Der Buddha - Biografie in Geschichten - Horst Gunkel - E-Book

Der Buddha - Biografie in Geschichten E-Book

Horst Gunkel

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Beschreibung

Dieses Buch enthält die Lebensgeschichte des Buddha. Es basiert auf dem Palikanon, der klassischen Sammlung der Lehrreden des Buddha und der ältesten Berichte über den Buddha, der von 560 - 480 v.u.Z. in Nordostindien lebte. Daneben flossen Erkenntnisse der neueren Textexegese ein. Wenn ich Vermutungen und Interpretationen mit einbezogen habe, habe ich das im Text kenntlich gemacht. Wir erleben hier den historischen Buddha Sakyamuni und seine häufig unkonventionellen, immer aber hilfreichen Reden und Handlungen. Ich habe mich bemüht, diese Biografie in einer modernen und erfrischenden, teilweise auch humorvollen Sprache zu verfassen. Kursiv und fett gedruckte Begriffe sind in einem Glossar am Ende des Buches erklärt.

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Das Buch

Dieses Buch enthält die Lebensgeschichte des Buddha. Es basiert auf dem Pāikanon, der klassischen Sammlung der Lehrreden des Buddha und der ältesten Berichte über den Buddha, der von 560 – 480 v.u.Z. in Nordostindien lebte. Daneben flossen Erkenntnisse der neueren Textexegese ein. Wenn ich Vermutungen und Interpretationen mit einbezogen habe, habe ich das im Text kenntlich gemacht. Wir erleben hier den historischen Buddha Śākyamuni und seine häufig unkonventionellen, immer aber hilfreichen Reden und Handlungen. Ich habe mich bemüht, diese Biografie in einer modernen und erfrischenden, teilweise auch humorvollen Sprache zu verfassen.

Kursiv und fett gedruckte Begriffe sind in einem Glossar am Ende des Buches erklärt.

Der Autor

Horst Gunkel, Jahrgang 1951, arbeitete 40 Jahre als Lehrer an einem beruflichen Schulzentrum. Er engagierte sich in zahlreichen Vereinen und Bürgerinitiativen zum Schutz des Lebens in all seinen Formen. Von 1981 bis 1995 war er in zahlreichen Gremien und zwei Regionalparlamenten aktiv. Von 1987 bis 2000 leitete er außerdem das ÖkoBüro Hanau. Anfang der 90er Jahre begegnete er dem Buddhismus und erkannte schnell, dass ein Engagement hierin (noch) wichtiger sei als sein bisheriges politisches Wirken. Er legte alle politischen Ämter nieder und setzte sich im Netzwerk Engagierter Buddhisten für ökologische, pazifistische und soziale Projekte ein. 1996 kam er zur Buddhistischen Gemeinschaft Triratna (damals: Freunde des Westlichen Buddhistischen Ordens), für die er zunächst in Frankfurt/M. eine Meditationsgruppe aufbaute, dann die Buddhistische Gemeinschaft Gelnhausen. Hier begann er Geschichten aus dem Pāikanon nachzuerzählen. Einige davon fanden Eingang in dieses Buch.

Weitere Geschichten von Horst Gunkel finden sich unter

http://www.gelnhausen-meditation.de

Bitte beachten:

Kursiv und fett gedruckte Worte sind in einem Glossar am Ende des Buches erläutert – aber nur das, waskursivundfettgedruckt ist

Inhaltsverzeichnis

Die Geburt

Siddhārthas

Unterm Rosenapfelbaum

Der Mythos von den Vier Ausfahrten

Der Entscheidungsprozess

Siddhārtha Gotamas

Lehrjahre

Gotamas

Wanderjahre

Jahre der Askese und vier Jünger

Buddhas Erleuchtung – Mythos und Wirklichkeit

Erleuchtung wird kommuniziert

Yasa – vom Playboy zum Erleuchteten

Der Freundeskreis Gleichgesinnter

Buddhas großer Coup

Buddha und König

Bimbisāra

Buddhas Rückkehr nach

Kapilavatthu

Die beiden Hauptjünger

Über 40 lange Jahre

Streit im Orden

Drei Männer eines Herzens

Buddha und

Ānanda

Devadatta, der Widersacher

Buddhas Vermächtnis

Parinibbana – der Buddha stirbt

Der Buddha ist tot – und jetzt?

Begriffserklärungen

wo finden sich weitere Geschichten?

Die Geburt Siddhārthas

Es ist fast 2600 Jahre her, dass die Königin Maya von Śākya einen merkwürdigen Traum hatte. Sie lag in diesem Traum auf einem Bett, als ein riesiger weißer Elefant erschien. Sie sah das mächtige Tier verwundert, aber völlig ohne Angst an. Der Elefant schien zu lächeln, als er an ihr Bett herantrat. Er hob seinen Rüssel und berührte die Königin damit an ihrer rechten Seite in der Nähe der Hüfte. Ein wunderbares Gefühl des Glücks und der Erfüllung bemächtigte sich der Königin – doch im selben Augenblick verschwand der Elefant spurlos.

