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Der Palikanon enthält ausgewählte Lehrreden des Buddha. Wir erleben hier den historischen Buddha Shakyamuni und seine häufig unkonventionellen, immer aber hilfreichen Reden und Handlungen. Die Lehrreden sind allerdings nicht in der altertümlichen und häufig ermüdenden Fassung des Palikanon wiedergegeben, sondern in einer modernen und erfrischenden, teilweise auch humorvollen Sprache. Mitunter erlaubte sich der Autor zu kürzen oder etwas zu erläutern, sodass eine ebenso unterhaltsame wie lehrreiche Lektüre entstand, jedoch keine Grundlage für eine tiefer gehende Textexegese. Kursiv und fett gedruckte Begriffe sind in einem Glossar am Ende des Buches erklärt.
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Seitenzahl: 204
Veröffentlichungsjahr: 2021
Der Palikanon enthält ausgewählte Lehrreden des Buddha. Wir erleben hier den historischen Buddha Shakyamuni und seine häufig unkonventionellen, immer aber hilfreichen Reden und Handlungen. Die Lehrreden sind allerdings nicht in der altertümlichen und häufig ermüdenden Fassung des Palikanon wiedergegeben, sondern in einer modernen und erfrischenden, teilweise auch humorvollen Sprache. Mitunter erlaubte sich der Autor zu kürzen oder etwas zu erläutern, sodass eine ebenso unterhaltsame wie lehrreiche Lektüre entstand, jedoch keine Grundlage für eine tiefer gehende Textexegese.
Kursiv und fett gedruckte Begriffe sind in einem Glossar am Ende des Buches erklärt.
Horst Gunkel, Jahrgang 1951, arbeitete 40 Jahre als Lehrer an einem beruflichen Schulzentrum. Er engagierte sich in zahlreichen Vereinen und Bürgerinitiativen zum Schutz des Lebens in all seinen Formen. Von 1981 bis 1995 war er in zahlreichen Gremien und zwei Regionalparlamenten aktiv. Von 1987 bis 2000 leitete er außerdem das ÖkoBüro Hanau. Anfang der 90er Jahre begegnete er dem Buddhismus und erkannte schnell, dass ein Engagement hierin (noch) wichtiger sei als sein bisheriges politisches Wirken. Er legte alle politischen Ämter nieder und setzte sich im Netzwerk Engagierter Buddhisten für ökologische, pazifistische und soziale Projekte ein. 1996 kam er zur Buddhistischen Gemeinschaft Triratna (damals: Freunde des Westlichen Buddhistischen Ordens), für die er zunächst in Frankfurt/M. eine Meditationsgruppe aufbaute, dann die Buddhistische Gemeinschaft Gelnhausen. Hier begann er Texte aus dem Palikanon nachzuerzählen. Einige davon fanden Eingang in dieses Buch.
Weitere Geschichten von Horst Gunkel finden sich unter
http://www.gelnhausen-meditation.de
Die Edle Suche
Buddhas Soziallehre
Furcht und Schrecken
Zwei Arten von Gedanken
Körperachtsamkeit
Der hündische Nacktasket
Der Buddha ist wie das Feuer
Die Lehrrede vom Honigkuchen
Wiedergeburt
Konfliktfreies Reden
Darlegung der Elemente
Wie man einen Elefanten zähmt
Wie viele Heilige gibt es?
Der Buddha und das Kastenwesen
Zehn Richtige Eigenschaften
Vier Arten von Menschen
Dschungeldickicht – ein Ratespiel
Die tauglichen Mittel
Buddha lehrt seinem Sohn Meditation
Der Irrtum bezüglich der Wiedergeburt
Buchhalter Moggallana
Regelverstoß und Reue
Ein leider erfolgloses Lehrgespräch
Punna geht zu den Wilden
Lebensrad und Spiralpfad
Der Wachstumskritiker
Begriffserklärungen
Verzeichnis der Bilder und Tabellen
Meditative Vertiefungen (Tabelle)
Der Edle Achtfältige Pfad (Tabelle)
Bedingtes Entstehen (Bild und Tabelle)
Die sechs Elemente (Tabelle)
Zehn Richtige Eigenschaften (Tabelle)
Die fünf Gruppen (Tabelle der
khandhas
)
Die Vier Edlen Wahrheiten (Tabelle)
Die Vier Rechten Bemühungen (Tabelle)
Die sechs Sinnengrundlagen (Tabelle)
Stufen der Heiligkeit (Tabelle)
Die
upanisa
-Kette (Tabelle des Spiralpfades)
Der Spiralpfad (Bild)
wo finden sich weitere Geschichten?
