Am Jenseits - Karl May - E-Book

Am Jenseits E-Book

Karl May

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Beschreibung

"Am Jenseits" ist Band 25 der "Gesammelten Reiseerzählungen" von Karl May. Dieses Werk wurde 1899 direkt für die Buchausgabe bei Friedrich Ernst Fehsenfeld geschrieben.

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Inhaltsverzeichnis

Eine Kijahma

El Kanz el A'da

El Mizan

El Aschdar

Impressum

Eine Kijahma

»Sihdi, es war doch immer wunderschön, wenn wir beide, auf unsern unvergleichlichen Pferden sitzend, so ganz allein, von keinem fremden Menschen begleitet, immer hinein in Allahs schöne Welt ritten, wohin es uns gefiel! Diese Weit gehörte uns, denn da wir keine Seele bei uns hatten, konnte niemand sie uns streitig machen. Wir taten, was wir wollten, und unterließen, was uns nicht gefiel; wir waren unsere eigenen Herren, denn wenn es jemanden gab, dem wir zu gehorchen hatten, so bestand dieser Jemand aus zwei Personen, nämlich aus mir und aus dir. Ich bin mir da oft als der Gebieter des ganzen Erdkreises vorgekommen und habe die unersteigbaren Höhen meines Ruhmes aus den Tiefen meines Selbstbewußtseins hervorgeholt, um in andachtsvoller Bewunderung an ihnen emporzuklimmen und dann fröhlich wieder herabzusteigen. Das konnte ich, weil wir allein waren und es also keinen unwillkommenen Störenfried gab, dem es einfallen konnte, ohne meine Erlaubnis und hinter meinen Rücken mit hinauf und hinunterzuklettern. Ja, das war eine sehr, sehr schöne Zeit, in welcher wir erlebten, was kein anderer Mensch erlebt, und zwar nur deshalb, weil wir eben so allein waren und uns nur nach uns selbst zu richten brauchten. Ich sage dir, Sihdi, alle diese Taten und Begebenheiten sind rundum an den Wänden meiner innernm Seele aufgeschrieben und mit unvergänglichen Pflöcken in den Boden meines Gedächtnisses eingeschlagen, wie man Pferde, Kamele und lebhafte Ziegen an Pflöcke bindet, wenn man befürchtet, daß sie über Nacht den ihnen angewiesenen Ort mit einem andern vertauschen wollen.«

Er machte eine Pause, um nach diesem langen Satze einmal ausgiebig Atem zu holen.

Wer dieser »Er« war? Wer ihn noch nicht an seiner eigenartigen Ausdrucksweise erkannt hat, der mag weiter hören. Er fuhr nämlich sogleich fort:

»Also ich denke noch mit Wonne an die Zeiten zurück, in denen wir uns nur nach uns selbst zu richten brauchten, denn da habe ich empfunden, daß der Mann der eigentliche und wirkliche Beherrscher seines Lebens und seines Daseins ist. Aber ebenso schön und in mancher Beziehung noch schöner ist es doch, wenn man einen Tachtirwan bei sich hat, in weichem die holdselige Gebieterin des Frauenzeltes sitzt. Meinst du, daß ich da recht habe?«

»Ob du da recht hast, kann doch ich nicht wissen, mein lieber Halef«, antwortete ich.

»Wie? Das könntest du nicht wissen? Warum denn nicht?«

»Weil in diesem Tachtirwan sich die Gebieterin nicht meines, sondern deines Frauenzeltes befindet und es also nur dir, aber nicht mir möglich ist, einen solchen Vergleich zwischen früher und heute anzustellen.«

»Ja, richtig! Um meine Frage beantworten zu können, müßtest du deine Emmeh auch mitgenommen haben. Du kannst also gar nicht wissen, was für ein großer Unterschied darinnen liegt, ob man die liebliche Behüterin seines Glücks daheim gelassen oder ob man sie mitgenommen hat. Du hast mir einmal gesagt, wie das heilige Buch der Christen das richtige Verhältnis zwischen Mann und Weib erklärt. Kannst du dich darauf besinnen, Effendi?«

»Ja.«

»Du sagtest ungefähr: Gott schuf den Menschen ihm zum Bilde, und zwar ein Männlein und ein Weiblein. Allah hat zweierlei Eigenschaften, nämlich die Eigenschaften der Allmacht, wozu die Ewigkeit, Weisheit, Gerechtigkeit gehören, und die Eigenschaften der Liebe, welche sich auch in seiner Gnade, Langmut, Güte und Barmherzigkeit äußert. Wenn der Mensch, weicher aus zwei Wesen besteht, ein Bild Gottes zu sein hat, so soll also der Mann ein Bild der göttlichen Allmacht und die Frau ein Bild der göttlichen Liebe sein. Habe ich mir das nicht sehr gut gemerkt?«

»Ziemlich richtig.«

»Wenn auch nur ziemlich, für mich genügt es doch. Seit du mir diese Erklärung gegeben hast, bin ich stets bemüht gewesen, ein Bild von Allahs Allmacht zu sein. Du weißt, wie tapfer und umsichtig ich im Kampfe und wie weise, klug und gerecht ich in der Regierung meines Stammes bin. Diese eine Seite meines menschlichen Wesens läßt also wohl kaum etwas zu wünschen übrig. Und die andere Seite, welche dort in der Sänfte sitzt und ihre freundlichen Augen unaufhörlich auf mich richtet, ist auch genau so, wie Allah sie wünscht, nämlich ein Bild der Liebe, die mir jeden Tag zur Wonne und jede Stunde zum Vergnügen macht. Und diese Spenderin des Glückes auch während der Reise bei sich haben zu können, das ist eine Seligkeit, die mir auf unsern früheren Ritten leider versagt bleiben mußte. Ich habe gesagt, daß es früher schön war, und möchte aber behaupten, daß es jetzt fast noch schöner ist! Verstehst du mich nun?«

»Ja.«

»Hast du denn mit deiner Emmeh noch niemals eine Reise gemacht?«

»O doch!«

»Da hast du natürlich auf dem Pferde gesessen und sie im Tachtirwan?«

»Nein. Tachtirwanat gibt's bei uns nicht.«

»Nicht? So hat sie frei auf dem Kamele gesessen?«

»Auch nicht. Im Abendlande reist man nicht per Kamel, sondern in der Karrusa oder in dem Katr.«

»Allah! Wer darf im Katr fahren?«

»Jeder, der seinen Tiskri bezahlt hat.«

»Auch Frauen?«

»Ja.«

»Aber neben dem Weibe eines andern zu sitzen, das ist doch wohl sehr streng verboten?«

»Nein.«

»Unmöglich! Sihdi, sag aufrichtig, ob du, nämlich du auch schon einmal im Katr neben einer Frau gesessen hast, weiche in den Harem eines andern Mannes gehörte!«

»Schon oft! Ich bin nicht nur mit fremden Frauen, sondern sogar mit fremden Töchtern gefahren.«

»Und wie steht es mit deiner Emmeh, der jugendlich schönen Bewohnerin deines Frauenzeltes, hat die auch schon neben andern Männern sitzen müssen?«

»Ja.«

»So verderbe Allah eure Eisenbahnen bis in den allertiefsten Abgrund der Hölle hinab! Wenn nicht nur mein Weib, weiches ich allein besitze, sondern auch alle meine Töchter, die ich glücklicherweise noch nicht habe, es sich gefallen lassen müssen, daß jeder fremde Stadtbewohner und jeder unbekannte Beduine sich im Katr an ihre Seite setzen darf, so mag ich von eurem Abendlande kein Wort weiter hören! Sihdi, du weißt, wie sehr ich dich liebe und wie hoch ich dich achte; aber nun ich weiß, daß du neben fremden Frauen und Töchtern gesessen hast, die nicht in deinem Zelte geboren worden sind, und daß du sogar auch deiner Emmeh erlaubst, mit Männern zu reisen, an welche sie kein Akd en Nikah bindet, nun wird es mir wohl nicht mehr leicht sein, dich als meinen besten Freund, den ich im Herzen trage, mit Anerkennung zu beehren! Die Schienen eurer Eisenbahn haben sich zwischen mich und dich gelegt, und unsere Herzen sind einander so entfremdet worden, daß sie durch keinen Wabur wieder verbunden werden können. Ich lasse dich allein und gehe zu meiner Hanneh, um in meiner großen Betrübnis Trost bei ihr zu finden!«

Wer meinen lieben, kleinen Halef kennt, dem kommt dieses Verhalten nicht fremd vor; für diejenigen, weiche noch nichts über ihn gelesen haben, seien folgende kurze Bemerkungen bestimmt:

Hadschi Halef Omar, jetzt der oberste Scheik der Haddedihn-Beduinen, vom großen Stamme der Schammar, war früher ein blutarmes Kerlchen gewesen. Er stammte aus der westlichen Sahara, hatte mich als mein Diener nach Osten begleitet und war da so glücklich gewesen, die Tochter eines Scheikes der Ateibeh-Araber zur Frau zu bekommen. Dieser letztere wurde später von den Haddedihn zum Scheik gewählt und bekam, da er keinen Sohn hatte, meinen Halef als seinen Schwiegersohn zum Nachfolger.

Dieser war von Person sehr klein und hager, dabei aber von ungewöhnlicher Tapferkeit und von einem Mute, der sehr gern verwegen wurde und darum von mir oft in die Zügel genommen werden mußte. Ein guter Schütze, auch sonst sehr waffengewandt, ausdauernd, körperkräftig, außerordentlich mäßig, ein vortrefflicher Reiter, pfiffig und mutterwitzig, besaß er ein treues, goldenes Herz, in weichem keine Spur von Falschheit entdeckt werden konnte. Früher war ich seine einzige Liebe gewesen; später mußte ich diese Liebe mit seinem Weibe und seinem Sohne teilen, wodurch mir aber kein Verlust geschah. Die Zärtlichkeit, mit weicher er an Hanneh, seiner Frau, hing, war nicht nur rührend, sondern fast beispiellos zu nennen. Sein erster Gedanke früh und sein letzter abends gehörten ihr. Es war ihm beinahe unmöglich, ihren Namen auszusprechen, ohne ihm einige der vorzüglichen Eigenschaften anzuhängen, weiche sie in seinen Augen besaß. Kara Ben Halef, sein und ihr Sohn, ihr einziges Kind, zählte jetzt schon fast zwanzig Jahre, und die Frauen des Orients altern bekanntlich sehr schnell; aber dennoch war meine Hanneh, die »herrlichste Rose unter allen Blüten des Blumenreiches«, für ihn genauso jung und schön geblieben, wie er sie vor dieser langen Zeit bei ihrem ersten Zusammentreffen gesehen hatte; ja, seine Liebe zu ihr schien gewachsen zu sein.

