Austerlitz - W.G. Sebald - E-Book

Austerlitz E-Book

W.G. Sebald

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Beschreibung

Wer ist Austerlitz? Ein rätselhafter Fremder, der immer wieder an den ungewöhnlichsten Orten auftaucht: am Bahnhof, am Handschuhmarkt, im Industriequartier ... Und jedes Mal erzählt er ein Stück mehr von seiner Lebensgeschichte, der Geschichte eines unermüdlichen Wanderers durch unsere Kultur und Architektur und der Geschichte eines Mannes, dem als Kind Heimat, Sprache und Name geraubt wurden.

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Das ist das Cover des Buches »Austerlitz« von W.G. Sebald

Über das Buch

Wer ist Austerlitz? Ein rätselhafter Fremder, der immer wieder an den ungewöhnlichsten Orten auftaucht: am Bahnhof, am Handschuhmarkt, im Industriequartier ... Und jedes Mal erzählt er ein Stück mehr von seiner Lebensgeschichte, der Geschichte eines unermüdlichen Wanderers durch unsere Kultur und Architektur und der Geschichte eines Mannes, dem als Kind Heimat, Sprache und Name geraubt wurden.

W. G. Sebald

Austerlitz

Carl Hanser Verlag

In der zweiten Hälfte der sechziger Jahre bin ich, teilweise zu Studienzwecken, teilweise aus anderen, mir selber nicht recht erfindlichen Gründen, von England aus wiederholt nach Belgien gefahren, manchmal bloß für ein, zwei Tage, manchmal für mehrere Wochen. Auf einer dieser belgischen Exkursionen, die mich immer, wie es mir schien, sehr weit in die Fremde führten, kam ich auch, an einem strahlenden Frühsommertag, in die mir bis dahin nur dem Namen nach bekannte Stadt Antwerpen. Gleich bei der Ankunft, als der Zug über das zu beiden Seiten mit sonderbaren Spitztürmchen bestückte Viadukt langsam in die dunkle Bahnhofshalle hineinrollte, war ich ergriffen worden von einem Gefühl des Unwohlseins, das sich dann während der gesamten damals von mir in Belgien zugebrachten Zeit nicht mehr legte. Ich entsinne mich noch, mit welch unsicheren Schritten ich kreuz und quer durch den inneren Bezirk gegangen bin, durch die Jeruzalemstraat, die Nachtegaalstraat, die Pelikaanstraat, die Paradijsstraat, die Immerseelstraat und durch viele andere Straßen und Gassen, und wie ich mich schließlich, von Kopfschmerzen und unguten Gedanken geplagt, in den am Astridplein, unmittelbar neben dem Zentralbahnhof gelegenen Tiergarten gerettet habe. Dort bin ich, bis es mir ein wenig besser wurde, auf einer Bank im Halbschatten bei einer Vogelvoliere gesessen, in der zahlreiche buntgefiederte Finken und Zeisige herumschwirrten. Als der Nachmittag sich schon neigte, spazierte ich durch den Park und schaute zuletzt noch hinein in das erst vor ein paar Monaten neu eröffnete Nocturama. Es dauerte eine ganze Weile, bis die Augen sich an das künstliche Halbdunkel gewöhnt hatten und ich die verschiedenen Tiere erkennen konnte, die hinter der Verglasung ihr von einem fahlen Mond beschienenes Dämmerleben führten. Ich weiß nicht mehr genau, was für Tiere ich seinerzeit in dem Antwerpener Nocturama gesehen habe. Wahrscheinlich waren es Fleder- und Springmäuse aus Ägypten oder aus der Wüste Gobi, heimische Igel, Uhus und Eulen, australische Beutelratten, Baummarder, Siebenschläfer und Halbaffen, die da von einem Ast zum anderen sprangen, auf dem graugelben Sandboden hin und her huschten oder gerade in einem Bambusdickicht verschwanden. Wirklich gegenwärtig geblieben ist mir eigentlich nur der Waschbär, den ich lange beobachtete, wie er mit ernstem Gesicht bei einem Bächlein saß und immer wieder denselben Apfelschnitz wusch, als hoffe er, durch dieses, weit über jede vernünftige Gründlichkeit hinausgehende Waschen entkommen zu können aus der falschen Welt, in die er gewissermaßen ohne sein eigenes Zutun geraten war. Von den in dem Nocturama behausten Tieren ist mir sonst nur in Erinnerung geblieben, daß etliche von ihnen auffallend große Augen hatten und jenen unverwandt

forschenden Blick, wie man ihn findet bei bestimmten Malern und Philosophen, die vermittels der reinen