Originaltitel: Ariyapariyesana Sutta (MN 26)
Der Buddha und Ananda waren wieder auf ihren üblichen Wanderungen. Da es jedoch derzeit sehr heiß war und die beiden auch nicht mehr die Jüngsten, gingen sie, nachdem sie ihre Almosenrunde abgeschlossen hatten, zu einer Laienanhängerin, es war die Mutter des Mönchs Migara, um diese zu besuchen. Als die heißeste Zeit des Tages vorbei war, brachen sie gemeinsam wieder auf. Auf der Straße angekommen, sagte der Buddha zu Ananda: „Das war ein gutes Gespräch, aber es war auch ein sehr heißer Tag, ich würde jetzt gern ein erfrischendes Bad nehmen, lass uns daher zum östlich von Savatthi gelegenen Badeplatz gehen.“ Freudig stimmte Ananda zu, denn die beiden waren ziemlich verschwitzt, und da ist es immer gut, ein erfrischendes Bad zu nehmen, wenn die Gluthitze des Tages beendet ist.
Gesagt, getan. Nachdem sich der Buddha und Ananda erfrischt hatten, aus dem Wasser gestiegen waren und sich mit einer ihrer Roben, die in kühlen Nächten als Decke, bei dieser Gelegenheit jedoch als Badetuch diente, abtrockneten, fragte der Buddha seinen Gefährten: „Was meinst du, Ananda, wie sollten wir diesen Tag ausklingen lassen?“
Ananda überlegte einen Augenblick, dann sagte er: „Hier ganz in der Nähe ist die Einsiedelei des Brahmanen Rammaka. Ich denke, es wäre ein Akt des Mitgefühls, Rammaka zu besuchen. Außerdem ist es ein sehr angenehmer Platz, lieblich gelegen.“ Anandas Verweis darauf, dass der Besuch ein Akt des Mitgefühls sei, zeigt auf, dass bei Rammaka irgendetwas nicht stimmte: entweder war er krank oder aber er war spirituell nicht ganz auf dem richtigen Wege, sodass er eine ihm angemessene Unterweisung benötigte.
Schweigend, wie das die Art des Buddha war, stimmte er dem Vorschlag seines Freundes zu und sie machten sich auf den Weg. Wenig später kamen sie an dem besagten Ort an, jedoch war Rammaka keineswegs allein, er befand sich in Begleitung mehrerer Mönche. Als sich Ananda und der Buddha näherten, hörten sie, dass die Mönche über den Dharma sprachen, so berichtet es der Palikanon. Der Buddha gab Ananda ein Zeichen, innezuhalten und das Haus noch nicht zu betreten. Vielmehr hörten sie zunächst einige Zeit unbemerkt zu. Ob dies ausschließlich deswegen war, um das Gespräch nicht zu stören, oder ob sich der Buddha ein Bild darüber machen wollte, was Rammaka und seine Besucher beschäftigte, was ihren Geist umtrieb, darüber mag sich jeder seine eigenen Gedanken machen.
Als der Buddha erkannte, dass die Erörterung zu Ende gekommen war, räusperte er sich und machte so auf sich aufmerksam. Freudig bat der Brahmane Rammaka den Buddha einzutreten.
