Anne weiß sich zu helfen - Judith Parker - E-Book

Anne weiß sich zu helfen E-Book

Judith Parker

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Beschreibung

Die Idee der sympathischen, lebensklugen Denise von Schoenecker sucht ihresgleichen. Sophienlust wurde gegründet, das Kinderheim der glücklichen Waisenkinder. Denise formt mit glücklicher Hand aus Sophienlust einen fast paradiesischen Ort der Idylle, aber immer wieder wird diese Heimat schenkende Einrichtung auf eine Zerreißprobe gestellt. Diese beliebte Romanserie der großartigen Schriftstellerin Patricia Vandenberg überzeugt durch ihr klares Konzept und seine beiden Identifikationsfiguren. »Beeile dich doch!«, rief Vicky Langenbach ungeduldig von der Tür her. »Herr Larousse ist schon da. Auch Pünktchen, Heidi und Jeanette sind schon unten.« Angelika Langenbach legte die Bürste, mit der sie ihr Haar bearbeitet hatte, auf die Kommode zurück und wandte sich zu ihrer um zwei Jahre jüngeren Schwester um. »Ich bin gleich fertig. Hast du auch nichts vergessen? Immerhin wollen wir eine Woche in dem Blockhaus von Herrn Larousse bleiben.« »Eigentlich heißt er doch Monsieur Larousse«, meinte Vicky. Dabei warf sie einen prüfenden Blick in den Spiegel. Seit kurzem trug sie ihr braunes Haar glatt aus dem Gesicht gebürstet und am Hinterkopf mit einer Schleife zusammengebunden. Sie fand diese neue Frisur sehr schick. Ihre Schwester dagegen ließ ihr blondes Haar auf die Schultern fallen. Manchmal trug sie es in der Mitte und manchmal auf der linken Seite gescheitelt. »Hast du bestimmt nichts vergessen?«, wiederholte Angelika und zog die Schnur ihres Rucksackes zusammen. »Bestimmt nicht. Viel brauchen wir ja dort auch nicht«, erwiderte Vicky sorglos. »Pünktchen und Heidi nehmen auch nicht mehr mit als Jeans und Pullis. Vielleicht noch einen Rock und eine Wolljacke. So, nun komm doch endlich!« »Ich bin ja schon fertig.« Angelika sah sich noch einmal in dem Zimmer um. »Ich finde es ganz toll, dass Jea­nette uns beide, Pünktchen und Heidi, ins Blockhaus eingeladen hat, und Peggy auch.« »Bei Peggy ist es doch selbstverständlich. Schließlich sind Herr Luchs und Monsieur Larousse Freunde. Nicht wahr, man muss Monsieur Larousse zu ihm sagen?« »Das ist gehüpft wie gesprungen. Monsieur heißt mein Herr.« Angelika besuchte

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Sophienlust –125–

Anne weiß sich zu helfen

Roman von Judith Parker

»Beeile dich doch!«, rief Vicky Langenbach ungeduldig von der Tür her. »Herr Larousse ist schon da. Auch Pünktchen, Heidi und Jeanette sind schon unten.«

Angelika Langenbach legte die Bürste, mit der sie ihr Haar bearbeitet hatte, auf die Kommode zurück und wandte sich zu ihrer um zwei Jahre jüngeren Schwester um. »Ich bin gleich fertig. Hast du auch nichts vergessen? Immerhin wollen wir eine Woche in dem Blockhaus von Herrn Larousse bleiben.«

»Eigentlich heißt er doch Monsieur Larousse«, meinte Vicky. Dabei warf sie einen prüfenden Blick in den Spiegel. Seit kurzem trug sie ihr braunes Haar glatt aus dem Gesicht gebürstet und am Hinterkopf mit einer Schleife zusammengebunden. Sie fand diese neue Frisur sehr schick. Ihre Schwester dagegen ließ ihr blondes Haar auf die Schultern fallen. Manchmal trug sie es in der Mitte und manchmal auf der linken Seite gescheitelt.

»Hast du bestimmt nichts vergessen?«, wiederholte Angelika und zog die Schnur ihres Rucksackes zusammen.