Anschauung und des reinen Denkens versuchen, das Dunkel zu durchdringen, das uns umgibt. Im übrigen ging mir, glaube ich, damals die Frage im Kopf herum, ob man den Bewohnern des Nocturamas bei Einbruch der wirklichen Nacht, wenn der Zoo für das Publikum geschlossen wird, das elektrische Licht andreht, damit sie beim Aufgehen des Tages über ihrem verkehrten Miniaturuniversum einigermaßen beruhigt in den Schlaf sinken können. — Die Bilder aus dem Inneren des Nocturamas sind in meinem Gedächtnis im Laufe der Jahre durcheinandergeraten mit denjenigen, die ich bewahrt habe von der sogenannten Salle des pas perdus in der Antwerpener Centraal Station. Versuche ich diesen Wartesaal heute mir vorzustellen, sehe ich sogleich das Nocturama, und denke ich an das Nocturama, dann kommt mir der Wartesaal in den Sinn, wahrscheinlich weil ich an jenem Nachmittag aus dem Tiergarten direkt in den Bahnhof hineingegangen beziehungsweise eine Zeitlang zunächst auf dem Platz vor dem Bahnhof gestanden bin und hinaufgeblickt habe an der Vorderfront dieses phantastischen Gebäudes, das ich am Morgen bei meiner Ankunft nur undeutlich wahrgenommen hatte. Jetzt aber sah ich, wie weit der unter dem Patronat des Königs Leopold II. errichtete Bau über das bloß Zweckmäßige hinausreichte, und verwunderte mich über den völlig mit Grünspan überzogenen Negerknaben, der mit seinem Dromedar als ein Denkmal der afrikanischen Tier- und Eingeborenenwelt hoch droben auf einem Erkerturm zur Linken der Bahnhofsfassade seit einem Jahrhundert allein gegen den flandrischen Himmel steht. Als ich die von einer sechzig Meter hohen Kuppel überwölbte Halle der Centraal Station betrat, war mein erster, vielleicht durch den Tiergartenbesuch und den Anblick des Dromedars in mir ausgelöster Gedanke, daß es hier, in diesem prunkvollen, damals allerdings stark heruntergekommenen Foyer, in die marmornen Nischen eingelassene Käfige für Löwen und Leoparden und Aquarien für Haifische, Kraken und Krokodile geben müßte, gerade so wie man umgekehrt in manchen zoologischen Gärten mit einer kleinen Eisenbahn durch die fernsten Erdteile fahren kann. Aufgrund von dergleichen, in Antwerpen sozusagen von selbst sich einstellenden Ideen ist es wohl gewesen, daß mir der heute meines Wissens als Personalkantine dienende Wartesaal wie ein zweites Nocturama vorgekommen ist, eine Überblendung, die natürlich auch daher rühren mochte, daß die Sonne sich hinter die Dächer der Stadt senkte, gerade als ich den Wartesaal betrat. Noch war der Gold- und Silberglanz auf den riesigen halbblinden Wandspiegeln gegenüber der Fensterfront nicht vollends erloschen, da erfüllte ein unterweltliches Dämmer den Saal, in dem weit auseinander, reglos und stumm, ein paar Reisende saßen. Ähnlich wie die Tiere in dem Nocturama, unter denen es auffällig viele Zwergrassen gegeben hatte, winzige Fennekfüchse, Springhasen und Hamster, schienen auch diese Reisenden mir irgendwie verkleinert, sei es wegen der außergewöhnlichen Höhe der Saaldecke, sei es wegen der dichter werdenden Düsternis, und ich nehme an, daß ich darum gestreift worden bin von dem an sich unsinnigen Gedanken, es handle sich bei ihnen um die letzten Angehörigen eines reduzierten, aus seiner Heimat ausgewiesenen oder untergegangenen Volks, um solche, die, weil nur sie von allen noch überlebten, die gleichen gramvollen Mienen trugen wie die Tiere im Zoo. — Eine der in der Salle des pas perdus wartenden Personen war Austerlitz, ein damals, im siebenundsechziger Jahr, beinahe jugendlich wirkender Mann mit blondem, seltsam gewelltem Haar, wie ich es sonst nur gesehen habe an dem deutschen Helden Siegfried in Langs Nibelungenfilm. Nicht anders als bei all unseren späteren Begegnungen trug Austerlitz damals in Antwerpen schwere Wanderstiefel, eine Art Arbeitshose aus verschossenem blauem Kattun, sowie ein maßgeschneidertes, aber längst aus der Mode gekommenes Anzugsjackett, und er unterschied sich auch, abgesehen von diesem Äußeren, von den übrigen Reisenden dadurch, daß er als einziger nicht teilnahmslos vor sich hin starrte, sondern beschäftigt war mit dem Anfertigen von Aufzeichnungen und Skizzen, die offenbar in einem Bezug standen zu dem prunkvollen, meines Erachtens eher für einen Staatsakt als zum Warten auf die nächste Zugverbindung nach Paris oder Ostende gedachten Saal, in welchem wir beide saßen, denn wenn er nicht gerade etwas niederschrieb, war sein Augenmerk oft lang auf die Fensterflucht, die kannelierten Pilaster oder andere Teile und Einzelheiten der Raumkonstruktion