Apostelchips - Gert Podszun - E-Book

Apostelchips E-Book

Gert Podszun

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Beschreibung

Es ist hinreichend bekannt, dass Seltene Erden für die High-Tech-Industrie das bedeuten, was Erdöl für die Chemische und Pharmaindustrie bedeutet. Die vorhandenen Importzwänge für Seltene Erden – 90 Prozent – lässt die Gefahr einer Monopolisierung am Horizont erscheinen. Die zu erwartenden Versorgungsengpässe von bis zu sieben Elementen der Seltenen Erden bis 2014 und die derzeit hohen Preise bieten zum ersten Mal den Anreiz, Seltene Erden effizient zu nutzen, sie durch Alternativoptionen zu ersetzen und Recyclingstrukturen in Europa zu schaffen. In diesem Spannungsfeld ist der Wirtschaftskrimi "Apostelchips" entstanden. In Zusammenarbeit mit einem Forscher ist es der Firma Harry Steig gelungen, eine patentierte digitale Produktfamilie zur berührungslosen Analyse von Flüssigkeiten jeder Art zu entwickeln. Die Anwendungsgebiete liegen auch in der Analyse von Chemikalien, die beim Recycling von digitalem Schrott, ein wachsender Markt, anfallen. Der Roman öffnet den Blick für den Kampf um Marktanteile.

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Gert Podszun

Apostelchips

Kampf um Seltene Erden - Wirtschaftskrimi

 

 

 

Dieses ebook wurde erstellt bei

Inhaltsverzeichnis

Titel

Hinführung

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Impressum neobooks

Hinführung

Hinführung

Es ist hinreichend bekannt, dass Seltene Erden für die High-Tech-Industrie das bedeuten, was Erdöl für die Chemische und Pharmaindustrie bedeutet.

Die vorhandenen Importzwänge für Seltene Erden – 90 Prozent – lässt die Gefahr einer Monopolisierung am Horizont erscheinen.

Die zu erwartenden Versorgungsengpässe von bis zu sieben Elementen (Dysprosium, Europium, Lanthan, Neodym, Praseodym, Terbium, Yttrium,) der Seltenen Erden bis 2014 und die derzeit hohen Preise bieten zum ersten Mal den Anreiz, Seltene Erden effizient zu nutzen, sie durch Alternativoptionen zu ersetzen und Recyclingstrukturen in Europa zu schaffen.

1

An der Ziegelmasch 1 in Alfeld, zwischen den Abfallcontainern der dortigen Filiale eines Handelsunternehmens gab es kurz vor Arbeitsbeginn einen hellen Aufschrei. Die Filialleiterin hatte gerade geprüft, ob die Container voll waren und ob loses Material neben ihnen lag. Es war sauber. Sie war zufrieden. Bis sie diesen Fund machte. Ein männlicher Körper lag zwischen zwei Containern, ein schmaler Körper, in einen grauen Anzug gehüllt. Dünn, der Mann, dachte sie, als sie die Polizei anrief, um den Fund zu melden. Natürlich habe ich nichts angefasst. Ich werde es auch nicht tun. Ja, ich kann den Bereich absperren. Dann müssen die von der Entsorgung eben später kommen.

Der Beamte stellte keine weiteren Fragen, er wollte nur sicher gestellt wissen, dass niemand den Bereich betreten würde. Wegen der Spurensicherung. Die Filialleiterin wies umgehend die Mitarbeiter an, das Gelände hinter den Verkaufsräumen bis auf weiteres nicht mehr zu betreten. Sie wunderte sich, dass sie selbst gar nicht mehr aufgeregt war. Sie schaute auf die Autos, die auf der Landstraße, an der die Filiale liegt, vorbeifuhren. Auf der anderen Seite der Landstraße gab es einen Buschstreifen, der die Sicht auf den dahinter liegenden Bach versperrte. Vor diesen Büschen parkten manchmal Kunden. Solche, die es besonders eilig hatten.

Inzwischen war die Filiale geöffnet. Die ersten Kunden schoben ihre Einkaufswagen in den Verkaufsraum.

Es ist die Regel, dass bei ungeklärten Todesfällen, das war offenkundig einer, neben allen anderen auch die Kriminalpolizei benachrichtigt wird. Alle Informationen über diesen bislang nicht zu identifizierenden Mann landeten schließlich in dem Dokument, das die zuständige Kommissarin der Mordkommission in die Hände bekam. Maria Fels mochte ihren Nachnamen, weil sie glaubte, dass an diesem Felsen die bösen Dinge des Lebens zerschellen würden. Zerschellen, das war ihr Lieblingswort geworden. So sollte auch in diesem Fall die Unklarheit an ihrer Arbeit zerschellen. Fels verpflichtete sich selbst, indem sie sehr hartnäckig recherchierte und entsprechend auf die Suche ging. Hier zunächst auf die Suche nach der Todesursache. Der Mann, den man hinter diesem Geschäft zwischen den Containern auf dem Boden gefunden hatte, war eigentlich gesund. So der zuständige Arzt. Er konnte auch bis jetzt keine Fremdeinwirkung feststellen. Kein Einstich. Kein Gift. Keine Einnahmen von Drogen. Kein Suchtverdacht. Ein kerngesunder Mann. Maria Fels suchte nach einem Ausweis oder Papieren, die einen Hinweis auf die Adresse oder die Heimat des Mannes geben würden. Ein Toter redet ja nicht. Einen Ausweis schien es nicht zu geben. Die Fotografien der Spurensicherung zeigten unter anderem den Anzug des Toten und das in der Jacke eingenähte Label. Das muss ich vergrößert sehen. Vielleicht ergibt sich da eine Spur. Sie meinte, einen polnischen Namen gefunden zu haben. Wie kann sich ein Mensch ohne Papiere und Ausweis oder Brieftasche in einem fremden Land bewegen? Ich muss der Sache nachgehen. Der ist nicht einfach tot umgefallen. Das verlangt nach einer Klärung. Vielleicht haben die Kollegen etwas übersehen. Hat man die Kleidung, den Stoff des Anzuges, ausführlich untersucht? Ich gehe der Sache nach. Hat man gar kein Mobiltelefon gefunden? Das trägt doch heute jeder. Die Container dürfen nicht abgefahren werden. Vielleicht hat dieser Mann im letzten Moment sein Mobiltelefon weggeworfen oder verloren. Oder man hat ihn bestohlen. Merkwürdig, dass es bis jetzt keine Zeichen von einer körperlichen Auseinandersetzung oder Fremdeinwirkung gab.