»Bestimmt nicht. Viel brauchen wir ja dort auch nicht«, erwiderte Vicky sorglos. »Pünktchen und Heidi nehmen auch nicht mehr mit als Jeans und Pullis. Vielleicht noch einen Rock und eine Wolljacke. So, nun komm doch endlich!«

»Ich bin ja schon fertig.« Angelika sah sich noch einmal in dem Zimmer um. »Ich finde es ganz toll, dass Jea­nette uns beide, Pünktchen und Heidi, ins Blockhaus eingeladen hat, und Peggy auch.«

»Bei Peggy ist es doch selbstverständlich. Schließlich sind Herr Luchs und Monsieur Larousse Freunde. Nicht wahr, man muss Monsieur Larousse zu ihm sagen?«

»Das ist gehüpft wie gesprungen. Monsieur heißt mein Herr.« Angelika besuchte bereits das Gymnasium in Maibach, während ihre Schwester noch in die Wildmooser Volksschule ging.

»Mein Herr Larousse«, wiederholte Vicky kopfschüttelnd. »Wir sagen doch auch nicht mein Herr Rennert oder mein Herr Brodmann oder …«

»Im Französischen heißt es eben so.« Angelika ging neben ihrer Schwester die Treppe in die Halle des Kinderheims Sophienlust hinunter. Die beiden Mädchen lebten seit dem tragischen Tod ihrer Eltern als Dauerkinder hier. Michael, der ältere Bruder der beiden, studierte bereits und hatte eine zweite Heimat bei der Familie von Schoenecker auf Schoeneich gefunden. Er war mit Sascha, dem ältesten Sohn Alexander von Schoeneckers, eng befreundet.

Tatsächlich stand der große Wagen mit der französischen Nummer bereits vor der Freitreppe des Herrenhauses. Herr Larousse, ein schlanker gutaussehender Mann in einer saloppen Wildlederjacke, hellgrauer Hose und einem hellgrünen Sporthemd, dessen Kragen offen war, stand daneben. Sein Töchterchen Jeanette, ein ungefähr sechsjähriges Mädchen, mit braunen Haaren und dunklen Augen, saß auf der untersten Stufe der Freitreppe und strich dem großen Bernhardiner Barri zärtlich über den dicken Kopf.

Pünktchen und Heidi saßen eine Stufe höher und erhoben sich sogleich, als die Schwestern Langenbach erschienen. »Endlich!«, rief Pünktchen. Dabei krauste sie ihre kleine, mit Sommersprossen besprenkelte Nase. »Wo steckt ihr nur so lange?«

»Ich war schuld. Aber wo sind die anderen?« Damit meinte Angelika die übrigen Bewohner von Sophienlust.

»Die Kinder warten am Tor. Schwester Regine ist schnell noch einmal ins Haus gegangen, um noch einen dicken Schinken aus der Küche zu holen, damit wir auch genügend Proviant haben. Und Tante Ma will uns noch ein paar Tafeln Schokolade bringen. Von den anderen haben wir uns bereits verabschiedet.« Pünktchen blickte auf ihre Armbanduhr. »Wo nur Tante Isi, Nick und Henrik bleiben?«, fragte sie beunruhigt. Nick hatte ihr fest versprochen, an diesem Morgen dazusein, um sich noch von ihr zu verabschieden. Mehr als acht Tage lang würde sie ihn dann nicht mehr sehen. Wirklich schade, dass er nicht mitkam. Aber weil sein Bruder Sascha nach Hause gekommen war, wollte er mit diesem beisammensein. Deshalb hatte sie selbst auch die Einladung von Herrn Larousse angenommen. Denn Nick würde sich in den nächsten Wochen nur wenig in Sophienlust sehen lassen.

Schwester Regine und die Heimleiterin, Frau Rennert, kamen zusammen die Freitreppe herunter. Monsieur Larousse bedankte sich noch einmal herzlich für die reichlichen Lebensmittel. »Ein Jammer, dass ich nicht einige Tage mit Herrn Luchs und den Kindern im Blockhaus bleiben kann«, erklärte er. Ungeduldig sah er auf seine Armbanduhr. »Wir müssen fahren«, sagte er dann.

Pünktchen stieg zögernd ein. Für sie war es eine große Enttäuschung, dass Tante Isi, Nick und Henrik noch nicht gekommen waren. Nun konnte Nick sie nicht mehr sehen. Doch da rief Heidi: »Tante Isi kommt!«

Pünktchens blaue Augen strahlten sofort wie zwei Sterne vor Glück. »Ich steige noch einmal aus!«, rief sie Herrn Larousse zu und kletterte schon aus dem Auto.

Nick war eben aus dem Wagen seiner Mutter ausgestiegen und kam Pünktchen entgegen. »Ich freue mich so, dass ihr es noch geschafft habt«, sagte das Mädchen leise und blickte ihren großen Freund selig an.

