Kinderglück in Gefahr - Judith Parker - E-Book

Kinderglück in Gefahr E-Book

Judith Parker

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Beschreibung

Die Idee der sympathischen, lebensklugen Denise von Schoenecker sucht ihresgleichen. Sophienlust wurde gegründet, das Kinderheim der glücklichen Waisenkinder. Denise formt mit glücklicher Hand aus Sophienlust einen fast paradiesischen Ort der Idylle, aber immer wieder wird diese Heimat schenkende Einrichtung auf eine Zerreißprobe gestellt. Diese beliebte Romanserie der großartigen Schriftstellerin Patricia Vandenberg überzeugt durch ihr klares Konzept und seine beiden Identifikationsfiguren. Andrea musterte sich kritisch in dem Spiegel im Schlafzimmer und stellte fest, dass ihr das neue grün-weißgestreifte Sommerkostüm mit der taillierten kurzen Jacke und den großen Revers wirklich gut stand. Der knielange Glockenrock zeigte noch so viel von ihren Beinen, dass die schönen Formen ihrer Waden zu sehen waren. Die in der Farbe zum Kostüm passenden Sandaletten an ihren nackten Füßen ließen die hübschen rotlackierten Nägel frei. »Gefalle ich dir?«, fragte Andrea mit strahlenden, auf ihren Mann gerichteten Augen. Hans-Joachim band sich eben die modische Krawatte um. »Gefallen ist gar kein Ausdruck«, erwiderte er. Schmunzelnd bewunderte er seine bildhübsche junge Frau. »Das Kostüm muss sündhaft teuer gewesen sein«, mutmaßte er. »Irrtum, mein Lieber. Es war sogar sehr billig. Mutti und ich haben es in einem Frankfurter Kaufhaus gekauft. Wichtig ist, dass der Stoff knitterfrei ist. Dadurch kann ich das Kostüm auch auf längeren Autofahrten tragen.« »Es sei denn, unsere Hunde springen dich vorher noch an und hinterlassen darauf die Spuren ihrer Pfoten«, neckte der Tierarzt sie und trat hinter sie, um nun ebenfalls einen prüfenden Blick in den Spiegel zu werfen. »Wir sollten endlich starten«, meinte er, wobei er Andrea im Spiegelglas anlächelte. »Ich bin gleich soweit.« Andrea fuhr sich mit der Bürste noch einmal über ihr volles dunkelbraunes Haar. »Eigentlich habe ich ein schlechtes Gewissen«, erklärte sie, plötzlich ernst werdend. »Weil ich Peterle allein lasse. Die Trennung von ihm fällt mir wirklich schwer«, bekannte sie bedrückt. »Du tust ganz so, als ob wir für lange Zeit verreisen würden. Dabei fahren wir doch nur übers Wochenende

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Sophienlust –137–

Kinderglück in Gefahr

Fritzi ahnt nichts von den schweren Sorgen ihrer Mutter

Judith Parker

Andrea musterte sich kritisch in dem Spiegel im Schlafzimmer und stellte fest, dass ihr das neue grün-weißgestreifte Sommerkostüm mit der taillierten kurzen Jacke und den großen Revers wirklich gut stand. Der knielange Glockenrock zeigte noch so viel von ihren Beinen, dass die schönen Formen ihrer Waden zu sehen waren. Die in der Farbe zum Kostüm passenden Sandaletten an ihren nackten Füßen ließen die hübschen rotlackierten Nägel frei.

»Gefalle ich dir?«, fragte Andrea mit strahlenden, auf ihren Mann gerichteten Augen.

Hans-Joachim band sich eben die modische Krawatte um. »Gefallen ist gar kein Ausdruck«, erwiderte er. Schmunzelnd bewunderte er seine bildhübsche junge Frau. »Das Kostüm muss sündhaft teuer gewesen sein«, mutmaßte er.

