Waldi ist doch der Größte - Judith Parker - E-Book

Waldi ist doch der Größte E-Book

Judith Parker

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Beschreibung

Die Idee der sympathischen, lebensklugen Denise von Schoenecker sucht ihresgleichen. Sophienlust wurde gegründet, das Kinderheim der glücklichen Waisenkinder. Denise formt mit glücklicher Hand aus Sophienlust einen fast paradiesischen Ort der Idylle, aber immer wieder wird diese Heimat schenkende Einrichtung auf eine Zerreißprobe gestellt. Diese beliebte Romanserie der großartigen Schriftstellerin Patricia Vandenberg überzeugt durch ihr klares Konzept und seine beiden Identifikationsfiguren. Frau Rennert, die Heimleiterin von Sophienlust, legte das Buch, in dem sie gelesen hatte, aus der Hand, als sie die fröhlichen Kinderstimmen hörte. Ihr Sohn Wolfgang und ihre Schwiegertochter Carola waren mit den Kindern nach Bachenau gefahren, um dort das kleine Heimatmuseum zu besichtigen und anschließend das Tierheim der Lehns zu besuchen. Nun kehrte die Gesellschaft von ihrem Sonntagsausflug zurück. Nach einem letzten Blick auf ihre schlafenden Enkelkinder, die Zwillinge Alexandra und Andreas, die sie an diesem Tag versorgt hatte, verließ Frau Rennert die reizende Wohnung, um die Heimkehrenden zu begrüßen. Auch Schwester Gretli war aus ihrer sonntäglichen Ruhe aufgestört worden. Sie erwartete die Kinder in der Halle. Pünktchen begrüßte sie als erste. »Schwester Gretli, das war wieder einmal ein wunderschöner Sonntag«, erzählte sie lebhaft. Dabei leuchtete es in ihren veilchenblauen Augen hell auf. »Ja, es war einmalig schön«, schwärmte auch Malu, die Mühe hatte, die laute Wiedersehensfreude ihres Wolfsspitzes Benny zu dämpfen. »Das Tierheim ist einfach faszinierend. Es war eine fantastische Idee von Andrea und ihrem Mann, es zu gründen. Es ist fast ein kleiner Zoo.« »Ja, stellen Sie sich vor, Schwester Gretli, Andrea hat erzählt, dass Hans-Joachim vor einigen Tagen zu einem Schimpansen gerufen worden ist, der zu einem Wanderzirkus gehört. Beinahe hätte er den Affen auch ins Tierheim nehmen müssen«, berichtete Dominik begeistert. »Am besten gefällt mir der Igel Mumps. Niemals hätte ich für möglich gehalten, dass ein Igel so zutraulich werden kann«

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Seitenzahl: 153

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Sophienlust – 524 –

Waldi ist doch der Größte

Judith Parker

Frau Rennert, die Heimleiterin von Sophienlust, legte das Buch, in dem sie gelesen hatte, aus der Hand, als sie die fröhlichen Kinderstimmen hörte. Ihr Sohn Wolfgang und ihre Schwiegertochter Carola waren mit den Kindern nach Bachenau gefahren, um dort das kleine Heimatmuseum zu besichtigen und anschließend das Tierheim der Lehns zu besuchen. Nun kehrte die Gesellschaft von ihrem Sonntagsausflug zurück.

Nach einem letzten Blick auf ihre schlafenden Enkelkinder, die Zwillinge Alexandra und Andreas, die sie an diesem Tag versorgt hatte, verließ Frau Rennert die reizende Wohnung, um die Heimkehrenden zu begrüßen.

Auch Schwester Gretli war aus ihrer sonntäglichen Ruhe aufgestört worden. Sie erwartete die Kinder in der Halle. Pünktchen begrüßte sie als erste. »Schwester Gretli, das war wieder einmal ein wunderschöner Sonntag«, erzählte sie lebhaft. Dabei leuchtete es in ihren veilchenblauen Augen hell auf.

