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Auf eigene Faust Am Flughafen Düsseldorf wird der Bankkaufmann Gert Anderson Zeuge einer Schießerei. Es gelingt ihm, eine junge Frau aus der Gewalt zweier Männer zu befreien. Sie ist die Sekretärin eines Großindustriellen. Maria und ihr Retter kommen sich rasch näher, doch auch wenn er den ersten Mordversuch verhindern konnte, wird Maria am darauffolgenden Morgen tot im Treppenhaus gefunden. Die Polizei glaubt an einen Unfall, aber Anderson weiß es besser. Schon bald ist sein eigenes Leben in Gefahr. Bis der Hass euch bindet In Ascona hofft Dr. Andreas Krumm zu sich selbst zurückzufinden. Seine Ehe ist gescheitert, in der Klinik gibt es Schwierigkeiten. Er lernt die verzweifelte Vera Reiter kennen, die versucht, vor ihrer Schuld davonzulaufen. Als die beiden von einer Lawine in einem kleinen Dorf festgehalten werden, treffen sie auf vier junge Leute, die sich dort bislang in einem sicheren Versteck wähnten. Das Drama spitzt sich zu, als sich zwischen den Eingeschlossenen plötzlich brutale Gewalt Bahn bricht.
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Seitenzahl: 301
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Vom Autor bisher bei KBV erschienen:
Mords-Eifel (Hg.)
Der letzte Agent
Requiem für einen Henker
Der Bär
Tatort Eifel (Hg.)
Tatort Eifel 2 (Hg.)
Mond über der Eifel
Die Nürburg-Papiere
Die Eifel-Connection
Eifel-Bullen
Eifel-Krieg
Der König der Eifel
Magnetfeld des Bösen
Jacques Berndorf ist das Pseudonym des 1936 in Duisburg geborenen Journalisten, Sachbuch- und Romanautors Michael Preute. Sein erster Eifel-Krimi, Eifel-Blues, erschien 1989. In den Folgejahren entwickelte sich daraus eine deutschlandweit überaus populäre Romanserie mit Berndorfs Hauptfigur, dem Journalisten Siggi Baumeister. Dessen bislang jüngster Fall, Eifel-Krieg, erschien 2013 als Originalausgabe bei KBV.
Berndorf setzte mit seinen Romanen nicht nur die Eifel auf die bundesweite Krimi-Landkarte, er avancierte auch zum erfolgreichsten deutschen Kriminalschriftsteller mit mehrfacher Millionen-Auflage. Sein Roman Eifel-Schnee wurde im Jahr 2000 für das ZDF verfilmt. Drei Jahre später erhielt er vom »Syndikat«, der Vereinigung deutschsprachiger Krimi-Autoren, den »Ehren-Glauser« für sein Lebenswerk.
Jacques Berndorf
Auf eigeneFaust
Bis der Hass euch bindet
Die Originalausgaben erschienen 1970 und 1971als Fortsetzungsroman in der Fernsehzeitschrift »HÖRZU«.
1. Auflage 2016
© KBV Verlags- und Mediengesellschaft mbH, Hillesheim
www.kbv-verlag.de
E-Mail: [email protected]
Telefon: 0 65 93 - 998 96-0
Fax: 0 65 93 - 998 96-20
Umschlaggestaltung: Ralf Kramp
unter Verwendung von: © Piotr Skubisz - www.fotolia.de
Print-ISBN 978-3-95441-299-0
E-Book-ISBN 978-3-95441-313-3
AUF EIGENE FAUST
Teil I
Teil II
Teil III
Teil IV
Teil V
Teil VI
Teil VII
Teil VIII
Teil IX
BIS DER HASS EUCH BINDET
Teil I
Teil II
Teil III
Teil IV
Teil V
Teil VI
Teil VII
Teil VIII
Teil IX
Teil X
Teil XI
Teil XII
Für die Fernsehzeitschrift HÖRZU schrieb Jacques Berndorf – damals noch unter seinem richtigen Namen Michael Preute – im Jahr 1970 diesen Fortsetzungsroman.
Er lebte als Journalist im Rheinland. Der Schauplatz Düsseldorf liegt ihm nahe. Und wenn sein Protagonist Gert Anderson, der gewiefte Bankkaufmann und Finanzjongleur, zu Beginn der Geschichte zum Düsseldorfer Flughafen fährt, ist dies ein Szenario, das Berndorf aus dem eigenen Erleben nur zu gut kennt. Die spontanen Flüge zu den Krisenherden der Welt, das rastlose Leben mit ständig gepacktem Koffer …
Was den Autor allerdings von seinem Hauptdarsteller unterscheidet, sind die Anlässe für diese Flüge. Anderson hat Appartements in Zürich, Berlin und Frankfurt, einige Freundinnen und ein paar Bankkonten in verschiedenen Städten. Berndorf sorgt dafür, dass diese bequeme Situation aus den Fugen gerät. Er stürzt ihn in eine nervenaufreibende Kriminalgeschichte von hitchcockschem Format, bei der er um sein eigenes Leben fürchten muss.
Er kennt keine Schwierigkeit außer der einen, viel Geld in kürzester Zeit zu verdienen. Berufliche Hindernisse und private Probleme bewältigt er kühl: Gert Anderson, dreißig Jahre alt, Bankkaufmann. Er hat Appartements in Zürich, Berlin und Frankfurt, einige Freundinnen und ein paar Bankkonten in verschiedenen Städten. An diesem Freitag steht er in der Halle von Düsseldorf-Lohausen, um nach Zürich zu fliegen.
Wie üblich für einen Freitagnachmittag war der Flughafen voller Lärm, an den Gepäckschaltern stauten sich Fluggäste, Anderson musste lange warten, ehe sein Koffer auf das Fließband gelegt wurde und irgendwohin in den undurchschaubaren Mechanismus des Flughafens hineinglitt. Er hatte jetzt noch eine Stunde Zeit.
