Antoniusfeuer - Yvonne Bauer - E-Book

Antoniusfeuer E-Book

Yvonne Bauer

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Beschreibung

Mühlhausen 1235: Antonia, Tochter einer unbekannten, vor ihrem Peiniger flüchtenden Edelfreien, wird im Antoniushospital der Freien Reichsstadt Mühlhausen geboren. Ihre Mutter stirbt, noch bevor sie das Geheimnis ihrer Herkunft lüften kann. Das Mädchen wächst in der Familie von Fuhrleuten auf, die das Kind vor seinem grausamen Vater, einem beim König in Ungnade gefallenem Ritter, versteckt. Von ihrem Freund, dem Deutschordenspriester Jordan, lernt Antonia alles über die Heilkraft der Kräuter. Zu ihrem Ärger stößt sie hierbei häufig an ihre Grenzen und kann denen, die sie liebt, nicht helfen. Ihr Ziehbruder Konrad findet sich schnell in der Rolle des Beschützers wieder, bis folgenschwere Ereignisse dazu führen, dass die Kinder in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit geraten. Mitten in den Wirren des Hessisch-Thüringischen Erbfolgekrieges treten Antonia und Konrad ihren Dienst auf der Mühlhäuser Reichsburg an und werden dabei Opfer von Ränken und Intrigen. Allen voran lässt der Hauptmann der Berittenen keine Gelegenheit aus, den Kindern die Hölle auf Erden zu bereiten, nicht ahnend, dass Antonia seine Tochter ist.

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Yvonne Bauer

Antoniusfeuer

Historischer Mühlhausen - Roman - Band 1 -

 

 

 

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Widmung

Charaktere

Prolog

Erster Teil: Mühlhausen AD 1235

Kapitel 1 - Antonia

Kapitel 2 - Geschwister

Kapitel 3 - Herzenswünsche

Kapitel 4 - Neuigkeiten

Kapitel 5 - Ratsmänner

Kapitel 6 - Aufruhr

Kapitel 7 - Abgründe

Kapitel 8 - Rache

Zweiter Teil: Mühlhausen AD 1242

Kapitel 9 - Schicksale

Kapitel 10 - Martinstag

Kapitel 11 - Gerichtstag

Kapitel 12 - Liebesglück

Kapitel 13 - Josepha

Kapitel 14 - Geständnisse

Kapitel 15 - Intrigen

Kapitel 16 - Krankenlager

Kapitel 17 - Brüder

Kapitel 18 - Glaubenskrise

Dritter Teil: Mühlhausen AD 1251

Kapitel 19 - Bündnisse

Kapitel 20 - Überfall

Kapitel 21 - Reisende

Kapitel 22 - Erkenntnisse

Kapitel 23 - Fügungen

Kapitel 24 - Abkommen

Kapitel 25 - Ungewissheit

Kapitel 26 - Ehre

Kapitel 27 - Wahrheiten

Kapitel 28 - Vergeltung

Epilog

Glossar

Danksagung

Klappentext

Impressum neobooks

Widmung

Für Michael, der mein Herz in seinen Händen hält. Für immer!

Charaktere

(* Personen der Stadtgeschichte und der Geschichte des Römischen Reiches)Mühlhausen:der dünne Georg, Fuhrmann, Ratsmitglied Agnes, Frau des dünnen Georg Konrad, Klemens und Joseph, Söhne von Agnes und Georg Antonia, Ziehtochter von Agnes und Georg der dicke Georg, Fuhrmann, Schwager des dünnen Georg, Ratsmitglied Griseldis, Frau des dicken Georg und Schwester des dünnen Georg Karl, Sohn des dicken Georg und Griseldis Josepha, Kräuterfrau und Wehmutter Bruder Jordan, Ordenspriester im Antoniushospital Bruder Anselm, Ordenspriester im Antoniushospital Michael, Tuchmachermeister, Freund und Nachbar der Fuhrleute, Ratsmitglied Hannah, Frau des Tuchmachers Michi, Sohn des Tuchmachers Lena, Tochter des Tuchmachers und Magd im Haus des dünnen Georg und Agnes Mathilde, Schwester Lenas und Michis Gerald, Kistner, Ratsmitglied Mombert, Zimmermann, Ratsmitglied Paul, zweitältester Sohn von Mombert, Lehrjunge bei den Fuhrleuten Jonas, Böttchermeister, Ratsmitglied Alfred, Bäckermeister, Vater von Agnes, zweiter Ehemann von Griseldis, Ratsmitglied Anna, älteste Tochter des Bäckermeisters Ludwig, Schustermeister, Ratsmitglied Arno, zweitältester Sohn von Ludwig, Lehrjunge der Fuhrleute Jannis, Schmied, Ratsmitglied Eckhard, Lohgerber, Ratsmitglied Mechthild, Freundin von Lena, Tochter des Lohgerbers, Magd im Hause des dicken Georg Egbert, Sohn des Löbermeisters Hartmut, Lohmüller, Ratsmitglied Franz, Obermeister der Filzmacherinnung Adam*, Goldschmied, Ratsmitglied Gertrud*, Frau des Goldschmieds Hildegard*, Tochter des Goldschmieds Reinhard, Steinmetzmeister Bernhard*, Abt im Kloster Volkenroda Albert*, Nachfolger von Bernhard als Abt Bruder Reinhard*, Pleban der Altstadtkirche Rupert von Nordhausen*, Komtur (1216 bis 1258) des Deutschen Ordens der Kommende Mühlhausen Burgvogt Bertram, Reichsritter, Vogt der Reichsburg zu Mühlhausen Edelgund, Edelfreie, Frau des Burgvogts Bertram Wulfhard vonKrähenfels, Reichsritter, Marschall von Mühlhausen, Vater von Antonia Elmar von Ebeleben, Knappe des Marschalls Albert von Ebeleben*, Ritter, Vater von Elmar Rudolph von Ammern*,RitterOtto von Ebersberg, Ritter aus dem Gefolge von König Heinrich und Freund von Wulfhard Hartung von Schmalholz, Ritter aus dem Gefolge von König Heinrich und Freund von Wulfhard Wachsmuth von Mühlhausen, Ritter Walburga, Edelfreie, Gemahlin des Wachsmuth von Mühlhausen der kleine Wachsmuth*, Sohn des gleichnamigen Ritters aus einem Mühlhäuser Ministerialen-Geschlecht, Minnesänger Heinrich Schüler*, Kämmerer zu Mühlhausen Magdalena, Kinderzofe im Haushalt Wachsmuths Lucardis und Matthäus, Kinder Magdalenas Afra von Nesselröden, Hofdame Walburgas Berthold von Nesselröden*, Vater Afras, Burgmann auf der Creuzburg Lucas, Knappe Ritter Wachsmuths Eva, Wehmutter und Kräuterkundige Heinrich von Dachrieden*, Ritter Hans von Seebach*, Ritter Conrad von Gottern*, Ritter Johann von Langula*, Ritter Berthold von Schlotheim*, Truchsess des Thüringer Landgrafen Kunemund von Mihla*, Bruder desTruchsessWetzel von Mihla*, Sohn des Kunemund,Knappevon Lucas Gunter Surrezig von Schlotheim*, Sohn von Berthold Adelheid von Schlotheim*, Frau des Gunter Heinrich von Schlotheim*, Sohn von Berthold Hermann von Schlotheim*, Sohn von Berthold Friedrich von Schlotheim*, Sohn von Berthold Hermann von Hagen*, Reichsministerialer in Mühlhausen Hannes von Mehler, Vetter desBertholdHiltrud von Mehler, Frau des Hannes Johann von Mehler, Sohn von Hannes und Hiltrud Irmgard von Mehler, Tochter von Hannes und HiltrudHochadel und Klerus:Friedrich II.*, Kaiser des Heiligen Römischen Reiches aus dem Geschlecht der Staufer Heinrich VII.*, Deutscher König, Sohn Friedrich II. Margarethe von Babenberg*, Frau Heinrichs Konrad IV.*, Deutscher König, Sohn Friedrich II. Wilhelm von Holland*, Deutscher Gegenkönig Hermann II. von Thüringen*, Landgraf zu Thüringen aus dem Geschlecht der Ludowinger, jüngster Sohn der Elisabeth von Thüringen Heinrich Raspe*, Onkel Hermann II., letzter Thüringer Landgraf aus dem Geschlecht der Ludowinger, deutscher Gegenkönig 1246 – 1247 Heinrich der Erlauchte*, aus dem Wettiner Geschlecht, Markgraf zu Meißen, Landgraf zu Thüringen Sophia von Brabant*, Tochter der Heiligen Elisabeth Heinrich »das Kind« von Brabant*, 1. Hessischer Landgraf, Sohn der Sophia Siegfried III.*, Erzbischof von Mainz Gregor IX.*, Papst, Widersacher der Staufer