gerichtet. Einmal holte Austerlitz aus seinem Rucksack einen Photoapparat heraus, eine alte Ensign mit ausfahrbarem Balg, und machte mehrere Aufnahmen von den inzwischen ganz verdunkelten Spiegeln, die ich jedoch unter den vielen Hunderten mir von ihm bald nach unserer Wiederbegegnung im Winter 1996 überantworteten und größtenteils unsortierten Bildern bisher noch nicht habe auffinden können. Als ich schließlich an Austerlitz herangetreten bin mit einer auf sein offenkundiges Interesse an dem Wartesaal sich beziehenden Frage, ist er auf sie, in keiner Weise verwundert über meine Direktheit, sogleich ohne das geringste Zögern eingegangen, wie ich ja oft seither erfahren habe, daß Alleinreisende in der Regel dankbar sind, wenn sie, nach manchmal tagelang nicht unterbrochenem Schweigen, eine Ansprache finden. Verschiedentlich hat es sich bei solchen Gelegenheiten sogar gezeigt, daß sie dann bereit sind, sich einem fremden Menschen rückhaltlos zu öffnen. So allerdings ist es bei Austerlitz, der mir auch in der Folge kaum etwas von seiner Herkunft und seinem Lebensweg anvertraute, damals in der Salle des pas perdus nicht gewesen. Unsere Antwerpener Konversationen, wie er sie später bisweilen genannt hat, drehten sich, seinem erstaunlichen Fachwissen entsprechend, in erster Linie um baugeschichtliche Dinge, auch schon an jenem Abend, an dem wir miteinander bis gegen Mitternacht in der dem Wartesaal auf der anderen Seite der großen Kuppelhalle genau gegenübergelegenen Restauration gesessen sind. Die wenigen Gäste, die sich zu später Stunde dort aufhielten, verliefen sich nach und nach, bis wir in dem Buffetraum, der dem Wartesaal in seiner ganzen Anlage wie ein Spiegelbild glich, allein waren mit einem einsamen Fernet-Trinker und mit der Buffetdame, die mit übereinandergeschlagenen Beinen auf einem Barhocker hinter dem Ausschank thronte und sich mit vollkommener Hingebung und Konzentration die Fingernägel feilte. Von dieser Dame, deren wasserstoffblondes Haar zu einem vogelnestartigen Gebilde aufgetürmt war, behauptete Austerlitz beiläufig, sie sei die Göttin der vergangenen Zeit. Tatsächlich befand sich an der Wand hinter ihr, unter dem Löwenwappen des Belgischen Königreichs, als Hauptstück des Buffetsaals eine mächtige Uhr, an deren einst vergoldetem, jetzt aber von Eisenbahnruß und Tabaksqualm eingeschwärztem Zifferblatt der zirka sechs Fuß messende Zeiger in seiner Runde ging. Während der beim Reden eintretenden Pausen merkten wir beide, wie unendlich lang es dauerte, bis wieder eine Minute verstrichen war, und wie schrecklich uns jedesmal, trotzdem wir es doch erwarteten, das Vorrücken dieses, einem Richtschwert gleichenden Zeigers schien, wenn er das nächste Sechzigstel einer Stunde von der Zukunft abtrennte mit einem derart bedrohlichen Nachzittern, daß einem beinahe das Herz aussetzte dabei. — Gegen Ausgang des 19. Jahrhunderts, so hatte Austerlitz auf meine Fragen nach der Entstehungsgeschichte des Antwerpener Bahnhofs begonnen, als Belgien, dieses auf der Weltkarte kaum zu erkennende graugelbe Fleckchen, mit seinen kolonialen Unternehmungen sich auf dem afrikanischen Kontinent ausbreitete, als an den Kapitalmärkten und Rohstoffbörsen von Brüssel die schwindelerregendsten Geschäfte gemacht wurden und die belgischen Bürger, von grenzenlosem Optimismus beflügelt, glaubten, ihr so lange unter der Fremdherrschaft erniedrigtes, zerteiltes und in sich uneiniges Land stehe nun im Begriff, als eine neue Wirtschaftsgroßmacht sich zu erheben, in jener jetzt weit schon zurückliegenden und doch unser Leben bis heute bestimmenden Zeit, war es der persönliche Wunsch des Königs Leopold, unter dessen Patronat sich der anscheinend unaufhaltsame Fortschritt vollzog, die nun auf einmal im Überfluß zur Verfügung stehenden Gelder an die Errichtung öffentlicher Bauwerke zu wenden, die seinem aufstrebenden Staat ein weltweites Renommee verschaffen sollten. Eines der solchermaßen von höchster Instanz in die Wege geleiteten Projekte war der von Louis Delacenserie entworfene, im Sommer 1905 nach zehnjähriger Planungs und Bauzeit in Anwesenheit des Monarchen in Betrieb genommene Zentralbahnhof der flämischen Metropole, in dem wir jetzt sitzen, sagte Austerlitz. Das Vorbild, das Leopold seinem Architekten empfahl, war der neue Bahnhof von Luzern, an dem ihn besonders das über die sonst übliche Niedrigkeit der Eisenbahnbauten dramatisch hinausgehende Kuppelkonzept bestach*1, ein Konzept, das von Delacenserie in seiner vom römischen Pantheon inspirierten Konstruktion

