Hiobsasche - Yvonne Bauer - E-Book

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Yvonne Bauer

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Beschreibung

Mühlhausen AD 1256 Die Reichsburg ist zerstört, der Brand im Kilianiiviertel gelöscht. Die Folgen für die Bürger der Stadt sind noch nicht abzusehen, fehlt doch der König, der ein Urteil über sie fällen wird. Der Traum von einem Staufer als Nachfolger und von der Reichsfreiheit der Stadt rückt in weite Ferne. Unterdessen wird Antonia, die sich bisher nicht von dem Übergriff ihres gewalttätigen Halbbruders erholt hat, von lähmender Angst gequält. Selbst Konrad gelingt es nicht, ihr zu helfen. Er gibt sich die Schuld am Leid seiner Frau. Mit seiner Wut schadet er jedoch nicht nur sich, sondern auch seiner Familie. Während um sie herum der Streit um die Erbfolge im Thüringenland und um die Nachfolge für den Thron im Deutschen Reich weiter toben, müssen sich Antonia, Konrad und ihre Freunde bitteren Herausforderungen stellen.

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»Haben wir Gutes empfangen von Gott und sollten das Böse nicht auch annehmen?« Hiob 2, 10

Für meine Eltern, die mir beigebracht haben, dass kein Ziel zu hoch gesteckt ist.

Inhaltsverzeichnis

Charaktere

Prolog – Mehler 30. September 1260

Erster Teil: Mühlhausen AD 1256

Kapitel 1 – Scherben

Kapitel 2 – Krankenlager

Kapitel 3 – Wende

Kapitel 4 – Zerwürfnisse

Kapitel 5 – Suche

Kapitel 6 - Trümmer

Kapitel 7 – Trauer

Kapitel 8 – Neuanfang

Kapitel 9 – Sühne

Zweiter Teil: Mehler AD 1259

Kapitel 10 – Verbindungen

Kapitel 11 – Mainz

Kapitel 12 – Verhandlungen

Kapitel 13 – Mühlhausen

Kapitel 14 – Hengste

Kapitel 15 – Weihnachten

Kapitel 16 – Abschiede

Kapitel 17 – Neuigkeiten

Kapitel 18 – Söhne

Kapitel 19 – Familie

Dritter Teil: Rom AD 1261

Kapitel 20 – Audienz

Kapitel 21 – Auftrag

Kapitel 22 – Flucht

Kapitel 23 – Viterbo

Kapitel 24 – Heimreise

Kapitel 25 – Mailand

Kapitel 26 – Hinterhalt

Kapitel 27 – Rheinfelden

Kapitel 28 – Heimkehr

Vierter Teil: Mühlhausen AD 1263

Kapitel 29 – Besuche

Kapitel 30 – Feierlichkeiten

Kapitel 31 – Anschuldigungen

Kapitel 32 – Vertrag

Kapitel 33 – Liebesdinge

Kapitel 34 – Kämpfe

Kapitel 35 – Beesenstedt

Kapitel 36 – Frieden

Epilog: Aachen, 1273

Krönung

Anmerkungen der Autorin

Glossar

Quellenverzeichnis

Über die Autorin

Bisher erschienen

Klappentext

Charaktere

(* Personen der Stadtgeschichte und der Geschichte des Heiligen Römischen Reiches)

Mühlhausen:

Georg: Fuhrmann, Ratsmitglied

Konrad und Joseph: Söhne von Georg und seiner verstorbenen Frau Agnes

Antonia von Mehler: Ziehtochter von Georg, Frau von Konrad, Enkelin derer von Mehler

Agnes, Jakob, Klemens, Georg und Hannes: Kinder von Antonia und Konrad

Hiltrud von Mehler: Frau des verstorbenen Hannes, Großmutter Antonias

Johann von Mehler: Sohn von Hannes und Hiltrud, Oheim von Antonia

Isabella: italienische Adlige und Frau von Johann

Johanne: Frau von Joseph, Schwester von Paul und Tochter von Zimmermeister Mombert

Griseldis: Tochter von Joseph und Johanne

Lucas: Ritter, Getreuer Wachsmuths, Freund von Konrad und Antonia

Magdalena: Frau von Lucas

Lucardis, Matthäus, Johannes und Lucas: Kinder Magdalenas

Maria: Zofe Antonias und Kinderfrau

Gernulf: Wachmann im Dienste derer von Mehler

Berta: Köchin im Dienste derer von Mehler

Martha: Küchenmädchen im Dienste derer von Mehler

Frieda: Küchenmädchen im Dienste derer von Mehler

Wachsmuth von Mühlhausen: verstorbener Ritter, Freund von Konrad

Walburga: Edelfreie, Gemahlin des Wachsmuth

Hermann von Hagen*: Reichsministerialer

Gunter von Hagen*: Reichministerialer, Bruder von Hermann

Dietrich von Hagen*: Knappe Konrads, Sohn von Gunter von Hagen

Klara von Hagen: Mündel Hermanns, Frau von Dietrich

Helena: Nichte des Hubertus, Frau von Gunter des Hagen

Guda von Hagen: Tochter von Gunter von Hagen

Hubertus: Medikus der Markgräfin, aus Böhmen

Michael: Tuchmachermeister, Freund und Nachbar der Fuhrleute, Ratsmitglied

Hannah: Frau des Tuchmachers

Michi: Sohn des Tuchmachers, Freund von Konrad und Antonia

Theresa: verstorbene Frau von Michi

Alma: zweite Frau von Michi

Lena: Tochter des Tuchmachers, Freundin von Antonia und Konrad

Mathilde: Tochter des Tuchmachers, Schwester Lenas und Michis; Magd im Hause des Fuhrmanns

Paul: zweitältester Sohn von Meister Mombert, ehemaliger Lehrjunge bei den Fuhrleuten, Händler

Jasna: Sklavin aus dem Süden Russlands, Frau von Paul

Egbert: Sohn des verstorbenen Löbermeister Eckhard

Gerald: Kistner, Ratsmitglied

Mombert: Zimmermann, Ratsmitglied

Jonas: Böttchermeister, Ratsmitglied

Ludwig: Schustermeister, Ratsmitglied

Jannis: Schwarzschmied, Ratsmitglied

Hartmut: Lohmüller, Ratsmitglied

Adam*: Goldschmied, Ratsmitglied

Gertrud*: Frau des Goldschmieds

Hildegard*: Tochter des Goldschmieds

Reinhard: Steinmetzmeister

Eva: Wehmutter und kräuterkundige

Linhard: Zimmermeister aus Schlotheim

Bruder Jordan: Ordenspriester im Antoniushospital

Bruder Reinhard*: Pleban der Altstadtkirche

Albert: Abt im Kloster Volkenroda

Burgvogt Bertram: Reichsritter, Vogt der Reichsburg zu Mühlhausen

Heinrich*: Kämmerer zu Mühlhausen

Friedrich von Treffurt*: 1. Schultheiß in Mühlhausen

Schlotheim und Mehler:

Berthold von Schlotheim*: Truchsess des Thüringer Landgrafen

Gunther Surrezig von Schlotheim*: Sohn von Berthold

Adelheid von Schlotheim*: Frau des Gunther

Jutta von Schlotheim*: Tochter von Gunther und Adelheid

Friedrich von Schlotheim*: zweitältester Sohn von Berthold

Hermann von Schlotheim*: jüngster Sohn von Berthold

Kunemund von Mihla*: Bruder des Truchsess

Wetzel von Mihla*: Sohn des Kunemund, Knappe von Lucas

Hochadel und Klerus:

Friedrich II.*: Kaiser des Heiligen Römischen Reiches aus dem Geschlecht der Staufer

Heinrich Raspe: verstorbener Landgraf von Thüringen, letzter männlicher Ludowinger, deutscher Gegenkönig

Wilhelm von Holland*: 1254-1256 deutscher König

Ottokar II. Přemysl*: König von Böhmen, Schwager von Heinrich, dem Erlauchten

Margarete von Babenberg*: Frau des böhmischen Königs

Heinrich der Erlauchte*: Sohn der Jutta von Thüringen aus dem Wettiner Geschlecht, Markgraf zu Meißen, Landgraf zu Thüringen

Agnes von Böhmen*: 2. Ehefrau von Heinrich von Wettin, Schwester von Ottokar Přemysl

Albrecht und Dietrich*: Söhne Heinrichs aus 1. Ehe

Hermann von Henneberg*: Halbbruder von Heinrich, Sohn der Jutta von Thüringen aus 2. Ehe mit Poppo von Henneberg

Sophia von Brabant*: Tochter der Heiligen Elisabeth

Heinrich „das Kind“ von Brabant*: 1. Hessischer Landgraf, Sohn der Sophia

Albrecht von Braunschweig*: Herzog, Welfe

Rudolf von Habsburg*: Graf, deutscher König seit 1273

Gertrud von Habsburg*: Frau von Rudolf, später als Anna von Habsburg römisch-deutsche Königin

Alfons von Kastilien*: deutscher König seit 1257

Richard von Cornwall*: deutscher König seit 1257, Bruder des englischen Königs, Neffe des Richard von Löwenherz

Siegfried III. von Eppstein*: Erzbischof von Mainz bis 1249

Gerhard von Dhaun*: Erzbischof von Mainz bis 1259

Werner von Eppstein*: Erzbischof von Mainz ab Oktober 1259

Alexander IV.*: Papst ab 1254

Clemens IV.*: Papst ab 1261

Italien:

Manfred von Sizilien*: Sohn Kaiser Friedrich II. mit Bianca Lancia

Ottone Visconti*: Herzog in Mailand, später Erzbischof von Mailand

Guillermo Visconti: Neffe von Ottone Visconti

Ricardo: Übersetzer

Prolog – Mehler 30. September 1260

»Wach auf, Konrad!« Antonia strich ihrem Mann zärtlich über das Haar, als eine Wehe ihren Körper ergriff. »Arrh!« Sie hielt mitten in der Bewegung inne und atmete durch die zusammengepressten Zähne ein und aus, bis der Schmerz abebbte.