»Ja, es war einmalig schön«, schwärmte auch Malu, die Mühe hatte, die laute Wiedersehensfreude ihres Wolfsspitzes Benny zu dämpfen. »Das Tierheim ist einfach faszinierend. Es war eine fantastische Idee von Andrea und ihrem Mann, es zu gründen. Es ist fast ein kleiner Zoo.«

»Ja, stellen Sie sich vor, Schwester Gretli, Andrea hat erzählt, dass Hans-Joachim vor einigen Tagen zu einem Schimpansen gerufen worden ist, der zu einem Wanderzirkus gehört. Beinahe hätte er den Affen auch ins Tierheim nehmen müssen«, berichtete Dominik begeistert.

»Am besten gefällt mir der Igel Mumps. Niemals hätte ich für möglich gehalten, dass ein Igel so zutraulich werden kann«, wunderte sich Angelika noch nachträglich.

»Igel sind sehr kluge Tiere. Das ist doch allgemein bekannt«, klärte Dominik das Mädchen auf.

Carola Rennert begrüßte ihre Schwiegermutter. »Wie geht es meinen Kindern?«, erkundigte sie sich danach besorgt. »Hoffentlich haben sie dich nicht zu sehr angestrengt. Heute Morgen waren beide ziemlich quengelig.«

»Eigentlich waren sie sehr brav«, erwiderte Frau Rennert mit großmütterlichem Stolz. »Natürlich haben sie ein bisschen geweint. Aber das ist verständlich, denn sie bekommen ja ihre ersten Zähne.«

»Jedenfalls war es lieb von dir, dass du ihnen deinen freien Sonntag geopfert hast, Mama«, bedankte sich die junge Mutter noch einmal.

»Opfer? Aber nein, Kind, es war für mich eine reine Freude.«

Carola lächelte sie an und eilte dann in ihre Wohnung.

Verliebt blickte Wolfgang seiner Frau nach. »Weißt du, Mama«, wandte er sich an seine Mutter, »Carola war den ganzen Tag nervös wegen der beiden Kinder. Sie glaubt, dass nur sie sie richtig behandeln kann.«

»Bei den nächsten Kindern wird das schon anders sein«, scherzte Frau Rennert.

»Zunächst reichen uns mal die beiden, Mama«, lachte Wolfgang. Schließlich waren wir doch nicht auf Zwillinge vorbereitet.«

»Also, sonst war der heutige Tag schön?«

»Ja, Mama. Das Museum ist interessant. Aber den Kindern hat es – was ja auch verständlich ist – besser im Tierheim gefallen.«

»Wie viele Tiere gibt es denn dort jetzt schon?«

»Da muss ich erst mal nachzählen. Also, da gibt es den Feldhasen Langohr, den Igel Mumps, die Füchse Pitt und Patt, den Waldkauz Fabby, zwei Meerschweinchen …«

»… und momentan auch noch einen Foxterrier, der von einem Auto angefahren worden ist und sich das linke Vorderbein gebrochen hat«, half Pünktchen dem jungen Musiklehrer weiter. »Ja, und die silbergraue Angorakatze«, erinnerte sie sich noch. »Sie gehört einer alten Dame, die zur Kur in ein Sanatorium musste. Die Katze heißt Nofretete und sieht genauso aus wie ein Stofftier.«

»Ein Fink ist auch im Tierheim. Er hat einen gebrochenen Flügel«, mischte sich nun auch Isabel ein. »Ja, und ein Spatz, der ein verletztes Füßchen hat.«

»Aber Severin haben wir auch gesehen«, berichtete Fabian Schöller, ein neues Dauerkind auf Sophienlust. Ihm hatte die Dogge früher, als sie noch Anglos geheißen hatte, gehört. »Severin freut sich jedes Mal ganz toll, wenn er mich sieht. Jetzt sehe ich auch ein, dass er es bei Frau Dr. von Lehn sehr gut hat«, fügte er leiser hinzu. »Dafür darf ich ja jetzt immer in Sophienlust bleiben.«

»Ja, das darfst du, Fabian«, entgegnete Dominik fröhlich.