Sie war aber auch – ich möchte mich so ausdrücken: eine Prachtfrau! Ich glaube nicht, daß eine andere den kleinen, voll bunter Raupen steckenden Hadschi so richtig behandelt hätte, wie sie es tat. Sie beherrschte ihn vollständig, doch mit einer so liebevollen, stets freundlichen. scheinbar nachgebenden Klugheit, daß er ihr Pantöffelchen gar nicht fühlte und auch nicht die geringste Ahnung davon hatte, daß nicht er, sondern eigentlich sie der Scheik des Stammes war, wobei sich die Haddedihn allerdings sehr wohl befanden.

Eine seiner Eigentümlichkeiten war, daß er sich nicht nachhaltig in die Verhältnisse des Abendlandes denken konnte. Ich hatte es ihm in unzähligen, verschiedenen Bildern beschrieben, hatte ihm die zwischen dem europäischen und dem orientalischen Leben vorhandenen Unterschiede bei tausend Gelegenheiten geschildert, sah aber nicht den geringsten Erfolg davon. Er sprach trotzdem immer von meinen Zeiten, von meinen Kamelen und von meinen Dattelpalmen. Eine weitere Eigenheit von ihm war, daß er gern sprach, besonders sehr gern erzählte, und zwar in jenen orientalischen Redeblumen, welche gern zu Übertreibungen werden. Wenn ich ihn in dieser Weise sprechen lasse, ohne seine Vergrößerungen auf das richtige Maß zurückzuführen, so geschieht dies, um ihn nach der Wahrheit zu zeichnen, keineswegs aber um mich mit seiner Ausdrucksweise einverstanden zu erklären. Besonders wenn er von unsern Erlebnissen erzählte, nahm er den Mund in einer Weise voll, daß ich ihn häufig unterbrechen mußte. Der Orientale freilich ist das so gewöhnt, daß er gar nichts Auffälliges daran findet.

Seit er wußte, daß ich verheiratet war, sprach er gelegentlich auch von meinem »Harem«, von meinem Frauenzelte. Emma, den Namen meiner Frau, hatte er in Emmeh umgemodelt, und es verstand sich bei ihm ganz von selbst, daß die Verhältnisse dieser meiner Emmeh ganz genau dieselben wie diejenigen seiner Hanneh seien. Mein Harem durfte nicht den geringsten Vorzug vor dem seinigen besitzen, und durch die leiseste Andeutung eines Vorteiles des meinigen vor dem seinigen konnte ich ihn, wie man sich auszudrücken pflegt, fuchsteufelswild machen.

Zu erwähnen darf ich nicht vergessen, daß er sich früher alle mögliche Mühe gegeben hatte, mich zum Islam zu bekehren; aber die von ihm damals nicht geahnte Folge davon war, daß er jetzt Isa Ben Marrynam hoch über Muhammed stellte; er war in seinem Innern Christ geworden und nicht nur seine Hanneh, sondern auch die meisten Haddedihn mit ihm.

Unsere früheren Reisen hatten wir meist allein oder doch mit nur geringer, gelegentlicher Begleitung unternommen; dieses Mal aber befanden wir uns in größerer Zahl beisammen, und das war folgendermaßen gekommen:

Der Araber ist der Ansicht, daß die Ehre um so größer sei, je länger der Name ist; darum pflegt er seinem Namen diejenigen seiner nächsten Vorfahren anzuhängen. So nannte sich Halef, als ich ihn kennen lernte, Hadschi Halef Omar Ben Hadschi Abul Abbas Ibn Hadschi Dawuhd al Gossarah. Sein Vater hatte also Abul Abbas und sein Großvater Dawuhd al Gossarah geheißen. Ihnen beiden und auch sich selbst gab er den Titel Hadschi, welcher einen Mohammedaner bezeichnet, der in Mekka gewesen ist. Dabei aber war weder er selbst noch sein Vater oder sein Großvater jemals dort gewesen.

Später kamen wir allerdings einmal nach dieser heiligen Stadt des Islam, aber nur für kurze Zeit; ich wurde als Christ erkannt, mußte fliehen und kam glücklicherweise mit dem Leben davon.

Seit jener Zeit war es einer meiner größten Wünsche, noch einmal nach Mekka zu gehen. Ich war erfahrener als damals, geübter in der Sprache und bewanderter in den Umgangsformen. Ich kannte jetzt die religiösen Gebräuche und alle darauf bezüglichen Maßregeln und Äußerlichkeiten so genau, daß ich gewiß sein konnte, für einen Mohammedaner gehalten zu worden. Erst jetzt sah ich es ein, welche Verwegenheit es damals von mir gewesen war, eine Stadt zu betreten, in welcher jeden Christen der fast sichere Tod erwartet, und um so reger wurde das Verlangen, es mit dieser Gefahr noch einmal, und zwar besser vorbereitet, aufzunehmen. Ich hatte den Islam und den größten Teil der von seinen Bekennern bewohnten Länder kennen gelernt; ich war zweimal in Kairwan gewesen, der den Christen damals auch streng verbotenen heiligen tunesischen Stadt, und hatte das Wagnis glücklich überstanden; warum sollte ich nicht wenigstens den Versuch machen, diesen meinen Wanderstudien durch einen längeren Aufenthalt in Mekka einen befriedigenden Abschluß zu geben? Freilich wußte ich gar wohl, daß dieses Unternehmen grad für mich gefährlicher als für jeden andern war. Die mohammedanischen Gegenden und Orte, wo man mich als Christen kennen gelernt hatte, waren gar nicht herzuzählen. Ich hatte mir da viele, viele Freunde erworben, aber auch manchen Schurken zum unversöhnlichen Feind gemacht. Dazu kam, daß meine Gesichtszüge leider so charakteristisch sind, daß sie sich selbst einem gewöhnlichen Gedächtnisse für lange Zeit, wenn nicht für immer, einprägen. Durfte ich erwarten, daß während meiner Anwesenheit in Mekka keiner von den vielen Menschen, die mich kennen gelernt hatten, dort sein werde? Also, ich wußte sehr wohl, was ich wagte; aber die Gefahr lockte fast noch mehr als der Wunsch selbst, und so nahm der Vorsatz, diesen letzteren auszuführen, schließlich eine solche Festigkeit an, daß es weiter nichts als nur der Gelegenheit dazu bedurfte.

Sie ließ nicht auf sich warten; sie stellte sich durch meinen diesmaligen Besuch bei den Haddedihn ein. Halef war gewöhnt, daß ich stets, wenn ich zu ihm kam, einen längeren Ausflug mit ihm unternahm. Als er mich fragte, welche Gegend ich jetzt besuchen wolle, und ich ihm nur das eine, aber bedeutungsvolle Wort Mekka sagte, erschrak er zunächst, fühlte sich dann aber, grad so wie ich, von der Gefahr doppelt angezogen. Für ihn war natürlich die Hauptfrage, was seine Hanneh, die »wohltätige Pflegerin seines Erdenglückes«, dazu sagen werde. Wir besprachen darum erst alles unter vier Augen und begannen dann, hie und da eine vorsichtige Bemerkung fallen zu lassen, weiche auf unsere eigentliche Attacke vorbereiten sollte. Aber die kluge »Sonne unter allen Sternen des Frauenfirmamentes« durchschaute uns schon nach den ersten, leisen Andeutungen und forderte uns auf, nicht mit ihr Versteckens zu spielen, sondern mit der Wahrheit offen hervorzutreten. Dem Hadschi erschien das doch zu gewagt; er verschwand schleunigst aus dem Zelte, in welchem wir mit ihr saßen. Ich blieb und teilte ihr nun aufrichtig meine Absicht mit und den darauf bezüglichen Wunsch, daß Halef mich begleiten möge. Jetzt war ich voll gespannter Neugierde, was sie antworten werde. Sie sah eine Weile schweigend und überlegend vor sich nieder und sagte dann:

»Er soll dich nicht allein begleiten, Effendi; ich reite mit!«

Man mag sich mein frohes Erstaunen denken! Sie sah es mir an und fuhr lächelnd fort:

»Das hast du nicht erwartet? Und doch ist der Grund so leicht erklärlich! Ich weiß, daß du ein verständiger Mann bist und will dir darum eine Frage anvertrauen: Hast du in deinem Herzen einmal gefühlt, was Ischtijak el Waten ist?«

»Ja«, antwortete ich.

»In deinem eigenen Herzen?«

»Ja.«

»So darf ich dir gestehen, daß ich diese Sehnsucht schon oft empfunden habe und auch noch jetzt in mir trage. Du weißt, daß ich eine Tochter der Ateibeh bin, und hast mich und meinen Stamm in der Nähe Mekkas kennen gelernt. Dort sind die lichten Tage meiner Kindheit verflossen, ich weiß nicht, ob du es glaubst, ich aber halte es für wahr, nämlich daß das Herz des Menschen, je älter er wird, um so mehr nach den Orten verlangt, welche seine Jugend gesehen haben. Ich liebe meinen Halef und auch Kara Ben Halef, meinen Sohn; ich bin glücklich in dieser meiner und in ihrer Liebe; aber neben diesem Glücke wohnt das Verlangen, die Matarih el Watan einmal wiedersehen zu dürfen. Ich bitte dich, Halef nichts davon zu sagen, denn es würde ihn betrüben, zu erfahren, daß ich Sehnsucht leide! Für diese Verschwiegenheit sollst du die Erfüllung deines Wunsches haben. Er darf dich begleiten, und ich reite mit.«

»Und Kara Ben Halef, euer Sohn?« fragte ich.

