Niemand hat mich richtig lieb - Judith Parker - E-Book

Niemand hat mich richtig lieb E-Book

Judith Parker

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Beschreibung

Die Idee der sympathischen, lebensklugen Denise von Schoenecker sucht ihresgleichen. Sophienlust wurde gegründet, das Kinderheim der glücklichen Waisenkinder. Denise formt mit glücklicher Hand aus Sophienlust einen fast paradiesischen Ort der Idylle, aber immer wieder wird diese Heimat schenkende Einrichtung auf eine Zerreißprobe gestellt. Diese beliebte Romanserie der großartigen Schriftstellerin Patricia Vandenberg überzeugt durch ihr klares Konzept und seine beiden Identifikationsfiguren. Ganz plötzlich hatte das Wetter umgeschlagen, ein stürmischer Wind brauste über das Land. Als die ersten Regentropfen gegen die Windschutzscheibe klatschten, schaltete Ina Reimann den Scheibenwischer ein. Dieses Wetter passt zu meiner traurigen Stimmung, dachte die junge Frau und blickte ihre kleine Tochter neben sich an, die leise schluchzte. »Wein doch nicht mehr, mein Liebling«, bat sie zärtlich. »Du wirst sehen, dass es dir in Sophienlust gefallen wird.« »Bring mich bitte nicht in das Kinderheim, Mutti«, flehte das Kind. »Ich will zu Großmama zurück.« Ina sah in das süße Kindergesicht mit den rot verweinten Augen, dabei wurde ihr noch schwerer ums Herz. »Petra, du musst mein vernünftiges kleines Mädchen sein. Großmama ist sehr krank und muss lange in der Klinik bleiben. Aber wir werden sie oft besuchen. Ich hole dich dann von Sophienlust ab. Nicht wahr, das ist doch fein?« »Großmama hätte nicht erlaubt, dass ich in ein Kinderheim komme«, widersprach Petra. Die Worte ihrer Tochter trafen Ina schwer. Sollte sie den Plan, Petra nach Sophienlust zu bringen, nicht doch lieber aufgeben? Sollte sie die Tatsache, dass ihre Schwiegermutter krank geworden war, als Wink des Schicksals ansehen und Petra unter diesen Umständen wieder an sich gewöhnen?

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Sophienlust – 503 –

Niemand hat mich richtig lieb

Judith Parker

Ganz plötzlich hatte das Wetter umgeschlagen, ein stürmischer Wind brauste über das Land. Als die ersten Regentropfen gegen die Windschutzscheibe klatschten, schaltete Ina Reimann den Scheibenwischer ein.

Dieses Wetter passt zu meiner traurigen Stimmung, dachte die junge Frau und blickte ihre kleine Tochter neben sich an, die leise schluchzte. »Wein doch nicht mehr, mein Liebling«, bat sie zärtlich. »Du wirst sehen, dass es dir in Sophienlust gefallen wird.«

»Bring mich bitte nicht in das Kinderheim, Mutti«, flehte das Kind. »Ich will zu Großmama zurück.«

Ina sah in das süße Kindergesicht mit den rot verweinten Augen, dabei wurde ihr noch schwerer ums Herz. »Petra, du musst mein vernünftiges kleines Mädchen sein. Großmama ist sehr krank und muss lange in der Klinik bleiben. Aber wir werden sie oft besuchen. Ich hole dich dann von Sophienlust ab. Nicht wahr, das ist doch fein?«

»Großmama hätte nicht erlaubt, dass ich in ein Kinderheim komme«, widersprach Petra.

Die Worte ihrer Tochter trafen Ina schwer. Sollte sie den Plan, Petra nach Sophienlust zu bringen, nicht doch lieber aufgeben? Sollte sie die Tatsache, dass ihre Schwiegermutter krank geworden war, als Wink des Schicksals ansehen und Petra unter diesen Umständen wieder an sich gewöhnen? Ja, überlegte Ina weiter, sie sollte auf der Stelle umkehren und wieder nach Hause fahren. Vielleicht war ihre Ehe doch noch zu retten. Eine Aussprache mit Eberhard würde viel dazu beitragen, alle Missverständnisse zwischen ihnen zu klären.