Als er die Situation erfasste, sprang der werdende Vater aus dem Bett und stand im Handumdrehen auf den Beinen. »Ich hole Eva.« Eiligen Schrittes verließ er das Schlafgemach, um der Wehmutter Bescheid zu geben, die bereits seit drei Wochen auf der Burg Mehler darauf wartete, dass Antonia niederkam. Dabei schickte er ein Stoßgebet nach dem anderen gen Himmel. Bitte, Gott, lass sie und das Kind am Leben! Die Bilder von der Geburt seines Sohnes Jakob drängten sich erbarmungslos in seinen Geist und erinnerten ihn mit Schrecken daran, wie schmal der Grat zwischen Leben und Tod für Mutter und Kind doch war. Zwei Tage hatte Antonia in den Wehen gelegen, zwei entsetzlich lange Tage und zwei durchwachte, nicht enden wollende Nächte, in denen er fürchtete, sie und das Kind würden ihr Leben lassen. Er hatte seine Frau in den Armen gehalten, als Eva das Ungeborene in deren Bauch drehte, während Antonia vor Höllenqualen schrie. Mit jeder vergehenden Stunde, in der die Lebenskraft aus ihrem Körper rann, zersplitterte sein Herz in tausend kleine Teile. Als sie kreidebleich, völlig kraftlos, mit durchnässtem Hemd in seinen Armen einschlief, hielt er es nicht aus und stürzte aus der Kammer. Jeglicher Kraft und Hoffnung beraubt, sank er in sich zusammen, unfähig sich zu rühren oder einen klaren Gedanken zu fassen. Damals wagte er es nicht, zu Gott zu beten, war er doch sicher, dass dieser ihn nicht erhören würde. Sein Glaube war in den Grundfesten erschüttert, bei all dem Leid was ihm und seinen Lieben widerfahren war. Weitere Schreckensbilder tauchten geisterhaft vor seinem inneren Auge auf, furchtbare Erinnerungen, des Moments vor vier Jahren, als er das Haus in der Holzgasse betrat, in dem er Antonia auf der Bettstatt ihres Vaters vorfand, während ein Kerl sich an ihr verging, ihr Halbbruder, wie sich später herausstellte. Bei dem Gedanken daran kroch ihm der metallische Geruch von Blut die Nase hinauf, genau wie vier Jahre zuvor. Damals hatte er erst auf den zweiten Blick seinen kleinen Bruder Klemens mit zerschnittener Kehle zu den Füßen des Angreifers liegen sehen. Der Gedanke daran, wie ihn ein Blutrausch überkam, als er das Schwert in den Unterleib des Schänders trieb, ihm das Gemächt vom Körper trennte, bevor er ihm die Klinge zwischen die Augen stieß, ließ ihn erzittern. An alles, was danach geschah, konnte er sich nur bruchstückhaft erinnern. Wie durch einen Nebel hatte er wahrgenommen, dass sein Vater in die Schlafkammer stürmte und schluchzend über seinem jüngeren Sohn zusammenbrach. Konrad hatte nur Augen für Antonia. All das Grauen, dieses Leid, wie sollte ein einzelner Mensch das ertragen, ohne dabei den Verstand zu verlieren? Die Antwort hatte er vor drei Jahren, am Tag der Geburt seines Sohnes erhalten, als in den frühen Morgenstunden die Wehmutter mit einem kleinen Bündel im Arm aus der Kemenate trat und ihm das Neugeborene in die Arme bettete. Beim Anblick seines Sohnes konnte er die Tränen nicht mehr zurückhalten. Er schluchzte vor Freude und Erleichterung. Nie hätte er es für möglich gehalten, dass ihm jemals wieder ein solch unfassbar erfüllender Moment vergönnt sein würde und die zersplitterten Teile seines Herzens fügten sich zu einer Einheit.

ERSTER TEIL: MÜHLHAUSEN AD 1256

Kapitel 1 – Scherben

Konrad konnte nicht fassen, was dieses Schwein Antonia angetan hatte. Nachdem er sich neben sie auf das Bett gesetzt hatte, zog er sie behutsam in die Arme und hüllte ihren zitternden Körper in seinen Umhang. Der war zwar wegen des Brandes im Kilianiviertel rußbeschmutzt, löchrig und stank nach Rauch, erfüllte aber seinen Zweck.

Ängstlich beugte der Ritter sich über das Gesicht seiner Frau und sprach beruhigend auf sie ein, als ein Wimmern an seine Ohren drang. »Schon gut, mein Herz, alles wird wieder gut.« Wenn er nur selbst daran glauben könnte. Er fühlte sich so zerrissen wie noch nie im Leben. Seine Tränen fielen auf geschwollene, blutverkrustete Wangen und vermischten sich mit den ihren. Er spürte ihren rasenden Herzschlag, als er das Kinn an ihrem Hals barg, und begann zu zittern. Panik ergriff Besitz von seinem Körper. Was, wenn sie hier in meinen Armen stirbt? Das würde er nicht überleben. Ein quälender Laut drang ihm aus der vom Weinen ausgetrockneten Kehle. »Du darfst mich nicht allein lassen, hörst du? Du musst am Leben bleiben, für mich, für Agnes, für Vater und für deine Großmutter. Bleib bei mir!« Wie ein Echo hallten ihm seine letzten Worte im Kopf wider. Bleib bei mir, bleib bei mir, bleib bei mir ...

Mittlerweile war die Kerze, die sein Vater auf das Tischchen neben der Bettstatt abgestellt haben musste, heruntergebrannt. Dunkelheit umgab den Ritter und nahm Besitz von seiner Seele. Er hatte Antonias Peiniger getötet, aber die Wut über das Geschehene wollte nicht weichen. Langsam und stetig fraß sie sich tief in die Gedanken, in jede Pore seines Körpers, so wie Schimmel in Brot. Er wollte jemandem wehtun, jemanden töten, irgendetwas, Hauptsache der Schmerz ließ nach. Wie sollte er es ertragen, sie so zu sehen? Warum war er nicht hier bei ihr gewesen, als diese Ausgeburt der Hölle ins Haus eingedrungen war?

Er drückte Antonias geschundenen Körper fester an sich, in der Hoffnung, so die düsteren Gedanken aus seinem Kopf zu vertreiben. Sie war sein Licht, vermochte es stets, ihm die Dunkelheit von der Seele zu nehmen. In diesem Moment war er an der Reihe. Er musste heller scheinen als die Sonne, für sie beide. Aber wie? Hass erfüllte ihn, unbändiger, abgrundtiefer, allumfassender, finsterer Hass.

Erneut hallte ein Wimmern durch den ansonsten totenstillen Raum, dieses Mal kam das Geräusch aus seinem Mund. »Ich darf dich nicht verlieren! Hörst du mich, Antonia?« Während er seine Frau immer wieder und wieder anflehte, ihn nicht zu verlassen, drang das Poltern von schweren Stiefeln die Treppe herauf. Kurz darauf verlieh das fahle Licht einer Talglampe der Schlafkammer ein wenig Helligkeit, ausreichend genug, um zu erkennen, dass Bruder Jordan das Zimmer betrat.

»Mein lieber Junge«, war alles, was er bei dessen Anblick sagen konnte. Er fand keine Worte des Trostes bei all dem Elend, das dieser Familie in den letzten Stunden widerfahren war. Jordan starrte auf die Blutlache vor dem Bett und musste an den Leichnam des jungen Klemens denken, der mit zerschnittener Kehle, aufgebahrt und gewaschen auf dem Esstisch in der Küche lag. Dessen Zwillingsbruder Joseph hatte den Ordensbruder ins Haus der Fuhrleute gerufen, als der Priester gerade die entsetzlichen Wunden des Ritters Wachsmuth versorgte. Der Junge erzählte ihm zwar von den Ereignissen, seine Worte konnten ihn aber nicht im Geringsten auf das vorbereiten, was ihn hier erwartete.

Konrad folgte dem Blick des alten Mannes und wunderte sich, seinen Bruder nicht mehr vor sich, auf dem Boden liegend vorzufinden. Jemand musste ihn fortgeschafft haben. In seiner Verzweiflung hatte er nichts davon mitbekommen. Mit steif gewordenen Armen presste er den Körper Antonias noch fester an sich. »Ich weiß nicht, was ich tun soll. Ich glaube ...« Er schluckte schwer. »Ich glaube, sie stirbt. Ich ...«

Jordan eilte zum Bett, um der ohnmächtigen Frau zu helfen, der er gemeinsam mit Josepha, dem alten Kräuterweib aus der Georgivorstadt, vor 21 Jahren auf die Welt geholfen hatte. Behutsam löste er Konrads festen Griff. »Lass sie los, mein Junge! Ich will mich um sie kümmern.« Die sanften Worte des Priesters schienen den Ritter nicht zu erreichen. »Konrad, lass sie los! So kann ich ihr nicht helfen.«

»Helfen? Was ...?« Als der junge Mann begriff, schüttelte er den Kopf, so als müsste er sich besinnen, wo er war. Vorsichtig bettete er den Körper Antonias in die weichen Kissen und trat einen Schritt von der Bettstatt zurück, um dem Ordenspriester Platz zu machen. Er sah dabei zu, wie Jordan den Umhang zur Seite schob und mit kundigen Händen die Verletzungen ausmachte.

