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Eines Tages, als Frederik von der Schule heimkommt, ist eine fremde Frau mit ihren Söhnen da, es ist Frau Fink, die ehemalige Besitzerin ihres Bauernhauses. Im Frühjahr, als Frederik bald nach ihrem Einzug das Skelett von Bauer Fink im Schuppen fand, wurde sie dringend verdächtigt, mit dem Tod ihres Mannes zu tun zu haben, man fahndete nach ihr, jedoch ohne Erfolg. In Gadernheim kursierten die wildesten Spekulationen, man munkelte, die Bauersleute Fink habe ein Fluch ereilt, weil sie damals, vor zehn Jahren ihre Äcker vernachlässigt haben und aus Habsucht einen ganzen Wald umholzen ließen. Nachdem sie durch den Holzverkauf reich geworden seien, wären sie überstürzt, fast fluchtartig nach Amerika ausgewandert. Aber nicht Bauer Fink, wie sich herausstellte, er lag zehn Jahre lang tot in seinem Schuppen, bis ihn ausgerechnet Frederik fand. Und jetzt saß sie, seine vermeintliche Mörderin, die man nicht finden konnte, weil sie inzwischen geheiratet hat und jetzt Anderson hieß, auf ihrem Sofa und unterhielt sich mit den Eltern. Sie erklärt, sie sei wegen eines anonymen Briefs gekommen, der einen Zeitungsartikel enthielt, in dem von einem grausigen Fund in einem abgelegenen Bauernhaus berichtet wurde. Sie hatte an ihren verschollenen Mann denken müssen und habe die Gadernheimer Polizei angerufen, die bestätigte, dass es sich bei dem Skelettfund tatsächlich um ihren früheren Mann handelte. Nun sei sie mit ihren Zwillingen hier und wolle mit ihnen ihrem Mann die letzte Ehre erweisen. Sie erzählt, dass sie damals wegen bösartiger Gnome geflohen sind, die sie und ihre Babys massiv bedrohten. Die Reise nach Amerika sei wegen eines der Kinder geplant gewesen, es hatte eine seltene Immunschwäche und eine Spezialklinik in Illinois stellte eine Heilung in Aussicht, aber nicht so überstürzt. Ursprünglich wollte ihr Mann gleich mitkommen, so aber musste er zuvor noch den Hof seiner Schwester in Gadernheim übergeben.
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Seitenzahl: 101
Veröffentlichungsjahr: 2015
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Hannelore Deinert
Im Tal der Erdmänner 3
Das Abkommen. Naturgeister fordert man nicht heraus.
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Inhaltsverzeichnis
Titel
Im Tal der Erdmänner 3
Impressum neobooks
Es war September geworden. Wir, die Schüler der Klasse 5a, verließen wie jeden Freitagmittag die Gesamtschule von Gadernheim mit dem echt guten Gefühl, sie für zwei Tage vergessen zu dürfen.
Das folgende Wochenende allerdings sollte ich nie mehr vergessen.
Bevor Paul und ich uns von Egon trennten, berieten wir uns noch, wann wir mit dem Wiederaufbau unseres Verstecks, dem Adlerhorst, beginnen können, es sollte schöner und größer werden, versteht sich, oder ob es sinnvoller wäre, einen anderen Standort dafür zu suchen, denn ein Versteck, das entdeckt und ausgeplündert worden war, ergibt ja keinen Sinn mehr. Egon konnte dieses Wochenende nicht, er musste seine Oma besuchen, sie hatte Geburtstag, und Paul hatte Besuch aus Bayern, also verabredeten wir uns für nächste Woche. Egon schlenderte davon und wir liefen wie gewohnt zum Ortsende, wo Paul mit seiner Mutter in einem kleinen Häuschen wohnte.
Vor dem Vorgärtchen parkte heute ein Auto auf dem Bürgersteig, was sag‘ ich, eine Luxuskarosse. Sowas sah man nicht alle Tage in dieser bescheidenen Gegend.
„Ein grünmetallener Audi-Kombi“, erklärte Paul großspurig, so als wäre es sein Wagen. „Er gehört Anton, einem Jugendfreund von Mama. Wir haben ihn zufällig im Urlaub getroffen und viele Ausflüge mit ihm und seiner Familie gemacht.“
„Mit so etwas würde ich auch gern einmal herumkutschieren“, meinte ich bewundernd und strich mit der Hand über den glänzenden Lack der Motorhaube.
