuerit etiam illud suspectum, certissimam tamen dimisit eam de divina veritate, quando ab ea discessit. Et ego, frater, vere credo sic esse, et puto quod nulli bene consideranti sequentia aderit dubietas.
[EC166] [Bx(Köln)/46vb] Postquam 112 ipsa fidelis Christi hec mihi narravit, pro quodam memoriali in una (Bx1: quadam) parva cartha (Bx(Köln): charta) cepi scribere ista. Sed paulo post sibi revelatum est (Bx1: revelatum sibi est), quod non cartulam (Bx(Köln): chartulam), sed magnum quaternum acciperem ad scribendum. 113
[EC170] Dum scriberem, ipsa cepit mihi manifestare secreta divina (Bx1: narrare divina secreta) taliter quod in veritate de ipsis ita parum capere poteram ad scribendum, quod ego [Bx1/7v] cogitavi me esse tamquam cribrum vel setacium, quod subtilem et preciosam farinam non retinet, sed grossiorem. 114 Et ego, quia in meipso expertus sum gratiam dei specialem et novam 115 quam nunquam fueram [EC172] expertus, scribebam cum reverentia et divino timore. 116 Et revelatum est ei quod veraciter scripseram, licet diminute et truncate. 117
(G57) Als ich, der Bruder, sie solches berichten hörte, stutzte ich sehr und hielt es für verdächtig, weil sie vielleicht von irgendeinem bösen Geist getäuscht war. Und ich bemühte mich, so viel ich konnte, es auch ihr verdächtig zu machen. Aber wie aus der vorhergehenden Erzählung klar hervorgeht, ließ er (der Heilige Geist) sie, als er von ihr schied, der göttlichen Wahrheit jedoch sehr sicher sein, mochte es ihr auf dem Weg auch verdächtig gewesen sein. Und ich, der Bruder, glaube wirklich, dass es sich so verhält, und meine, dass keinem, der das Folgende gut erwägt, Bedenken bleiben werden.
(G55) Nachdem die Christgläubige mir dies erzählt hatte, fing ich an, es gewissermaßen als Gedächtnisstütze (memoriale) auf ein kleines Papier niederzuschreiben. Aber wenig später wurde ihr offenbart, dass ich nicht ein kleines Blatt Papier, sondern ein großes Quartheft für die Niederschrift nehmen sollte.
(G58) Während ich schrieb, fing sie an, mir die göttlichen Geheimnisse auf solche Weise zu offenbaren, dass ich in Wahrheit so wenig davon für die Niederschrift fassen konnte, dass ich dachte, ich sei wie ein Durchschlag oder ein Sieb, das nicht das feine und kostbare, sondern das gröbere Mehl zurückbehält. Und weil ich in mir selbst eine besondere und neue Gnade Gottes erfuhr, die ich nie erfahren hatte, schrieb ich mit Ehrerbietung und göttlicher Furcht. (G59f.) Und es wurde ihr offenbart, dass ich wahrheitsgetreu geschrieben hatte, wenn auch verkürzt und gestutzt.
[EC184] Post hec, redeundo de assisio, cum magna dulcedine divina veniebat per viam, loquendo de deo. Nam cum [Bx2/66v] difficultate poterat de illo (Bx1: eo) tacere, nitebatur tamen pro posse abstinere a divinis colloquiis propter societatem.
[EC186] In hoc reditu dixit ei dominus 118: Do tibi hoc signum, ˂quod˃ 119 ego sum qui loquor et locutus sum ad te, do tibi scilicet crucem et amorem intus in te, et hec erit tecum in eternum. Quam crucem et amorem statim sentiebat intus in anima et resultabat et sentiebat eam corporaliter, et liquefiebat anima eius 120 in amore dei. 121
Postquam rediit ad domum, sentiebat (Bx1: sensit) dulcedinem ineffabilem, pacificam et quietam. 122 Et iacuit per octo dies, quibus cum difficultate loquebatur et parum surgebat. 123 [EC188] Dum sic debilis iaceret in illa ineffabili dulcedine, socia sua, que erat mirabilis simplicitatis [Bx(Köln)/47ra] et virginitatis, audivit vocem ter dicentem sibi: spiritus sanctus est intus in illa.
Dum ab ea (Bx(Köln): illa) discessit, dixit ei: Filia mea, dulcis mihi multo plus quam ego sim tibi, templum et delectamentum meum. Tu habes anulum mei amoris, quo ego subarravi te. Et nunquam a me discedes. [Bx1/8r] Et benedictionem patris et filii et spiritus sancti habeas tu et socia tua. Et deinde sensit sepe odores indicibiles. Et dixit hec fidelis Christi quod multotiens facta est ei huiusmodi locutio, sed non cum tanta mora, nec ita profunde et cum tanta dulcedine.