»Kinder, beeilt euch!«, frief Schwester Gretli und klatschte in die Hände. »Das Abendessen kommt sofort auf den Tisch. Aber wascht euch zuerst die Hände.«

Die Kinder stürmten davon. Wenige Minuten später saßen sie um den langen Tisch herum und warteten mit Heißhunger auf das Essen, das Lena und Schwester Gretli auf den Tisch stellten. Sie diskutierten lebhaft über den heutigen Tag, der ihnen viel Gesprächsstoff bot.

Nach dem Abendessen verabschiedete sich Dominik, um mit dem Chauffeur Hermann nach Schoeneich zu fahren. Er hatte seinem kleinen Bruder in die Hand hinein versprochen, auf alle Fälle nach Hause zu kommen, um ihm von den heutigen Erlebnissen zu erzählen. Henrik hatte nicht mitfahren können, weil er stark erkältet war.

Denise, Alexander und Sascha, der für einige Tage aus Heidelberg nach Hause gekommen war, sowie der kleine Henrik saßen in der großen Wohnhalle. In dem Kamin brannte ein anheimelndes Feuer, und auf dem niedrigen Tisch zwischen der Sesselgruppe standen drei Weingläser und eine Flasche Wein. Henrik saß, eingewickelt in eine Wolldecke, auf dem Sofa. Als Dominik erschien, jauchzte er vor Freude auf. »Du, Nick, ich habe aufbleiben dürfen, damit du mir noch berichten kannst«, rief er selig.

»Fein, Henrik. Ich erzähle dir gleich alles, aber erst möchte ich die anderen begrüßen.« Nick gab seiner Mutter einen Kuss, drückte seinem Vater die Hand und klopfte Sascha brüderlich auf die Schulter. Henrik bekam einen sanften Nasenstüber, was dieser mit einer komischen Grimasse quittierte.

»Darf ich ein Malzbier trinken?«, fragte Nick dann.

»Ja, Nick, hole dir eine Flasche aus dem Eisschrank«, erlaubte ihm Denise lächelnd. Dabei stellte sie wieder einmal fest, wie sehr der Junge in den letzten Monaten gewachsen war.

Dominik ging in die Küche und setzte sich danach zu seinen Eltern und Brüdern. »Im Museum war es wirklich interessant«, begann er.

»Aber ich möchte doch wissen, wie es bei den Tieren war«, rief Henrik aufgeregt. »Gibt es schon wieder neue Tiere?«

Dominik beschrieb ihm alles genau. Dann erschien die ehemalige Kinderfrau Marie, die sich auch jetzt noch sehr viel um Henrik kümmerte, um dafür zu sorgen, dass der jüngste Spross der Familie Schoenecker ins Bett kam. Henrik maulte zwar, sah jedoch ein, dass ihm alles Sträuben nichts nutzte. So sagte er allen gute Nacht.

»Wie geht es Andrea?«, fragte Denise, als ihr kleiner Sohn fort war.

»Prima, Mutti. Sie ist restlos glücklich. Alle lieben sie sehr, auch die Tiere. Hans-Joachim war für sie der einzig richtige Mann. Die beiden sind ein Herz und eine Seele. Im Augenblick gibt es jede Menge Arbeit in der Praxis und im Tierheim. Der alte Dr. von Lehn kann nicht mehr viel helfen. Er erledigt zwar alle schriftlichen Arbeiten und nimmt auch die Telefongespräche entgegen, aber sonst ist er für Hans-Joachim keine Hilfe mehr. Er hat heute gesagt, dass er ohne Andrea aufgeschmissen wäre.«

»Ja, Andrea hat sich erstaunlich vorteilhaft entwickelt«, freute sich Alexander voller Stolz.