Doch nein, das war ein absurder Gedanke. Der Zeitpunkt für diese Aussprache war verpasst. Für sie beide gab es kein Zurück mehr. Dafür hatte schon Ursula Rüttgen gesorgt, die hübsche Journalistin, die es verstanden hatte, Eberhard einzufangen.

Aber trug Ursula Rüttgen wirklich die alleinige Schuld an der Zerrüttung ihrer Ehe, fragte sich Ina ehrlich. Hatte sie nicht auch dazu beigetragen? Als Eberhard nach Petras Geburt von ihr verlangt hatte, ihren Beruf aufzugeben, hätte sie ihm diesen Gefallen erweisen müssen. Dann wäre sicherlich alles ganz anders gekommen.

Aber ihre Reue kam zu spät. Sie hatte Eberhard durch ihren Starrsinn verloren. Jetzt blieb ihr nichts anderes übrig, als sich mit dieser Tatsache abzufinden und zu versuchen, wieder auf eigenen Füßen zu stehen. An Aufträgen würde es ihr nicht fehlen, denn als Grafikerin hatte sie bereits einen guten Namen. Später würde sie eine größere Wohnung mieten und eine zuverlässige Frau einstellen, deren Aufgabe es sein sollte, sich um Petra zu kümmern. Dann brauchte sie sich nicht mehr von ihrem Kind zu trennen.

»Mutti, ich wollte doch so gern in die Ballettschule gehen«, begann Petra wieder zu klagen. »Großmama hat doch gesagt, ich werde einmal eine berühmte Ballerina sein, der die Welt zu Füßen liegt. Warum ist Großmama nur krank geworden und hat mich allein gelassen? Niemand hat mich jetzt richtig lieb«, schluchzte sie.

»Aber mein Herzchen, wie kannst du nur so etwas sagen?«, antwortete Ina erschüttert. »Ich habe dich doch lieb. Und Vati auch.«

»Das glaube ich nicht«, erwiderte Petra bekümmert. »Großmama hat gesagt, ihr könnt mich gar nicht lieb haben, weil ihr euch so oft zankt. Auch würdest du viel mehr Zeit für mich haben, wenn du mich lieb hättest. Eine Mutti kümmert sich um ihr Kind. Ja, das hat Großmama gesagt«, trumpfte Petra auf und schob trotzig ihre Unterlippe vor.

Ina kam sich vor wie ein gescholtenes Kind. Ihre Schwiegermutter hätte mit Petra auf keinen Fall so darüber sprechen dürfen.

»Petra, du brauchst nicht lange in dem Kinderheim zu bleiben«, versprach Ina, um das Kind von seinen aufsässigen Gedanken abzulenken. Doch dann dachte sie daran, dass Petra möglicherweise wegen Platzmangels in Sophienlust gar keine Aufnahme finden werde. Dann würde sie das Kind wieder mit nach Hause nehmen müssen. Vielleicht würde sie für Petra einen Platz in einem Kindergarten bekommen. Aber was würde am Abend sein, wenn sie selbst einmal beruflich eingeladen war? Persönliche Kontakte waren in ihrem Beruf für einen guten Auftrag oft ausschlaggebend. Petra aber war erst fünf Jahre alt. Das Risiko, ein Kind in ihrem Alter unbeaufsichtigt allein in der Wohnung zu lassen, war zu groß.

Diese Überlegung hatte auch den Entschluss, Petra in einem Heim unterzubringen, in ihr reifen lassen. Nach Carola Dahms Worten musste dieses Sophienlust ein wahres Kinderparadies sein.

Ina dachte wieder an den Zufall, der sie nach so vielen Jahren mit Carola Dahm zusammengeführt hatte. Als sie vor einigen Wochen eine Kunstausstellung besucht hatte, war ihr der Name Carola Dahm im Katalog aufgefallen. Ob das dieselbe Carola Dahm ist, mit der ich in dem Kinderheim von Madame Merlinde, im Haus »Bernadette« war, hatte sie sich gefragt und sich dann erkundigt, ob die Malerin anwesend sei.

Carola war da gewesen. Über das unverhoffte Wiedersehen hatten sie sich beide riesig gefreut und sich mit dem Versprechen getrennt, weiterhin in Verbindung zu bleiben. Carola hatte versprochen, als Erste zu schreiben, um Ina nach Sophienlust einzuladen. Aber sie hatte ihr Versprechen nicht gehalten.

