Evolviere zur/zum Buddha! - Horst Gunkel - E-Book

Evolviere zur/zum Buddha! E-Book

Horst Gunkel

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Beschreibung

Dieses Buch enthält die buddhistische Sicht unseres gewöhnlichen, von Verlangen, Abneigung und irrigen Projektionen geprägten, mensch­lichen Lebens im Teil 1 (Sieh in den Zauberspiegel!). Dazu gibt es nach buddhistischer Auffassung eine Alternative, den Pfad zur Erleuchtung. Hierzu hat der Autor die Vortragsreihe "Evolutionskurs: Tier - Mensch - Buddha" bei "Meditation am Obermarkt" in Gelnhausen gehalten, die - leicht überarbeitet - den Teil 2 dieses Buches umfasst. In diesem Kurs erklärt er, wie Buddhist/innen individuell daran arbeiten, die Evolution zu vollenden. Der Mensch wird hierbei als Bindeglied zwischen dem Tierreich und dem Nirwana gesehen. Den Menschen, der zur einer/einem Vollendeten geworden ist, nennen wir "Buddha". Dieses Buch ist eine Beschreibung des Weges, aber keine Übungsanleitung für den Weg. Das wird vielmehr Gegenstand eines der nächsten Bücher dieser Reihe sein (Arbeitstitel: "Selbsttransformation durch Meditation"). Das Buch enthält ein Glossar, in dem alle buddhistischen Fachbegriffe verständlich erläutert sind.

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Seitenzahl: 224

Veröffentlichungsjahr: 2022

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Das Buch

Dieses Buch enthält die buddhistische Sicht unseres gewöhnlichen, von Verlangen, Abneigung und irrigen Projektionen geprägten, menschlichen Lebens im Teil 1 (Sieh in den Zauberspiegel!). Dazu gibt es nach buddhistischer Auffassung eine Alternative, den Pfad zur Erleuchtung. Hierzu hat der Autor die Vortragsreihe Evolutionskurs: „Tier – Mensch – Buddha“ bei Meditation am Obermarkt (heute: Buddhistische Gemeinschaft Gelnhausen) gehalten, die – leicht überarbeitet – den Teil 2 dieses Buches umfasst. In diesem Kurs erklärt er, wie Buddhisten individuell daran arbeiten, die Evolution zu vollenden. Der Mensch wird hierbei als Bindeglied zwischen dem Tierreich und dem Nirwana gesehen. Den Menschen, der zu einer/einem Vollendeten geworden ist, nennen wir „Buddha“.

Dieses Buch ist eine Beschreibung des Weges, aber keine Übungsanleitung für den Weg. Das wird vielmehr Gegenstand eines der nächsten Bücher dieser Reihe sein (Arbeitstitel: „Selbsttransformation durch Meditation“).

Kursiv und fett gedruckte Begriffe sind in einem Glossar am Ende des Buches erklärt.

Der Autor

Horst Gunkel, Jahrgang 1951, arbeitete 40 Jahre als Lehrer an einem beruflichen Schulzentrum. Er engagierte sich in zahlreichen Vereinen und Bürgerinitiativen zum Schutz des Lebens in all seinen Formen. Von 1981 bis 1995 war er in zahlreichen Gremien und zwei Regionalparlamenten aktiv. Von 1987 bis 2000 leitete er außerdem das ÖkoBüro Hanau. Anfang der 90er Jahre begegnete er dem Buddhismus und erkannte schnell, dass ein Engagement hierin (noch) wichtiger sei als sein bisheriges politisches Wirken. Er legte alle politischen Ämter nieder und setzte sich im Netzwerk Engagierter Buddhisten für ökologische, pazifistische und soziale Projekte ein. 1996 kam er zur Buddhistische Gemeinschaft Triratna (damals: Freunde des Westlichen Buddhistischen Ordens), für die er zunächst in Frankfurt/M. eine Meditationsgruppe aufbaute, dann die Buddhistische Gemeinschaft Gelnhausen.

Weitere Vorträge, Erzählungen und geleitete Meditationen von Horst Gunkel finden sich unter http://www.gelnhausen-meditation.de.

Inhaltsverzeichnis

Teil 1: Sieh in den Zauberspiegel!