[EC190) Ista predicta socia sua 124 retulit quod, dum aliquando hec fidelis Christi in suo latere iaceret, in excessu mentis posita, vidit quasi stellam unam (Bx1: stellam) rotundissimam multe varietatis et colorum innumerabilium (Bx1, Bx2: innumerabiliumque) splendentium. Et procedebant ex ea radii mire pulchritudinis, radii scilicet grossi et radii subtiles. Et postquam processerant de pectore illius iacentis (Bx1: iacentis) in latere, plicabantur ipsi radii ascendendo versus celum. Et istud vidit oculis corporeis (Bx(Köln): corporeis oculis) vigilando, et hora erat [Bx2/67r] quasi tertia et stella non multum magna (Bx1: non multum magna stella erat). 125
[EC192] Quadam vice hec fidelis Christi cogitabat de magno dolore, quem Christus sustinuit in cruce, precipue quod quandoque audiverat quod clavi de manibus et pedibus eius (Bx(Köln): manibus eius et pedibus) carnem intus portaverant [Bx(Köln)/47rb] in lignum. Unde habuit tantum dolorem quod non potuit stare super pedes (Bx2: pedes, Bx(Köln): pedibus), sed inclinato [EC194] capite intus (Bx1: inter) brachia prostravit se in terram. Et tunc Christus ostendit ei gulam [vel] 126 guttur et brachia sua. Et erat tanta claritas et pulchritudo illius gule vel gutturis quod per eam videbatur sibi videre divinitatem eius, ex qua divinitate ipsa pulchritudo resultabat, unde sibi videbatur (Bx(Köln): videbatur sibi) stare ante deum, 127 nec plus sibi ostendebatur [Bx1/8v] nisi illud. Et ex hac tam preclara visione pristina tristicia eius conversa fuit in leticiam admirabilem et ineffabilem et novam ab aliis prioribus. Et dicebat quod illam claritatem nesciebat similare alicui rei vel colori, nisi tantummodo 128 claritati corporis Christi, quam aliquando consuevit videre, dum elevatur in missa. Et dixit quod, dum recessit ab illa visione, relicta est tam certa in anima, quod de ea nequiret dubitare.
[EC196] Ut autem ego, frater, audivi de visione claritatis corporis Christi, interrogavi eam et coegi, quatenus narraret mihi, quicquid de corpore Christi viderat. Que dixit mihi, quandoque se videre hostiam prout vidit ipsum guttur cum tanto splendore et pulchritudine, qui videtur venire divinitus plus quam sit splendor solis 129, et quod ex ipso splendore datur sibi intelligi certitudinaliter, quod videat deum sine aliquo dubio. Aliquando autem videt in hostia duos oculos splendidissimos ita grossos, quod de hostia videntur remanere [Bx(Köln)/47va] tantummodo ora. 130
Quadam vice vidit in hostia sicut puerum Christum quasi [EC198] xii annorum [Bx2/67v] [EC196] ineffabilis pulchritudinis et ornatus. Et videbatur multum dominans sicut qui teneret dominationem. Et videbatur sedere in sede maiestatis habens in manibus signum sicut dominationis. Et dixit hoc se vidisse oculis corporeis et in his visionibus [EC198] recepisse tantam leticiam, quod non credit eam se in eternum (Bx1: se eam in eternum, Bx(Köln): se in eternum eam) perdituram.
(G67-68) Danach, auf dem Rückweg von Assisi, kam sie mit großer göttlicher Süße des Weges, dabei von Gott sprechend, denn nur mit Schwierigkeit konnte sie von ihm schweigen. Sie bemühte sich jedoch nach Möglichkeit der göttlichen Gespräche sich zu enthalten, und zwar wegen der Pilgergesellschaft.
Auf diesem Rückweg sagte ihr der Herr: „Ich gebe dir ein Zeichen, dass ich es bin, der spricht und zu dir gesprochen hat. Ich gebe dir nämlich das Kreuz und die Liebe innen in dich hinein, und diese werden mit dir sein auf ewig. Sogleich verspürte sie dieses Kreuz und diese Liebe innen in der Seele, und es wirkte sich aus und sie fühlte es auf körperliche Weise, und ihre Seele schmolz dahin in der Liebe Gottes.
(G68-69) Als sie nach Hause zurückgekehrt war, fühlte sie eine unaussprechliche, friedvolle und stille Süße. Und sie lag danieder acht Tage lang, an denen sie mit Schwierigkeit sprach und wenig aufstand. Während sie so schwach in jener unaussprechlichen Süße daniederlag, hörte ihre Gefährtin, der wundersame Einfalt und Jungfräulichkeit zu eigen waren, eine Stimme, die ihr dreimal sagte: „Der Heilige Geist ist innen in ihr.“
(G70) Während er von ihr schied, sagte er: „Meine Tochter, mir viel süßer, als ich es dir bin, mein Tempel und meine Wonne. Du hast den Ring meiner Liebe, mit dem ich dir das Unterpfand gab. Und niemals wirst du von mir scheiden. Und habe den Segen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes, du und deine Gefährtin.“ Und von da an nahm sie oft unsagbare Düfte wahr. Und diese Christgläubige sagte, dass ihr diese Art Ansprache oftmals zuteilwurde, aber nicht von so langer Dauer, noch so tief und mit so großer Süße.
