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Denise von Schoenecker verwaltet das Erbe ihres Sohnes Nick, dem später einmal, das Kinderheim Sophienlust gehören wird. Die beiden sind echte Identifikationsfiguren. Dieses klare Konzept mit seinen beiden Helden hat die zu Tränen rührende Romanserie auf ihren Erfolgsweg gebracht. Es war ein herrlicher Sommertag. Sanftblau wölbte sich der Himmel über dem saftig-grünen Land. Es war ein Tag, an dem Wünsche und Wachträume das Herz mit einer seltsamen Unruhe erfüllten. Die schwermütigen Gedanken wichen von Dr. Clemens Wendt, als er die idyllische Landschaft vor sich erblickte. So romantisch hatte er sich die Umgebung des Kinderheims Sophienlust doch nicht vorgestellt. Nun war er ganz sicher, dass sein kleiner Oliver sich dort schnell einleben und auch wohlfühlen würde. Erleichtert atmete der Fabrikant auf. Er blickte seinen neben ihm sitzenden dreijährigen Sohn an. Noch wusste dieser nicht, dass er ihn in ein Kinderheim brachte, in dem er für die nächsten Wochen bleiben sollte, so lange, bis er seine ehelichen Probleme bereinigt hatte. Erst dann wollte er das Kind wieder heimholen.
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Es war ein herrlicher Sommertag. Sanftblau wölbte sich der Himmel über dem saftig-grünen Land. Es war ein Tag, an dem Wünsche und Wachträume das Herz mit einer seltsamen Unruhe erfüllten.
Die schwermütigen Gedanken wichen von Dr. Clemens Wendt, als er die idyllische Landschaft vor sich erblickte. So romantisch hatte er sich die Umgebung des Kinderheims Sophienlust doch nicht vorgestellt. Nun war er ganz sicher, dass sein kleiner Oliver sich dort schnell einleben und auch wohlfühlen würde.
Erleichtert atmete der Fabrikant auf. Er blickte seinen neben ihm sitzenden dreijährigen Sohn an. Noch wusste dieser nicht, dass er ihn in ein Kinderheim brachte, in dem er für die nächsten Wochen bleiben sollte, so lange, bis er seine ehelichen Probleme bereinigt hatte. Erst dann wollte er das Kind wieder heimholen.
»Vati, was steht denn dort auf dem Schild?«, fragte der Dreijährige nun wissbegierig.
»›Wildmoos‹, Oliver. Das ist der Name dieses Dorfes.«
»Wohin fahren wir denn, Vati?« Die großen blauen Augen des Jungen richteten sich auf Clemens Wendt, der sichtlich mit der Antwort zögerte. Er schwieg auch noch, als sie bereits durch das Dorf fuhren. Doch dann ließ er den Wagen ausrollen.
Rein zufällig war der Wagen neben einem ähnlichen Wegweiser stehen geblieben, wie er bereits an der Autobahnausfahrt zu sehen gewesen war. Diesen zweiten holzgeschnitzten Wegweiser sah Clemens als einen Wink des Schicksals an. »Schau doch, Oliver, wie hübsch der Wegweiser ist«, meinte er.
»Ja, Vati! Was ist das für ein Vogel in dem Käfig?« Interessiert richtete sich das Kind auf seinem Sitz auf.
»In dem Vogelkäfig, vor dem der Junge steht, sitzt ein Papagei. Weißt du auch, was auf dem Wegweiser steht?«
»Nein, Vati. Aber es ist ein sehr langes Wort.«
»Es sind zwei Wörter. Kinderheim Sophienlust steht drauf.«
»Fahren wir zu dem Kinderheim, Vati?« Oliver sah seinen Vater unsicher an.
»Oliver, nun hör’ mir mal genau zu«, begann Clemens mit einem hilflosen Lächeln. Solange wie möglich hatte er diesen Augenblick hinausgezögert, um seinem Sohn das Herz nicht vorzeitig schwerzumachen.
»Ja, Vati.« Ernsthaft erwiderte der Kleine den Blick seines Vaters. Die Ähnlichkeit zwischen den beiden war auffallend.