»Irrtum, mein Lieber. Es war sogar sehr billig. Mutti und ich haben es in einem Frankfurter Kaufhaus gekauft. Wichtig ist, dass der Stoff knitterfrei ist. Dadurch kann ich das Kostüm auch auf längeren Autofahrten tragen.«

»Es sei denn, unsere Hunde springen dich vorher noch an und hinterlassen darauf die Spuren ihrer Pfoten«, neckte der Tierarzt sie und trat hinter sie, um nun ebenfalls einen prüfenden Blick in den Spiegel zu werfen. »Wir sollten endlich starten«, meinte er, wobei er Andrea im Spiegelglas anlächelte.

»Ich bin gleich soweit.« Andrea fuhr sich mit der Bürste noch einmal über ihr volles dunkelbraunes Haar. »Eigentlich habe ich ein schlechtes Gewissen«, erklärte sie, plötzlich ernst werdend. »Weil ich Peterle allein lasse. Die Trennung von ihm fällt mir wirklich schwer«, bekannte sie bedrückt.

»Du tust ganz so, als ob wir für lange Zeit verreisen würden. Dabei fahren wir doch nur übers Wochenende fort. Außerdem ist unser Sohn bei deiner Mutter gut aufgehoben, um ihn abzuholen, damit wir beizeiten losfahren können. Und nun sind wir immer noch da.« Hans-Joachim lachte übermütig wie ein ausgelassener Junge. »Was würde sein, wenn wir einmal für etliche Wochen verreisen müssten?«, fragte er und blickte auf seine Armbanduhr.

»Bei einer größeren Reise trifft man seine Vorbereitungen nicht von heute auf morgen – wie bei dieser Fahrt ins Blaue.«

»Den Tag, an dem du mir keine Gegenargumente lieferst, werde ich im Kalender rot anstreichen!«, rief er. Vergnügt blitzte es in seinen blauen Augen auf.

»Ich muss dem Hausmädchen noch einmal die Hunde ans Herz legen und Marianne auch daran erinnern, am Abend alle Fensterläden gut zu verschließen und die Haustür zu verriegeln.«

»Marianne ist zuverlässig. Wäre sie es nicht, würde ich sie bestimmt nicht allein im Haus lassen und die Hunde auch nicht ihrer Obhut übergeben. Aber wenn du jetzt nicht endlich kommst, trage ich dich zum Auto hinaus.«

»Untersteh dich!«, rief Andrea, als er seine Drohung wahrmachen wollte.

Das Hausmädchen hatte das Gepäck schon zum Auto getragen. Während Dr. Hans-Joachim von Lehn es im Kofferraum verstaute, verabschiedete sich Andrea von den vier Dackeln.

Die Dogge Severin hatte Peterle nach Schoeneich begleiten dürfen. Und der frühere Polizeihund Munko, ein brauner Schäferhund mit einer schwarzen Decke, war für dieses Wochenende im Kinderheim Sophienlust untergebracht worden. Nick, Andreas Stiefbruder, hatte versprochen, sich seiner besonders anzunehmen.

»Ich brauche mir wirklich keine Sorgen zu machen«, sagte Andrea, als sie sich noch einmal umblickte.

Die vier Dackel Waldi, Hexe, Pucki und Purzel wollten laut bellend hinter dem Auto herjagen, als Hans-Joachim anfuhr. Das Hausmädchen fing sie am Tor ab und schloss schnell die beiden Flügel.

Andrea lehnte sich bequemer in ihrem Sitz zurück. »Ich kann noch immer nicht ganz glauben, dass wir endlich einmal Zeit füreinander haben. Selbst nachts wirst du oft zu Patienten gerufen. Früher konnte ich mir nicht vorstellen, wie hart der Beruf eines Tierarztes ist. Niemals hätte ich gedacht, dass Tierärzte auch nachts aufstehen müssen.«

»In einer größeren Stadt haben Tierärzte mehr Ruhe. Aber auf dem Land ist das anders.«

»Außerdem bist du weit und breit der einzige wirklich gute Tierarzt«, erklärte Andrea und sah ihren Mann stolz an.