»Ihn hier zu lassen, würde mir unmöglich sein; er geht auch mit. Ja, ich glaube, daß du noch größere Begleitung bekommst. Du weißt zwar, daß unsere Haddedihn den Propheten längst nicht mehr so verehren wie zu der Zeit, als sie dich noch nicht kannten, aber Mekka selbst ist vielen von ihnen doch noch eine wichtige Stadt, und wenn sie erfahren, daß wir hinwollen, wird mancher von ihnen sich bereit erklären, mitzureiten. Wirst du etwas dagegen haben?«

»Nein. Ich kann als Christ im Gegenteile nur wünschen, möglichst viele Freunde bei mir zu haben, die im Augenblicke der Gefahr an meiner Seite stehen.«

»So sind wir also einig, und ich werde jetzt gleich Halef suchen, um ihm zu sagen, daß er seine Vorbereitungen beginnen könne.«

Das war ihre mir wohlbekannte Energie. Wenn sie einmal einen Entschluß gefaßt hatte, so pflegte sie mit der Ausführung desselben nicht auf sich warten zu lassen. Wie glücklich sie den Hadschi mit ihrer so unerwartet schnellen Einwilligung machte, das wußte ich nicht nur, sondern ich bekam es auch schon nach kurzer Zeit zu hören, als er freudestrahlend mich aufsuchte und mir sagte:

»Effendi, sie hat ja gesagt, sie, die liebenswürdigste unter allen irdischen Liebenswürdigkeiten! Wir gehen nach Mekka, ja wir gehen wirklich hin. Ich habe es soeben öffentlich verkündigen müssen. Da werden wir wieder einmal große Taten der Tapferkeit verrichten und Werke der Kühnheit vollbringen, die unsern Ruhm in alle Länder tragen. Unsere Kindeskinder werden uns ehren und unsern Enkel und Urenkelnachkommen unser Lob verkünden vom Aufgang bis zum Niedergang der Sonne! Habe ich nicht ein herrliches Weib, Sihdi?«

»Ja«, nickte ich; »deine Hanneh ist ganz gewiß die herrlichste aller Frauen!«

»Ganz gewiß! Richtig! Aber deiner Emmeh auch! Und damit es zu keinem Streite und Zusammenstoße zwischen ihnen komme, wollen wir vorsichtig sein und folgendermaßen beschließen: Meine Hanneh ist die herrlichste Frau des Morgen und deine Emmeh ist die herrlichste Frau des Abendlandes. Bist du damit zufrieden?«

»Ja.«

»Du kannst da aber auch wirklich ganz zufrieden sein, denn wenn du dadurch von mir ohne alle Widerrede die herrlichste Frau des Abendlandes bekommen hast, darf keine andre dort von nun an wagen, sich mit ihr zu vergleichen. Sage ihr das, wenn du in dein Duar heimkehrst, damit sie erkenne, was für ein Freund ich von dir bin und also auch von ihr! Allah erhalte sie jung, ergebe ihr schwarzgefärbte Augenwimpern, seidene Bänder in die Zöpfe und die schönsten, roten Fingernägel!«

Es meldeten sich auch wirklich so viele Haddedihn, daß sie gar nicht alle mitgenommen werden konnten, sondern eine Auswahl getroffen werden mußte. Der Ritt durch die großen arabischen Wüsten wäre des Wassers wegen um so schwieriger gewesen, je mehr Personen sich an demselben beteiligten. Und bei einer so großen Schar, wie sich gemeldet hatte, hätten wir an einen längeren Aufenthalt in Mekka gar nicht denken können. Darum wurde bestimmt, daß für jetzt nur fünfzig Krieger teilnehmen durften; den andern wurde es freigestellt, dann wieder eine Auswahl unter sich zu treffen und die durch sie bestimmten dann nachfolgen zu lassen. Es war nämlich jetzt noch nicht die Zeit der eigentlichen Hadsch, des großen Pilgerzuges. Da bei diesem die Scharen der Mohammedaner zu vielen, vielen Tausenden aus allen Himmelsrichtungen in Mekka zusammenströmen, so war zu dieser Zeit die Gefahr des Erkanntwerdens am größten. Darum wollten wir jetzt schon hin, wo der Andrang nicht so groß war und ich meine Studien mit mehr Muße machen konnte., Waren wir dann bei der Ankunft der großen Hadsch noch dort und ich fand Grund, mich schnell in Sicherheit zu bringen, so konnte ich das in dem befriedigenden Bewußtsein tun, meinen Zweck trotzdem und schon vorher erreicht zu haben. Es zwang uns ja nichts, zur eigentlichen Pilgerzeit in der Stadt der Kaaba einzutreffen, weil der Moslem auch außerhalb derselben, während des ganzen Jahres, seinen religiösen Obliegenheiten dort nachkommen und die ihm nach seiner Ansicht dafür gebotenen geistlichen Vorteile sich aneignen kann. Über die von der mohammedanischen Priesterschaft verbreitete Annahme, daß eine Minute Aufenthalt in Mekka während der Hadsch wertvoller sei und mehr Segen bringe als ein ganzer Tag zu gewöhnlicher Zeit, waren, von mir gar nicht zu sprechen, Halef und seine Haddedihn schon längst hinaus. Sie schenkten dieser Versicherung keinen Glauben.

Einige der Männer, weiche uns begleiteten, wollten ihre Frauen mitnehmen, wozu wir aber unsere Einwilligung nicht gaben, weil uns schon die Rücksicht auf Hanneh allein genug hinderte, so zu reisen, wie wir es ohne sie hätten tun können. Bemerken will ich, daß auch Omar Ben Sadek, den die meisten meiner Leser schon kennen gelernt haben, mit bei den Auserwählten war.

Als Maßregel zu meiner Sicherheit wurde beschlossen, daß ich während dieser Reise nicht Kara Ben Nemsi genannt werden sollte. Dieser Name war so bekannt, daß er mir jetzt nur Verlegenheiten, wenn nicht noch mehr, bereiten konnte. Halef machte da in seiner eigenartigen Weise die Bemerkung:

»Da siehst du, Sihdi, wie sehr wir beide den großen berühmten Beherrschern der Erde gleichen: Wir müssen den Abglanz unserer Herrlichkeit hinter einem fremden Namen verstecken. Zwar ist das dieses Mal nicht auch bei mir, sondern nur bei dir der Fall, aber wie du dich in meinen Strahlen sonnen darfst, so muß auch mich der wohltätige Schatten deines Madschhul treffen. Wie aber sollen wir dich nennen? Hast du vielleicht schon über einen andern Namen nachgedacht?«

»Nein. Es handelt sich auch nicht nur um den Namen.«

»Ja, richtig. Wir müssen auch wissen, wie wir zu antworten haben,wenn wir gefragt werden, was du bist.«

»Am einfachsten wäre es, mich für einen Haddedihn auszugeben.«

»Nein, das geht nicht, Sihdi, denn da würde deine Herrlichkeit so vollständig verschwinden, daß sie später vielleicht gar nicht wiederzufinden wäre. Auch will ich stolz darauf sein können, daß du bei uns bist, darum müssen wir dir einen Namen und eine Würde erteilen, welche unbedingt zur Achtung fordern. Am besten ist es, wir geben dich für einen großen Gelehrten aus. Ist dir das recht?«

»Ja.«

»Woher bist du?«

»Aus irgendeinem mohammedanischen Lande, aber ja nicht aus einer Stadt, weil jeder, der von dort nach Mekka kommt, diesen Gelehrten kennen müßte.«

»Erlaubst du, im fernen Moghreb, welcher meine Heimat ist, geboren worden zu sein?«

»Ja.«

»Du hast dort im Wadi Draha das erste Licht der Welt erblickt?«

»Sehr gern!«

»Und von welcher Art ist deine Gelehrsamkeit?«

»Das überlasse ich dir, lieber Halef.«

»Gut! Weil du so bescheiden bist, werde ich dich sehr hoch erheben. Du beschäftigst dich nämlich gar nicht mit einer einzigen Art der Wissenschaft, sondern deine unendliche Weisheit ist in die Höhen und in die Tiefen aller Ulum eingedrungen. Oder ist dir das noch zu wenig?«

»Es genügt einstweilen.«

»Schön. Ein solcher Mann muß sehr berühmte Ahnen und also einen langen Namen haben. Ich werde dir ihn jetzt diktieren. Schreib ihn sogleich auf, damit wir ihn festhaben und ihn auswendig lernen können!«

Ich folgte mit stillem Vergnügen dieser seiner Aufforderung. Er ging sinnend hin und her und brachte nach und nach, Glied für Glied, folgende Schlange zum Vorscheine:

»Hadschi Akil Schatir el Megarrib Ben Hadschl Alim Schadschi er Rani Ibn Hadschi Dajim Maschhur el Azami. Ich hoffe, daß dieser schöne Name deinen Beifall, hat!«

In deutscher Sprache würde die Riesenschlange heißen: Hadschi Vernünftig Klug, der Erfahrene, Sohn des Hadschi Weise, Tapfer, der Reiche, Sohn des Hadschi Unsterblich, Berühmt, der Herrliche. Das war doch wohl mehr als genug? Dennoch hatte er noch ein übriges getan und mir und meinen mir bisher völlig unbekannten Vorfahren den Ehrentitel Hadschi verliehen. Mehr konnte ich doch unmöglich verlangen! Trotzdem antwortete ich, natürlich nur in der Absicht, ihn zu necken:

»Du scheinst zu glauben, mich mit ihm sehr zufrieden gestellt zu haben, irrst dich aber, er könnte länger und besser sein!«

»Länger – – – besser – – – ?!«

Sein Mund blieb vor Verwunderung offen. Er sah mich eine Weile mit großen Augen an und brach dann zornig los:

»Wie – – wie könnte er sein? Länger könnte er sein, und besser könnte er sein? Soll ich ihn etwa von hier bis hinauf zum Monde und dann wieder herunter dehnen? Soll ich alle sieben Himmel Muhammeds plündern, um noch mehr Worte der Pracht und der Erhabenheit für dich zusammenzustehlen? Wie kommst du zu dieser mich beleidigenden Unzufriedenheit. Hast du den Namen bei mir bestellt, oder habe ich ihn dir freiwillig, also aus eigenem Antriebe, gegeben?«