„Guten Abend, Bhikkhus,“ sagte der Erhabene, „ich hoffe, ich störe euch nicht. Worüber habt ihr denn gerade gesprochen? Welche Erörterung habe ich denn gerade unterbrochen?“
„Ach, wir haben gerade über Euch gesprochen, Erhabener, und schon seid Ihr hier erschienen!“
Der Buddha, der diese Äußerungen vernahm, aber auch den tatsächlichen Verlauf der Unterredung gehört hatte, nahm dies zum Anlass über den Unterschied zwischen edler und weltlicher Suche zu sprechen: „Das ist recht von euch, Mönche. Wenn edle Mönche zusammentreffen, so sollten sie entweder den Dharma erörtern oder aber sich in noblem Schweigen üben, denn, liebe Mönche, es gibt zwei Arten der Suche: die Edle Suche und die unedle Suche. Die unedle Suche ist es, wenn einer, der Geburt, Alter, Krankheit und Tod unterworfen ist, das sucht, was auch Geburt, Alter, Krankheit und Tod unterworfen ist. Er ist selbst dem Kummer unterworfen und sucht weiterhin nach dem, was Kummer verursacht. Er ist selbst Befleckung unterworfen und sucht das, was zu weiterer Befleckung führt. Was ist aber das, was der Geburt unterworfen ist? Ehefrau und Kinder sind der Geburt unterworfen, Sklaven und Sklavinnen sind der Geburt unterworfen, Ziegen und Schafe, Geflügel und Schweine, Elefanten, Rinder, Pferde, Gold und Silber sind der Geburt unterworfen. Und genauso wie der Geburt ist auch all dies Alter und Verfall unterworfen, ist Quell von Kummer und Befleckung.“
Sicher liegt man nicht allzu falsch, wenn man nun annimmt, dass der Buddha dies nicht ohne Grund sagte. Wir können wohl mit Fug und Recht annehmen, dass sich Rammaka und seine Freunde nicht wirklich ausschließlich über den Dharma unterhalten haben, sondern dass es wohl mehr um einen allgemeinen Plausch, genauer: um das ging, was der Buddha hier als unedle Suche bezeichnet. Allerdings tadelt der Buddha den Rammaka nicht direkt, sondern macht ihn auf diese Weise darauf aufmerksam, dass er wieder einmal in allzu weltliches Denken zurückgefallen ist. Folglich kommt nunmehr der Ratschlag, womit sich die Mönche besser beschäftigen sollten:
„Was andererseits ist die Edle Suche? Da ist jemand der Geburt unterworfen und sucht das, was nicht der Vergänglichkeit anheim fällt, etwas, das höchste Sicherheit bietet – und das ist das Nibbana. Er sucht nicht das, was Kummer und Befleckung verursacht, sondern das, was frei von Kummer und Befleckung ist.“
Der Buddha, der sehr wohl weiß, dass Ermahnungen alleine nicht fruchten, verweist daraufhin auf sich selbst, auf den jungen Siddhartha, und darauf, was ihn selbst zum Erwachen, zur Erleuchtung, geführt hat:
„Wisst ihr, Bhikkhus, als ich noch ein junger Mann war, habe auch ich das gesucht, was Geburt, Alter, Krankheit und Tod unterworfen ist, was Kummer und Befleckung hervorruft. Dann jedoch fiel es mir wie Schuppen von den Augen: wie töricht ist es doch, dem nachzujagen, was Geburt, Alter, Krankheit und Tod unterworfen ist, was Kummer und Befleckung hervorruft! Wie viel weiser wäre es doch, wenn ich das suchte, was nicht zu Kummer und Befleckung führt! Das war der Grund, liebe Mönche, warum ich damals mein Haar abrasierte, mir die Mönchsrobe überstreifte und loszog, obwohl mein Vater und meine Mutter das nicht wünschten, sondern mit tränenüber strömtem Gesicht weinten.
„Ich ging auf die Suche nach dem Nibbana und praktizierte unter dem Meditationsmeister Alara Kalama, musste jedoch feststellen, dass diese Praxis nicht zum Nibbana führte. Dann ging ich zu Uddaka Ramaputta, der eine weitergehende Meditationspraxis lehrte, doch auch hier musste ich feststellen, dass auch diese nicht zur Erleuchtung führte. Und so verließ ich auch diesen Lehrer.
