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„Warum kann es nicht einfach einfach ablaufen? Alles muss immer so kompliziert sein.“ Ob es der gutaussehende Kollege ist, der den schnöden Arbeitsalltag erhellt, aber zu schüchtern für den ersten Schritt ist. Oder der Typ von der Studentenparty, der aufs Ganze geht: Es ist gar nicht so leicht für ein Mauerblümchen sich zwischen den elektrisierenden Händen des einen und der Geborgenheit des anderen zu entscheiden. Männer, die um das Wohl ihrer Familien kämpfen. Und Mädchen in Seifenblasen. In sieben Kurzgeschichten boxen sich die Figuren durch die unterschiedlichsten Situationen und Lebenslagen. Nur eines haben sie gemeinsam: Sie sind Meister im Korb geben.
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Inhalt
VORWORT
GEFÜHLE
WENN EINFACH EINFACH EINFACH WÄRE
DAS MÄDCHEN IN DER SEIFENBLASE
LARA UND SOPHIE (TEIL 1)
BENJAMIN
DAS DREIECK
LARA UND SOPHIE (TEIL 2)
DAS BEWERBUNGSGESPRÄCH
DER STUMME SINGVOGEL
LARA UND SOPHIE (TEIL 3)
DANKSAGUNG
ANMERKUNGEN
MIRJAM-SOPHIE FREIGANG
ANLEITUNG IM KORB GEBEN
– KURZGESCHICHTEN –
© 2020 Mirjam-Sophie Freigang
Schützenstraße 24
69256 Mauer
2. Auflage
Cover & Buchsatz: Mirjam-Sophie Freigang unter Verwendung von Bildmaterial von www.canva.com
www.mirjamfreigang.de
Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche
Zugänglichmachung.
Für all die Menschen,
die mich zu diesen Geschichten
inspiriert haben.
VORWORT
Beziehungen: Sie sind eine aufregende Sache. Eine Herausforderung und gleichzeitig unerlässlich. Wir sind von Beziehungen abhängig – egal welcher Art und Form. Sie sind schlichtweg lebensnotwendig.
Das bedeutet nicht, dass ein Mensch nicht ohne sie existieren kann. Das funktioniert sogar besonders gut. Es entstehen viel weniger Probleme, die Beziehungen mit sich bringen können. Ohne Beziehungen überleben sehr viele Menschen, was oftmals mit einem Einsamkeitsgefühl einhergeht. Zahlen belegen, dass 17 Prozent junger Menschen im Alter von 18 bis 29 Jahren sich ständig oder häufig einsam fühlen. Bei den Mittdreißigern sind es sogar 18 Prozent1. Schauen wir nur einmal nach links und nach rechts, werden wir festzustellen, dass der Mensch ohne (feste, tiefe) Beziehungen tatsächlich existieren kann.
Jetzt kommt das große Aber: Die Betonung liegt auf „existieren“. Der Mensch kann sich in der Tat allein am Leben erhalten, sich frei machen von jeglichen Bindungen und losgelöst, ja nahezu selbstsüchtig, Entscheidungen treffen. Beziehungen basieren jedoch auf Wechselwirkungen, die wiederum aus einem Geben und Nehmen bestehen. Hier wird die ganze Sache komplex, sobald zwei oder mehr Seiten involviert sind. Ob das Leben ohne Beziehungen bedeutend und lebenswert ist, ist allerdings fraglich. Aus Erfahrung kann ich sagen: Das Leben schmeckt ohne ein Geflecht aus aufrichtigen Beziehungen fad.
Ich habe es selbst erfahren: In der einsamen Natur Schwedens, ohne jedwede Ablenkung durch Internet oder Fernsehen und ohne fließend warmes Wasser habe ich mich nicht so einsam gefühlt, wie im dichtbesiedelten Deutschland. In Schweden war ich zwar häufig allein; die wenigen Menschen, die ich dort kannte, waren dafür eng mit mir verbunden. Zurück in der Heimat ging ich in der Masse unter.