»Freiwillig.«

»Hast du ihn mir bezahlt, oder wirst du ihn bezahlen?«

»Nein.«

»Du mußt also zugeben, daß er ein Geschenk von mir ist?«

»Ja.«

»Gut, so hast du deine Undankbarkeit in ihrer ganzen kolossalen Größe eingestanden! Ich mache dir aus eigenem Antriebe, aus der Tiefe meines freigebigen, mildtätigen Herzens heraus einen neuen Namen, den du brauchst, zum Geschenk! Ich suche in allen Winkeln und Ecken der menschlichen Sprachfertigkeit herum, um das Beste, was dort hingelegt und an den Wänden aufgehängt worden ist, herauszufinden! Ich wähle die glänzendsten Worte, die prächtigsten Ausdrücke und füge sie für dich mit einem so tiefen Verständnisse, mit einer so bewundernswerten Sachkenntnis zusammen, wie der Dschauhardschi die seltensten Edelsteine und die köstlichsten Perlen zu einer Halskette zusammensetzt! Ich überreiche dir dieses unübertreffliche Geschenk, indem ich es dir mit meinem eigenen Munde mühsam diktiere! Und nun du es empfangen hast, was tust du? Du drehst es in deinen Gedanken und in deinen Händen unzufrieden hin und her; du wirfst die Nichtwohlgewogenheit deiner unfreundlichen Blicke darauf und beleidigst den Hintergrund meiner Seele und den Vordergrund meines Herzens durch die schreiende Ungerechtigkeit des unsachgemäßen Vorwurfes, daß diese Juwelenkette, dieses ganz unzahlbare Geschmeide, diese geradezu diamantene Freundschafts- und Ehrengabe länger und auch besser sein könne! Wenn das nicht eine Undankbarkeit ist, die dich um meine ganze Achtung und Gegenliebe bringen muß, so habe ich noch nie gewußt, was überhaupt Undank ist! Du hast mit der Hacke deiner Unerkenntlichkeit und mit der Schaufel deiner habsüchtigen Unzufriedenheit zwischen mir und dir einen tiefen Abgrund gegraben, dessen Breite ich nicht überspringen könnte. wenn ich hinüberwollte. Das Schicksal hat unsere Trennung beschlossen; das Fatum reißt uns für ewig auseinander, und wir werden, ich hüben und du drüben, von jetzt an einsam durch das Leben gehen und beide für alle Zeit auf dich verzichten! Lebe wohl, Sihdi, lebe wohl!«

Er verließ das Zelt, und ich prägte mir in größter Seelenruhe den Namen ein; ich wußte ja, wie es kommen würde! Und es kam wirklich so! Nach vielleicht einer Viertelstunde zog er den Vorhang, welcher den Eingang bildete, auseinander und steckte den Kopf herein.

»Sihdi!« sagte er.

»Was?« fragte ich.

»Ich war bei Hanneh, der trauten Krone aller Weiber!«

»So!«

»Ich habe es ihr erzählt!«

»So!«

»Weißt du, was sie machte?«

»Ja.«

»Was?«

»Sie lachte dich aus!«

»Nein, nicht ausgelacht, sondern sie lächelte nur. Dann gab sie mir einen Rat.«

»Welchen?«

»Den allerbesten, den es geben kann, denn du mußt wissen, daß Hanneh, mein Stern im Wachen und im Träumen, stets nur den besten Rat zu finden weiß. Sie fand den Namen nämlich auch für dich zu kurz.«

»Das war klug von ihr!«

»Und sagte, ich solle noch den Großvater deiner Urgroßmutter hinten anhängen.«

»Schön! Hast du den gekannt?«

»Nein; aber nimm das Papier, und schreib ihn noch hin! Sein Name war Ben Hadschi Taki Abu Fadl el Mukarram.«

Ich schrieb die Worte, welche in deutscher Übersetzung »Sohn des Hadschi Fromm, Vater der Güte, der Ehrwürdige« heißen.

»Hast du nun den ganzen Namen?« fragte Halef jetzt.

»Ja.«

»Lies ihn einmal vor!«

»Hadschi Akil Schakir el Magarrib Ben Hadschi Alim Schadschi er Rani Hadschi Dajim Maschhur ei Azami Ben Hadschi Taki Abu Fadl el Mukarram.«

»Schön! Was sagst du nun dazu?«

»Er gefällt mir außerordentlich.«

»Du bist also nun zufrieden?«

»Sehr.«

»Du bist also einverstanden, daß wir dich so heißen?«

»Ja.«

Da hellte sich sein Gesicht schnell und vollständig wieder auf, und er sagte im frohen Tone:

»Hamdulillah! Allah sei Lob und Dank gesagt, daß es mir gelungen ist, diesen deinen Abgrund wieder zuzuschaufeln! Nun sind wir die alten Freunde und können wieder, wie vorher, in Wonne miteinander verkehren. Ich sage dir, daß ich es hüben auf meiner Seite nicht ausgehalten hätte, wenn du immer hättest drüben bleiben müssen! Ich werde es mir aber zur Warnung dienen lassen und nie in meinem Leben wieder so unvorsichtig sein, die Namen von verstorbenen Personen zu entdecken, die gar nicht gelebt haben! Jetzt bitte ich dich, mit herauszukommen! Die Dschemmah tritt zusammen, um darüber zu beraten, wer und in welcher Weise er während meiner Abwesenheit den Stamm regieren soll. Da mußt du auch dabei sein, denn so oft und so lange du bei uns bist, giltst du genau so, wie wir alle, als mitten zwischen unsern Herden geborenes Mitglied der Haddedihn vom großen, berühmten Stamme der Schammar.«

Das war richtig. Ich mußte, wenn ich mich bei diesen guten Leuten befand, an allen ihren Beratungen teilnehmen und wußte die Ehre, welche mir dadurch erwiesen wurde, gar wohl zu schätzen. Die Schammar haben ihren Namen von dem in Arabien südlich von der Wüste Nefuhd liegenden Dschebel Schammar, den sie als Mittelpunkt ihres ausgedehnten Gebietes betrachten. Als Angehörige dieses Stammes hätten wir eigentlich jetzt dorthin reiten sollen, zumal der nächste und auch beste Weg nach Mekka über den Dschebel Schammar führte; aber ich war mit Halef und seinem Sohne dort gewesen; man kannte mich als Christ, und es wäre gar nicht zu verheimlichen gewesen, daß ich auch mit nach Mekka wollte. Das hätte sehr wahrscheinlich nicht nur zu Verdrießlichkeiten, sondern sogar zu ernsten Auftritten Veranlassung gegeben, welche zu vermeiden, wir lieber einen Umweg machen und den Dschebel Schammar gar nicht berühren wollten. Leicht war das freilich nicht, besonders der uns unbekannten Wasserverhältnisse wegen. Fünfzig Mann mit Pferden und Kamelen wollen trinken, und in der arabischen Wüste, die nicht weniger schrecklich als die Sahara ist, kann der Wassermangel leicht verderblich werden. Glücklicherweise hatte ein Krieger vom Beduinenstamme der Beni Harb sich eines Haddedihnmädchens wegen, weiches er liebte, aber nicht dazu bewegen konnte, ihm zu seinem Stamme zu folgen, in den ihrigen aufnehmen lassen. Er war ein ernster, gewandter, sehr erfahrener und zuverlässiger junger Mann, der die Gegend, durch welche wir reiten mußten, sehr genau kannte. Dieser behauptete, genug Bijar und Ujun zu kennen, wo wir Wasser finden würden; er werde unser Führer sein, und wir könnten ihm getrost unser Vertrauen schenken. Wir beschlossen, uns an diese seine Versicherung zu halten, worauf er nicht wenig stolz war, und haben es auch darum nicht zu bereuen gehabt.

Für Hanneh wurde ein großer Tachtirwan bestimmt, den zwei Kamele zu tragen hatten. Er war sehr geräumig und bequem; sie konnte sitzen oder liegen, wie sie wollte, und sogar auf den Kissen sich ganz ausstrecken. Ein Dach aus bunten, reichgestickten Stoffen bot ihr genügenden Schutz vor den Sonnenstrahlen. Da unser Weg durch die Wüste führte und wir fünfzig Krieger zählten, mußten wir darauf verzichten, diese Leute mit Pferden beritten zu machen, welche täglich trinken müssen. Die Haddedihn sind berühmt wegen ihrer Zucht vortrefflicher Reitkamele; sie besitzen große Herden dieser Tiere, und so konnten wir also eine gute Auswahl treffen. Das Reitkamel wird Hedschihn genannt, während das Lastkamel Dschemal heißt. Die besten Reitkamele sah man früher beim Stamme der Bischari, weshalb sie Bischarihnhedschihns genannt wurden. Der Plural lautet Hudschuhn. Die Schammar und also auch die Haddedihn sind so klug gewesen, sich dieses vorzügliche Material zu erwerben, und züchten nun Reitkamele, welche denen der Bischari wenigstens gleichkommen, aber meiner Ansicht nach sie sogar übertreffen.

Also solche Hudschuhn wollten wir reiten. Die mausgrau gefärbten hält man für die besten und ausdauerndsten Renner. Halef suchte deren mehrere für sich und mich und auch als Reserve aus. Außerdem war es uns beiden, aber auch nur uns, keinem andern Haddedihn, gestattet, unsere Pferde mitzunehmen. Der Hadschi behauptete, daß dies zu Repräsentationszwecken notwendig sei. Da er der berühmte Scheik der Haddedihn sei und ich der ebenso berühmte Gelehrte Hadschi Akil Schatir el Megarrib aus dem fernen Wadi Draha, so gehe es gar nicht anders, als daß wir in der heiligen Stadt und deren Umgebung und auch sonst bei wichtigen oder festlichen Gelegenheiten vorzügliche Pferde von reinstem Blute reiten müßten. Sein Rappe hieß Barkh und war ein ganz vorzüglicher Nedjedihengst. Mein Pferd, auch ein Rapphengst, war Assil Ben Rih, ein gleichwertiger Sohn meines herrlichen Rih, welcher unter mir erschossen wurde. Die Kugel, welche ihn traf, hatte eigentlich meinem Herzen gegolten. Zahllose Briefe meiner Leserinnen und Leser sprechen von den Tränen, weiche beim Lesen seines Todes vergossen worden sind. Man braucht sich ihrer nicht zu schämen. Mir selbst werden noch heut die Augen naß, wenn ich an diese traurige, ergreifende Szene denke. Jetzt ritt ich, wie bereits gesagt, Assil, seinen ebenbürtigen Sohn, der mich schon mit hohen Ehren durch ganz Persien getragen hatte und ein hochedles Pferd war, auf welches ich mich in jeder Beziehung verlassen konnte. Er war mir lieber als Halefs Barkh.