Draußen war es warm. Er zog den Trenchcoat aus und schlenderte hinüber zu den Parkplätzen. Er bemerkte die lange Schlange der Zuschauer, die auf einer Balustrade den startenden und landenden Maschinen zusahen. Er las das Schild an einem Kassenhäuschen, auf dem es hieß, dass Kinder und Erwachsene für das Zuschauen soundso viel Geld zu zahlen hätten. Wir sind unbezahlbar, dachte er, wir machen aus allem Geld. Und wir machen aus vielem einen Zirkus. Sogar aus einem ganz gewöhnlichen, durchschnittlichen Flughafen.
Er hatte sich abgewöhnt, deutsch zu fühlen. Er fühlte in Geschäften, und er war überall dort zu Hause, wo er Geschäfte machen konnte.
Er schlenderte die schmale Straße entlang, als er hinter sich einen Wagen herankommen hörte. Da es kein Trottoir gab, stellte er sich auf den Rasen in die Büsche, die die Straße säumten.
Der Wagen fuhr an ihm vorbei. Ein weißer BMW. Hinter dem Steuer ein junges Männergesicht. Auf dem Rücksitz bewegten sich zwei Gestalten mit tierhafter Heftigkeit.
Zwanzig Meter vor Anderson hielt der Wagen. Der Mann, der am Steuer gesessen hatte, stieg aus und riss den hinteren Wagenschlag auf. Er schrie etwas, was Anderson nicht verstehen konnte.
Ein zweiter Mann kam mit den Füßen und dem Hinterteil zuerst aus dem Wagen herausgerutscht. Er hielt mit beiden Händen eine Frau an ihren dunklen Haaren fest. Die Frau schrie nicht, ihr Körper knickte ein, die Beine plumpsten auf den Asphalt.
Der Mann, der den Wagen gefahren hatte, hielt eine Waffe in der Hand und richtete sie auf die Frau, die auf dem Rasen lag.
In diesem Augenblick begann Anderson zu laufen. Er brüllte: »Nein!«
Da schoss der Mann auf Anderson.
Anderson ließ sich fallen, und er spürte in seinem Mund Gras und Erde. Er hob den Kopf nicht, und er blieb auch liegen, als der Wagen davonfuhr.
Er hatte Angst davor, irgendwo an seinem Körper eine Wunde zu entdecken. Aber da er keinen Schmerz fühlte, nur die Halme und die feuchte Erde in seinem Mund, spuckte er ein paarmal in das Gras und stand so mühsam auf, als sei er schwer getroffen.
Etwa zehn Meter von ihm entfernt stand die Frau. Sie trug einen weißen Sommermantel, der auf dem Rücken schmutzig war.
Anderson setzte sich langsam in Bewegung und murmelte: »So etwas darf doch nicht sein. So etwas gibt es doch nicht.« Dann spürte er, dass sein Kinn nass war. Er zog hastig ein Taschentuch heraus und wischte sich über das Gesicht. »Gestatten, Anderson.«
Ihre Augen zeigten leichte Reflexe, als wisse sie noch nicht genau, wo sie sei. Und dann begann sie zu lachen und gluckste: »Gestatten, Anderson, gestatten, Anderson, gestatten, Anderson!« Ihr Gesicht war verzerrt.
Er sah, dass sie vor Angst und Entsetzen hysterisch war. Sie lachte noch immer, schlug sich mit beiden Händen auf die Oberschenkel, beugte sich vor, sodass ihr Haar wie ein Vorhang über ihr Gesicht fiel.
Anderson machte zwei Schritte, bis er vor ihr stand. Er nahm sie bei den Schultern und richtete sie auf. »Entschuldigung, ich habe nicht gewusst, dass es so etwas …«
Ihr Lachen war wie weggeblasen. Sie sagte heiser, als tue ihr das Sprechen weh: »Ich lebe.«
»Sie leben.« Anderson war verwirrt. Er starrte die Straße entlang.
»Hat man Sie getroffen?«, fragte sie.
Er schüttelte den Kopf. Er dachte, dass er derartige Szenen oft im Fernsehen genossen hatte und dass er lächerlich und unglaublich wirken würde, wenn er irgendjemand erzählte: »Ich habe das in der Wirklichkeit erlebt.«
»Aber an Ihrem Mund ist Blut.«
Anderson nahm wieder das Taschentuch heraus und wischte sich über den Mund. »Sie müssen hier weg.«
»Ja«, sagte sie. »Haben Sie eine Zigarette?«
»Moment.« Er zündete ihr eine an, und sie rauchte sie hastig.
Ich werde sie jetzt nicht stören, dachte Anderson, sie ist verwirrt. Das ist ein merkwürdiges Gefühl: Sie verdankt mir ihr Leben. Was wird sie sagen, wenn ihr das klar wird?
Sie gingen hastig zu einem der Taxis vor der Ankunftshalle. Anderson zögerte einen Moment. Er dachte an die Maschine nach Zürich.
»Ich kann allein fahren«, sagte sie kühl. Sie hatte sich erstaunlich schnell gefangen.
»Ich bringe Sie selbstverständlich nach Hause.«
Er ließ sie einsteigen, ging um das Heck des Wagens herum und überlegte, woher er den Mut genommen hatte, auf eine Pistole zuzurennen. War er ein Narr?
Er öffnete die andere Tür. »Bitte, warten Sie einen Moment.«
Er rannte in die Abflughalle und sagte am Schalter, man habe seinen Koffer bereits in die Maschine geschafft, man solle ihn hier deponieren, er werde ihn abholen. Sein Platz sei frei für einen Fluggast auf der Warteliste.
Er ging geistesabwesend davon. Die Frau war jung, vielleicht achtundzwanzig. Anderson fragte sich, ob das Grund genug sei, nicht nach Zürich zu fliegen. Man hatte diese Frau töten wollen, das war ganz sicher. Er dachte, ob es nicht besser sei, sich herauszuhalten. Die Welt des Verbrechens war ihm so fremd, dass er immer noch nicht richtig begriffen hatte.
Er sprang die zwei Stufen vor der Ankunftshalle hinunter und öffnete die Tür des Taxis. »Ich musste nur noch meinen Flug abbestellen.«
Sie sah geradeaus. »Tatsächlich meinetwegen?« Dann gab sie dem Fahrer den Namen einer Straße an, die Anderson nicht kannte.