(G71) Diese ihre erwähnte Gefährtin berichtete, dass, während die Christgläubige einmal, in Ekstase des Geistes versetzt, auf ihrer Seite lag, sie so etwas wie einen kreisrunden Stern sah, in großer Vielfalt und in unzähligen Farben glänzend. Und Strahlen von wunderbarer Schönheit gingen aus ihm hervor, dicke Strahlen wohlgemerkt und feine Strahlen. Und nachdem sie von der Brust der auf der Seite Liegenden ausgegangen waren, bündelten diese Strahlen sich, um gen Himmel aufzusteigen. Und dies sah sie im Wachzustand mit den leiblichen Augen, und es war fast die dritte Stunde und der Stern war nicht sehr groß.
(G74-75) Einmal dachte die Christgläubige über den großen Schmerz nach, den Christus am Kreuz erduldet hat, besonders über das, was sie irgendwann gehört hatte, dass nämlich die Nägel Fleisch von seinen Händen und Füßen nach innen ins Holz getrieben hatten. Deshalb hatte sie einen so großen Schmerz, dass sie nicht auf den Füßen stehen konnte, sondern, den Kopf zwischen die Arme gelegt, sich auf die Erde ausgestreckt hatte. Und da zeigte Christus ihr die Kehle bzw. den Hals und seine Arme. Und es war eine so große Klarheit und Schönheit dieses Halses oder dieser Kehle, dass es ihr schien, durch sie (die Schönheit) seine Göttlichkeit zu sehen, aus welcher Göttlichkeit eben diese Schönheit herrührte, weshalb es ihr schien, vor Gott zu stehen. Aber mehr als dies wurde ihr nicht gezeigt. Und durch diese so überaus klare Schau wurde ihre vorherige Traurigkeit in eine wunderbare und unaussprechliche und neue Freude, verglichen mit den anderen früheren Freuden, verwandelt. Und sie sagte, dass sie jene Klarheit mit keiner Sache oder Farbe zu vergleichen wüsste, als nur mit der Klarheit des Leibes Christi, die sie manchmal zu sehen bekam, während er in der Messe erhoben wird. Und sie sagte, dass, während sie aus jener Schau zurückkehrte, sie mit solcher Gewissheit in der Seele zurückgelassen wurde, dass sie an ihr (der Schau) nicht zweifeln konnte.
(G76) Als ich, der Bruder, aber von der Schau der Klarheit des Leibes Christi hörte, befragte ich sie und zwang sie, mir alles zu erzählen, was sie vom Leib Christi gesehen hatte. Sie sagte mir, dass sie manchmal, so wie sie die Kehle sah, die Hostie in so großer Schönheit und in so großem Glanz sah, der, mehr als es der Glanz der Sonne ist, aus Gott zu kommen scheint, und dass ihr durch diesen Glanz mit Gewissheit zu verstehen gegeben wird, dass sie Gott sieht, ohne jeglichen Zweifel. (G76-77) Manchmal aber sieht sie in der Hostie zwei so sehr glänzende und so große Augen, dass von der Hostie nur die Ränder zu bleiben scheinen.
Einmal sah sie in der Hostie Christus wie einen Knaben von ungefähr 12 Jahren von unaussprechlicher Schönheit und mit dem Ornat geschmückt. Und er schien sehr herrscherlich wie einer, der die Herrschaft innehat. Und er schien auf dem Sitz der Majestät zu sitzen, in der Hand so etwas wie ein Zeichen der Herrschaft haltend. Und sie sagte, dass sie dies mit leiblichen Augen gesehen und in diesen Schauen so viel Freude erhalten hätte, dass sie nicht glaubt, sie auf ewig zu verlieren.
[EC200] [Bx1/9r] Quadam vice dum esset in oratione et vellet dicere pater noster, subito venit sibi vox in anima dicens 131: Tu es plena deo. Et tunc revera sentiebat omnia membra corporis plena delectamento divino, et sentiebat quomodo deus amplexabatur 132 animam. Unde mori cupiebat et esse cum Christo.
[EC202] Alia vice dixit ei: Ego faciam magnalia in conspectu gentium, et in te cognoscetur et laudabitur nomen meum a multis gentibus.
Cum esset in oratione quadam vice dicta sunt ei hec verba: Filia mea, dulcis mihi, templum et delectamentum meum 133, cor dei omnipotentis stat supra cor tuum. In quibus verbis sensit maius sentimentum dei quam unquam fuerat experta 134