»Hol mir Wasser und saubere Tücher!«

Konrad bewegte sich keinen Zoll. Er konnte das Zimmer nicht verlassen, nicht fort von ihr. Sie brauchte ihn jetzt.

»Lauf schon!« Der Priester glaubte zu wissen, was in ihm vor sich ging. »Sie benötigt deine Hilfe, also geh und besorge mir die Dinge, die ich dir aufgetragen habe!« Die letzten Worte, die er mit Nachdruck gesprochen hatten, bewirkten, dass Konrad sich auf dem Absatz umdrehte und eilig die Schlafkammer verlies.

Wenig später kehrte er mit den gewünschten Dingen zurück. Er stellte eine Schüssel mit heißem Wasser auf das Tischchen neben dem Bett und spähte vorbei an der Schulter des alten Priesters. Entsetzt über den Anblick, der sich ihm bot, sog er die Luft ein. Wenn er dieses Schwein nicht schon abgestochen hätte, dann würde Konrad es spätestens jetzt tun. Er ballte die Hände zu Fäusten und wünschte sich, den Kerl nicht so voreilig umgebracht zu haben. Ich hätte ihn leiden lassen sollen, ihn Stück für Stück auseinandernehmen. Das wäre die gerechte Strafe gewesen. Der schnelle Tod erschien ihm mittlerweile zu gnädig für dieses Ungeheuer.

Nervös trat er von einem Bein auf das andere. Am liebsten würde Konrad dem alten Priester das Tuch aus der Hand reißen, mit dem dieser das Blut von den Wunden an Antonias Beinen wusch. Nur mit Mühe konnte er an sich halten. Er glaubte, es keinen Moment länger ertragen zu können, dass ein anderer Mann – und sei er noch so alt und seit Jahren mit der Familie in tiefer Freundschaft verbunden – seine Frau berührte. Er musste irgendein missbilligendes Geräusch von sich gegeben haben, denn Bruder Jordan drehte sich zu ihm um. Konrad spürte den fragenden Blick des Priesters auf sich ruhen.

»Möchtest du mir etwas sagen, mein Junge?«

Der Ritter schämte sich für seine Gedankengänge, brachte es aber nicht über sich, dem Alten auch nur ein Wort darüber zu verlieren. Er starrte auf das Tuch und schwieg.

Jordan runzelte die Stirn. Als er begriff, zog er die Augenbrauen in die Höhe und überlegte einen Moment. »Könntest du mir behilflich sein? Ich würde die Kräuter für die Umschläge zerstoßen, während du deine Frau weiter wäscht?« Ohne eine Antwort abzuwarten, drückte er Konrad das nasse Tuch in die Hand und schob sich an ihm vorbei zu dem Korb, in dem er seine Arzneien aufbewahrte. Er öffnete ein Gläschen, roch daran und verschloss es wieder. Desgleichen verfuhr er so lange, bis er die gewünschten Kräuter beisammen hatte. Er mischte etwas Schafgarbe und Eisenkraut und bearbeitete beides solange mit dem Mörser, bis ein Brei entstanden war.

Währenddessen tupfte Konrad mit dem Tuch über die Schnittwunden auf Antonias Brust. Sie verliefen jeweils quer von der Außenseite bis zur Brustwarze und darum herum. Weitere Linien zogen sich von ihrer Scham bis zum Bauchnabel und entlang ihrer Oberschenkel. Es erschien ihm unvorstellbar, welche Schmerzen Antonia hatte erdulden müssen. Er verstand nicht, warum sie sich nicht gewehrt hatte, denn die Schnitte zeugten von einer Präzision, die nur ausführbar war, wenn sich das Opfer nicht bewegte. Warum in Gottes Namen hatte sie sich nicht gewehrt? So sanft wie möglich wusch er das Blut von den Beinen, als eine helle Masse vermischt mit einem Schwall dunkelroten Blutes aus ihrem Schoß hervorquoll. So entsetzt er war, konnte er doch den Blick nicht abwenden. Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit, bis er begriff, was soeben geschehen war. »Nein, nein, nein, nein, nein ...« Schluchzend fiel Konrad auf seine Knie, während Bruder Jordan erschrocken zu ihm eilte.

Der Ordensmann erkannte sofort, dass für die winzige Leibesfrucht jede Hilfe zu spät kam, fürchtete aber auch, dass die Blutung nicht zum Stillstand kommen könnte. Eilig lief er hinaus, um Joseph zu verständigen, damit er die Wehmutter aus der Viehgasse holte. Dann stieg er müde die Treppe wieder hinauf, um für Antonia und auch Konrad zu tun, was in seiner Macht lag. Dabei betete er ohne Unterlass. Doch selbst er haderte mit Gott. Warum Herr, ließest du dieses Unrecht zu? Haben die Kinder nicht schon genug erlitten? Oder ist das eine Prüfung, so wie du Hiob einst geprüft, ihm alles genommen hast?

Jordan unterbrach seinen stillen Monolog, als er Konrad nach wie vor an der Bettstatt kauern sah. Sein ganzer Körper erzitterte, während er weinte. Der Priester ging neben ihm in die Hocke und legte dem Ritter die Hand auf die bebende Schulter. »Willst du dich nicht ein wenig ausruhen? Der Tag war lang.«

Konrad schüttelte den Kopf. »Ich gehe nicht weg. Ich darf sie nicht wieder allein lassen. Ich muss ...«

»Mein Junge, du kannst dir nicht die Schuld ...«, für einen Augenblick fehlten ihm die Worte, »... an all dem hier geben.«

»Ich hätte bei ihr sein müssen, sie beschützen!« Gequält verbarg er das Gesicht hinter den geballten Fäusten. »Ich habe es geschworen! Was bin ich für ein Ritter, der nicht einmal die eigene Familie vor Unheil bewahren kann?« Seine Stimme triefte vor Selbsthass.

Jordan wusste, dass jede Antwort, die er Konrad jetzt gab, ihm in diesem Moment keinerlei Trost spenden würde. Er schwieg.

Wenig später traf Eva ein. Sie wurde vom Ordenspriester kurz unterrichtet, was sich zugetragen hatte. Stumm nickte sie und trat zu Antonia an die Bettstatt. Sie sah, was auch Konrad bereits erkannt hatte. Der geschundene, von roten und blauen Flecken übersäte Schoß der Edelfreien hatte die Leibesfrucht ausgestoßen. Vorsichtig wickelte die Wehmutter den winzigen Körper in ein Tuch und sprach ein Gebet. Für einen Moment überlegte Eva, wie sie jetzt vorgehen sollte. Totgeborene taufte man nicht. Ihre Seelen waren dazu verdammt, für immer im Fegefeuer zu schmoren. Das zumindest spiegelte den Standpunkt der Kirche wider. Aber hier ging es um den Seelenfrieden zweier Menschen, die Eva mehr als schätzte. Sie würden den Tod des armen Würmchens nie überwinden, wenn sie nicht glauben könnten, dass sie es eines Tages im Himmelreich wiedersehen werden. Sie atmete tief ein, blickte fragend zu Bruder Jordan, dann zu dem erschütterten Ritter und fasste ihren Entschluss. »Ein Sohn, mein Herr. Habt ihr einen Namen, damit er getauft werden kann?«

Der Ritter hob den Kopf und sah auf das Tuch in den Händen der Wehmutter. »Name? Wir haben nicht, ich meine wir ...« Er überlegte kurz. Ein Sohn? Welchen Namen hätten wir ihm gegeben? Wahrscheinlich hätten sie ihn nach Antonias verstorbenen Großvater, Hannes genannt. Aber dieses Kind war tot geboren, hatte keine Chance, dem Namen seines Urgroßvaters Ehre zu machen. Wie würde Antonia entscheiden? Es musste ein guter Name sein, einer, der dem Tod seines erstgeborenen Sohnes eine Bedeutung gab. Er überlegte fieberhaft, während er die Blicke der Wehmutter und des Priesters auf sich spürte. »Karl, ich nenne ihn Karl, nach meinem Vetter, der einen ebenso sinnlosen Tod gestorben war.«

Vor vielen Jahren war der Bursche dem Antoniusfeuer zum Opfer gefallen, genau wie Vaters Schwester, seine Base Griseldis.

Bruder Jordan trat an die Wehmutter heran, beträufelte das tote Kind mit Weihwasser und sprach gemeinsam mit ihr die Worte, die das Begräbnis und die Auferstehung Christi symbolisierten. Danach schlugen sie es wieder in das Tuch ein und betteten es an das Fußende der Bettstatt.

Eva musste sich nun um Antonia kümmern. Sie hatte aufgehört zu bluten, aber ihre Scham war geschwollen. Neben der feinen roten Linie zeichneten sich unter der Haut am Unterleib blaue Flecken ab, Zeichen des Martyriums, das die arme Frau durchlitten hatte. Sie spreizte die Beine der Edelfreien und untersuchte sie schnell und geschickt. »Der Schaden wird heilen. Es braucht nur Zeit.« Nach einem Blick auf den blutigen Stoff runzelte sie die Stirn. »Wir sollten sie umziehen und auf frische Laken betten.«

Gemeinsam machten sie sich ans Werk.