Die Untersuchung vor Ort dauerte wegen der Einbeziehung der Containerinhalte lange. Es war ja denkbar, dass eine fremde Person Gegenstände des Toten dort hätte entsorgen können. Nach dem Abtransport der Leiche wurde die Bekleidung erneut untersucht. In der Sicherheits-Innentasche des Sakkos wurde ein kleines dünnes ledernes Mäppchen in der Größe einer Kreditkarte gefunden. Darin befanden sich Visitenkarten einer polnischen Bank. Narodowy Bank Polski. Der Name des Mitarbeiters der Bank lautete Krysztof Rybinski. Sein Titel war Agent der Bank. Eine Adresse in Deutschland war nicht angegeben.

Maria Fels gab die Personaldaten an die polnische Bank weiter, um mehr über den Auftrag des gestorbenen Polen zu erfahren. Unmittelbar danach wurde in dem pathologischen Bericht bestätigt, dass der Mann eigentlich kerngesund war. Es gab kein klares Indiz für die Ursache des plötzlichen Todes.

Wider Erwarten kam die Reaktion von der polnischen Bank in sehr kurzer Zeit. Darin war die Rede von einer Venture Capital Finanzierungshilfe für einen Herrn Stanislaw Kuszynski, der sich an einer Aktiengesellschaft beteiligen wollte. Der zuständige Agent für den deutschen Markt, Herr Rybinski, sei mit der Bearbeitung der Finanzierung beauftragt gewesen.

Fels studierte die bisherigen Informationen. Ich muss erst wissen, was das für ein Geschäft sein sollte. Die Leiche wird noch nicht freigegeben. In der Pathologie stellte man sich neue Fragen. Warum hatte man die Visitenkarten nicht schon am Fundort entdeckt?

2

Harry Steig hatte sich entschlossen, Holz zu hacken. Das tat er immer, wenn er ein Problem zu lösen hatte. Das Problem trug einen Namen: Josephine Li Mei. Es war gerade ein paar Stunden alt. Josephine, Harry duzte sie seit einiger Zeit. Sie war Repräsentantin einer international tätigen Handelsgesellschaft in Konzerngröße, die insbesondere mit hochwertigen Rohstoffen, Edelmetallen und Seltenen Erden handelte. Seine Firma kaufte seit Jahren bei diesem Konzern ein. Josephine hatte ihn am Vormittag besucht und mitgeteilt, dass die Lieferkonditionen für Seltene Erden sich ändern würden, die Preise also erhöht würden.

Harry erinnerte sich. Er kannte sie seit einigen Jahren. Die von ihr genannten Einkaufskonditionen waren über lange Zeit ziemlich konstant und akzeptabel. Er hatte Li Mei vom ersten Moment an in sehr angenehmer Erinnerung. Spontan hatte er sie wenig später bei einem ihrer dienstlichen Besuche zu einem gemeinsamen Abendessen eingeladen. Sie hatten dann des Öfteren im Kastens Hotel Luisenhof gemeinsam übernachtet. Harry hatte sich erlaubt, dort das Turmzimmer für gemeinsame Nächte zu buchen. Er hatte den Eindruck, dass Josephine diese Tage und Nächte immer über die Maßen genoss. Er sah darin zwar keine Garantie für die Stabilität der Konditionen, hoffte es aber insgeheim. Es war eine Verquickung von Geschäft und Gefühl. Nun hatte sie ihm quasi gekündigt. Sie gab vor, keine Chancen mehr zu haben, die Konditionen zu halten. Eine Konzernanweisung. Das war ihre einzige Erklärung.

Harry war zwiefach enttäuscht. Er überlegte, ob er das Turmzimmer für den heutigen Tag stornieren sollte. Oder sollte er es nicht tun? Souverän sein? Was würde Josephine denken und fühlen? Sie würde doch denken, dass er nur wegen seiner Firma und der Einkaufskonditionen mit ihr zusammen gewesen war. Das könnte sogar noch Folgen haben für die nächsten Vertragsverhandlungen. Zudem hatte er ihr viele Firmeninterna erzählt. Sie war unter anderem im Besitz eines vollständigen Organigramms. So kannte sie alle wichtigen Mitarbeiter. Er musste das Problem lösen. Das konnte er am besten beim Hacken von Holz.

Er liebte dieses Spaltgeräusch und den danach kurz aufsteigenden Duft des Holzes, welcher ziemlich schnell verflog.

Er konnte nicht an der Tatsache vorbei denken, dass die Erhöhung der Einkaufspreise einen erheblichen Einfluss auf die Situation seiner Firma haben würde. Die Messtechnik Harry Steig AG, deren Vorstandsvorsitzender und Hauptanteilseigner er seit Jahren war.

Ein dicker alter Baumstumpf diente ihm als Hackklotz. Die zu dicken Aststücke wurden sorgfältig in die Mitte des Hackklotzes gesetzt. Dann schwang er konzentriert die Axt. Die Holzscheite krachten unter seinen kräftigen Axtbewegungen und flogen auseinander. Der Duft des frisch gespaltenen Holzes mischte sich mit seinem Schweiß. Männersache. Er roch das gerne. Nein, er würde sich nicht aus Versehen in ein eigenes Bein hacken, um die Problemlösung zu verschieben. Er würde die Situation meistern.