»Henrik ist an unserer Verspätung schuld. Er war bei den Pferden. Aber Mutti wollte ihn durchaus mitnehmen. Pünktchen, du tust ja so, als würdest du auf eine Weltreise gehen«, fügte Nick schmunzelnd hinzu. »Dabei sind es nur acht Tage. Es wird dir in dem Blockhaus bestimmt gut gefallen. Wären Sascha und Michael nicht da, würde ich auch mitfahren. Das Blockhaus soll in dem gleichen Stil erbaut sein wie die Blockhäuser in Kanada. Monsieur Larousse hat doch als junger Mann in Kanada gelebt. Er hat Herrn Luchs und Vati auch erzählt, dass ihn der Ort, an dem er das Blockhaus hat bauen lassen, an Kanada erinnert.«

Pünktchen fasste impulsiv nach Nicks Hand. »Vielleicht kommst du einmal mit Sascha und Michael hin? Angelika und Vicky würden sich auch freuen, wenn ihr Bruder sie besuchen würde.«

Nick drückte Pünktchens Hand, ließ sie aber schnell wieder los. Er liebte das Mädchen sehr, aber er genierte sich zu zeigen, was er für Pünktchen empfand.

Denise von Schoenecker und ihre beiden Söhne verabschiedeten sich von dem Franzosen und den Mädchen, die nun alle in dem großen Auto saßen.

Monsieur Larousse startete. Als das Auto das Parktor passierte, stiegen Denise und ihre Söhne die Freitreppe des Herrenhauses empor. Barri trottete hinter ihnen her. Man sah ihm deutlich an, dass er enttäuscht war, weil man ihn nicht mitgenommen hatte.

»Nicht wahr, die Larousses sind sehr reich?«, fragte Henrik seine Mutter.

»So ist es, mein Junge.« Denise fuhr ihrem Jüngsten liebevoll durch den stets etwas wilden Haarschopf.

»Ich mag Jeanette sehr. Müssten ihre Eltern nicht nach Amerika fahren, wäre sie nicht zu uns gekommen.«

»Das stimmt, Henrik.« Denise lächelte still in sich hinein.

»Vielleicht heirate ich sie später«, überlegte der Junge.

»Wenn sie dich will, dann heirate sie nur.« Denise betrat die Halle. »Na, Nick, tut es dir nicht doch leid, dass du nicht mitgefahren bist?«, fragte sie ihren großen Sohn.

»Aber nein, Mutti. Und wenn ich Lust habe, kann ich ja jederzeit nachfahren. Sogar mit dem Fahrrad. Denn das Blockhaus von Herrn Larousse ist ja nicht weit von Roggendorf entfernt. Findest du es nicht auch seltsam, dass er sich als Franzose ein Haus in Deutschland hat bauen lassen?«

»Seine Frau ist doch Deutsche. Soviel ich weiß, wurde sie ganz in unserer Nähe geboren. Aber jetzt muss ich zu Frau Rennert.«

»Gut, Mutti. Komm, Henrik, wir laufen zu den Koppeln. Die beiden neuen Kinder wollen doch auf den Ponys reiten.«

Mit mütterlichem Stolz blickte Denise ihren beiden Söhnen nach. Dann wandten sich ihre Gedanken Frau Rennert zu, mit der sie einiges zu besprechen hatte.

*

Peggy saß auf der roh gezimmerten Bank neben der Tür des Blockhauses und streichelte liebevoll ihren Hund Balthasar, einen bildschönen Collie. »Freust du dich auch, dass wir in der nächsten Woche hier wohnen dürfen?«, fragte sie und schluckte krampfhaft. Seit diesem Morgen hatte sie Halsschmerzen, aber auf keinen Fall durfte ihr lieber Onkel Luchs etwas davon erfahren.

Der Schriftsteller trat aus dem Haus. »Eigentlich könnten sie schon dasein«, meinte er nach einem Blick auf seine Armbanduhr.

»Sie werden schon kommen.« Peggy fuhr sich über ihr Kraushaar. Zu dumm, dass sie auch noch Kopfschmerzen hatte.