An Antonias Ohren drangen gedämpfte Stimmen, so als wäre sie mit ihrem Kopf unter Wasser. Sie versuchte, die Augen zu öffnen, was jedoch nicht gelang. Vorsichtig tastete sie mit den Händen über das Gesicht. Ihre Nase war auf die doppelte Größe angeschwollen. Sie schmerzte so sehr, dass sie gebrochen sein musste, was auch erklärte, warum sie so schlecht Luft bekam. Sie schien durch den offenen Mund geatmet zu haben, als sie schlief, denn ihre Kehle war staubtrocken.

Als Antonia sich zu den Augen vortastete, zuckte sie unter dem Schmerz der eigenen Berührung zusammen. Die Schwellung der Lider und der Wangen sorgte dafür, dass sie die Augen nicht einmal einen Spalt weit öffnen konnte. Ihre Lippe war an mehreren Stellen eingerissen. Mit Hilfe der Zunge betastete sie ihre Zähne, zwei wackelten, saßen aber noch im Kiefer, ein Eckzahn war abgebrochen.

Die junge Frau setzte die Bestandsaufnahme ihrer Verletzungen fort. Sie strich mit den Fingerkuppen über ihre Rippen und die brennenden Wunden an ihren Brüsten. Das würde heilen. Als sie jedoch die Handfläche auf ihren Unterleib legte, durchzuckte sie ein scharfer stechender Schmerz. Das Kind! Ein unmenschlicher Klagelaut entfuhr ihrer ausgedörrten Kehle. Antonia beweinte ihren Verlust, stellte sich ein wunderhübsches Kind vor, ein geschlechtsloses Wesen mit schwarzen Haaren, so wie Konrads, ein Kind, das sie nie liebevoll in die Arme würde schließen, nie würde aufwachsen sehen dürfen. Dieser Schmerz war unerträglich. Er fühlte sich an, als hätte man ihr das Herz herausgerissen. Diese Wunde konnte nicht heilen, niemals - solange sie lebte.

»Antonia?« Konrad, der die ganze Zeit neben dem Bett gewacht hatte, musste eingeschlafen sein. Er war von einem Geräusch erwacht, von dem er nicht wusste, ob er es geträumt oder es tatsächlich gehört hatte. Dunkelheit hüllte die Schlafkammer ein, so kohlrabenschwarz, dass er nicht einmal die eigene Hand vor den Augen sehen konnte. Aber er spürte, dass Antonia nicht mehr schlief. Langsam setzte er sich auf und tastete nach den Fingern seiner Frau. Er hörte, wie sie entsetzt die Luft einsog, und konnte nicht glauben, dass sie sich ihm entzog. »Antonia, ich bin es, hörst du? Du brauchst keine Angst zu haben.«

»Geh weg!«, krächzte sie.

Ihre Reaktion brach ihm das Herz. Nicht nur, dass sie wollte, dass er ging, nein auch die Schroffheit, mit der sie die Worte aussprach, traf ihn im Innersten. »Antonia ...«

»Geh! Ich will, dass du mich allein lässt ...«

»Mein Herz ...«

»Jetzt. Bitte! Ich kann nicht ...« Schluchzend drehte sie sich von ihm weg. Sie zog sich die Decke über die Schulter und drückte ihr brennendes Gesicht in die Kissen.

Wortlos erhob sich Konrad. Vor Kälte steif, schmerzte ihm jeder Muskel. Er konnte Antonia nicht sehen, stellte sich aber ihren Gesichtsausdruck vor, der Hass und Abscheu ausdrückte. Und sie tat Recht daran. Seine Aufgabe war es, sie zu beschützen. Das hatten sie sich als Kinder versprochen, als sie aus dem Elternhaus gerissen und auf die Burg bestellt wurden. Nun lag sie da, ihm ausgeliefert in ihrer Verletzlichkeit, und sie schickte ihn weg. Wie konnte er ihr helfen? Er musste sie halten, ihr zeigen, dass sie nicht allein trauerte. So stand er da und wartete auf ein Zeichen, eine Geste, dass sie es nicht so gemeint hatte. Er wünschte sich sehnlichst, dass sie sich zu ihm drehte und sich trösten ließ. Doch nichts geschah. Er war hin- und hergerissen, ihrem Wunsch nachzugeben oder bei ihr zu bleiben, bis sie erkannte, dass sie sich irrte. Seine Stimmung wechselte mit jedem Augenblick, der verstrich. Schließlich siegte sein Starrsinn. Er setzte sich auf den Boden neben dem Bett, zog den Umhang, in der er Antonia vor wenigen Stunden eingehüllt hatte, um sich herum und lehnte sich an das Holz, das sich eigenartig warm anfühlte. Der letzte Gedanke galt seiner Frau, bevor er in einen unruhigen, traumlosen Schlaf fiel.

Kapitel 2 – Krankenlager

Ein lautstarkes Wortgefecht drang an Konrads Ohren und weckte ihn. Mittlerweile war die Sonne aufgegangen, Vögel zwitscherten fröhliche Lieder und schienen ihn mit ihrem Gesang zu verhöhnen. Hier, im Inneren des Hauses, herrschten alles Andere als Frieden und Feierstimmung. Im Gegenteil, der Tod hatte seine hässliche Fratze gezeigt, ihm das Liebste genommen und tiefe Löcher im Herzen hinterlassen.

Schwere Stiefel donnerten die Treppe herauf, ein zweites Paar hinterher. Vor der Tür entspann sich ein heftiger Streit.

»Er wird hier gebraucht! Das habe ich Euch bereits gesagt.«

Konrad erkannte die Stimme seines Vaters.

»Ich handle auf den Befehl des Burgvogts«, antwortete eine tiefe Männerstimme, die der Ritter nicht zuordnen konnte.

Als die Tür aufgestoßen wurde, erhob er sich mit steifen Gliedern. »Was zum Teufel willst du hier?« Als er sah, dass die Augen des Wachmanns auf Antonia ruhten, stellte er sich breitbeinig vor den Kerl, um ihm die Sicht zu nehmen. Wütend ballte er die Hände zu Fäusten, jederzeit bereit, sein Gegenüber anzugreifen, für den Fall, dass es auch nur ein falsches Wort verlor.

Der Mann machte zumindest den Anschein, peinlich berührt zu sein, denn er blickte verlegen auf seine Stiefelspitzen, darauf zu Georg und dann wieder zu dem aufgebrachten Ritter. »Verzeihung, Herr, aber der Vogt hat mir aufgetragen ...«

»Das ist mir gleich. Ich werde mich keinen Zoll von hier fortbewegen. Meine Familie ist in Trauer.«

»Aber ...«

Ohne den Wachmann weiter zu beachten, drehte sich Konrad um und setzte sich an das Fußende des Bettes.

»Ihr habt es gehört, mein Sohn bleibt hier.« Georg wies dem Eindringling mit dem ausgestreckten Arm den Weg hinaus. Er sah dem Mann nach, der schnaubend seinem Unmut Luft machte und kopfschüttelnd das Zimmer verließ. »Das hat garantiert ein Nachspiel. Den Burgvogt zu verärgern, war gewiss keine gute Idee«, bemerkte Georg, während er sich nachdenklich durch die Bartstoppeln fuhr.

»Sei es drum. Ich gehe hier nicht eher weg, bevor wir nicht meinen Bruder und...« Seine Stimme brach, und er musste sich räuspern, ehe er weitersprach. »... meinen Sohn zu Grabe getragen haben. Außerdem braucht Antonia mich.« Konrad starrte auf die Decke, unter der sich der zartgliedrige Körper seiner Frau abzeichnete. Sie lag dort noch immer, mit abgewandtem Gesicht und angezogenen Knien in der gleichen Stellung wie in der Nacht. Als er mit der Hand über die Wolle strich, rührte sie sich nicht. Sie schlief tief und fest und hatte von dem Aufruhr nichts mitbekommen. Was in drei Teufels Namen hatte der Ordensmann ihr in den Trank gemischt?

»Du solltest mit herunterkommen. Einige Ratsmitglieder haben sich versammelt, um Klemens die letzte Ehre zu erweisen.« Georg betrachtete seinen Sohn nicht ohne eine Spur Wehmut. »Außerdem müssen wir in Erfahrung bringen, wer von unseren Freunden noch unter den Opfern des Überfalls auf die Burg zu suchen ist. Ich habe seit gestern Abend keine Neuigkeiten mehr gehört.«

Konrad schüttelte starrsinnig den Kopf. »Ich gehe hier nicht weg.«

Georg kannte seinen Sohn und wusste genau, was in ihm vorging. Er trat auf ihn zu und legte ihm die Hand auf die Schulter. »Junge, du kannst ihr hier und jetzt nicht helfen. Sie wird Zeit brauchen, bis sie sich erholt. Aber Antonia ist eine starke Frau. Das weißt du besser als ich. Frage dich, ob sie wollen würde, dass du hier an ihrem Krankenbett vor Mitleid zerfließt oder ob sie sich nicht viel mehr wünschte, dass du dort zupackst, wo es nötig ist. Du bist Ritter des Truchsess.«

»Eben! Deswegen durfte ich mich in all das, was gestern hier passiert ist, gar nicht einmischen. Die Burg mit all seinen Wachmannen untersteht dem König und nicht dem Landgrafen. Es ist seine Pflicht, in Mühlhausen für Recht und Ordnung zu sorgen.« Mit vor Wut funkelnden Augen sah er seinen Vater an.

