An einem Weihnachstag - Hannelore Deinert - E-Book

An einem Weihnachstag E-Book

Hannelore Deinert

0,0

Beschreibung

An einem Weihnachtstag geschehen Wunder, das eisige Herz eines Kaufhausbesitzers taut auf, die Geister der früheren Bewohner eines alten Bauernhauses erscheinen, um von ihrem Leben zu erzählen, der schmerzlich vermisste Bruder kommt heim und das Christkind begegnen dir persönlich. Der Weihnachtstag ist ein Tag, an dem alles möglich ist.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 99

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhaltsverzeichnis

An einem Weihnachtstag.

Das verhinderte Christkind.

Ich hab‘ das Christkind leibhaftig gesehen.

Meine kleine Schwester Luisa

Marias weiter Weg

An einem Weihnachtstag.

Lukas zog den Handkarren mit dem Bruchholz, das er auch heute wieder reichlich im Wald fand, durch den vereisten Schneematsch am Straßenrand. Der Neuschnee hatte ihm das Sammeln schwer gemacht und das Schieben jetzt war auch mühsam, er musste öfter mal innehalten um zu verschnaufen, aber Lukas war dennoch froh, das gesammelte Holz würde nun eine Weile die Stube warm halten und die Geschwister brauchten nicht zu frieren.

Das dicke Auto, das an ihm vorbeifuhr und ihn reichlich mit Schneematsch bespritzte, nahm er nur am Rande wahr.

Heute war der Weihnachtstag und heute, das wusste Lukas, konnten wundersame Dinge passieren.

Roman saß im Fond des gut temperierten Wagens seines Vaters, auf einem der bequemen Ledersitze, und schaute gelangweilt aus dem Fenster in den vorbeigleitenden, froststarren Wald hinein. Herr Lutz, der Chauffeur, hatte ihn von der Kirche abgeholt, wo der Knabenchor bereits für den bevorstehenden Neujahrsgottesdienst geübt hatte. Das war soweit in Ordnung, fand Roman, aber dass er hernach zu Hause bei der Weihnachtsfeier wieder vor der versammelten Sippschaft singen sollte, das fand er gelinde gesagt völlig überflüssig. Während seiner Abwesenheit würde der Baum, der vor Tagen in der Villa seines Vaters aufgestellt worden war und bis zur hohen Decke des Saloons reichte, unter der Anleitung der Mutter geschmückt werden. Zweifelsohne wunderschön, so wie jedes Jahr, wenn er nur nicht wieder davor singen müsste.“

„Obwohl“, überlegte Roman und verzog missmutig die Mundwinkel nach unten, „das ist immer noch besser, als wenn die Verwandten sängen, dabei konnte man mühelos neben dem Kachelofen eine Gänsehaut bekommen. Und dann die unmöglichen Geschenke, die sie mitbrachten, sie zeigten überdeutlich, dass sie sich nicht für ihn interessierten, noch ihn kannten. Im letzten Jahr zum Beispiel schenkten ihm Tante Adelheit und Onkel Albert ein albernes, ferngesteuertes Auto, dass er bereits zwölf Jahre alt ist, scheinen sie völlig zu übersehen. Und dann das unter Beobachtung stehende Auspacken, das sich Bedanken müssen, die feuchten Küsse und zur Schau gestellten Freude, grauslich. Dabei wusste und spürte Roman genau, sie mochten sich nicht sonderlich leiden, besonders ihn nicht wegen seiner Streiche, die er ihnen gelegentlich spielte. Um ehrlich zu sein hatte es unlängst mächtig Spaß gemacht, als Tante Sybille kreischend und ihre Stöckelschuhe verlierend vor einer elektrischen Maus Reißaus genommen hatte, köstlich, sie fürchtet sich vor alles, was huscht und krabbelt. Oder letzten Sommer bei der Geburtstagsfeier von Tante Olga, wo Onkel Herbert vergeblich versucht hatte die Sprinkleranlage abzudrehen, während vor allem die Damen aus Sorge um ihre Frisuren und Garderoben schreiend das Weite gesucht hatten, da war Bewegung in die fade Party gekommen, was der wohlgenährten Gesellschaft ganz bestimmt nicht geschadet hat. Um die Torten freilich war es schade gewesen, die waren futsch, okay, und die Verwandten waren brüskiert und eine Weile auf Distance gegangen, was weiter nicht schlimm war. Heute allerdings ist zu befürchten, dass alle wieder komplett da sein werden, aber bestimmt wird sich auch dieses Mal eine Gelegenheit finden, die Weihnachtsparty ein wenig aufzuheitern.