Clemens dachte an die glückliche Zeit, als Gesa und er über das drollige Gehabe des Kindes oft herzlich gelacht hatten. Doch bei dem Gedanken an seine Frau spürte er wieder einen harten Druck in seiner Brust. Das Schlimme war, dass er sie trotz allem noch liebte und sich ein Leben ohne sie kaum vorstellen konnte. Ja, es schien ihm unvorstellbar, dass er Gesa nicht mehr täglich um sich haben sollte, dass ihr Lachen nicht mehr durch das Haus klingen und er sie auch nie mehr in den Armen halten würde. Aber er musste sich damit abfinden. Er musste es, nach allem, was er über ihre Vergangenheit erfahren hatte.
»Vati, warum sagst du denn nichts?«
»Ach ja, Oliver.« Clemens riss sich zusammen. »Also, hör’ mir zu. Ich bringe dich für einige Wochen in das Kinderheim. Dort bist du dann jeden Tag mit vielen Kindern beisammen. Das hast du dir doch immer gewünscht?«
Oliver nickte. »Ja, Vati, das wollte ich wirklich. Aber wäre es nicht viel schöner, ich bekäme noch ein Brüderchen oder auch noch ein Schwesterchen?« In den Kinderaugen glitzerte es verdächtig.
»Oliver, du bist doch schon ein großer und verständiger Junge?« Clemens strich seinem Sohn zärtlich über das kurz geschnittene weißblonde Haar.
Tapfer schluckte der Kleine die Tränen herunter. Wenn sein Vater zu ihm sagte, dass er schon ein großer Junge sei, musste er sich auch dementsprechend benehmen, überlegte er. Und ein großer Junge weinte nicht mehr. »Ich bin schon sehr groß«, erwiderte er und hielt seine rechte Hand über seinen Kopf, um damit seine körperliche Größe anzudeuten.
»Na, siehst du! Und ich muss für ein paar Tage verreisen.«
»Aber Mutti ist doch zu Hause, Vati.«
»Mutti ist …«
»… verreist. Das weiß ich doch. Sie ist zu einer Freundin gefahren, aber sie hat mir versprochen, dass sie bald wiederkommt, Vati«, entgegnete der Junge leise.
»Sie ist nach Hamburg gefahren. Das stimmt, Oliver. Aber dort ist sie krank geworden und musste in ein Krankenhaus eingeliefert werden.« Clemens zündete sich eine Zigarette an.
»Aber sie wird doch wieder gesund?« Entsetzen stand plötzlich in den großen blauen Augen des kleinen Jungen. »Die Mutti von Peter Braun ist auch krank geworden und dann gestorben. Nun ist sie bei dem lieben Gott im Himmel. Peter hat mir erzählt, sie sei jetzt ein wunderschöner Engel. Aber ich möchte Mutti lieber bei mir haben. Ich habe doch so große Sehnsucht nach ihr.« Wie dumm, dass ihm schon wieder Tränen in die Augen schossen.
Gott steh’ mir bei, wenn ich Oliver eines Tages die Wahrheit über seine Mutter erzählen und ihm sagen muss, dass sie nicht mehr nach Hause kommt, dachte Clemens. »Mutti wird nicht sterben, mein Junge«, entgegnete er. Dann wechselte er das gefährliche Thema. »Onkel Ernst hat mir Sophienlust empfohlen. Dort soll es wunderschön sein und viele Tiere geben. Ganz in der Nähe ist ein Tierheim, in dem es sogar Affen und Bären gibt. Auch Pferde und Ponys leben in Sophienlust. Alle großen und kleinen Kinder dürfen reiten. Die großen auf den Pferden, die kleinen auf den Ponys.«
Olivers Interesse an dem Kinderheim wuchs sichtlich. »Und du glaubst, dass auch ich auf einem Pony reiten darf, Vati?«, fragte er gespannt. Für Ponys hatte er seit langem geschwärmt und sich sehnlichst gewünscht, einmal auf einem solchen Pferdchen reiten zu dürfen.
»Natürlich darfst du das.« Clemens atmete erleichtert auf. Er hatte sich die Reaktion seines Sohnes auf die Eröffnung, in einem Kinderheim untergebracht zu werden, viel schlimmer vorgestellt, denn der Junge hing sehr an seiner Mutter.