„Wo soll‘s denn hingehen, meine Herren?“
Ein dunkelhaariger, lässiger Typ in Jeans und einem dunklen T-Shirt kam mit Frau Gruber aus der Haustür. „Warum bringst du Frederik nicht nach Hause, Anton“, schlug sie vor und zwinkerte mir dabei verschwörerisch zu.
„Herzlich gern, meine Herren! Darf ich bitten!“ Anton kam und öffnete einladend eine Hintertür seines Audis.
Das ließen wir uns nicht zweimal sagen, Ruck, Zuck saßen wir auf den Rücksitzen und schnallten uns an.
„Anton hat zwei Kinder“, erklärte Paul nebenbei, „einen Jungen, ungefähr so alt wie wir, und ein Mädchen.“
Aton nahm auf dem Fahrersitz Platz, wir winkten Frau Gruber noch einmal zu, dann glitten wir sanft davon. Ich dachte etwas abfällig an Papas blauen VW Kombi, der nicht ohne Gurgeln und Stottern ansprang, aber Papa war der Meinung, er sei zuverlässig und böte für alles und jeden genug Platz.
Anton fuhr bis nach Ober-Ramstadt, dort wendete er, fuhr zurück, bog in den Kiesweg zu unserem Bauernhaus ein und hielt an.
Ich bedankte mich für die Superfahrt und stieg aus.
„Tschüss, Paul! Bis Montag!
„Tschüss, Fred. Bis dann!“
Anton wendete und ich schaute dem Audi nach, wie er mit leise knirschenden Reifen auf die Landstraße hinausfuhr und dann summend Richtung Gadernheim entschwand.
Als ich in den Flur unseres Bauernhauses kam und den Ranzen abstellte, hörte ich Stimmengewirr aus dem Wohnzimmer. Komisch, gewöhnlich führte Papa seine Geschäftsgespräche wegen des Computers in seinem Arbeitszimmer, ansonsten kannten wir kaum jemand in Gadernheim, wir waren ja erst im März hierher gezogen, wie ihr bestimmt noch wisst.
Im Wohnzimmer saßen auf einem der Sofas eine rundliche, nett aussehende, ältere Frau und zwei Jungs, die sich verblüffend ähnelten, beide hatten einen rotblonden Bürstenhaarschnitt und ein rundes Gesicht mit großen, blauen Augen, ich konnte mich nicht erinnern, sie je gesehen zu haben. Meine Eltern saßen ihnen gegenüber und meine Schwester Lina kniete auf dem Teppich und spielte mit unseren zwei großen Katzen, Miez und Maunz.
„Du glaubst nicht, Frederik, wer gekommen ist“, begrüßte mich Mama. Stimmt, ich hatte wirklich keinen Schimmer.
„Du kannst dich bestimmt noch an Frau Fink erinnert, nicht wahr?“, half mir Mama auf die Sprünge. „Sie und ihr Mann, Bauer Fink, waren früher die Besitzer unseres Bauernhauses. Und das sind ihre Söhne, Markus und Moritz, sie sind eineiige Zwillinge, wie man unschwer sehen kann.“
Oh ja, Mann, wie hätte ich den Schrecken je vergessen können, den ich bekam, als ich das Skelett im Schuppen fand. Damals munkelte man, die Finks seien, nachdem sie ihre Landwirtschaft aufgegeben und aus Habgier einen ganzen Wald hatten abholzen lassen, ganz plötzlich mit dem erwirtschafteten Geld nach Amerika ausgewandert. Aber nicht Bauer Fink, denn sein Skelett habe ausgerechnet ich zehn Jahre später, kurz nachdem wir hier eingezogen waren, im Schuppen gefunden, so als hätte es die ganze Zeit auf mich gewartet. Die Polizei hatte angenommen, dass Frau Fink mit dem Tod ihres Mannes etwas zu tun haben musste oder sogar seine Mörderin sei und hat die Fahndung nach ihr eingeleitet. Aber man konnte sie nicht finden, bis heute nicht, und nun saß die gesuchte Mörderin auf unserem Sofa und plauderte mit meinen Eltern.
Während mir die Gedanken durch den Kopf schwirrten, hörte ich Papa sagen: „Frau Fink ist mit ihren Söhnen von Illinois, einem Land in Nordamerika, nach Gadernheim gekommen, um endlich die sterblichen Überreste ihres Mannes zur letzten Ruhe betten zu lassen.“
„Aber man konnte sie doch nicht finden“, murmelte ich. Merkten meine Eltern eigentlich nicht, wer da auf unserem Sofa saß?“
„Nun, das war auch nicht gut möglich, Frederik“, erklärte Papa total gelassen, „denn Frau Fink hat vor einem Jahr wieder geheiratet und heißt jetzt wie ihr jetziger Mann, nämlich Anderson. Nach einer Frau Anderson hat natürlich keiner gesucht.“
Oh, Mann, das war natürlich die perfekte Tarnung.