»Mutti, wann sind wir denn da?«, fragte Petra. Sie griff nach ihrem Teddybären, der neben ihr auf dem weichen Ledersitz saß, und nahm ihn in die Arme.

»Bald, mein Liebling. Da vorn sehe ich einen Wegweiser.« Ina trat auf die Bremse und las das Schild. »Noch zehn Kilometer, Petra.«

»Mutti, ich fürchte mich vor den anderen Kindern. Vielleicht sind sie böse und nehmen mir meinen Teddy weg. Ich habe ihn doch so lieb, weil Großmama ihn mir geschenkt hat«, bekannte sie und küsste den Bären auf die Nasenspitze.

»Keiner wird dir deinen Bären wegnehmen. Meine Freundin Carola hat mir erzählt, in Sophienlust gäbe es nur liebe Kinder. Sie sind lieb, weil sie dort glücklich sind. Auch du wirst dort glücklich sein, Petra. Glaub es mir.«

»Wirklich, Mutti?« Misstrauisch blinzelte Petra sie an. »Wenn du mich lieb hättest, würdest du mich nicht in ein Kinderheim bringen«, warf sie ihr vor.

»Petra, bitte rede dir so etwas nicht ein! Viele Muttis bringen ihre Kinder in ein Heim, weil sie Geld verdienen müssen und keine Zeit haben.«

»Aber Vati verdient doch Geld«, stellte Petra leise fest. »Großmama hat gesagt, dass du eine verschwenderische Person bist und nur Geld verdienen willst, um dir lauter Firlefanz zu kaufen. Großmama hat auch gesagt, ein Auto sei genug in einer Ehe.«

Ina presste die Lippen zusammen, damit ihr kein unbedachtes Wort über ihre Schwiegermutter entschlüpfte. Es war ihr unverständlich, warum diese solche Weisheiten in die Welt hinausposaunte. Dabei hatte sie sich doch immer gut mit ihr verstanden. Hatte sich denn die ganze Welt gegen sie verschworen, fragte sie sich verzweifelt. Was hatte sie nur falsch gemacht?

Ina dachte an das letzte Telefongespräch mit Eberhard, als sie ihn in seinem Büro angerufen hatte, weil er nicht mehr nach Hause gekommen war. Sie hatte ihn gefragt, ob er etwas dagegen habe, Petra bis zur Klärung ihrer Differenzen in einem Kinderheim unterzubringen. Sofort hatte er seine Zustimmung gegeben. Hatte sie tatsächlich gehofft, er werde sie um eine Aussprache bitten? Ja, sie hatte es gehofft. Dabei wusste sie doch, dass er für sich bereits eine Wohnung gefunden hatte und so bald wie möglich ihre gemeinsame Wohnung verlassen würde.

Wie dumm von ihr, sich solchen Hoffnungen hinzugeben. Er trennte sich doch nur deshalb räumlich von ihr, um sich in seinem neuen Appartement ungestört mit Ursula Rüttgen treffen zu können. Nun würde er auch bald die Scheidung anstreben.

Ina schluckte die Tränen herunter. Schon allein die Vorstellung, dass Ursula Rüttgen ihren Platz in Eberhards Leben einnehmen würde, war unerträglich für sie.

Dass ihre Ehe mit Eberhard, den sie noch immer heiß und innig liebte, so traurig enden würde, hätte sie sich niemals träumen lassen. Als sie sich vor ungefähr sechs Jahren kennengelernt hatten, war es bei jedem von ihnen Liebe auf den ersten Blick gewesen. Schon nach wenigen Wochen hatten sie geheiratet und geglaubt, das glücklichste Paar auf Erden zu sein. Damals war Eberhard noch Reporter gewesen, während sie als Graphikerin bereits viel Erfolg gehabt hatte. Sie hatten Zukunftspläne geschmiedet. Ihr Traum war ein kleines Haus außerhalb der Stadt. Da sie beide fantasiereich waren, hatten sie das Haus mit allen Raffinessen eingerichtet, freilich nur auf dem geduldigen Papier.

Aber dann hatte sich Petra angemeldet. Als Eberhard davon erfahren hatte, war er vor Freude ganz aus dem Häuschen gewesen. Seine Pläne für die Zukunft hatten sich geändert.