Georg warf den Kopf in den Nacken und lachte höhnisch. »Dann sag mir, von welchem König du sprichst, mein Sohn. So langsam verliere ich nämlich den Überblick!«

So aufgebracht hatte Konrad seinen Vater selten erlebt. Im Grunde genommen hatte er Recht. Seit der Ritter im Januar mit ansehen musste, wie sein König, Wilhelm von Holland, in der Schlacht bei Hoogwoud sein Leben gelassen hatte, war die Ordnung in den deutschen Landen vollkommen zerstört. Wenn man es genau nahm, galt das schon, als Konrad von Hohenstaufen zwei Jahre zuvor starb. Die Stauferherrschaft endete mit dessen Tod. Konradin, der Sohn des letzten Stauferkönigs, war zu dieser Zeit noch unmündig und konnte seinem Vater nicht in das hohe Amt folgen. Der vom Papst protegierte Wilhelm von Holland stellte gewiss nicht die schlechteste Wahl dar, wenn man die Alternativen bedachte. Nun war auch er tot, gefallen in einem sinnlosen Gemetzel.

Georg beobachtete das Mienenspiel auf dem Gesicht seines Sohnes. »Wir können Bruder Jordan bitten, weiter nach Antonia zu sehen. Dann kannst du deinen Freunden helfen. Soweit ich gehört habe, liegt Wachsmuth auf den Tod verwundet im Antoniushospital. Du solltest nach ihm sehen, derweil ich mich um die Vorbereitungen für die Bestattung kümmere. Ich werde dafür sorgen, dass auch das Kind in geweihter Erde begraben wird. Jordan meinte, dass er es gemeinsam mit der Wehmutter getauft hat.«

»Ich habe ihn Karl genannt.«

»Ein guter Name ...« Georg seufzte. Seine Schwester Griseldis hatte einst ihrem Sohn diesen Namen gegeben. Als er sah, dass Konrad noch immer keine Anstalten unternahm, das Zimmer zu verlassen, trat er einen Schritt auf ihn zu, legte ihm den Arm um die Schultern und schob ihn sanft in Richtung Tür. »Sieh nach deinem Freund! Bedenke, du warst einst sein Knappe. Er hat dich in seine Familie aufgenommen, dich und Antonia auf der Burg beschützt. Du schuldest es ihm.«

Die Worte verfehlten ihre Wirkung nicht. Konrad sah ein letztes Mal in Richtung Bettstatt. »Ich werde nicht lange weg sein, mein Herz. Das verspreche ich Dir.« In der Hoffnung, dass Antonia ihn gehört hatte, folgte er seinem Vater nach draußen.

Keine Wachen? Das verwunderte den Ritter. Auf dem Hof des Antoniushospitals herrschte hektische Betriebsamkeit. Ein Gestank aus der Mischung von Schweiß, Blut, Eiter und Pisse drang in seine Nase, noch bevor er ausmachen konnte, woher dieser kam. Mönche in weißen Kutten eilten an ihm vorbei, beachteten ihn gar nicht. Menschen saßen überall verteilt auf dem Boden, einige schliefen, andere weinten, wieder andere stöhnten vor Schmerzen. Konrad ignorierte den Anblick der Verletzten und hielt einen Ordensbruder, der mit einem gefüllten Wasserbottich an ihm vorbei lief, an der Kutte fest. »Bruder Jordan?«

Der Geistliche ließ sich von der hünenhaften Gestalt des Ritters und dessen barschen Ton nicht irritieren. Er hatte keine Zeit, sich weiter mit ihm zu beschäftigen, und deutete quer über den Hof. »Im Refektorium habe ich ihn zuletzt gesehen. Versucht da Euer Glück!« Ohne Konrad weiter zu beachten, eilte er davon.

Der Ritter kannte den Weg in den Speisesaal der Mönche, war er ihn als Kind doch oft genug gegangen, um Antonia aus dem Hospital abzuholen, die gemeinsam mit Bruder Jordan jedes verdammte Tier mit einer Verwundung gesund pflegte. Er betrat das Haus, dessen Keller die Küche beherbergte, lief an der Treppe, die nach unten führte, vorbei und hielt geradeaus auf das Refektorium zu. Konrad stieß die Tür auf und betrat den Raum, dessen Wände weiß gekalkt waren und dessen einzige Zierde ein großes Holzkreuz darstellte. Von ebensolcher Schlichtheit zeugte auch die Einrichtung. Lange Eichenholzbänke standen auf beiden Seiten der gleichermaßen gezimmerten Holztische. An einem von ihnen entdeckte er Bruder Jordan. Als er auf ihn zutrat, sah er, dass der Ordensbruder den Kopf auf den Arm gebettet, neben seinem Morgenmahl eingeschlafen war. Ein Kanten Brot, ein Stück Wurst und eine dicke Scheibe Käse lagen unberührt auf dem Teller vor ihm. Vorsichtig, nicht ohne einen Hauch Mitleid, weckte er den alten Priester, dessen dunkle Augenringe von den Strapazen der letzten Tage zeugten.

Dennoch brachte der Mann ein Lächeln zustande, als er den hochgewachsenen Ritter vor sich stehen sah, den er seit dem Tag kannte, an dem seine Mutter Antonia aufgenommen und sie neben ihn in die Wiege gelegt hatte. »Konrad, was führt dich her?«

»Ich wollte dich bitten, ein weiteres Mal nach meiner Frau zu sehen. Sie schläft noch immer und rührt sich keinen Zoll. Außerdem möchte ich mich nach Wachsmuth erkundigen.«

Ein Schatten huschte über das Gesicht des Priesters. »Ich habe vor dem Frühmahl nach ihm gesehen. Es geht ihm weder schlechter noch besser. Die Wunde ist tief.«

»Kann ich zu ihm?«

»Gewiss.« Auf dem Weg in den Krankensaal erzählte Jordan ihm, dass er einige Kräuter in Antonias Trank getan hatte, die den Schlaf fördern. »Das ist im Moment die beste Medizin.«

Konrad blieb mitten auf dem Flur stehen, sodass sich der Ordensmann, der vorangegangen war, um dem Ritter den Weg zu weisen, überrascht umdrehte. »Sie hat mich weggeschickt. Sie will nicht, dass ich bei ihr bin ...« Etwas leiser murmelte er: »... will nicht einmal, dass ich sie berühre.«

Bruder Jordan runzelte die Stirn. Er betrachtete Konrad und suchte nach tröstenden Worten. »Junge, manches Mal bist du ein ausgewachsener Holzkopf!« Ein jedes Wort zur rechten Zeit, so dachte er. »Die letzten Berührungen, die deine Frau erfahren hat, waren die eines fremden Mannes, der sie sich gewaltsam zu Willen gemacht hat. Was erwartest du denn? Dass sie sich schluchzend von dir in die Arme nehmen und trösten lässt?« Er drehte sich wieder um und lief in Richtung Krankensaal. Dabei murmelte er kopfschüttelnd Flüche über wenig einfühlsame, hohlköpfige Rittersleute vor sich hin.

Konrad folgte ihm, während er in Gedanken den Worten Jordans nachhing. Er fühlte sich zunehmend unwohler. Wahrscheinlich lag das am Geruch, der schwer in der Luft hing und mit jedem Schritt zunahm, dem er sich dem Krankensaal näherte. Es roch durchdringend nach einer Mischung aus verbranntem Fleisch, Schweiß, Scheiße und Ausdünstungen, die der Ritter nicht zuordnen konnte. Mit größter Willenskraft unterdrückte er den Würgereiz, der ihm aufkam, als er das Krankenzimmer nach Bruder Jordan betrat. Ein markerschütternder Schrei riss ihn aus seinen Grübeleien. Einer der Laienbrüder lief eilig mit einer amputierten Gliedmaße an ihm vorbei, die nur noch entfernt an ein Bein erinnerte, während sich die Ordenspriester daran machten, den Stumpf mit heißen Brenneisen zu bearbeiten, um so die Blutung zu stoppen. Der Geruch erinnerte Konrad an den Duft von leckerem Wildbret, dessen Fett ins Lagerfeuer tropfte und den Flammen noch köstlichere Aromen entlockte. Ein erneuter Schrei bezeugte jedoch, dass hier das Fleisch eines Menschen verbrannte. Der bittere Geschmack von Galle kroch ihm im Hals herauf. Vor seinem inneren Auge sah der Ritter das Schlachtfeld von Hoogwoud vor sich, hörte Kameraden schreien, sah wiehernde, panisch um sich tretende Pferde mit weit aufgerissenen Augen ins Eis einbrechen und gemeinsam mit den Reitern in ihren schweren Rüstungen unerbittlich in den eisigen Fluten versinken, während andere von den Friesen attackiert und niedergemetzelt wurden.

»Konrad! Junge ...«

Erst als Bruder Jordan ihn am Arm berührte, fand der Ritter ins Hier und Jetzt zurück. Der besorgte Blick des Alten sprach Bände. Der Schlachtenlärm in seinem Kopf wich dem so typischen Gemisch aus leisem Murmeln, Stöhnen und Schnarchen in einem Krankensaal. Konrad wischte sich die Schweißperlen von der Stirn. Für derlei Befindlichkeiten war jetzt keine Zeit. Eiligen Schrittes durchmaß er den Raum und beugte sich über das Lager seines väterlichen Freundes. Dessen leuchtend rotes Haar klebte ihm feucht an dem erschreckend bleichen Gesicht. Unter seinen Lidern bewegten sich die Augäpfel unruhig hin und her. Die Wangen des stattlichen Ritters waren eingefallen, sodass die Konturen seiner Wangenknochen unnatürlich scharf hervortraten. Erst auf den zweiten Blick erfasste Konrad, dass der Bart seines Freundes nicht mehr da war. Fragend sah er zu Bruder Jordan auf.