»Fehlt dir etwas?«, fragte der mittelgroße, etwas untersetzte Mann mit dem dichten rotblonden Haar und dem Vollbart besorgt. »Ich habe dich heute noch gar nicht singen hören.«

»Du weißt doch, dass ich schrecklich viel zu tun hatte.« Vorwurfsvoll sah Peggy ihn aus ihren runden schwarzen Augen an. »Ich habe Tante Larousse doch versprochen, dass ich alles für den Empfang unserer Gäste vorbereiten werde. Tante Larousse ist sehr lieb.«

»Das ist sie wirklich.« In den blauen Augen des beliebten Tiermärchenonkels vom Stuttgarter Rundfunk funkelte es hell. Camilla Larousse war eine alte Bekannte von ihm. Als er sie kennengelernt hatte, war sie noch unverheiratet gewesen und hatte Camilla Bruhns geheißen. Er war Gast bei ihrer Hochzeit gewesen. Von Anfang an hatte er sich mit Henri Larousse fantastisch verstanden. Er war auch Jeanettes Patenonkel und hatte ihren Eltern vorgeschlagen, sie während ihrer Reise nach den Vereinigten Staaten in Sophienlust unterzubringen.

Um Jeanette das Eingewöhnen in dem Kinderheim leichter zu machen, hatte Camilla die Idee gehabt, ihn zusammen mit ihrer Tochter, Peggy und sowie einigen Kindern von Sophienlust zum Blockhaus zu schicken, das Jeanette ja gut kannte. Eugen Luchs hatte Pünktchen, die beiden Langenbach-Schwestern und Heidi gefragt, ob sie mitfahren wollten. Begiestert hatten alle zugestimmt.

Camilla war schon nach Frankfurt vorausgefahren, um dort vor dem Abflug noch einige Besorgungen zu machen. Henri würde ihr heute folgen. Um Mitternacht würden sie dann nach New York starten.

Eugen Luchs blickte zu seinem weißen Wohnwagen hinüber, den er vor der Garage geparkt hatte. Er freute sich sehr, einmal für ein paar Tage in diesem Blockhaus wohnen zu dürfen. Das bedeutete aber nicht, dass es ihm widerstrebte, in seinem Wohnwagen zu wohnen. Er liebte sein fahrbares Haus sehr. Auch Peggy, die er aus Swasiland in Afrika mitgebracht hatte, war mit dem Leben im Wohnwagen sehr zufrieden. Der dritte in ihrem Bunde war der Collie Balthasar.

Eugen Luchs hatte sich den neuen Wohnwagen nur mit Hilfe von Alexander von Schoenecker anschaffen können. Dieser hatte ihm auch ein Terrain zur Verfügung gestellt, auf dem er den Wagen abstellen konnte. Es war ein schönes Fleckchen Erde an einem Bach zwischen Sophienlust und dem Tierheim Waldi & Co. gelegen. Dort konnte der Schriftsteller in Ruhe an seinen Tiergeschichten und Reiseberichten arbeiten. Es kam aber auch vor, dass ihn mitten in seiner Arbeit das Reisefieber überfiel. Dann fuhr er von einer Stunde zur anderen mit Peggy los.

»Ich sehe noch einmal im Haus nach, ob ich auch nichts vergessen habe«, sagte Peggy und stand auf. In der gelben Trägerhose und dem buntgeblümten Blüschen sah sie zum Anbeißen süß aus.

Doch Eugen Luchs sah sie in diesem Moment sehr kritisch an. Irgendetwas schien mit Peggy nicht zu stimmen. »Fehlt dir auch wirklich nichts?«, erkundigte er sich noch einmal.

»Bestimmt nicht, Onkel Luchs.«

Peggy lief ins Haus. Balthasar rührte sich dagegen nicht vom Fleck. Er ließ seinen Rücken von der Sonne bescheinen.

Eugen Luchs ging zu der Stelle des Grundstücks, von der aus man die Straße überblicken konnte. Einige Autos waren zu sehen, aber Henris Wagen war nicht dabei.

Der Schriftsteller drehte sich um und ließ seine Blicke nun über das Blockhaus schweifen. Es hatte eine ideale Lage. Die alten Laubbäume schützten es vor den Weststürmen, und auf der Südseite befand sich eine überdachte Terrasse. Der Eingang war auf der Ostseite.

Der sanfte Wind bewegte die Blätter an den Ästen. Über den tiefblauen Himmel flogen Sommerwölkchen dahin. Einige Finken und Tauben pickten emsig die Brotkrumen auf, die Peggy gleich nach dem Frühstück für die Vögel ausgestreut hatte. Es war eine friedliche, verträume Stimmung, wie Eugen Luchs sie liebte.