In dieser Nacht fand Maya kaum Schlaf, das wunderbare Ereignis beschäftigt sie doch sehr. Und wäre der Elefant nicht so groß gewesen, dass er unmöglich durch die Tür des königlichen Schlafgemachs gepasst hätte, dann hätte Maya nicht einmal sagen können, ob es ein Traum war oder Realität.

Am Morgen darauf erzählte Maya ihrem Ehemann, Rājā Śuddhodana, sichtlich bewegt von diesem ungewöhnlichen Traum. Śuddhodana weiß, was in solchen Fällen zu tun ist: er lässt einen Brahmanen kommen. Aber nicht irgendeinen Brahmanen, sondern den angesehensten Brahmanen der Stadt, auf dass dieser ihm den Traum deute. Da die Brahmanen mit den Göttern vertraut sind, wie jeder gläubige Hindu weiß, vermag er auch zu deuten, was die Götter der Königin im Traum mitteilen wollten.

„Euch ist großes Glück beschieden, Hoheit,“ weiß der Brahmane zu berichten, „der Elefant steht für Macht und Stärke. Weiße Elefanten sind äußerst ungewöhnlich, die Farbe weiß steht für Reinheit, für spirituelle Reinheit, weswegen wir Brahmanen weiße Roben tragen. Und die Berührung Eurer Seite mit dem Rüssel, einem mächtigen Organ, an – naja – an ziemlich intimer Stelle, weist darauf hin, dass ihr ein Kind von Eurem Gemahl empfangen habt. Zusammengefasst kann ich also sagen: Königin Maya, ihr seid schwanger, und zwar mit einem ungewöhnlichen Knaben, der die Eigenschaften des Elefanten hat, der plötzlich nicht mehr außerhalb von Euch sichtbar war, weil er in Euch reift. Ihr seid schwanger mit einem Knaben, der so mächtig ist wie ein Elefant, so mächtig, dass sein Ruf in aller Welt gehört wird und der außerdem von spiritueller Reinheit ist.“

Selbstverständlich wurde der Brahmane für seine positive Weissagung reichlich belohnt, und Maya war voller Glück. Śuddhodana war auch höchst erfreut, dass er endlich einen Stammhalter bekommen sollte, denn seine Frau war nicht mehr ganz jung. Und natürlich ging es dem König runter wie Öl, dass der Ruf seines Sohnes in aller Welt gehört würde. Aber in ihm keimte auch eine Sorge. Was sollte das mit der spirituellen Reinheit? Sein Sohn gehörte dem Adel an, der Krieger- und Beamtenkaste, nicht den Brahmanen. Gut, wenn er damit die Götter günstig stimmen könnte, und diese dazu bringen könnten seinem Sohn als Heerführer Siege in Schlachten gegen die Gegner seines Staates zu ermöglichen, dann wäre das hilfreich. Aber der Brahmane hatte nicht gesagt, dass sein Schwert in aller Welt gefürchtet werde, sondern dass sein Ruf in aller Welt gehört würde. Śuddhodana machte sich so seine Gedanken.

Eines war auf jeden Fall sicher: Maya war schwanger und konnte mit der Geburt eines Sohnes, eines Stammhalters, rechnen. Vom weiteren Verlauf der Schwangerschaft berichtet der Pāikanon nichts, sondern erst wieder vom letzten Tag vor der Geburt des Sohnes, und was wir dort finden, ist ziemlich legendenhaft, ich möchte es hier dennoch berichten – bevor ich eine mögliche Alternative zu der üblichen Geburtsgeschichte anbiete.

Der Pāikanon berichtet, dass sich Königin Maya kurz vor der erwarteten Geburt, also in hochschwangerem Zustand aufmacht, um das Kind im Hause und unter Beistand ihrer Mutter zur Welt zu bringen – in einer anderen Stadt, sehr viele Meilen von Kapilavatthu entfernt. Die Hochschwangere begibt sich also mit einem Pferdewagen oder einem Ochsenkarren auf die miserablen und staubigen sowie mit Wasserbüffelkot und Pferdeäpfeln übersäten Straßen Indiens vor rund 2600 Jahren, um ihre Mutter aufzusuchen. Es wird eine äußerst holprige Fahrt bei großer Hitze – es ist bereits Mai im heißen Indien – und es kommt, was – wie ich meine – kommen musste: Die Wehen setzen unterwegs ein. In der Nähe des Dorfes Lumbini muss die Fahrt unterbrochen werden, weil das Kind kommt.