Einleitung: Worum es geht

Das Rad des Werdens

Die drei Tiere, die du bist

Handlungen haben Folgen

Die sechs Geistesverfassungen

Das Rad und die Evolution

Teil 2: Die Evolution des Menschen

Verblendung - avijjā

Automatische Bewertung - vedanā

Letztlich nicht völlig zufriedenstellend - dukkha

Geburt - jāti

Gläubiges Vertrauen- saddha

Psycho-somatische Einheit - nama-rūpa

Deine Baustelle: karma niyama

Das süße Leben der Buddhisten

Meditative Konzentration - samādhi

Der Punkt! - yatha bhuta ñāna dassana

Das heilige Leben – nibbida, virāga, vimutti

Amoghasiddhi

Das hat gerade noch gefehlt!

Begriffserklärungen

Verzeichnis der Abbildungen

Wo finden sich weitere Beiträge des Autors?

Verzeichnis der Abbildungen

Das Rad des Lebens

Die Nabe des Rades

Die Götterwelt

Die Ebene der

asuras

/Titanen

Manjusri

Die Ebene der

pretas

/Hungergeister

Der Bereich der Hölle

Das Tierreich

Die Menschenwelt

Kette des Bedingten Entstehens

Das Rad und der Pfad

avijjā

/Verblendung

vedanā

/Empfindungen

salāyatana

/Die sechs Sinne

phassa

/Kontakt

tanha

/Verlangen

upādāna/Anhaften

Triratna – Die Drei Juwelen

Das Rad der Lehre

(dharma cakra)

jāti

/Geburt im Lebensrad

sa

khāras/Formkräfte oder Gestaltungskräfte

viññāna

/Bewusstsein

Der Pfad (in Worten)

Das Rad und der Pfad (

nidānas

und

upanisās

)

nama-rūpa

(Körper und Geist)

Der Pfad zum Erwachen (und das Ziel)

Die Grüne Tara

Doppelvajra

Fünf weitere Pfadglieder

Der Pfad der unterstützenden Bedingungen

Das Mandala der fünf Jinas

Teil 1 Sieh in den Zauberspiegel!
Einleitung: Worum es geht

Bitte beachten: Kursiv und fett gedruckte Worte sind in einem Glossar am Ende des Buches erläutert – aber nur das, was wirklich sowohl kursivals auch1fett gedruckt ist.

Prinz Siddhārtha Gotama von Śākya, der spätere Buddha, hatte sich, als er mit etwa 28 Jahren sein Leben im Palast aufgab und sich als spiritueller Sucher auf seine Wanderschaft durch Indien machte, ein hohes Ziel gesetzt. Er wollte das Leiden verstehen, das er in erster Linie in Altern, Krankheit und Tod sah, aber auch darin, mit dem, was man verabscheut, zusammen zu sein und von dem, was man liebt, getrennt zu sein. Er wollte dieses Leiden aber nicht nur verstehen, er wollte es auch überwinden. Nach der damals in dem von der Hindureligion geprägten Indien vorherrschenden Überzeugung, wird man nach dem Tod erneut geboren und damit beginnt dieses Rad des Lebens, das aus Geburt, Altern, Krankheit, Tod und Wiedergeburt besteht, sich immer erneut zu drehen.

Nach Jahren des Suchens und der spirituellen Praxis verstand Siddhārtha das Leiden, er formulierte die Erste Edle Wahrheit: „Letztendlich ist alles in dieser Welt unvollkommen,“ weil es nämlich entweder per se leidvoll ist (wie Kopfschmerzen), oder angenehm aber vergänglich, oder aber es hat neben den angenehmen Wirkungen auch unangenehme Wirkungen für mich oder für andere, möglicherweise sogar für die gesamte Biosphäre. Letzteres wird uns im 21. Jahrhundert mit der sich verschärfenden Klimaproblematik und all den anderen Nebenwirkungen des kapitalistisch-konsumistischen Wirtschaftssystems nur allzu deutlich.

Und da alles, was entsteht, in Abhängigkeit von Bedingungen entsteht, erkannte Siddhārtha auch die Zweite Edle Wahrheit, die Wahrheit von der Ursache des Leides. Die Ursache unserer Probleme liegt darin, dass wir irrtümlich glauben, dass uns irgendetwas (oder irgendjemand) dauerhaft glücklich machen kann, oder auch, dass wir dann, wenn nur das, was uns stört, weg wäre, dauerhaft glücklich wären. Die Ursache für unser Leiden liegt also zum großen Teil in uns selbst, in unserem Verlangen (unserer Gier!) etwas haben zu wollen, was uns glücklich macht, oder in der Abneigung gegen etwas, was wir nicht mögen, sowie in der irrigen Annahme, wir wären glücklich, wenn wir das bekämen, was wir gerade wollen, oder wenn das weg wäre, was wir gerade verabscheuen. Siddhārtha erkannte also, dass Gier, Hass und Verblendung die Ursache unseres Leidens sind.