Peggy kam etwas außer Atem angelaufen. »Onkel Luchs, ich habe Onkel Henris Auto vom Fenster aus gesehen«, berichtete sie. »Glaubst du, dass Jeanette mit Heidi und mir in einem Zimmer schlafen möchte?«, fragte sie etwas unsicher.

»Aber ja, Peggy. Als wir Jeanette und ihre Eltern in ihrem Ferienhaus in der Bretagne besuchten, habt ihr beide doch auch in einem Zimmer geschlafen.«

»Ja, Onkel Luchs, das stimmt.« Peggy rief nach Balthasar und lief dann mit ihm um die Wette den Weg hinunter.

Wirklich, ich mache mir unnötige Sorgen um meine kleine Peggy, dachte Eugen Luchs. Sie ist so munter wie ein Fischlein im Wasser. Erleichtert folgte er seinem Pflegekind, um seinen Freund Henri Larousse zu begrüßen und die Kinder von Sophienlust in Empfang zu nehmen. Er freute sich ebenso wie Peggy auf die nächsten Tage, in denen sie es sich hier im Blockhaus recht gemütlich machen wollten.

Henri Larousse parkte vor dem Gartentor, weil er sogleich weiterfahren wollte, um seine Frau nicht allzu lange allein zu lassen. Sie hatten an diesem Nachmittag noch eine Menge in Frankfurt vor.

Als Eugen Luchs und Peggy erschienen, waren die Kinder bereits ausgestiegen. Die Begrüßung fiel stürmisch aus.

Eugen Luchs wechselte noch einige Worte mit Henri Larousse, dann stieg der Franzose wieder ein. Jeanette hatte Mühe, ihre Tränen zurückzuhalten, als ihr Vater losfuhr. Sofort nahm Pünktchen sie bei der Hand und sagte: »Deine Eltern kommen ja bald wieder, Jeanette.«

»In vier Wochen. Nicht wahr, das ist nicht lange?«, fragte die kleine Französin bange.

»Du wirst sehen, dass diese Zeit wie im Flug vergehen wird.« Pünktchen strich ihr übers Haar.

»Wascht euch erst einmal die Hände. Peggy wird euch die Zimmer zeigen«, mischte sich Eugen Luchs ein. »Und dann kommt zu dem alten Ziehbrunnen. Dort werde ich euch dann ein Märchen erzählen.« Dabei zwinkerte er Jeanette zu.

Jeanette, die Deutsch genausogut wie Französisch sprach, spitzte die Ohren. Sie wusste bereits, dass Onkel Luchs – sie nannte ihn genauso wie ihre Freundin Peggy – wunderschöne Geschichten erzählen konnte.

Er hatte ihr bei seinem letzten Besuch in Frankreich ein Buch mit vielen Tiergeschichten geschenkt, die in deutscher und französischer Sprache gedruckt waren.

»Kommt endlich!«, rief Peggy ihren Freundinnen aus Sophienlust zu. »Ich möchte euch die Zimmer zeigen. Ihr könnt zuerst eure Rucksäcke auspacken und es euch bequem machen.« Sie fühlte sich ganz als Gastgeberin.

Heidi und Jeanette jubelten, als sie die niedrigen Betten aus roh gezimmertem Fichtenholz erblickten. »Wie schön, dass wir mit dir zusammen hier schlafen!«, rief Heidi begeistert. »Darf ich in dem Bett am Fenster schlafen?«

»Das musst du mit Jeanette ausmachen«, erwiderte Peggy diplomatisch. »Alle Betten sind frisch überzogen. Ich habe es heute früh selbst gemacht«, fügte sie mit kindlichem Stolz hinzu.

Die anderen Mädchen waren im Nebenraum untergebracht worden. Auch ihre Betten waren aus Fichtenholz. Angelika bat ebenfalls sogleich darum, am Fenster schlafen zu dürfen.

Vicky nickte großzügig. Dass Angelika meist ihren Willen durchsetzte, war für sie etwas Gewohntes. Manchmal wehrte sie sich allerdings dagegen. Aber sie hatte erfahren, dass sie dabei stets den kürzeren zog. Denn ihre Schwester gab nur höchst selten einmal nach.

Pünktchen kam sich sehr erwachsen vor. Ihr oblag auch die Aufgabe, sich um die jüngeren Mädchen zu kümmern. Sie hatte Tante Isi in die Hand versprochen, gut auf alle aufzupassen.

Balthasar lag auf der Schwelle der Verbindungstür der beiden Zimmer. Seine Blicke schweiften einmal über die größeren, einmal über die kleineren Mädchen. Dann erhob er sich, lief zu seiner kleinen Herrin hin und stupste sie an.