»Aber wenn Mutti dann gesund ist, besucht sie mich doch auch im Kinderheim?«, fragte Oliver etwas später, als sie die Landstraße, die schnurstracks nach Sophienlust führte, entlangfuhren.
»Wenn sie gesund ist, wird sie kommen. Du musst dich jedoch in Geduld fassen. Sie wird nicht so bald gesund werden«, fügte Clemens bedrückt hinzu. »Aber ich werde dich schon am nächsten Wochenende besuchen. Das verspreche ich dir.«
Olivers Freude über dieses Versprechen war nur verhalten. Still und in sich gekehrt saß er neben seinem Vater. Erst als ein dritter Wegweiser mit Holzfigürchen, die diesmal zwei kleine Reiter, einen Buben und ein Mädchen auf Ponys darstellten, zu sehen war, wurde er wieder gesprächiger.
»Sieh doch nur, Vati! Die beiden Kinder sitzen auf Ponys. Ob ich nachher gleich die lebendigen Ponys anschauen darf?«
»Sicherlich wirst du das dürfen.« Clemens fuhr nun durch das weit offen stehende doppelflügelige Tor.
»Vati, ist das ein Schloss? Ob dort ein richtiger König wohnt?«
»Das glaube ich kaum, Oliver. Wenn mich nicht alles täuscht, ist das das Kinderheim Sophienlust.« Clemens zweifelte ein wenig daran. Denn dieses schlossähnliche Gebäude mit der weißen Fassade, den großen Fenstern mit den grünen Läden und dem grauen Schindeldach entsprach so gar nicht seinen Vorstellungen von einem Kinderheim. Allerdings hatte sein Freund Ernst Weber ihm das Heim in den leuchtendsten Farben geschildert. Dessen Kinder hatten die vergangenen großen Ferien hier verbracht und sprachen noch jetzt voll Begeisterung von ihrem Aufenthalt in Sophienlust.
Auch die Freitreppe war hochherrschaftlich. Eine ältere Dame mit weißen Haaren trat aus dem Haus. Sie trug ein schlichtes dunkelblaues Leinenkleid. Zwei große Hunde folgten ihr auf dem Fuße.
»Vati, sind das aber große Hunde«, flüsterte Oliver respektvoll. »Nicht wahr, sie beißen mich nicht?« Er wagte es nicht, auszusteigen.
»Gewiss beißen sie dich nicht. Wären sie böse, würde man sie bestimmt nicht frei herumlaufen lassen. Komm, sei kein Hasenfuß und steig’ schon aus«, bat Clemens.
Oliver seufzte hörbar auf und öffnete vorsichtig die Autotür. Bevor er die Füße auf den Boden setzte, erkundigte er sich noch: »Was sind denn das für Hunde?«
»Der weißbraune ist ein Bernhardiner, und der große schwarze Hund ist eine Dogge. Siehst du, sie beißen nicht«, stellte Clemens fest, als ein ungefähr vierjähriges Mädchen mit hellblonden Haaren aus dem Haus kam und den Bernhardiner umarmte. Dann streichelte es die Dogge.
Oliver hatte seine Furcht nun überwunden. Wenn ein so kleines Mädchen keine Angst vor den großen Hunden hatte, durfte er sich auch nicht fürchten, sagte er sich und stieg nun endgültig aus.
Clemens Wendt war schon ausgestiegen und kam nun um das Auto herum. Er ergriff die Hand seines Sohnes und stieg mit ihm die Freitreppe hinauf.
Die Heimleiterin, Frau Rennert, kam den beiden ein paar Schritte entgegen. Clemens stellte sich und seinen Jungen vor. »Ich habe bereits mit Ihnen telefoniert, Frau von Schoenecker«, fügte er hinzu, in der Meinung, der Besitzerin des Heimes gegenüberzustehen.
»Ich bin Frau Rennert, Herr Dr. Wendt. Ich bin die Heimleiterin. Aber Frau von Schoenecker erwartet Sie. Also, du bist der Oliver?«, wandte sie sich an den Jungen.