Vor ihnen tauchte am Straßenrand ein Junge auf, er zog eine mit Bruchholz beladene Handkarre hinter sich her. Roman registrierte im Vorbeifahren die armselige Gestalt, nahm flüchtig das vor Anstrengung rote Gesicht des Jungen wahr, den weißen Atemhauch vor seinem Mund, seine schäbige Joppe und Hose, die löchrigen Handschuhe an der Deichsel der Karre und die ausgeleierten Stiefel, mit denen er durch den gefrorenen Matsch stampfte. Aber da waren sie schon vorbei und der Junge im Wald war vergessen.

Solch armen Leuten wurde schließlich ausreichend geholfen, es gab entsprechende Organisationen, an die sein Vater, der Kaufhausbesitzer Sebastian Straubinger, jedes Weihnachten Unsummen spendete, wie Roman wusste, sein Vater betonte es deutlich genug. Viele Menschen fanden in seinem Kaufhaus Arbeit und Brot, allerdings fanden Taugenichtse und Arbeitsscheue kein Verständnis und kein Erbarmen bei ihm. „Wer nicht spurt fliegt raus“, war Vaters Motto, „wo käme man bei den vielen Angestellten ohne Disziplin hin.“ Erst kürzlich musste er einen Verkäufer fristlos entlassen, weil er zum wiederholten Male zu spät zur Arbeit kam, angeblich wegen eines kranken Kindes.

„Um faule Ausreden sind diese Typen nie verlegen!“, hatte sein Vater gewettert. „Würde man sowas durchgehen lassen, wäre es bald vorbei mit der Arbeitsmoral.“

Roman schreckte aus seinen Gedanken hoch, der Motor stotterte plötzlich, Chauffeur Lutz konnte den Wagen gerade noch an den Straßenrand lenken, wo er im Schnee stecken blieb.

„Verdammt!“, murmelte er. „Sieht verflixt nach einer verstopften Benzinleitung aus. Ausgerechnet jetzt und hier, mitten in der Pampa!“

Da kam der Junge mit seiner mit Bruchholz vollbeladenen Handkarre vorbei, er musste ungefähr in Romans Alter sein.

Chauffeur Lutz öffnete die Autotür, stieg aus und rief ihm zu: „Hey, du! Weißt du, ob es hier in der Nähe eine Autowerkstatt gibt?“

Der Junge hielt mit seinem Karren an und blickte sich um. „Im nächsten Ort, an der Hauptstraße ist die Autowerkstatt Siebert“, antwortete er knapp. Dann schob er seine Karre weiter.

Herr Lutz suchte in seinem Autohandbuch nach der Autowerkstatt Siebert, fand die Nummer und wählte sie auf seinem Handy. Eine Männerstimme meldete sich, Lutz schilderte kurz seine Situation, gab seinen Standort an und bat um schnelle Hilfe.

Danach wandte er sich an Roman, der ungeduldig abwartend auf einem Rücksitz saß.

„Erst die gute Nachricht, Roman“, meinte er. „In der Werkstatt ist ein Mechaniker, aber er ist heute am Weihnachtstag allein in der Werkstatt, es kann also dauern, bis er kommen und das Auto unter Umständen abschleppen kann, sagte er. Was machen wir solange mit dir, Roman? Du wirst frieren.“

Roman zog fröstelnd die Schultern hoch und schaute besorgt zum bereiften Wald hinüber, die schneebedeckten Felder ringsum sahen auch nicht gerade einladend aus.