»Und für Tiere hatte sie schon immer ein besonderes Faible«, warf Denise ein. »Aber was soll werden, wenn Andrea ein Kind bekommt?«, überlegte sie.

»Bestimmt wird sie die Kinder einer Säuglingsschwester und später einem Kindermädchen überlassen, damit sie mehr Zeit fürs Tierheim und für die Tierpraxis hat«, meinte Sascha schmunzelnd.

Alexander blickte auf seine goldene Armbanduhr.

»Ich glaube, wir sollten schlafen gehen, Nick, du musst morgen früh aufstehen, weil du in die Schule musst, und auch ich muss zeitig aus den Federn, weil ich eine Besprechung in Maibach habe.«

»Und ich möchte morgen Vormittag nach Sophienlust fahren. Die gute Frau Rennert wird wieder einmal nicht mit den Abrechnungen fertig. Wir müssten endlich einmal eine Sekretärin haben, die nicht gleich wieder heiratet.« Denise unterdrückte einen Seufzer. »Am besten, wir nehmen dann eine Frau über fünfzig.«

»Die außerdem noch hässlich ist, damit niemand sie anschaut. Ich meine, kein Mann«, erklärte Sascha und erhob sich. »Schade, dass die Tage auf ­Schoeneich und Sophienlust immer so schnell vorbeigehen. Übermorgen muss ich schon wieder in Heidelberg sein. Aber morgen möchte ich noch einmal einen langen Ausritt machen.«

»Nimm aber auf keinen Fall meinen Wodka. Er ist ein toller Springer. Morgen Nachmittag trainiere ich wieder mit ihm«, sagte Dominik.

»Übertreibe es nicht«, ermahnte ihn Denise. »Wenn du mit Wodka so hoch springst, bleibt mir jedes Mal das Herz stehen.«

»Aber, Mutti, du bist doch sonst nicht so ängstlich«, lachte Dominik und stand ebenfalls auf.

»Mutti hat Recht, Nick. Du musst etwas vorsichtiger sein«, hielt Alexander ihm ebenfalls vor.

»Ich passe schon auf. Gute Nacht.«

»Gute Nacht!« Alexander lachte die beiden Jungen an und wartete dann auf Denise, die ihren Söhnen noch einen Gutenachtkuss gab.

*

Am nächsten Morgen meinte es die Oktobersonne besonders gut.

Andrea blickte aus dem Fenster ihres Schlafzimmers. Dabei weitete sich ihr Herz vor Glück. Nie hätte sie es für möglich gehalten, dass ein Mensch so unendlich glücklich sein konnte, wie sie es war. Doch dann dachte sie an die Praxis. Sie musste sich beeilen, denn Hans-Joachim wartete schon auf sie.

Leichtfüßig lief Andrea die Treppe hinunter. Sie warf einen schnellen Blick ins Wartezimmer, das schon ziemlich voll war. Danach betrat sie mit lachenden Augen das Untersuchungszimmer, in dem Hans-Joachim am Schreibtisch saß und einige Notizen machte.

»Hallo, Andrea, wie hübsch du heute wieder aussiehst.« Er streckte ihr beide Hände entgegen. »Komm doch bitte her zu mir, mein Liebling«, bat er mit einer Stimme, die ihr das Blut schneller durch die Adern kreisen ließ. »Ich muss dich ganz einfach küssen.«

Andrea gab ihm einen schnellen Kuss und trat dann wieder zurück. »Herr Doktor, bitte keine Anzüglichkeiten«, lachte sie übermütig. »Wie können Sie es sich erlauben, mit Ihrer Assistentin zu flirten?«

»Auch nicht mit einer attraktiven, bildschönen Assistentin?«, fragte er.

»Mit der erst recht nicht.« Der Schalk blitzte ihr aus den Augen. »Können wir anfangen, Herr Doktor?«, fragte sie mit gespieltem Ernst.