»Natürlich gibst du deinen Beruf auf«, hatte er erklärt. »Eine Mutter gehört zu ihrem Kind. Ich bin jetzt glücklicherweise Redakteur geworden und dadurch in der Lage, meine Familie standesgemäß zu ernähren.«

Im Überschwang ihrer großen Freude über das Kind hatte sie ihm alles versprochen, was er wollte. Aber als Petra ein Vierteljahr alt gewesen war, hatte sie heimlich einige Aufträge angenommen. Als Eberhard dahintergekommen war, hatte es zwischen ihnen den ersten hässlichen Streit gegeben, dem weitere folgten. Keiner von ihnen wollte nachgeben. So war allmählich eine unüberbrückbare Kluft zwischen ihnen entstanden.

Tagelang war Eberhard am Abend nicht nach Hause gekommen. Die vielen einsamen Stunden, über die ihr auch die Arbeit nicht hatte hinweghelfen können, hatten ihr viel Zeit zum Nachdenken gelassen. Schließlich war sie innerlich bereit gewesen, klein beizugeben. Aber da hatte sie erfahren, dass Eberhard die Abende häufig mit der Journalistin Ursula Rüttgen verbrachte. Ausgerechnet mit dieser raffinierten Person, hatte sie voller Eifersucht gedacht und aus Trotz weitere Aufträge ausgeführt.

Das alles hatte dazu geführt, dass sie kaum mehr Zeit für ihr Kind gehabt hatte. Tagsüber hatte ihre Schwiegermutter Petra betreut. Aber eines Tages hatte die alte Dame rigoros erklärt, so ginge das nicht mehr weiter. Man könne ein Kind, besonders ein so sensibles kleines Mädchen wie Petra, nicht wie ein Stück Holz behandeln. Sie schlage vor, dass die Kleine vorerst einmal ganz zu ihr zöge, bis sie und Eberhard endlich wüssten, was sie wollten. Die lauten Streitereien zwischen ihnen würden dem Kind schaden.

Weder Eberhard noch sie hatten der alten Dame widersprochen. Petra aber war über diese Lösung recht glücklich gewesen. Sie hatte sich jedenfalls in dem gemütlichen Heim ihrer Großmama wohlergefühlt als in der Wohnung ihrer Eltern.

Frau Hildegard Reimann hatte auch Petras Tanztalent entdeckt. »Petra hat ein reizendes, zierliches Figürchen und ist sehr musikalisch«, konstatierte sie eines Tages. »Ich werde das Kind in der Ballettschule anmelden.«

Auch damit waren Eberhard und sie einverstanden gewesen. Die kleine Petra war darüber selig gewesen und hatte sehnsüchtig darauf gewartet, endlich mit dem Unterricht in der Ballettschule beginnen zu können. Doch die Erkrankung ihrer Großmama hatte einen Strich durch diese Rechnung gemacht. Das war für Petra doppelt schmerzlich gewesen, sodass sie kaum zu beruhigen gewesen war.

»Schau doch, Mutti!«, rief Petra jetzt plötzlich begeistert und riss Ina damit aus ihren schmerzlichen Erinnerungen. »Dort ist ja ein Märchenschloss. Meinst du, dass dort Dornröschen wohnt? Oder Aschenbrödel?«

»Ich glaube, das ist Sophienlust«, erwiderte Ina und fuhr langsam in den Hof. Einige Hühner stoben laut gackernd auseinander, worüber Petra hell auflachte.

Auch Ina lächelte unvermittelt. Auf einmal erschien ihr die Zukunft nicht mehr ganz so trostlos. Petra war ein aufgewecktes und fröhliches Kind. Sie würde ihren Kummer in der Ge­sellschaft anderer Kinder bald vergessen.

Der Regen hatte nachgelassen, aber noch immer jagten dunkle Wolken tief über das Land. Als Ina ausstieg, riss eine Bö ihr fast den Schal fort.

Auch Petra kletterte aus dem Wagen. Ganz fest drückte sie ihren Teddy an sich, als sie sich nach allen Seiten neugierig umblickte. »Mutti, dort ist ein großer Junge!«, rief sie und deutete auf einen Radfahrer, der gerade von seinem Rad abstieg und es an die Hauswand anlehnte.