Später fuhren sie die Königsallee entlang, in die Altstadt hinein und hinunter zum Rheinufer. Schließlich sagte der Fahrer wie alle Taxichauffeure: »So, da wären wir.«
Anderson bezahlte und ließ sich eine Quittung geben. Dann folgte er der jungen Frau. deren Namen er noch nicht kannte, durch ein schmiedeeisernes Tor in einen Vorgarten zu einem altmodischen Haus. Im Vorraum an der Treppe war es kühl.
Sie biss sich für einen Moment auf die Lippen. »Ich wohne im ersten Stock.«
Anderson begriff. »Ich will nicht stören. Darf ich mich verabschieden?«
Sie hat nicht einmal danke gesagt oder irgend so etwas, dachte er.
Sie blickte die halbdunkle Treppe an und versuchte zu lächeln. »Das ist es nicht, ich wohne allein. Aber …«
Er sah die Angst in ihrem Gesicht und sagte schnell: »Gehen wir hinauf.«
Oben hantierte sie mit dem Schlüsselbund, brachte aber die Tür nicht auf.
»Geben Sie her.« Er steckte den Schlüssel ins Schloss, drehte ihn herum und öffnete.
Er ging voran, blickte in jeden Raum der hohen Vier-Zimmer-Wohnung, sah Großmutters zierliche Peddigrohrmöbel, einen chinesischen Faltparavent, Konsoltischchen, Zeitungs- und Flaschenständer, ein bisschen englisch, auch ein bisschen düsseldörflich, aber sehr mädchenhaft und verspielt.
»Besuch ist nicht da«, rief er, »oder haben Sie jemanden erwartet?«
Sie ging nicht auf den Ton ein, den er als heiter empfand. »Da drüben ist etwas zum Trinken. Ich mache mich nur ein wenig frisch.«
»Einen Augenblick«, sagte er, »aber darf ich wenigstens noch Ihren Namen erfahren. Es spricht sich dann besser miteinander.«
»Maria Schloßheim.« Sie wandte sich ab und ging hinaus.
Anderson lief in den .Flur zurück und öffnete vorsichtig die Wohnungstür. Auf dem Schild stand tatssächlich ›Schloßheim‹. Im Wohnzimmer goss er sich Wodka in ein Glas und trank es in einem Zug aus. Dann beobachtete er seine Hände. Er dachte, dass es viel weniger aufregend sei, mit Aktien Geld zu verdienen, als in einem Stück Wirklichkeit mitzuspielen, das ebenso unglaublich und pathetisch war wie ein Film mit einem der stahläugigen Muskelmänner.
Er hörte eine Dusche rauschen und fragte sich, was geschehen würde, wenn plötzlich diese Revolverhelden erschienen, und ob er in der Lage wäre, gegen sie anzugehen. Aber es blieb eine Frage, denn niemand kam.
Dann hörte er ihre Stimme: »Machen Sie mir bitte einen Whisky. Mit viel Eis.«
Anderson nahm die Whiskyflasche und ein Glas. In der Küche klopfte er das Eis aus einem Behälter, füllte das Glas auf und ging zurück.
Die Frau, die Maria hieß, saß in einem der Rohrsessel. Sie trug ein lachsrosa Hemdblusenkleid mit einem Lederfransengürtel. »Danke, dass Sie mir das Leben gerettet haben. Meine Freunde werden sich jetzt nur fragen, wo ich geblieben bin.« Sie lachte und trank einen Schluck.
»Wie bitte?«, fragte Anderson vorsichtig. »Ihre Freunde?«
»Nun ja, wir machen einen Film. Wir haben eine Szene durchprobiert. Natürlich ohne Kamera.«
Anderson ging ans Fenster und sah hinaus auf den Rhein, an dessen Ufer Schiffe lagen, die im Dämmerlicht aussahen wie große Käfer. Er wusste, dass sie log. Und er wusste im gleichen Moment, dass er versuchen würde herauszufinden, warum sie es tat.
Er hatte ihre Augen gesehen, ihre Angst und ihr Entsetzen. Er hatte gehört, wie die Kugel neben ihm in die Büsche fuhr. Warum deckte sie diese Männer?
Er drehte sich herum und murmelte: »Werden die beiden hierherkommen?«
»Ich glaube nicht. Sie werden irgendwo ein Bier trinken. Wir haben die nächste Probe morgen früh.«
Er war von ihrer Lüge betroffen, und er wollte auf einmal nicht mehr mit ihr allein sein. »Gehen wir irgendwo essen?«
»Gern.«
»Darf ich telefonieren?«
»Natürlich.« Sie stand auf.
Er rief den Flughafen an und fragte, ob am kommenden Tag noch ein Platz nach Zürich frei sei.
»Achtzehn Uhr«, sagte das Mädchen in der Auskunft, »alles andere ist ausgebucht.«
Er buchstabierte seinen Namen und hängte ein. Danach bestellte er ein Zimmer im ›Excelsior‹.
»Ich brauche nur noch eine Kleiderbürste. Ich habe mich ja bei Ihren Proben vor Schreck auf den Rasen gelegt.«
»Glauben Sie im Ernst, dass jemand ausgerechnet vor dem Flughafen einen Mord inszeniert? Wo dauernd Autos vorbeifahren?«
Er nahm die Kleiderbürste, die sie ihm entgegenhielt. Irgendetwas stimmte tatsächlich nicht. Die Straße war vollkommen leer gewesen. Kein Auto, kein Bus, kein Fahrrad, kein Moped, kein Fußgänger. Er wusch sich im Bad und ging zurück in das Wohnzimmer. »Maria, wo stecken Sie denn?«
»Im Schlafzimmer. Drei Minuten noch.«
Anderson rief die Flughafenverwaltung an und fragte: »Am letzten Parkplatz vor Ihrem Gelände biegt eine Straße ab in einen Wald: Wo führt sie hin?«
Der Mann am anderen Ende sagte: »Das ist eine Sauerei mit dieser Stichverbindung. Sie soll seit einem Jahr fertiggestellt werden, aber sie endet an der alten Schutthalde. Diese Baubehörden! Da muss man doch extra einen Umweg von mindestens …«
Anderson legte auf.