Prolog

Sie wusste kaum noch, wie viele Tage sie schon unterwegs gewesen war. Ihr kam es vor wie Wochen. Mit letzter Kraft schleppte sich die hochschwangere junge Frau im Bienental kurz vor der Freien Reichsstadt Mühlhausen unter eine Linde. Nicht mehr lange – bald würde sie zuhause sein. Mit dem Gefolge ihres Vaters reiste sie diese Route schon oft, nur hatte sie den Weg bequem auf dem Rücken einer braven Stute zurückgelegt. Heute ging sie zu Fuß, hatte Durst und fror. Die Nächte im April waren immer noch kalt, auch wenn die Tage mit den warmen Sonnenstrahlen bereits den Frühling verkündeten. Die letzte Mahlzeit hatte sie am gestrigen Abend gegessen. In der Vogtei Dorla hatte eine barmherzige Seele einen Kanten Brot und einen Krug mit Brunnenwasser für sie übrig gehabt. Bestimmt war dieser an ihrer Kleidung aufgefallen, dass sie eine Dame von Stand war, nur, dass sie zu Fuß und ohne Gefolge reiste. Die meiste Zeit war sie in der Nacht unterwegs gewesen. Sie hielt sich etwas abseits des Pfades und suchte hinter Büschen Schutz, wenn ein Reiter oder ein Wagenzug den Weg passierten. Tagsüber schlief sie von Sträuchern verborgen und nur von einem Mantel umhüllt fernab der Straßen. Sie war auf dem Weg nach Schlotheim - zum Hof ihrer Eltern. Dort würde sie in Sicherheit sein, und auch das Ungeborene, das sie unter dem Herzen trug. Die junge Frau strich über den vorgewölbten Leib, in dem sich das Kind in den letzten Stunden kaum bewegt hatte. Noch bevor sie die ersten Bewegungen spüren konnte, entwickelte sie einen unbändigen Hass auf die Leibesfrucht, die sie gegen ihren Willen empfangen hatte. Genau denselben Widerwillen empfand sie für den Vater des Kindes, dem sie hatte zu Diensten sein müssen. Sie war Hofdame am Hof der Margarethe von Babenberg, der Frau von König Heinrich VII. gewesen. Von Geburt an war sie beschützt aufgewachsen. Das Mädchen hatte eine Amme und Hauslehrer gehabt, die ihm Latein und Rechnen beibrachten. Ihre Mutter lehrte sie, wie sie einen großen Hof mit Bediensteten zu führen hatte. Ihr wurde eingebläut, dass die Jungfräulichkeit das teuerstes Gut sei. Sie sollte später einmal einen Reichsministerialen heiraten, denn eine andere Verbindung wäre unter ihrem Stand gewesen. Mit zehn Jahren wurde sie an den Hof nach Frankfurt gerufen, um dort der Königin als eine der Hofdamen zu dienen. Ihr Vater, ein Reichsministerialer, der die Herren von Schlotheim mit den edelsten Pferden seines Gestüts versorgte, war vor Freude außer sich, als die Wahl der Herrscherin auf seine Tochter fiel. Kurz nach deren sechzehntem Geburtstag war die junge Edelfreie einem der Adligen aus dem Gefolge des Königs aufgefallen, der seinen Dienstherren auf den Frankfurter Hoftag begleitet hatte. Er zwang sie in sein Bett und raubte ihr kostbarstes Gut. Von diesem Tag an holte er sie immer wieder in sein Schlafgemach. Je inständiger sie bettelte, von ihr abzulassen, umso mehr schien er Gefallen an ihrem Elend zu finden. Er schlug sie und verlangte Dinge von der jungen Frau, die nicht einmal eine Hure gegen Bezahlung tat. Tagsüber flüchtete sie sich in die Kirche und hoffte, dass ein Blitzstrahl sie treffen und ihrem Leiden ein Ende bereiten möge. Aber der Herr gewährte ihr diese Gnade nicht. Jeden Abend holte der Peiniger sie wieder in sein Bett und ließ seine Freunde dabei zusehen, wie er sie mit Gewalt nahm. In einer Nacht musste sie sogar den beiden betrunkenen Gefolgsleuten zu Willen sein. Ihr unkeusches Geheimnis konnte sie niemandem berichten, denn sie wäre in Unehre aus den Diensten der Königin entlassen worden, auch wenn die junge Frau keine Schuld traf. Sie ließ ihren Eltern Nachrichten zukommen, in denen sie darum bat, wieder nach Hause zurückkehren zu dürfen. Aber ihr Vater bestand darauf, dass sie in der Stellung als Hofdame verblieb. Als sie bemerkte, dass sie ein Kind in sich trug, wollte sie nicht mehr leben. Sie verweigerte Essen und Trinken – in der Hoffnung, sie würde sterben. Am Ende aller Kräfte brach sie beim Beten in der Kirche zusammen. Man brachte sie in ihre Kammer und versorgte sie mit Speisen und Getränken. Ein Medicus ließ sie zur Ader. Als die junge Hofdame sich erholt hatte, fing sie an, Pläne für die Flucht zu schmieden. Sie verbarg die Schwangerschaft hinter weiten Roben und wartete den Winter über darauf, ihren Peinigern entkommen zu können. Nach dem Zusammenbruch in der Kirche hatten sie, um kein erneutes Aufsehen zu erregen, von ihr abgelassen und sich an einigen Mägden vergangen. Kurz vor ihrer Flucht lauerte der Ritter ihr jedoch in einem dunklen Gang der Burg auf und zerrte sie in seine Kammer. Er warf sie auf die Bettstatt und legte die Bruche ab. Mit Schrecken erinnerte sie sich daran, wie er grinsend auf seine aufgerichtete Lanze sah und im gleichen Moment nach ihr griff. Als er ihre Röcke zurückschlug, um sich erneut an ihr zu vergehen, fiel sein ungläubiger Blick auf den vorgewölbten Leib. So verharrte er einen Augenblick, den die junge Frau nutzte, um dem Ritter zu entkommen. Aber er hatte sich schnell wieder gefangen und packte sie an den langen strohblonden Haaren. Sie fiel rücklings auf den Boden und spürte einen schneidenden Schmerz im Bauch. Ohne darauf zu achten trat sie um sich und wollte aus der Kammer fliehen, aber der dunkelhaarige Hüne hielt sie weiterhin an ihrem Zopf fest. Der Mann war rot vor Wut und fing an, sie mit seiner Reitgerte zu schlagen. Sie legte schützend die Arme um den Bauch und schrie so laut sie konnte. Von den Schreien der jungen Frau angelockt, stürzten die beiden Freunde des Ritters in dessen Gemach. Sie erfassten die Situation und hinderten ihren Gefährten daran, sie zu erschlagen. Sie kroch auf allen Vieren aus dem Zimmer und floh in ihre Kammer. Noch in derselben Nacht stahl sie sich aus der Burg. Der Schnee war in den letzten Tagen getaut. Sie hatte eilig etwas zu Essen und zu Trinken in ein Bündel gepackt und ihren wärmsten Umhang angezogen. So gerüstet konnte sie durch eine der Seitenpforten aus der Burganlage schleichen. Wie von Hunden gehetzt flüchtete sie in ein nahe gelegenes Wäldchen. Von diesem Tag an war sie unterwegs in Richtung Schlotheim zum Hof ihrer Eltern. Hier würde sie vor den Fängen der Peiniger in Sicherheit sein. Ihre Mutter könnte sie gewiss vor dem Zorn des Vaters bewahren. Sie war tage- und nächtelang auf den Beinen gewesen – in ständiger Angst, dass man sie finden und töten würde. Höchstwahrscheinlich hatte ihr Verschwinden einiges Aufsehen erregt, denn sie war eine Tochter aus gutem Hause. Die junge Adlige war nun am Ende ihrer Kräfte. Sie setzte einen Fuß vor den anderen, ohne darauf zu achten, wohin sie trat. Sie streichelte den massigen Bauch. In den letzten Stunden hatte sie keine Bewegung des Kindes gespürt. Vielleicht war es ja schon tot, genau, wie sie es in Kürze sein mochte. Ihr geschundener Körper fühlte sich bleischwer an. Die Beine drohten, den Dienst zu versagen. Als sie nicht mehr weiter gehen konnte, setzte sie sich unter eine Linde, zog den indigoblauen Umhang fest um sich, betete zu Gott, dass er sie zu sich rufen möge, und schlief sofort ein.