Er hatte sich zwei Optionen für die Zukunft seiner Firma gesichert. Einmal die Verbindung zu Professor Dr. Stiller, ein hervorragender Forscher auf dem Gebiet der Seltenen Erden. Er würde am nächsten Tag einen wegweisenden Vortrag über die Zukunft der Firma halten. Und darüber hinaus eine Vereinbarung mit McCartinson über die Beteiligung an einer neuen Quelle für Seltene Erden. Und diese Seltenen Erden sind ein Schlüsselelement für die geplante Entwicklung seiner Firma. Er wäre dann weniger oder gar nicht mehr von dem Handelskonzern abhängig.

3

Fast wäre Dieter Jens zu spät zu dem Termin gekommen. Rechtzeitig vor Beginn hatte Frau Essig, Assistentin des Chefs der Steig AG, ihn daran erinnert. Er klappte sein Laptop zu, klemmte ihn unter einen Arm und sprang eifrig die Treppe hinunter zum Sekretariat. Unterwegs knöpfte er sein Jackett zu.

„Sie wollten doch den Professor abholen, Herr Jens!“

„Ich habe noch gelesen. Vorbereitung auf den Vortrag.“

„Ist ja recht, aber Sie müssen jetzt los, sonst sind wir alle zu spät.“

Jens kannte den Weg zum Hotel Luisenhof. Den Professor kannte er noch nicht persönlich, aber er hatte ein Bild von ihm. Es war verabredet, dass der Professor vor dem Haupteingang des Hotels Luisenhof warten würde. Jens erkannte ihn vom Bild sofort. Er trug einen beigefarbenen Mantel, in der linken Hand hielt er eine Aktentasche mit schwer zu definierender Farbe. Jens winkte ihm zu und schaute in Richtung Lobby. Er hatte den Eindruck, als stünde dort ein kleiner Mann, der dem Professor nachschaute. Entweder war es ein Zufall des morgendlichen Lichtspiels oder aber die hellen Augen von diesem Mann, deren starkes Funkeln Jens im Gedächtnis blieb.

"Der Marketingchef persönlich! Guten Morgen."

Mehr als diese kurze Begrüßung gab der Professor während der Fahrt nicht von sich. Er schaute stur auf die Straße und hielt seine Tasche auf dem Schoß fest.

Auf der Luisenstraße gab es einen kurzen Stau. Jens blickte in den Rückspiegel und meinte den kleinen Mann aus der Lobby in einem roten Kleinwagen hinter sich zu sehen. Der bog in Richtung Hauptbahnhof ab. Sie erreichten die Firma nur wenig später als geplant. Stiller ging schnurstracks in das Büro von Steig, als wenn er es bereits kennen würde. Jens eilte in den Besprechungsraum und öffnete sein Laptop. Er war bereit.

Glücklicherweise machte der Chef keine Bemerkung über die kurze Zeitverzögerung. Er legte prinzipiell größten Wert auf Pünktlichkeit. Jens schaute auf seine Schuhe, die er seit zwei Tagen nicht mehr geputzt hatte und schob sie unter den Stuhl zurück. Professor Dr. Stiller hatte seinen Mantel abgelegt. Von Harry Steig und Frau Essig begleitet, betrat er den Besprechungsraum. Sein Platz war neben dem Chef reserviert. Der Beamer summte. Steig prüfte die Anwesenheit der geladenen Mitarbeiter mit einem kritischen Rundumblick, zeigte sich zufrieden und stellte den Gast vor.

„Meine Damen und Herren, wie Sie wissen, wandelt sich die Welt. Das hat auch Einfluss auf unsere Arbeit und unsere Produkte im Bereich der Messtechnik. Unser Gast, Professor Dr. Stiller, hat nach langer Forschungs- und Entwicklungsarbeit mit unserem Hause und in Zusammenarbeit mit internationalen Konzernen und Universitäten für uns eine Produktkonzeption entwickelt, die wesentliche Bereiche der Messtechnik und der Zukunftstechnologie „Augmented Reality“ revolutionieren wird. Ich freue mich, dass unser Gast eine Einführung in diese innovative Welten geben wird. Zu Ihrer Information teile ich Ihnen noch mit, dass Professor Stiller noch wenige Tage in der Stadt sein wird. Er hält eine Gastvorlesung an der Universität. Herr Professor, bitte!“

Stiller. Ein ziemlich unscheinbarer, eher kleiner Mann. Hohe Stirn. Brillenträger. Leicht gebräuntes Gesicht. Seine Aktentasche lag vor ihm auf dem Tisch. Zeigte klare Spuren langjähriger Benutzung. Spuren seiner Hände. Altes Hautfett. Messingschloss. Sein anthrazitgrauer Anzug war augenscheinlich schon seit längerer Zeit sein Begleiter. Leichter Glanz vom Bügeln. Er stand auf, rückte die Brille mit den runden Gläsern und dem silbergrauen Stahlrahmen zurecht, startete die Präsentation von seinem Laptop über den Beamer. Die Mitarbeiter hörten:

„Technologien zur Identifizierung von Flüssigkeiten in geschlossenen Behältnissen sind vornehmlich für die chemische Industrie, aber auch für die Abfallwirtschaft von außerordentlicher Wichtigkeit. Uns ist es nach einigen Jahren der Forschung gelungen, ein System zu entwickeln, mit dem Flüssigkeiten, egal welcher Art, in geschlossenen Behältnissen identifiziert werden können. Dies ist möglich, ohne auf traditionelle Weise Proben zu entnehmen oder die Flüssigkeiten unmittelbar zu berühren. Zum Beispiel ist es einfach, Blutbestandteile bei Menschen oder Tieren zu analysieren, ohne eine konkrete Probe zu nehmen, wie es derzeit bei Laboruntersuchungen üblich ist.“

Jens mochte Blut nicht. Er hatte als Kind oftmals Nasenbluten. Er hörte weiter zu.