Maria stand in der Tür zum Wohnzimmer.
»Sie sind sehr nett, Maria, aber Sie haben mich belogen. Sie sollten wirklich ermordet werden. Die Straße ist eine Sackgasse. Ich mag wie ein Idiot ausgesehen haben, als ich im Dreck lag, aber ich bin keiner.«
»Können wir jetzt gehen? Es waren wirklich Filmproben.«
»Wie Sie wollen. Ich frage mich nur, wo die Brüder mit dem Wagen hingefahren sind, wenn es wirklich eine Sackgasse ist. Oder kann man an der Schutthalde vorbei irgendeine Straße erreichen?«
Sie gab einen Laut von sich, der nicht klar zu definieren war. Menschen können auf die gleiche Weise zu lachen und zu weinen beginnen. »Man kann an der Schutthalde entlang auf den Zubringer nach Wuppertal fahren. In der Schutthalde spielt übrigens auch eine Szene.«
Sie bestellten ein Taxi und tranken etwas, während sie warteten. Sie sprachen über Belanglosigkeiten, weil Misstrauen zwischen ihnen stand. Sie waren beide dankbar, als der Taxifahrer klingelte. Später aßen sie in einem kleinen Lokal, das sehr behaglich war mit seinem Hauch von Düsseldorf.
»Was sind Sie von Beruf?«, fragte Maria.
»Ich bin Bankkaufmann. Ich mache in Aktien und Geld und so.«
»Du lieber Himmel, davon verstehe ich nichts.«
»Müssen Sie auch nicht, und ich verspreche Ihnen, keinen Fachvortrag zu halten. Wie alt sind Sie eigentlich?«
Sie sah ihn erstaunt an. »Achtundzwanzig, kinderlos, nicht verlobt, nicht verheiratet, nicht geschieden und so weiter und so weiter.«
»Und von Beruf Schauspielerin?«
»Nein. Wir gehören zu den sogenannten Jungfilmern. Jungfilmer sind Leute, die sich etwas einbilden. Worauf, kann man nie genau feststellen.«
»Was sind Sie wirklich?«
»Na, was schon?« Sie sah ihn an, als sei sie dankbar dafür, dass es ihn gab. »Sekretärin. Und Sie? Sind Sie eigentlich reich?«
»Sie werden lachen: nein. Ich bin zwar ein Mann mit ein paar Konten, aber nicht reich.«
»Ich mag keine reichen Männer. Reiche Männer haben die dumme Angewohnheit, so zu tun, als seien sie genauso wie all die anderen. Aber sie sind es nicht.«
In diesem Augenblick ging hinter seinem Rücken die Tür auf.
Maria wurde blass.
Anderson drehte sich herum und sah einen Mann von vielleicht fünfzig Jahren. Er blieb in der offenen Tür stehen. Dann sah er Maria, drehte sich herum und ging hinaus.
»Ein Bekannter?«, fragte Anderson.
»Wen meinen Sie?« Ihre Stimme klang heiser.
Es war nicht so, dass er sich Misstrauen von einer Stunde zur anderen zum obersten Gebot gemacht hatte, aber Maria hatte Angst, das war eindeutig.
Anderson gab ihr die Chance, sofort zu gehen. Er sagte: »Ich will tanzen.«
»Ich auch.«
Auf der Straße stellte er sich die Frage, ob vielleicht Maria doch mit irgendetwas Ungesetzlichem zu tun habe.
Er nahm ihre Hand, und sie schlenderten davon. Schon nach einigen Metern legte sie den Kopf an seine Schulter und sagte klagend: »Ich kenne nicht einmal Ihren Vornamen.«
»Gert.«
»Ich möchte nichts Verrücktes tanzen, irgendetwas ganz Normales«, murmelte sie.
Sie tanzten in einem kleinen Lokal, in dem die Band so schlecht war, dass sie nicht einmal die Harmonien der Beat-Nummern glatt bringen konnte, und zwischen uralten New-Orleans-Nummern spielte sie mit Grünspan besetzte Frivolitäten, wie die vom Hans, der mit dem Knie etwas tut, was seine Dame nicht begreift.
Sie hatte die Augen geschlossen, ihr Gesicht war weich. Er spürte ihre langen Beine, ihren Busen und die Muskeln auf ihrem Rücken. Er merkte, dass sie nichts als seine Nähe brauchte, das Gefühl, nicht allein zu sein.
»Warum hat eine Frau wie Sie keinen Mann?«, fragte er.
»Es ist die uralte Geschichte. Er war sehr nett, sehr lieb und voller Zukunftspläne. Und meine Eltern gaben mit ihm an, weil er aus einem vermögenden Haus stammte, und sparten meine Aussteuer zusammen. Drei Tage vor der Hochzeit ließ er mich sitzen. Seitdem finde ich die Männer zwar immer noch nett, aber ich verlasse mich nicht mehr auf sie.«
»Darf ich Sie besuchen, wenn ich wieder in Düsseldorf bin?«
»Wann wird das sein?«
»Ich weiß es nicht. Vielleicht in zwei oder drei Monaten.«
»Das ist eine lange Zeit«, sagte sie leise.
»Sie haben Ihre Arbeit, ich habe meine. Ich kann das Geschäft nicht lange liegen lassen. Ich muss am Montag in Liechtenstein sein.« Er lächelte auf sie hinunter. »Ich möchte eigentlich lieber bei Ihnen bleiben.«
Sie hatten einen Teil ihrer Masken abgenommen.
»Ich möchte einen Schluck trinken«, sagte sie.
Sie gingen an den Tisch zurück und hielten sich dabei an der Hand. Sie setzten sich nicht mehr einander gegenüber, sondern nebeneinander, und begannen sich zaghaft zu küssen.
»Ich möchte hier heraus, Gert.«
Er wurde ungeduldig, als der Kellner nicht sofort kam, um zu kassieren.