Erster Teil: Mühlhausen AD 1235

Kapitel 1 - Antonia

Langsam und gemächlich arbeitete sich das Fuhrwerk auf der Handelsstraße nach Mühlhausen vorwärts. Es hatte zu nieseln begonnen. Das störte den dunkelblonden, hageren, jungen Mann nicht. Er war tief in Gedanken versunken. Die Zügel hielt er nur locker in den Händen, denn die Pferde kannten den Weg, den sie schon hunderte Male beschritten hatten. Den Umhang noch fester um sich gezogen hing Georg, der jüngere der beiden Fuhrmänner, seinen Gedanken nach. Auch sein fünf Jahre älterer Schwager, der Mann seiner Schwester Griseldis, der den gleichen Namen trug wie er selbst, war - anders als sonst - völlig ruhig und in sich gekehrt. Eigentlich hatte dieser Tag ein ganz besonderer werden sollen. Die beiden Fuhrleute befanden sich auf dem Rückweg vom Eisenacher Markt, hatten guten Gewinn für die verkauften Waren erzielt und freuten sich auf das bevorstehende Osterfest im Kreise ihrer Familien. Der dünne Georg, wie er von allen zur Unterscheidung von seinem Schwager - dem dicken Georg - gerufen wurde, hatte einen besonderen Grund zur Vorfreude. Seine Frau Agnes erwartete in den kommenden Tagen ihr erstes Kind. Hoffentlich würde dieses Mal alles gut gehen. Im vorigen Sommer hatte Agnes, mit der er seit dem letzten Frühjahr verheiratet war, ein Kind verloren. Seitdem hing ein Schatten über der jungen Ehe. Dieses Mal würde bestimmt alles besser werden. Die alte Kräuterfrau, die er und Agnes in ihrer Hütte außerhalb der Stadtmauern in der Georgiivorstadt aufgesucht hatten, versorgte sie mit Kräutern, damit Agnes das Kind diesmal austragen konnte. Wenn er an die Nacht zurückdachte, in der Agnes sich vor Schmerzen gekrümmt und das Baby verloren hatte, wurde er traurig und wütend zugleich. Wäre er die Tage zuvor zuhause und nicht - wie auch heute - wegen der Geschäfte unterwegs gewesen, hätte Agnes sich mehr schonen können und wäre nicht deutlich vor der Zeit niedergekommen. Er hatte sich damals wie heute große Vorwürfe gemacht. Hoffentlich war es ihr gut ergangen, dachte er gequält, denn sie waren wieder vier Tage unterwegs gewesen. So in seinen Gedanken gefangen, bemerkte er nicht, dass ihn sein Schwager schon mehrfach angesprochen hatte. »Was machen wir nun mit unserer ungewöhnlichen Fracht?«, wollte der dickere der beiden Fuhrmänner vom Bruder seiner Frau wissen. »Vielleicht sollten wir sie ins Antoniushospital schaffen, dort wird sich gewiss jemand ihrer annehmen«, beantwortete er die Frage selbst. Die beiden Fuhrleute waren kurz, nachdem die Stadttore von Eisenach geöffnet worden waren, mit dem Fuhrwerk nach Hause unterwegs gewesen. Sie hatten die Vogtei Felchta schon durchquert, als sie im Bienental unter einer Linde eine reglose Gestalt entdeckten. Zunächst dachten die beiden, der Landstreicher wäre bereits tot. Sie hielten das Fuhrwerk an, gingen langsam auf den Toten zu, und wollten ihn auf die Ladefläche ihres Karrens legen, damit er in Mühlhausen ein christliches Begräbnis bekäme. Als der dünne Georg den Umhang des Leichnams ein wenig anhob und darunter in das Gesicht einer jungen Frau blickte, erschrak er so sehr, dass er rückwärts stolperte und auf den Boden fiel. Sie hatte die Augen kurz geöffnet und ihn direkt angesehen, bevor sie erneut in eine tiefe Ohnmacht versunken war. Der Fuhrmann bekreuzigte sich und trat wieder auf die Frau zu. Sie war jung, vielleicht sechzehn oder siebzehn Jahre alt und bildschön. Ihre Haut war so blass, dass er meinte, jede einzelne Blutader hindurchscheinen zu sehen. Die Augen waren so blau wie das Tuch, aus dem der Umhang gefertigt war. Dieser war mit einem Pelz verbrämt – ein kostbarer Umhang - wie man auf den ersten Blick erkennen konnte. Sie trug die Kleidung einer Edelfreien, das lange strohblonde Haar fiel offen über ihre Schultern, nicht unter einem Schleier oder Gebende verborgen. »Sie ist wohl nicht verheiratet«, kam der dicke Georg zum selben Schluss wie er. »Aber was machen wir jetzt mit ihr? Sie wird erfrieren, wenn wir sie hier liegen lassen. Vielleicht sucht man sie auch längst.« Hilflos blickten sich die beiden Männer um, doch außer ihrem Fuhrwerk war niemand in der Gegend unterwegs gewesen. »Nehmen wir sie mit, uns wird schon etwas einfallen«, meinte der dicke Georg pragmatisch wie immer. Er fasste der Fremden unter die Arme und wartete, denn sein Schwager sollte nach den Füßen greifen. Dieser zögerte jedoch, weil er noch nie eine Frau - außer seiner Agnes - an den Beinen berührt hatte. Verlegen und mit hochrotem Gesicht griff er nach den Fesseln der jungen Dame, und gemeinsam legten sie den Körper auf den Fuhrwagen. Dabei verrutschte der Umhang und das kunstfertig gearbeitete Obergewand und gaben den Blick auf den gewölbten Leib einer Hochschwangeren frei. Jetzt war es der Ältere der beiden Fuhrmänner, der sich bekreuzigte und ein leises Gebet an Maria Magdalena, die Schutzpatronin der Sünderinnen, sprach. Der dünne Georg kletterte auf den Kutschbock und schnalzte mit der Zunge, um die beiden Braunen anzutreiben. Sein Schwager setzte sich wortlos neben ihn und hing eigenen Gedanken nach. Kurz bevor sie das Stadttor am Blobach erreichten, meinte der dünne Georg, dass es wohl richtig sei, die junge Edelfreie im Antoniushospital behandeln zu lassen, vor allem, weil ihre reichen Angehörigen am ehesten dort nach ihr suchen würden. »Wie gut, dass Bruder Jordan sich so ausgezeichnet mit Kräutern auskennt. Er wird bestimmt wissen, was zu tun ist.« Bruder Jordan war im Gefolge des Landgrafen Ludwig von Thüringen vor weniger als zehn Jahren als Pilger über die Alpen nach Jerusalem zur Kreuzfahrt aufgebrochen. Auf dem Kreuzzug war der Landesherr einer schrecklichen Seuche erlegen. Unterwegs musste Bruder Jordan viel Schlimmes erlebt haben, denn der einst so fröhliche kleine Mönch kam vier Jahre später ausgemergelt und um Jahrzehnte gealtert nach Mühlhausen zurück, um hier am Aufbau des Antoniushopitals mitzuhelfen. Er hatte unterwegs Ordensbrüder getroffen, die das süditalienische Ordenshospital der Deutschritter in Barletta vor über dreißig Jahren gegründet hatten und brachte viele Ideen mit nach Mühlhausen. Seitdem waren fünf Jahre vergangen und das Antoniushospital, ein Hospital, das anno 1207 von den Bürgern der Stadt gebaut worden war, war nun sein Zuhause. Er war verantwortlich für den Kräutergarten des Spitals und würde der jungen Frau sicher helfen können. Das Fuhrwerk durchquerte erst kurz vor der Abendmesse das Stadttor und bog, nachdem die Fuhrleute rasch mit einer der Stadtwachen gesprochen hatten, nach links in Richtung des Hospitals ein. Die beiden Männer waren länger unterwegs gewesen, als sie eigentlich geplant hatten. Der dünne Georg sprang vom Kutschbock und lief bereits in Richtung des Kräutergartens, in dem er Bruder Jordan um diese Zeit vermutete. Er fand den kleinen Mönch wie erwartet bei der Arbeit, die Finger grün von den zerdrückten Kräutern. »Bruder Jordan, wir benötigen Eure Hilfe«, unterbrach der Fuhrmann den Mönch. Dieser blickte von seinen Beeten auf und lächelte Georg verschmitzt an. »Es macht mich durchaus neugierig, wenn du nach der Reise, statt zuerst zu deiner jungen Frau zu laufen, bei mir auftauchst.« Mit wenigen Sätzen erklärte der Fuhrmann die Situation. Nachdem Bruder Jordan sich die Hände im Brunnen auf dem Hof gewaschen hatte, warf er einen Blick auf die seltsame Fracht. »Das arme Kind, was mag ihm wohl widerfahren sein, dass es allein und gesegneten Leibes fernab der Heimat dem Tode näher ist als dem Leben?« Seufzend rief der Mönch nach zwei Halbkreuzlern, die gerade dabei waren, den Hof von Unrat zu befreien. »Schafft die Frau in eine der Kammern und sorgt dafür, dass es ihr an nichts fehlt. Danach schickt nach der alten Josepha von St. Georgii, damit sie nach der Schwangeren sehen kann.