Und damit lag die theoretische Lösung des Problems, dass alles auf dieser Welt unvollkommen ist, klar auf der Hand: beseitige die Ursache (Verlangen/Gier, Abneigung/Hass und irrige Projektionen/Verblendung), dann beseitigst du auch die Folge, den Ärger über die Unvollkommenheit. Siddhārtha nannte das die Dritte Edle Wahrheit.

Das war allerdings erst einmal nur eine theoretische Lösung. Wie sollte das in die Praxis umgesetzt werden? Schließlich erkannte Siddhārtha durch Selbstversuche nach der Methode von trial and error, wie dies umzusetzen ist, nämlich indem man an insgesamt acht inneren Baustellen arbeitet. Dies nannte er die Vierte Edle Wahrheit: die Wahrheit vom Pfad, den man zur Befreiung beschreiten muss, in dem man an diesen acht Baustellen arbeitet, den Edlen Achtfältigen Pfad:

Arbeite an deiner Vision vom Pfad (Rechte Schauung).

Arbeite an deiner Entschlossenheit, gemäß dieser Vision zu leben (Rechter Entschluss).

Arbeite an deiner Sprache (Rechte Rede).

Arbeite an deinen Handlungen (Rechtes Handeln).

Arbeite daran, dein ganzes Leben mit deinen Idealen in Einklang zu bringen (Rechter Lebenswandel).

Arbeite mit vollem Einsatz, nicht halbherzig (Rechtes Bemühen).

Sei bei alledem achtsam (Rechte Achtsamkeit).

Begleite das alles kontemplativ und meditativ (Rechter

samādhi

).

Daher lehrte der Buddha den Edlen Achtfältigen Pfad denjenigen, die sich voll und ganz darauf einlassen wollten, den Mönchen und Nonnen. Und er lehrte seinen Laienanhänger *innen eine vereinfachte Version, den Dreifachen Pfad, der aus Ethik, Meditation und Weisheit besteht.

Mitunter gebrauchte der Buddha aber auch eine ausführlichere Beschreibung, eine Beschreibung, die sowohl das enthält, was uns normalerweise im Leben umtreibt, als auch das, was wir tun müssen, um aus diesem Teufelskreis herauszukommen und das Ziel zu erreichen, was Siddhārtha erreicht hat, als er mit seinem Erwachen zum Buddha wurde. Er hat dies in zwei Visionen beschrieben, die miteinander verknüpft sind.

Die erste dieser Visionen des Buddha, die gewöhnliche Welt, in der wir alle leben und handeln, mit seinen erleuchteten Augen gesehen, hat er in einer Art geschildert, die buddhistische Künstler in ein Bild umgesetzt haben, das bhāva cakra, das Rad des Werdens (siehe Abbildung S. →). Dies wird oft als „Rad des Lebens“ bezeichnet, meist fälschlich mit „Tibetisches Lebensrad“. Diese Bezeichnung kommt daher, dass die entsprechenden Abbildungen über Tibet in den Westen kamen. Die ursprünglichen indischen Varianten waren nämlich während der islamischen Herrschaft über Indien (12. - 14. Jhd.) alle zerstört worden.

Das bhāva cakra erscheint uns, wenn wir es ohne Erklärung sehen, ziemlich merkwürdig, sehr überladen und voller fremder Symbolik. In diesem ersten Teil dieses Buches werde ich dieses bhāva cakra in einer Art beschreiben, wie ich es im Wesentlichen von Sangharakshita, meinem Lehrer, übernommen habe. Dies ist eine Art, die es uns westlichen Menschen des 21. Jahrhunderts verständlich macht.

Die zweite Vision hat der Buddha im upanisā sutta dargelegt. Es zeigt, wie man aus diesem bhāva cakra, diesem Rad aus Geburt und Wiedertod, aus Tod und Wiedergeburt aussteigt. Für manche von uns ist der Gedanke an Wiedergeburt vielleicht absurd, für andere hingegen eine große Hoffnung. Ursache für diese beiden Ansichten ist ein falsches Verständnis von Geburt und Tod, vom Leben. Der Buddha hat das mit dem Satz ausgedrückt: Es gibt Wiedergeburt, aber es gibt niemanden, der wiedergeboren wird. Damit hat er den hinduistischen Wiedergeburtsgedanken verworfen, ohne in das anderem Extrem, den Nihilismus, zu verfallen.