Draußen fragte sie: »Wann wirst du fliegen?«
»Morgen Abend.«
»Kommst du vorher noch einmal?«
»Ja. Morgen, wenn die Sonne aufgeht.«
»Wo wirst du schlafen?«
»Im Excelsior.« Er winkte einem Taxi.
Dann küssten sie sich, bis der Wagen vor dem Garten mit dem schmiedeeisernen Tor hielt.
»Bleib im Auto«, sagte sie hastig, »sonst werde ich noch schwach.«
»Das wäre gut.«
»Was?«
»Schwach werden!«
Sie stieg aus, ohne sich zum Abschied herumzudrehen.
Was erwartet sie, überlegte er, dass ich wegfahre oder dass ich aussteige?
Er tat das für ihn Nächstliegende: Er stieg aus, gab dem grinsenden Fahrer einen Schein und folgte Maria.
Sie hatte die Wohnungstür bereits aufgeschlossen und das Licht angeknipst.
Und hier im hellen Flur verdrängte Anderson plötzlich den romantischen Teil dieses Abends. Man hat sie töten wollen, dachte er, und sie bagatellisiert den irren Umstand, nicht tot zu sein. Es war keine Filmprobe, es war ein richtiger Mordversuch, und es ist nur deshalb beim Versuch geblieben, weil ich dazwischengekommen bin.
Im Wohnzimmer stellte er sich wieder an das große Fenster. Nur gelegentlich sah er Lichter von vorbeifahrenden Autos und schemenhaft die Ufer des Rheins. Er hörte Maria in der Küche hantieren.
»Warum hast du mich belogen?«, fragte er gegen die Scheibe.
Sie kam mit zwei Gläsern herein. »Bist du nur heraufgekommen, um das zu erfahren?«
»Möglich.«
Sie stellte die Gläser ab. »Was willst du trinken?«
»Irgendetwas. Es ist nicht wichtig.« Er wandte sich zu ihr. »Ich möchte wissen, aus welchem Grund du zwei Männer schützt, die dich ohne jeden Zweifel ermorden wollten. Du weißt sehr gut, dass ich deine Geschichte von der Filmaufnahme von Anfang an nicht geglaubt habe. Schauspieler schießen nicht auf Passanten, nicht wahr? Wovor hast du Angst, vor wem fürchtest du dich schier zu Tode?«
»Ich finde dich unverschämt, Gert!«
Er begriff gleich, dass sie ihn nicht wirklich unverschämt fand. Sie wehrte ihn ab, er war und blieb der Fremde, den eine offenbar interne Auseinandersetzung, bei der sogar das noch einmal davongekommene Opfer schwieg, absolut nichts anging.
Er streckte die Arme aus, um Maria an sich zu ziehen. »Ist das denn so schwer, mir alles zu sagen? Die Gefahr für dich ist doch noch nicht vorbei, meine ich.«
Sie entzog sich durch einen kleinen Rückwärtsschritt seiner Umarmung. »Es ist nicht erklärbar, Gert. Heute noch nicht, vielleicht morgen, vielleicht übermorgen.«
»Maria – ich würde vorschlagen, dass du in einem Hotel schläfst und nicht in deiner Wohnung. Wenigstens diese Nacht.«
»Und ich würde vorschlagen, dass du jetzt gehst und dir nicht meinen Kopf zerbrichst. Bitte!«
»Wie du willst. Ich komme morgen früh, oder?«
»Ich möchte nicht, dass es einen Misston zwischen uns gibt, Gert.«
»Du bist gut! Bis morgen, Maria.«
Um sieben Uhr machte er sich mit einer Hast zurecht, die ihn selbst amüsierte. Er ließ sich das Frühstück in seinem Zimmer servieren, weil er dann beim Rasieren etwas essen und trinken konnte.
Um acht Uhr ließ er sich von einem Taxi zu Maria bringen. »Fahren Sie ruhig schneller, die Stadt schläft noch.«
»Aber nicht die Polizei«, sagte der Fahrer.
Anderson bezahlte und blickte hinauf zu den Fenstern im ersten Stockwerk. Er pfiff und lief durch den Vorgarten zur Haustür. Sie war offen.
Dort standen drei Männer. Ihre Gesichter wirkten ebenso amtlich wie ein staatliches Siegel.
Der Mann, der in der Mitte stand, blickte ihn an. »Zu wem wollen Sie, bitte?«
»Zu Fräulein Schloßheim. Sonst noch Fragen?«
»Kennen Sie Fräulein Schloßheim gut? Wann haben Sie sie zum letzten Mal gesehen?« Der Mann in der Mitte wirkte kompromisslos wie ein angreifender Stier.
Anderson wurde wütend. »Passen Sie auf: Ich bin mit Fraulein Schloßheim verabredet. Lassen Sie mich vorbei!«
Der Mann in der Mitte war klein und gedrungen. »Burger! Mordkommission!«
Anderson murmelte: »Ich war ein Idiot.«
»Wieso waren Sie ein Idiot?«
»Sie ist ermordet worden!«
Burger schüttelte den Kopf. »Unfall.« Er machte ein paar Schritte zur Seite.
Maria lag auf dem Rücken. Ihre Beine streckten sich weiß und lang die Stufen hinauf. Ihre Augen waren offen.
Anderson konnte nicht länger hinsehen. »Wann ist das passiert?«
»Der Arzt sagt, etwa zwischen Mitternacht und zwei Uhr morgens.«
»Ich bin um ein Uhr hier weggegangen«, sagte Anderson. Dann sah er den Lederkoffer und die verstreuten Wäschestücke. »Wollte sie verreisen?«
»Anscheinend«, sagte Burger, »Auf jeden Fall hatte sie den Koffer bei sich, als sie die Treppe hinunterstürzte. Schädelbasisbruch. Wir nennen das einen häuslichen Unfall mit Todesfolge. Vorläufig wenigstens.«
Anderson lehnte sich mit dem Rücken an die Wand und sah die tote Maria an. Er steckte sich eine Zigarette zwischen die Lippen und dachte darüber nach, was Maria bewogen haben könnte, vielleicht doch in ein Hotel zu gehen, und anscheinend unmittelbar nachdem er sie verlassen hatte.