„Erst als ich mich schließlich in einem lieblichen Landstrich niederließ und mein Erkenntnisprozess, dass das, was der Geburt, dem Alter, der Krankheit, dem Tod, was Kummer und Befleckung unterworfen ist, keine Sicherheit bietet, inzwischen soweit herangereift war, dass ich in der Meditation das Nibbana verwirklichte, war mein Suchen am Ende. Ich erkannte, dass ich nunmehr von Verlangen, von Abneigung, von Verblendung, vom Wunsch, etwas zu werden oder nicht zu sein, vom Wunsch, Ansichten zu vertreten, endgültig gereinigt war. So verwirklichte ich das Nibbana und ging ein ins Reich der Freiheit.
„Zunächst scheute ich vor der Idee zurück, das, was ich da erfahren hatte, zu lehren, denn diese Lehre ist tiefgründig und schwer zu verstehen. Jedoch erschien mit BrahmaSahampati und bat mich, den Dharma zu lehren für diejenigen, die nur wenig Staub auf den Augen hatten.
„So tat ich es, und es gelang mir, die fünf Gefährten, mit denen ich einst strengste Askese praktizierte, zu überzeugen und auch sie erreichten das Nibbana. Seitdem ziehe ich durch die Welt und lege den Menschen, die nur wenig Staub auf den Augen haben, die Lehre dar, heute zum Beispiel euch.“
Der Buddha hatte nun von seinem erfolgreichen spirituellen Bemühen berichtet und kommt schließlich auf das zurück, was Rammaka und seine Gesprächspartner – und sicher uns alle auch – umhertreibt, dass wir uns nämlich von der Suche nach sinnlichen Genüssen nur allzu leicht vom spirituellen Pfad weglocken lassen:
„Liebe Mönche, es gibt fünf Arten des Sinnenvergnügens, die euch an das Rad des Werdens fesseln, nämlich
Formen, die das Auge erblickt,
Klänge, die das Ohr vernimmt,
Gerüche, die die Nase erspürt,
Geschmäcker, die die Zunge erkennt und
Berührungen, die eure Haut wahrnimmt.
Mönche, solange euch diese Dinge fesseln, seid ihr ebenso gefesselt, wie ein Hirsch, der sich in der Schlinge des Jägers verfangen hat. Ein weiser Hirsch jedoch erkennt die Schlingen des Jägers und er meidet die Gebiete, von denen er weiß, dass der Jäger dort Schlingen ausgelegt hat.
„Und ebenso wie ein weiser Hirsch diesen Fallen ausweicht, so auch wird ein weiser Mönch den Sinnesvergnügen nicht nachgeben; so kann er in die meditativen Vertiefungen eintreten. Natürlich wird Mara, der Böse, ihm weiter ebenso Fallen stellen, wie der Jägersmann dem Hirsch Schlingen legt, jedoch wird sich der weise Mönch ebenso verhalten wie der weise Hirsch. Und auf diese Art, werte Mönche, wird der Mönch für Mara unsichtbar. Er ist nicht mehr in Reichweite des Bösen.“
Die Mönche waren glücklich und zufrieden über diese Worte des Erhabenen, berichtet der Pali-Kanon am Ende der Geschichte. Bleibt nur noch festzustellen: wenn es ihnen gelungen sein sollte, den Ratschlägen des Buddha zu folgen, haben sie sicher das Erwachen erreicht, das Nibbana.
Originaltitel: Singalovada Sutta - D 31
Der Buddha wanderte bereits seit vielen Jahren durchs Land. Zahlreiche Menschen kamen zu ihm mit Fragen, die sich darum drehten, wie sie richtig handeln sollten. Es war damals durchaus üblich, sich in Fragen der ethischen Lebensführung an große Weisheitslehrer wie den Buddha zu wenden. Dieser beschäftigte sich keineswegs nur mit Meditation, und er hielt absolut nichts von Spekulationen über das Jenseits, das Transzendente. Der Buddha war vielmehr für viele Menschen ein Lebensberater, wenn es darum ging, wie man richtig handeln sollte.