»Ich hatte dich gewarnt. Sicherlich kannst du dich noch daran erinnern.« Hans-Joachim fuhr nun schneller.

»Gewarnt? Wovor?«, fragte Andrea erstaunt.

»Mich zu heiraten. Ich hatte dich auf die Nachteile einer Tierarztgattin aufmerksam gemacht. Aber du hast nur gelacht und gemeint, ich übertreibe.« Er warf seiner Frau einen schnellen Blick zu, um sich dann wieder auf den Verkehr zu konzentrieren.

»Ich weiß, aber ich würde dich für keinen anderen Mann auf der Welt eintauschen. Auch könnte ich mir ein Leben ohne unser Tierheim Waldi & Co. nicht mehr vorstellen. Jedes Tier ist mir ans Herz gewachsen. Beweise ich dir das nicht täglich in der Sprechstunde?«

»Das tust du. Ich muss ehrlich zugeben, dass ich mir keine andere Sprechstundenhilfe wünsche.«

»Was ich auch hoffe!«, rief Andrea. »Was für ein wunderschönes Wetter. So eine Fahrt ins Blaue habe ich mir schon lange gewünscht. Auch finde ich es wundervoll, nicht zu wissen, wohin wir heute Abend unsere müden Häupter legen werden.«

»Wir werden in irgendeinem hübschen kleinen Weinort übernachten und vorher gut essen und eine Flasche Wein trinken.«

»Du weißt doch, wie leicht ich einen Schwips bekomme?«

»Und ob ich das weiß. Aber dann bist du bezaubernder denn je.« Diesmal klang die Stimme des Tierarztes ernst. In seinen Augen stand die ganze Liebe, die er für Andrea empfand. Er liebte ihr lebhaftes Temperament, ihre Schlagfertigkeit und auch ihren Leichtsinn. Ein Leben ohne sie erschien ihm unvorstellbar.

Jetzt wurde seine Miene wieder heiter. »Sieh doch, Andrea, die Pferde dort auf der Koppel gehören Ernst Schneider.«

»Ernst Schneider? Ist das nicht der bekannte Sportreiter?«

»Ganz recht. Wenn wir die Autobahn bei der nächsten Ausfahrt verlassen, kommen wir direkt zu seinem Gut. Er hat mich eingeladen, ihn zu besuchen. Wollen wir?«

»O nein«, lehnte Andrea entschieden ab. »Ich kenne so etwas. Er würde uns überreden, über Nacht zu bleiben. Dann ist es mit unserer Fahrt ins Blaue vorbei.«

»Du hast recht. Also fahren wir weiter.« Hans-Joachim trat aufs Gaspedal.

Zu Mittag aßen sie in einem Dorfwirtshaus. Danach fuhren sie durch die Orte der Weinstraße, einem der bedeutendsten deutschen Weinbaugebiete. Die Straße führte am Osthang der pfälzischen Hardt entlang, einem Hochflächengebiet. Tiefblau wölbte sich der Julihimmel über den romantischen Städtchen, die sich an die Weinberge anlehnten.

»Wir müssen einmal zur Weinlese hierherfahren«, schlug Andrea vor. »Weißt du, was ich möchte?«

»Nein.« Hans-Joachim war in bester Stimmung. Er bereute seinen Entschluss, sich einmal zusammen mit Andrea vom Alltag loszulösen, nicht.

»Wollen wir in Edenkoben übernachten?«, fragte Andrea.

»Ich bin mit allem einverstanden«, antwortete Hans-Joachim lachend.