Herr Lutz stieg aus dem Auto. „Hey, du!“, rief er dem Jungen nach, der sich mit seinem Handkarren schon ein Stückchen entfernt hatte. „Wohnst du hier in der Nähe?“

„Da vorne“, antwortete der Junge. „In der Hütte!“

Herr Lutz beugte sich zu Roman ins Auto und rieb sich dabei fröstelnd die behandschuhten Hände. „Ist es in Ordnung für dich, Roman, wenn du in der Hütte auf mich wartest?“, fragte er. „Es kann nicht allzu lange dauern, sobald wie möglich hole ich dich dort ab.“

Als Roman eine missmutige Flunsch zog, meinte er: „Keine Sorge, Roman, womöglich muss nur die Benzinleitung durchgepustet werden!“

Er rief den Jungen zurück und erklärte ihm kurz, um was es geht, dann drückte er ihm ein Geldstück in die mit einem löchrigen Handschuh kaum geschützte Hand. „Kauf dir ein paar anständige Handschuhe, Junge“, meinte er dabei gönnerhaft.

Roman stapfte missmutig neben dem Jungen her, ausgerechnet jetzt und auf der einsamen Landstraße musste das passieren. Dass sich der Jungen neben ihm schwer ins Zeug legen musste, um den Handkarren durch den vereisten Schneematsch zu schieben sah er nicht.

Schließlich blieb der Junge stehen, um sich ein wenig zu verschnaufen. „Ich heiße übrigens Lukas“, meinte er. „Pack ruhig mit an, dann geht‘s leichter und schneller.“

Roman betrachte misstrauisch die beladene Handkarre, damit würde er sich bestimmt nicht die Klamotten ruinieren. Aber als es gar nicht recht vorwärtsgehen wollte, schob er doch von hinten mit an. Dabei bemerkte er zu seiner Verwunderung, dass es kein Bruchholz war, das auf dem Karren lag, sondern ein riesiger Eisklumpen. Der Handkarren ächzte und knarrte unter der Last, die dünnen Räder wackelten und verbogen sich bedrohlich, Roman befürchtete, gleich wird der Karren zusammenbrechen und schob kräftig von hinten mit an, wobei er gehörig ins Schwitzen geriet. Endlich erreichten sie eine Lichtung, auf der sich einen Steinwurf entfernt eine armselige Hütte unter schneebeladenen Nadelbäumen duckte. Die Jungs schoben und zerrten den Karren mit seiner schweren, seltsamen Last auf einer breiten Schneespur hin zur Hütte.

Roman wischte sich mit seiner behandschuhten Hand über die schweißnasse Stirn, seltsamerweise war er von einem nie gekannten, stolzen Gefühl beseelt, ein sehr gutes Gefühl, das er bisher nicht kannte. Der Eisblock war mit seiner Hilfe bis hierher gebracht worden.

„Hilfst du mir den Karren zu entladen“, bat Lukas.

Roman war zu verblüfft von der Selbstverständlichkeit, wie das von ihm erwartet wurde, dass er ohne Widerspruch half den Eisblock vom Karren zu schieben. Auf seine Klamotten brauchte er nun keine Rücksicht mehr zu nehmen, die waren ruiniert. Aber das spielte eigenartigerweise keine Rolle mehr für ihn.