auf eine derart eindrucksvolle Weise verwirklicht wurde, daß selbst wir Heutigen, sagte Austerlitz, ganz so, wie es in der Absicht des Erbauers lag, beim Betreten der Eingangshalle von dem Gefühl erfaßt werden, als befänden wir uns, jenseits aller Profanität, in einer dem Welthandel und Weltverkehr geweihten Kathedrale. Die Hauptelemente seines monumentalen Bauwerks habe Delacenserie den Palästen der italienischen Renaissance entlehnt, sagte Austerlitz, doch gäbe es auch byzantinische und maurische Anklänge, und vielleicht hätte ich selber bei meiner Ankunft die aus weißen und grauen Granitsteinen gemauerten Rundtürmchen gesehen, deren einziger Zweck es sei, in den Reisenden mittelalterliche Assoziationen zu erwecken. Der an sich lachhafte Eklektizismus Delacenseries, der in der Centraal Station, in ihrem marmornen Treppenfoyer und der Stahl und Glasüberdachung der Perrons Vergangenheit und Zukunft miteinander verbinde, sei in Wahrheit das konsequente Stilmittel der neuen Epoche, sagte Austerlitz, und dazu, fuhr er fort, passe es auch, daß uns an den erhobenen Plätzen, von denen im römischen Pantheon die Götter auf den Besucher herabblicken, im Bahnhof von Antwerpen in hierarchischer Anordnung die Gottheiten des 19. Jahrhunderts vorgeführt werden — der Bergbau, die Industrie, der Verkehr, der Handel und das Kapital. Ringsum in der Eingangshalle seien, wie ich gesehen haben müsse, auf halber Höhe steinerne Schildwerke mit Symbolen wie Korngarben, gekreuzten Hämmern, geflügelten Rädern und ähnlichem angebracht, wobei das heraldische Motiv des Bienenkorbs übrigens nicht, wie man zunächst meinen möchte, die dem Menschen dienstbar gemachte Natur versinnbildlicht, auch nicht etwa den Fleiß als eine gemeinschaftliche Tugend, sondern das Prinzip der Kapitalakkumulation. Und unter all diesen Symbolbildern, sagte Austerlitz, stehe an höchster Stelle die durch Zeiger und Zifferblatt vertretene Zeit. An die zwanzig Meter oberhalb der kreuzförmigen, das Foyer mit den Bahnsteigen verbindenden Treppe, dem einzigen barocken Element in dem gesamten Ensemble, befinde sich genau dort, wo im Pantheon in direkter Verlängerung des Portals das Bildnis des Kaisers zu sehen war, die Uhr; als Statthalterin der neuen Omnipotenz rangiere sie noch über dem Wappen des Königs und dem Wahlspruch Eendracht maakt macht. Von dem Zentralpunkt, den das Uhrwerk im Antwerpener Bahnhof einnehme, ließen sich die Bewegungen sämtlicher Reisender überwachen, und umgekehrt müßten die Reisenden alle zu der Uhr aufblicken und seien gezwungen, ihre Handlungsweise auszurichten nach ihr. Tatsächlich, sagte Austerlitz, gingen ja bis zur Synchronisierung der Eisenbahnfahrpläne die Uhren in Lille oder Lüttich anders als die in Gent oder Antwerpen, und erst seit der um die Mitte des 19. Jahrhunderts erfolgten Gleichschaltung beherrsche die Zeit unbestrittenermaßen die Welt. Nur indem wir uns an den von ihr vorgeschriebenen Ablauf hielten, vermochten wir die riesigen Räume zu durcheilen, die uns voneinander trennten. Freilich, sagte Austerlitz nach einer Weile, hat das Verhältnis von Raum und Zeit, so wie man es beim Reisen erfährt, bis auf den heutigen Tag etwas Illusionistisches und Illusionäres, weshalb wir auch, jedesmal wenn wir von auswärts zurückkehren, nie mit Sicherheit wissen, ob wir wirklich fortgewesen sind. — Es war für mich von Anfang an erstaunlich, wie Austerlitz seine Gedanken beim Reden verfertigte, wie er sozusagen aus der Zerstreutheit heraus die ausgewogensten Sätze entwickeln konnte, und wie für ihn die erzählerische Vermittlung seiner Sachkenntnisse die schrittweise Annäherung an eine Art Metaphysik der Geschichte gewesen ist, in der das Erinnerte noch einmal lebendig wurde. So ist mir unvergeßlich geblieben, daß er seine Erläuterungen des bei der Fabrikation der hohen Wartesaalspiegel angewendeten Verfahrens beschloß, indem er, im Gehen noch einmal an den mattschimmernden Flächen emporblickend, sich selber die Frage stellte, combien des ouvriers périrent, lors de la manufacture de tels miroirs, de malignes et funestes affectations à la suite de l’inhalation des vapeurs de mercure et de cyanide. Und so wie er an jenem ersten Abend geendet hatte, so fuhr Austerlitz am nächsten Tag, für den wir uns auf der Wandelterrasse an der Schelde verabredet hatten, in seinen Betrachtungen fort. Er deutete auf das breite, in der Morgensonne blinkende Wasser hinaus und sprach davon, daß auf einem gegen Ende des 16. Jahrhunderts, während der sogenannten kleinen Eiszeit, von Lucas von Valckenborch gemalten Bild die zugefrorene Schelde vom jenseitigen Ufer aus zu sehen sei und hinter ihr, sehr dunkel, die Stadt Antwerpen und ein Streifen des flachen, gegen die Meeresküste hinausgehenden Lands. Aus dem dusteren Himmel über dem Turm der Kathedrale Zu Unserer Lieben Frau geht gerade ein Schneeschauer nieder, und dort draußen auf dem Strom, auf den wir jetzt vierhundert Jahre später hinausblicken, sagte Austerlitz, vergnügen sich die Antwerpener auf dem Eis, gemeines Volk in erdfarbenen Kitteln und vornehmere Personen mit schwarzen Umhängen und weißen Spitzenkrausen um den Hals. Im Vordergrund, gegen den rechten Bildrand zu, ist eine Dame zu Fall gekommen. Sie trägt ein kanariengelbes Kleid; der Kavalier, der sich besorgt über sie beugt, eine rote, in dem fahlen Licht sehr auffällige Hose. Wenn ich nun dort hinausschaue und an dieses Gemälde und seine winzigen Figuren denke, dann kommt es mir vor, als sei der von Lucas van Valckenborch dargestellte Augenblick niemals vergangen, als sei die kanariengelbe Dame gerade jetzt erst gestürzt oder in Ohnmacht gesunken, die schwarze Samthaube eben erst seitwärts von ihrem Kopf weggerollt, als geschähe das kleine, von den meisten Betrachtern gewiß übersehene Unglück immer wieder von neuem, als höre es nie mehr auf und als sei es durch nichts und von niemandem mehr gutzumachen. Austerlitz sprach an diesem Tag, nachdem wir unseren Aussichtsposten auf der Wandelterrasse verlassen hatten, um durch die Innenstadt zu spazieren, lange noch von den Schmerzensspuren, die sich, wie er zu wissen behauptete, in unzähligen feinen Linien durch die Geschichte ziehen. Bei seinen Studien über die Architektur der Bahnhöfe, sagte er, als wir am späteren Nachmittag müde vom vielen Herumgehen vor einem Bistro auf dem Handschuhmarkt saßen, bringe er nie den Gedanken an die Qual des Abschiednehmens und die Angst vor der Fremde aus dem Kopf, obwohl dergleichen ja nicht zur Baugeschichte gehöre. Freilich verrieten gerade unsere gewaltigsten Pläne nicht selten am deutlichsten den Grad unserer Verunsicherung. So ließe sich etwa am Festungsbau, für den Antwerpen eines der hervorragendsten Beispiele liefere, gut zeigen, wie wir, um gegen jeden Einbruch der Feindesmächte Vorkehrungen zu treffen, gezwungen seien, in sukzessiven Phasen uns stets weiter mit Schutzwerken zu umgeben, so lange, bis die Idee der nach außen sich verschiebenden konzentrischen Ringe an ihre natürlichen Grenzen stoße. Studiere man die Entwicklung des Festungsbaus von Floriani, da Capri und San Micheli über Rusenstein, Burgsdorff, Coehoorn und Klengel bis zu Montalembert und Vauban, so sei es erstaunlich, sagte Austerlitz, mit welcher Beharrlichkeit Generationen von Kriegsbaumeistern, trotz ihrer zweifellos überragenden Begabung, an dem, wie man heute leicht sehen könne, von Grund auf verkehrten Gedanken festgehalten hätten, daß man durch die Ausarbeitung eines idealen Tracé mit stumpfen Bollwerken und weit vorspringenden Ravelins, die eine Bestreichung des gesamten vor den Mauern gelegenen Aufmarschgebiets durch die Kanonen der Festung erlaubte, eine Stadt so sichern könne, wie überhaupt auf der Welt etwas zu sichern sei. Niemand, sagte Austerlitz, habe heute auch nur einen annähernden Begriff von der Uferlosigkeit der Literatur zum Festungsbau, von der Phantastik der in ihr niedergelegten geometrischen, trigonometrischen und logistischen Kalkulation, von den hypertrophischen Auswüchsen der Fachsprache der Fortifikations- und Belagerungskunst oder verstünde die einfachsten Bezeichnungen wie escarpe und courtine, faussebraie, reduit oder glacis, doch sei selbst von unserem jetzigen Standpunkt aus zu erkennen, daß sich gegen Ende des 17. Jahrhunderts aus den verschiedenen Systemen schließlich das sternartige Zwölfeck