»Wir mussten ihn rasieren. Er hat sich fortwährend erbrochen und die ...«, er überlegte kurz, »... Körpersäfte ließen sich schlecht entfernen.«

Konrad überraschte es nicht, dass der Alte ihm die ungestellte Frage beantwortete, kannte er ihn doch von Kindesbeinen an. »Ich bin überzeugt, dass du und die anderen Brüder alles getan habt, um ihm zu helfen.«

»Gewiss. Nur vermag ich es nicht zu sagen, ob der Herr ihn in seiner unendlichen Güte zu sich nehmen wird oder noch eine Weile auf Erden verweilen lässt.« Damit hatte der Ordenspriester auch die zweite unausgesprochene Frage des vor ihm knienden Ritters beantwortet. »Leiste ihm ein wenig Gesellschaft! Ich bin sicher, er spürt, dass du da bist. Derweil werde ich noch einmal nach Antonia sehen.«

Konrad nickte, ohne den Blick von seinem Freund abzuwenden. Er ergriff das Tuch, das über dem Rand einer Schüssel neben dem Kopfende des Lagers hing, tauchte es in das kühle Nass, wrang es aus und legte es behutsam auf die Stirn des Kranken. »Komm schon, Mann, du musst wieder gesund werden. Du und Lucas, ihr seid meine Waffenbrüder ..., meine Familie.«

Unruhig warf Wachsmuth den Kopf hin und her, sodass ihm das Tuch vom Gesicht rutschte.

Geduldig befeuchtete Konrad es erneut und platzierte es abermals auf die Stirn seines Freundes. Dabei ignorierte er die hektische Betriebsamkeit und das Stöhnen und Schreien um sich herum. In Gedanken durchlebte er all die gemeinsamen Augenblicke, die er mit Wachsmuth erlebt hatte, seit dem Tag, als er das erste Mal die Burg zu Mühlhausen betreten hatte. Er erinnerte sich daran, wie er dem rothaarigen, untersetzten Ritter und dessen Gemahlin am Martinstag vor dreizehn Jahren begegnete. Damals wurde ihm, als gefeierten Helden der Stadt, die Ehre zuteil, als Knappe in die Dienste des Burgmarschalls zu treten, eine Tatsache, die sein Leben und das seiner Ziehschwester für immer verändert hatte. Wachsmuth und Walburga hatte er es zu verdanken, dass Antonia nicht in eine Anstellung bei der Dame Edelgund gepresst wurde. Ein Schauder erfasste ihn. Nicht auszudenken, was geschehen wäre, wenn die beiden herzensguten Menschen sich nicht schützend vor sie gestellt hätten. Konrad erinnerte sich an den Moment, als er Lucas Nachfolge als Knappe des Ritters Wachsmuth angetreten hatte, an den väterlichen Stolz in den Augen des Mannes, als er seine Schwertleite erhielt und an so viele Augenblicke, in denen sie Seite an Seite Kämpfe ausgefochten hatten. Er konnte es sich nicht vorstellen, wie es wäre, wenn dieser Bär von einem Mann mit seiner tiefen, sonoren Stimme und dem freundlichen Lächeln starb. Er hatte viele Kameraden verloren, Männer, die er im weitesten Sinne als Freunde bezeichnen würde, im Kampf, aber auch am Rande des Schlachtfeldes, elendig krepiert an irgendeiner Seuche, die in den Lagern grassierte. Er konnte und wollte sich nicht vorstellen, dass es Wachsmuth nun ebenso erging.

Als er dem Ritter das feuchte, warme Tuch von der Stirn nahm, blinzelte der Kranke gegen das grelle Licht an. Aufgeregt beugte sich Konrad über seinen Freund. »Ja, Mann, mach die Augen auf! Es wird Zeit. Du hast lange genug auf deiner faulen Haut gelegen.« Er sah, dass Wachsmuth etwas sagen wollte, konnte ihn aber nicht verstehen. Eilig füllte er einen Becher mit Wasser und hielt ihn dem Kranken an den Mund. »Trink! Danach wird es dir gleich besser gehen.«

Wachsmuth trank zunächst einen kleinen Schluck, dann noch einen. Als er den Becher erneut ansetzte, verschluckte er sich, bäumte sich auf und hustete sich die Seele aus dem Leib. Mit schmerzverzerrtem Gesicht und völlig erschöpft ließ er sich zurück auf sein Lager fallen.

Konrad dachte, dass sein Freund wieder eingeschlafen sei, als der plötzlich die fieberglänzenden Augen aufriss.

»Walburga! Wo ist Walburga? Sie soll herkommen!« Der Verletzte unternahm einen erneuten Versuch, sich aufzurichten, wurde aber von Konrad sanft wieder in die Kissen gedrückt. Walburga war tot, umgekommen bei dem Sturm auf die Burg. Konnte Wachsmuth das vergessen haben? Der junge Ritter entschied, dass jetzt nicht der richtige Zeitpunkt war, dass Gedächtnis seines Freundes aufzufrischen. »Ich werde sie holen. In der Zwischenzeit ruhst du dich aus und siehst zu, dass du wieder zu Kräften kommst!«

Als Konrad in seinem Elternhaus eintraf, füllten unzählige Menschen den Hof und die gute Stube. Alle waren sie gekommen, um Klemens auf der Totenwache die letzte Ehre zu erweisen. Während die meisten von ihnen kamen und gingen, blieben die Ratsmitglieder und versammelten sich in der Küche um den großen Eichentisch. Jedem Einzelnen war die Erschöpfung der vergangenen Stunden anzusehen. Steinmetzmeister Reinhard und der Kistner Gerald trugen sogar noch die von Ruß bedeckten Umhänge.

Konrad konnte den Anblick der traurigen Gesichter nicht ertragen. Er machte auf dem Absatz kehrt und lief hinaus. Ruhe, Frieden, ja, das war es, was er jetzt brauchte. Wie soll er bei diesem Trubel auch nur einen klaren Gedanken fassen? Wieder auf dem Hof angekommen, wandte er sich zum Tor. Doch die Holzgasse glich ebenfalls einem Ameisenhaufen. Menschen eilten hektisch hin und her, Karren mit Verwundeten polterten über die mit Holzbohlen belegte Gasse. Eine Menschentraube hatte sich vor der Kirche der Jungfrau Maria versammelt. Sie würden beim Gottesdienst für die Heilung ihrer Lieben und die Aufnahme der Verstorbenen ins Himmelreich bitten. Gemeinsam trauernd fanden sie in der Gemeinschaft Trost und Halt. Wut keimte bei dem Anblick in Konrad auf und fraß sich durch seinen Körper wie ein Feuer durch getrocknetes Laub. Sollten sie doch beten. Was würde es ihnen bringen? Die Toten standen nicht mehr auf. Sie rissen ein Loch in das Herz ihrer Familien, das nichts und niemand wieder würde füllen können. Das brennende Gefühl der Wut wich schlagartig dem einer bleiernen Müdigkeit. Erschöpft wandte er sich dem Garten zu, schob mühsam einen Fuß vor den anderen über den mit unebenen Steinen gepflasterten, schmalen Weg. Suchend glitt sein Blick entlang der kahlen Beete und blieb an der Weide hängen, in deren Ästen er mit seinem Vetter und Antonia als Kind so oft herumgeklettert waren. Er lief darauf zu, ließ einen blätterlosen Zweig durch seine Finger gleiten und rief sich die zahlreichen Erinnerungen aus Kindertagen ins Gedächtnis. Damals war alles so einfach. Karl und er kämpften mit Holzschwertern gegen imaginäre Feinde, retteten die holde Jungfrau aus den Fängen des Bösen und träumten davon, ruhmreiche Ritter zu werden. Was war aus all diesen verklärten Träumen geworden? Konrad barg sein Gesicht in den Händen. Was sollte er nur tun? Sein kleiner Bruder war tot, gemeuchelt von dem Mann, der sich an Antonia vergangen und sein ungeborenes Kind getötet hatte. Nichts, was er unternahm, konnte dieses Unglück ungeschehen machen. Das Geräusch von auf Stein schleifendem Metall drang an seine Ohren. Als er aufsah, setzte sein Herzschlag für einen Moment aus. Hastig sprang er auf und eilte auf Agnes zu, die sein Langschwert hinter sich herzog. Er ging vor ihr in die Hocke. »Liebes, was machst du mit meinem Schwert?« Er löste die kleinen Fingerchen vom Griff der Waffe und legte sie neben ihr ab. Trotzig schob die Dreijährige ihre Unterlippe nach vorn. »Ich mache die bösen Menschen tot.«

»Aber Agnes, du bist doch ein kleines Mädchen.«

»Nein, ich bin ein Ritter!«

Konrad zog seine Tochter zu sich heran. »Liebling, du kannst kein Ritter sein.«

Die Kleine verschränkte die Arme vor der Brust und schaute finster drein. »Doch!«

Seufzend streichelte er seiner Tochter über die dunklen Locken. »In Ordnung. Aber Ritter müssen jeden Tag stundenlang das Kämpfen üben. Du kannst nicht einfach mein Schwert nehmen und losziehen.« Er griff nach Agnes Hand und bückte sich, um sein Langschwert aufzuheben. »Weißt du was? Wir gehen jetzt hinein und sehen erst einmal nach Mami. Dann überlegen wir uns, wie wir einen Ritter aus dir machen.«

Die Züge der Kleinen glätteten sich. Sie löste die Finger aus dem Griff ihres Vaters, hüpfte auf dem Gartenweg in Richtung Haus und sang dabei in endloser Abfolge »Agnes wird ein Ritter« vor sich hin.