Der Pāikanon berichtet uns, wie Königin Maya im Stehen ihr Kind gebiert, sie hält sich dabei an einem Salbaum fest. Maya gebiert ihr Kind, so steht es geschrieben, nicht auf dem natürlichen Weg, sondern der Knabe tritt ihr aus der Seite heraus, dort, wo der Elefant sie berührt hatte. Der Salbaum ist darüber so erfreut, dass er Blütenblätter über die Gebärende und den Säugling herabregnen lässt und – wie es sich in solchen Augenblicken gehört – erbebt die Erde. Es geschehen noch weitere merkwürdige Dinge, so geht der frisch geborene Säugling beispielsweise einige Schritte (natürlich genau sieben – die heilige Zahl), berichtet der Pāikanon, und dann erklärt der Neugeborene, dass er der Welt den Dharma verkünden werde.

Völlig entkräftet wird die Mutter – möglicherweise auch mit Kindbettfieber – zurück nach Kapilavatthu gebracht, wo der Knabe freudig empfangen wird. Maya aber wird diese Woche nicht überleben.

Natürlich müssen wieder Brahmanen geholt werden, um das Kind einzusegnen und die Zukunft zu deuten. Jedoch ließ König Śuddhodana diesmal auch einen alternativen Wahrsager zu, den Asita, einen weisen alten Mann, der in den Bergen wohnte. Die Brahmanen, so wird berichtet, weissagten, dass der Knabe entweder ein großer weltlicher Herrscher werde oder ein berühmter spiritueller Führer.

Die Suttanipata berichtet, dass Asita das Kind drei Tage lang beobachtete, und dass er danach prophezeit habe, dieser Knabe werde dereinst Buddhaschaft erlangen und das Rad der Lehre in Gang setzen – Asita bedauerte, dass er das nicht mehr erleben werde, er wies daher seinen Neffen Nalaka an, dieser müsse unbedingt später beim Buddha Siddhārtha die Lehre hören.

Sieben Tage nach Siddhārthas Geburt verstarb Maya. Da Śuddhodana jedoch nicht nur mit Maya, sondern auch mit deren Schwester Mahāpajāpatī Gotamī (als Nebenfrau) verheiratet war und diese selbst gerade niedergekommen war1, wurde Mahāpajāpatī zunächst die Amme und dann die Ziehmutter Siddhārthas.

Hierbei habe ich mich an die Vorgaben des Pāikanon gehalten. Allerdings hat mich immer stutzig gemacht, wieso eine hochschwangere Frau von fast vierzig Jahren unmittelbar vor der Geburt eine äußerst strapaziöse Reise unternimmt, die nach menschlichem Ermessen mit hoher Wahrscheinlichkeit die Geburt unter widrigen Umständen einleiten wird. Dies macht ein vernünftiger Mensch nur, wenn ihm die Alternative noch schrecklicher erscheint. Und so, wie ich mich darüber wunderte, ging es auch einigen anderen Leuten.

Daher gibt es die Theorie, dass die Mutter aus Angst vor einem Kaiserschnitt floh. Ein Kaiserschnitt kam in jener Zeit in verschiedenen Hochkulturen auf, wenn Gefahr für das Leben des Kindes bestand. Er wurde jedoch nur in Herrscherhäusern – daher der Name Kaiserschnitt – vorgenommen, wenn dadurch der Thronfolger gerettet werden konnte. Damals jedoch überlebten die meisten Frauen den Kaiserschnitt nicht.

Es ist also durchaus möglich, dass es Probleme während der Schwangerschaft gab – eine Querlage oder was auch immer – und die Vornahme eines Kaiserschnittes2erwogen wurde. Die so verängstigte Mutter könnte daher versucht haben, in ihr Elternhaus zu fliehen, wo ihrem Überleben mindestens so viel Wert beigemessen würde, wie dem des Kindes.

Diese Theorie erklärt, so finde ich, nicht nur die Flucht der Maya, sondern auch die Aussage des Pāikanon, dass das Kind „nicht auf natürlichem Weg, sondern an der Seite aus ihr heraustrat“. Es erklärt auch das zeitlebens getrübte Verhältnis Siddhārthas zu seinem Vater. Außerdem erklärt es in meinen Augen, auch warum der Buddha nicht nur von „Alter, Krankheit, Tod“ als Leiden sprach, sondern immer die Geburt, ein gemeinhin als freudig angesehenes Ereignis dazu nimmt: „Geburt, Alter, Krankheit und Tod sind Leiden“.

Ich denke es ist schwer für ein Kind zu erfahren, dass es nur lebt, weil die Mutter starb, um so mehr, wenn es den Anschein hat, dass es nur lebt, weil der Vater die Mutter geopfert hat – um der Erbfolge willen.

Diese Interpretation würde der Geschichte des Siddhārtha neben der spirituellen Seite auch noch einen psychologischen Aspekt für sein Verhalten in der Jugend hinzufügen, etwas, das man mit Entstehen in Abhängigkeit von Bedingungen (Paticcasamuppada) beschreiben kann.

1 Ihr Sohn Nandā, der Halbbruder des Buddha, wurde später vom Buddha ordiniert und gelangte schließlich zur Erleuchtung. Vergleiche dazu die Geschichte „Nandā und die 500 Jungfrauen“ im Band 1 dieser Buchreihe („Buddhas Sohn Rahula“).