Noch kurz vor unserm Aufbruche konnte Halef den dringenden Bitten seines Sohnes, doch auch für ihn ein Pferd mitzunehmen, nicht mehr widerstehen. Es wurde für ihn die herrliche Schimmelstute Kawamah bestimmt, eine Tochter von jener weißen, berühmten Stute, welche das Pferd Muhammed Emins, des früheren Scheikes der Haddedihn, gewesen war.

Als wir dann unterwegs waren, bildeten wir mit den Kamelen, welche die Wasserschläuche und andere notwendige Sachen zu tragen hatten, eine ganz hübsche und, wie Halef sich stolz ausdrückte, »wie das Eigentum eines Königs aussehende« Kavalkade. Selbst bei Kamelen sehen Rassetiere eben ganz anders aus als gewöhnliche, vielleicht gar abgenutzte Exemplare! Hierbei will ich die vielleicht nicht ganz unnötige Bemerkung machen, daß man die Unwahrheit sagt, wenn man behauptet, das Kamel könne über eine Woche lang dürsten, und es komme vor, daß die Wüstenreisenden dadurch vor dem Tode des Verschmachtens gerettet werden, daß sie ein Kamel erstechen und das in dem Magen desselben befindliche Wasser trinken. Die Wahrheit ist, daß das Kamel in Beziehung auf das Futter genügsam ist und mit dornigen und stacheligen Gewächsen für lieb nimmt, welche kein Pferd fressen würde; es zeigt sich auch in dieser Hinsicht als brauchbares Wüstentier.

Sodann kann es infolge seines weiten Magens eine ungewöhnliche Menge Wasser zu sich nehmen, welche länger reicht als bei dem Pferde; aber schon am zweiten Tage hat es wieder Durst; am dritten wird es schwach und am vierten hinfällig, wenn es Lasten zu tragen hat. Es kommt ja auch auf die Leistungen an, welche man von ihm verlangt. Ich bin mit einem vorher tüchtig getränkten Bischarihnhedschihn, welches nach deutschem Gelde wohl 8000 Mark wert war, in drei Tagen und drei Nächten 450 Kilometer geritten, dann aber konnte es vor Durst nicht weiter. Und daß das Magenwasser genießbar sei, ist auch eine alte, ganz unbegründete Fabel. Ich habe viele Kamele kurz und auch später nach dem Tränken schlachten sehen, denn das Fleisch wird ja ganz gern gegessen; aber schon zwei Stunden nach der Annahme des Wassers hatte es das Aussehen von Urin und einen geradezu widerstrebenden Magengeruch. Dann wird es schnell dicker und dunkler, bis es nach kurzer Zeit das Aussehen und auch den Gestank von Jauche hat. Ich würde selbst im höchsten Grade des Durstes keinen Schluck von diesem Mistwasser trinken können, wenn ich auch wollte, und ich würde auch gar nicht wollen, weit ich überzeugt wäre, daß ich an dieser Jauche noch eher als infolge des Durstes sterben müßte. Leider wird die alte, wie es scheint, unausrottbare Fabel noch heut in Schul- und anderen Büchern weiter verbreitet!

Unser eigentlicher Weg wäre bei Hit über den Euphrat und dann in gerader Linie durch die Wüste nach Djof und von da nach Hail, dem Hauptorte des Dschebel Schammar, gegangen. Eine südlichere Linie geht von Hilleh aus um den Nedschef-See herum und später über den Dschebel Daharah direkt nach Hail. Wir hielten die Mitte zwischen beiden ein, gingen an dem Daharah weit vorüber und suchten das berühmte Wadi Rumeni zu gewinnen. Wadi heißt Flußbett und kann nach den dortigen Verhältnissen ein fließendes Wasser, aber auch eine ganz ausgetrocknete Mulde bedeuten.

Hier, also südlich vom Dschebel Daharah war es, wo ich mit Halef voranritt und das am Anfange dieses Kapitels erwähnte Gespräch über die abendländischen Eisenbahnen mit ihm hatte. Ich hatte ihm, wie von so vielen unserer Einrichtungen, auch schon wiederholt von unseren Eisenbahnen erzählt; ich hatte sie ihm beschrieben und ihm ausführlich erklärt, welchen Segen sie bringen und daß sie gar nicht zu entbehren seien. Ich hatte, um ihm das an einem Beispiele zu verdeutlichen, ihn auf die Pferdebahn hingewiesen, welche der so viel und so unschuldig verkannte Midhat-Pascha in Bagdad gebaut hatte, doch das alles vergeblich! Er, der sonst so kluge und einsichtsvolle kleine Mann, konnte sich aus seinem orientalischen Gesichtskreise nicht, herausfinden und hielt alles für unpraktisch oder gar für verwerflich, was nicht mit seinen Gewohnheiten und Erfahrungen übereinstimmte. So war es heut seinem orientalischen Gewissen gradezu als Sünde erschienen, daß es bei uns im Bahnwagen den beiden Geschlechtern erlaubt ist, beieinander zu sitzen. Das war doch ein Verbrechen gegen die allererste und oberste Haremsregel! Die Sache an sich verurteilte er bloß; sie brachte ihn nicht in Aufregung; aber daß ich sie guthieß und mich selbst an dieser Sünde beteiligt hatte, das erregte seinen Zorn und trieb ihn fort von mir!

Ich ließ ihn ohne Sorge zu seiner Hanneh gehen, der er, wie ich wußte, nun sein Herz ausschüttete. Sie pflegte ihm den Turban wieder auf die richtige Stelle zu rücken. Als ich mich einmal umdrehte, sah ich, daß er, neben dem Tachtirwan reitend, sehr angelegentlich mit ihr sprach. Seine Gesten waren dabei äußerst lebhaft; er schien seinen Standpunkt verteidigen zu müssen, also war anzunehmen, daß sie zu meinen Gunsten sprach. Nach einiger Zeit lenkte er sein Hedschihn wieder an die Seite des meinigen, doch sagte er noch nicht gleich etwas, denn die Strafpredigt, welche er mir vorhin gehalten hatte, war so energisch gewesen, daß es ihm jetzt nicht leicht wurde, in Freundlichkeit wieder einzulenken. Er hustete; er räusperte sich wiederholt; endlich begann er:

»Sihdi, denkst du noch an eure Eisenbahnen?«

»Nein«, antwortete ich.

»Aber du scheinst doch so tief in Gedanken zu stecken. Darf ich erfahren, was für welche es sind?«

»Ich denke an die Unzuverlässigkeit der Freundschaft.«

»Das geht natürlich auf mich?«

»Ja.«

»Meine Freundschaft ist gar nicht unzuverlässig; aber sie kann sich nicht gut an die Wagen bei euch gewöhnen, in denen Frauen, Mädchen und fremde Männer beisammensitzen. Das Allerschlimmste ist, daß du selbst auch mit dabeigesessen hast!«

»Glaubst du, daß mir das geschadet hat?«

»Dir? O nein, gewiß nicht?«

»Oder den Frauen und Mädchen?«

»Denen? Gewiß auch nicht, denn du bist ein feiner, ein vornehmer Effendi, der sehr gut weiß, wie er sich zu benehmen hat.«

»Nun, wenn es weder ihnen noch mir etwas geschadet hat, warum bist du da so erzürnt darüber?«

»Weil – hm! – weil es sich nicht schickt!«

»Wer behauptet das?«

»Ich!«

»Du? Das genügt mir nicht. Wer noch?«

»Jeder vernünftige Mann!«

»So? Ich behaupte aber das Gegenteil, bin also ein unvernünftiger Mensch. Ich danke dir, Halef!«

»Sihdi, so – – – habe ich es nicht gemeint; so darfst du es nicht nehmen! Ich kenne dich ja und ich weiß also, daß grad du so viel Vernunft besitzest, daß sie für zehn andere Personen mehr als ausreichen würde. Dich habe ich am wenigsten beleidigen wollen!«

»Nun, wenn ich eine so bedeutende Portion von Vernunft besitze, so bin ich wohl auch befähigt, über unsere Eisenbahnen zu urteilen. Ich nehme an, daß du mit Hanneh darüber gesprochen hast?«

»Ja.«

»Was sagte sie?«

»Ich erzählte ihr, was ich über eure Eisenbahnen von dir gehört hatte, und fragte sie nach ihrer Meinung.«

»Nun? Wie lautete diese?«

»Sihdi, ich kann dir fast nicht wiedersagen, was ich aus dem Munde meiner Hanneh hörte, welche doch der Inbegriff der Zusammenfassung aller weiblichen Klugheit ist. Sie gab dir nämlich recht!«

»Das dachte ich!«

»Wirklich? Du dachtest es? Warum? Ich dachte es nicht!«

»So scheine ich deine Hanneh besser zu kennen als du. Sie will nicht, wie andere Frauen des Orientes, nur die willenlose Spielpuppe ihres Mannes sein, die er vor andern Leuten nicht sehen läßt!«

»Spielpuppe! Sonderbar! Ganz genau dasselbe sagte sie auch! Sie fragte mich, ob sie nur mein Dschidschi oder meine Kukla sei, die kein Mensch sehen dürfe als ich allein. Ja, denke dir, sie drohte mir, nach unserer Rückkehr ein Männerzelt, einen männlichen Harem zu bauen und mich da einzusperren, damit mich keine andere Frau betrachten dürfe. Dann sprach sie sogar von einer ganz armseligen Haremswirtschaft, welche eine große und ganz unverzeihliche Beleidigung aller Frauen sei!«

»Da hat sie recht!«

»Recht? Sihdi, willst du haben, daß Hanneh eine Revolution gegen mich unternimmt?«

»Nein; ich gebe ihr nur recht; was sie macht, das ist ihre Sache.«

»Ich wollte das, was sie eine Beleidigung aller Frauen nannte, nicht einsehen; da erklärte sie es mir.«

»Und dann begriffst du es?«

»Du scheinst wieder einmal alles vorherzuwissen, ehe ich es dir sage! Und es ist ja auch wahr: Hanneh, die schönste Blume im Garten meiner Glückseligkeit, hat eine ganz eigene, eine ganz besondere Weise des Erklärens; sie bringt nämlich keine anderen Gründe, als solche, denen man nicht widerstehen kann. So brachte sie mir auch jetzt zwei Beispiele, mit denen sie mich so überwältigte, daß ich wirklich nicht wußte, was ich weiter sagen sollte.«