« Noch während Jordan die letzten Worte ausgesprochen hatte, stellte er sich innerlich auf einen ausführlichen Disput mit seinen Ordensbrüdern ein. Sie duldeten diesen heidnischen Zauber der Alten nicht, aber Jordan hatte schon bei ihrer ersten Begegnung am Bett eines Sterbenden erkannt, dass die Frau eine Heilkundige war. Außerdem war sie eine Wehmutter und die Edelfreie war eindeutig gesegneten Leibes. Er verabschiedete sich von den beiden Georgs, die sichtlich erleichtert schienen, ihre ungewöhnliche Fracht in den Händen der Mönche in guter Obhut zu wissen. Nach dem Gottesdienst am Abend in der St. Blasienkirche war Jordan bereits auf dem Weg zur Kammer der jungen Frau, als er vom Tor des Hospitals her einen heftigen Wortwechsel einer alten Frau mit zwei der Sariantbrüder, die leicht bewaffnet das Hoftor des Hospitals bewachten, mitbekam. Mit flinken Füßen machte sich der Mönch auf den Weg zum Tor, um Josepha, die sich schon wütend abgewandt hatte, hereinzubitten. Mit wenigen Worten zur Erklärung begleitete er die Wehmutter zu der Schwangeren und fragte, ob sie noch irgendetwas bräuchte. »Heißes Wasser und Leinentücher und etwas von Eurem Frauenkraut«, fügte sie grinsend hinzu. Dann machte sie sich an die Arbeit. Zunächst betrachtete sie die Fremde und kam zu dem gleichen Schluss wie die Fuhrleute und auch Bruder Jordan. Sie trug die Kleidung einer Edelfreien, die zartgliedrigen Hände wiesen keine Schwielen auf. Wahrscheinlich hatte die Frau noch nie in ihrem jungen Leben schwer arbeiten müssen. Sie zog der Schwangeren die Lederschuhe und Beinlinge aus. Dabei erschrak sie. Überall an den Beinen konnte man Spuren von Züchtigung erkennen, Flecke in allen Farben und Striemen mit Doppelkonturen, wie sie Stockschläge hinterließen. Das arme Ding, dachte Josepha und fragte sich abermals, was die junge Frau wohl in den letzten Wochen ertragen haben musste. Nachdem ein Halbkreuzler die gewünschten Gegenstände gebracht hatte, und Josepha der Dame noch das wunderschöne moosgrüne Bliaut ausgezogen hatte, machte sie sich daran, die Edelfreie mit dem heißen Wasser zu waschen. Danach rieb sie den geschundenen Körper mit einem Öl aus Frauenkraut ein, damit die Wunden besser heilen konnten. Sie flößte ihr verdünnten Wein ein und betete zu Maria Magdalena, damit sie der jungen Frau in ihrer schweren Stunde Beistand leistete. Bruder Jordan trat nach kurzem Anklopfen in das Krankenzimmer und blickte fragend auf die betende Josepha. Als diese ihr Gebet beendet hatte, erzählte sie dem Mönch von ihren Vermutungen. »Sie war wohl schwer gezüchtigt worden, der ganze Körper geschunden. Ich habe Johanniskrautöl auf die Wunden gerieben und ihr etwas zu Trinken gegeben. Zwischendurch hat sie gestöhnt und ich musste ihr mehrfach die Schweißperlen von der Stirn wischen. Ich habe sie untersucht. Die Geburt wird nicht mehr lange auf sich warten lassen. Ich lasse Euch rufen, wenn es Neuigkeiten gibt.« Josepha wand sich wieder der Kranken zu, und Bruder Jordan grübelte einmal mehr über das Geheimnis nach, dass die junge Frau umgab. Er verließ die Kammer und machte sich auf den Weg zu Bruder Anselm, um sich mit ihm zum Schicksal der Schwangeren zu beraten. In der Zwischenzeit waren auch die beiden Fuhrmänner zuhause eingekehrt. Zunächst hatte der dünne Georg mit seinem Schwager den Karren abgespannt, die Pferde trockengerieben und gefüttert. Griseldis hatte die Männer schon das Fuhrwerk die Holzgasse herunter treiben sehen und erwartete ihren Gatten und ihren Bruder bereits mit einem Becher Dünnbier und einem frischen Laib Brot. Der dicke Georg begrüßte seine Frau, er fasste sie um die Taille und zog sie für einen Kuss an sich. Ihre Augen leuchteten, und ein strahlendes Lächeln zog sich über das Gesicht. Dies war auch ihrem Bruder nicht entgangen. Er freute sich für das Glück seiner Schwester. Auch wenn die Ehe bisher nicht mit einem Kind gesegnet war, sah man den beiden doch an, wie sehr sie sich liebten. Seine Gedanken schweiften wieder zu Agnes ab und er überlegte schon, wie er sich schnell von seinem Schwager und seiner Schwester verabschieden konnte, ohne unhöflich zu wirken. Griseldis ahnte bereits, was in ihrem Bruder vorging. »Nun trink schon aus und mach, dass Du nach nebenan kommst. Da wirst du sicher sehnsüchtig erwartet«, sprach sie lächelnd und sah abwechselnd zu ihrem grinsenden Mann und ihrem aufgeregten Bruder. »Geht es Agnes gut?« »Ich denke schon, obwohl sie mir heute Morgen auf dem Markt etwas blass erschien«, meinte die rotblonde, sommersprossige Frau. Sich schnell verabschiedend machte sich Georg auf den Weg zu seinem Haus, welches nur durch den gemeinsam genutzten Stall vom Heim seines Schwagers getrennt war. Agnes erwartete ihn bereits, denn auch sie hatte die beiden Fuhrleute ankommen sehen. Sie wusste aber auch, dass ihr Mann der Höflichkeit halber zunächst bei seiner älteren Schwester einen Willkommenstrunk nehmen würde. Als Georg müde und erschöpft die Wohnkammer betrat, fand er seine Frau auf einem Schemel in der Nähe des Herdfeuers beim Nähen eines Kinderhemdchens vor. Er wartete einige Sekunden, denn er wollte sich diesen Anblick tief in das Gedächtnis einbrennen. Sie sah so hinreißend aus mit ihren schwarzen Haaren und den von der Herdwärme geröteten Wangen. Einen Augenblick später ging er mit schnellen Schritten durch den Raum, kniete sich vor ihr nieder und nahm ihre Hände in die seinen. »Wie ist es dir ergangen in den vier langen Tagen meiner Abwesenheit?« »Gut, mein Lieber, aber ich habe die letzten Nächte kaum geschlafen. Das Baby hat mich viel getreten und das Nachtgeschirr musste ich auch häufiger benutzen. Seit letzter Nacht habe ich schlimme Schmerzen im Kreuz, die einfach nicht aufhören wollen.« Agnes wollte aufstehen, um ihrem Mann das Abendessen aufzutragen, aber Georg hielt sie auf und fragte besorgt, ob er nach der Wehmutter rufen solle. »Ich denke, wir können noch eine Weile warten, aber wenn es dich beruhigt, kannst Du nach dem Abendessen nach ihr schicken lassen.« Nachdem Georg eilig etwas von dem Getreidebrei gegessen hatte, den Agnes vor seiner Rückkehr zubereitet hatte, ging er vor die Tür und pfiff nach Michi, einem fünfjährigen Nachbarsjungen, der sich den lieben langen Tag in der Holzgasse herumtrieb. Er war der älteste Sohn des Tuchmachers Michael und nach seinem Vater benannt, wurde aber von jedermann nur liebevoll Michi gerufen. Wie erwartet kam der Junge die Gasse herauf gerannt und hüpfte dabei geschickt über die Pfützen, die der letzte Regenschauer hinterlassen hatte. Georg erklärte ihm, dass er die alte Josepha bei den Ordensbrüdern im Antoniushospital finden würde und sie bitten möge, nach Agnes zu schauen. Nachdem Michi auf dem Weg war, um seinen Auftrag zu erfüllen, machte sich der junge Fuhrmann auf den Weg zu seiner Schwester Griseldis, um auch um Hilfe zu bitten. Als es bereits dunkel war, kam Josepha mit ihrem Kräuterkörbchen, um nach Agnes zu sehen. Diese hatte sich schon ein Nachtgewand angezogen, das Ehebett mit alten Laken versehen und lag nun stöhnend und schwitzend darauf. Griseldis war bereits dabei, Wasser auf dem Herdfeuer zu erhitzen und Georg lief unruhig auf und ab. Er war erleichtert, als er Josepha zu Agnes in die Schlafkammer führte, gab seiner Frau einen letzten Kuss und ging zurück in die Wohnkammer, in der sein Schwager bereits auf ihn wartete. Beide hatten einen Becher Dünnbier vor sich stehen, aber keinem von ihnen war nach Trinken zumute. Das Stöhnen der Kreißenden vermischte sich immer mehr mit ihren Schmerzensschreien. Der dünne Georg stand auf und kniete sich vor das Kreuz, das an der Wand der Wohnkammer hing. Er betete und weinte gleichzeitig, aus Angst, er könne seine Frau oder das Kind verlieren. Nach einem letzten durchdringenden Schrei wurde es plötzlich ruhig nebenan. Kurz darauf trat Griseldis mit einem in Leinen gewickelten Bündel aus der Schlafkammer. »Herzlichen Glückwunsch, du hast einen strammen Sohn. Agnes geht es gut. Die Alte kümmert sich noch um sie.