„Praktisch geht das so. Man hält eine entsprechende Vorrichtung, wie etwa diesen neu entwickelten Sensor, hier sehen sie einen Prototyp, “ - ein graues Gerät, einem schnurlosen Telefonhörer ähnelnd, wurde in die Luft gehalten - „an die Haut oder die Außenwand eines flüssigkeitführenden Systems und erhält umgehend die Analyse des Inhalts. Das wäre unter anderem auch eine Diagnosehilfe für Ärzte und Krankenhäuser, um etwa Blutkrankheiten zu behandeln oder den Zuckergehalt zu bestimmen. Sicherlich auch ein Potenzial zur Kostensenkung.

Weitere Anwendungsgebiete sind in der Chemie- und Pharmaindustrie wie auch in allen Entsorgungsbereiche, in denen es um flüssige Stoffe unterschiedlicher Viskosität geht, zu finden. Das Arbeitsprinzip ist identisch. Die Behältnisse der Flüssigkeiten müssen nicht geöffnet werden. Der Sensor wird lediglich an die Wandung gehalten und liefert die gewünschte Analyse sofort. Weitere Anwendungsgebiete liegen in der Ferndiagnose von Flüssigkeiten, wie etwa Flüsse oder Seen, was aber die heutige Veranstaltung sprengen würde.

Die Herstellung dieser neuen Messgeräte und Sensoren passt ideal in das Profil Ihrer Firma, der Steig AG. Das ist auch der Grund, warum ich heute bei Ihnen sein darf.

Für die Produktion dieser Messgeräte ist selbstverständlich spezielles Know-how erforderlich. Ihnen ist bekannt, dass dafür Bausteine erforderlich sind, die ohne die Verfügbarkeit von Seltenen Erden, also Metallen seltener Erden, auch Seltenerdemetalle, oder Rare Earth genannt, nicht produziert werden können. Das gilt auch für einen weiteren Unternehmenszweig, in dem hier im Hause hervorragende Arbeit für die Zukunftstechnologie AR geleistet wird. Das ist aber heute nicht unser Schwerpunkt. Nur noch eine kurze Anmerkung.

Die Bedeutung Seltener Erden nimmt immer mehr zu. Seitdem China, das derzeit mit etwa 90 Prozent den weltweit größten Anteil an der Verfügbarkeit dieser Metalle stellt, den Export stark eingeschränkt hat, steigen die Preise dieser Rohstoffe stark an. Unter dem Begriff Seltene Erden werden Metalle einer bestimmten Gruppe des Periodensystems zusammengefasst, die für die Industrie sehr wichtig sind. Unter anderem werden Seltene Erden bei der Herstellung von Mobiltelefonen, Laptops, Fernsehern, Hybridfahrzeugen, bestimmten Waffen- und Radarsystemen, Röntgenapparaten und Photovoltaik-Anlagen benötigt. Der wachsende Einsatz dieser Metalle spricht neben einem zu erwartenden Angebotsengpass für einen weiteren Preisanstieg. Davon profitieren natürlich Förderunternehmen.

Mir ist bekannt, dass die bisherigen Laborarbeiten in Kooperation mit ihrem Hause erfolgreich waren, wenngleich dies auch in erweiterter Zusammenarbeit mit einem ihrer Lieferanten, der Firma Dorn, zustande gekommen ist. Man muss Spezialisten eben ihren Platz geben.“

Steig bedankte sich nach weiteren Ausführungen des Gastes und dem abschließenden Frage- und Antwortspiel für dessen Vortrag und beendete die Sitzung mit einem Schlusswort:

„Diese Präsentation zeigt uns neue Wege für den Bereich Messgeräte auf. Dafür sprechen auch schon erste Reaktionen vom Markt. Das bringt neue Anforderungen, die wir zu kanalisieren haben. Das hat selbstverständlich auch Einfluss auf unsere Organisation. Damit gebe ich bekannt, dass wir die zukünftige Marktbearbeitung auf höchster Ebene personifizieren werden. Herr Jens als Direktor Marketing wird den Bereich Chemie- und Pharmaindustrie sowie Entsorgung übernehmen und Herr Doering übernimmt weiterhin den Bereich Medizin, Krankenhäuser und Laborunternehmen. Weitere Fragen oder Anregungen werden wir in Einzelgesprächen erörtern. Falls jetzt keine weiteren Fragen bestehen, nehmen Sie bitte die Unterlagen, die Professor Stiller für uns vorbereitet hat, an sich und studieren sie, damit wir bei den nächsten Gesprächen einen gleichen Informationsstand haben.“

Die Sitzung war damit beendet.

Jens nahm die angesprochenen Unterlagen an sich. Er konnte gerade noch sehen, dass der Professor Schuhe trug, deren Absätze schief abgelaufen waren. Sein Laptop begleitete ihn zurück zu seinem Büro.

Es wurde Zeit, den Akku zu laden.

4

Braunschweig, Donaustraße. Unleserliche Hausnummer. Zweite Etage. Vier-Zimmer-Wohnung. Klingelschild. Krysztof Rybinski. Agent. Als Mieter dieser Wohnung blickte er auf eine lange Zeit als Steward bei der polnischen Fluggesellschaft Polskie Linie Lotnicze LOT zurück. Vor fünf Jahren wurde sein Arbeitsverhältnis beendet, nachdem er viele Jahre im internationalen Flugverkehr weltweit unterwegs gewesen war. In jedem Zielort der LOT hatte er sich als geschäftstüchtiger Geist bemüht, Chancen für zukünftige Geschäfte zu erkennen und je nach Lage der Umstände auch zu nutzen. Das Ergebnis seiner Suche erstreckte sich auf zwei Schwerpunkte. Einerseits hatte er ein Vorstandmitglied er polnischen Bank Narodowy Bank Polski kennengelernt und diesen mit seinen guten deutschen Sprachkenntnissen davon überzeugt, dass er als freier Mitarbeiter die Interessen dieser Bank in Deutschland vertreten können würde. Seit diesem Treffen nannte er sich Agent der Bank und arbeitete daran, sie bekannt zu machen.