»Darf ich erfahren, was für Beispiele das waren?«

»Es war die Rose und die Retschina fena; denke dir!«

Ich mußte über diesen kräftigen Vergleich der guten Hanneh unwillkürlich lachen; da fiel er schnell ein:

»Warum lachst du da? Etwa über mich? Ich kann doch nichts dafür, daß Hanneh, die Wonne meiner Augen, grad auf diese stinkende Retschina fena gekommen ist! Sie fragte mich, ob man jemandem eine Rose zeigen dürfe, und ich mußte dies natürlich bejahen. Hierauf wollte sie wissen, ob es die Höflichkeit gestatte, jemandem ein Stück Retschina fena vor die Nase zu halten, und ich verneinte es. Kaum hatte ich das getan, so warf sie mir vor, daß sie von mir nicht wie eine duftende Rose, sondern wie stinkende Retschina fena behandelt werde. Sie behauptete, die Frauen des Orientes würden von ihren Männern genau so eingewickelt, wie man die Retschina fena einwickelt, damit keine Nase von ihr beleidigt werde; das sei die größte Kränkung, die es geben könne; das müsse anders werden, denn so eine Entwürdigung des weiblichen Geschlechtes könne unmöglich länger geduldet werden! Ich sage dir, sie verlangte in ihrem Zorne auch Eisenbahnen und auch Lokomotiven hierher zu uns; sie wolle sich nicht länger als Retschina fena behandeln lassen, sondern auch im Wagen sitzen wie die Frauen des Abendlandes, die keine Puppen, sondern Herrinnen seien und ganz dieselben Rechte wie ihre Männer hätten! Denke dir, Rechte! Meine Hanneh, die schönste, die ruhigste, die sanfteste, die geduldigste, die liebenswürdigste aller Liebenswürdigkeiten, sprach von Rechten, von denselben Rechten, wie die Männer haben! Ist das nicht unerhört?«

»Nein.«

»Nicht? Wie denn?«

»Ich halte es für selbstverständlich, nicht für unerhört.«

»Aber was soll daraus werden, wenn die Frauen nicht mehr so zurückgehalten werden, wie es jetzt geschieht!«

»Zurückhalten? Meinst du vielleicht, daß sie dann wie wilde Tiere über uns herfallen, um uns zu verschlingen?«

»Nein; du mußt nicht gleich das Allerschlimmste sagen. Ich war aber der Ansicht, daß man ihnen sehr enge Grenzen ziehen muß.«

»Welche Grenzen zum Beispiel?«

»Es muß ihnen verboten sein, auszugehen, sobald es dunkel ist!«

»Gut; weiter!«

»Sie müssen es vermeiden, mit einem Manne, der nicht ihr Mann ist, allein zu sein.«

»Das verlangst du im vollen Ernste?«

»Jawohl! In dieser Beziehung verstehe ich keinen Spaß. Gegen eine Frau, welche diese Gesetze übertritt, muß man sich genau so wie der Padischah gegen seinen Harem verhalten!«

»Wie?«

»Er läßt solche Frauen in einen Sack binden und in das tiefste Wasser werfen.«

»Wirklich?«

»Ja, das tut er, und ich sage, daß dies ganz richtig von ihm ist!«

»Lieber Halef, hast du vielleicht einen Sack mit?«

»Ja, mehrere, für die Pferdedatteln.«

»Sind sie groß genug, eine Frau hineinzustecken?«

»Nein.«

»Schade, jammerschade!«

»Warum?«

»Wir hätten deine Hanneh in einen solchen Sack gesteckt und in das erste Wasser geworfen, weiches wir antreffen.«

»Meine Hanneb? Die allernotwendigste Notwendigkeit zum Glücke meines Erdenlebens?« fragte er erstaunt.

»Leider!« nickte ich sehr ernst.

»Sie in einen Sack stecken?«

»Ja.«

»Und in das Wasser werfen?«

»In die tiefste Stelle sogar!«

»Warum? Sag schnell, warum?«

»Weil sie gegen die beiden Gesetze gehandelt hat, welche du vorhin aufstelltest.«

»Du scherzest, Effendi, du scherzest!«

»Nein. Ich bin Zeuge, daß sie es getan hat!«

»Sihdi, mach mich nicht unglücklich! Meine Hanneh wäre mit einem Manne, der nicht ich war, allein gewesen?«

»Ja; sogar in tiefer Dunkelheit, beim Neumonde, ganz hinter den Zeiten eures Lagers.«

»Ich sterbe! Ja, ich sterbe vor Trauer, obgleich ich es für vollständig unmöglich halte, daß sie dieses größte aller Verbrechen begangen haben kann! Aber du sagst es, Effendi, du, der mein erster und bester Freund ist und mir so etwas nicht mitteilen wird, ohne es beweisen zu können!«

»Ich habe dir schon gesagt, daß ich Zeuge bin, und ich teile dir jetzt mit, daß es noch einen zweiten Zeugen gibt.«

»Noch einen? Der es gesehen hat?«

»Ja.«

»Wer ist das? Sag es! Heraus damit! Diesen Halunken bringe ich augenblicklich um, weil er es mir verschwiegen hat!«

»Lieber Halef, das würde Selbstmord sein!«

»Selbst – – –?«

»Ja, denn du selbst bist dieser zweite Zeuge.«

»Ich – – – ich – – – ich selber!«

»Ja.«

»Effendi, du wirst mir immer unbegreiflicher!«

»Du scheinst es vergessen zu haben; darum will ich deinem Gedächtnisse zu Hilfe kommen. Erinnerst du dich jener Neumondsnacht vor unserem Aufbruche nach dem Tigris, als wir unsere Reise nach Persien antraten?«

»Ja.«

»Da hat, nach Mitternacht sogar, deine Hanneh mit einem Manne, der nicht Hadschi Halef war, eine ziemlich lange Zeit hinter euern Zelten gesteckt.«

Da warf er beide Arme freudig empor und rief, indem er tief und wie von einer großen Last befreit Atem holte, in frohem Tone aus:

»Hamdulillah! Da wird mir ja das Herz gleich wieder leicht! 0 Sihdi, was für eine außerordentliche Bangigkeit hast du in meine Seele gelegt! Es war, als ob mir das ganze Glück meines Lebens zerrissen und zertrümmert werden solle. Hätte ein anderer so zu mir gesprochen wie du, gleich wäre ihm mein Messer in den Leib gefahren, zur Strafe dafür, daß er es wagte, Hanneh, das köstliche Ebenbild der reinen Sonne, mit seinen Verdächtigungen zu beschmutzen. Da du es aber warst, der also sprach, so konnten die Worte, welche mir so tiefen Schmerz bereiteten, doch keine Lüge sein; sie mußten Wahrheit enthalten. Darum fühlte ich mich niedergeschmettert wie ein kleiner Käfer, auf welchen ein großer Berg herabgefallen ist. Nun ich aber höre; daß du jene Nacht vor unserem Aufbruche meinst, ist dieser Berg wieder verschwunden, und der Käfer zappelt lustig weiter, denn ich weiß, daß du selbst der fremde Mann gewesen bist, der damals mit ihr gesprochen hat!«

»Und das macht dich nicht unglücklich?«

»Unglücklich? Fällt mir gar nicht ein! Und wenn ich tausend Hannehs hätte, die alle so schön und so unvergleichlich wären, wie diese eine, einzige, dir könnte ich sie alte, alle anvertrauen!«

»Ich glaube es dir. Aber weißt du, was du mit dieser für mich so ehrenvollen Versicherung getan hast?«

»Ja.«

»Nun, was?«

»Ich habe dir ein ungeheures Lob gespendet, ein geradezu beispielloses Vertrauen erwiesen!«

»Allerdings; aber zugleich hast du noch etwas anderes getan.«

»Von diesem etwas anderem habe ich keine Ahnung. Was ist es?«

»Du hast deine Anklage gegen das Abendland zurückgezogen und dich mit unseren Eisenbahnen einverstanden erklärt.«

»Ist mir gar nicht in den Sinn gekommen, Sihdi! Eure Eisenbahnen haben es mit mir verdorben, vollständig verdorben. Es fällt mir gar nicht ein, nicht einmal im Traume, mich mit ihnen auszusöhnen!«

»Du hast es aber doch getan, und zwar nicht im Traume, sondern soeben jetzt, im vollständig wachen Zustande!«

»Wieso?«

»Paß auf! Ich frage dich: Du hältst es für verboten, daß Frauen mit anderen Männern im Wagen der Eisenbahn beisammensitzen?«

»Ja, streng verboten! Davon gehe ich nicht ab!«

»Du hältst es ferner für verboten, daß Frauen mit anderen Männern, zumal in der Nacht und hinter den Zelten, beisammenstehen?«

»Eigentlich ja; aber wenn du es bist, so ist es erlaubt.«

»Warum da?«

»Weit ich weiß, daß ich sie dir anvertrauen kann.«

»Gut! Im Wagen der Eisenbahn sitzen unsere Frauen auch nur in der Nähe von Männern, denen wir sie anvertrauen können! Andere Männer würden von den Beamten sofort hinausgeworfen oder gar arretiert und bestraft werden!«

»Wirklich? Das finde ich allerdings sehr lobenswert!«

»Wenn aber zum Beispiel du dich in einem solchen Wagen befindest, dann würde jeder Mann seiner Frau oder seiner Tochter erlauben, sich in deine Nähe zu setzen.«

»Meinst du?« fragte er geschmeichelt.