Dieser Satz wird dann etwas verständlicher, wenn wir beginnen einzusehen, dass es so etwas wie ein festes, von der Umwelt abgetrenntes „Ich“ nicht gibt, das wiedergeboren werden kann. Das, was wir konventionell als „Ich“ bezeichnen, besteht aus lauter Nicht-Ich-Elementen, alles was dieses physische „Ich“ ausmacht, haben wir durch Stoffwechsel (also von Nicht-Ich vom „Ander“) aufgenommen und durch genetisches Material unserer Eltern, die auch Nicht-Ich sind, mitbekommen.

Alles, was wir in unserem Bewusstsein haben, haben wir durch Lernprozesse in diesem Leben, durch genetisches Material oder durch Lernprozesse früherer Wesen, die (teilweise) in unserer DNA gespeichert sind, mitbekommen. Es gibt nach buddhistischer Auffassung kein festes abgetrenntes Selbst, auch keine Seele, die wiedergeboren werden kann. Aber alle diese Materie in uns verschwindet nicht mit unserem Tod, sie bleibt erhalten.

Alles, was in unserem (immateriellen) Bewusstsein enthalten ist, ist nicht von allein entstanden, und es wird auch nicht spurlos verschwinden. Nichts entsteht von allein, nichts verschwindet spurlos, es kann sich nur umwandeln. Geist entwickelt sich, Geist evolviert – und wir sind Teil dieses Evolutionsprozesses.

Dies kann man sich recht gut mit dem Bild einer Welle im Ozean veranschaulichen. Die gewaltige Energie eines Ozeans zeigt sich in den aufschäumenden Wellen, die jedoch nur kurz erscheinen. Aber obwohl kein Wassermolekül verschwunden ist und auch die in der Welle erschienene Energie nicht plötzlich weg ist, so ist diese Welle doch nach wenigen Sekunden nicht mehr existent, sie ist zurückgekehrt in die unendliche Weite des Ozeans. Aber diese Energie existiert weiter, sie wird weiter Wellen bilden und auch die Wassermoleküle sind nicht verschwunden. Dennoch ist dieses Bild keine vollkommene Metapher, denn – anders als die Energie in der Welle – vermag unser Geist etwas Neues zu kreieren, einen Beitrag zur Evolution zu leisten, zur spirituellen Evolution. Das kannst du ruhig als Aufruf verstehen, an deiner spirituellen Evolution spielerisch zu arbeiten und damit nützlicher zu sein, als eine Welle im Ozean.

In diesem Buch erfahren wir einiges über unsere Evolution und wir erfahren auch etwas ganz Entscheidendes: wie wir als Menschen unsere geistige Evolution steuern können, wie wir vom gemeinen Erdenbürger zum wahrhaften „homo sapiens“, zu einem Weisen werden können, und wie man sogar die nächste große Evolutionsstufe oberhalb des Menschen erreichen kann, die Stufe, die der historische Buddha erreicht hat und die viele, viele andere seither auch erreicht haben.

Rad des Werdens (bhāva cakra)

1 Das solltest du als kleine Achtsamkeitsübung ansehen!

Das Rad des Werdens

Die Erleuchtungserfahrung des Buddha teilte er anderen auf vierfache Weise mit: durch Begriffe und Symbole, durch sein Handeln und durch Schweigen. In diesem Buch betrachten wir, wie der Buddha seine Schauung durch Begriffe und Symbole vermittelte.2

Buddhas grundlegende Erkenntnis war das Bedingte Entstehen. Der Buddha hat erkannt, dass die Welt keine Welt von Dingen ist, sondern eine Welt von Prozessen. Ein Ding ist nichts anderes als die Momentaufnahme eines Prozesses. Das Buch, das der Leser in der Hand hält, ist nur momentan ein Buch, morgen ist es Altpapier oder Brennmaterial. Es war nicht immer ein Buch, es war Papier, Holz, Baum, es war die Sonne, der Regen und der Boden, ohne den der Baum nicht wachsen konnte. Es war Druckerschwärze und das, was die Druckerschwärze ausdrückt, es waren Ideen in meinem Kopf, die dort nicht hätten entstehen können, wenn es den Buddha nicht gegeben hätte, meinen Lehrer Sangharakshita, meine Eltern und den Zweiten Weltkrieg, ohne den meine Eltern nicht geheiratet hätten.