« Lächelnd reichte sie ihrem Bruder das Neugeborene und beobachtete das Minenspiel in dessen Gesicht. So sehr sie sich auch mit ihm freute, umso trauriger wurde sie tief im Inneren. Sie war nun schon seit sieben Jahren mit ihrem Mann verheiratet und war in dieser Zeit nicht einmal schwanger geworden. Vielleicht sollte sie ebenso die Kräuterfrau fragen, ob sie nicht ein Mittel kannte, sich und ihrem Mann den sehnlichsten Wunsch zu erfüllen. Die trüben Gedanken verscheuchend schickte sie ihren Mann zum Pfarrer der Altstadtkirche. Der Geistliche sollte die Taufe vornehmen, denn zu viele Neugeborene überlebten die ersten Tage oder Wochen nach der Geburt nicht. »Um einen Gefallen bitte ich dich aber, nennt ihn nicht Georg, davon gibt es schon mehr als genug in dieser Familie.« Damit lächelte sie wieder, drehte sich um und ging zurück in die Schlafkammer. Dort erwartete sie bereits die erschöpfte Agnes. »Ist alles in Ordnung mit dem Kleinen?«, fragte sie ängstlich. Bevor Griseldis ihre Frage beantworten konnte, öffnete sich die Tür erneut, und Georg betrat zögerlich mit dem Bündel auf dem Arm die Kammer. Er reichte seiner Frau das Neugeborene. »Du musst ihn gleich stillen, das bringt den Milchfluss in Gang«, meinte Josepha. Nachdem die Wehmutter sich überzeugt hatte, dass alles in Ordnung war, verabschiedete sie sich von den frischgebackenen Eltern und machte sich auf den Weg zurück zu ihrer mysteriösen Adligen ins Antoniushospital. Kurz darauf betrat Bruder Anselm das Haus der Fuhrleute, um den neugeborenen Knaben auf den Namen Konrad zu taufen. Josepha rieb abermals die Wunden der jungen Frau mit Frauenkrautöl ein. In ihrer Abwesenheit hatte Bruder Jordan über die Edelfreie gewacht. Auf die Frage, ob sie in der Zwischenzeit erwacht sei, schüttelte der Mönch bedauernd den Kopf. Als der Ordensbruder die Kammer verlassen hatte, wischte Josepha ein letztes Mal in dieser Nacht den Schweiß von der Stirn der jungen Frau, legte sich auf einen mit Stroh gefüllten Sack neben die Schlafstatt der Schwangeren und fiel in einen traumlosen Schlaf. Als sie am folgenden Morgen erwachte, blickte sie in die offenen Augen der Edelfreien und schickte ein kurzes Stoßgebet zum Heiligen Michael, dem Schutzpatron der Kranken. Sie trat zu der jungen Frau und fragte sie nach dem Namen, aber diese starrte einfach durch sie hindurch, als wäre die Alte gar nicht da. Die strohblonden Haare waren nass und klebten an ihrem Körper. Auch das seidene Untergewand war durchnässt. Sie glühte vor Fieber und warf sich unruhig hin und her. Rasch rief Josepha nach einem Halbkreuzler, der ihr frisches kaltes Wasser holen sollte, und schickte nach Bruder Jordan. Der Mönch hatte gerade die Matutin beendet. Neugierig betrat er die Kammer der Kranken. »Sie glüht vor Fieber, wir müssen sie ausziehen und den Körper in nasse, kalte Decken wickeln«, wurde er durch Josepha begrüßt. Vorsichtig und ohne Hast entkleideten die beiden die junge Frau und bedeckten deren Körper mit den nasskalten Tüchern. Dies taten sie wieder und wieder, bis das ganze Bett, der Boden und ihre Gewänder tropfnass waren. Als gegen Abend das Fieber sank, waren die alte Frau und der Mönch der Erschöpfung nahe. »Sie schläft und das Feuer ist heraus aus ihrem Körper. Wir sollten uns mit etwas Brot und Wasser stärken und dann auch ein wenig ruhen«, meinte Bruder Jordan und ließ einen der Halbkreuzler das Essen bringen. Gemeinsam aßen sie die Schnitten und erfrischten sich an dem eiskalten Brunnenwasser. Danach machte sich der Mönch auf den Weg zur Karmette, die in der abgedunkelten Blasienkirche, der Kirche des Deutschen Ordens in der Altstadt, gefeiert werden würde. Josepha blieb bei der jungen Frau, wechselte noch ein letztes Mal die Tücher und schlief ein, kaum dass sie auf ihrem Strohlager lag. Am nächsten Morgen wurde sie durch einen durchdringenden Schrei geweckt. Die Adlige saß im Bett, hielt sich den Leib und krümmte sich vor Schmerzen. Beruhigend redete Josepha auf sie ein und untersuchte sie, nachdem sie ihre Hände gewaschen und mit Gänseschmalz eingerieben hatte. In der Nacht war das Fruchtwasser abgegangen und das Köpfchen des Kindes stand tief im Schoß der jungen Frau. Nun gibt’s keinZurück, dachte sich die Wehmutter und fühlte nach dem Herzschlag der Schwangeren. Kaum zu tasten, aber regelmäßig, das beruhigte die Alte zunächst. Sie sprach noch ein kurzes Gebet zu Margareta, der Schutzpatronin der Gebärenden, und machte sich an die Arbeit. In den folgenden Stunden legte sie feuchte Tücher auf die Stirn der Kreißenden, massierte den Rücken und redete beruhigend auf sie ein. Aber noch immer hatte die junge Frau kein Wort gesprochen und ihr Blick ging ins Leere. Nach Mitternacht bat Josepha einen der Diener darum, Bruder Jordan in der Matutin davon zu berichten, dass die Geburt nun unmittelbar bevorstand und er sich für eine Nottaufe bereit machen sollte. Der Bedienstete kam mit dem Mönch zurück und half Josepha dabei, die Frau aufzurichten. »Das Kind will kommen, aber sie hilft nicht mit«, flüsterte die Wehmutter, nachdem der Diener gegangen war. »Setz dich hinter sie und drück mit aller Kraft den Bauch nach unten, wenn ich es dir sage«, bat sie den Mönch, und dieser tat, was ihm aufgetragen wurde. Es schien beiden wie eine Ewigkeit zu dauern, bis am Morgen des Ostersonntags im Jahre des Herrn 1235 endlich das Kind geboren war - ein Mädchen. Bruder Jordan nahm das kleine Wesen, wickelte es in ein Tuch und setzte sich mit ihm auf den Strohsack in der Ecke der Kammer. Die Wehmutter war damit beschäftigt, die Nachgeburt zu entbinden und die junge Mutter, die abermals ohnmächtig geworden war, zu waschen. Der Ordenspriester streichelte dem kleinen Mädchen über den schwarzen Flaum auf dem Kopf und war entzückt von den winzigen Fingerchen. Als er auch darüber strich, griff das Neugeborene nach seinem Zeigefinger und begann, daran zu saugen. Ein Lächeln stahl sich auf das Gesicht des Mannes, und das erste Mal seit fünf Jahren spürte er so etwas wie inneren Frieden. Durch die hektische Betriebsamkeit am Bett der jungen Mutter wurde der Mönch wieder in die Wirklichkeit zurückgeholt. »Sie verblutet«, war alles, was Josepha ihm noch zurief, als sie die Tür der Kammer aufriss und einen Bediensteten herbeirief. »Schnell, kaltes Wasser, schnell ...« Sie rieb den Unterleib der Frau mit Johanniskrautöl ein, massierte ihn und konzentrierte all ihre Gedanken darauf, durch die Massagen den Bauch der jungen Mutter dazu zu bringen, sich zusammenzuziehen, damit es aufhörte zu bluten. Nach einer gefühlt endlosen Zeit, in der es unaufhaltsam weitergeblutet hatte, griff Bruder Jordan nach den runzligen alten Händen der Wehmutter. »Sie ist von uns gegangen. Du hast alles getan, aber unserem Herrn hat es gefallen, sie zu sich zu rufen. Nun hat ihr Leiden ein Ende.« Erschöpft und unendlich müde ließ sich Josepha zu dem Strohsack führen, setzte sich darauf und warf das erste Mal seit der Geburt einen Blick auf das Neugeborene. »Und was machen wir jetzt mit dem Säugling? Wir wissen nicht, wer die Mutter war, wo sie herkam, ob jemand nach ihr gesucht hatte, und das Hospital ist nun wirklich nicht der richtige Platz für ein Waisenkind.« Bruder Jordan nickte bedächtig mit dem Kopf. Mit seinem Sinn für das Praktische griff er nach seinem Kreuz, nach einem Fläschchen mit Weihwasser und taufte das kleine Wesen auf den Namen Antonia – nach dem Hospital, in dem es geboren worden war.