Das Problem: Einsamkeit ist nicht direkt messbar oder klar diagnostizierbar. Es ist ein subjektives Gefühl; der Mensch ist nicht einsam, sondern er fühlt sich einsam2. Laut einer Umfrage aus dem Jahr 2017 des Marktforschungsinstituts Splendid Research fühlen sich vier von fünf Deutschen einsam3 – Tendenz steigend. In den sechs Jahren von 2011 bis 2017 stieg die Einsamkeitsquote bei den 45- bis 84-Jährigen um 15 Prozent an, in einzelnen Altersgruppen sogar um 59 Prozent4. Um diesem Einsamkeitsgefühl zu entkommen, versuchen immer mehr Menschen diesem durch soziale Medien und Dating-Apps entgegenzuwirken. Die Gesellschaft ist mittlerweile soweit, dass mir versichert wurde, ohne Tinder laufe heutzutage gar nichts mehr.
In Schweden war ich allein. Zurück in der Heimat war ich einsam. Am krassesten habe ich es nach meinem Jobwechsel und dem damit verbundenen Umzug in ein anderes Bundesland verspürt. Meine Familie und Freunde musste ich verlassen. Für Außenstehende nicht einsehbar, aber für mich spürbar, tat sich in mir ein gewaltiger Riss auf.
Das war der Zeitpunkt, in dem mir bewusst wurde, wie wichtig es ist, Beziehungen aufzubauen und zu pflegen. Menschen zu haben, denen man nahesteht. Nicht allein physisch, insbesondere emotional, geistig und intellektuell. Menschen, mit denen man auf einer Welle reitet. Das wurde mir leider erst nach meinem Jobwechsel bewusst.
Bis dahin hatte ich es versäumt aufrichtige Beziehungen aufzubauen und zu pflegen. Jahrelang war ich der Meinung, ich bräuchte niemanden. Es war leichter, sein eigenes Ding durchzuziehen, anstatt nach den Bedürfnissen und Wünschen anderer zu fragen. Ich hatte eine Hand voll Freunde – frei nach dem Motto „Qualität vor Quantität“. Trotzdem habe ich jeden abgeschüttelt, der nicht in dieselbe Richtung ging. Auf emotionaler Ebene war es angenehmer, sich zu verschließen, anstatt zu riskieren, verletzt zu werden. Mich und meine Vorstellungen wollte ich nicht aufgeben. So entwickelte ich mich zu einer hervorragenden Einzelkämpferin, die allein durch die Stationen des Lebens zog. Ich war eine Meisterin im Korb geben.
Aus dem Alleinsein entwickelte sich nach und nach Einsamkeit. Ein tiefes, schwarzes Loch riss in meiner Brust auf. Diese Schmerzen wünsche ich niemandem.
Das hat mich schließlich wachgerüttelt. Es hat mir zum einen gezeigt, was ich in der Vergangenheit versäumt habe. Zum anderen, wie wertvoll Beziehungen für ein aufregendes Leben sind. Während meine Freunde über die halbe Bundesrepublik und sogar über halb Europa verstreut leben und arbeiten, heiraten und ihre Familien gründen, hänge ich weit hinterher und bin gerade erst zu dieser einschneidenden Erkenntnis gelangt.
Beziehungen sind wie Steine im Fluss. Man reibt sich aneinander, eckt an und wird so geschliffen und geformt. Beziehungen formen unseren Charakter. Das ist wohl das wichtigste und erstrebenswerteste Ziel unserer Zeit auf dieser Erde: unsere Charakterformung. Was bringen mir viel Geld, Preise, Prämien, Anerkennung und viele oberflächliche Bekanntschaften, wenn ich im Grunde meines Herzens ein Ar … bin?
Auf dem holprigen Weg zu dieser Erkenntnis bin ich vielen Menschen begegnet, die mich zu diesem Etappenziel geführt haben. Sie sind meine Steine, an denen ich mich reiben durfte. Viele dieser Begegnungen behalte ich als schöne Erlebnisse in Erinnerung, einige als ungemütlich. Manche dieser Begegnungen waren von kurzer Dauer. Andere waren intensiv und über einen längeren Zeitraum mit mir verbunden. Vielleicht denken sie schon gar nicht mehr an mich. Letztlich sind sie alle für mich bedeutungsvoll, da sie mich zu der Frau gemacht haben, die ich heute bin.
