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Die Suche nach den Sklavenjägern führt Kara Ben Nemsi und Ben Nil nach Kordofan. Nach einer aufregenden Löwenjagd sorgen der Auftritt des "Mahdi", die Gefangenschaft beim satanischen Ibn Asl, die Geschehnisse am Dschebel Arasch Kol und am "Sumpf des Fiebers" für weitere Spannung. Die vorliegende Erzählung spielt Ende der 70er-Jahre des 19. Jahrhunderts. "Der Mahdi" ist Teil der Trilogie "Im Lande des Mahdi". Weitere Bände sind: 1) "Menschenjäger" (Band 16) 2) "Im Sudan" (Band 18)
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Seitenzahl: 693
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KARL MAY’s
GESAMMELTE WERKE
BAND 17
DER MAHDI
Im Lande des Mahdi
Zweiter Band
REISEERZÄHLUNG
VON
KARL MAY
Herausgegeben von Dr. Euchar Albrecht Schmid
© 1952 Karl-May-Verlag
ISBN 978-3-7802-1517-8
KARL-MAY-VERLAG
BAMBERG • RADEBEUL
Kordofân, dieses eigenartige Land, ist von jeher das Durchzugsland vieler wandernder Stämme gewesen, und darum war seine Bevölkerung schon vor der Eroberung durch Mehemed Ali bunt gemischt. Dann brachten die Fellahîn und die Baschibosuks des Vizekönigs das Blut aller kleinasiatischen Rassen unter das Volk. Griechen, Levantiner, Armenier, Arnauten haben sich mit den schwarzen Stämmen des Südens vermischt, und zwischen ihren Abkömmlingen wohnen wieder die reinblütigen Enkel ganzer Nomadenstämme, die aus dem Hedschas herüberwanderten.
Kordofân gehört zu den Sudanländern. Es bildet in seinem nördlichen und westlichen Teil eine ungeheure Grassteppe, die in der trockenen Jahreszeit einer dürren Wüste gleicht, sich aber während der Regenzeit mit üppigem Pflanzenwuchs bedeckt. Die weiten, grasigen Strecken werden von Mimosenwäldern unterbrochen. In dieser Steppe gibt es ungefähr neunhundert Brunnen mit Dörfern in der Nähe. Dort weiden während der Regenzeit die vielen wandernden Stämme ihre Herden, um zu Beginn der trockenen Jahreszeit wieder fortzuziehen. Man trifft da Giraffen, Strauße, überhaupt Vögel der verschiedensten Arten, und ungeheure Antilopenherden.
Der südliche Teil des Landes hat mehr tonigen Boden, der das Wasser hält, woraus eine wahrhaft bewundernswerte Fülle und Großartigkeit des Pflanzenwuchses folgt. Riesige Strecken sind mit Palmen, Gewürzbäumen, Adansonien und Dattelbäumen bedeckt. Die Tiere, die diese Wälder bewohnen, werden von den Leoparden und dem Panther gejagt, und häufig hört man hier auch die Stimme des Löwen, des ,alles Beherrschenden‘.
Das Wadi Melk wird schon mitzu Kordofân gerechnet, und da wir uns zwischen diesem und Es Safih befanden, hatten wir Nubien hinter uns. Wie man sich erinnern wird, hatte ich dem Sklavenjäger Ibn Asl die geraubten Beduininnen abgenommen und in ihre Heimat zum Bir es Serir zurückgebracht. Zwanzig Asaker[1] begleiteten mich. Wir waren von den Angehörigen der Frauen und Mädchen mit Jubel aufgenommen und nach ihren Verhältnissen reich bewirtet und beschenkt worden. Nach unserem Aufbruch hatten die Fessarah uns das Geleit bis zum Ende der zweiten Tagereise gegeben, und nun wollten wir auf dem kürzesten Weg nach Khartum, wo ich meine Asaker ihrem Befehlshaber, dem Reïs Effendina Achmed Abd el Insaf, zu übergeben gedachte.
Es war noch nicht allzu spät nach der Regenzeit, darum stand die Grasflur noch in saftigem Grün. Wäre ich nicht auf einem Hedschihn[2], sondern auf einem Pferd gesessen, so hätte ich leicht denken können, der Ritt ginge durch eine amerikanische Prärie. Wenn in der trockenen Jahreszeit das Gras verdorrt ist, muss man den Weg möglichst so legen, dass man Brunnen berührt. Jetzt aber war das nicht nötig. Das Wandern von einem Brunnen zum anderen kostet viel Zeit. Gegenwärtig, bei der saftigen Grasweide, brauchten wir für unsere Tiere kein Wasser, und für uns waren die Schläuche gefüllt. Darum konnten wir eine schnurgerade Richtung einhalten, bis das Wasser für die Menschen zur Neige ging und wir dadurch doch gezwungen waren, wieder einen Brunnen aufzusuchen.
Auf diese Weise gelangten wir immer noch einen vollen Tag eher an den Bir Atschahn. Dieser Name bedeutet der ,durstige Brunnen‘, denn er enthält während der heißen Jahreszeit kein Wasser. Jetzt aber hatte er mehr, als nötig war, um unsere Schläuche von neuem zu füllen. Er lag inmitten der ebenen Steppe, ohne von einem Felsen, einem Baum oder Strauch gekennzeichnet zu werden. Ich hätte 'ihn gewiss nicht gefunden, wäre uns nicht von unseren Gastfreunden ein Führer mitgegeben worden, der uns nach Khartum bringen sollte und die Gegend hier ebenso genau kannte wie die schlechten Eigenschaften seiner langen arabischen Flinte.