»Jaja, du darfst nachts auf der Schwelle schlafen«, erlaubte Peggy. »Habe ich die Betten nicht schön überzogen?«, fragte sie. »Ihr müsst nämlich wissen, dass ich darin Übung habe. Ich beziehe auch immer mein Bett und das von Onkel Luchs. Heute Mittag gibt es Gulasch. Ich habe die Zwiebeln geschält und geschnitten. Dabei sind mir immerzu die Tränen gekommen. Und Onkel Luchs hat das Rindfleisch zubereitet. Wir haben einen ganz großen Topf Gulasch gekocht. Onkel Luchs sagt nämlich, dass Gulasch erst dann wirklich gut schmeckt, wenn es einige Tage alt ist.«

»Ich mag Gulasch sehr gern«, erklärte Vicky.

»Ich auch«, versicherte Angelika.

»Ich auch.« Heidi klopfte sich auf ihr Bäuchlein.

Jeanette schwieg. Auch Pünktchen äußerte sich nicht. Sie räumte ihre paar Sachen in den Schrank ein und bat dann die jüngeren Kinder, sich die Hände zu waschen. »Onkel Luchs wartet doch auf uns«, erinnerte sie sie.

So war es auch. Eugen Luchs saß auf dem Rand des alten Ziehbrunnens, der noch funktionierte. Henri Larousse hatte ihn renovieren lassen. Er behauptete, das Wasser daraus sei viel gesünder als das aus der Leitung.

Eugen Luchs stimmte darin allerdings nicht ganz mit ihm überein und meinte, es sei entschieden besser, kein Wasser aus dem Ziehbrunnen zu trinken.

Dann erzählte er den Kindern das Märchen von den beiden Koalabären Coca und Cola, das er vor einigen Wochen im Stuttgarter Rundfunk vorgelesen hatte. Jeanette hörte es jedoch zum erstenmal und lauschte gespannt. Eugen Luchs hatte somit die richtige Medizin gefunden, um ihr den Abschiedsschmerz von ihren Eltern zu erleichtern.

Danach deckten sie gemeinsam den Holztisch auf der überdachten Terrasse. Eugen Luchs brachte die Terrine mit dem dampfenden Gulasch. Pünktchen trug die Schüssel mit dem Reis. Und Angelika stellte die große Schüssel mit dem gemischten Salat auf den Tisch.

Eugen Luchs freute sich über den Appetit der Kinder. Doch dann fiel ihm auf, dass Peggy in ihrem Essen nur herumstocherte.

»Schmeckt dir das Gulasch denn nicht?«, fragte er kopfschüttelnd. »Ist es zu scharf?«

»Aber nein.« Pünktchen schüttelte den Kopf. »Es schmeckt wunderbar.«

Die anderen bestätigten das ebenfalls. Vicky hatte ihren Teller als erste leergegessen und verlangte noch etwas Gulasch nach. Auch Peggy aß nun ihren Teller leer.

Trotzdem bemerkte Eugen Luchs, dass sie sich zum Essen zwingen musste. »Fehlt dir etwas, Peggy?«, fragte er wieder besorgt.

»Bestimmt nicht.« Peggy sah ihn treuherzig an. »Ich habe nur beim Kochen zu viel probiert«, schwindelte sie. Auf keinen Fall sollte jemand erfahren, dass sie noch immer Halsschmerzen hatte. Auch in ihrem Hinterkopf stach es manchmal ganz toll. Aber sie durfte doch jetzt nicht krank werden. Sie hatte sich doch so sehr auf die Woche mit ihren Freundinnen hier im Blockhaus gefreut.

Am Nachmittag war Peggy dann recht munter, und am Abend glänzten ihre Augen lebhaft. Ich habe mich geirrt, Peggy fehlt nichts, überlegte Eugen Luchs, als die Kinder ihm gute Nacht sagten. Noch lange hörte er ihre fröhlichen Stimmen, doch dann wurde es allmählich still im Blockhaus.

An und für sich hatte der Schriftsteller hier richtigen Urlaub machen und die Schreibmaschine nicht anrühren wollen. Doch nun hatte er das Verlangen, seine Idee für sein neues Tiermärchen niederzuschreiben. Um die Kinder mit dem Tippen nicht zu stören, zog er sich in seinen Wohnwagen zurück. Aber er ließ die Tür offen, um das Blockhaus im Auge zu behalten.