Ein Lächeln stahl sich auf Konrads Gesicht. Er konnte nicht stolzer auf seine Tochter sein als in diesem Moment. Sie sorgte dafür, dass sein Herz, das von Dunkelheit erfüllt war, nicht vollständig brach. Für sie musste er jetzt stark sein, für sie und Antonia. Sie symbolisierten die Zukunft. Für sie würde er kämpfen bis zum letzten Atemzug.

Kapitel 3 – Wende

Vier Tage war es her, dass die Totenwache im Haus der Fuhrleute abgehalten worden war, drei seit der Beerdigung von Klemens und dem zu früh geborenen Kind. Die beiden wurden auf dem Kirchhof der Divi-Blasii-Kirche in die geweihte Erde gebettet, in der auch Agnes ruhte.

Antonia bekam von all dem nichts mit. Sie fieberte seit dem Abend nach der vorzeitigen Niederkunft und glitt von einem Fiebertraum in den nächsten. Bruder Jordan hatte alle Hände voll damit zu tun, ihr kalte Tücher um die Waden zu wickeln und schluckweise Wasser einzuflößen, wenn sie nicht schlief. Unterstützung erhielt er dabei von Eva.

»Sollte das Fieber nicht langsam vergehen?« Stirnrunzelnd wusch die Wehmutter aus der Viehgasse den Rücken der Edelfreien, derweil der Ordenspriester sie auf die Seite gedreht in dieser Position hielt.

»Ich hoffe es. Lange hält ihr zarter Körper das nicht mehr durch. Sie ist schon jetzt bis auf die Knochen abgemagert. Wenn sie nicht bald wieder isst und trinkt, fürchte ich das Schlimmste.« Verzweiflung klang in seiner Stimme mit.

Eva nickte nur. Sie war zu demselben Schluss gekommen. »Wir müssen es ihrem Gatten sagen. Er sollte sich vorbereiten können, für den Fall ...«

»... das übernehme ich. Ich kenne die beiden seit ihrer Geburt. Habe ich dir schon einmal davon erzählt, wie Antonia in diese Familie kam?« Seufzend strich er das Nachtgewand über den Oberkörper der jungen Frau und drehte sie zurück auf den Rücken.

Lächelnd nickte die Wehmutter. »Ja, Vater, es ist eine Eurer schönsten Geschichten. Ich mag es, wenn Ihr davon erzählt, wie die alte Josepha das Mädchen in aller Selbstverständlichkeit die Wiege gelegt hat.«

Bei dem Gedanken an diesen Moment vertieften sich die Falten um die Augen des Mannes und ein strahlendes Lächeln erhellte sein Gesicht. »Ist es zu glauben, dass dies fast auf den Tag genau 21 Jahre her sein soll? Die Zeit verrinnt. Kaum, dass man das Licht dieser Erde erblickt, tut man schon wieder seinen letzten Atemzug. Ich habe so viele sterben sehen, dass es für drei Leben reicht.« Bruder Jordan strich Antonia liebevoll das feuchte Haar aus der Stirn und seufzte erneut. »Ich werde mit Konrad reden. Bleibst du solange bei ihr?« Ohne die Antwort abzuwarten, trat der Ordenspriester zur Tür hinaus, die Last des Wissens um das Unvermeidliche auf den Schultern, um die schlechte Botschaft zu überbringen. Es brauchte ein Wunder, damit das arme Kind die Nacht übersteht. Langsam stieg er die Treppen hinunter, folgte dem Duft des Abendmahls und fand sich wenig später am Küchentisch vor einem Krug Bier sitzend wieder.

Konrad hatte es sich nicht nehmen lassen, dem Ordensmann persönlich einzuschenken, bevor er sich auf dem Schemel an der gegenüberliegenden Seite des Tisches niederließ. »Ich sehe es dir an. Heraus mit der Sprache! Die Nachricht wird nicht besser, wenn du sie in schöne Worte packst.«

»Wie recht du hast, mein Junge. Ich wünschte nur, es wären bessere Neuigkeiten. Ehrlich gesagt, weiß ich nicht, ob Antonia die kommende Nacht überlebt. Das Fieber hat alle Kraft aus ihrem Körper gebrannt, dass ich das Schlimmste fürchte.« Müde strich er sich über das schüttere Haar, das die Tonsur wie vertrocknetes Gras umrandete.

Der Ritter saß stocksteif und kerzengerade auf seinem Stuhl, die Hände zu Fäusten geballt, sodass das Weiß der Knöchel hervortrat. Er hörte die Worte des Ordenspriesters zwar, konnte aber nicht glauben, dass der hier von seiner Frau sprach. Es fühlte sich so an, als würde der Mann von dem Weib eines Anderen reden, nicht von seiner Antonia. Und doch hatte er es erwartet, andererseits auch wieder nicht. Eine Flut unterschiedlicher Gedanken und Empfindungen übermannte ihn. Das Gefühl, als würde etwas seine Kehle zuschnüren, raubte dem Ritter den Atem. Hektisch schnappte er nach Luft. Das konnte, nein, das durfte alles nicht wahr sein! Konrad sprang auf, stieß dabei den Hocker um. Wütend schaute er darauf hinab, bevor er mit voller Wucht mit dem Stiefel dagegen trat. Polternd krachte das Möbelstück gegen die Wand. Entsetzt über sein Verhalten durchmaß er die Küche, hob den Schemel vorsichtig auf, um ihn wieder an die übliche Stelle zu niederzustellen, den Platz, auf dem Antonia für gewöhnlich saß. Erneut und mit voller Wucht loderte der Zorn wie ein zerstörerisches Feuer durch seinen Körper. Der Ritter war so wütend wie noch nie zuvor. Er hob den Stuhl in die Höhe, schlug ihn krachend auf die Tischplatte, wieder und wieder, bis er zersplitterte. Schwer atmend und zitternd starrte Konrad auf das Holz in seiner Hand, bevor er langsam die Finger öffnete, das Stuhlbein fallen ließ und schreiend daneben zu Boden ging. Er umfasste seine Knie, legte die Stirn darauf. Eine Welle von Hilflosigkeit schlug vernichtend über ihm zusammen. »Ich weiß nicht ..., ich kann nicht, ...«, murmelte Konrad ohne Unterlass, während er sich vor und zurück wiegte. Als er die Hand des Ordenspriesters auf seiner Schulter spürte, hielt er inne, atmete mehrmals tief durch und versuchte, wieder Herr seiner selbst zu werden. »Was kann ich tun? Gibt es irgendetwas, womit ich ihr helfen kann?«

Das Flehen in der Stimme des Ritters berührte Jordan zutiefst. Er legte die runzlige, vom Wetter gegerbte Hand auf die seines Gegenübers. »Geh zu ihr, rede mit hier! Erzähl ihr von den Dingen, für die es wichtig ist, weiter zu leben! Halte sie im Hier und Jetzt! Ich werde mich unterdessen an unseren Herrgott wenden und ihn um ein Einsehen bitten.«

»Gott? Gott hat mich schon vor langer Zeit verlassen.« Verächtlich schleuderte Konrad dem Alten die Worte entgegen.

Ächzend ging Bruder Jordan vor dem Ritter in die Knie. »Der Herr ist überall. Er hat dich nicht verlassen, mein Sohn. Wie sollte er auch, liebt er doch jedes Einzelne seiner Geschöpfe.«

Mich nicht, schoss es Konrad durch den Kopf. Es war müßig, dies im Moment zu diskutieren, gab es doch Wichtigeres zu tun. Zittrig erhob er sich. Wie von einem unsichtbaren Band gezogen, trieb es ihn die Treppe hinauf. Dabei achtete er nicht auf Mathilde, die mit vor Angst aufgerissenen Augen hinter der Küchentür stand und sich bisher nicht getraut hatte, die Küche zu betreten, um das Abendessen weiter zuzubereiten. Er nahm auch keine Notiz von seinem Vater, der bei dem Krach, den sein Sohn verursacht hatte, aus dem Garten geeilt kam und nun, den Türknauf der Eingangstür in der Hand, zusah, wie Konrad die Treppe hinauf stieg. Der Ritter öffnete die Tür zur Schlafkammer leise. Den Blick auf Antonia gebannt, trat er an die Bettstatt. Sie wirkte so zart und zerbrechlich. Das schweißnasse Haar klebte ihr an Gesicht und Hals. Die Decke lag zerwühlt zu ihren Füßen. Das feuchte Nachtgewand verbarg nichts. Jede einzelne Rippe und die von dunklen Höfen umrandeten Brustwarzen zeichneten sich darunter ab. Unruhig warf sie sich hin und her. Dabei verrutschten die Wickel an den Beinen.

Hinter ihm wurde die Tür geöffnet. Eva, die einen Eimer kalten Wassers geholt hatte, kam herein. Sie goss den Inhalt in die Schüssel, tauchte Tücher hinein. Als sie mit den nassen Wickeln an das Bett trat, wurde sie von Konrad aufgehalten.