Erst kürzlich war ein angesehener Kaufmann zu ihm gekommen. Seine Einnahmen sprudelten reichlich, aber er war sich nicht sicher, wie er damit umgehen sollte: Vielleicht wäre es angemessen, alles wegzugeben, so wie es der Buddha gemacht hatte, der auf allen materiellen Besitz verzichtet hatte. Der Buddha besaß nur drei Roben, also Tücher, die man als Kleidung verwendete; eine, die er als Leibwäsche direkt auf dem Körper trug, eine als Oberbekleidung und eine dritte, die man an kalten Tagen als eine Art Mantel tragen konnte, die jedoch auch in der Nacht als Decke und außerdem als Badetuch verwendet werden konnte. Ansonsten hatte er nur seine Bettelschale, ein Rasiermesser, eine Nähnadel und ein feines Sieb, um Wasser zu filtern, das er trinken wollte. Er besaß nicht einmal eine Zahnbürste. Er reinigte sich vielmehr die Zähne, indem er einen Zweig von einer bestimmten Strauchart verwendete. Diesen kaute er an einer Seite an, dass das Holz pinselartig zerfaserte, womit er sich alsdann die Zähne reinigen konnte. Diese Strauchart enthielt einen Saft, der in etwa die gleiche Wirkung hatte wie die heute übliche Zahnpasta. Der Buddha führte ein Leben in Stille, Schlichtheit, Genügsamkeit und im Einklang mit der Natur.
Dies war ein Leben, wie es für einen Sadhu, einen heiligen Mann, angemessen war. Aber für den Kaufmann war das schlicht unmöglich. Sollte er aber, so fragte der Kaufmann sich, einen Großteil seines Vermögens für Arme, Kranke, für heilige Männer und Frauen, für spirituell Suchende und für Tempel spenden oder den Göttern opfern? Und wenn ja, wie viel davon?
Der Buddha konnte diesem Mann helfen: „Lieber Kaufmann, du bist ein Haushälter, einer, der im Haus wohnt und eine Familie zu ernähren hat. Wenn deine Geschäfte gut laufen und einen erklecklichen Gewinn abwerfen, so wäre es nicht gut, wenn du auf alle Annehmlichkeiten verzichten solltest. Auch hast du eine Verpflichtung gegenüber deiner Familie, daher solltest du von deinem Gewinn etwa ein Drittel für deine Familie und dich verwenden.
Es ist aber ebenso wichtig, dass deine Geschäfte weiterhin gut laufen, auch hierfür hast du Geld aufzuwenden. Du solltest also etwa ein weiteres Drittel deines Gewinns für Investitionen verwenden. Dann bleibt immer noch ein Drittel übrig, mit dem du Gutes tun kannst, dies solltest du, je nachdem, was du für besonders förderungswürdig hältst, für Arme, Alte, Kranke, für Mönche und Nonnen, für Weisheitssuchende oder für andere wohltätige Projekte verwenden. Wenn du so deine Einnahmen drittelst, dann lebst du im Einklang mit deiner Familie und mit der Gesellschaft, und du giltst als einer, der für seinen Wandel gepriesen wird, außerdem gehst du so einer guten Wiedergeburt entgegen.“
In dieser Weise bekam ein jeder, der den Buddha um Hilfe fragte, eine Antwort für die Lösung seiner Probleme. Mitunter bot der Buddha aber auch seine Hilfe und Beratung an, ohne darum gebeten worden zu sein, dann nämlich, wenn er sah, dass sein Rat nicht nur hilfreich, sondern auch willkommen ist, so z. B. bei seiner Begegnung mit dem jungen Singalaka, wovon ich jetzt berichten werde.