2 Aus schriftlichen Quellen (mesopotamische Keilschrifttafel, römische lex regia von 715 v.u.Z.) geht hervor, dass Schnittentbindungen in der indischen und jüdischen Kultur praktiziert wurden. Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Kaiserschnitt#Geschichte (10/23)

Unterm Rosenapfelbaum

3

eine Geschichte aus dem Pāikanon

Prinz Siddhārtha, der spätere Buddha, war zu einem intelligenten und ernsthaften Kind von neun Jahren heran gewachsen. Seit einiger Zeit besuchte er die Schule. Natürlich dürfen wir uns keine Schule in der heutigen Form darunter vorstellen, es gab vielmehr Hauslehrer, die in den Palast kamen und Siddhārtha und andere Prinzen der Śākya-Dynastie sowie einige weitere Kinder von hohen Hofbeamten unterrichteten. Die Lehrer waren sehr beeindruckt von der raschen Auffassungsgabe und dem scharfen Verstand des jungen Siddhārtha. Der zweitbeste Schüler der kleinen Lerngemeinschaft war übrigens Siddhārthas Vetter Devadatta. Die wichtigsten Fächer waren Literatur, Sport, insbesondere Kampfsport, Musik und Sozialkunde. In letzterem Fach wurde neben dem gesellschaftlichen Aufbau, was besonders die Pflichten der einzelnen Kasten anging, auch Rechtskunde vermittelt. Hierzu besuchten der Lehrer und seine Schüler Gerichtsverhandlungen, die mitunter von Siddhārthas Vater Śuddhodana geleitet wurden, der als Staatsoberhaupt von Śākya auch oberster Gerichtsherr war. So wurde an aktuellen Fällen das Rechtssystem erlernt.

An dem Tag, an dem unsere Geschichte spielt, war ein Feiertag in Śākya, es war der „Tag des Anpflügens“. Gewissermaßen wurde die neue Vegetationsperiode durch das Ziehen einer feierlichen ersten Furche begangen, und diese Furche sollte natürlich der Rājā, der Herrscher von Śākya, eben SiddhārthasVater Śuddhodana, ziehen, wie es des Landes so der Brauch war.

Siddhārtha wurde dem feierlichen Tag entsprechend gekleidet, so trug er eine Brokatjacke über seiner blütenweißen Robe und goldgewirkte Sandalen. Die Hauptstadt Kapillavatthu war festlich herausgeputzt, die Häuser an den wichtigsten Straßen waren frisch geweißt und mit Blumengirlanden geschmückt, überall wehten bunte Fahnen im Windund die Stadt war erfüllt von den Klängen zahlreicher Musikanten. Die leckersten Speisen und erlesensten Getränke wurden auf Tischen an der Straße angeboten. Die festlichsten Gabentische waren jedoch die Altäre mit den Opferspeisen für die Götter, denn eine lange Prozession bewegte sich durch die Hauptstraße, angeführt von Brahmanen in ihren rituellen Gewändern. Das alles war jedoch in den Augen der Kinder eigentlich nur Auftakt für das große Fest auf einer Wiese vor der Stadt, das stattfinden würde, sobald der offizielle Teil der Feierlichkeiten beendet war. Dort würden Wettbewerbe und Kampfspiele stattfinden, außerdem sollten dort Tanzgruppen, Gaukler und Akrobaten auftreten.

Doch zunächst gab es den offiziellen Teil, der durch die Prozession eingeleitet wurde. Diese war noch recht kurzweilig, denn man kam durch die Stadt und sah all die besonders herausgeputzten Menschen und Häuser und die festlichen Altäre. Doch dann, draußen auf dem Feld, wo Śuddhodana schließlich das Anpflügen leiten sollte, wurde es Siddhārtha und den anderen Kindern zunehmend langweilig, denn die liturgischen Gesänge der Brahmanen wollten und wollten einfach kein Ende nehmen – und dazu kam die drückende Hitze: hier auf dem Feld gab es kein schattiges Plätzchen und die Sonne stand jetzt ganz hoch, so dass Siddhārtha der Schweiß auf der Stirn stand. Er beschloss, sich etwas von der Feier abzusetzen. In der Nähe kannte er eine Stelle, an der ein Rosenapfelbaum blühte, hier konnte man vom Schatten aus das feierliche Anpflügen verfolgen. Er setzte sich mit verschränkten Beinen unter den Baum und beobachtete achtsam den Ablauf des Festaktes. Hier genoss Siddhārtha die angenehme Kühle des Schattens und ein leichter Wind ließ seinen Schweiß trocknen.

„Hier bist du! Ich habe schon überall nach dir gesucht! Dein Vater vermisst dich,“ das war die Stimme von Mahāpajāpatī Gotamī, einer Nebenfrau Śuddhodanas, die Siddhārtha nach dem Tode seiner leiblichen Mutter, welche nur wenige Tage nach seiner Geburt gestorben war, gesäugt und aufgezogen hatte.