Kapitel 2 - Geschwister

Als jemand am Morgen des Ostersonntages an die Tür hämmerte, sprang der dünne Georg erschrocken aus dem Bett. Wer mochte zu solch einer frühen Stunde den Frieden des Hauses stören? Agnes war gerade erst wieder eingeschlafen, nachdem sie den kleinen Konrad gestillt und in seine Wiege neben der Schlafstatt gelegt hatte. Verschlafen öffnete er die Tür für Bruder Jordan und die alte Josepha, die ihren Umhang schützend um ein Bündel gezogen hatte, das sie auf dem Arm trug. Nach einem kurzen Gruß traten die Besucher in die Wohnkammer des Hauses. Bruder Jordan blickte sich suchend um. »Ist deine Frau zu sprechen?« »Sie ist gerade wieder eingeschlafen, der Kleine hat die letzten Stunden geweint, nun schlafen beide.« Der Mönch sah entschuldigend zu dem jungen Vater. »Es tut mir wirklich leid, aber die Angelegenheit duldet keinen Aufschub. Bitte Agnes zu uns und auch deine Schwester und ihren Mann. Ich werde alles Weitere erklären, wenn sie bei uns sind.« Nachdem der Fuhrmann seine Frau geweckt hatte, bat er wie gewünscht Griseldis und seinen Schwager zu dem Gespräch mit dem Geistlichen und der Kräuterfrau. In der Zwischenzeit war die Morgendämmerung einem wunderschönen Sonnenaufgang gewichen. Mit verschlafenen Gesichtern, aber dennoch neugierig, versammelten sich die beiden Georgs und deren Frauen um den Holztisch in der Wohnkammer und schauten erwartungsvoll in Richtung des kleinen Mönches. Die Kräuterfrau stand still etwas hinter ihm. Bruder Jordan richtete seinen Blick auf Agnes, die ihre schwarzen Haare geflochten, mit einer Haube bedeckt und sich in aller Eile ein einfaches Obergewand angezogen hatte. »Dein Mann und dein Schwager haben dir gewiss schon erzählt, was sich auf ihrer Heimreise zugetragen hat?« Als Agnes nickte, fuhr er fort. »Die junge Edelfreie hat ein Töchterchen geboren und die Geburt nicht überlebt. Das Mädchen braucht eine Amme. Da du vor zwei Tagen ebenfalls Mutter geworden bist, dachte ich, dass du den Säugling mit nähren könntest.« Agnes blickte fragend zu ihrem Mann. Bevor Georg Einwände vorbringen konnte, erklärte der Mönch lächelnd: »Gut, dann istdas beschlossene Sache.« Griseldis und der dicke Georg, die die Unterhaltung verfolgt hatten, schauten sich ratlos an, denn sie wussten immer noch nicht, warum Bruder Jordan sie hatte rufen lassen. Der Geistliche bemerkte das Mienenspiel auf den Gesichtern der beiden und rief Josepha, die nach wie vor etwas abseits in der Ecke des Zimmers stand, zu sich. Er nahm ihr das Bündel ab und legte es Griseldis in den Arm. »Ich habe sie auf den Namen Antonia getauft. Sie braucht ein gutes Zuhause. Wir wissen nicht, wer die Mutter war, sie hat ihr Geheimnis mit ins Grab genommen. Du und dein Mann, ihr seid herzensgute Menschen. Ich wüsste keinen besseren Ort, an dem die Kleine aufwachsen könnte.« Hastig, als hätte sie sich die Hände verbrannt, gab Griseldis dem Mönch den Säugling zurück und lief schluchzend aus dem Haus, während Bruder Jordan verblüfft hinter ihr herschaute. »Sie wünscht sich nichts sehnlicher als ein Kind, aber es soll das Eigene sein. Es tut mir leid«, entschuldigte der dicke Georg das Verhalten seiner Frau und lief ihr nach. Stille verbreitete sich in der Wohnkammer. Bruder Jordan und die alte Josepha tauschten wortlos Blicke aus. Ratlosigkeit stand in den Gesichtern der beiden. Agnes erhob sich und nahm dem Geistlichen das Bündel aus dem Arm. »Sie wird hungrig sein.« Die junge Frau ging nach nebenan in die Schlafkammer, in der der kleine Konrad friedlich in der Wiege schlief, und ließ ihren Mann mit den Besuchern in der Wohnkammer zurück. Georg bewirtete die Gäste mit Dünnbier und Brot und setzte sich zu Ihnen an den Tisch. Gemeinsam und doch jeder für sich, überlegten sie, wie es nun mit dem kleinen Wesen weiter gehen würde. Die alte Josepha unterbrach das Schweigen, indem sie aufstand und zu Agnes in die Schlafkammer ging. Die junge Mutter hatte gerade den Säugling gestillt, lief mit ihm durch den Raum und wiegte ihn in den Schlaf. Aus einem Impuls heraus legte sie das Mädchen neben den kleinen Konrad in die Wiege und blieb in Gedanken versunken daneben stehen. »Vielleicht war es Schicksal, dass mein Mann und mein Schwager die Frau gefunden hatten. Womöglich war Gottes Plan, sie zu sich zu rufen und die kleine Antonia in unsere Familie zu bringen, damit die Leere, die ich seit dem Verlust meines ersten Kindes in mir fühle, ausgefüllt wird und ich nicht mehr traurig sein muss.« Sichtlich erleichtert trat Josepha zu Agnes, legte ihr die runzlige Hand auf die Schulter und betrachtete gemeinsam mit ihr die beiden Säuglinge, die friedlich schlafend nebeneinander in der Wiege lagen. »Wenn du Hilfe brauchst, dann lass nach mir schicken. Ich gebe Georg ein paar Kräuter, von denen er dir einen Tee kochen kann, das regt den Milchfluss an und hält ihn in Gang. Später komme ich noch einmal wieder und bringe mehr davon.« Sie verließ die Schlafkammer und gab Georg das Säckchen mit den Kräutern. Dann machte sie sich auf den Weg in ihr Häuschen in der Vorstadt St. Georgii - nach Altmühlhausen. Georg betrat, nachdem auch Bruder Jordan gegangen war, die Schlafkammer. Er fand seine Frau auf dem Bett sitzend, den liebevollen Blick auf die Babys in der Wiege gerichtet und völlig in Gedanken versunken vor. Sie bemerkte ihn erst, als er sich hinter sie auf die Bettstatt gesetzt, und seinen Kopf auf ihrer Schulter abgelegt hatte, während er sie mit den Armen umschloss. Sie saßen eine ganze Weile einfach so da und betrachteten die Säuglinge. »Meinst Du wirklich, dass du das schaffst? Ich werde gerade in nächster Zeit viel auf Reisen sein und dir nicht helfen können.« Das war es, was sie an ihrem Georg so liebte. Der zurückhaltende junge Mann hatte nach der Hochzeit seiner Schwester mit dem dicken Georg in deren Haus gelebt und sich als dessen Gehilfe im Fuhrgeschäft nützlich gemacht. Nach drei Jahren hatte der dicke Georg seinen Schwager im Stall zur Seite genommen, ihm einen Becher Bier in die Hand gedrückt und mit ihm auf ihre Partnerschaft angestoßen. Der junge Mann hatte direkt neben dem Stall ihr jetziges Haus gebaut und nun endlich den Mut gefasst, Agnes um ihre Hand zu bitten. Sie konnte den Antrag nur annehmen, denn sie liebte den schüchternen Mann schon seit der ersten Begegnung auf dem Krautmarkt. Damals, als ein Gassenjunge sie im Vorbeilaufen angestoßen hatte, war ihr Korb auf den Boden gefallen und der ganze Inhalt war zwischen die Marktstände gerollt. Georg, der alles beobachtet hatte, lief ihr zur Hilfe. Seit diesem Tag hatte er ihr den Hof gemacht und mit seiner ruhigen, geduldigen Art schnell ihr Herz gewonnen. Er war stets um sie besorgt und – anders als andere Männer – half er ihr, wo er nur konnte. Ohne ihn wäre sie damals in den schweren Stunden der vorzeitigen Niederkunft an ihrer tiefen Trauer gestorben. Sie konnte kaum noch essen und hatte ihr Krankenlager wochenlang nicht verlassen. Mit dem Tod des Kindes war auch in ihr etwas gestorben. Nur die sanfte, ruhige und feinfühlige Liebe ihres Mannes hatte sie diese schwere Zeit überstehen lassen. »Sie macht unsere Familie vollständig. Es ist so, als hätte Gott gespürt, wie sehr wir dieses kleine Mädchen brauchen und wie sehr sie uns. Was meinst du?« Mit einem hoffnungsvollen Schimmer in den Augen drehte sie sich zu Georg um und bat ihn stumm um sein Einverständnis. »Wir werden eine Hilfe einstellen müssen«, beantwortete er damit die Frage. Überglücklich umarmte Agnes ihren Mann und Tränen der Freude rannen über die Wangen. Seufzend strich Georg seiner Frau über das Haar und wischte ihr die Tränen aus dem Gesicht. »Schlaf noch ein wenig, du wirst all deine Kräfte brauchen. Ich werde Griseldis und Georg einen Besuch abstatten und fragen, wie es ihnen geht.« Agnes legte das Oberkleid ab, warf einen letzten Blick auf die zwei Säuglinge und schlief mit einem Lächeln auf den Lippen rasch ein. Die beiden Georgs hatten ihre Schemel nah an das Herdfeuer in der Wohnkammer des älteren Fuhrmanns gerückt. Jeder hielt einen Becher Dünnbier in den Händen und trank in Abständen daran. »Sie weint immer noch. Ich habe den ganzen Morgen versucht, sie zu trösten. Was hat sich der Mönch nur dabei gedacht? Wie soll ich Griseldis nur wieder beruhigen?« Der dicke Georg stellte den Becher zur Seite und vergrub das Gesicht in den dicken, schwieligen Händen. Warum hatte er seiner Frau bisher kein eigenes Kind schenken können, sie liebten sich doch. Hatte Gott nicht Gefallen an fleißigen, liebevollen Menschen? Warum wurden sie dermaßen auf die Probe gestellt? Wofür wurden sie bestraft? Hastig bekreuzigte er sich und bat Gott im Stillen um Verzeihung für seine inneren Zweifel. In der Zwischenzeit war es Mittag geworden. Den Lammbraten, ein Festmahl, das Griseldis am Vortag vorbereitet hatte, würde es wohl am Abend nach der Messe in Sankt Blasien geben. Eigentlich wohnten sie im Pfarrsprengel von Sankt Marien. Aber nachdem sein Schwager Agnes geheiratet hatte, die im Pfarrbezirk der Altstadt aufgewachsen war, besuchten sie die Messen in der Blasienkirche. Als der dünne Georg aufstand, um sich zu verabschieden, wurde die Tür zur Schlafkammer geöffnet und Griseldis kam auf die beiden Männer zu. Sie hatte sich das verquollene Gesicht mit kaltem Wasser gewaschen, ihr rotblondes langes Haar geflochten und unter einer Haube festgesteckt. Ihr Gatte stand auf und nahm sie wortlos in die Arme. Als der dünne Georg sich räusperte und verlegen von einem Bein auf das andere trat, lösten sich die beiden aus der Umarmung und Griseldis lächelte matt. »Kommt heute Abend nach der Messe zu uns, dann wollen wir das Ende der Fastenzeit feiern und uns den köstlichen Lammbraten schmecken lassen.