»Wir können, Fräulein Assistentin.«

An diesem Vormittag hatte das junge Paar viel zu tun. Ein Kanarienvogel hatte ein verletztes Flügelchen, ein Wellensittich ein Geschwür am Hals. Eine Katze litt unter Appetitlosigkeit, drei Hunde mussten gegen die Staupe geimpft werden, und ein bildschöner Boxer, der eine Rauferei mit einem Schäferhund gehabt hatte, musste am Ohr genäht werden. Die Besitzer der Tiere, die ihre Lieblinge auch bei der Behandlung nicht allein ließen, bewunderten Andreas zarte Hand und die Art, wie sie mit den Tieren umging. Aber auch die Geschicklichkeit und die Sicherheit des jungen »Tierdoktors« imponierten ihnen sichtlich.

»Ich glaube, für heute haben wir es«, atmete Andrea nach einem Blick ins Wartezimmer auf. »Es ist kein Patient mehr da.« Doch da läutete es, und Andrea begrüßte einen älteren Mann, der einen braunen Kurzhaardackel trug.

»Mein Name ist Gellert«, stellte sich der Mann vor. »Und das ist mein Dackel Waldi. Es geht ihm überhaupt nicht gut, Frau Doktor«, seufzte er auf. »Waldi lehnt seit Tagen jedes Fressen ab, auch hat er bestimmt Flöhe, weil er sich ununterbrochen kratzt. Und dann hat er hier an der rechten Vorderpfote eine böse eitrige Entzündung. Entschuldigen Sie bitte, dass ich erst so spät komme, aber ich konnte nicht früher fort. Ich bin der Wirt des Gasthofes in Roggendorf. Vermutlich kennen Sie das Dorf überhaupt nicht. Es liegt vier Kilometer entfernt von Maibach.«

Andrea hatte mit einem Blick festgestellt, dass sich der Dackel in einem bedauernswerten Zustand befand. Sein Fell war stumpf, die Augen rannen und zeigten einen matten Ausdruck. Außerdem war der Hund entsetzlich mager. Und die Pfote sah wirklich böse aus.

Andrea nahm dem Mann den Hund ab. »Bitte, kommen Sie weiter«, forderte sie ihn freundlich auf.

»Ach ja, das wollte ich Ihnen auch noch erzählen«, entsann sich der Wirt. »Waldi gehörte einer Studentin, die einige Tage bei uns im Gasthof wohnte. Na, und wie das heutzutage bei jungen Leuten ist: Sie wollte den Hund nicht mehr haben. Sie erzählte mir und meiner Frau, dass sie ihn sich ganz einfach nicht mehr leisten könne und ihn deshalb einschläfern lassen wolle. Meiner Frau und mir hat der Hund leidgetan. Die Studentin konnte auch ihre Rechnung bei uns nicht begleichen. Da haben wir dafür den Hund behalten. Sie hatte uns auch versprochen den Stammbaum vom Waldi zu schicken. Ich hatte nicht geglaubt, dass sie ihr Versprechen halten würde. Aber vor ein paar Tagen ist der Brief tatsächlich eingetroffen. Waldi hat feine Vorfahren, lauter Adlige«, fügte er erklärend hinzu. »Ja, er hat einen piekfeinen Stammbaum und ist demnach ein wertvoller Hund. Darum scheue ich auch keine Arztkosten, um ihn wieder gesund zu machen.«

Andrea unterdrückte ein Lächeln.

»Mein Mann wird Waldi gründlich untersuchen und dann die Behandlung einleiten, damit er wieder gesund und munter wird. Nicht wahr, Waldi?«, fragte sie liebevoll und drückte den kleinen Hund zärtlich an sich.