„Es ist ja soooo langweilig!“, beschwerte sich Siddhārtha, „warum müssen denn diese heiligen alten Männer nur so ewig lang singen?“

„Aber Siddhārtha, das sind doch die heiligen Gesänge der Veden, uralte Schriften, die einst der Schöpfer des Himmels und der Erde, der große Brahma, den Brahmanen gegeben hat.“

„Und warum singt Vater nicht mit. Er ist doch der Rājā. Es wäre doch nur gerecht, wenn er das alles leiten würde, die Gesänge und so.“

„Das geht doch nicht, Siddhārtha. Der große Brahma hat diese Veden nur den Brahmanen gegeben. Natürlich ist dein Vater viel mächtiger als sie, er ist ja schließlich der Rājā. Aber jeder hat die Pflichten seiner Kaste zu tun. Die Brahmanen allein dürfen die heiligen Rituale durchführen, aber niemals kann ein Brahmane Rājā werden. Nur wer aus der Adelskaste ist, so wie dein Vater und du, nur der kann Rājā werden, oder Beamter.“

„Bitte, Mutter, sag meinem Vater ich möchte hier bleiben. Hier kann ich alles genauso gut sehen und hier ist es viel schöner. Ich komme nachher wieder zu euch, wenn das Anpflügen vorbei ist und der Jahrmarkt beginnt, ja?“

Mahāpajāpatī Gotamī lächelte. `Er ist ja so süß, wie er da mit untergeschlagenen Beinen unter dem Baum sitzt´, dachte sie und sprach: „Ist ja gut, mein Kleiner, ich werde deinem Vater Bescheid sagen. Bis später.“ Sie gab ihm einen Kuss auf die Stirn und ging zurück.

Und Siddhārtha saß ruhig wie ein Buddha mit unter-geschlagenen Beinen unter dem Rosenapfelbaum und betrachtete die Zeremonie. Endlich waren die langweiligen Brahmanen fertig. Śuddhodana ging zu einem Pflug, der am Beginn des fruchtbarsten Feldes für ihn bereitgehalten wurde. Die Pflugschar glänzte in der Sonne und vor dem Pflug gespannt war ein stolzes, prächtig geschmücktes Ross, kein Ackergaul und auch kein Wasserbüffel wie vor den meisten der anderen Pflügen, die etwas abseits abgestellt waren. Dann zog Śuddhodana die erste Ackerfurche des neuen Jahres unter dem lauten Jubel des Volkes.

Als der Rājā am anderen Ende des Feldes angekommen war, gab er mit der Hand ein Zeichen und alle Bauern gingen nun zu ihren Pflügen, damit ein jeder eine Furche auf dem königlichen Acker zog und so an dem Ritual des Anpflügens teilnehmen konnte. Auf diese Art übertrug sich der Segen, den die Brahmanen von der Erdgöttin, dem Sonnengott, der Mondgöttin sowie den Göttern für Wind und Regen erhalten hatten, und auch die Beschwörungen der finsteren Mächte, die durch Hagel, Sturm und Blitzschlag die Ernte zerstören könnten, auf ihren Pflug und damit auch auf ihre Felder. Jeder war jetzt geschäftig, entweder mit Pflügen oder damit, die Wasserbüffel beim Pflügen anzufeuern. Die allgemeine Erregung übertrug sich auch auf Siddhārtha, der zum Feld rannte, um das Anpflügen jetzt aus nächster Nähe zu beobachten.

Und wie genau sah Siddhārtha, was da geschah! Aber es war nicht die freudige Stimmung der Volksmenge, die sich seiner bemächtigte, vielmehr sah Siddhārtha, wie die Dinge wirklich sind. Er sah den Bauern, der da pflügte. Er sah ihn wirklich! Er war ein alter Mann, und die Tätigkeit des Pflügens strengte ihn sichtlich an, dies um so mehr, als er ein etwas verkürztes linkes Bein hatte. Siddhārtha konnte in seinem Gesicht lesen, wie ihn jeder Schritt anstrengte. Er sah die angespannten Muskeln des Mannes, der sich bemühte, den Pflug gerade in der Furche zu halten, was offensichtlich sehr schwierig war, und er sah den Schweiß auf der Stirn des Mannes, der diese Arbeit hier in der gleißenden Hitze ausführen musste.

Aber Siddhārtha sah noch mehr. Er sah auch die Peitsche in der anderen Hand des Mannes. Und er sah wie diese Peitsche auf den Rücken des Wasserbüffels hernieder knallte. Er konnte die Peitsche förmlich auf seinem eigenen Rücken spüren und großes Mitgefühl mit dem Wasserbüffel überkam ihm. Der Büffel schien zu weinen, aber das sah nur so aus, denn an seinen feuchten Augen waren Hunderte von Fliegen, die den Büffel belästigten. Armes Tier!