In der Hütte war es dämmrig und kühl, durch zwei vereiste Fensterchen drang trübes Tageslicht herein. Roman schaute sich neugierig um, der grobe Holztisch in der Mitte des Raums, die Bänke um ihn herum, der altertümliche Herd mit dem Ofenrohr und dem großen, etwas verbeulten Topf darauf, auch die davor in der Asche liegende, große, graue Katze, die ihn mit runden, grünen Augen misstrauisch anstarrte, ließen ihn unwillkürlich an ein etwas gruseliges Märchen denken. Ungläubig betrachtete er die Holzgestelle mit den dünnen Matratzen entlang der grauen, lehmgetünchten Wand, Kinder, in dünne Decken gewickelt, saßen darauf, sie betrachteten ihn neugierig, aus der unscheinbaren Futterkrippe daneben kam ein leises Wimmern. Als der große Bruder mit dem fremden Jungen hereinkam, wickelten sich zwei der Kinder, wohl die größeren, aus ihren Decken.

„Lena, hast du Holz gemacht?“, fragte Lukas, und den Bruder erinnerte er: „Hans, hast du Wasser heiß gemacht?“

Während sich die zwei angesprochenen Kinder daran machten, ihren Aufgaben nachzukommen, nahm Lukas eine Blechdose von einem Holzregal und legte das Geldstück, das er vorhin vom Chauffeur bekommen hatte, hinein. „Für Mutter“, erklärte er dabei, „sie wird es brauchen.“

Hans griff sich einen Eimer, um Wasser von der Quelle zu holen und Lena nahm den großen Korb neben dem Herd und meinte zu Roman, der etwas verloren herumstand: „Wenn du mir beim Holzhacken hilfst, dann geht‘s leichter und schneller.“

„Aber habt ihr denn niemanden, der für euch Holz hackt?“, fragte Roman verwundert. Lena schüttelte nur den Kopf und bedachte ihn mit einem erstaunten Blick.

Roman folgte ihr hinaus, der große Eisblock lag bläulich schimmernd vor die Hütte. Hinter der Hütte befand sich ein dicker Holzklotz, in dem ein Beil steckte, ein großer Haufen Bruchholz lag daneben.

„Du hackst davon kleine Scheite ab und ich sammle sie in den Korb“, schlug Lena vor. Roman wusste bis dahin nicht einmal, dass es sowas wie Holzhacken gibt, aber er genierte sich dies vor dem zerlumpten, kleinen Mädchen zuzugeben, für sie schien Holzhacken ganz normal zu sein. „Wenn sie es kann“, dachte er sich, „dann werde ich es wohl auch können.“ Er legte sich einen nicht zu dicken Ast auf den Klotz zurecht, nahm den Beilschaft fest in beide behandschuhten Hände, holte aus und… schlug daneben.

„Komm, ich zeig es dir!“, meinte Lena sanft und zeigte ihm, wie es geht. Roman gab sich danach redlich Mühe, auch wenn er oft danebenschlug, so gelang es ihm doch einige Äste durchzuhauen. Lena sammelte die Scheite still in den Korb und als er gut gefüllt war, trugen sie ihn zusammen ins Haus.

Roman glaubte im Vorbeigehen zu bemerken, dass der große Eisklumpen vor der Hütte ein wenig kleiner geworden war, was bei der Eiseskälte eigentlich nicht sein konnte. Seine Arme und Schultern taten von der ungewohnten Arbeit arg weh, trotzdem erfüllte ihn ein gutes Gefühl der Zufriedenheit, ein Gefühl, das er bisher nicht kannte. Das defekte Auto, Chauffeur Lutz und die anstehende Weihnachtsfeier mit den Verwandten waren für den Moment vergessen.

In der Hütte war es inzwischen ein wenig wärmer geworden, die jüngeren Geschwister fegten den Lehmboden, auf dem Herd köchelte es im Topf, es duftete nach guter Kartoffelsuppe. Lena und Roman stellten den Korb vor den Herd ab, die große Katze machte ihnen widerwillig fauchend Platz. Lukas, der große Bruder, legte Scheite in das Ofenloch und verriegelte dann das Ofentürchen. Er bat Roman, kurz auf das kranke Baby aufzupassen, er möchte mit den Geschwistern am Waldrand Zweige sammeln, um damit die Stube ein wenig zu schmücken. Mutter würde sich, wenn sie heimkommt darüber freuen.“