»Ich heiße Oliver Wendt und bin drei Jahre alt.« Der Knirps richtete sich ein wenig auf, um damit dem kleinen Mädchen zu imponieren, das ihm sehr gut gefiel.
»Also Oliver Wendt.« Frau Rennert verkniff sich ein Lächeln.
»Darf man die Hunde streicheln?«, fragte Oliver, seinen ganzen Mut zusammennehmend. Dass sein Herz zum Zerspringen klopfte, sah man ja glücklicherweise nicht.
»Das darfst du, Oliver. Der Bernhardiner heißt Barri und gehört allen Kindern. Die Dogge heißt Anglos. Sie gehört unserem Fabian.«
»Dann dürfen die Kinder hier eigene Hunde halten?«, fragte Clemens erstaunt.
»Wenn sich ein Kind von seinem Liebling nicht trennen will, darf es seinen Hund mitbringen. Manchmal bringen wir die Hunde auch im Tierheim unter. Aber kommen Sie doch weiter.« Frau Rennert lächelte Clemens liebenswürdig an.
»Und ich bin die Heidi«, machte sich das kleine Mädchen bemerkbar, weil es von niemandem beachtet worden war.
»Guten Tag, Heidi«, Clemens reichte dem kleinen Persönchen die Hand. »Ich freue mich, dich kennen zu lernen.«
»Ich auch, Heidi.« Oliver war momentan mit allem recht zufrieden. Den Gedanken, dass sein Vati ihn hier allein zurücklassen wollte, schob er weit von sich. »Darf ich die Ponys sehen?«, fragte er neugierig.
»Später darfst du sie dir ansehen, Oliver. Jetzt werden wir zunächst Tante Isi begrüßen. So nennen die Kinder Frau von Schoenecker, Herr Dr. Wendt«, erläuterte sie. »Sie verwaltet Sophienlust für ihren Sohn. Denn unser Nick ist erst fünfzehn Jahre alt. Ihm gehört Sophienlust eigentlich.«
»Ach, so ist das. Ich …« Clemens sprach nicht weiter, denn in der geräumigen Halle mit dem offenen Kamin, vor dem ein Bärenfell lag, kam ihnen eine aparte, sehr jugendlich aussehende Dame in einem leichten Sommerkleid aus einem buntbedruckten Stoff entgegen. Das schwarze Haar trug sie in der Mitte gescheitelt und im Nacken zu einem leichten Knoten geschlungen. Die auffallend dunklen Augen in dem ovalen Gesicht mit den gleichmäßigen Zügen strahlten Ruhe und unendliche Güte aus. Ihre ebenmäßige schlanke Gestalt mit den graziösen Bewegungen ließ erkennen, dass sie einstmals eine gute Tänzerin gewesen war.
Clemens Wendt war überrascht, in Denise von Schoenecker eine so reizvolle Frau zu finden.
»Ich habe Sie kommen hören«, erklärte Denise nach der Begrüßung. »Ich habe Sie schon erwartet, Herr Dr. Wendt. Hatten Sie eine gute Fahrt?«
»Von München nach Frankfurt ist es ja nicht allzu weit. Die Autobahn war kaum befahren, so dass wir schnell vorwärts gekommen sind.«
Es fiel Clemens schwer, den Blick von Denise zu lösen. Aber auch Oliver sah sie unverwandt an. Dann sagte er: »Ich mag dich sehr. Wie heißt du denn?«
»Ich bin ab heute deine Tante Isi.«
»Mutti hat auch dunkles Haar, aber nicht ganz so dunkel. Und ihre Augen sind auch nicht so dunkel. Aber du bist so lieb wie sie. Meine Mutti ist krank. Deshalb komme ich ins Kinderheim.«
Oliver hatte schnell und leise gesprochen. Dass ihm die Tränen im Augenblick recht locker saßen, war unverkennbar. Deshalb fasste Denise nach seiner Hand und sagte geheimnisvoll: »Ich werde dir jetzt etwas sehr Schönes zeigen. Komm, Oliver.«
Oliver schluckte seine Tränen wieder hinunter und sah vertrauensselig zu seiner neuen Tante Isi auf, die ihn in den Wintergarten führte. Heidi folgte den beiden, ebenso Frau Rennert und Clemens.