Und dann sah Siddhārtha den Pflug. Er sah, wie er die Erde durchschnitt, und er sah, wie Regenwürmer und Engerlinge von diesem Pflug zerteilt wurden, wie sich diese kleinen Wesen krümmten und wanden vor Schmerz.

Und er sah die Vögel, die dem Pflug folgten, die sich mit lautem Schrei auf die nach oben gekommenen Würmer stürzten und die gierig alle kleinen Insekten verschlangen, die mit der offenen Scholle nach oben gekommen waren und die jetzt um ihr Leben liefen – die meisten vergebens.

Und dann sah er einen Greifvogel, der hinabstieß und einen dieser Vögel, der gerade an einem großen Regenwurm zog, in die Fänge nahm und auf einen Baum flog, um den noch lebenden kleinen Vogel zu rupfen.

Langsam drehte Siddhārtha sich ab. Tränen liefen jetzt über seine Wangen. Er kehrte zu seinem Rosenapfelbaum zurück und setzte sich mit untergeschlagenen Beinen darunter. Er senkte die Augenlider. Im Hintergrund hörte er die lärmenden, tanzenden und singenden Menschen. Dann versenkte er sich ganz in sich selbst. Bilder stiegen vor seinem geistigen Auge auf: Schweiß auf der Stirn eines Bauern, angespannte Muskeln, eine Peitsche, ein weinender von Fliegen belästigter Büffel, zerteilte Würmer, fliehende Käfer, zuschnappende Vögel, ein sich in den Klauen eines großen Vogels vor Schmerzen windender kleiner Vogel, aus dessen Mund noch ein Regenwurm herausragte.

****

Śuddhodana war beunruhigt, als Siddhārtha nicht zu den Festlichkeiten erschien, und da Mahāpajāpatī Gotamī ihm gesagt hatte, sie hätte ihn zuletzt unter dem kleinen Rosenapfelbaum sitzen sehen, ging er dorthin. Als er seinen Sohn sah, fand er ihn wunderschön. Wie eine Statue saß er da mit seinen untergeschlagenen Beinen im Meditationssitz unter einem Baum, sein Gesicht hatte einen nachdenklichen aber ruhigen Ausdruck. Siddhārtha, dieser gerade einmal neunjährige Knabe, gab ein Bild ab, das von erhabener Schönheit und seltener Würde war.

Śuddhodana bekam Angst. Er erinnerte sich an die Prophezeiung des Asita kurz nach Siddhārthas Geburt: entweder würde aus diesem ein großer weltlicher Herrscher werden - oder ein Heiliger, dessen Namen die Menschen noch in Tausend Jahren mit Ehrfurcht aussprechen würden. Śuddhodana sah, wie würdevoll sein Sohn dasaß. Aber er hatte den Eindruck, diese Würde sei nicht die eines Königs, sondern die eines Erleuchteten. „Siddhārtha“, sagte der Vater mit bedrückter Stimme.

Der Knabe öffnete langsam die Augen. „Es hat ihnen nichts geholfen, Vater. Den Vögeln, den Würmern, den Bauern und den Wasserbüffeln hat das ganze Gesinge der brahmanischen Priester nicht geholfen. Sie alle mussten leiden. Weißt du nichts, was gegen all das Leid hilft?“

„Nein, Siddhārtha, ich weiß das auch nicht, keiner weiß das. Aber vielleicht sollten wir jetzt erst einmal zu den Gauklern und dem Zauberer gehen.“

„Vater, ich möchte eines Tages wissen, was all den Wesen hilft. Und dann möchte ich ihnen helfen. Mögen doch alle Wesen glücklich sein!“

Śuddhodana biss sich auf die Lippen. `Es ist wohl das Beste, wenn ich ihn in Zukunft im Palast lasse. Er soll nur junge, fröhliche Menschen um sich haben, damit er nicht mehr so ins Grübeln kommt und sich womöglich eines Tages diesen Śrāmaeras, diesen religiösen Suchern anschließt, die nicht an die Kraft der Veden und der brahmanischen Rituale glauben.´ So reifte in Śuddhodana ein Entschluss heran, der Siddhārthas Leben für nahezu zwei Jahrzehnte entscheidend beeinflussen sollte. Aber für Siddhārtha hatte dieser Tag noch eine weitere, noch viel tiefere Bedeutung. Mehr als ein Vierteljahrhundert später erinnerte sich der Asket Gotama, wie er einst als Kind unter einem Rosenapfelbaum gesessen und in tiefer Meditation gewesen war. Der Tag, an dem sich der Wanderer Gotama an dieses Erlebnis unter dem Rosenapfelbaum erinnerte, war der Tag, an dem er sich unter einen anderen Baum setzte, in Bodh Gaya, unter den Bodhi-Baum. Unter diesem anderen Baum sollte er dann die Lösung finden, das Ende allen Leidens. Aber das ist, wie ihr wisst, eine ganz andere Geschichte.