»Ja.«

»Wirklich?«

»Ja, denn man sieht dir die Ehrlichkeit und Zuverlässigkeit ja gleich beim ersten Blicke an!«

»Hm! Würde ich auch mit ihr sprechen dürfen?«

»Sie würde es dir ganz gern erlauben.«

»Ihr guten Rat geben, wenn sie weichen braucht?«

»Natürlich!«

»Ihr sogar helfen, wenn sie meiner Hilfe bedarf?«

»Gewiß! Das ist grad der große Vorteil, den unsere Frauen und Töchter während der Reise genießen, daß sie von jedem Mitreisenden unterstützt und beschützt werden!«

»Du, Sihdi, das finde ich reizend, sehr reizend! Du weißt, wie gern ich meine Nebenmenschen beschütze. Es ist das schon bei Männern schön; wie schön muß es da erst bei Frauen sein! Denke dir, wenn ich als Dank ein freundliches Lächeln dafür bekäme!«

»Das wäre dir gewiß!«

»Wirklich? Sie würde lächeln?«

»Aber ja! Wenn du ihr einen freundlichen Dienst erweisest, lächelt sie dich auch freundlich an.«

»Sihdi, ich bitte dich, von diesem freundlichen Lächeln des Dankes mußt du gegen Hanneh schweigen, sonst bekommt sie einen ganz falschen Begriff von eurer Eisenbahn, und das sollte mir leid tun!«

»Leid? Dir? Ich denke, du magst nichts von der Eisenbahn wissen?«

»Ganz richtig! Eigentlich mag ich sie nicht leiden, ja, aber wenn die Frauen nur bei braven, dienstbereiten Männern sitzen, welche mit einem Lächeln der freundlichen Anerkennung belohnt werden, so sehe ich keinen vernünftigen Grund, warum es grad mir verboten sein soll, auf der Eisenbahn zu fahren. Ich sage dir, wenn so eine Eisenbahn von hier nach Mekka ginge, ich würde wahrscheinlich nicht auf dem Kamele sitzen bleiben.«

»Sondern fahren?«

»Ja. Was kann mir das Lächeln eines Kameles nützen, selbst wenn es nämlich lächeln könnte! Dürfte ich denn einer solchen Frau auch von unseren Reisen, von unseren weiten und gefährlichen Ritten und von den Taten des Mutes und der Tapferkeit erzählen, welche wir vollbracht haben?«

»Ja. Sie würde dir sogar dankbar dafür sein, denn durch diese Erzählungen würdest du die Langeweile von ihr fernhalten.«

»Nicht nur das, sondern ich würde sogar ganz bedeutend zu ihrer Bereicherung in den Kenntnissen der Dschigrafia und Tarih beitragen, wofür ich wahrscheinlich auch ein freundliches Lächeln zu sehen bekäme! Du, Effendi, das mit euern Eisenbahnen ist ganz anders, ganz anders, als ich dachte! Warum hast du mir das von dem Lächeln nicht sogleich gesagt? Du pflegst aber immer grad die Hauptsache zu vergessen; das ist es, was ich an dir auszusetzen habe. Und wenn ich dadurch zu einer irrigen Ansicht verleitet werde, so wirfst du die Schuld nicht auf dich, sondern auf mich, der ich doch gar nichts dafür kann! Jetzt sehe ich ein, daß eure Einrichtungen doch nicht so verwerflich sind, wie ich bisher gedacht habe,und – – – Da, schau empor, Sihdi! Siehst du die beiden Nusura?«

»Ja«. antwortete ich. »Ich habe sie schon eine ganze Weile beobachtet.«

»Sie schweben jetzt grad über uns; sie scheinen uns also zu beobachten.«

»Ja, das tun sie. Sie wollen sehen, ob sie von uns irgendeine Beute erwarten dürfen. Wenn sie über uns bleiben und uns begleiten, können wir überzeugt sein, daß wir uns ganz allein in dieser Gegend befinden. Übrigens hast du dich in diesen Vögeln geirrt, es sind keine Nusura. Unter Nisr versteht man den weißköpfigen Geier, aber der mit seinem Weibchen da über uns schwebt, ist ein Bartgeier, el Büdsch genannt. Man sieht ihn häufiger in Ägypten und den Maghrebländern; hier aber ist er sehr selten. Ich sah diese beiden vorhin aus Südwesten kommen. Sieh, da entfernen sie sich wieder, und zwar in dieser Richtung. Das ist mir interessant, höchst interessant!«

»Warum, Effendi?«

»Weil sie glauben, dort leichter Fraß zu finden als hier bei uns.«

»Woher weißt du das?«

»Ich schließe es aus ihrem Verhalten. Diese Vögel sehen außerordentlich weit. Sie haben uns aus großer Entfernung gesehen und sind gekommen, uns zu betrachten. Da sie sich jetzt wieder entfernen, dürfen wir annehmen. daß es dort, woher sie kamen und wohin sie nun wieder fliegen, mehr Beute zu erwarten gibt als bei uns. Unsere Tiere sind gesund und kräftig, darum bewegen wir uns rasch und energisch; das wissen diese Vögel wohl zu beurteilen. Ich würde jede Wette darauf eingehen, daß es dort im Südwesten von uns leidende Wesen gibt, Menschen oder Tiere, wohl auch beides zugleich, deren Haltung und Bewegungen den Geiern Ursache zur Hoffnung auf baldigen, reichlichen Fraß geben.«

Wir verfolgten die Vögel mit unseren Augen. Als Halef sie nicht mehr erkennen konnte, sah ich sie noch als kleine Punkte, welche sich nicht mehr weiter entfernten, sondern über einer bestimmten Stelle schwebten, die sicher sehr weit von uns entfernt war, obgleich die Geier nicht mehr als zwei Minuten gebraucht hatten, dorthin zu kommen.

»Siehst du sie noch?« fragte Halef.

»Ja«, antwortete ich. »Sie stehen über einer bestimmten Stelle und gehen nicht von ihr fort. Es muß dort irgend ein gebrechliches Geschöpf oder auch mehrere geben.«

»Vielleicht gar Leichen!«

»Möglich; dann befinden sich aber lebende Personen dabei, vor denen die Geier sich fürchten, denn sonst würden sie schon längst niedergestoßen sein.«

»Du sprichst von einem gebrechlichen Geschöpfe. Wäre es da nicht unsere Pflicht, Hilfe zu bringen?«

»Allerdings.«

»Vielleicht aber handelt es sich bloß um Tiere!«

»Das ist möglich; dann aber müßten es große Raubtiere, Löwen oder Panther sein, die ja in den Felsen Innerarabiens auch vorkommen; aber die laufen doch nicht jetzt am hellen Tage auf der Ebene herum! Wären es nicht Raubtiere, so hätten sich die Geier niedergelassen und säßen, ruhig wartend, in der Nähe ihrer Beute. Ich bin daher der Ansicht, daß es Menschen sind, müde, hinfällige Menschen, die aus irgend einem Grunde nicht mehr fort können. Wir sind verpflichtet, ihnen Hilfe zu bringen, werden das aber nicht in unvorsichtiger Weise tun. Erkundigen wir uns also bei dem Ben Harb, ob es hier in dieser Gegend vielleicht einen Weideplatz irgendeines Beduinenstammes gibt!«

Als wir den schon erwähnten Führer fragten, teilte er uns mit, daß wir uns mitten in der Sandwüste befänden, in welcher es keinen einzigen Brunnen, also auch keine Weide gebe; das nächste Wasser liege so weit von hier, daß sich sein Einfluß bis hierher gar nicht geltend machen könne.

Da es nicht geraten war, unsere ganze Karawane ihre Richtung verändern zu lassen, ritten wir langsam weiter und beauftragten Omar Ben Sadek und einen Haddedihn, nach der Stelle zu reiten, über weicher die Geier standen. Um, wenn nötig, gleich Hilfe bringen zu können, nahmen sie einen vollen Wasserschlauch mit. Die Wüstenebene war nur scheinbar glatt, in Wirklichkeit aber so gewellt, daß wir die beiden Reiter schon nach kurzer Zeit nicht mehr sehen konnten. Es dauerte weit über eine Stunde, bis sie zurückkehrten. Es mußte sich um etwas doch nicht Gewöhnliches handeln, denn Omar Ben Sadek wartete mit seinem Berichte nicht, bis er uns erreicht hatte, sondern rief uns schon von weitem zu:

»Effendi, ihr müßt abschwenken und mit uns kommen! Es gilt, fünf Menschen zu retten.«

»Wer sind sie?« fragte ich.

»Wahrscheinlich Leute aus Mekka.«

»Wahrscheinlich? Haben sie nichts Bestimmtes gesagt?«

»Nein. Du weißt ja auch, daß hier in der Wüste jedermann vorsichtig ist. Wir könnten ja zu einem ihnen feindlichen Stamm gehören.«

»Hast du ihnen nicht gesagt, daß wir Haddedihn sind, die so weit von hier wohnen, daß sie hier unmöglich eine Thar haben können?«

»Das habe ich wohl gesagt; aber sie glaubten es nicht. Du würdest ja auch nicht sofort alles glauben, sondern vorher die Personen und das, was sie sagen, einer Prüfung unterwerfen.«

»Es sind also fünf Personen?«

»Fünf Lebende und ein Toter.«

»Erzähle doch lieber zusammenhängend!«

»Ich tue es. Wir ritten nach Südost und sahen bald die Geier wieder, die ganz unbeweglich in der Luft zu stehen schienen; aber je näher wir kamen, desto deutlicher bemerkten wir, daß sie nicht standen, sondern langsam Kreise zogen. Später sahen wir dann den Gegenstand oder vielmehr die Gegenstände ihrer Aufmerksamkeit. Es waren sechs Hudschun, welche am Boden lagen, neben ihnen ihre Reiter, Tiere und Menschen still und unbeweglich wie Leichen. Als wir ganz nahe herankamen, hoben die Kamele die Köpfe, ließen sie aber gleich wieder sinken. Sie sahen abgetrieben aus, wie nach einem langen, angestrengten Eilritte, und waren halb verdurstet. Drei von den Männern standen in den mittleren Jahren; einer war jung und einer war alt. Der Alte schien am wenigsten erschöpft zu sein; er bat sogleich um Wasser, das wir ihnen auch sofort gaben. Sie tranken die Dschirbe fast ganz leer.«

»Und die Leiche?«

»Wir konnten nicht sehen, was für eine Person es war, denn sie war mit dem Haik zugedeckt.«

»Was gab es für Fragen und Antworten?«

»Der Alte erkundigte sich, wer wir seien, und wir sagten es ihm; er aber ließ die zweifelnden Worte Allah weiß es! dazu hören. Als ich ihn nach seinem Namen fragte, sagte er, sie alle seien aus Mekka, wozu ich ihm nun auch ein ,Allah weiß es' zu hören gab. Er bat um Wasser für Menschen und Tiere, auch um etwas Futter für die Kamele; Mehl und Datteln für sich hätten sie noch.«

»Woher kommen sie?«

»Das sagte er nicht. Er meinte, er habe uns auch keine Frage vorgelegt; der Gläubige müsse seinem Bruder helfen, ohne nach seinem Namen und nach seinem Ausgange und Eingange zu fragen..«