»Sie irren, Herr Burger«, sagte Anderson, »das ist kein Unfall, das ist Mord!«
Kriminalkommissar Burger betrachtete aufmerksam das Gesicht Andersons und sagte: »Der Herr neben mir ist Doktor Bentheim. Klären Sie diesen Mann auf.«
»Wenn jemand diese junge Frau hätte töten wollen, dann konnte er nicht mit dem puren Zufall rechnen, dass sein Opfer an einem Schädelbruch stirbt. Ein Mörder will seiner Sache sicher sein; er hätte also vorher geeignete Maßnahmen getroffen und erst hinterher einen Treppensturz zur Tarnung inszeniert. Aber sehen Sie sich einmal die Tote an.«
Sie ist immer noch schön, dachte Anderson. Er wollte aus dem Haus laufen, aber die Stimme des Arztes hielt ihn zurück.
»Das Gesicht sieht friedlich aus. Strangulationsmerkmale sind nicht vorhanden, Schlagwirkungen sind nicht feststellbar. Es war nur der Sturz, ein unbeabsichtigter Sturz.«
Anderson sah Kommissar Burger an. »Ich kannte sie kaum. Ich habe sie gestern Abend auf dem Flugplatz kennengelernt. Dort haben zwei Männer versucht, sie zu erschießen.«
»Wie bitte?« Burger drehte sich um, starrte der Toten ins Gesicht, als habe sie noch die Möglichkeit, Fragen zu beantworten. »Wann war das? Und wo genau?«
Anderson murmelte: »Ich kann das nicht … ich kann nicht erzählen …«
»Reißen Sie sich zusammen! Kommen Sie mit hinauf in die Wohnung.«
Er berichtete von seiner ersten Begegnung mit Maria unter diesen merkwürdigen Umständen und dem Schuss in der Stichstraße zur Schutthalde am Flughafen, und er hielt die Augen geschlossen, um die Konzentration nicht zu verlieren.
»Sie tauchten als rettender Engel auf«, sagte Burger, »ließen Ihren Flug Flug sein, brachten sie hierher und gingen dann mit ihr in die Altstadt. Sie aßen, Sie tanzten. Dann lieferten Sie Fräulein Schloßheim hier ab und gingen in Ihr Hotel. Und heute Morgen wollten Sie wieder hierherkommen.«
»So war es.«
In diesem Augenblick verlor der Kommissar die Nerven. »Himmel, Arsch und Zwirn, ich kann Sie ja verstehen. Sie haben diese Frau gern gehabt; und nun ist sie tot. Angenommen, ich glaube Ihnen den Mordversuch am Flughafen, dann bringen Sie mir doch einen Beweis. Nur einen ganz kleinen Beweis.«
»Die Kugel. Einer dieser Männer im weißen BMW hat auf mich geschossen. Die Kugel muss irgendwo da draußen sein.«
»Wie wollen Sie ein Geschoss finden, das so groß ist wie mein Daumennagel und das auf tausend Quadratmeter Buschland umherliegen oder in irgendeinem Ast stecken kann? Wir werden von Steuergeldern bezahlt, mein Bester.« Im gleichen Augenblick begriff er, dass er zu weit gegangen war. »Entschuldigung, aber Sie haben mich nervös gemacht. Der Staatsanwalt jagt mich zum Teufel, wenn ich ihm mit so einer Geschichte komme.«
»Schon gut«, sagte Anderson.
»Ich muss Ihre Aussage zu Protokoll nehmen. Und damit rollt eine Maschine an, die Sie nicht mehr aufhalten können. Konzentrieren Sie sich bitte, suchen Sie noch einmal nach Anhaltspunkten, die uns wirklich weiterhelfen.«
»Bin ich der Kriminalist, oder sind Sie es? Was wissen Sie eigentlich von Maria?«
»Wir recherchieren seit einiger Zeit«, sagte Burger müde. »Sie war eine gebildete, ledige Frau. Chefsekretärin eines bekannten Düsseldorfer Industriellen. Sie verdiente mehr, als ich verdiene. Ihr Leumundszeugnis ist einwandfrei.«
»Aber sie hat doch angeblich einen Film gedreht«, sagte Anderson heftig. Er stand auf und ging mit langen Schritten zum Fenster. »Wieso soll ausgerechnet ich so etwas Blödsinniges behaupten?« Anderson zündete sich wieder eine Zigarette an. »Schön, ich habe sie nur ein paar Stunden gekannt, und ich hatte sie gern. Aber wie verhält sich denn eine junge, bewegliche Frau, die oben an der Treppe stolpert und stürzt?«
»Zunächst bekommt sie einen Schreck«, antwortete der Polizeiarzt, »dann fasst sie instinktiv nach allen Gegenständen, die sie vor dem Sturz bewahren. Zum Beispiel nach den Stangen, die das Geländer tragen. Es kann aber auch vorkommen, dass sie so schwer und so schnell stürzt, dass sie keine Chance hat, sich irgendwo zu bremsen. Ich gebe allerdings zu, dass das bei jungen Menschen kaum passiert.«
»Aber das ist doch nichts für den Staatsanwalt.« Burger wirkte verkniffen.
Anderson fragte: »Soll ich uns einen Kaffee machen?«
»Das wäre gut. Wir nehmen ein kurzes Protokoll auf.«
Anderson ging in die Küche und füllte Wasser in einen Kessel. Er zündete die Gasflamme an und sah aus dem Fenster. Männer in grauen Uniformen und Mützen trugen eine Bahre aus dem Haus. Anderson murmelte: »Mach’s gut, Mädchen!«
Dann begann er, nach Kaffee zu suchen. Und schließlich stand er vor dem Küchenschrank und weinte. Man hatte ihm etwas genommen, was er kaum besessen hatte.