3 Diese Geschichte wurde bereits in Band 1 dieser Reihe abgedruckt. Normalerweise achte ich darauf, dass etwas nicht in zwei Bänden dieser Reihe erscheint. Allerdings ist die Szene für die weitere Entwicklung Siddhārthas ein Schlüsselerlebnis, daher konnte ich in diesem Band nicht darauf verzichten, sie erneut wiederzugeben.

Der Mythos von den Vier Ausfahrten

Prinz Siddhārtha4 hatte schon lange gezweifelt, ob er wirklich die ihm bevorstehende Karriere verfolgen sollte. Er war in jungen Jahren verheiratet worden, seine Frau hatte ihm inzwischen einen Sohn geboren, und er war dazu ausgebildet worden, dereinst Nachfolger seines Vaters Śuddhodana zu werden, der der Rājā von Śākya war.

Andererseits trieb ihn die Frage nach dem Sinn des Lebens um: man wird geboren, altert, leidet unter Krankheiten, stirbt, wird wieder geboren .... eine Endlosschleife. Laut der herrschenden Meinung im alten Indien, konnte man irgendwann aus diesem fast endlosen Lauf von Geburt und Wiedertod entkommen, dann wenn man erleuchtet war, was immer das sein mochte und wie auch immer das erreichbar war.

Das, was die Hindupriester dazu erzählten, stammte aus alten Schriften, den Veden, aber es war für einen logisch denkenden Menschen absolut nicht hilfreich. Daher gab es zu dieser Zeit, im sechsten Jahrhundert v.u.Z., eine Vielzahl an Aussteigern, an religiös Suchenden, an śramaeras, die sich bemühten, diesen Weg zum Ausstieg aus dem Rad der Geburten zu finden. Es dürften damals gleichzeitig über 100.000 solcher religiös motivierter Aussteiger in ganz Indien gewesen sein. Und natürlich fragte sich Siddhārtha: „Könnte das auch ein Weg für mich, sein?“

Später, nach seiner Erleuchtung, erzählte der Buddha oftmals von dem Weg zu dieser Entscheidung. Sprach er dazu zu gebildeten Mönchen, so erklärte er die Überlegungen, die schließlich zur Entscheidung führten, ob er in die Hauslosigkeit gehen sollte, so:

„Warum suche ich, wenn ich selbst der Geburt unterworfen bin, das, was ebenfalls der Geburt unterworfen ist? Warum suche ich, wenn ich selbst dem Altern, der Krankheit, dem Tode, dem Kummer und der Befleckung unterworfen bin, das, was ebenfalls dem Altern, der Krankheit, dem Tode, dem Kummer und der Befleckung unterworfen ist? Angenommen, ich suche die ungeborene höchste Sicherheit vor dem Gefesseltsein, nibbana, weil ich selbst der Geburt unterworfen bin und die Gefahr in dem, was ebenfalls der Geburt unterworfen ist, erkannt habe; ich suche die nicht alternde, nicht krankende, todlose, kummerfreie, unbefleckte höchste Sicherheit vor dem Gefesseltsein, nibbana...

Später, immer noch im jungen Alter, als schwarzhaariger junger Mann, mit Jugendlichkeit gesegnet, in der Blüte meines Lebens, rasierte ich mir Kopf und Barthaar ab, zog die gelbe Robe an und ging von zu Hause in die Hauslosigkeit, obwohl meine Mutter und mein Vater das nicht wünschten und mit tränenüberströmten Gesicht weinten.“5

Aber dann, wenn er mit einfachen Leuten sprach, denen bewusstes Reflektieren über den Sinn des Lebens eher fremd war, kleidete der Buddha diesen Entscheidungsprozess in einen Mythos, den „Mythos von den Vier Ausfahrten“. Der Buddha kommunizierte also auf verschiedenen Ebenen, manchmal kommunizierte er durch analytische Sprache, manchmal jedoch durch Mythen, Bilder, Parabeln, Gleichnisse. Letzteres ist für viele Menschen anschaulicher und leichter nachzuvollziehen. Wir kennen dergleichen auch aus christlichen Mythen, z. B. dem Mythos von der Erschaffung der Welt, den Mythos von der Sintflut oder dem Mythos von der Geburt Christi.

Das sind schöne Mythen, und man sollte sie als Mythen, als Gleichnisse lesen. Wenn man sie als buchstäbliche Wahrheit liest, dann führt dies zu blindem Fundamentalismus. Auch im Buddhismus gibt es solche Mythen. Einige davon stammen augenscheinlich vom Buddha selbst. Ein solcher Mythos über eine Episode aus Buddhas Leben, die er selbst erzählte, sind „Die Vier Ausfahrten“, die ich jetzt in meinen Worten wiedergebe:

Prinz Siddhārtha war von seinem Vater, König Śuddhodana, von allem Leid fern gehalten worden. Da diesem bei der Geburt des Siddhārtha von einem Weisen vorausgesagt wurde, dass aus Siddhārtha entweder ein großer weltlicher Herrscher oder ein religiöser Führer werde, ein Weiser, dessen Lehre von vielen Menschen lange Zeit verstanden, gelehrt und weiter verbreitet werde, wollte Śuddhodana, dass sich sein Sohn nicht mit Sinnfragen beschäftigt und hatte ihn fernab von allem Weltlichen, von allem Leidvollen, gehalten.