»Hallo!«, rief Ina. »Ist das hier Sophienlust?«

»Ja, das ist Sophienlust.« Dominik, denn er war es, kam näher und sah die hübsche junge Dame und das kleine Mädchen aufmerksam an.

»Ich möchte zu Frau Dahm«, erklärte Ina dem bildhübschen schwarzhaarigen Jungen mit den dunklen Augen. »Ich bin Ina Reimann und eine Freundin von Carola.«

»Frau Dahm.« Dominik schmunzelte.

»Bei uns gibt es keine Carola Dahm mehr, nur noch eine Carola Rennert«, klärte er die fremde Dame verschmitzt lächelnd auf.

»Ach, dann hat Carola inzwischen geheiratet«, stellte Ina überrascht fest.

»Ja, seit Kurzem. Ich werde Carola Bescheid sagen, dass Besuch für sie da ist. Aber bitte kommen Sie doch ins Haus«, entsann sich Nick als zukünftiger Herr von Sophienlust seiner Pflichten.

»Vielen Dank.« Ina fasste Petra bei der Hand und folgte dem Jungen.

In der Halle bat Dominik sie, doch Platz zu nehmen. Dann ließ er die beiden allein.

Petra blickte sich scheu um. Sie war tief beeindruckt von dem großen schönen Haus.

»Nicht wahr, mein Liebling, es ist schön hier«, versuchte Ina ihre Tochter zu ermuntern.

»Das weiß ich noch nicht, Mutti«, erwiderte Petra ängstlich und klammerte sich an die Hand ihrer Mutter. »Bitte, bitte, fahren wir doch wieder nach Hause«, bettelte sie.

»Das ist unmöglich, Petra. Schau doch …«

Das Erscheinen ihrer Freundin Carola enthob Ina einer weiteren Erklärung, worüber sie sehr froh war.

»Ina, du!«, freute sich Carola, wobei ihr das helle Glück aus den Augen strahlte. »Das ist aber eine liebe Überraschung.« Die Freundinnen umarmten sich, dann stellte Ina Petra vor.

»Also, das ist deine kleine Tochter.« Carola begrüßte das Kind liebevoll. Was für ein reizendes Kind, dachte sie.

»Guten Tag«, antwortete Petra abweisend und fasste wieder nach Inas Hand. »Ich will nicht ins Kinderheim«, fügte sie hinzu, wobei sich große Tränen von ihren Wimpern lösten.

Ina zwinkerte Carola schnell zu, die sofort begriff, dass sie dieses Thema vor ihrem Kind nicht weiter berühren solle.

»Ina, Petra, kommt mit in meine Wohnung«, bat Carola.

»Du wohnst hier im Haus?«, fragte Ina interessiert.

»Ja, Frau von Schoenecker hat für uns eine Wohnung ausbauen lassen. Aber ich habe dir ja schon so viel von Tante Isi erzählt.«

»Ja, Carola, nach deiner Schilderung muss sie eine wunderbare Frau sein.«

»Das ist sie auch. Du hast ja schon ihren Sohn kennengelernt.«

»Ach, dann war der schwarzhaarige Junge der zukünftige Erbe von Sophienlust?«

»Er ist schon … Aber das werde ich dir später alles genau erklären«, unterbrach sich Carola und öffnete eine Tür.

Ina war ganz begeistert von der hübschen Wohnung. Auch Petra blickte sich um und entdeckte in einem Sessel eine schwarze Katze.

»Oh, Mutti, schau doch«, flüsterte sie und ließ die Hand ihrer Mutter los.

»Ist das eine richtige lebendige Katze?«, fragte sie voller Aufregung. »Sie bewegt sich ja gar nicht!«

»Das ist mein Kater Mutzi«, erklärte Carola. »Er schläft nur.«

»Darf ich ihn streicheln?«, fragte Petra.

»Ja, das darfst du.«

»Danke«, sagte Petra und setzte ihren Teddybären auf einen Stuhl. »Sei nicht böse, Teddy«, bat sie leise. »Aber ich habe dich immer noch lieb, auch wenn ich den Kater streicheln möchte.« Dann trippelte sie zu dem Sessel hin und blieb mit großen Augen davor stehen. Als der Kater seinen Kopf hob und sie anblinzelte wich sie ein Stückchen zurück.