An diese Menschen richtet sich dieses kleine Büchlein. Ihr seid die Inspiration zu diesen Geschichten, die in verschiedenen Lebensphasen entstanden sind. Aus diesem Grund könnten die Storys und die Figuren in ihrer Stimmung, ihrem Inhalt und ihrem Wesen nicht unterschiedlicher sein. Sie reflektieren in gewisser Weise meinen Werdegang.
Jetzt aber Schluss mit dem Vorgeplänkel! Ich wünsche Euch viel Spaß beim Lesen.
Eure Mirjam
GEFÜHLE
Gefühle sind wie der Wind.
Sie kommen und sie gehen.
Sie sind leise und erfrischend,
Doch sie werden auch verwehen.
Gefühle tragen dich von hinnen,
Hinauf zur Wolke sieben.
Du glaubst du kannst fliegen,
Bis erste Wolken aufziehen
Gefühle sind wie wilde Böen.
Plötzlich sind sie da.
Mit aller Macht drücken
Sie dich nieder, unberechenbar.
Gefühle sind wie das Wetter.
Sie sind äußerst unbeständig.
Wie die Sonne sind sie heiter,
Wie der Regen trübsinnig.
Gefühle sind wie ein Tornado,
sie machen dir Heidenangst.
Entblößend, dass du, irgendwo,
Dich nur verstecken kannst.
Doch nach jedem Unwetter
Klart der Himmel auf.
Sie strecken dich hin, immer heftiger,
doch das Leben nimmt seinen Lauf.
Gefühle sind wie der Wind.
Denn sie werden vergehen.
Doch sei guten Mutes,
denn die Liebe bleibt bestehen.
WENN EINFACH EINFACH EINFACH WÄRE
„Er ist so wundervoll ignorant. Glaubt er tatsächlich, dass er mir mit seiner Ignoranz eins reinwürgen könne?“
Luise wackelte nervös mit einem Bein und schüttelte fassungslos den Kopf. Mit einer Flasche Wein in der Hand stand sie plötzlich vor meiner Zimmertür – mit unordentlichem Dutt und in für ihre schlanken Beine viel zu weiten Jogginghosen. Bevor ich etwas sagen konnte, schlängelte sie sich zwischen mir und dem Türrahmen hindurch.
„Nur weil ich ihm einen Korb gegeben habe, heißt das noch lange nicht, dass er mich wie Luft behandeln soll. Warum können wir nicht normal miteinander umgehen? So wie mit anderen Menschen, von denen wir nichts wollen?“
Sie ließ sich auf mein Bett fallen und schraubte den Deckel des Aldi-Weins ab.
„Hast du Gläser?“, fragte sie in einem plumpen Tonfall. Die offene Flasche in der einen und den Deckel in der anderen Hand. Mit weit aufgerissen Augen starrte sie mich an, während ich, völlig überrumpelt, mich nicht bewegte.
„Hallo! Maike?“, winkte Luise in mein Sichtfeld. Es wirkte. Ich erwachte aus meiner Starre.
„Äh, ja klar.“ Ich schloss die Tür und ging zum Regal an der Wand, wo das wenige Geschirr lagerte, das ich von Zuhause mit ins Studentenwohnheim genommen hatte. Ich reichte ihr zwei Weingläser – aus Hartplastik. Ein Glas füllte sie knapp bis zur Hälfte. Das andere machte sie voll, bis nur noch ein halber Zentimeter Luft darin Platz hatte. Natürlich war das zweite für sie bestimmt.
„Zuerst blockiert er meine Nummer und dann macht er um mich jedes Mal einen riesigen Bogen, wenn wir uns über den Weg laufen.“ Luise lachte verächtlich und schüttelte abermals den Kopf. Sie setzte das Glas an die Lippen und nahm einen gewaltigen Schluck.
Langsam ließ ich mich auf meinen Schreibtischstuhl sinken. Das Möbelstück ächzte unter meinem Gewicht.