„Und warum ist sie jetzt trotzdem da?“, fragte ich und wunderte mich über meine total unbefangenen Eltern.
„Ja, das ist eigenartig, nicht wahr?“, ergriff nun Frau Fink, alias Frau Anderson mit stark amerikanischem Akzent das Wort. „Das kommt daher, weil ich im Frühjahr einen anonymen Brief aus Gadernheim bekommen habe, er enthielt ohne ein einziges erklärendes Wort einen Zeitungsausschnitt, in dem groß und breit von einem Skelettfund in einem abgelegenen Bauernhaus im Modautal berichtet wurde. Zuerst dachte ich an einen schlechten Scherz, aber dann ging mir mein verschollener Mann nicht aus dem Sinn. Ich rief die Polizei in Gadernheim an und sie bestätigte mir, dass es sich bei dem Skelettfund tatsächlich um meinen verschollenen Mann handelte.“
Draußen hupte ein Auto, Frau Fink oder Frau Anderson, egal, stand mit ihren Söhnen auf.
„Mein Taxi“, erklärte sie. „ich bringe die Jungs zu ihrer Tante Gisela nach Gadernheim. Wegen der morgigen Beerdigung müssen noch einige Formalitäten im Pfarramt und bei der Polizei erledigt werden, der Tod meines Mannes wurde ja nie aufgeklärt. Wenn sie erlauben, komme ich am Abend noch einmal vorbei, um zu erzählen, was damals passiert ist und warum wir unser Bauernhaus so plötzlich verlassen mussten.
„Sehr gern, Frau Anderson“, meinte Papa freundlich.
„Muss aber nicht unbedingt sein“, dachte ich bei mir und fing einen bitterbösen Blick von einem der Jungs auf.
Früher als erwartet kam Frau Fink, ich meine Frau Anderson, mit ihren Söhnen zurück, sie machte einen recht niedergeschlagenen Eindruck, muss ich sagen. Mama führte sie und die Jungs auf die Terrasse und brachte ihnen was zu Trinken. Plötzlich kramte Frau Anderson ein Taschentuch aus ihrer Handtasche hervor und fing an leise hinein zu schluchzen.
Markus und Moritz schauten ihre Mutter betreten an.
„Wie wäre es, Frederik“, wandte sich Mama an mich, „wenn du mit Markus und Moritz ein wenig Fußballspielen würdest. Ich denke, wir werden hernach zusammen zu Abend essen.“
Schon klar, sie wollte mit Frau Anderson allein sein. Ich verließ mit den Jungs die Terrasse.
Zum Fußballspielen hatte keiner große Lust und so schlenderten wir einfach so herum. Die Zwillinge schauten sich neugierig um und fragten mit ihrem drolligen Akzent nach diesem und jenem, dann wollten sie sich auch in der Scheune umsehen.
Wir hatten während den Ferien darin aufgeräumt und eine Menge vom Sperrmüll abholen lassen, aber es standen immer noch alte Zinkwannen, Futtertröge, alte Möbel und sowas herum. Papa, der ein Faible für alten Kram hatte, meinte, einiges davon wäre, wenn es erst ein wenig aufgearbeitet sein würde, echt wertvoll. Er musste es wissen, schließlich war er Restaurator, wie ihr sicher wisst.
Verwundert stellte ich fest, dass vor allem bei Moritz eine merkwürdige Veränderung vor sich ging. Während sein Bruder Markus mit tiefernstem Gesicht umherging und die Gegenstände fast andächtig berührte, wurde sein Gesichts immer zorniger.
„Das gehört euch nicht!“, schrie er plötzlich. „Ihr seid gemeine Diebe!“
Er kam mit geballten Fäusten auf mich zu, ich war viel zu überrascht, um an Gegenwehr zu denken. Der erste Schlag traf mich voll auf den Mund, ich haute blindlings zurück und schließlich wälzten wir uns prügelnd auf dem staubigen Lehmboden. Moritz war kräftig und wütend, ich spürte auf Dauer hatte ich keine Chance gegen ihn. Als ich nur noch mit den Armen meinen Kopf gegen seine Schläge zu schützen versuchte, gelang es Markus endlich, seinen tobenden Bruder wegzuziehen und festzuhalten.