»Ich kenne dort einen ländlichen Gasthof, in dem es ganz zwanglos zugeht. Die Fremdenzimmer befinden sich direkt über dem Kuhstall, und das Federvieh läuft auf dem Hof vor den Fenstern herum. Jedenfalls werden wir vom ersten Hahnenschrei geweckt werden. Dann machen wir einen langen Morgenspaziergang. Am frühen Morgen, wenn die Sonne langsam am östlichen Himmel aufsteigt, ist es am schönsten.«

»Das kannst du auch alles daheim haben«, neckte Hans-Joachim seine Frau.

»Daheim ist es etwas ganz anderes. Da können wir beide niemals so früh spazierengehen. Es sei denn am Sonntag. Aber dann schlafen wir meist etwas länger. Und dann verlangt Peterle nach uns und die Hunde und …«

»Hör auf!«, rief Hans-Joachim lachend. »Ich ergebe mich.«

*

Der Gasthof, den Andrea im Sinn gehabt hatte, entsprach ganz den Vorstellungen des Ehepaares. »Es sind richtige Ferien vom Ich«, erklärte An­drea, als sie die beiden Fensterflügel des Gastzimmers mit den Bauernmöbeln öffnete und die Landluft tief einatmete. »Es riecht nach Stall und Kuhmist und …«

»Du bist himmlisch!« Hans-Joachim konnte nicht anders, als laut zu lachen. »Ich werde jeden Tag mit diesen Düften konfrontiert.«

»Das ist doch etwas ganz anderes.« Nun lachte auch Andrea. Dann umarmten die beiden sich.

Sehr viel später sagte Hans-Joachim verliebt: »Es ist doch etwas anderes. Du hast recht.«

Alles verlief so, wie sie es sich ausgemalt hatten.

Sie aßen gut zu Abend, tranken würzigen Wein dazu und waren sich einig, dass selbst der Wein in ihrem Keller nicht so gut war wie der, den sie in diesem Wirtshaus bekamen.

Dicht aneinandergeschmiegt, zugedeckt von hohen Federbetten, schliefen sie ein. Andrea war beim ersten Hahnenschrei wach und weckte ihren Mann mit einem zarten Kuss auf den Mund. Als er sie wieder an sich ziehen wollte, entwand sie sich seinen Armen und rief: »Aufstehen, du Faulpelz!«

»So früh?«, brummte er. »Es ist noch nicht einmal sechs.«

»Wir hatten gestern ausgemacht, einen ausgiebigen Spaziergang zu machen. Versprochen ist versprochen.« Aus blanken Augen sah sie ihn an. »Ich bin trotz des Weines wunderbar ausgeschlafen.«

»Also, dann nichts wie raus aus den Federn«, erwiderte er tief aufseufzend. Leise kicherte sie, als sie seine unglückliche Miene sah.

Später schritten sie Hand in Hand durch die Weinberge. Sie bewunderten eine uralte Kapelle und die kunstvoll geschnitzte Madonna mit dem Jesuskindlein auf ihrem Schoß. Sie begrüßten einen uralten Schäfer mit einem breitrandigen Hut, der etwas abseits von der Schafherde frühstückte.

»Wohl bekomm’s!«, rief Andrea ihm munter zu.

»Danke, junge Frau.« In den tiefliegenden Augen des alten Mannes glomm ein Licht auf.

»Er ähnelt ein wenig unserem Justus in Sophienlust«, meinte Hans-Joachim, der sich nun bei seiner Frau einhakte.

Der Wind wehte ihr immer wieder das lange braune Haar ins Gesicht. Lachend streifte sie es einige Male zurück. »Ich muss rückwärts gehen«, erklärte sie und sah ihren Mann fröhlich an. »Hätte ich geahnt, wie windig es ist, hätte ich ein Kopftuch mitgenommen.«

Hans-Joachim reichte ihr sein grünes Taschentuch. »Vielleicht geht es damit?«, fragte er.

»Vielen Dank. Aber es geht auch so«, sagte sie und lief nun mit dem Wind um die Wette einen Hang hinunter. Hans-Joachim hatte Mühe, ihr zu folgen.