mit Vorgraben als der bevorzugte Grundriß herauskristallisierte, ein sozusagen aus dem Goldenen Schnitt abgeleitetes idealtypisches Muster, das tatsächlich, wie man bei der Betrachtung der intrikaten Planskizzen von Festungsanlagen wie denen von Coevorden, Neuf-Brisach oder Saarlouis gut nachvollziehen könne, sogar dem Verstand eines Laien ohne weiteres einleuchte als ein Emblem der absoluten Gewalt sowohl als des Ingeniums der in ihrem Dienst stehenden Ingenieure. In der Praxis der Kriegsführung allerdings hätten auch die Sternfestungen, die im Lauf des 18. Jahrhunderts überall gebaut und vervollkommnet wurden, ihren Zweck nicht erfüllt, denn fixiert, wie man auf dieses Schema war, habe man außer acht gelassen, daß die größten Festungen naturgemäß auch die größte Feindesmacht anziehen, daß man sich, in eben dem Maß, in dem man sich verschanzt, tiefer und tiefer in die Defensive begibt und daher letztendlich gezwungen sein konnte, hilflos von einem mit allen Mitteln befestigten Platz aus mit ansehen zu müssen, wie die gegnerischen Truppen, indem sie anderwärts ein von ihnen gewähltes Terrain auftaten, die zu regelrechten Waffenarsenalen gemachten, vor Kanonenrohren starrenden und mit Mannschaften überbesetzten Festungen einfach seitab liegenließen. Wiederholt sei es darum vorgekommen, daß man sich gerade durch das Ergreifen von Befestigungsmaßnahmen, die ja, sagte Austerlitz, grundsätzlich geprägt seien von einer Tendenz zu paranoider Elaboration, die entscheidende, dem Feind Tür und Tor öffnende Blöße gegeben habe, ganz zu schweigen von der Tatsache, daß mit den immer komplizierter werdenden Bauplänen auch die Zeit ihrer Realisierung und somit die Wahrscheinlichkeit zunahm, daß die Festungen bereits bei ihrer Fertigstellung, wenn nicht schon zuvor, überholt waren durch die inzwischen erfolgte Weiterentwicklung der Artillerie und der strategischen Konzepte, die der wachsenden Einsicht Rechnung trugen, daß alles sich in der Bewegung entschied und nicht im Stillstand. Und wenn wirklich einmal die Widerstandskraft einer Festung auf die Probe gestellt wurde, so ging die Sache in der Regel, nach einer ungeheuren Verschwendung von Kriegsmaterial, mehr oder weniger ergebnislos aus. Nirgends habe sich das deutlicher gezeigt, sagte Austerlitz, als hier in Antwerpen, wo im Jahr 1832, im Zuge der auch nach der Etablierung des neuen Königreichs sich fortsetzenden Händel um Teile des belgischen Territoriums, die von Pacciolo erbaute, durch den Herzog von Wellington mit einem Ring von Vorwerken weiter gesicherte und zum damaligen Zeitpunkt von den Holländern besetzt gehaltene Zitadelle drei Wochen lang von einem fünfzigtausendköpfigen französischen Heer belagert wurde, ehe es Mitte Dezember gelang, von dem bereits eingenommenen Fort Montebello aus das halb zertrümmerte Außenwerk an der Lunette St. Laurent im Sturm zu nehmen und mit Breschebatterien unmittelbar unter die Mauern vorzurücken. Die Belagerung von Antwerpen stand, durch ihren Aufwand sowohl als durch ihre Vehemenz, auf einige Jahre zumindest einzig da in der Geschichte des Kriegs, sagte Austerlitz; sie habe ihren denkwürdigen Höhepunkt erreicht, als mit den von dem Obristen Pairhans erfundenen Riesenmörsern an die siebzigtausend tausendpfündige Bomben auf die Zitadelle geschleudert wurden, die alles, bis auf ein paar Kasematten, restlos zerstörten. Der holländische General, Baron de Chassé, der greise Feldherr des von der Festung übriggebliebenen Steinhaufens, hatte schon die Mine legen lassen, um sich mit dem Denkmal seiner Treue und seines Heldenmuts in die Luft zu sprengen, als ihm durch eine Nachricht seines Königs gerade rechtzeitig noch die Erlaubnis zur Kapitulation übermittelt wurde. Obzwar an der Einnahme von Antwerpen der ganze Wahnsinn —, so sagte Austerlitz, des Befestigungs- und Belagerungswesens offenkundig wurde, zog man aus ihr unbegreiflicherweise nur die einzige Lehre, daß man nämlich die Ringanlagen um die Stadt um vieles mächtiger wieder aufbauen und weiter noch nach draußen verschieben mußte. Dementsprechend wurde 1859 die alte Zitadelle sowie die Mehrzahl der Außenforts geschliffen und die Konstruktion einer neuen, zehn Meilen langen enceinte und von acht, mehr als eine halbe Wegstunde vor dieser enceinte gelegenen Forts in Angriff genommen, ein Vorhaben, das sich jedoch, nach Ablauf von nicht einmal zwanzig Jahren, in Anbetracht der inzwischen größer gewordenen Reichweite der Geschütze und der zunehmenden Zerstörungskraft der Sprengstoffe als unzulänglich erwies, so daß man nunmehr, immer derselben Logik gehorchend, sechs bis neun Meilen vor der enceinte einen neuen Gürtel von fünfzehn schwer befestigten Außenwerken anzulegen begann. Hieraus wiederum ergab sich während der gut dreißigjährigen Bauzeit, wie es anders gar nicht sein konnte, sagte Austerlitz, die Frage, ob nicht das durch die rapide industrielle und kommerzielle Entwicklung eingeleitete Wachstum