Ich setzte mich auf und befühlte meine aufgeplatzte Lippe, meine Finger wurden ganz blutig dabei. Moritz versuchte sich aus der Umklammerung seines Bruders zu befreien, um sich erneut auf mich stürzen zu können.
„Bitte, Moritz, beruhige dich doch!“, flehte Markus verzweifelt.
„Mann, was habe ich dir getan? Bist du total übergeschnappt?“, fragte ich empört und rappelte mich auf.
„Geh‘ am besten ins Haus, Frederik“, bat Markus. „Wir kommen gleich nach. Moritz muss sich erst beruhigen!“
„Ja, geh‘ nur und petz es deiner Mutter!“, keuchte Moritz verächtlich.
„Der Kerl muss echt verrückt sein“, dachte ich mehr verwundert als empört und ging zu den beiden Frauen hinüber, die noch auf der Terrasse saßen und sich unterhielten.
Sie sprangen erschrocken auf, als sie mein blutverschmiertes Gesicht und meine aufgeplatzte Lippe sahen.
„Um Himmels Willen, was ist denn passiert!“, rief Mama.
„Weiß auch nicht“, antwortete ich. „Moritz behauptet, wir wären Diebe.“
Dann kamen die Brüder, Moritz‘ Nase blutete und seine Augenbraue war aufgeplatzt. Prima, dachte ich zufrieden, jetzt kann man ihn wenigstens problemlos von seinem Bruder unterscheiden.
Die Mütter beharrten darauf, dass wir uns mit Eisbeuteln auf den Gesichtern auf die Sofas legten und stillhielten, das war wohl sowas wie eine Strafe wegen ungehöriges Benehmen. Als Papa kam, schüttelte er über so viel Unvernunft den Kopf. „Musstet ihr euch gleich die Köpfe einschlagen?“, grollte er in meine Richtung. Na, klar, in welche sonst.
„So, Moritz“, meinte Frau Anderson nach einer Weile und befreite Moritz von seinem Eisbeutel. Sie setzte sich zu ihm aufs Sofa und schaute ihn ernst an. „Nun lass‘ hören, was los ist. Warum hast du dich mit Frederik geprügelt?“
Moritz schaute mich finster an.
„Warum wohnen diese Leute in unserem Haus“, beschwerte er sich grimmig. „Ich will das nicht, es ist unser Haus, es wurde von unseren Vorfahren gebaut. Mein Vater hätte das nie und nimmer erlaubt.“
Richtig, ihr Vater. Erst jetzt wurde mir richtig klar, dass es seine Gebeine waren, die ich im Schuppen gefunden habe. Oh, Mann.
Frau Anderson nahm Moritz in die Arme. „Doch, Moritz“, meinte sie bedrückt, „die Familie Wolf darf hier wohnen.“ Also, wie eine Mörderin sah sie jetzt nicht gerade aus, aber womöglich war sie nur eine verflixt gute Schauspielerin.
„Sie hat das Haus gekauft“, erklärte sie, „und darüber bin ich von Herzen froh. Nun kann nach all den Jahren, in denen es verödet ist, neues Leben einziehen. Wir haben in Illinois eine Heimat gefunden, wie du weißt, und weil ich sicher sein wollte, dass der gerodete Wald wieder aufgeforstet und in Zukunft nicht mehr wirtschaftlich genutzt wird, habe ich unseren Besitz der Gemeinde von Gadernheim übertragen.
Wie zur Bestätigung ging die Tür auf und Lina schaute herein, sie war am Nachmittag bei einer ihrer Freundinnen gewesen.
„Ich hab‘ Hunger!“, verkündete sie munter. „Wann gibt es was zu essen?“
Während es sich die anderen in der Küche schmecken ließen, mussten Moritz und ich auf den Sofas Bananenmilch aus Strohhalmen schlürfen, damit eventuell lockere Zähne geschont werden, hieß es. Aber vielleicht wollte man sich nur unsere verbeulten Gesichter ersparen.
Wortlos schlürften wir unsere Bananenmilch und belauerten uns dabei gegenseitig, dann stellte Moritz sein Glas ab, legte sich um und drehte mir demonstrativ seinen Rücken zu, wahrscheinlich um mir seine totale Missachtung zu zeigen. Sein anklagendes Schweigen wurde mir echt unerträglich, ich stand auf und ging in mein Zimmer hinauf.
Mein Kopf brummte ein wenig, ich legte mich auf mein Bett. Fast wäre ich eingeschlafen, als Mama an die Tür klopfte, hereinschaute und fragte, wie es mir geht. „Geht so“, brummelte ich.