Andererseits hatte er in Südamerika und in Ländern des Vorderen Orients Verbindungen geknüpft, die ihm die Möglichkeiten einräumten, Kurierwege für unterschiedliche Drogen zu organisieren. Ein einträgliches Nebengeschäft, bei dem man sich die Hände nicht schmutzig machen konnte. Rybinski verstand sich bei diesem Geschäft als reiner Vermittler von logistischen Wegen. Seine Methode war simpel. Er besuchte verschiedene Stellen, an denen sich Menschen trafen, um Briefe oder Pakete zu versenden oder zu empfangen. Diejenigen, die das öfter taten, interessierten ihn besonders.

Als Agent der polnischen Bank hatte er in Absprache mit dem Vorstand eine Anzeige in landesweit erscheinenden Zeitungen geschaltet:

Investitionsentscheidungen ?

Beteiligungen, Kauf oder Gründung?

Wir helfen Ihnen!

Krysztof Rybinski

Mobilfon: 0177-9898765

5

In einer ehemaligen Wartungshalle für Dienstfahrzeuge der Stadt hinter dem Hauptbahnhof hatte eine junge Firma eine Sport- und Fitnesshalle eingerichtet. Dort wurden neben einigen Fitnessprogrammen auch Kampfsportarten angeboten. Das Engagement der Gründer dieser Firma ist von der ICBC Europe Bank in Luxemburg finanziert worden. Der kleine Mann aus der Lobby des Hotels Luisenhof hatte den roten Panda auf dem Parkplatz dieser Firma abgestellt. Er hatte vor wenigen Tagen eine Trainingseinheit Budo gebucht. Der Trainer kannte ihn kaum, wusste aber, dass er besondere Beziehungen zu haben schien. Er nannte sich Jim. Er hatte das ausschließliche Recht, einen für niemanden zugänglichen Raum hinter den Trainingsräumen zu betreten. Nach seinem Training betrat der Pandafahrer regelmäßig diesen elektronisch verriegelten Nebenraum. Er hatte einen Zugangschip. Diesen Chip hatte sonst keiner in der Firma. Selbst das Management nicht. Das war vor Gründung der Firma eine Bedingung für die Finanzierung.

Der kleine Mann ohne Nachnamen blieb einige Stunden in diesem Raum. Dessen Ausstattung bestand aus einer Gruppe von Servern und einigen Bildschirmen. Er rief routinemäßig einige Programme auf und studierte die dort dargestellten Daten. Nach einiger Zeit holte er eine SSD (Solid-State-Drive) mit hoher Kapazität aus der Tasche seiner Jacke und kopierte einige Daten. Als die Diode des externen Speichers das Ende des Kopierprozesses anzeigte, rief er seine Zugangsdaten für das System auf und änderte diese, weil er als Super Administrator verzeichnet und seine Zugangsdaten nach jeder Sitzung zu ändern verpflichtet war. Zudem gab er einen neuen Verschlüsselungscode ein. Langsam verließ er den Raum, verriegelte ihn elektronisch und fuhr mit seinem Kleinwagen von dem Gelände.

6

Die von Stiller ausgelegten Unterlagen waren umfangreich. Jens studierte sie und weitere zum Themenkreis aus dem Internet. Er war in seiner Wohnung und hörte die Nachrichten. Dabei fiel ihm eine Kurzmitteilung auf:

„In der nordkanadischen Wildnis, nahe dem Großen Sklavensee, liegt ein Landstrich, den die Ureinwohner Nechalacho nennen. Vor einiger Zeit hat dort ein Geologe eine Option auf Schürfrechte in einem Areal von nennenswerter Größe erhalten. Es birgt ein nennenswertes Volumen von Seltenen Erden.“

Ein Name wurde nicht genannt. Ein Geologe. Ohne Namen. Jens grübelte. Das klingt nach Geheimnistuerei. Warum wird da kein Name erwähnt? Die dortigen Seltenen Erden sind auch nicht spezifiziert. Das ist keine vollständige Information. Dafür wird es bestimmt Gründe geben. Man kann ja nicht immer jede Information gleich herausgeben. Ich muss das recherchieren. Irgendwie könnte unsere Firma ja davon betroffen sein. Vielleicht ist der Geologe ein Chinese, ein getarnter? Schließlich haben die Chinesen ja weltweit den größten Zugriff auf Seltenen Erden. Vielleicht steckt aber auch ein anderes Unternehmen dahinter? Ich kenne mich in diesem Markt noch gar nicht genug aus.

Die Unterlagen von Stiller enthielten im Kern den Inhalt seines Referates und Erläuterungen über verschiedene Anwendungsgebiete der Seltenen Erden. Jens fand seine Kenntnisse hierüber weitgehend bestätigt. Als Marketing Manager der Steig AG stand er für die Positionierung des Unternehmens als Pionier der allerneuesten Technologien in der digitalen Welt, unter anderem auch in der Messtechnik. Auch für das ziemlich neue Gebiet der Augmented Reality. Jens überlegte: Hier werden virtuelle und reale Wirklichkeit für mobile Geräte miteinander kombiniert und überlagert. Da muss ich noch recherchieren. Das kann die Zukunft sein. Aber jetzt geht es um die digitale Messtechnik. Ich freue mich für die Steig AG seit mehr als drei Jahren arbeiten zu können. Es ist eine spannende Aufgabe, für Innovationen tätig sein zu können. Ich recherchiere noch ein wenig im Internet weiter. Ich war noch nie in Kanada. Vielleicht kommt das ja noch. Ich würde mich freuen. Ob die Chinesen getarnt in Kanada tätig sind? Oder die Russen? Die Chinesen haben ja schon fast ein Monopol bei den Seltenen Erden.