« Georg dankte höflich für die Einladung und wollte schon ablehnen, als Griseldis noch hinzufügte, dass sie die beiden Neugeborenen mitbringen sollten, sie gehörten schließlich zur Familie. Unendlich erleichtert nahm er die Einladung an und machte sich auf den Weg zurück zu seiner Frau und den Kindern. Agnes schlief noch immer. Georg setzte sich leise auf die Truhe am Fußende des Bettes und betrachtete nachdenklich die beiden Säuglinge. Wie seltsam und verschlungen doch Gottes Wege sind. Vor fast einem Jahr fühlte er sich so grau und leer, als ob er im Leben nie wieder Freude empfinden könne. Und nun war er Vater von zwei Babys, ein überglücklicher Ehemann und ein erfolgreicher Fuhrmann. Die kleine Antonia war aufgewacht und schaute mit ihren großen blauen Augen in die Welt. Sie hatte das winzige Fäustchen in den Mund gesteckt und saugte innbrünstig daran. »Du hast wohl schon wieder Hunger, du kleiner Nimmersatt?« Zärtlich nahm Georg das Neugeborene aus der Wiege und wiegte es sanft in seinen Armen. Agnes war von den Schmatzgeräuschen geweckt worden und lächelte, als sie ihren Mann mit dem Säugling auf dem Arm beobachtete. Tief im Inneren spürte sie, dass alles gut werden würde. Sie nahm den kleinen Konrad, der auch gerade wach geworden war und anfing zu weinen, aus der Wiege und stillte ihn. Als er satt und zufrieden wieder eingeschlummert war, legte sie Antonia an ihre Brust. Georg hatte währenddessen seinen Sohn auf dem Arm und konnte sein Glück immer noch nicht fassen. »Griseldis hat den ersten Schreck überwunden und uns zum Abendmahl eingeladen. Wir sollen die Babys mitbringen. Meinst du, das ist eine gute Idee?« »Sie wird sich früher oder später daran gewöhnen müssen, dass wir unsere Kinder zu Besuchen dabei haben werden.« Besser früher als später, dachte sie bei sich. »Ich würde den beiden wirklich von Herzen wünschen, dass auch sie bald Eltern werden. Dann könnten unsere Kinder gemeinsam aufwachsen.« Als Georg die Gedanken aussprach, lächelte seine Frau. »Ja, stell dir vor, wie es später sein wird, wenn unsere Söhne das Geschäft einmal weiterführen. Aber bis es so weit ist, müssen diese beiden fürs Erste neue Windeltücher bekommen.« Sie rümpfte die Nase und machte sich daran, zuerst der Kleinen und dann ihrem Sohn die Windeln zu wechseln. »Vielleicht könnten wir die Tochter des Tuchmachers, Michis Schwester Lena, in unsere Dienste nehmen. Sie ist jetzt sieben Jahre alt, also alt genug, um arbeiten zu gehen.« Georg nickte. »Ich werde gleich morgen nach der Frühmesse mit Meister Michael darüber sprechen. Das ist eine gute Idee.« Nach der Abendmesse traten Georg und Agnes, jeder mit einem Säugling auf dem Arm, in die Wohnkammer, in der Griseldis schon den Tisch festlich gedeckt hatte. Auf dem Herdfeuer schmorte der Lammbraten und verbreitete einen köstlichen Duft. Das Aroma von frischgebackenem Brot mischte sich mit den anderen Gerüchen. Griseldis rührte noch einmal mit dem Kochlöffel in der Bratensoße, dann wandte sie sich ihrem Besuch zu. »Es tut mir wirklich leid wegen heute Morgen. Ich war nicht darauf vorbereitet und selbst wenn, ich möchte ein Kind in den Armen wiegen, das ich unter meinem Herzen getragen habe. Aber ich freue mich für euch beide und bin gern für euch da, wenn ihr mich braucht.« Agnes platzierte den kleinen Konrad, den sie zum Aufstoßen an die Schulter gelegt hatte, in Griseldis Arm. »Gut, du kannst gern schon mal damit anfangen, ich bin so unbeschreiblich müde. Da trifft es sich gut, dass du nur ein Haus weiter wohnst. Ich werde wahrscheinlich öfter auf dein Angebot zurückkommen, als dir lieb ist, Tante Griseldis.« Tante Griseldis ... das klang ungewohnt – ungewohnt aber gut. Ja, auch wenn sie nicht bald selbst Mutter werden würde, so in jedem Fall doch die beste Tante der Stadt. Der dicke Georg, der die Szene beobachtet hatte, nahm seinem Schwager das Mädchen ab und meinte, dass Oheime genauso wichtig wären wie Basen. Der dünne Georg war froh über die ungezwungene Atmosphäre. Er hatte dem Abend mit gemischten Gefühlen entgegen gesehen. Die beiden Frauen brachten die Säuglinge nach nebenan, legten sie auf die Schlafstatt und deckten sie mit Wolldecken zu. Sie schlossen die Tür zur Schlafkammer nicht vollständig, bevor sie sich zum Essen an die festlich gedeckte Tafel setzten. In der Mitte des Tisches stand eine Holzvase mit Osterglocken. Der dicke Georg schnitt Scheiben aus dem frischgebackenen noch warmen Brot, während Griseldis den Braten auftat. Nach dem Abendessen tranken die vier jungen Leute den Rotwein, den der dicke Georg auf dem Eisenacher Markt erstanden hatte. Gemeinsam schmiedeten sie Pläne, welche Aufträge sie in der kommenden Zeit in welche Stadt führen würden Als der kleine Konrad schreiend wach geworden war, ging Agnes seufzend nach nebenan, um ihren Sohn zu füttern. Nachdem Griseldis, deren Wangen von dem Wein eine rote Farbe angenommen hatten, den Tisch abgeräumt hatte, folgte sie ihrer Schwägerin in die Schlafkammer. »Darf ich ihn noch einmal halten?«, fragte Griseldis, als Agnes den Jungen fertig gestillt hatte. Erleichtert reichte die frischgebackene Mutter Griseldis den Säugling, denn auch Antonia war wach geworden und musste gefüttert werden. »Am späten Nachmittag war die alte Josepha noch einmal bei mir und hat Kräuter für den Milchfluss dagelassen. Vielleicht solltest Du sie wirklich irgendwann aufsuchen.« Griseldis überlegte schon seit Tagen, ob sie die Kräuterfrau um Hilfe bitten sollte. Einige der Nachbarn erzählten aber hinter vorgehaltener Hand, dass sie eine Hexe sei. Deshalb hatte sie den Weg zu der Alten bisher gescheut. Allerdings hatte sie Agnes schon während der Schwangerschaft beigestanden und sie selbst hatte nichts Ungewöhnliches beobachtet. Ja, sie würde die Kräuterfrau aufsuchen, denn sie wünschte sich nichts sehnlicher als ein Baby. In zwei Tagen wollen ihr Mann und ihr Bruder Waren nach Salza auf den Markt bringen, dann würde sie in die Vorstadt, Sankt Georgii, gehen und die Alte um Hilfe bitten. Bruder Jordan beendete gerade seine Gebete in der Blasienkirche und wollte sich auf den Weg zurück ins Antoniushospital machen, als Bruder Anselm auf ihn zutrat. »Der Komtur hat sich nach der Edelfreien und dem Säugling erkundigt und wünscht einen Bericht von dir. Hast Du denn eine Amme für die Kleine gefunden?« »Agnes, die Frau von Georg, dem Fuhrmann, hat vor zwei Tagen einen Jungen zu Welt gebracht. Sie wird die Amme und – so Gott will – auch die Mutter für das winzige Wesen. Die leibliche Mutter wird morgen beerdigt. Ihre Kleider habe ich in ein Bündel gepackt. Ich werde sie nach dem Begräbnis zu Agnes bringen, damit sie sie für die kleine Antonia aufbewahrt. So wird sie ein Andenken an ihre Mutter haben. In einer Innentasche des Mantels habe ich eine goldene Kette mit einem Medaillon gefunden, in das ein Pferd mit langem Schweif eingraviert ist. Ich habe die Kette mit dem Anhänger in ein Holzkästchen gelegt und zu den Kleidern getan. Agnes wird ihr die Sachen geben, wenn die Kleine alt genug ist, die dramatischen Umstände ihrer Geburt zu verstehen.« Schweigend passierten die beiden Mönche die Pforte der Blasienkirche. Während Bruder Anselm auf dem Weg in die Küche des Antoniushospitals war, ging Bruder Jordan zu einem der Sariantbrüder des Ordenshauses gegenüber der Kirche, damit dieser ihn bei Rupert von Nordhausen, dem Komtur des Deutschen Ordens in der Altstadt, meldete. Als der Mönch die Kammer des Ordensvorstehers betrat, blickte er sich verstohlen um. Noch nie zuvor war er zum Komtur gerufen worden. Der Raum war gemütlich eingerichtet. In einem offenen Kamin in der Ecke brannte ein Feuer. Es erwärmte und beleuchtete die Kammer zugleich. Auf dem steinernen Boden lag ein riesiger Teppich und die weiß getünchte Lehmwand zierte ein mit Edelsteinen besetztes Schwert in seiner Scheide. Die Flammen des Feuers spiegelten sich in ihr wieder. An der gegenüberliegenden Wand hing ein großes Holzkreuz mit der Figur des gekreuzigten Gottessohnes. Darin eingraviert war der Schriftzug INRI zu lesen. Die schweren dunkelgrünen Samtvorhänge waren bereits zugezogen. Es geschah selten, dass der Ordensvorsteher Besuch in seinen Gemächern empfing. Aber die Angelegenheit sollte in aller Vertrautheit besprochen werden und nicht vor den Ohren der Mitbrüder. Jordan trat vor das Kreuz, sprach ein kurzes Gebet und schaute dann fragend zu dem Komtur. Dieser, ein etwa fünfundvierzigjähriger kräftiger Mann mit schulterlangem dunklen Haar und ordentlich gestutztem ebenso schwarzen Vollbart, stellte seinen Pokal auf den Tisch und forderte den Mönch mit kalter Stimme auf, alle Einzelheiten der letzten beiden Tage mitzuteilen. Als der Ordenspriester den Bericht beendet hatte, räusperte sich der Komtur. »Ich werde Erkundigungen in den umliegenden Klöstern und Burgen einholen, ob in den letzten Wochen eine junge Edelfreie vermisst wurde. Vielleicht klärt sich diese leidige Angelegenheit doch noch zu aller Zufriedenheit auf. Bis dahin ist das Balg wohl in der Familie des Fuhrmannes gut aufgehoben. Ich möchte nicht, dass das Mädchen und ihre Verbindung zu unserem Orden zum Stadtgespräch werden. Ich vertraue also darauf, dass du, Bruder Anselm, die Kräuterhexe und auch die Fuhrleute Stillschweigen bewahren. Sollten irgendwelche Gerüchte verbreitet werden, dann, dass das Mädchen das Kind einer nahen Verwandten sei. Ich habe dem Burgvogt von den Umständen berichtet und er wird ebenfalls Erkundigungen einziehen.