Alles, was entsteht, entsteht in Abhängigkeit von Bedingungen. Alles ist prozesshaft. Prozesse vollziehen sich auf der materiellen Ebene, und Prozesse vollziehen sich auf der geistigen Ebene, wobei die Prozesse der materiellen und die der geistigen Ebene miteinander verknüpft sind. Der Buddha erkannte, dass es innerhalb der bedingten Existenz nirgendwo etwas gibt, das nicht der Veränderung unterläge, das nicht prozesshaft wäre.

Aber Wandel, Veränderung, Entwicklung, Evolution vollzieht sich keineswegs nur zufällig, wir können durch unser Handeln die Entwicklung gestalten. Alles was entsteht, entsteht in Abhängigkeit von Bedingungen, von denen wir einige beeinflussen können. Alles, was vergeht, vergeht, weil die Bedingungen, die für seine Existenz nötig sind, nicht mehr gegeben sind. Der Buddha erkannte das Gesetz der Bedingtheit, er erkannte das Gesetz des Wandels. Das ist der Kern jeden buddhistischen Denkens.

Dabei gibt es zwei Arten von Bedingtheit, die eine können wir als kreisförmige Bedingtheit bezeichnen. Der Wechsel von Tag und Nacht, die Jahreszeiten, die Hochs und Tiefs im Wetter und in unseren Stimmungen, das sind Beispiele für das, was eine kreisförmige Bedingtheit darstellt. Dies funktioniert in der Regel nach dem Reiz-Reaktions-Schema, so wie die Blumen, die aufgehen, wenn die Morgendämmerung kommt und die sich mit den Abendstunden wieder schließen, oder die Bäume die ihr Laub verlieren, wenn die Tage kürzer werden und erneut austreiben, sobald die Tage im Frühjahr wieder länger werden.

Es gibt aber auch eine andere Art von Bedingtheit, eine nach Höherem strebende, eine evolvierende. So formte sich nach dem Urknall die Materie zu Atomen, zu Molekülen, zu Materieklumpen, zu Sonnen und Planeten; und auf einigen Planeten konnte - in Abhängigkeit von bestimmten Bedingungen - Leben entstehen, Aminosäuren, Einzeller, Pflanzen, Tiere, der Mensch und der Buddha.

Wir werden uns im diesem ersten Teil des Buches schwerpunktmäßig mit dem zyklischen Modell beschäftigen. Hierzu dient uns das Bild des bhāva cakra, des sog. Lebensrades. Im zweiten Teil beschäftigen wir uns mit dem upanisā sutta, in welchem der Buddha beschrieb, wie wir unsere weitere Entwicklung, unsere individuelle Evolution selbst gestalten können, wie wir die nächste Evolutionsstufe erreichen können, wie wir zu einer oder einem Vollkommenen werden können, zu einer oder einem Buddha.

Sehen wir uns dieses merkwürdige Bild, das bhāva cakra, zunächst gemeinsam an. Es besteht im Wesentlichen aus vier konzentrischen Kreisen und aus einigem Brimborium drumherum3. Im inneren Kreis des Rades, in der Nabe, sehen wir – nicht ganz leicht zu erkennen – drei Tiere: einen Hahn, eine Schlange und ein Schwein.

Der zweite Kreis ist ziemlich schmal, die eine Seite ist weiß, die andere schwarz. In diesem Kreis bewegen sich Menschen, jedoch in unterschiedliche Richtung: die im weißen Abschnitt steigen nach oben, die im dunklen Teil des Kreisrings stürzen hinab.

Der dritte Kreis ist der bei weitem größte, er wird durch Speichen in sechs Teile geteilt, die traditionell als verschiedene Welten gesehen werden, wir können sie allerdings auch als unterschiedliche Geistesverfassungen betrachten. Ganz oben befindet sich eine Art Götterwelt, wo devas in herrlichen Palästen leben. Dies scheint eine Welt des Genusses zu sein und sie wirkt irgendwie anziehend.

Wenn wir im Uhrzeigersinn weitergehen sehen wir die Welt der asuras, das sind Kämpfer, die offensichtlich mit irgendetwas unzufrieden sind und dies mit Gewalt bekämpfen wollen.