Im Labor der Steig AG waren Kenntnisse über die Anwendung von Lithium, Indium und Gallium und andere Seltenen Erden seit einiger Zeit vorhanden. In der bisherigen Zusammenarbeit mit Professor Stiller waren bereits Prototypen neuer Analysesensoren unter Verwendung dieser Kenntnisse entwickelt worden. Sie wurden zusammen mit einer begrenzten Anzahl von Kunden, Krankenhäusern und medizinischen Laboratorien, im Feldversuch getestet.

Jens fand seine Befürchtung über die Marktmacht der Chinesen in einem Bericht der Wirtschaftsnachrichten bestätigt. Chinesische Unternehmen sind stark daran interessiert, die Versorgung mit Seltenen Erden zu kontingentieren, also abzugrenzen, oder besser zuzuteilen.

Er folgerte. Das wird einen schwer kalkulierbaren Einfluss auf die Entwicklung der Kosten und damit der Preise unserer Produkte haben. Ein chinesisches Monopol könnte die Entwicklung der Steig AG deutlich beeinträchtigen. Ich muss untersuchen, ob und wie diese mögliche Abhängigkeit eingegrenzt werden kann. Können die Materialkosten durch intelligentere Konstruktion begrenzt werden? Wir müssen nicht nur in der Innovation marktführend sein, sondern auch konkurrenzfähig in der Produktion. Damit entscheidet sich auch die Frage nach einer deutlichen Alleinstellung der Produkte. Ich muss das kurzfristig mit den Kollegen der Technik und der Produktion erörtern.

Zuerst vereinbarte er einen Termin mit Stanislaw Kuszynski, dem Betriebsleiter. Ihm unterstand auch das Labor, das Zentrum des Firmenwissens. Er rückte seine Krawatte zurecht, setzte Daumen und Zeigefinger nahe beieinander auf die Mitte seines Schnäuzers und strich diesen mit gespreizten Fingern seitwärts glatt.

„Herr Kuszynski, das war ja eine aufschlussreiche Präsentation von Professor Stiller.“

„Das war mir im Prinzip schon bekannt, schließlich haben wir im Labor auch schon seit einiger Zeit mit ihm zusammen gearbeitet.“

„Leuchtet ein. Ich soll mich ja jetzt um die Kunden im Bereich Pharma und Chemie kümmern, besonders auch die Bereiche der dortigen Entsorgung. Wie sehen denn die bisherigen Erfahrungen mit den ersten Feldversuchen im Bereich Medizin aus?“

„Unser Technischer Leiter, Kollege Doering, war ja ganz scharf darauf, der erste Manager im Markt für die neue Technik zu sein und hat rechtzeitig begonnen, mit ausgesuchten Kunden Feldtests mit den neuen Geräten durchzuführen.“

„Ich werde ihn darüber befragen, damit ich seine Erfahrungen nutzen kann.“

„Ich zeige Ihnen jetzt, was wir bereits haben. Eine absolut fehlerfreie Beobachtung ist prinzipiell unmöglich. Dafür oder dagegen sprechen die sich ändernden Randbedingungen. Also Genauigkeit geht kaum über 99,999 Prozent. Daher darf man das Ergebnis einer Messung erst dann mit Sicherheit verwenden, wenn man bei Nachprüfung durch weitere Messungen eine ausreichende Übereinstimmung erzielt und die erreichte Genauigkeit richtig abgeschätzt hat....“

Jens fühlte Hörsaalatmosphäre. Es schien ihm, als würde es plötzlich nach Wachsfußboden riechen. Er träumte sich einen Moment in diese Vergangenheit zurück und sah Kuszynski an. Seine Lippen: schmale Linien. Seine Worte: dünn wie Knäckebrot, ernst wie Kanzelmahnungen. Sie kamen präzise, fast hart, wie hauchdünne Schneiden scharfer Messer. Die kühle Klarheit, mit der Kuszynski sprach, entsprach der Präzision, die von Messinstrumenten verlangt werden. Der ganze Mann war anscheinend nur korrekt. Er war lang und schmal, wie so ein Zeiger eines Messgerätes. Jens hatte ihm schon früher heimlich den Spitznahmen Zeiger gegeben und schmunzelte. Er schaute zu ihm auf, weil seine braunen Augen aufgrund seiner Körperhöhe das erforderten.

Kuszynski war Pole. Ingenieur. Er lebte schon seit dem Beginn des ersten Wirtschaftswunders in Deutschland. Er konnte sehr gut erklären und gab weitere Beweise seines Fachwissens, schilderte Zusammenhänge zunächst allgemein, dann anwendungsspezifisch detailliert und wusste auf alle fachlichen Fragen eine Antwort. Wie ein Fachlexikon auf Beinen.

„Gehen wir in mein Büro, dort kann ich Ihnen noch ein paar zusätzliche Dokumente übergeben.“

Seine Sekretärin telefonierte.

"Du, ciao, ich muss jetzt aufhören, die Arbeit! Du weißt schon. Aber war nett, dass Du angerufen hast.“

Mit dem Auflegen des Hörers drehte sie mit ihren vollschlanken Waden den Drehstuhl herum und musterte Jens von oben bis unten. Kuszynski schloss die Tür zu seinem Büro.