»Sieh doch, was für ein hübsches Häuschen!«, rief Andrea, als sie außer Atem stehenblieb. »Oh, wie süß!« Schon lief sie weiter und hockte sich dann vor dem Gartenzaun nieder, um einige junge rotbraune Cockerspaniels zu bewundern, die ausgelassen auf dem Rasen umherkugelten.

»Sie sind wirklich hübsch«, gab Hans-Joachim zu.

»Und was für ein reizendes Kind«, stellte Andrea fest und erhob sich wieder, um auf das ungefähr fünfjährige Mädchen zu warten, das sich dem Zaun langsam näherte. Es hatte dunkelbraune Haare, die über der Stirn zum Pony geschnitten waren. In Schläfenhöhe leuchteten auf beiden Seiten hellblaue Schleifchen. Die großen, sehr dunklen Augen richteten sich verwundert auf die beiden Leute am Zaun, wobei die Flügel der kleinen Nase leicht vibrierten und der kleine Mund mit den vollen roten Lippen sich ein wenig öffnete. Zu dem hellblauen Pulli trug die Kleine ein Schottenröckchen mit schmalen Trägern.

»Guten Morgen«, begrüßte Andrea das bildhübsche kleine Mädchen fröhlich. »Stehst du immer so früh auf?«

»Wenn die Sonne scheint, stehen Mami und ich immer sehr früh auf. Dann lassen wir die Hunde auf dem Rasen tollen.«

»Habt ihr denn eine Hundezucht?«, fragte Andrea, als zwei goldbraune Spaniels laut bellend angelaufen kamen und dicht am Zaun stehenblieben.

»Ja, das haben wir. Der große Spaniel heißt Ajax und ist der Vater aller Babys. Und das ist die Leila. Die Babys gehören ihr. Darum knurrte sie auch. Die Hella wird auch bald Kinder bekommen. Und dann haben wir noch die Anja. Aber sie ist bei Mami im Haus. Und die Babys haben noch keine Namen. Mami meint, die Leute, die sie kaufen, sollen sie selbst taufen. Und wer bist du?«, fragte die Kleine neugierig.

»Ich heiße Andrea von Lehn. Und das ist mein Mann. Und du? Wie heißt du?«

»Ich bin die Fritzi. Aber richtig heiße ich Friederike. Doch ich finde Fritzi viel schöner. Du auch?« Vertrauensselig musterte die Kleine Andrea. »Und wie soll ich zu dir sagen? Aber da kommt die Mami!«, rief das kleine Mädchen. »Mami, sieh doch mal!«

Eine hübsche junge Frau mit glatt aus der Stirn gebürsteten braunen Haaren und denselben dunklen Augen wie das Kind näherte sich dem Zaun. Sie trug ein einfaches gemustertes Baumwollkleid mit einem breiten roten Gürtel, der ihre zarte Figur noch zerbrechlicher erscheinen ließ.

»Entschuldigen Sie unsere Neugier«, sagte Andrea. »Aber mein Mann und ich sind ganz hingerissen von den jungen Spaniels. Ich heiße Andrea von Lehn, und das ist mein Mann. Er ist Tierarzt, und wir haben …«

»Andrea«, ermahnte Hans-Joachim seine Frau leise.

»Mein Temperament geht wieder einmal mit mir durch«, entschuldigte sich Andrea.

Ihr warmherziges Lächeln veranlasste die junge Frau, das Ehepaar ins Haus zu bitten. »Ich bin Verena Ste­phan«, stellte sie sich vor, als sie die Gartentür öffnete. »Und das ist meine Tochter Fritzi. Eigentlich …«

»Ich habe ihnen schon erzählt, dass ich Friederike heiße, Mami«, fiel das Kind ihr ins Wort.

»Vielleicht möchten Sie einen Spaniel haben?«, fragte Verena impulsiv, als sie sah, wie begeistert die blutjunge Frau war.