Rechts unten sehen wir Wesen mit aufgequollenen, dicken Bäuchen aber einem ganz dünnen Hals, sie erinnern etwas an hungernde Kinder in Afrika. Das ist die Welt der pretas, der hungrigen Geister. Von ihnen wird traditionell gesagt, dass sie ein riesiges Verlangen haben, sobald sie aber etwas in den Mund nehmen, verwandelt sich diese Nahrung noch im Mund in Exkremente oder Feuer, so erleiden sie Tantalusqualen.

Die Wesen im untersten Abschnitt erleiden Höllenqualen, diese Welt erinnert tatsächlich an die christliche Hölle und es ist vielleicht nicht wirklich schlimm, dass man auf dem hier abgebildeten bhāva cakra keine Einzelheiten erkennt.

Dem Uhrzeigersinn nach geht es jetzt wieder aufwärts, hier können wir mehr erkennen: Fische im Wasser, einen Vogel in der Luft und auch Landtiere. Hier handelt es sich um die Welt der Tiere.

Das letzte der sechs Segmente ist die Menschenwelt. Hier sehen wir Leute bei der Feldarbeit, einen Reiter und auch einen Lehrer der kleinere Menschen belehrt, vielleicht schicken sie sich auch gerade an zu meditieren.

Traditionell gelten diese sechs Welten als verschiedene Orte, an denen wir geboren werden können, so wie wir nach einer christlichen Vorstellung nach dem Tod im Himmel oder in der Hölle erscheinen. Der Unterschied ist – wenn wir das so sehen – nicht allzu groß, jedoch gibt es zwei wesentliche Unterschiede zur christlichen Vorstellung, nämlich einmal, dass es nicht nur zwei absolut verschiedene Möglichkeiten gibt, sondern insgesamt sechs. Der zweite Unterschied besteht darin, dass man dort nicht für ewig verweilt. Man wird dort wiedergeboren, verweilt aber nur eine gewisse Zeit dort, nicht für die Ewigkeit. Aber diese – ich würde sagen: eher volksbuddhistische – Sicht der Dinge ist nur eine Interpretationsmöglichkeit.

Eine andere Interpretation ist, dass wir in Abhängigkeit von unseren Taten an Orten in der Welt erscheinen, die diesen Stereotypen nahekommen. Wer in einem reichen Land der Oberschicht angehört, für den stellt sich das Dasein wie eine Götterwelt da. Er wird auch da nicht immer glücklich sein, aber er oder sie hat es mit Sicherheit besser getroffen als die meisten anderen. Wer als Frau in einem von den Taliban beherrschten Gebiet zur Welt kommt, für den stellt sich die Welt vielleicht wie die Hölle da, obwohl auch in diesem Leben nicht alles schwarz ist, auch hier gibt es glückliche Momente.

Mir, der ich in Friedenszeiten in einem reichen Land in der Mittelklasse geboren wurde und das Glück hatte, im mittleren Alter sogar der Lehre des Buddha zu begegnen, erscheint mein Leben dem der Menschenwelt zu entsprechen.

Wer hingegen in einem Slum geboren wurde, wo es nur ums Überleben geht, für jemanden dessen wichtigste Bedürfnisse rein körperlicher Natur sind – der oder die lebt wohl in einer animalischen Welt.

Dies ist die zweite Art, wie man das Erscheinen in den verschiedenen Welten sehen kann. Die dritte Art, ist die, von sechs verschiedenen Geistesverfassungen zu sprechen, in denen wir gerade sein können. Wenn das so ist, dann sind wir zeitweise in den unterschiedlichen Welten, dann werden wir gewissermaßen täglich vielfach „wiedergeboren“, mal als deva, mal asura, dann wieder als hungriger Geist.

Wann sind wir in der Götterwelt? Vielleicht während der Meditation oder wenn wir ein sehr gutes Musikstück genießen, ein tolles Erlebnis in der Natur haben oder ein gutes Buch lesen. Wenn wir aber darüber nachdenken, wie wir zu Geld kommen oder unser Geld gewinnbringend anlegen können, dann sind wir wohl eher in der Welt der asuras. Und wenn wir nicht gezielt etwas einkaufen, das wir dringend benötigen, sondern einfach shoppen, weil es uns nach neuen Dingen gelüstet, dann sind wir eindeutig in diesem Moment in der Welt der hungrigen Geister.

Und wenn wir nur nach dem Lust- und Vermeidungsprinzip leben, möglichst wenig tun, was uns lästig ist, wenn sich unsere Gedanken nur ums Essen, ums Trinken und um Sex drehen, dann sind wir in einer Tierwelt. Und an manchen Tagen erscheinen wir nacheinander in allen diesen sechs Welten.