Ich musterte Luise. Sie war diese Art von junger Frau, die Männer zur eingehenden Betrachtung verlockte – sogar in ihrem heutigen Schlabberlook. Diese Art von Frau, der die Männer von der anderen Seite des Raumes bewundernde Blicke zuwarfen. Wie in amerikanischen Kitschfilmen, in denen sich die umherschweifenden Blicke zweier Menschen plötzlich treffen. Wie zwei Magnete bewegen sie sich aufeinander zu und feiern ihre Begegnung mit einem gemeinsamen Tanz. An die amerikanische Kitschvorlage hielt sich Luise indessen wenig. Sie schnitt in solchen Fällen eine genervte Grimasse, bevor die Magnetwirkung des anderen überhaupt einsetzte. Sie liebte es, sich in der Gym an den Geräten auszupowern oder in der Natur joggen zu gehen. Dazu war sie lustig, intelligent und fürsorglich. Doch – und das war wohl ihr einziger Makel – sie war unerreichbar. Zumindest für die Männerwelt. Egal, wie viele es waren, egal, wer es war, Luise fand immer einen Grund, nicht zu der Verabredung zu gehen, ihm nicht ihre Nummer zu geben, ihn einfach als unpassend zu deklarieren.
Als ich sie kennenlernte, war sie es, die sich mir vorgestellt und mich zu ihrer Freundin gemacht hatte. Ich war zu schüchtern gewesen, vollkommen weltfremd. Unfähig, sozialen Interaktionen nachzugehen, hatte ich damals zur Erstsemesterparty verunsichert in einer Ecke gestanden und an meinem Glas genippt. Niemand schien mich bemerkt zu haben. Bis plötzlich sie vor mir gestanden hatte. Sportlich, fröhlich, und einfach … hm, was ist das richtige Wort dafür … einnehmend, präsent, imposant. Ganz gleich, wo Luise hinkam – sie betrat den Raum und alle Aufmerksamkeit galt ihr. Ich war es gewohnt, Luft zu sein. An Luises Seite lernte ich mein Schattendasein noch einmal neu kennen. Denn es kümmerte mich wenig, nicht bemerkt zu werden. Ich hatte ja ihre Aufmerksamkeit. Für mich war sie der Inbegriff einer umwerfenden Powerfrau.
Mit den Jahren, die wir nun studierten, verlängerte sich die Schlange ihrer Interessenten. Trotz allem war niemand dazu befähigt, Luises Herz zu erweichen. Diejenigen, deren Ambitionen tatsächlich aufrichtig waren, trauten sich hingegen nicht sie anzusprechen. Sie vermuteten, eine so umwerfende Frau sei bereits vergeben. Damit lagen sie allerdings meilenweit verkehrt.
„Er ist so süß, wenn er mich trotzdem aus dem Augenwinkel beobachtet, weil er gar nicht anders kann als mich anzuschauen“, plapperte Luise fort. Da fiel mir auf, dass sie schon die ganze Zeit geredet hatte, ohne dass ich geistig anwesend gewesen war.
„Glaubt er tatsächlich, dass er mich damit strafen kann? Er kann so schön beleidigt sein, aber das macht mir absolut nichts aus.“
„Du wolltest ja nichts von ihm“, stieg ich endlich in die Thematik ein.
„Das hätte von Anfang an nicht geklappt. Ich liege mit meiner Vorahnung nie falsch.“
Richtig, die Vorahnung. Noch so eine Ausrede, die sie gern nutzte. Ihr Bauchgefühl riet ihr davon ab, ihr Herz auch nur einen Spalt weit zu öffnen.
„Worüber regst du dich jetzt auf?“, fragte ich ein wenig verwirrt. „Wenn du nichts von ihm wolltest, ist es ganz gut so, dass er dir aus dem Weg geht.“
„Das ist doch albern.“
„Besser so, als dass er dich bedrängen würde. Solche Typen können echt unangenehm sein. Außer …“
Unsere Blicke trafen sich und für einen Moment wechselten wir von einer verbalen zu einer nonverbalen Unterhaltung, die nur durch unsere Grimassen geführt wurde. Ich zog die Augenbrauen hoch, Luise kräuselte die Stirn. Als ich meinen Gedanken erfolgreich in ihr Gedächtnis übermittelt hatte, schüttelte sie vehement den Kopf. Wie ein Kind, das seinen Brei partout nicht essen wollte. Sie schenkte sich einen großen Schluck nach.