Der Buddha war damals wieder einmal in Rajagaha, der Hauptstadt von Maghada, wo er sich gern aufhielt. Er hatte, wie so oft, die Nacht im Bambushain verbracht, an der Stelle, wo die Leute oft in ihrer Freizeit hingingen, um die Eichhörnchen zu füttern. Nachdem er seine Morgentoilette und seine morgendliche Meditation beendet hatte, begab er sich mit seiner Bettelschale nach Rajagaha, wo er von Haus zu Haus gehen wollte, um sich sein Mittagessen zusammen zu sammeln. Manche Leute würden ihm eine Handvoll Reis geben, andere etwas Obst oder Gemüse oder von ihrem Eintopf, vielleicht bekam er auch etwas Brot - eben das, was die Leute entbehren konnten. Er würde keineswegs gezielt zu den Wohlhabenderen gehen, sondern überall hin. Zwar gab es bei den Reicheren das bessere Essen, aber das war nicht das Ziel des Buddha. Die Almosenspeise sollte dazu dienen, sein Leben zu erhalten und den Spendern gutes Karma zu machen, etwas das die Armen nicht weniger benötigten als die Reichen.
Doch schon bevor er nach Rajagaha kam, sah er etwas Seltsames: er erblickte nämlich Singalaka bei einer eigentümlichen Verrichtung. Singalaka, so muss man wissen, hatte Haus und Geschäft von seinem Vater geerbt, er hatte schon als Kind, so wie das damals üblich war, seinem Vater bei dessen Geschäften geholfen und hatte so allmählich alle kaufmännischen und praktischen Fähigkeiten erlernt, die für die Berufsausübung nötig waren. Jedoch war sein Vater früh gestorben, sodass er schon in jungen Jahren den Betrieb übernehmen musste. Und dieser Singalaka kam jetzt mit hastigen Schritten aus Rajagaha und ging zu einer Wegkreuzung. Offensichtlich war er in Eile, denn seine Haare waren von der morgendlichen Wäsche noch nass und auch seine Kleidung war nach dem morgendlichen Bad im Fluss feucht, stellte der Buddha fest. Aber obwohl er in geschäftiger Eile zu sein schien, vollführte er an dieser Kreuzung merkwürdige Handlungen, es musste sich wohl um ein Ritual handeln. So kniete er nieder und vollführte Zeichen der Verehrung in Richtung Osten, wo die Sonne aufgegangen war. Dann wiederholte er das gleiche in südlicher, westlicher und nördlicher Richtung und schließlich vollzog er die gleichen Verehrungsgesten auch nach oben, gen Himmel, und nach unten zum Boden hin.
Dies schien dem Buddha ein ziemlich sinnloses Unterfangen zu sein. Der Erhabene hatte seine Schülerinnen und Schüler immer wieder ermahnt, Rituale nicht um ihrer selbst Willen zu machen, denn sinnentleerte Rituale haben keine andere Wirkung, als dass sie einem Zeit und Energie rauben, die man für Sinnvolleres verwenden kann. Also fragte er den Singalaka: „Sag mal, junger Mann, ich habe gerade gesehen, was du da gemacht hast, aber nicht verstanden, wozu es dienen soll?“
„Naja, verehrungswürdiger Mönch“, sprach Singalaka den Buddha an, den er offensichtlich nicht kannte, „mein Vater, der mir sein Geschäft vererbt hat, ist vor nicht allzu langer Zeit verstorben. Ich habe bei ihm wirklich fast alles gelernt, was ich brauche. Aber auf dem Sterbebett hat er mir noch etwas aufgetragen, er sagte mir: ‚Die Himmelsrichtungen sollst du verehren, mein Sohn Singalaka, jeden Tag!‘, dann starb er. Seitdem mache ich das hier jeden Morgen, bevor ich ans Tagwerk gehe. Ich verneige mich gen Osten, Süden, Westen, Norden ebenso wie gen Himmel und nach unten, zum Nadir, mit Gesten der Ehrerbietung, so gut es mir eben möglich ist.“
Vielleicht geht es euch, wenn ihr das lest, so wie mir, dass ihr denkt: wie bescheuert ist denn das? Und so einer soll einen Betrieb leiten? Der hat doch wohl ein Rad ab!