Ich möchte jetzt noch kurz den äußeren Kreis, den äußeren Ring beschreiben, bevor ich mich den vier Kreisen im Detail annehme. Der äußere Kreis ist zwölfteilig und stellt eine bestimmte Reihenfolge dar.

Bild 1 steht auf der Uhrzeigerstellung von 1 Uhr, es zeigt eine blinde Person, die sich mit einem Blindenstock den Weg zu ertasten versucht.

In Bild 2 sehen wir einen Töpfer bei der Arbeit, er produziert unterschiedliche Gefäße.

Bild 3 stellt einen Affen in einem blühenden Baum dar.

Auf Bild 4 sitzen vier Menschen in einem Boot.

Bild 5 zeigt ein Gebäude mit fünf Fenstern und einer Tür.

In Bild 6 sehen wir ein Paar, das sich berührt.

Bild 7 zeigt eine Person, der ein Pfeil im Auge steckt.

In Bild 8 reicht eine Frau einem Mann ein Glas Bier.

In Bild 9 erkennen wir eine Person, die Früchte pflückt und sie in einen Korb legt.

Bild 10 zeigt eine schwangere Frau.

Bild 11 zeigt eine Entbindende.

In Bild 12 sehen wir eine Person, die – wie früher in Tibet üblich – eine Leiche auf dem Rücken zum Leichenplatz schleppt.

All das erscheint uns sehr merkwürdig – dieser äußere Ring, aber auch die anderen Teile des Bildes. Früher war ein solches Bild außen auf die meisten buddhistischen Klöster gemalt. Zu dieser Zeit waren die Menschen Analphabeten, Schriftzeichen hätten ihnen nichts sagen können. Und so blieben die Leute stehen und besahen sich das merkwürdige Bild. Gewöhnlich hielt sich ein Mönch mit irgendeiner Arbeit, vielleicht mit Gartenarbeit, in der Nähe auf. Wenn dann jemand staunend dieses Bild betrachtete, so kam er hinzu und es entwickelte sich ein Gespräch. Vielleicht fragte der Betrachter, was das für ein Vogel in der Mitte sei.

Dann sagte der Mönch dem oder der Fragenden, dass dies ein Hahn sei, aber dass es auch ein Teil von ihm, von dem Fragenden sei. Dieses Bild sei ein Zauberbild, es stellte ihn, den Fragenden dar, und dann erklärte der Mönch inwiefern auch der Hahn ein Teil von ihm sei.

In den nächsten Kapiteln werde ich die einzelnen Elemente dieses Bildes, dieses Zauberbildes, das DICH darstellt, näher erläutern.

Die inneren beiden konzentrischen Kreise des bhāva cakra:

Drei Tiere, die du bist (innen)

Handlungen haben Folgen (außen)

2 Wie der Buddha sein Wissen durch Worte kommunizierte, habe ich u. a. in Band 4 dieser Reihe „Ausgewählte Lehrreden des Buddha“ beschrieben.

3 Das „Brimborium“ außerhalb der konzentrischen Kreise ist eigentlich eher Verzierung. In der in diesem Buch dargestellten Version des Bildes sehen wir einen Dämon, der das Rad in den Klauen hält. Der Dämon steht für Vergänglichkeit. Das könnte uns ermahnen, die Zeit zu nutzen, um dem Rad zu entfliehen. Ganz oben rechts sehen wir einen Buddha, der nach links zeigt, dort ist ein Hase. Dieser steht in einer buddhistischen Fabel für „großes Mitgefühl“. Auch dies soll uns darauf aufmerksam machen, an uns zu arbeiten, um diesem Lebensrad zu entkommen. Wie das geht, macht den zweiten Teil dieses Buches aus, die „Höhere Evolution“, also wie wir uns von unserem jetzigen Stand weiterentwickeln können zum/zur Buddha, einem oder einer Vollkommenen, die nicht im Rad der Geburten, im „Rad des Werdens“ (bhāva cakra), gefangen ist.

Die drei Tiere, die du bist

Im inneren Ring dieses Rades, in der Nabe des Rades, um die sich alles dreht, befinden sich drei Tiere, die du bist. Selbstverständlich stehst du in der Mitte deines Universums, denn du bist nicht erleuchtet. Daher bist du selbst der Mittelpunkt für dich. Aber du bist kein wirklicher Mensch, kein homo sapiens sapiens! In deinem Kern bist du ein Tier, du hast nie wirklich die Evolutionsstufe des Tieres verlassen. Der Zauberspiegel, der dieses Bild ist, zeigt dir dein wahres Gesicht: es ist nicht das eines kultivierten homo sapiens sapiens, in dir steckt vielmehr der Hahn.