»Du brauchst keine Angst zu haben«, bemerkte Carola. »Er beißt nicht.«

»Wirklich nicht?« Petra streckte die Hand aus und berührte zaghaft das glänzende Fell. »Er beißt wirklich nicht«, konstatierte sie erleichtert und setzte sich auf den Sessel. Als der Kater auf ihren Schoß stieg und sich wieder einrollte, strahlte Petra übers ganze Gesicht.

Indessen hatte Ina die Gemälde an den Wänden betrachtet. »Sind die alle von dir?«, fragte sie bewundernd.

»Ja, Ina«, entgegnete Carola bescheiden, denn es erschien ihr noch immer wie ein Wunder, dass sie auf dem besten Weg war, eine bekannte Malerin zu werden. »Du, da fällt mir mein Versäumnis ein, Ina! Ich wollte dir doch schreiben, aber ich bin nicht dazu gekommen. Die Tage sind mir einfach davongelaufen.«

»Carola, ich weiß doch, wie so etwas ist. Ein Glück, dass ich mir die Adresse von Sophienlust notiert hatte. Ist das dein Mann?«, fragte Ina und deutete auf ein Porträt.

»Ja, das ist Wolfgang. Aber ich habe das Gefühl, dass mir das Bild nicht so gut gelungen ist. Es ist sehr schwer, jemanden zu porträtieren, den man liebt und schon so viele Jahre kennt wie ich Wolfgang. Ich sehe ihn immer wieder anders. Aber jeder Mensch hat wohl mehrere Gesichter«, fügte sie gedankenverloren hinzu, wobei ein zärtliches Lächeln ihre vollen Lippen umspielte.

»Ja, Carola, da ist etwas Wahres dran«, stimmte Ina ihr bei. »Du bist sehr glücklich mit deinem Wolfgang, nicht wahr?«

»Ja. Unendlich glücklich, Ina«, schwärmte die junge Frau, und der Glanz in ihren Augen vertiefte sich. »Von Anfang an wusste ich, dass Wolfgang und ich vom Schicksal füreinander bestimmt sind. Und Wolfgang erging es ebenso.« Carola erzählte ihrer Freundin nun mehr von Wolfgangs Tätigkeit in Sophienlust.

Ina blickte zu Petra hin, die den Kater selbstvergessen mit Zärtlichkeiten überschüttete. »Carola, ich möchte Petra ins Kinderheim geben«, sagte sie leise.

»Du willst Petra in ein Heim geben?«, wunderte sich Carola.

»Ja, Carola, im Augenblick ist es die einzige Lösung für sie.«

»Aber, Ina, das ist mir unbegreiflich! Du hast doch …«

Ina legte den Zeigefinger an die Lippen. »Carola, ich würde dich gern allein sprechen.«

»Ich verstehe. Dann komm mit in die Küche. Ich glaube, du könntest einen starken Kaffee brauchen.«

»Ja, Carola, den hätte ich wirklich nötig.«

Als Ina das Wohnzimmer verlassen wollte, ließ Petra sofort von dem Kater ab und rutschte vom Sessel.

»Petra, bleib nur bei dem Kater. Ich helfe meiner Freundin nur ein bisschen in der Küche.«

»Kommst du auch wirklich wieder, Mutti?«

»Aber ja, mein Liebling.« Ina folgte Carola in die Küche.

»Ina, was ist geschehen?«, fragte Carola und setzte Kaffeewasser auf.

Ina setzte sich und zündete sich eine Zigarette an. »Mein Mann und ich haben uns auseinandergelebt«, erklärte sie nach dem ersten Zug.

»Aber ich dachte, du wärst mit deinem Mann sehr glücklich«, meinte Carola erstaunt. »Damals sagtest du doch auch, du würdest dich niemals von deinem Kind trennen, egal was auch geschehe.«

»Mein Gott, Carola, ich schämte mich einfach, dir zu erzählen, wie es in Wirklichkeit um meine Ehe stand. Aber ich werde dir alles von Anfang an berichten.«

Ina war froh, endlich jemandem ihr Herz ausschütten zu dürfen. Als sie ihren Bericht beendet hatte, erwiderte Carola mitleidig: »Du tust mir leid, Ina. Meinst du nicht, dass du dich noch einmal mit deinem Mann aussprechen solltest? Ich glaube, zwischen euch gibt es viele Missverständnisse.«