Antwerpens über das alte Stadtgebiet hinaus es erfordere, die Linie der Forts um drei Meilen weiter noch hinauszulegen, wodurch sie freilich mehr als dreißig Meilen lang geworden und bis in das Weichbild von Mechelen geraten wäre, mit der Folge, daß die gesamte belgische Armee nicht ausgereicht hätte, um eine adäquate Besatzung für diese Anlage zu stellen. Also, sagte Austerlitz, arbeitete man einfach weiter an der Komplettierung des schon im Bau befindlichen und, wie man wußte, den tatsächlichen Erfordernissen längst nicht mehr genügenden Systems. Das letzte Glied in der Kette war das Fort Breendonk, sagte Austerlitz, dessen Bau beendigt wurde knapp vor dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs, in welchem es sich innerhalb weniger Monate zur Verteidigung der Stadt und des Landes als vollkommen nutzlos erwies. Am Beispiel derartiger Befestigungsanlagen, so ungefähr führte Austerlitz, indem er vom Tisch aufstand und den Rucksack über die Schulter hängte, seine damals auf dem Handschuhmarkt in Antwerpen gemachten Bemerkungen zu Ende, könne man gut sehen, wie wir, im Gegensatz etwa zu den Vögeln, die Jahrtausende hindurch immer dasselbe Nest bauten, dazu neigten, unsere Unternehmungen voranzutreiben weit über jede Vernunftgrenze hinaus. Man müßte einmal, sagte er noch, einen Katalog unserer Bauwerke erstellen, in dem sie ihrer Größe nach verzeichnet wären, dann würde man sogleich begreifen, daß die unter dem Normalmaß der domestischen Architektur rangierenden Bauten es sind — die Feldhütte, die Eremitage, das Häuschen des Schleusenwärters, der Aussichtspavillon, die Kindervilla im Garten —, die wenigstens einen Abglanz des Friedens uns versprechen, wohingegen von einem Riesengebäude wie beispielsweise dem Brüsseler Justizpalast auf dem ehemaligen Galgenberg niemand, der bei rechten Sinnen sei, behaupten könne, daß er ihm gefalle. Man staune ihn bestenfalls an, und dieses Staunen sei bereits eine Vorform des Entsetzens, denn irgendwo wüßten wir natürlich, daß die ins Überdimensionale hinausgewachsenen Bauwerke schon den Schatten ihrer Zerstörung vorauswerfen und konzipiert sind von Anfang an im Hinblick auf ihr nachmaliges Dasein als Ruinen. — Diese von Austerlitz halb im Fortgehen gesprochenen Sätze waren mir noch im Sinn, als ich am nächsten Morgen, in der Hoffnung, er möchte vielleicht wieder auftauchen, bei einem Kaffee in demselben Bistro am Handschuhmarkt saß, wo er am Vorabend so ohne weiteres sich verabschiedet hatte. Und wie ich beim Zuwarten in den Zeitungen herumblätterte, da stieß ich, ich weiß nicht mehr, war es in der Gazet van Antwerpen oder in La Libre Belgique, auf eine Notiz über die Festung Breendonk, aus welcher hervorging, daß die Deutschen dort im Jahr 1940, gleich nachdem man das Fort zum zweitenmal in seiner Geschichte an sie hatte übergeben müssen, ein Auffang- und Straflager einrichteten, das bis zum August 1944 bestand und das seit 1947, soweit als möglich unverändert, als nationale Gedenkstätte und als Museum des belgischen Widerstands dient. Wäre nicht tags zuvor im Gespräch mit Austerlitz der Name Breendonk gefallen, so würde mich dieser Hinweis, vorausgesetzt, ich hätte ihn überhaupt bemerkt, kaum veranlaßt haben, die Festung an demselben Tag noch zu besuchen. — Der Personenzug, mit dem ich fuhr, brauchte eine gute halbe Stunde für die kurze Strecke nach Mechelen, wo vom Bahnhofsplatz ein Bus hinausgeht in die Ortschaft Willebroek, an deren Rand, umgeben von einem Erdwall, einem Stacheldrahtzaun und einem breiten Wassergraben, das an die zehn Hektar umfassende Festungsareal inmitten der Felder liegt, fast wie eine Insel im Meer. Es war für die Jahreszeit ungewöhnlich heiß, und große Quellwolken kamen über den südwestlichen Horizont herauf, als ich mit dem Eintrittsbillett in der Hand die Brücke überquerte. In meinem Kopf hatte ich von dem gestrigen Gespräch noch das Bild einer sternförmigen Bastion mit hoch über einem exakten geometrischen Grundriß aufragenden Mauern, aber was ich jetzt vor mir hatte, das war eine niedrige, an den Außenflanken überall abgerundete, auf eine grauenvolle Weise bucklig und verbacken wirkende Masse Beton, der breite Rücken, so dachte ich mir, eines Ungetüms, das sich hier, wie ein Walfisch aus den Wellen, herausgehoben hatte aus dem flandrischen Boden. Ich scheute mich, durch das schwarze Tor in die Festung selber zu treten und bin statt dessen zunächst außen um sie herumgegangen durch das unnatürlich tiefgrüne, fast blaufarbene Gras, das auf der Insel wuchs. Von welchem Gesichtspunkt ich dabei die Anlage auch ins Auge zu fassen versuchte, sie ließ keinen Bauplan erkennen, verschob andauernd ihre Ausbuchtungen und Kehlen und wuchs so weit über meine Begriffe hinaus, daß ich sie zuletzt mit keiner mir bekannten Ausformung der menschlichen Zivilisation, nicht einmal mit den stummen Relikten unserer Vor- und Frühgeschichte in irgendeinen Zusammenhang bringen konnte.