»Hans-Joachim, da ist noch ein Patient«, erklärte Andrea. »Kommen Sie ruhig mit ins Behandlungszimmer, Herr Gellert.«

»Na, lieber nicht. Alles, was mit Doktoren zu tun hat, macht mich ganz krank«, gestand der Wirt leicht verlegen. »Ich warte lieber hier draußen im Wartezimmer.«

»Wie Sie wollen.« Andrea verschwand mit dem Dackel im Untersuchungszimmer und stellte ihn auf den Behandlungstisch. Waldi begann zu zittern, aber sie redete liebevoll auf ihn ein. Endlich blickte er sie aus seinen trüben Augen unglücklich an.

»So, mein kleiner Genosse«, sagte Hans-Joachim. »Jetzt werden wir erst mal dein Herzchen abhorchen. Pst, ich tue dir ja nichts, ich will dir doch nur helfen.«

Der Dackel Waldi spitzte die Ohren und hielt dann erstaunlich still, als der junge Tierarzt ihn gründlich untersuchte.

»Wie ich es mir gedacht hatte, Andrea«, erklärte Hans-Joachim dann. »Er hat Würmer und jede Menge Ungeziefer. Ja, und die Pfote ist sehr vereitert. Ich müsste Waldi hierbehalten. Er braucht gute Pflege, wenn er wieder ganz gesund werden soll.«

»Ich werde Herrn Gellert Bescheid sagen«, bot sich Andrea an und war schon draußen, während Hans-Joachim die verletzte Pfote des Dackels verarztete.

Herr Gellert hatte nichts dagegen einzuwenden, den Hund bei dem »Tierdoktor« und seiner Frau zu lassen.

»Im Gegenteil, mir fällt ein Stein vom Herzen«, fügte er aufatmend hinzu. »Wir haben ja kaum Zeit für einen gesunden Hund, geschweige denn für einen kranken. Aber Sie haben doch eine Dogge, nicht wahr? Sie wird doch unserem Waldi nichts tun?«

»Ach wo!«, rief Andrea. »Severin ist der gutmütigste Hund, den ich kenne. Auch würde er niemals einem kleineren Hund ein Haar krümmen.«

»Also, dann geh’ ich wieder.«

»Gut, Herr Gellert. Ihre Telefonnummer habe ich ja. Sobald es Ihrem Hund so gut geht, dass Sie ihn abholen können, werde ich Sie verständigen.«

»Vielen Dank, Frau Doktor.« Er drehte seinen Hut verlegen in den Händen, als er Andrea ansah. »Es stimmt schon, was sich die Leute in unserer Gegend über Sie erzählen, Frau Doktor. Sie sagen, Sie seien ›der gütige Engel der Tiere‹.«

Andreas Wangen überzogen sich mit einem leichten Rot. »Die Leute übertreiben«, erwiderte sie leise.

Als sie zu ihrem Mann und Waldi zurückkehrte, schüttelte sie den Kopf. Dass man sie so nannte, hatte sie noch gar nicht gewusst.

»Andrea, Waldi kann jetzt ins Heim getragen werden. Setze ihn zwischendurch einmal auf den Boden, damit er sein Geschäftchen erledigen kann.«

»Ich hätte einen anderen Vorschlag, Hans-Joachim. Wir behalten Waldi bei uns im Haus. Ich habe doch noch den neuen Hundekorb. Wir können ihn ins Wohnzimmer stellen. Waldi wird sich bei uns viel wohler fühlen als drüben im Tierheim.«

»Einverstanden, Andrea. Aber ich warne dich, mein Liebling! Hänge dein Herz nicht zu sehr an den kleinen Schlingel. Er gehört nicht uns.«

»Das weiß ich doch. Trotzdem musst du zugeben, dass er, obwohl er sehr ungepflegt ist, der hübscheste Dackel weit und breit ist. Und dann der kluge Ausdruck in seinen Augen! Er schaut uns an, als ob er uns verstünde.«

»Das tut er bestimmt, Andrea. Nicht wahr, Waldi?«, wandte er sich an den Hund. »Bald wirst du dich wohler fühlen, kleiner Bursche, und auch Appetit bekommen.«

Waldi winselte leise vor sich hin und fuhr dann Andrea mit seiner langen Zunge über den Handrücken.