Wortlos nahm er ihr den Stoff aus der Hand und schickte sich an, die Wadenwickel selbst zu erneuern. Dann zog er sich die Stiefel aus und legte sich neben seine Frau, derweil die Wehmutter sich leise zurückzog. Er rückte näher an Antonia heran und betrachtete die blassen Gesichtszüge in der langsam aufziehenden Dämmerung. Ihre tief in die Höhlen gesunkenen Augen wurden von schwarzen Ringen umrandet. Die leichte Röte auf den eingefallenen Wangen zeugte von dem Fieber, das immer noch in ihr wütete. Die trockenen, spröden Lippen bettelten lautlos nach Wasser. Der Anblick seiner Frau ließ ihm das Blut in den Adern gefrieren. Was würde er tun, sollte Bruder Jordan Recht behalten? Was, wenn Antonia in dieser Nacht starb? Konrad war sich sicher, dass er dies nicht überleben würde. Er konnte nicht ohne sie sein, denn sie waren eins und das nicht erst seit ihrer Heirat, sondern bereits ab dem Tag ihrer Geburt, dem Moment, als sie in diese Familie kam. Ein Schluchzen quälte sich aus seiner Kehle. »Bitte, mein Herz, lebe weiter! Lebe für mich und für Agnes!« Er zog Antonia dicht an sich heran, legte das Kinn auf ihren Kopf, umschloss sie mit seinen Armen und weinte endlich all die Tränen, die er bisher stur zurückgehalten hatte.

Als Konrad das nächste Mal seine Augen öffnete, drang das trübe Tageslicht eines verregneten Aprilmorgens durch die Ritzen der Fensterleder. Er hatte die Nacht durchgeschlafen. Immer noch hielt er Antonia an sich gedrückt, so als wäre er dadurch in der Lage, sie am Leben zu erhalten. Die Hitze war aus ihrem Körper gewichen. Sie fühlte sich kalt an. Erschrocken setzte er sich auf. Sie würde doch nicht ...

Vorsichtig tastete er nach dem Echo des Herzschlags an ihrem Hals. Ein erleichtertes Schluchzen drang ihm aus dem Mund, als er das Pulsieren unter den Fingerspitzen fühlte. Ein Hochgefühl ungeahnten Ausmaßes breitete sich in seinem Körper aus. Hastig griff er nach den Stiefeln, zog sie über die Beinlinge und polterte die Treppe hinunter. Er riss die Küchentür auf. »Sie lebt! Sie ...« Die letzten Worte blieben ihm im Halse stecken. Er konnte nicht überraschter sein als in diesem Moment. Die Dame von Mehler, Antonias Großmutter, saß neben seinem Vater, einen Krug Würzwein in den Händen. Er hatte ihr Eintreffen im Haus der Fuhrleute nicht mitbekommen. Nach kurzer Verwirrung verbeugte er sich höflich vor Hiltrud. Dann platzte er erneut mit den guten Nachrichten heraus. »Sie lebt! Das Fieber ist gewichen.« Trotz der Nachtruhe erschöpft, ließ er sich langsam auf einen Stuhl sinken.

Georg schob Konrad seinen Becher entgegen. »Das sind wahrlich gute Neuigkeiten, mein Sohn.«

»Wir sollten, wenn Antonia kräftig genug ist, nach Mehler aufbrechen. Hier in Mühlhausen ist man ja seines Lebens nicht mehr sicher.« Hiltrud wirkte entsetzt. »Überall lungern Tagediebe herum, plündern die niedergerissenen Höfe auf dem Gelände der Burg. Zwei von ihnen haben sogar die Frechheit besessen, meine Kutsche anzuhalten. Stell dir das mal vor! Wenn Gernulf nicht gewesen wäre, wer weiß, was alles hätte passieren können.«

Georg legte die Hand zur Beruhigung auf den Arm der Dame von Mehler. »Es ist gut, dass Ihr den Wachmann mit Euch genommen habt.« Müde strich sich der Fuhrmann die Haare hinter das Ohr. »Ich kann selbst nicht begreifen, was hier geschehen ist. Das halbe Kilianiiviertel wurde zu einem Raub der Flammen, die Tat eines Einzelnen sorgte dafür, dass sich die Bürgerschaft gegen die Ministerialen der Stadt und die Burg wandte. So viele sind gefallen in diesem sinnlosen Gemetzel. Verflucht sei Hermann von Hagen! Wäre er nicht gewesen, dann würde mein Klemens ...« Die Augen Georgs füllten sich mit Tränen.

Nun war es an Hiltrud, dem Fuhrmann Trost zu spenden. »Es tut mir so leid für Euch wegen Eures Sohnes. Er war ein tapferer junger Mann. Ist es denn sicher, dass dieser von Hagen das Feuer gelegt hat oder nutzte er nur die Gunst der Stunde, um durch die allgemeine Verwirrung, die beim Löschen entstanden ist, der Tochter des Goldschmieds habhaft zu werden?« Sie benutzte die förmliche Anrede, die einem Bürgerlichen eigentlich nicht zustand. Doch sie hatte Hochachtung vor ihm und vor dem, was er in seinem Leben geleistet hatte, und sie schuldete ihm Dank dafür, dass er ihre Enkeltochter aufgenommen und mit all der Liebe bedacht hatte, die sie ihr nicht hatte geben können, weil sie von der Existenz Antonias nichts ahnte.

Georg sackte in sich zusammen und brachte kein Wort hervor. Was sollte er auch sagen? Niemand wusste, welche Umstände zu dem Brand geführt hatten. Dennoch stand fest, dass er zuhause gewesen wäre, ebenso wie Konrad, wenn das Feuer im Kilianiiviertel nicht gewütet hätte. Sie hätten Antonia beschützen können und Klemens. Der Fuhrmann nickte traurig und nahm den Gedanken Hiltruds wieder auf. »Ja, Klemens war tapfer. Er ...«

Konrad stellte den leer getrunkenen Becher krachend auf den Tisch. »Und was hat ihm das genützt? Er ist tot!«

»Junge!« Kreidebleich, entsetzt über Konrads Ausbruch sprang der Fuhrmann auf.

Hiltrud ergriff dessen Arm. »Schon gut, ich verstehe ihn. Dennoch sollten wir uns den Lebenden zuwenden und überlegen, was wir in Zukunft tun können. Was haltet ihr davon, wenn Ihr mit nach Mehler kommt? Es gibt viel zu tun, und ich könnte so tüchtige Männer wie Euch und Joseph gut gebrauchen. Die Zeiten sind unsicher. Niemand weiß, was als Nächstes geschieht, nun da unser König gefallen ist.«

Kopfschüttelnd setzte sich Georg. »Habt Dank, meine Liebe, aber ich kann nicht fort aus Mühlhausen. Ich habe Verpflichtungen.«

»Ach was, Eure Geschäfte könnt Ihr auch von Mehler aus pflegen. Dort seid Ihr in Sicherheit.«

»Das mag wohl sein, aber ich bin ebenso ein Ratsmann. Es ist meine Aufgabe und die meiner Freunde, Mühlhausen wieder zu einer blühenden Stadt zu erheben, in der kein Mann und ...« Er sah sie vielsagend an. »... keine Frau Angst haben müssen, sie mit der Kutsche zu durchqueren.«

»Ich verstehe.« An Konrad gerichtet fuhr sie fort. »Führst du mich zu Antonia? Ich habe tausend Ängste ausgestanden auf dem Weg hierher, weil ich nicht wusste, ob sie ...« Hiltrud sprach die letzten Worte nicht aus. Der Ritter trat steif und innerlich bebend vor Wut neben sie, besann sich dennoch auf seine gute Erziehung und reichte ihr den Arm. Er führte sie die steile Treppe hinauf in die Schlafkammer und schloss hinter ihr die Tür, bevor er in die Küche zurückkehrte.

Dort saß noch immer sein Vater, vornübergebeugt über einer Schüssel mit Haferbrei. Konrad schob sich an Mathilde vorbei, die mit bemehlten Armen Brotteig knetete und sich dabei den Anschein gab, nichts von ihrer Umgebung mitzubekommen. Er rührte in dem Brei, der über dem Herdfeuer köchelte und schaufelte sich einige Löffel in eine Schale. Dann setzte er sich neben Georg.

In scheinbar stiller Eintracht nahmen die beiden ihr Frühstück ein, als es an der Haustür klopfte und kurz darauf Meister Michael seinen massigen Körper in die Küche schob. Völlig außer Atem riss er sich den Schal vom Hals. »Meine Güte, was ist das nur für ein Wetter da draußen. Es kommt mir so vor, als hätte der Himmel all seine Schleusen geöffnet.« Er durchquerte den Raum, hielt die eiskalten Hände über das wärmende Herdfeuer und stieß einen wohligen Seufzer aus. Dampf stieg von dessen Umhang in feinen Wölkchen auf.

Georg besann sich auf seine Pflichten als Hausherr. »Nun, alter Freund, willst du nicht den Mantel ablegen?« Er trat auf den Tuchmachermeister zu und nahm ihm das nasse Kleidungsstück ab, um es an einem Haken neben dem Herd aufzuhängen. Dann wandte er sich wieder an seinen Gast. »Setz dich und erzähl mir bei einem Becher Bier, was es Neues zu berichten gibt!«

»Bier?« Mit gespieltem Entsetzen machte Meister Michael es sich am Tisch bequem. »In der Fastenzeit?«

Georg lächelte, das erste Mal seit Tagen. »Nun, ich glaube, du hast von außen soviel Wasser abbekommen, dass man dein Bier nicht auch noch verdünnen muss. Es sei denn ...« Er drehte den Hahn an dem Bierfässchen, das in der Ecke neben dem Fenster stand, kurzerhand wieder zu, um abzuwarten, wie der Tuchmacher sich entschied, obwohl er bereits wusste, wie die Antwort ausfallen würde.