Und je länger ich meinen Blick auf sie gerichtet hielt und je öfter sie mich, wie ich spürte, zwang, ihn vor ihr zu senken, desto unbegreiflicher wurde sie mir. Stellenweise von offenen Schwären überzogen, aus denen der rohe Schotter hervorbrach, und verkrustet von guanoartigen Tropfspuren und kalkigen Schlieren,

war die Festung eine einzige monolithische Ausgeburt der Häßlichkeit und der blinden Gewalt. Auch als ich später den symmetrischen Grundriß des Forts studierte, mit den Auswüchsen seiner Glieder und

Scheren, mit den an der Stirnseite des Haupttrakts gleich Augen hervortretenden halbrunden Bollwerken und dem Stummelfortsatz am Hinterleib, da konnte ich in ihm, trotz seiner nun offenbaren rationalen Struktur, allenfalls das Schema irgendeines krebsartigen Wesens, nicht aber dasjenige eines vom menschlichen Verstand entworfenen Bauwerks erkennen. Der Weg um die Festung herum führte an den schwarzgeteerten Pfählen der Hinrichtungsstätte vorbei und an dem Arbeitsgelände, auf dem die Häftlinge die Aufschüttungen um das Mauerwerk abtragen mußten, mehr als eine Viertelmillion Tonnen Geröll und Erde, zu deren Bewegung sie nichts zur Verfügung hatten als Schaufeln und Schubkarren. Diese Karren, von denen noch einer in dem Vorraum der Festung zu sehen ist, waren von einer gewiß auch in der damaligen Zeit furchterregenden Primitivität. Sie bestanden aus einer Art Tragbahre mit zwei groben Handgriffen am einen Ende und einem eisenbeschlagenen Holzrad am anderen. Auf die Quersparren der Bahre aufgesetzt ist eine aus ungehobelten Brettern gezimmerte Kiste mit schrägen Seitenteilen — die ganze ungeschlachte Konstruktion dieselbe wie die der sogenannten Scheibdrucken, mit denen bei uns die Bauern den Mist aus dem Stall führten, nur daß die Karren in Breendonk doppelt so groß waren und unbeladen schon heranreichen mußten an ein Zentnergewicht. Es war mir undenkbar, wie die Häftlinge, die wohl in den seltensten Fällen nur vor ihrer Verhaftung und Internierung je eine körperliche Arbeit geleistet hatten, diesen Karren, angefüllt mit dem schweren Abraum, über den von der Sonne verbrannten, von steinharten Furchen durchzogenen Lehmboden schieben konnten oder durch den nach einem Regentag bereits sich bildenden Morast, undenkbar, wie sie gegen die Last sich stemmten, bis ihnen beinah das Herz zersprang, oder wie ihnen, wenn sie nicht vorankamen, der Schaufelstiel über den Kopf geschlagen wurde von einem der Aufseher. Was ich aber im Gegensatz zu dieser in Breendonk ebenso wie in all den anderen Haupt- und Nebenlagern Tag für Tag und jahrelang fortgesetzten Schinderei durchaus mir vorstellen konnte, als ich schließlich die Festung selber betrat und gleich rechterhand durch die Glasscheibe einer Tür hineinschaute in das sogenannte Kasino der SS-Leute, auf die Tische und Bänke, den dicken Bullerofen und die in gotischen Buchstaben sauber gemalten Sinnsprüche an der Wand, das waren die Familienväter und die guten Söhne aus Vilsbiburg und aus Fuhlsbüttel, aus dem Schwarzwald und aus dem Münsterland, wie sie hier nach getanem Dienst beim Kartenspiel beieinander saßen oder Briefe schrieben an ihre Lieben daheim, denn unter ihnen hatte ich ja gelebt bis in mein zwanzigstes Jahr. Die Erinnerung an die vierzehn Stationen, die der Besucher in Breendonk zwischen Portal und Ausgang passiert, hat sich in mir verdunkelt im Laufe der Zeit, oder vielmehr verdunkelte sie sich, wenn man so sagen kann, schon an dem Tag, an welchem ich in der Festung war, sei es, weil ich nicht wirklich sehen wollte, was man dort sah, sei es, weil

in dieser nur vom schwachen Schein weniger Lampen erhellten und für immer vom Licht der Natur getrennten Welt die Konturen der Dinge zu zerfließen schienen. Selbst jetzt, wo ich mich mühe, mich zu erinnern, wo ich den Krebsplan von Breendonk mir wieder vorgenommen habe und in der Legende die Wörter ehemaliges Büro, Druckerei, Baracken, Saal Jacques Ochs, Einzelhaftzelle, Leichenhalle, Reliquienkammer und Museum lese, löst sich das Dunkel nicht auf, sondern verdichtet sich bei dem Gedanken, wie wenig wir festhalten können, was alles und wieviel ständig in Vergessenheit gerät, mit jedem ausgelöschten Leben, wie die Welt sich sozusagen von selber ausleert, indem die Geschichten, die an den ungezählten Orten und Gegenständen haften, welche selbst keine Fähigkeit zur Erinnerung haben, von niemandem je gehört, aufgezeichnet oder weitererzählt werden, Geschichten zum Beispiel, das kommt mir jetzt beim Schreiben zum erstenmal seit jener Zeit wieder in den Sinn, wie die von den Strohsäcken, die schattenhaft auf den übereinandergestockten Holzpritschen lagen und die, weil die Spreu in ihnen über die Jahre zerfiel, schmäler und kürzer geworden waren, zusammengeschrumpft, als seien sie die sterblichen Hüllen derjenigen, so erinnere ich mich jetzt, dachte ich damals, die hier einst gelegen hatten in dieser Finsternis. Und ich erinnere mich nun auch wieder, wie ich mich, beim weiteren Hineingehen in den Tunnel, der gewissermaßen das Rückgrat der Festung bildet, wehren mußte gegen das in mir sich festsetzende und bis heute oft an unguten Plätzen mich überkommende Gefühl, daß mit jedem Schritt, den ich mache, die Atemluft weniger und das Gewicht über mir größer wird. Damals jedenfalls, in jener lautlosen Mittagsstunde im Frühsommer 1967, die ich, ohne einem anderen Besucher zu begegnen, im Inneren der Festung Breendonk verbrachte, wagte ich kaum weiterzugehen an dem Punkt, wo am Ende eines zweiten langen Tunnels ein nicht viel mehr als mannshoher und, wie ich mich zu erinnern glaube, abschüssiger Gang hinabführt in eine der