„Sie kennen doch Fräulein Baumann, meine Assistentin.“

Er sprach auch diesen Satz scharf und präzise. Jens spürte eine eigenartige Spannung zwischen dem Zeiger und der viel kleineren Baumann, die inzwischen aufgestanden war, um seinen Gruß mit ausgestreckter Hand zu quittieren. Auf einem Schildchen auf dem Schreibtisch stand ihr voller Name: Rosa Baumann.

Sie nutzte die Begegnung zu einer Frage:

„Sie sind eher selten hier im Betrieb und im Labor, oder?“

Kuszynski beantwortete diese Frage anstelle von Jens durch Zunicken. Sie gab sich damit zufrieden. Kuszynski stellte sich mit dem Rücken vor das Fenster seines Büros und betrachtete seine bis zur Decke reichende Birkenfeige, während er weitere Erklärungen über die Eigenschaften der neuesten digitalen Messgeräte gab. Dies tat er, ohne sein Gesicht auch nur im Geringsten zu verziehen. Jens stellte sich vor, dass er bei dieser Körperlänge sicherlich ganz dünne Beine haben müsse. Er bedankte sich beim Abschied für die überlassenen Unterlagen.

„Eine Information könnte für Sie noch von Interesse sein, Herr Jens.“

„Ja, bitte?“

„In der jüngsten Fachliteratur gibt es Hinweise auf neue Lagerstätten von Seltenen Erden. Da sind die Machtverhältnisse noch nicht geklärt. Es kann sein, dass diese Reserven, zum Teil auch auf dem Meeresboden, von erheblicher Bedeutung sind und die Monopolsituation der Chinesen verändern könnten. Zumindest kann es zu Verschiebungen in der Ausbeutung führen. Ich habe hier ein paar Artikel gelesen und auf einen Stick kopiert. Geben Sie mir den Stick bei Gelegenheit wieder zurück. Wir müssen die Chancen für die Entwicklung unserer Firma gemeinsam nutzen.“

„Danke, ich werde es studieren.“ bedankte sich Jens und ging zu seinem Büro zurück.

7

Maria Fels konnte sich nicht vorstellen, dass ein gesunder Mann, der gerade etwa vierzig Jahre alt war, einfach so zwischen ein paar Müllcontainern zusammenbrechen würde. Inzwischen war ein Artikel über diesen Leichenfund in den Lokalnachrichten der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung erschienen. Dort tauchten kritische Fragen über bisher ungeklärte Zusammenhänge auf. Fels gefiel der Artikel nicht. Sie wollte sich selbst ein Bild von dem Tatort machen und verabredete ein Gespräch mit der Filialleiterin in Alfeld.

„Das war für mich furchtbar aufregend. Man muss ja heute mit allem Möglichen rechnen. Aber ein Toter zwischen den Containern! In diesem kleinen Ort!“

„Meine Frage wird Ihnen aus Kriminalfilmen im Fernsehen bekannt sein. Ist Ihnen irgendetwas aufgefallen, was gerade an diesem Tag anders war als sonst?“

„Es ist bestimmt nicht wichtig, aber es gab doch etwas Ungewöhnliches. Da war ein kleines Auto, das in der Nähe, also auf der anderen Straßenseite vor dem Busch hielt. Kein Auto aus unserem Ort, also bestimmt nicht von meinen Kunden, die kenne ich ja fast alle. Das Auto stand noch nie da. Es war rot. Ich glaube ein alter Panda.“

„Haben Sie einen Fahrer oder eine Fahrerin gesehen?“

„Also ich habe ja nicht die ganze Zeit auf die Straße oder den Hof geschaut. Aber irgendwann, bei der Überprüfung der Regale, sah ich Schatten beim Blick zum Hof. Dort kann man auch parken. Da sind keine normalen Fenster in der Wand, sondern feste Milchglasscheiben. Da kann man überhaupt nur Schatten erkennen. Da waren Schatten von Menschen. Da sieht man natürlich keine Gesichter. Einer war klein. Und dünn. Der andere normal, nicht dick. Es waren mit Sicherheit keine von der Müllabfuhr. Die sind kräftiger.“

„Hat das lange gedauert?“

„Also ich habe morgens immer viel zu tun. Aber es gab noch Leute in der Frühe auf dem Hof. Gedauert? Weiß ich nicht.“

Maria Fels bedankte sich.

„Es war aber am Vormittag“?

„Jaja. Wollen Sie noch einkaufen?“

„Gute Idee. Wenn ich schon einmal hier bin. Eine Frage habe ich im Moment noch: Gibt es draußen eine Videoüberwachung?“

„Nein so etwas haben wir hier nicht.“

„Danke.“

Fels nahm einen Korb und ging langsam durch die Ladenreihen.

8

Walter Doering, Leiter Technik, Forschung und Entwicklung sowie Konstruktion war ein Fuchs in der Branche. Jens traf ihn wie verabredet in seinem Büro. Neben Doerings Schreibtisch und einer Sitzgruppe gab es noch einen Planungstisch. Auf dem lagen Stapel von Zeichnungen und Ordnern. In einer Ecke des Raumes entdeckte Jens einen Safe älteren Datums neben einem Aktenregal. Doering trug ein blau gestreiftes Hemd. Der obere Knopf war geöffnet. Eine Krawatte trug er dazu nicht. Er erhob sich nur halb von seinem Stuhl hinter dem Schreibtisch, streckte ihm seine Hand locker entgegen und begrüßte Jens:

„Tolle Zeiten kommen auf uns zu. Widmen wir uns der Zukunft!“

„Wer etwas Neues schaffen will, muss etwas Altes zurücklassen oder gar zerstören.“

„Das habe ich auch irgendwo gelesen, aber es ist etwas dran an diesem Spruch. Was können wir zusammen tun?“

„Herr Steig hat ja bekannt gegeben, dass wir kundenseitig neben dem medizinischen Bereich den der Chemie- und Pharmaindustrie zu betreuen haben. Wegen des hohen Bestandes an digitalen Geräten hat sich dort ein neuer Schwerpunkt ergeben. Der liegt in der Entsorgung veralteter Geräte. Das ist ein neuer wachsender Markt. Dort wird die Kontrolle der entsorgten Materialien eine immer größere Bedeutung haben. Unsere Geräte können dort einen wichtigen Beitrag leisten.

