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Eine Woche vor Weihnachten wird das Bauernhaus der Familie Wolf bis zu den Erdgeschossfenstern eingeschneit. Frederik, der lieber in die Schule und am Nachmittag mit den Freunden zum Rodeln gegangen wäre, muss Schneeschippen. Als dann ihre Wasserleitung einfriert und die Stromversorgung, auch das Telefon ausfällt und das Handy unauffindbar ist, wird es kritisch. Sie können, sowie alle eingeschneiten Einzelgehöfte, keine Hilfe von außen erwarten, denn im Odenwald herrscht das Schneechaos. Die Straßen sind verweht und von umgestürzten Bäumen blockiert, die Schneeräumfahrzeuge heillos überlastet und immer noch schneit es in dicken Flocken. Als dann Frederiks Schwester Lina an den Masern erkrankt und kein Arzt kommen kann, wird ihre Lage beängstigend. Frederik bekommt den Auftrag, bevor es finster werden würde, die Kerzen im Haus zusammenzutragen. In seinem Zimmer sucht er seine Taschenlampe und findet den Schuhkarton mit der Alraune, ein Geschenk der Erdmänner. Er setzt sich mit ihr auf sein Bett und betrachtet sie. Sie ist nicht mehr ganz frisch, nach den Monaten im Karton, manchmal auch im Rucksack, war das auch kein Wunder. Frederik schmerzt der Kopf und die Augen brennen ihm, er lässt sich mit der Alraune aufs Bett sinken. Da hört er auf dem Speicher Geräusche. Was schadete es, einmal hinaufzusteigen und nachzusehen? Im Dachbodens fällt durch einige Dachfenster trübes Tageslicht herein, eins der Fensterchen steht einen Spalt offen und Schneeflocken rieseln herab. An den niederen, unverputzten Wänden liegen uralte Koffer, Frederik öffnet einen und findet eine golddurchwirkte Brokatjacke. Ein leichtes Grauen steigt in ihm auf, wem gehörte der Koffer, darf er ihn überhaupt öffnen? Da sieht er aus der Tiefe des Dachstuhls eine Gestalt auftauchen, Frederik erstarrt, er erkennt einen stattlichen Mann. Er erklärt, er sei Freiherr von Fink, ein Ahn der Finks, und müsse, wenn er eine Woche vor Weihnachten zu dieser Stunde, der mystischen Stunde, gerufen wird, erscheinen.
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Seitenzahl: 66
Veröffentlichungsjahr: 2015
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Hannelore Deinert
Im Tal der Erdmänner 4
Das verhinderte Christkind. Die mystische Stunde
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Inhaltsverzeichnis
Titel
Im Tal der Erdmänner. 4
Impressum neobooks
Ich fuhr hoch, etwas polterte ganz furchtbar im Treppenhaus. Oh, Mann, es wurde ja schon hell, hatten wir verschlafen? Lina weinte, war sie die Treppe hinuntergefallen?
Mit einem Satz sprang ich aus dem Bett und lief hinaus ins Treppenhaus.
Unten sammelte Lina, meine Schwester, gerade die Scherben ihres Puppengeschirrs ein. „Ist mir heruntergefallen“, jammerte sie, als ich an ihr vorbei zur Küche wollte. „Alles kaputt.“ Bekümmert strich sie sich eine blonde Strähne aus der Stirn.
„Vielleicht bringt dir das Christkind ja ein neues Geschirr!“, tröstete ich sie.
„Und wenn es gar nicht kommen kann!“, befürchtete Lina, „weil wir eingeschneit sind?“
In der Küche waren meine Eltern dabei, das Frühstück zu machen.