Was macht einen Hahn aus? Wenn man freilaufende Hühner betrachtet, ist die vielleicht augenfälligste Erscheinung der Hahn. Betrachten wir uns den Hahn, was macht der Hahn?

Ein Hahn läuft meist planlos herum, er kräht am liebsten auf dem Misthaufen, er scharrt in der Erde, er frisst, er trinkt und er besteigt die Hühner. Und all das steckt auch in dir und in mir und in jedem unerleuchteten Wesen. Essen, Trinken und Sex sind in der Tat die Triebmittel jedes tierischen Lebens – und das ist im Prinzip auch gut so, denn nur durch diese drei Funktionen ist die Erhaltung der Art möglich.

Da Tiere nicht unsterblich sind, müssen sie sich sexuell reproduzieren. Da Tiere zum Leben Wasser und Energie benötigen, müssen sie diese aufnehmen und verstoffwechseln. Niemand wird von dir verlangen, dass du mit Essen und Trinken aufhörst, das würde dich umbringen. Beides ist nötig. Und daher hat die Natur, die Evolution, dafür gesorgt, dass da ein Verlangen ist, dass Durst auftritt, damit das tierische Lebewesen Wasser trinkt, dass Hunger auftritt, damit das Tier isst, und dass sexuelles Verlangen auftritt, damit sich das Tier paart.

Das Problem ist nur, dass wir das überhöhen. Wir trinken nicht nur Wasser, um unseren Durst zu stillen, wir essen nicht nur Obst und Körner, um unseren Hunger zu stillen. Wir suchen vielmehr nach erlesenen Getränken und raffinierten Speisen. Und die Vielfalt, die uns der Markt zur Verfügung stellt, ebenso wie die raffinierte Werbung machen uns vor, dass wir besondere Geschmackserlebnisse brauchen. So wird aus Verlangen Gier.

Und das gleiche gilt auch im sexuellen Bereich. Wir paaren uns in aller Regel nicht, um uns zu vermehren, wir suchen auch hier besondere Erlebnisse. Dem dient auch all das, von dem wir glauben, dass es uns attraktiver macht: modische Kleidung, tolle Frisuren, Tattoos, Piercings, Kosmetik – all das dient dazu attraktiver zu erscheinen. Nicht notwendigerweise nur sexuell attraktiver, wir glauben auch durch unsere Kleidung, durch unser Outfit, Anerkennung zu bekommen. Dabei machen wir genau das, was der Hahn macht, wenn er kräht: er macht auf sich aufmerksam, er will im Mittelpunkt stehen, er will ganz oben auf dem Misthaufen stehen, wenn er seine Wichtigkeit heraus kräht, genauso wie wir vielleicht an unserer beruflichen Karriere basteln.

Der Hahn scharrt in der Erde, sucht nach Insekten, die er teilweise frisst, teilweise den Hennen anbietet, um von diesen Anerkennung und/oder sexuelle Dienstleistungen zu bekommen. Und solltest du eine Frau sein, dann bilde dir nicht ein, der Hahn würde nicht auch in dir stecken. Es soll durchaus auch Frauen geben, die zum Frisör gehen, Kosmetik verwenden oder Karriere machen möchten. Nein: du bist der Hahn, egal ob du Mann oder Frau bist!

Du bist aber auch die Schlange! Bisweilen bist du kriecherisch, du schlängelst dich irgendwie durchs Leben. Und mitunter hast du eine gespaltene Zunge: redest mit Kollegen über den Chef oder die Vorgesetzte und mit dem Chef über Kolleginnen – und sagst an dieser Stelle nicht genau das, was du an der anderen Stelle sagst. Und außerdem hast du einen Giftzahn. Wenn dich etwas ärgert, wirst du mitunter ganz giftig, dann giftest du andere an. Manche unter uns sind sogar Würgeschlangen: sie umgarnen jemand und drehen ihm dann die Luft ab. Die Schlange steht in diesem Bild für Hass. Dies muss nicht blinder Hass sein, es kann auch einfach Abneigung sein.

Ja, du bist bestimmt von Verlangen und Abneigung, insofern bist du der Hahn und die Schlange. Aber bist du auch ein Schwein?