Sie haben ja bereits im Feldversuch Geräte aus der Null-Serie bei Kunden installiert. Mich würde interessieren, was Sie bis jetzt an Erfahrungen gesammelt haben.“

Doering genoss es, gefragt zu werden. Er legte die Fingerkuppen seiner beiden Hände aufeinander.

„Bevor Sie oder wir uns hier der Idee hingeben, dass wir mit unseren Sensoren und Geräten den Medizinern und deren Patienten helfen, müssen wir Folgendes vergegenwärtigen:

Kliniken sind auch Unternehmen, keine sozialen Einrichtungen. Sie suchen ständig nach Möglichkeiten zur Kostensenkung. Mit unseren Geräten können sie erreichen, dass einige Diagnosen automatisch auf der Basis von Blutanalysen erstellt werden. Das erspart langwierige Laborarbeiten.“

Doering lächelte wissend in sich hinein.

„Die Palette der Analysemöglichkeiten unserer Geräte deckt den Bedarf meiner Zielgruppen breit ab. Die Genauigkeit der benötigten Messungen kann feinstens justiert werden. Besser als bisher. Über die in den Messgeräten integrierte Spektralanalyse werden die einzelnen Substanzen eindeutig identifiziert und in einer übersichtlichen Darstellung ausgegeben. Damit können natürlich automatisch Diagnosen erstellt werden. Die bisherigen Ergebnisse aus den Feldversuchen sind sehr zufriedenstellend und bilden die Voraussetzung für das zukünftige Marketing. Es gibt auf dem Markt nichts Besseres.“

Doerings Hände arbeiteten wie eine Pumpe, indem die Fingerkuppen immer noch zusammen waren und die Handflächen rhythmisch gegeneinander gedrückt wurden. Jens dachte spontan an die Bewegungen von Quallen. Doering blickte immer wieder nach unten. Quasi unter sich. Jens konnte keinen direkten Augenkontakt finden. Doering sah Jens nicht in die Augen. Er berichtete weiter über die Leistungsfähigkeit der Geräte im Feldtest und wies darauf hin, dass hier ein riesiges Marktpotenzial zu erobern sei. Er pumpte weiter Luft mit seinen Händen. Während seiner weiteren Erklärungen wurde Jens über die Lautsprecheranlage angerufen. Es hallte. Lautsprecheranlagen sind kalt, metallen und fühlen sich grau an. Jens fröstelte unter dem unpersönlichen Klang. Er konnte sich daran einfach nicht gewöhnen.

„Herr Jens, bitte zu Herrn Steig, Herr Jens, bitte dringend zu Herrn Steig.“

Lautsprecher haben keine Augen. Jens fühlte sich durch die Lautsprecher beobachtet.

9

Steig hielt den Telefonhörer noch am Ohr, als Jens in sein Büro kam.

„Ja, selbstverständlich kümmere ich mich persönlich um diese Angelegenheit, Herr Direktor. Natürlich, Herr Direktor!“

„Soll ich draußen warten, Herr Steig?“

Steig legte auf.

„Nein bleiben Sie bitte unbedingt hier. Ich brauche Sie jetzt. Das Gespräch mit diesem Direktor war nicht gerade erfreulich. Nehmen Sie doch Platz. Ich habe ein paar Dinge mit Ihnen zu besprechen. Zunächst: Ich habe veranlasst, dass die besprochene Presseinformation über die neue Produktgeneration an die Marketingagentur ADCONSULT für Europa herausgegeben wurde. Ich rechne mit einer lebhaften Reaktion. Daher bitte ich Sie, sich um den Rücklauf zu kümmern. Sie werden mir darüber berichten. Darüber hinaus will ich Sie jetzt über ein von mir gestartetes Geschäft informieren. Sie kennen doch sicherlich die McCartinson Corporation aus Hartfort, Connecticut?"

Er wartete nicht auf eine Antwort.

„Paul McCartinson, der Inhaber, ist mittlerweile ein guter Freund von mir. Wir haben uns vor vier Jahren auf einer Fachmesse kennen gelernt. Der verträgt vielleicht einen Stiefel Whisky, kann ich Ihnen sagen. Da gibt es eine nette Geschichte, die ich Ihnen lieber später erzählen werde. Jetzt aber gibt es Wichtigeres.“

Steig lehnte sich genüsslich in seinem Sessel zurück und holte mit seinen Armen seitlich aus, fuhr mit seinen Händen über seinem Kopf durch die Luft hoch und stützte zuletzt seinen Hinterkopf mit seinen Händen.

„Seine Firma benötigt eine große Menge Messgeräte und Sensoren für den amerikanischen Markt. In der Medizin und vielleicht auch noch anderswo. Wir haben schon lange darüber verhandelt. In diesen Tagen hat er mich darüber informiert, dass wir als Hauptlieferant infrage kommen. Er ist sogar noch etwas weiter gegangen und hat sich ein Bild über die Versorgungslage mit Seltenen Erden, die für unsere Produktion benötigt werden, gemacht und selbst einen Vertrag ausgehandelt, um an einer Lagerstätte von Seltenen Erden direkt beteiligt zu sein. An diesem Vertrag haben wir, also unsere Firma, einen Anteil, weil wir mittelbar auch Vertragspartner sind. Will sagen, wir werden einen direkten Zugriff zu den Seltenen Erden haben.“

Steigs Augen glänzten. Jens schaute fragend. Er wollte sich nach dem Standort oder der konkreten Lage der Mine erkundigen.