„Guten Morgen, Frederik“, begrüßten sie mich, und als ich reichlich verdattert auf die Küchenuhr schaute, es war schon dreiviertelacht vorbei, klärten sie mich auf:
„Du und Lina habt heute schulfrei, wir sind nämlich eingeschneit.“
„Bis zu den Erdgeschossfenstern“, seufzte Papa. „In der Schule hab‘ ich schon Bescheid gesagt, dass ihr heute nicht kommen könnt! Jetzt frühstücken wir in Ruhe, dann schauen wir, ob und wie weit wir uns freischaufeln können.“
„Die Räumfahrzeuge werden die Landstraße oben bald geräumt haben“, meinte Mama relativ ruhig. „Sie ist ja die Hauptverkehrsverbindung nach Ober-Ramstadt, die Odenwälder sind solche Wetterkapriolen ja gewohnt.“
„Wie du siehst, Lina“, wandte ich mich an meine Schwester, die mit Trauermiene die Scherben ihres Puppengeschirrs auf der Kehrichtschaufel zu Grabe trug, ich meine zum Mülleimer brachte, „das Christkind kann auf jeden Fall nächste Woche kommen.“
„Es hat ja einen Schlitten mit Rentieren“, stimmte mir Papa zu. „Die können über alle Hindernisse hinweg schweben.“
„Wo sind eigentlich die Katzen?“, erkundigte ich mich, gewöhnlich lagen sie am Morgen faul auf der Kaminbank herum.
„Heute noch nicht gesichtet“, meinte Mama.
Fast ein Jahr wohnten wir nun schon in unserem Bauernhaus im Modautal. Man muss wissen, mein Vater liebt historische Gebäude und hatte es sich zur Aufgabe gemacht, dieses vergessene, verwilderte, einsam gelegene Bauernhaus im tiefsten Odenwald, in den wir wegen meines hartnäckigen Hustens ziehen mussten, wie ihr vielleicht noch wisst, zwar nach heutigem Standard zu modernisieren, es aber in seinem bäuerlichen Charakter möglichst zu erhalten. Es machte ihm, dem Architekten und Restaurator, echt Freude mit Mama aus dem uralten Gemäuer etwas Besonderes zu machen. Wie auch immer, inzwischen fühlten wir uns recht heimisch darin.
Nicht dass es mich gefreut hätte, heute schulfrei zu haben, die Woche vor Weihnachten war immer recht nett in der Schule, wegen des Krippenspiels der Zweit- und Drittklässler zum Beispiel, außerdem wollte ich heute Nachmittag mit Egon und Paul Schlitten fahren.
In Frankfurt mussten wir zum Rodeln immer in den Taunus zum Feldberg fahren, was höchstens an den Wochenenden oder eben in den Weihnachtsferien möglich war, wenn Papa Zeit hatte. Im Odenwald aber war jeden Tag Schlittenfahren angesagt, noch dazu quasi vor der Haustür.
Aber heute hatten wir eindeutig zu viel Schnee.
Nach dem Frühstück schauten wir uns vom Balkon des Elternschlafzimmers aus, die vorweihnachtliche Bescherung an und verschafften uns einen Überblick.
Eine weiße Traumwelt lag zu unseren Füßen, die immer noch von Frau Holle mit dicken, dicht fallenden Flocken bedachte wurde, wie sich Papa ausdrückte. Von der Modau waren nur kleine, schimmernde Rinnsale zwischen Eis und Schnee zu sehen, der Steg darüber, die Schafsweide dahinter und der Feldweg zum Hang hinüber waren unter einer dicken Schneedecke begraben. Die kahlen Äste der Eichen und Buchen auf dem Hang bogen sich gefährlich unter ihrer Schneelast und die dick verschneiten Nadelbäume glichen einem Zauberwald.
„Das schaffen wir nicht allein“, stellte Papa fest und schloss die Balkontür hinter sich.
In der Küche dann erläuterte er seine Strategie: „Wir müssen die Gemeinde bitten, uns mit einem Räumfahrzeug auszuhelfen. Wenn sie uns den Weg bis zur Scheune freischieben, dann könnten wir zu unseren Autos und säßen nicht fest. Den Hauseingang bis zum Kiesweg können wir selbst in Angriff nehmen.“
Mama ging ans Telefon und wählte die Nummer der Gemeinde.
„Tot“, meinte sie und legte den Hörer auf. „Die Telefonleitung ist unterbrochen.“
„Keine Sorge“, meinte Papa locker, „die wird bestimmt bald repariert sein. Nimm das Handy, es muss im Büro auf meinem Schreibtisch liegen.“
Weil es zu einem späteren Zeitpunkt nochvon Bedeutung sein wird, muss ich kurz die Räumlichkeiten in unserem Erdgeschoss erklären. Der Korridor führte linker Hand an der Küche und dem Wohnzimmer und gegenüber an der Gästetoilette, am Gästezimmer und an Papas Büro vorbei. Ganz hinten war die Tür zum Anbau, in dem sich ein großer, gepflasterter Raum befand und speziell Mamas Reich war.