„Nein, ich will auf gar keinen Fall was von ihm.“
„Dann hat sich die Sache doch geklärt.“ Ich stellte mein Glas beiseite, ohne nur einen Schluck genommen zu haben. Gegorener Traubensaft gehörte nicht zu meinen Lieblingsgetränken, das wusste Luise. An diesem Abend drehte sie sich dagegen ausschließlich um sich selbst.
„Hier geht es nicht darum, dass ich nichts von ihm wollte. Oder dass ich mich über seine Ignoranz ärgere. Es macht mich wütend, dass er sich nicht wie ein Erwachsener verhalten kann.“
„Im Grunde tut es nichts zur Sache. Seine Gefühlsregungen gehen dich nichts mehr an.“
Zumal sie dich eh nie etwas angegangen sind, fügte ich gedanklich hinzu.
„Es geht ums Prinzip.“
„Vielleicht hat ihn deine Abweisung tatsächlich verletzt.“
„Ich bitte dich.“ Sie warf mir einen vorwurfsvollen Blick zu. „Ron ist nicht der Typ, der aufrichtig verletzt wird, sobald frau ihm einen Korb gibt. Das hast du selbst gesagt. Alles, was einen Kratzer wegbekommen hat, ist sein Ego. Das wird er schon verkraften.“
„Es kann ja sein, dass er dich als gescheitertes Projekt sieht. Deine Abweisung lässt ihn seine Fähigkeiten infrage stellen. Immerhin kann er sich jetzt nicht mehr mit einer hundertprozentigen Erfolgsquote brüsten.“
Luise ignorierte meine Vermutung.
„Ach, ich habe doch keine Ahnung“, winkte ich ab. „Ich verstehe trotzdem deine Aufregung nicht.“
„Es geht ums Prinzip“, wiederholte sie. Sie überschlug die Beine und stützte ihren Ellbogen auf dem Oberschenkel ab. Mit dem Glas zeigte sie in meine Richtung. „Er ist ein Mann mit Taktik. Seine Ignoranz soll mir ein schlechtes Gewissen einreden, damit ich meine Entscheidung noch einmal überdenke. Da hat er sich geschnitten. Ich hatte ihm von Anfang an klar und deutlich kommuniziert, dass aus uns nichts wird.“
Ich zog eine Augenbraue nach oben. Mit dieser Aussage belog sie vor allem sich selbst.
„Was soll dieser Blick?!“, rief Luise vorwurfsvoll. „Ich habe es ihm mehr als deutlich gemacht.“
„Bist du dir da sicher?“
Luise becherte den restlichen Wein, um das Glas sofort neu zu befüllen. Diese Geste genügte als Antwort.
„Warum kann es nicht einfach einfach ablaufen? Alles muss immer so kompliziert sein“, jammerte sie.
Darauf sagte ich nichts. Denn es sah so aus, als erwartete sie überhaupt keine Antwort. Obwohl ich dazu meine ganz eigenen Gedanken hatte. Denn zwischen ihr und Ron lief nichts in dem Sinne, dass sie sich nun den Kopf darüber zerbrechen müsste. Es war eben Luise! Sie bewegte sich manchmal in ihrem eigenen Universum mit seinen eigenen Gesetzmäßigkeiten. Ob ich nun was sagte, sie lobte oder runtermachte – sie hörte nur das, was sie hören wollte.
Wie vom Blitz getroffen sprang sie auf und wandte sich zum Gehen. Mit ihrer Weinflasche in der Hand und den viel zu großen Jogginghosen sah sie aus wie eine schlanke Version von Bridget Jones an ihrem einsamen Geburtstag. Im Türrahmen blieb sie noch einmal stehen und drehte sich zu mir um. Sie setzte an, etwas zu sagen, verschwand allerdings ohne weitere Worte in ihrem Zimmer nebenan, den Flur runter.
Nahm das Ganze sie mehr mit, als ich ahnen konnte?
***
Ein Monat und eine Woche zuvor.