*

Gleich nach dem Mittagessen wurde Waldi in einer Lösung gebadet, die jedes Ungeziefer vernichtete. Betti, das Hausmädchen des jungen Ehepaares, war ganz entzückt von dem Dackel.

»Was für ein niedlicher Hund ist er doch«, stellte sie fest.

»Ja, das ist er.« Andrea wickelte den nassen Hund in ein großes Frottiertuch und trug ihn dann ins Wohnzimmer, wo die Dogge Severin sich behaglich vor dem noch kalten Kamin ausgestreckt hatte. Als Andrea mit Waldi hereinkam, erhob sie sich und schnupperte neugierig. Der Dackel zog zuerst eine krause Nase, doch dann zeigte er wieder ein friedliches Gesicht.

Betti hatte inzwischen den Hundekorb vom Boden heruntergeholt und eine Decke hineingelegt. Behaglich rollte sich Waldi in seinem neuen Korb zusammen. Die ärztliche Behandlung, das Bad und die warme Milch, die er mit Genuss geschlabbert hatte, hatten ihn so ermüdet, dass er gleich einschlief.

»Ich glaube, Waldi wird in einigen Tagen kaum mehr wiederzuerkennen sein«, meinte Andrea, als sie ihren Mann zum Auto brachte. Hans-Joachim musste noch einmal zu dem Wanderzirkus fahren, weil es dem Schimpansen nicht sehr gut ging.

»Ganz bestimmt wird er sich bei deiner guten Pflege sehr schnell erholen. Ich mache mir Sorgen um Patty – so heißt der Schimpanse. Es könnte sein, dass ich ihn mitbringe.«

»Ja, Hans-Joachim.« Andrea blickte dem Wagen nach und kehrte dann ins Haus zurück, um noch einige Arbeiten zu erledigen. Doch zuerst sah sie noch einmal nach Waldi, der immer noch fest schlief. Severin lag unweit von dem Hundekorb und schnarchte ebenfalls.

Lächelnd ging Andrea ins Büro. Doch schon bald wurde sie in ihrer Arbeit wieder unterbrochen. Betti meldete ihr, dass ihr Vater und Nick gekommen seien.

»Oh, das ist aber nett!«, rief Andrea, die sich über jeden Familienbesuch riesig freute. »Führen Sie bitte die beiden ins Herrenzimmer.«

Einige Minuten später umarmte Andrea Vater und Bruder. »Wie schön, dass ihr gekommen seid. Wie geht es Henrik? Und Mutti?«

»Alle lassen dich herzlich grüßen, Andrea. Nick und ich hatten etwas in Bachenau zu erledigen. Natürlich haben wir die Gelegenheit genutzt, dich zu besuchen. Ist dein Mann nicht da?«

»Nein, Vati, er musste einen Krankenbesuch bei einem Schimpansen machen. Möglicherweise muss er ihn ins Tierheim nehmen.«

»Mensch, das wäre aber eine Wucht. Nicht wahr, Andrea, du rufst mich dann an? Ich möchte den Schimpansen doch sehen.«

»Mache ich, Brüderchen. Vati, ich habe einen besonders guten Whisky. Möchtest du ein Glas?«

»Sehr gern, Andrea. Du weißt, bei Whisky kann ich nur selten nein sagen.«

»Und du möchtest sicherlich einen Orangensaft, Nick.«

»Ja, Andrea, den mag ich immer.«

Andrea lachte fröhlich und bediente dann ihren Vater und ihren Bruder. Dominik hatte ein wenig die Verbindungstür zum Wohnzimmer aufgeschoben und schaute hinein. »Hast du denn einen neuen Hund?«, fragte er verwundert.