»O nein!«, rief Hans-Joachim. Er lächelte verschmitzt. »Was glauben Sie, was geschähe, wenn ich Andrea erlauben würde, jeden Hund, der ihr gefällt, zu kaufen? Wir haben zwar ein Tierheim, aber dann müssten wir laufend anbauen.«

»Übertreibe doch nicht so«, ermahnte Andrea ihn mit gerunzelten Brauen. »Aber so ein süßer Spaniel … Schon gut«, fügte sie leiser hinzu. »Deine Miene verheißt nichts Gutes.«

Belustigt erwiderte er ihren Blick.

»Darf ich dich Tante nennen?«, fragte Fritzi. »Ich mag dich sehr.«

»Fritzi ist sonst zurückhaltend«, bemerkte Verena Stephan. »Sie müssen schon einen großen Eindruck auf meine Tochter gemacht haben.«

»Nicht nur auf sie. Meine Frau könnte ein weiblicher Rattenfänger sein.«

»Kinderfänger, mein Lieber«, verbesserte Andrea ihn.

»Meine Schwiegermutter leitet ein Kinderheim. Das Kinderheim Sophienlust ist …«

»Sophienlust!«, rief die junge Frau überrascht. »Das Kinderheim ist mir ein Begriff. Eine Freundin von mir hatte ihre Kinder im vergangenen Sommer dort untergebracht. Ursel und Klaus Hemmerling.«

»Aber ja, ich erinnere mich gut an die beiden!«, rief Andrea. »Die Welt ist wirklich klein.«

»Stimmt es, dass Sophienlust einem Jungen gehört?«

»Es stimmt. Mein Stiefbruder Dominik von Wellentin hat Sophienlust von seiner Urgroßmutter geerbt. Seine Mutter, sie ist die zweite Frau meines Vaters, verwaltet das Heim bis zu seiner Volljährigkeit.«

»Nach den Erzählungen der Kinder muss es ein sehr schönes Kinderheim sein.« Verena bückte sich, um ein Spanielkind auf den Arm zu nehmen. »Meine Freundin sagte, die Leute nennen es ein Kinderparadies, weil es dort so viele Pferde, Ponys und Hunde gibt.«

»Es wird tatsächlich so genannt.« Andrea erzählte nun von Sophienlust. Wie von selbst ergab es sich, dass Ve­rena das Ehepaar zum Frühstück einlud, sehr zur Freude von Fritzi.

Nach dem Frühstück lief die Kleine wieder hinaus in den Garten, während die Erwachsenen noch ein Weilchen sitzenblieben. Andrea entging nicht das bedrückte Wesen ihrer Gastgeberin. Es gelang ihr jedoch, Verenas Vertrauen zu gewinnen, sodass diese zu erzählen begann.

»Ich habe meinen Mann durch eine heimtückische Krankheit vor einem Jahr verloren«, berichtete Verena. »Seitdem führe ich einen schweren Existenzkampf. Noch ist unser Anwesen verschuldet und es fällt mir schwer, die Bankschulden zu tilgen. Als mein Mann noch lebte, war das einfacher. Er verdiente ganz gut als Büroangestellter, aber ich bekomme jetzt nur eine kleine Rente. Anfangs kostete die Hundezucht viel Geld, doch nun ist das Schlimmste überstanden. An diesem Wurf werde ich gut verdienen. Außerdem ist meine andere Hündin trächtig. Ich hoffe, dass sie ebenfalls sechs Welpen bekommt.«

»So eine Hundezucht muss viel Spaß machen«, sagte Andrea begeistert und sah dabei ihren Mann an.

Hans-Joachim zuckte zusammen. Er ahnte bereits, was ihn erwartete. Aber diesmal wird Andrea sich nicht durchsetzen, dachte er und war fest entschlossen, hart zu bleiben.