»Kleiner neuer Junge, wer bist du?«, fragte plötzlich eine schnarrende Stimme.
Oliver blickte sich erschrocken nach allen Seiten um. »Wer hat denn da gesprochen?«, fragte er erregt. »Es ist doch kein Mensch hier außer uns.«
»Dummer Junge!« Die krächzende Stimme ertönte nun hinter seinem Rücken. Verdutzt drehte Oliver sich um.
»Das war Habakuk, unser Papagei!«, rief Heidi kichernd. Es machte ihr jedes Mal viel Spaß, wenn ein neues Kind den bunten Vogel kennen lernte.
»Das ist genauso ein Vogel wie der, der auf dem Wegweiser in dem Käfig sitzt«, staunte Oliver. »Kann er denn noch mehr sagen?«
»Ja, er kann vieles sagen.«
Clemens kam bei der Unterhaltung immer mehr zu der Überzeugung, dass Oliver in dem Kinderheim gut aufgehoben sein würde.
»Ich glaube, ich höre die Kinder!«, rief Frau Rennert nun. »Sie kommen von ihrem Ausflug zurück. Nun wirst du gleich alle Kinder kennen lernen, Oliver. Sie werden dich alle lieb haben«, versprach sie ihm.
Der Kleine blickte der Kinderschar, die ins Haus stürmte, scheu entgegen. Ein ungefähr fünfzehnjähriger Junge mit schwarzgelocktem Haar und ebenso dunklen Augen stellte sich als Erster vor. »Ich heiße Dominik von Wellentin-Schoenecker, aber Sie dürfen mich Nick nennen«, wandte er sich an Clemens. »Alle anderen nennen mich auch so. Natürlich dürfen Sie mich auch duzen. Denn die meisten glauben, ich sei schon erwachsen, weil ich so groß bin. Aber erwachsen ist man lange genug«, fügte er verschmitzt lächelnd hinzu. »Und du bist der Oliver?«
Oliver nickte. Schnell hatte er seine Schüchternheit überwunden. Besonders gut gefiel ihm ein sommersprossiges Mädchen mit goldblonden Haaren und blauen Augen. Es hieß Pünktchen. Das war eine Name, den Oliver sehr lustig fand.
Pünktchen fuhr dem Jungen übers Haar und sagte: »Du bist aber hübsch, Oliver. Wir freuen uns sehr, dass du bei uns bleibst. So, und nun stelle ich dir die anderen Kinder vor.«
Oliver hörte aufmerksam zu, als Pünktchen alle Namen aufzählte. Natürlich konnte er sie sich nicht so schnell merken, aber Nick tröstete ihn, indem er erklärte, dass noch kein Meister vom Himmel gefallen sei.
Auch Nick gefiel dem kleinen Jungen. »Darf ich jetzt die Ponys sehen?«, fragte er.
»Nick, ich habe mit Herrn Dr. Wendt noch einiges zu besprechen. Ich glaube, ihr Kinder solltet inzwischen zu den Koppeln laufen und Oliver die Pferde und Ponys zeigen«, schlug Denise vor.
Oliver war in seinen Gefühlen hin und her gerissen. Einerseits wäre er gern bei seinem Vater geblieben, andererseits konnte er es kaum erwarten, endlich die Ponys zu bewundern.
»Geh nur, Oliver«, half Clemens ihm bei der Entscheidung. »Ich muss noch mit Tante Isi sprechen.«
»Nicht wahr, du fährst aber nicht fort?« Bange sah Oliver seinen Vater an.
»Wie könnte ich!« Clemens wurde das Herz noch schwerer, als er in die treuherzigen Augen seines kleinen Sohnes schaute. Sicherlich würde der Abschied nicht ohne Tränen abgehen. Darauf musste er sich gefasst machen.
Oliver verließ zwischen Nick und Pünktchen die Halle, während Clemens Denise in das Biedermeierzimmer folgte. Die stilechten Möbel darin überraschten Clemens. Das sprach er auch aus.