Gleich wenn man hereinkam stand rechts neben der Tür die Tiefkühltruhe, ihr gegenüber ein uraltes Kanonenöfchen, welches für eine überschlagene Temperatur sorgte. Daneben hatten Papa und ich Holzscheite aufgeschichtet, die wir im Herbst im Hof gehackt hatten.
Rechts an der Wand stand unsere Waschmaschine mit den Wäschekörben, daneben ein Tisch, auf dem Mama Wäsche sortierte und zusammenlegte, und ein uraltes Büfett. Mitten im Raum hatte Papa eine kleine Wäschespinne aufgestellt.
Links an der Wand befanden sich Metallregale, in denen verschieden große Blumentöpfe, Plastiksäcke mit Blumenerde, Dünger und solche Sachen lagen. Unter dem Glassteinfenster zum Hof stand ein großer Tisch, der gleichfalls mit Blumentöpfen und Erde beladen war, es war kaum zu übersehen, dass hier eine Hobbygärtnerin zugange war. Neben der Tür zum Hof hatte Papa Haken montiert, an denen Schaufeln, Rechen, eine Sense, ein sehr breiter Hofbesen und schließlich zwei Schneeschieber hingen.
Lina und ich waren Papa in den Anbau gefolgt, wo er die Schneeschieber von den Haken nahm und einen davon mir reichte, Lina griff sich eine große Sandkastenschaufel.
„Wir versuchen den Ausstieg über das Küchenfenster“, entschied Papa. Schon klar, das Küchenfenster lag ja neben dem Hauseingang.
Wir räumten in der Küche den Platz vor dem Fenster frei und legten große Tücher darunter, Mama befürchtete nämlich, dass gleich eine Schneelawine hereinkommen könnte.
Dann versuchte Papa das Fenster zu öffnen, vergebens, es war festgefroren.
„Haben wir nicht noch eine elektrische Wärmedecke, Ingrid?“, erinnerte sich Papa. „Damit müsste es gehen.“
Echt gute Idee, das mit der Heizdecke, aber ohne Strom nützte sie gar nichts, das merkte natürlich auch Papa schnell, er rüttelte so lange mit Geduld und Gefühl am Fenstergriff, bis das Fenster endlich knirschend aufging.
Tatsächlich fiel eine Menge Schnee und eisige Luft herein, die uns für den Moment den Atem nahm. Papa schlüpfte in seinen Anorak und die Boots, kletterte dann über einen Schemel und die Fensterbank ins Freie, Mama schloss hinter ihm wieder das Fenster. Lina und ich schauten zu, wie Papa draußen rund um das Fenster den Schnee beiseite schaufelte und dabei von dicken Flocken umtanzt wurde.
Nach einer Weile klopfte er ans Fenster.
„Ihr könnt nachkommen!“, rief er uns zu. „Zieht euch warm an, wir werden eine Weile zu tun haben!“
Wir schlüpften also auch in unsere Anoraks und die Boots, Mama öffnete für uns das Fenster, das immer noch fürchterlich klemmte, und half uns hinaus.
Zuerst behinderten wir uns gegenseitig beim Schaufeln, aber allmählich verschafften wir uns so viel Freiraum, dass wir uns zügig Richtung Haustür vorarbeiten konnten. Lina schaufelte anfangs fleißig mit, aber bald bohrte sie mit ihrer Schaufel Löcher in die Schneewand oder baute kleine Schneemänner. Ich muss zugeben, Schneeschaufeln ist eine echte Knochenarbeit, wobei man gehörig ins Schwitzen geriet.
„Wenn wir bei der Haustür sind“, meinte Papa und stützte sich auf seinen Schneeschieber, um zu verschnaufen, „haben wir das Gröbste geschafft. Bis zum Kiesweg ist es dann nur noch ein kurzes Stück. Und wenn die Gemeindearbeiter mit ihrem Schneeschieber kommen, lassen wir uns von Mama mit einem heißen Tee verwöhnen. Dagegen werden die Gemeindearbeiter bestimmt auch nichts haben!“
Es schneite so heftig, dass wir kaum die Straße oben sehen konnten, erst recht nicht den Schneeschieber der Gemeinde, der nun bald kommen musste.