Als sich das Ehepaar von Verena und Fritzi verabschiedete, trennten sich alle als Freunde. Fritzi winkte den Besuchern noch lange vom Gartenzaun aus nach. Andrea drehte sich immer wieder um und winkte zurück.

»Hans-Joachim!«, rief sie dann ihrem Mann zu, der schon weit voraus war. »So warte doch!«

Er blieb stehen. »Ja?«, fragte er, schon ahnend, was nun kommen würde.

»Wir hätten schon längst eine Dackelzucht haben können«, fing Andrea auch tatsächlich an. »Mit Waldi und Hexe. Und für Pucki und Purzel könnten wir noch zwei Hündinnen kaufen und …«

»Das schlage dir nur aus dem Kopf«, entgegnete Hans-Joachim ener­gisch. »Schließlich hat der Tag ja nur vierundzwanzig Stunden und …«

»Leider …«

»Leider? Was meinst du damit?«

»Ich meine damit, dass der Tag nur vierundzwanzig Stunden hat. Von mir aus könnte er achtundvierzig haben. Aber weshalb bist du so entsetzt über meinen Vorschlag?«, fragte sie so unbefangen wie möglich und lächelte honigsüß.

»Das fragst du noch?« Sein Gesicht rötete sich. »Peterle soll seine Mutter nicht noch mehr teilen. Ich finde, du hast schon genug zu tun. Abgesehen von deiner täglichen Arbeit als Sprechstundenhilfe kümmerst du dich auch noch viel zu viel ums Tierheim. Wozu haben wir einen Tierpfleger? Auch hilfst du oft genug im Kinderheim aus. Darum bitte ich dich von ganzem Herzen, dir diesen Unsinn mit der Dackelzucht aus dem Kopf zu schlagen.«

Andrea war jedoch nicht so leicht zu schlagen. Am Nachmittag, auf der Heimfahrt, erwog sie das Für und Wider einer Dackelzucht. Hans-Joachim aber spürte, dass er an Boden verlor, aber trotzdem hoffte er noch immer, dass Andrea zur Vernunft kommen würde.

Gegen Abend erreichten die beiden Sophienlust, wo sie von ihren Eltern und Peterle erwartet wurden.

*

Denise und Alexander von Schoen­ecker blickten auf die Uhr. »Eigentlich müssten sie schon da sein«, meinte Denise besorgt.

»Sie werden später losgefahren sein, Denise«, beruhigte Alexander seine Frau. »Auch sind die Kinder hier sehr glücklich, dass sie Peterle noch ein Weilchen für sich haben.«

Der Gutsherr deutete auf den Rasen hinter dem Herrenhaus von Sophienlust. Dort saß der kleine Peter, ein ungefähr einjähriges Kind mit leicht gelockten hellblonden Haaren und braunen Augen, mitten in einer Kinderschar.

»Da kommt ein Auto!«, rief Nick. Er löste sich aus der Gruppe der Kinder und ging zu seinen Eltern hin. »Ja, sie sind es!«

Andrea begrüßte ihre Eltern und Nick nur flüchtig, dann lief sie zu ihrem Sohn hin. »Peterle, mein Peterle!«, rief sie selig.

Der Kleine unterbrach sein Gebrabbel und streckte die Ärmchen nach ihr aus. »Mama!«, rief er. »Mama!«

Kurz darauf, auf der Fahrt von Sophienlust nach Bachenau, erklärte Andrea: »Hans-Joachim, vielleicht hast du doch recht. Eine Dackelzucht wäre eine zu große Belastung für uns. Peterle kommt jetzt in ein Alter, in dem er ständig beaufsichtigt werden muss.«

»Endlich wirst du gescheit, mein kluges Weib!«, rief Hans-Joachim fröhlich.

»Als ich Mutti von Fritzi und den Spaniels erzählte, lachte Vati so komisch. Sicherlich glaubt er, dass Fritzi eines Tages in Sophienlust landen wird.«

»Möglich wäre es schon.«