« Bevor Bruder Jordan die Kammer des Komturs verließ, öffnete dieser einen kleinen Lederbeutel, den er an seinem Gürtel gebunden hatte, und reichte dem Mönch ein silbernes Geldstück. »Gib das der Fuhrmannsfrau. Sie soll sich gut um das Balg kümmern, für den Fall, dass eine begüterte Familie darauf Anspruch erhebt.« Mit diesen Worten drehte er sich um und ließ den Ordenspriester mit einer verblüfften Miene stehen. Der Komtur hatte ihm eine Silbermark gegeben. Das war mehr Geld, als eine Familie wie die des Fuhrmanns, in einem Vierteljahr verdienen konnte. Er beschloss, das Geldstück zusammen mit den Kleidern und der Kette der Edelfreien am kommenden Morgen nach der Frühmesse zu Georg und Agnes zu bringen. Bruder Jordan folgte seinem Freund und Ordensbruder Anselm nach kurzem Abschiedsgruß in die Küche des Spitals, um noch einen Kanten Brot und verdünnten Wein zu sich zu nehmen. Er war froh, die Räume des Komturs verlassen zu können, da ihm das Verhör des Ordensritters starkes Unbehagen bereitet hatte. Wenn er nur daran dachte, lief ihm ein kalter Schauer über den Rücken. In dem Gewölbekeller des Antoniushospitals, in dem sich die Küche befand, herrschte trotz der späten Stunde reges Treiben. Ein Koch und einige Küchenhilfen waren dabei, das Mittagessen für den folgenden Tag vorzubereiten. Der Koch trat freundlich lächelnd auf den kleinen Mönch zu und fragte ihn, ob er vielleicht noch ein wenig Rosmarin zum Würzen des Lammbratens erübrigen könne. »Natürlich kann ich das, ich habe das Kraut in meiner Kammer in einem Topf überwintert. Schicke eine der Küchenhilfen nach der Abendmahlzeit zu mir.« Bruder Jordan setzte sich auf eine der Holzbänke neben Bruder Anselm und erzählte ihm von dem Zusammentreffen mit dem Komtur. Anselm runzelte die Stirn und stimmte seinem Freund zu, dass es hier sicherlich noch zu unschönen Verwicklungen kommen würde. Der Komtur war nicht für seine Mildtätigkeit bekannt, umso mehr wunderten sich die beiden Mönche über die Bezahlung für die Fuhrmannsfrau. Welche Intrigen mochte Rupert von Nordhausen wohl spinnen und damit eine ganze Familie ins Unglück stürzen? Sie beschlossen, gemeinsam ein Auge auf die junge Familie zu haben und ganz besonders auf die kleine Antonia, fügte Bruder Jordan in Gedanken hinzu. Am nächsten Vormittag traf der Mönch nach der Morgenmesse in der Sankt Blasienkirche auf den dünnen Georg und begleitete ihn noch ein Stück zurück zu seinem Haus. Das Bündel mit den Habseligkeiten der jungen Edelfreien hatte er im Hospital zurückgelassen. Georg hatte Bruder Jordan zum Mittagsmahl eingeladen und der Mönch hatte dankend angenommen. »Ich werde nur schnell noch eine Kleinigkeit holen und komme in einer halben Stunde zu euch.« Als Georg das Haus betrat, fand er seine Frau mit dem Kochlöffel in der Hand in einem Kessel rührend vor. Aus dem hochgesteckten, geflochtenen Zopf hatten sich mehrere Haarsträhnen gelöst. Ihre Wangen waren gerötet. Sie war so bildschön. Er liebte sie noch genauso wie bei ihrer ersten Begegnung, als sie auf dem Markt die Einkäufe vom Boden zusammengesammelt hatte. Georg wusste, wie viel Glück er hatte, dass er aus Liebe heiraten durfte. Nachdem seine Eltern bei einer Grippeepidemie, die fast in jeder Familie der Stadt wenigsten ein Todesopfer gefordert hatte, gestorben waren, hatte seine ältere Schwester Griseldis sich um ihn gekümmert. Sie hatte keine Einwände erhoben, als Georg um die Jüngste der Bäckerstöchter warb. Er trat auf seine Frau zu, nahm ihr den Löffel aus der Hand und erntete ein dankbares Lächeln. Erschöpft von der Hausarbeit und dem Versorgen der Neugeborenen setzte sie sich auf einen Schemel, den sie in die Nähe des Herdfeuers geschoben hatte. »Die beiden schlafen jetzt, Konrad hatte noch eine ganze Weile Schluckauf. Die kleine Antonia hat sich satt getrunken und ist gleich wieder eingeschlafen. Was für ein liebes Kind. Seit sie bei uns ist, hat sie nicht einmal geweint. Und auch Konrad beruhigt sich viel schneller, wenn sie neben ihm liegt.« Lächelnd betrachtete Georg seine Frau. Die von dunklen Ringen umschatteten Augen leuchteten, als sie liebevoll von den Kindern sprach. Ihre Wangen waren rosig und die losen Haarsträhnen umspielten ihr Gesicht. Auf dem Kleid hatten sich Milchflecken abgezeichnet. »Ich habe Bruder Jordan zum Mittagsmahl eingeladen. Er sagte, er hätte etwas mit uns zu besprechen. Er wird in einer halben Stunde da sein. Wenn du dich noch ein wenig zurechtmachen möchtest, kann ich mich gern weiter um die Suppe kümmern.« »Hat er angedeutet, was er will? Hat er irgendetwas über die Mutter in Erfahrung gebracht?« »Nein, er hat nur gesagt, dass er etwas besprechen möchte. Wir werden es ja gleich hören.« Beruhigend legte er die Hand auf Agnes Schulter. Sie lächelte noch einmal matt und ging nach nebenan in die Schlafkammer. Georg deckte den Tisch und holte einen Krug Bier aus der Speisekammer. Als es klopfte, öffnete er Bruder Jordan die Tür. Inzwischen hatte Agnes ihr Haar gekämmt und mit einer Haube bedeckt, ein neues Obergewand angezogen und war in die Wohnkammer zurückgekehrt. Freundlich begrüßte sie den Ordenspriester und bot ihm einen Becher Dünnbier an. Nachdem sie zu Mittag gegessen hatten, öffnete Bruder Jordan das Bündel, das er mitgebracht hatte. Zum Vorschein kamen ein kleines Holzkästchen, ein wunderschöner indigoblauer, mit Pelz verbrämter Umhang und ein noch schöneres moosgrünes Bliaut, das mit ockerfarbenen Einsätzen und seitlichen Schnüren in derselben Farbe verziert war. Mit einem Zischen strömte die Luft aus Agnes Lunge. Sie hatte erst jetzt bemerkt, dass sie die ganze Zeit über den Atem angehalten hatte. Die junge Frau hatte noch niemals solch edle Stoffe berührt und wagte nun ebenfalls nicht, die Kleider anzufassen. Nachdem der Mönch nun die Kette mit dem Medaillon aus der Holzschachtel nahm und diese neben die Silbermark auf den Tisch legte, schüttelte Agnes den Kopf und konnte kein Wort hervorbringen. Selbst Georg hatte sich auf seinen Schemel gesetzt und war sprachlos. »Die Kleider und die Kette waren alles, was die Mutter der kleinen Antonia bei sich trug. Vielleicht könnt ihr die Sachen für ihre Aussteuer aufbewahren. Das Geld schickt euch der Komtur. Er hat unmissverständlich klar gemacht, dass keine Gerüchte über das Mädchen, dessen leibliche Mutter und die Verbindung der beiden zu unserem Orden verbreitet werden dürfen. Ihr habt euch gut um Antonia kümmern. Sollten neugierige Nachbarn fragen, so denkt euch eine glaubwürdige Geschichte aus, wie ihr zu dem Kind gekommen seid. Ich werde wegen der Notlüge für euch beten. Wenn es euch recht ist, würde ich gern das eine über das andere Mal nach der Kleinen sehen, denn sie wärmt mein Herz«, fügte er mit fragendem Blick hinzu. »Natürlich. Ihr seid jederzeit in unserem Haus willkommen. Mit dem Mädchen habt ihr unser Glück vollkommen gemacht. Wir werden die Kleider und die Kette für Antonia aufbewahren. Aber das Geld werden wir nicht anrühren, denn sonst käme es mir so vor, als hätten wir unser Glück erkauft«, antwortete die für gewöhnlich so ruhige Agnes mit einem für sie ungewohnt barschen Unterton. Georg nickte zur Bekräftigung dessen, was seine Frau dem Mönch gesagt hatte. »Darf ich, bevor ich mich wieder auf den Weg mache, noch einmal nach dem Mädchen sehen?« Agnes ging voran in die Schlafkammer. Bruder Jordan trat auf die Wiege zu. Der kleine Konrad schlief friedlich und Antonia war bereits wach geworden. Sie nuckelte an ihrem Fäustchen. Aus einem Impuls heraus nahm der Geistliche das Mädchen auf den Arm. Genau wie am Tag ihrer Geburt durchströmte ihn ein Gefühl von tiefer innerer Zufriedenheit. Als hätte Konrad bemerkt, dass seine kleine Schwester nicht mehr mit in der Wiege lag, fing er an zu weinen. Schnell nahm Agnes ihren Sohn auf den Arm, um ihn zu beruhigen. Sie trug ihn zum Stillen nach nebenan in die Wohnkammer. Georg war leise neben Bruder Jordan getreten.