So wuchs Siddhārtha abgeschieden von der Welt in königlichen Palästen auf. Śuddhodana hatte drei solche Paläste, die er je nach Jahreszeit nutzte: einen Palast für den Winter, einen für den Sommer und einen für die Regenzeit. Wobei wir mit dem Ausdruck des Wortes „Palast“ vorsichtig sein müssen. Wir dürfen dabei nicht an den Buckingham Palast oder die Schlösser König Ludwigs von Bayern denken. Es handelte sich vielmehr um mehrstöckige Villen mit einem großen Garten, man kann sagen: einem Park.

Und der Prinz wuchs nur in diesen Palästen und den dazugehörigen Gärten auf. Sein Vater hielt alles von ihm fern, was den jungen Siddhārtha ins Grübeln über den Sinn des Lebens bringen konnte, stattdessen bot er ihm Zerstreuungen. Siddhārtha, so heißt es in diesem Mythos, war nur von jungen, schönen, fröhlichen Menschen umgeben. Er hatte Musikantinnen und Tänzerinnen zur Unterhaltung und um das Leben eines Playboy zu genießen. Er übte sich in Kampfeskünsten und es wurden Turniere und Wettkämpfe für ihn veranstaltet – wobei er, sehr zum Verdruss seines Vaters – bei Kampfspielen keinen besonderen Ehrgeiz zeigte. Er machte mit, weil das von ihm erwartet wurde, aber alles, was mit Sieg und Niederlage zu tun hatte, widerstrebte ihm.

Doch eines Tages, da war er laut diesem Mythos schon weit in den Zwanzigern, wollte er aus dem Palast heraus, irgendetwas trieb ihn um, machte ihn unzufrieden. Er teilte dies Channa, seinem Wagenlenker, mit und dieser berichtete König Śuddhodana von Siddhārthas Ansinnen. Siddhārtha wurde auf den übernächsten Tag vertröstet. Inzwischen ließ König Śuddhodana die Hauptstadt Kapilavatthu säubern, die Häuser neu weißen und mit Girlanden und Fähnchen schmücken, außerdem gab er bekannt, dass nur schöne junge Menschen an dem Tag der prinzlichen Ausfahrt aus den Häusern dürften.

Also sah der junge Prinz bei seiner Ausfahrt nur die Schokoladenseite der Stadt und allmählich heiterte sich seine bis dato trübe Stimmung auf. Dann jedoch geschah etwas, das ihn aufmerken ließ. Er hieß Channa, den Wagen anzuhalten, zeigte auf einen Mann und fragte seinen Wagenlenker: „Channa, was um Himmels willen ist denn mit dem los?“

„Wie, wieso, was meint Ihr?“ Channa war überrascht, seinen Herrn so erschrocken und entgeistert zu sehen. „Meint ihr diesen Mann da? Na, das ist einfach nur ein alter Mann. Daher geht er so gebückt, das ist auch der Grund, warum er keine Zähne mehr hat, schlecht sieht und warum er all diese Falten im Gesicht hat. Das ist eben ein alter Mann.“

„Meinst du, das passiert mit meinen Eltern im Alter auch? Mit meiner Frau und mit mir?“, soll Siddhārtha laut diesem Mythos gefragt haben.

„Naja, mein Prinz, wir werden alle alt, ob König, Bauer oder Sklave, wir werden alle alt. Dem entgeht niemand.“

Siddhārtha verfiel in tiefe Traurigkeit, er schwieg. Zum ersten Mal war ihm die Tatsache des Alterns bewusst geworden. Nie wieder würde es für ihn sein wie zuvor. Die unbeschwerte Leichtigkeit seiner Jugend war vorbei. Er bat Channa in den Palast zurückzukehren, wo ihn diese Tatsache noch tagelang beschäftigte. Dann jedoch wollte er wieder ausfahren. Auch diesmal ließ Śuddhodana wieder die Stadt auf Vordermann bringen und es wurden allen Leuten ab 40 Jahren ein Ausgangsverbot erteilt.

Und so fuhren Siddhārtha und Channa erneut aus. Der Prinz war diesmal noch achtsamer, er blickte nicht nur auf die Straße, auf der sie fuhren, sondern auch in Nebenstraßen und Hofeinfahrten; dann hieß er Channa in eine Gasse abzubiegen. Der Prinz hatte wieder etwas erblickt; er verließ den Wagen, stand unschlüssig, glaubte seinen Augen nicht trauen zu können, als er einen am Boden liegenden, schreienden Mann sah, der Flecken auf der Haut hatte und sich erbrach: „