Plötzlich war der Polizeiarzt in der Tür. »Junger Mann!«, sagte er vorwurfsvoll. »Schwache Nerven auf einmal?«
»Ich bin doch nicht verrückt. Ich habe gesehen, wie man sie erschießen wollte. Das habe ich verhindert. Vielleicht habe ich die zwei Männer nicht genügend erkannt, um sie möglicherweise zu identifizieren. Und dann verlieben wir uns ein bisschen, und wir verabreden uns. Und dann komme ich her, und sie ist tot. Tod durch Unfall? Schlicht die Treppe hinuntergefallen? Da stimmt doch irgendetwas nicht.«
»Burger glaubt Ihnen. Aber ohne Beweise steht er vor dem Staatsanwalt dumm da.«
Anderson wischte sich mit seinem Taschentuch über das Gesicht. »Es ist nur so, dass ich eine solche Frau noch nie getroffen habe. Wahrscheinlich macht mich das ein wenig verrückt.« Anderson nahm das Tablett mit den Tassen und der Kaffeekanne und trug es hinaus.
Burger stand im Wohnzimmer und telefonierte. »Herr Staatsanwalt, ich bin kein Anfänger. Irgendetwas ist faul an der Sache.«
Anderson stellte das Tablett auf den Tisch. »Lassen Sie es gut sein. Ich habe diesen Wirbel nicht gewollt.«
Burger winkte heftig ab. »Komisch ist doch, dass diese Frau mit einem relativ leichten Koffer eine Treppe von zwanzig Stufen hinuntergefallen ist, ohne sich unterwegs zu fangen. Ich bin der Meinung, dass sie schon tot war, ehe sie stürzte. Möglicherweise beerdigen wir eine ›Unfalltote‹, die ermordet worden ist.«
Er legte auf und wandte sich um. Er war wütend und sagte schroff: »Doktor wenn Sie nichts finden, können wir beide in Pension gehen. Achten Sie auf das Gehirn!« Burger setzte sich in einen Sessel. »Angenommen, Sie haben recht. Angenommen, Fräulein Schloßheim ist getötet worden. Dann muss es geschehen sein, bevor sie stürzte. Und es muss ohne Gewalt geschehen sein. Wir fahren erst einmal zum Flughafen. Ich will genau wissen, wo es passierte und wie.«
Der Arzt nahm seine Tasche. »Kommen Sie zu mir, wenn Sie draußen fertig sind.«
Burger nickte, als der Arzt ging. Er murmelte seufzend: »Und nun, Herr Anderson, werden Sie auf Herz und Nieren geprüft.«
Burger hatte zwölf Beamte angefordert, die den Rasen so eingehend untersuchten, dass es Anderson beinahe lächerlich vorkam.
»Hier sind Sie hingefallen?«, fragte Burger.
»Genau hier.«
»Erinnern Sie sich an den Schuss? Schlug die Kugel links oder rechts von Ihnen in die Büsche?«
»Links.«
»Stellen Sie sich etwa zwei Meter vor den Punkt, an dem Sie hinfielen«, rief Burger. Er stand jetzt dort, wo Maria auf dem Rücken gelegen und der Mann die Waffe auf sie gerichtet hatte. Er steckte einen Pflock in die Erde, befestigte daran ein Maßband, ging damit auf Anderson zu.
»Haben Sie eine ungefähre Vorstellung, wie nahe die Kugel an Ihnen vorbeiflog?«
»Ich hörte einen Ast brechen. Das war dicht neben mir.«
Burger zog die Messschnur weiter in die Büsche. Dann brüllte er: »Sucht genau an diesem Band entlang. Dalli, dalli.«
Nach zwanzig Minuten rief ein Beamter: »Ich hab sie.«
»Glauben Sie mir jetzt?«, fragte Anderson. Seine Hände zitterten. Er wandte sich ab und wartete, bis die Männer herausgefunden hatten, dass der weiße BMW am Rand der Müllkippe entlang den Zubringer nach Wuppertal hatte erreichen können.
Burger knurrte zufrieden. »Los, kommen Sie. Wir beide fahren zum Doktor. Vielleicht hatte er auch Glück.«
Der Arzt saß in seinem Büro. Als sie hineinkamen, lächelte er. »Kommen Sie, Burger, sehen Sie sich das an.«
Die beiden gingen hinaus, und Anderson ließ sich in einen Stuhl fallen. Vielleicht war es nicht einmal gut, so viel Wirbel um ihren Tod zu machen, dachte er. Vielleicht hätte sie es gar nicht gewollt Aber ich hatte begonnen, sie zu lieben.
Als Burger und der Arzt wieder eintraten, fragte er: »Nun, was ist es?« »
»Fräulein Schloßheim wurde durch Zyankali getötet«, sagte der Arzt. »Zyankali ist ein Gift, das im Körper bald abgebaut wird und dann nicht mehr nachweisbar ist. Verwendet der Täter auch nur so viel, dass es gerade reicht, einen Menschen umzubringen, so verätzt es doch die Magenwand. Die Magenwand unseres Opfers ist aber nicht in Mitleidenschaft gezogen. Trotzdem ist der Tod durch Zyankali eingetreten. Ich habe das Gehirn bloßgelegt. Man kann es deutlich riechen und nachweisen. Sie hat es also nicht mit irgendeinem Getränk oder einer Speise zu sich genommen. Unser Problem klingt grotesk: Wie kam das Zyankali in den Körper der jungen Frau?«
»Wie?«, fragte Anderson.
»Spray«, sagte Burger. »Man hat ihr Zyankali ins Gesicht gesprüht.«
Anderson kam erst abends um 22 Uhr ins Hotel zurück. Burger hatte ihn stundenlang verhört. Der Mord war nachgewiesen, aber es gab keine Spur zum Mörder.
Er hatte keine klare Vorstellung davon, was ihn eigentlich bewog, in Düsseldorf zu bleiben. Burger hatte gesagt, er könne gehen, wohin er wolle. Er spürte kein Rachegefühl, aber eine Neugierde auf den Mann, der das getan hatte. Und er fühlte sich unfähig, im gewohnten Rhythmus zu denken und zu arbeiten. Ihr Tod hat mich mehr verändert, als wenn ich sie geheiratet hätte, und ich glaube, ich hätte sie geheiratet, dachte er.