»Entweder hat dieser Mann kein gutes Gewissen, oder er ist ein stolzer, eingebildeter Moslem in hoher Stellung in Mekka. Vielleicht ist auch beides zu gleicher Zeit der Fall; aber recht hat er doch gehabt: Er bedarf unserer Hilfe, und wir müssen sie ihm bringen, ohne ihn vorher nach allem ausgefragt zu haben. Glücklicherweise sind wir mit Wasser so reichlich versehen, daß diese Wohltätigkeit uns nicht selbst in Gefahr bringen wird. Reiten wir also hin!«

Wir bogen daher von unserem Wege ab und ließen uns von Omar Ben Sadek nach der betreffenden Stelle führen, die wir nach vielleicht drei Viertelstunden erreichten. Da lagen die Kamele noch so, wie sie sich vor Erschöpfung niedergeworfen hatten; die Höcker waren abgezehrt, man sah nicht die geringste Lippenbewegung des Wiederkäuens. Die fünf Männer hockten in einem engen Kreise, in dessen Mitte man den noch immer verhüllten Toten in sitzende Stellung aufgerichtet hatte, in welcher er durch die tief in den Sand gesteckten, langläufigen Gewehre unterstützt und gehalten wurde. Sie beteten laut. Als wir bis ganz nahe herangekommen waren, unterbrachen sie sich, und der Vorbeter, dem die andern Satz um Satz nachsprachen, sagte in mehr befehlendem als bittendem Tone:

»Ich sehe, daß ihr Wasser und trockenes Maisstroh habt. Gebt den Kamelen zu saufen und zu fressen, und laßt uns einige volle Schläuche hier. Dann aber stört uns nicht weiter im Gebete für den, den Allah abgerufen hat!«

Das war ja außerordentlich bescheiden von diesem Manne! Hier. wo das Futter und noch viel mehr das Wasser so kostbar war, sollten wir zunächst seine Tiere tränken und sättigen und dann gleich mehrere volle Schläuche hergeben; und zwar ohne ein Wort des Dankes abzuwarten, da er uns ja die Weisung gab, sie dann nicht zu stören, also wieder fortzureiten! Halefs Hand zuckte nach der Peitsche aus Nilpferdhaut, die er stets im Gürtel hängen hatte und gern öfter in Bewegung setzte, als ich ihm erlauben durfte. Ich winkte ihm aber ab.

»Ich soll ihm nicht die Peitsche geben?« fragte er leise, aber zornig. »Ist es nicht die größte aller Unverschämtheiten von diesem Menschen, das von uns zu verlangen, was er soeben gefordert hat?«

»Allerdings; aber das ist noch kein Grund, um gleich zuzuschlagen. Du befindest dich hier unter stolzen, rachsüchtigen Arabern und nicht bei geknechteten Fellachen, bei denen man die Peitsche schwingen kann, ohne dies später blutig bezahlen zu müssen!«

»So sag, was wirst du tun?«

»Wir geben den Kamelen Wasser und Stroh; diese armen Tiere sollen nicht unter der Unverschämtheit ihrer Besitzer leiden.«

»Und diese?«

»Bekommen weiter kein Wasser, außer sie bitten uns sehr höflich darum. Wir bleiben hier lagern.«

»Hier? Bei diesen Kerls? Hamdulillah! Preis sei Allah, der dir diesen kostbaren Gedanken eingegeben hat! Denn wenn wir hier bei ihnen bleiben, werden wir wahrscheinlich etwas erleben, sie aber auch!«

»Wir hätten überhaupt nicht viel weiter reiten können, denn dann wird es Nacht, und da wir hier doch einmal einige Zeit versäumen, halte ich es für das beste, wir bleiben gleich da. Gib also deinen Leuten die nötigen Befehle!«

Da wir dieses Mal die Haddedihn bei uns hatten, brauchte ich mich um nichts zu bekümmern; es wurde mir jede Handreichung sehr gern und mit Liebe gelistet. Ich stieg also vom Hedschihn, gab die Stelle an, wohin ich meinen Teppich gelegt wünschte, und ging dann zu meinem Hengste. um ihn zu liebkosen und dabei einige Datteln knuspern zu lassen. Er war diese Aufmerksamkeit von mir gewohnt und dankbar dafür. Hierauf machte ich es mir auf meinem Teppiche bequem.

Ich saß, wie ich gewollt hatte, ganz in der Nähe der Fremden, dem Vorbeter gegenüber, den Omar Ben Sadek »den Alten« genannt hatte. Er hatte ein echtes, listiges, rücksichtsloses, gewalttätiges Mekkanergesicht und trotz seines Alters noch keine grauen Haare; vielmehr besaßen diese diejenige Färbung, welche man »Salz und Kümmel« zu nennen pflegt, also Grau und Dunkel gemischt. Der »Junge« saß an seiner Seite und war ihm so ähnlich, daß ich ihn gleich für seinen Sohn halten mußte. Er hatte etwas Unstetes, Ruheloses, Unzuverlässiges in seinen sich stets in Bewegung befindenden Augen. Die andern drei hatten nichts an sich, wodurch sie eine besondere Erwähnung verdienten. Gemein war ihnen allen die große Hinfälligkeit; wahrscheinlich waren wir grad zur rechten Zeit gekommen, sie vor dem Tode des Verschmachtens zu erretten. Ich glaubte, ihnen anzuhören, daß ihnen das laute, lange Beten schwer wurde. Warum schwiegen sie da nicht, zumal sie diese Litanei doch ganz und gar nicht nötig hatten? Die Stimme des Alten klang dumpf und mit müdem Zittern:

»O du, den unter sämtlichen Geschöpfen der Schöpfer am meisten ehrt. Bei dem Eintritte des Ereignisses, welches alle trifft, habe ich keinen, zu dem ich meine Zuflucht nehmen kann, als zu dir allein!«

Die andern beteten es ihm nach; dann fuhr er fort:

»Und wenn der Gnädige sich als strafender Vergelter offenbaren wird, wird es deiner Macht, du Gesandter Gottes, nicht unmöglich sein, mir zu helfen.

Denn zu der Fülle, welche du gespendet hast, gehört diese Welt und jene Weit, und du weißt alles, was auf der Tafel des Jenseits geschrieben steht und was die Feder geschrieben hat.

O meine Seele, keines schweren Fehltrittes wegen verzweifle an Allahs Gnade; denn wo es sich um die Vergebung handelt, da sind die schweren den leichten Sünden gleich!

Das Erbarmen meines Herrn, so hoffe ich, wird zu der Zeit, wo er es verteilen wird, in den einzelnen Spenden sich nach dem Maße der Sünde gestalten.

O, mein Herr, gib, daß meine Hoffnung bei dir bestehe und meine Rechnung sich als richtig erweise!

Und verfahre in dieser und in jener Welt gelinde und gnädig mit deinem Knechte, denn ihm ist eine Festigkeit verliehen, weiche fliehend davoneilt, wenn die grausigen Schrecknisse ihn herausfordern!

Und laß die Wolken deiner Erbarmung für und für Güsse jeder Art auf den Propheten herabsenden !«

Als er so weit gekommen war, hatten unsere Haddedihn seinen Kamelen Wasser und Maisstroh gegeben und begannen nun, sich mit der Vorbereitung des Lagers zu beschäftigen. Da unterbrach er sich, indem er die hastigen Worte an mich, den er für den Anführer halten zu müssen glaubte, richtete:

»Was sehe ich? Ihr sattelt eure Kamele ab! Das sieht ja so aus, als ob ihr hier bleiben wolltet!«

»Es sieht nicht bloß so aus, sondern es ist wirklich so: Wir bleiben da«, antwortete ich ruhig.

»Dazu habt ihr kein Recht.«

»Warum? Die Wüste ist nur Allahs Eigentum; hier diese Stelle auch. Wir haben niemanden zu fragen!«

»Auch uns nicht?«

»Nein.«

»Wir waren eher da als ihr!«

»So bleiben wir um grad so viel länger hier; dann sind die beiden Zeiten gleich!«

»Wir wünschen aber, allein zu sein!«

»Wir werden so tun, als ob ihr gar nicht vorhanden wäret, und kein Wort mit euch sprechen!«

»Aber, ihr seht, daß wir einen Toten hier haben. Leichen aber verunreinigen!«

»Uns nicht, denn wir werden ihn nicht berühren.«

»Allah gebe mir die Beherrschung meines Zornes! Du siehst und hörst doch, daß wir euch nicht bei uns haben wollen, sondern eure Entfernung wünschen!«

»Und du siehst, daß unsere Wünsche das Gegenteil erstreben; darum kann Allah nur die Erfüllung der Wünsche für die eine Partei im Buche des Lebens verzeichnet haben, und diese Partei sind wir. In das aber, was in dem Buche des Lebens verzeichnet worden ist, habt ihr euch zu fügen!«

Ich hatte immerfort in meinem freundlichsten, er aber zuletzt in einem sehr zornigen Tone gesprochen. Ich war neugierig, was sich aus diesem sehr unerquicklichen Verhältnisse entwickeln werde. Halef ging es ebenso wie mir; er hatte die Herunternahme des Tachtirwahn und die bequeme Unterbringung seiner Hanneh unter ihr kleines, schnell aufgeschlagenes Frauenzeit beaufsichtigt und kam nun, anstatt sich zu ihr zu setzen, was er bisher unterwegs stets getan hatte, zu mir, ließ einen Teppich neben dem meinigen ausbreiten und setzte sich auf demselben nieder, Dann sagte er leise:

»Warst du auf einen solchen Empfang vorbereitet, Sihdi?«

»Nein«, antwortete ich.

»Ich auch nicht. Eine solche Undankbarkeit ist geradezu beispiellos. Was wirst du tun?«

»Zunächst ruhig abwarten. Ihr Verhalten zu uns interessiert mich außerordentlich, und ihre Leichenzeremonien auch. Sei jetzt still! Ich möchte hören, was sie beten.«

Der Vorbeter begann nämlich jetzt wieder:

»Das ist Muhammed, der Herr dieser und jener Welt, der Herr der Menschen und der Dschinnen, der Herr der beiden großen, voneinander gesonderten Scharen der Menschenkinder: der Araber und der Barbaren.