»Ich habe das Zimmer so gelassen, wie es zu Lebzeiten von Nicks Urgroßmutter aussah. Nick ist ihr Erbe.«
»Frau Rennert sagte mir schon, dass Sie Sophienlust für Ihren Sohn verwalten.«
»Das tue ich.« Denise erzählte ihm nun einiges von ihrer Familie. So erfuhr Clemens, dass sie zum zweitenmal verheiratet war und aus der Ehe mit Alexander von Schoenecker auch einen Sohn hatte, den siebenjährigen Henrik. Außerdem berichtete Denise ihm von Andrea, ihrer Stieftochter, die mit dem Tierarzt Dr. Hans-Joachim von Lehn verheiratet war. Auch Sascha erwähnte sie, den ältesten Sohn ihres Mannes, der in Heidelberg studierte. »Bitte, bleiben Sie doch über Nacht hier«, lud sie Dr. Wendt danach ein. »Dann lernen Sie meine Familie vollzählig kennen. Sascha verbringt gerade seine Semesterferien bei uns in Schoeneich. Und meine Stieftochter und ihren Mann erwarte ich zum Abendessen. Ihren kleinen Sohn bringen die beiden natürlich nicht mit. Er ist noch ein Baby«, fügte sie hinzu.
Clemens nahm die Einladung ohne Zögern an. Nichts zog ihn in die Münchner Villa. Außer dem Hausmädchen erwartete ihn kein Mensch dort. Außerdem war der nächste Tag ein Sonntag, so dass er auch in beruflicher Hinsicht nichts versäumte.
»Sie erwähnten vorhin, dass Ihre Frau krank sei. Ich hoffe, dass es nichts Ernstes ist.« Mitfühlend sah Denise den Besucher an.
»Es ist nichts Ernstes«, entgegnete Clemens hastig. »Aber die Krankheit ist langwierig. Darum halte ich es für angebracht, unseren Sohn hier unterzubringen.«
Denise entging nicht seine Nervosität. Sie war fast sicher, dass es in der Ehe von Dr. Wendt irgendwelche Komplikationen gab, über die er nicht sprechen wollte. Sie stellte jedoch keine Fragen, und Clemens war ihr dankbar dafür. Es wäre ihm unmöglich gewesen, über Gesa zu sprechen.
Etwas später besichtigte Clemens mit Denise das Kinderheim. Die freundlichen Schlafzimmer der Kinder mit je zwei Betten gefielen ihm besonders gut. An den Fenstern hingen buntbedruckte Gardinen.
In einem dieser Zimmer sagte Denise lächelnd: »Hier haben wir Oliver untergebracht. Ich glaube, das Zimmer wird ihm gefallen. Sie müssen wissen, dass bei uns in den großen Ferien jedes Kinderbett besetzt ist. Oliver teilt dieses Zimmer mit einem vierjährigen Jungen. Er heißt Horst Bachler und kommt aus Nürnberg. Seine Eltern sind mit einem Luxusdampfer unterwegs, um richtige Ferien zu machen. Horst ist nun schon über vier Wochen bei uns. Sie haben den Jungen ja vorhin bereits kennen gelernt.«
Clemens erinnerte sich nur schwach an den kleinen Jungen mit den dunklen Haaren und den braunen Augen. »Es freut mich für Oliver, dass er mit einem ungefähr gleichaltrigen Jungen das Zimmer teilen wird. Oliver hängt sehr an seiner Mutter. Der Abschied von ihr wird …, war schwer für ihn«, verbesserte er sich.
Wieder fiel Denise seine versteckte Erregung auf. Nach wie vor war sie überzeugt, dass Frau Wendt entweder an einer tückischen Krankheit litt oder dass es unüberwindliche Schwierigkeiten zwischen den Ehepartnern gab.
*
Oliver war an diesem Tag von den vielen neuen Erlebnissen so in Anspruch genommen, dass ihm keine Zeit blieb, über den Abschied von seinem Vati nachzugrübeln. Kaum lag er im Bett, war er auch schon eingeschlafen. Sehr zur Enttäuschung von Horst, der sich zu gern noch ein Weilchen mit seinem neuen Zimmergenossen unterhalten hätte. Nun blieb ihm nichts anderes übrig, als den zotteligen Teddybär Stupsi in die Arme zu nehmen und ein ganz kleines bisschen nach seiner Mami und seinem Papi zu weinen.