Gegen Mitternacht verließ er sein Zimmer, ging hinunter in das Restaurant und zwang sich, etwas zu essen. Er trank eine ganze Karaffe alten Genever und wurde ein wenig ruhiger. Er trank eine zweite Karaffe Genever, dann eine dritte, dann eine vierte. Als er gegen zwei Uhr in sein Zimmer ging, war er so betrunken, dass er sich am nächsten Morgen danach erkundigen musste, ob er bezahlt hatte.
»Sie haben selbstverständlich bezahlt. Möchten Sie Frühstück?«
»Nein, ich gehe schwimmen. Ist es voll?«
»Soweit ich weiß, nicht. Haben Sie Badesachen, oder soll ich welche schicken?«
»Schicken Sie Hose Größe vier.«
Er rasierte sich und fuhr dann mit dem Lift in das Bad im Keller. Es war ein großes Becken, weit genug, dass man sich austoben konnte. Und außer ihm war nur eine Frau da, die gleichmäßig von einem Ende zum anderen tauchte.
Obwohl das Wasser warm war, begann Anderson zu frieren. Er war verkatert.
»Sie haben drei ganze Karaffen Genever getrunken. Oder waren es vier?« rief die junge Frau.
»Ein Mann muss sich gelegentlich betrinken.« Dann sprang er flach ins Wasser und tauchte durch das Becken. Er prustete, tauchte erneut, kam an die Oberfläche.
»Für so viel Genever sind Sie sehr gut in Form«, sagte sie. Sie hatte ein hübsches, ruhiges Gesicht voller Spott. Vielleicht war sie zwanzig, vielleicht dreißig. Sie war einfach eine nette Person.
Aber da stand Burger im Eingang zur Schwimmhalle. »Herr Anderson, ich brauche Sie.«
»Schon wieder?«
»Sie sollten sich anziehen und mitkommen.« Burger machte eine ungeduldige Handbewegung, runzelte die Stirn und warf einen Blick auf die Frau.
Sie verließen das Hotel zehn Minuten später, und Anderson hatte zum ersten Mal die Pflicht, ein Schauhaus zu besuchen. Er murmelte: »Hoffentlich falle ich nicht in Ohnmacht.«
Burger sah auf die Fahrbahn. »Sie sind viel härter, als Sie tun. Das mit dieser Maria hat Sie getroffen, alles andere wird Sie kalt lassen. Nach meiner Erfahrung hat ein Bankkaufmann etwa Nerven wie Nilpferdhaut.«
Der Tote lag in Box 42. Ein Mann mit einer Gummischürze lief vor ihnen her und zog an der Schublade.
»Na?«, fragte Burger. »Fällt Ihnen etwas auf?«
»Es ist der Mann, der aus dem BMW stieg und dann Maria erschießen wollte.«
»Mit Sicherheit?« fragte Burger.
»Ganz sicher.«
Burger machte ein paar unsichere Schritte auf der Stelle. »Ich habe Ihnen doch erzählt, dass Fräulein Schloßheim die Sekretärin eines Düsseldorfer Industriellen gewesen ist. Der Tote, den Sie eben gesehen haben, war sein Fahrer. Damit sind zwei Personen aus der unmittelbaren Umgebung dieses Industriellen innerhalb von vierundzwanzig Stunden umgebracht worden. Der Mord an dem Chauffeur wäre noch erklärbar. Er sollte Fräulein Schloßheim erschießen. Aber er versagte. Dann ist er wahrscheinlich von dem zweiten Mann erschossen worden. Das erklärt aber noch nicht den Mord an Fräulein Schloßheim. Außerdem besitzt dieser Industrielle keinen weißen BMW, und er hat niemals ein solches Fahrzeug besessen.«
»Brauchen Sie mich noch?«, fragte Anderson. Er wollte aus diesem Wirrwarr an Vermutungen heraus. Es war ein Stück Leben, das ihm missfiel.
»Sie können gehen«, sagte Burger. »Aber Sie sollten noch einige Tage in der Stadt bleiben.«
In der Empfangshalle des Hotels war wenig Betrieb. Es war noch zu früh, Mittag zu essen. Anderson setzte sich an einen kleinen Tisch und ließ sich einen Martini bringen.
Als die junge Frau aus dem Lift kam, wollte er gerade in das Restaurant hinübergehen. Aber sie kam ungeniert auf ihn zu, sodass er ihr nicht ausweichen konnte. Sie hatte langes, hellblondes Haar und trug einen Hosenanzug aus dunkelblauem Tuch. »Sieh da, der Sportler vom Morgen.«
»Gnädige Frau«, sagte Anderson steif, verbeugte sich und rief: »Noch einen Martini, bitte.«
»Ich war eigentlich darauf aus, mit Ihnen zu essen«, sagte sie.
Ihre Offenheit störte Anderson, doch er stimmte zu: »Es wäre mir ein Vergnügen.«
»Wissen Sie, es ist furchtbar, ein Leben in Hotels zu verbringen. Und die Sonntage sind am schlimmsten. Ich weiß, dass ich mich unmöglich aufführe. Aber ich nehme das gelegentlich in Kauf, um nicht immer allein zu sein.«
»Warum sind Sie immer in Hotels?«
»Ich verkaufe Mode«, sagte sie. »So, wie Sie mit Aktien umgehen. Essen wir zusammen bei getrennter Kasse?«
»Wir essen zusammen, aber ohne getrennte Kasse.« Er bestellte mit Bedacht ein leichtes, langes Essen, und sie sprachen wieder über Hotels, mangelnde Bedienung und andere Belanglosigkeiten. Er war dankbar, dass sie ihn ablenkte, aber er konnte sich keinen Reim darauf machen, dass sie offenbar viel über ihn wusste. »Sind Sie verheiratet?«
»Nein, ich war es einmal. Und Sie?«
»Ich habe es nie versucht.« Er dachte einen Augenblick an das Gesicht von Maria. »Ich werde es wohl auch nicht mehr versuchen.«
»Das nenne ich Charakter!«
Plötzlich stand Anderson nervös auf. »Entschuldigen Sie bitte«, sagte er und ging hinüber an die Bar.