Diese Flinte war Abdullahs Herzeleid, und doch schien er sie über alle Maßen zu lieben. Er hatte sie stets in der Hand und sprach gern von ihr. Auch jetzt, als er neben mir beim Brunnen saß, hielt er sie liebevoll fest, ließ seinen Blick freundlich über sie gleiten und sagte:
„Hast du schon einmal so eine Arbeit gesehen, Effendi? Ist sie nicht bewundernswert?“
Der Kolben des Gewehrs war nämlich mit Elfenbein stark ausgelegt. Die Zeichnung bildete eine Gestalt, die mir unverständlich war. Darum entsprach meine Antwort nicht ganz seinem Wunsch.
„Äußerst geschmackvoll, ja geradezu prächtig! Aber was soll die Zeichnung vorstellen?“
„Was sie vorstellen soll? Welche Frage! Siehst du das nicht?“
Abdullah hielt mir den Kolben vor die Nase.
„Da, sieh genauer hin! Nun, was ist’s?“
Ich gab mir alle Mühe, das Ding zu enträtseln, doch vergeblich. Das war keine Schrift, kein Bild, überhaupt nichts Erkennbares.
„Du bist blind“, meinte er. „Möge Allah dein Auge erleuchten! Aber da du ein Christ bist, so ist es gar nicht zu verwundern, dass du die Zeichnung nicht erkennst. Ein gläubiger Muslim sieht beim ersten Blick, was sie zu bedeuten hat. Erkennst du nicht, dass es ein Kopf ist?“
Ein Kopf? Keine Spur davon! Man hätte es höchstens für den unförmigen Schädel eines Nilpferdes halten können. Ich wiegte also zweifelnd mein Haupt.
„Nicht? Allah, Wallah, Tallah! Es ist der Kopf des Propheten, der in allen Himmeln Allahs sitzt.“
„Unmöglich! Man sieht ja gar nichts von einem Kopf! Wo ist denn die Nase?“
„Die fehlt, Effendi. Der Prophet braucht keine Nase. Er ist jetzt der reinste der Geister und besteht aus zehntausend Wohlgerüchen.“
„Wo ist der Mund?“
„Der fehlt, denn der Prophet bedarf keines Mundes mehr, da er durch den Koran zu uns redet.“
„Auch erblicke ich keine Augen.“
„Wozu Augen, da der Prophet nichts zu sehen braucht, weil vor Allah alles offenbar ist?“
„Die Ohren suche ich auch vergeblich!“
„Du kannst sie nicht finden, weil sie nicht da sind. Der Prophet braucht unsere Gebete nicht zu hören, da er uns ihren Wortlaut genau vorgeschrieben hat.“
„Wo ist der Bart?“
„Der ist nicht zu sehen. Wie dürfte man ihn durch Elfenbein entheiligen, da der Schwur beim Bart des Propheten der höchste und heiligste ist!“
„Folglich ist von dem Kopf nur die Stirn zu erblicken?“
„Auch sie nicht. Da sie der Sitz des Geistes ist, kann man sie gar nicht abbilden.“
„So ist von dem Kopf also gar nichts da?“
„Gar nichts“, bestätigte Abdullah. „Aber ich erkenne jeden Zug des Gesichts!“
„Ohne den Kopf überhaupt zu sehen? Das begreife, wer es kann!“
„Ja, ein Christ wird das freilich nicht begreifen. Ihr seid alle mit unheilbarer Blindheit geschlagen!“
„Du auch, nur ist deine Blindheit hellsehender als das gesündeste Auge. Du siehst einen Kopf, zu dem nichts als alles fehlt. Übrigens ist es bei euch doch verboten, einen Menschen abzubilden. Wie viel strafwürdiger muss es da sein, den Propheten abzuzeichnen!“
„Der Künstler, der dieses Gemälde fertigte, hat das Verbot nicht gekannt.“
„Und muss doch den Propheten gesehen und die Verbote seiner Lehre gekannt haben.“
„Gesehen? Ja! Im Geist! Das Gewehr ist uralt, wie du wohl erkennst. Der Mann, der es fertigte, hat jedenfalls weit vor dem Propheten gelebt.“
„Das ist unmöglich, denn da gab es noch kein Pulver.“
„Effendi, beraube mich doch nicht des Glücks, ein so kostbares Gewehr zu besitzen! Wozu Pulver? Wenn Allah will, schießt man auch ohne Pulver aus der Flinte.“
„Ich gebe zu, dass Allah Wunder tut. Hier gibt es deren gleich zwei: erstens ein Schießgewehr aus einer Zeit, in der es noch kein Pulver gab, und zweitens das Bild des Propheten aus einer Zeit, in der er noch gar nicht lebte.“
„Ich sagte dir bereits, dass der Künstler ihn im Geist gesehen hat. Es war eine ,Vision‘, und darum ist dieses Gewehr eine Visionsflinte.“
„Ah, Visionsflinte, das ist gut, das ist einzig!“
„Ja, einzig ist sie! Da hast du Recht und es freut mich,dass du endlich zur Einsicht gekommen bist. Die Büchse ist die einzige Visionsflinte, die es gibt, und darum halte ich sie heilig und bin sehr stolz auf sie.“
„Wie bist du denn zu ihr gekommen?“
„Durch Erbschaft. Der Künstler hat sie auf Kind und Kindeskind vererbt. Du musst wissen, dass ich sein Nachkomme bin und sie einst meinem ältesten Sohn vererben werde. Ja, sieh mich nur verwundert an! Ich bin in Wirklichkeit der Urenkelsohn des Urenkels eines Mannes, dem Allah die Gnade verlieh, den Propheten zu schauen, noch ehe Mohammed geboren war.“
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