Anders der Buddha. Auch er sieht einen etwas orientierungslosen jungen Mann. Aber er sieht auch den guten Willen bei Singalaka, und er sieht den Eifer, mit dem er dieses sinnlose Ritual vollzieht und wie er sich darum bemüht, den letzten Willen des Vaters zu erfüllen, so gut er es eben vermag. Er sieht jemanden, der willig ist, das auszuführen, was ein Höherstehender, ein Weiser, ihm aufgetragen hat. Und der Buddha erkennt, dass man dieses sinnlose Ritual durch ein sinnvolles, zielgerichtetes Handeln ersetzen kann, das dieser Mann dann mit dem gleichen Elan, vielleicht sogar mit noch größerem Feuereifer vollziehen wird, dann nämlich, wenn er den Sinn versteht, und wenn dieses Handeln dann auch zu privatem und geschäftlichen Erfolg führt. Dazu muss er, der Buddha, eigentlich nur seine moralische Autorität als Mönch mit der des verstorbenen Vaters verbinden.
Daher sagte der Buddha: „Dein Vater hat völlig recht, dass er dir ans Herz gelegt hat, die Himmelsrichtungen zu verehren, das ist ein Brauch, den die Weisen üben. Aber du machst das nicht ganz richtig. Vermutlich wollte dein Vater es dir noch erklären, ist aber nicht mehr dazu gekommen.“
Das leuchtete dem Singalaka ein, und er sah die Chance, jetzt vielleicht Hinweise zu bekommen, wie er möglicherweise doch noch das Vermächtnis des Vaters in angemessener Weise erfüllen kann. So fragte er: „Wisst Ihr denn, verehrungswürdiger Mönch, „wie man die sechs Himmelsrichtungen, Osten, Süden, Westen, Norden, den Zenit und den Nadir, in rechter Weise verehrt?“
„Durchaus,“ antwortete der Buddha, „mir ist das geläufig und wenn du willst, kann ich es dir erklären.“
„Ja, bitte, das ist prima. Welch ein Segen, dass ich Euch getroffen habe, Euch schickt mir der Himmel!“ freute sich Singalaka, der es plötzlich gar nicht mehr eilig hat.
„Zunächst einmal, Singalaka, musst du dir klar machen, wofür diese sechs Himmelsrichtungen stehen, was damit gemeint ist. - Der Osten, dort wo die Sonne aufgeht, steht für das, woher man kommt, du stammst von deinen Eltern ab, Singalaka, die sollst du verehren.
Dann kommen wir zum Süden, dort wo der Glanz der Sonne erstrahlt, der Sonne, die die Pflanzen wachsen und gedeihen lässt. Der Süden steht für deine Lehrer, die dir das Licht der Erkenntnis bringen, wodurch dein Wissen wächst und gedeiht, der Süden, Singalaka, steht für deine Lehrer.
Und ebenso wie der Osten für das Vergangene steht, für das, woher wir kommen, für unsere Eltern, so steht der Westen für das Zukünftige, der Westen steht für deine Kinder und für die Frau, die sie dir gebiert. Der Westen, Singalaka, steht für deine Kernfamilie.
Dann kommen wir zum Norden, mein Freund, der Norden steht für alle anderen dir wichtigen Personen, die sich auf gleicher Ebene mit dir befinden. Der Norden, Singalaka, steht für deine Freunde und Vertrauten.