Die Prüfungen standen an. Was machten erfahrene Studenten im fünften Semester, nur wenige Wochen vor den Prüfungen? Richtig. Feiern! Und das taten Luise und ich mit unserer Clique ausgiebig. Jeden Mittwoch ging es mit Vivien, Sarah und Katha in die Bar zum Trinken. Und zum Tanzen am Freitag in den Studentenclub. All den Stress vergessen, den wir uns nicht machten, und unter Leute kommen, die wir schon in den Vorlesungen um uns hatten.
Heute war Clubabend. Luise meinte, wir sollten mal so richtig auf die Kacke hauen und uns auftakeln. Wozu ich absolut keine Lust hatte. In den vergangenen Wochen hatte ich so viel Schokolade gegessen, dass mein Gesicht einer roten Mondlandschaft glich, meine Haare hatten fast ein ganzes Jahr keine Schere aus der Nähe gesehen und mein Schwimmring tanzte bei jedem Schritt fröhlich auf und ab. Nach einer halben Stunde, in der ich mit Schminken und Abschminken beschäftigt war, entschied ich mich für Abdeckstift und Wimperntusche. Eine luftige Bluse deckte meinen angefutterten Rettungsring ab und mein herausgewachsener Haarschnitt verschwand in einem Zopf.
Ganz anders sah es bei meiner besten Freundin aus. Sie trug Shorts, die ihre trainierten Beine und ihren festen Hintern zur Schau trugen, und ein knappes Top. Ihren Look rundete sie durch eine lange Halskette ab. In ihre Haare hatte sie Locken gedreht, die ihr fröhlich um das Dekolleté hüpften. Irgendwie ließ mich der Gedanke nicht los, dass sie mehr vorhatte als nur zu tanzen. Andererseits brauchte ich mir bei ihr keine Sorgen zu machen. Ihr Liebesleben glich einem ausgesetzten Eisbären in der Antarktis (Richtig, Eisbären sind normalerweise in der Arktis wohnhaft. Deswegen ein liebestoller Eisbär in der Antarktis).
Schon eine Weile im Club kam bei uns auch nach dem Sommerhit Despacito keine Tanzstimmung auf. Dafür waren die Drinks umso besser.
„Willst du auch noch eine Jacky-Cola?“, brüllte mich Luise durch den brummenden Beat an.
Eigentlich hatte ich Kopfweh und wollte heim. Ein Blick auf die Uhr verriet, dass es gerade einmal kurz nach elf war. Du gute Güte, wie langweilig du geworden bist.
„Na gut, bring mir eine mit“, wollte ich soeben sagen, aber Luise war schon mit ihrem Portemonnaie in der Masse verschwunden.
„Irgendwie kommt nicht so wirklich Stimmung auf“, meinte Vivien, die neben mir saß.
Nickend stimmte ich zu.
„Bei den Kerlen ist heute auch nichts Ansprechendes dabei.“ Sarah schaute sich um. „Sieht fast so aus, als ob ich heute mit euch heimgehen müsste.“
Das Dämmerlicht und die Schmutzflecken meiner Brille verhinderten eine klare Sicht. Dennoch erkannte ich, worauf Sarah hinauswollte. Es wirkte beinahe so, als würden die Nerds der Big Bang Theory die sozialen Interaktionen einer Party untersuchen. Von attraktiven Jungs war weit und breit keine Spur.
„Oh, da ist Ron“, quietschte Katha.
Auf Kommando drehten sich alle in eine Richtung und ihnen entfuhr ein leichtes Seufzen.
In der Menge tanzte Ron mit zwei seiner Kumpels. Er bewegte sich kaum. Im Grunde tanzte er nicht, sondern schritt im Zweitakt von einer Stelle auf die nächste. Ron musste wiederum kein guter Tänzer sein. Allein, dass er sich bewegte, rief eine freudige Erregung in den Mädels hervor.
„Mit dem würde ich auch gerne mal tanzen. Wenn ihr versteht, was ich meine.“ Sarah kräuselte schelmisch die Nase.
Ich streckte meinen Kopf über die Mitte des Tisches. „Der hat doch eine Freundin.“
Die anderen schauten sich ratlos an.
„Der hatte wohl mal eine“, gab Sarah mit einer Handbewegung zu.