Dementsprechend steht der Nadir, das Unten, für alle dir Untergebenen, für deine Diener und Arbeiter. Und der Zenit schließlich steht für alle, die dir über sind, die auf einer höheren Stufe stehen als du, die Sadhus, die Asketen und Brahmanen. Hierfür, Singalaka, stehen die sechs Himmelsrichtungen.“
Interessanterweise – und vielleicht sogar überraschenderweise – nennt der Buddha bei den Höherstehenden auch die Brahmanen, also die Priester der Hindureligion, nicht aber die Mönche und Nonnen der buddhistischen Sangha. Wir sehen daran sehr deutlich, dass der Buddha hier gar nicht den Versuch unternimmt, den Singalaka zu bekehren. Er weiß, dass Singalaka der Hindureligion angehört und nennt daher dem Singalaka die Brahmanen, die der Buddha sonst ob ihrer hohlen Rituale kritisiert, als höherstehend. Der Buddha ist kein Missionar, er ist ein Weiser, der einem etwas verwirrten jungen Mann die ihm angemessene Lebenshilfe gibt. Der Buddha ist im Begriff, dem Singalaka eine Soziallehre für den Umgang mit Menschen, mit denen er zu tun hat, zu geben; ihm dem Singalaka, der so weltfremd erscheint. Und nachdem der Buddha nun die sechs Himmelsrichtungen mit Bedeutung gefüllt hat, kommt es nunmehr darauf an, dem Singalaka das richtige Sozialverhalten gegenüber diesen nahe zu bringen.
„Und nun, Singalaka, fragst du dich vielleicht, wie du diese sechs Richtungen verehren sollst. Die östliche Richtung, die Eltern, sollst du auf fünffache Weise verehren: (a) sie, die dich versorgten, als du jung warst, die umsorgst du, wenn sie alt sind; (b) sage dir: wo immer ich den hilfebedürftigen Eltern helfen kann, werde ich ihnen helfen; (c) den Familiennamen und damit die Familientradition werde ich fortführen; (d) sie, die mir ihr Eigentum vererbt haben, werde ich dadurch ehren, dass ich mich des Erbes würdig erweise und (e) wenn sie verstorben sind, werde ich Opfergaben für sie geben.
Und ebenso auch, Singalaka, sorgen sich die Eltern in fünffacher Weise um ihren Sohn: (1) sie halten ihn vom Üblen fern, (2) sie leiten ihn zum Guten an, (3) sie lassen ihm eine Ausbildung zukommen, (4) sie suchen ihm eine passende Frau, (5) sie übergeben das Erbe rechtzeitig.“
Der Buddha erläutert in diesem Teil seiner Soziallehre die angemessenen Eltern-Kind-Beziehungen, die zu einer harmonischen Familie führen – unter den Bedingungen, die vor 2500 Jahren in Indien galten und von denen die meisten durchaus auch heute noch relevant sind. Für uns heutige Menschen erscheint die Suche nach der passenden Frau durch die Eltern allerdings merkwürdig, aber zur damaligen Zeit wurden die Ehen von den Eltern im Familieninteresse arrangiert. Von daher sollte unser Augenmerk nicht darauf liegen, dass sie ihm eine Frau suchten, denn das galt im alten Indien als selbstverständlich, sondern darauf, dass sie ihm eine passende Frau suchen, dass also auch die Bedürfnisse des Sohnes berücksichtigt werden und nicht nur die der Eltern und der Familienpolitik.
Wichtig erscheint mir auch, dass die Eltern an erster Stelle genannt werden, denn sie sind die wichtigste Beziehung, sie sind letztlich Teil von uns. Alles was wir sind, haben wir durch (1) Vererbung, (2) durch unsere Sozialisation sowie natürlich (3) durch unser karmisches Gepäck und (4) materiell natürlich durch das, was wir im Rahmen des Stoffwechsels aufgenommen haben. Unsere Sozialisation hängt im beträchtlichen Maße von unseren Eltern ab und unser genetisches Gepäck sogar vollständig, damit sind die Eltern (und deren Vorfahren) ein Teil von uns. Wenn wir diese nicht achten, wenn wir diese ablehnen, lehnen wir damit einen Teil von uns selbst ab. Wichtig ist also die Vorfahren anzunehmen und zu ehren: wir können niemals ein voll integriertes Wesen sein, wenn wir nicht mit diesem wichtigen Teil von uns im Reinen sind.