Kasematten. Diese Kasematte, in der man sogleich spürt, daß man in ihr überwölbt ist von einer mehrere Meter starken Schicht Beton, ist ein enger, an der einen Seite spitz zulaufender, an der anderen abgerundeter Raum, dessen Boden um gut einen Fuß tiefer liegt als der Gang, durch den man ihn betritt, und darum weniger einem Verlies gleicht als einer Grube. Indem ich in diese Grube hinabstarrte, auf ihren, wie es mir schien, immer weiter versinkenden Grund, auf den glattgrauen Steinboden, das Abflußgitter in seiner Mitte und den Blechkübel, der daneben stand, hob sich aus der Untiefe das Bild unseres Waschhauses in W. empor und zugleich, hervorgerufen von dem eisernen Haken, der an einem Strick von der Decke hing, das der Metzgerei, an der ich immer vorbeimußte auf dem Weg in die Schule und wo man am Mittag oft den Benedikt sah in einem Gummischurz, wie er die Kacheln abspritzte mit einem dicken Schlauch. Genau kann niemand erklären, was in uns geschieht, wenn die Türe aufgerissen wird, hinter der die Schrecken der Kindheit verborgen sind. Aber ich weiß noch, daß mir damals in der Kasematte von Breendonk ein ekelhafter Schmierseifengeruch in die Nase stieg, daß dieser Geruch sich, an einer irren Stelle in meinem Kopf, mit dem mir immer zuwider gewesenen und vom Vater mit Vorliebe gebrauchten Wort »Wurzelbürste« verband, daß ein schwarzes Gestrichel mir vor den Augen zu zittern begann und ich gezwungen war, mit der Stirn mich anzulehnen an die von bläulichen Flecken unterlaufene, griesige und, wie mir vorkam, von kalten Schweißperlen überzogene Wand. Es war nicht so, daß mit der Übelkeit eine Ahnung in mir aufstieg von der Art der sogenannten verschärften Verhöre, die um die Zeit meiner Geburt an diesem Ort durchgeführt wurden, denn erst ein paar Jahre später las ich bei Jean Améry von der furchtbaren Körpernähe zwischen den Peinigern und den Gepeinigten, von der von ihm in Breendonk ausgestandenen Folter, in welcher man ihn, an seinen auf den Rücken gefesselten Händen, in die Höhe gezogen hatte, so daß ihm mit einem, wie er sagt, bis zu dieser Stunde des Aufschreibens nicht vergessenen Krachen und Splittern die Kugeln aus den Pfannen der Schultergelenke sprangen und er mit ausgerenkten, von hinten in die Höhe gerissenen und über den Kopf verdreht geschlossenen Armen in der Leere hing: la pendaison par les mains liées dans le dos jusqu’à évanouissement — so heißt es in dem Buch Le Jardin des Plantes, in dem Claude Simon von neuem in das Magazin seiner Erinnerungen hinabsteigt und wo er, auf der zweihundertfünfunddreißigsten Seite, die fragmentarische Lebensgeschichte zu erzählen beginnt eines gewissen Gastone Novelli, der wie Améry dieser besonderen Form der Tortur unterzogen wurde. Dem Bericht voran steht eine Eintragung vom 26. Oktober 1943 aus dem Tagebuch des Generals Rommel, dahingehend, daß man, aufgrund der völligen Machtlosigkeit der Polizei in Italien, jetzt selber dort das Heft in die Hand nehmen müsse. Im Zuge der daraufhin von den Deutschen eingeleiteten Maßnahmen wurde Novelli, so Simon, festgenommen und nach Dachau verbracht. Auf das, was ihm dort widerfuhr, sei Novelli ihm gegenüber, so Simon weiter, nie zu sprechen gekommen, außer dem einzigen Mal, da er ihm sagte, daß er nach seiner Befreiung aus dem Lager den Anblick eines Deutschen, ja den eines jeden sogenannten zivilisierten Wesens, gleich ob männlichen oder weiblichen Geschlechts, so wenig zu ertragen vermochte, daß er, kaum halbwegs wieder hergestellt, mit dem erstbesten Schiff nach Südamerika gegangen sei, um sich dort als Diamanten- und Goldsucher durchzubringen. Eine Zeitlang lebte Novelli in der grünen Wildnis bei einem Stamm kleiner, kupfrig glänzender Leute, die eines Tages, ohne daß auch nur ein Blatt sich gerührt hätte, neben ihm aufgetaucht waren wie aus dem Nichts. Er nahm ihre Gewohnheiten an und stellte, so gut es ging, ein Lexikon ihrer fast nur aus Vokalen und vor allem aus dem in unendlichen Variationen betonten und akzentuierten Laut A bestehenden Sprache zusammen, von der, wie Simon schreibt, an dem Institut für Sprachwissenschaft in São Paulo nicht ein einziges Wort verzeichnet ist. Später, in sein Heimatland zurückgekehrt, begann Novelli mit dem Malen von Bildern. Das Hauptmotiv, dessen er sich dabei in immer neuen Ausprägungen und Zusammensetzungen bediente — filiform, gras, soudain plus épais ou plus grand, puis de nouveau mince, boiteux —, war das des Buchstabens A, den er in die von ihm aufgetragene Farbfläche hineinkratzte, einmal mit dem Bleistift, dann mit dem Pinselstiel oder einem noch gröberen Instrument, in eng in- und übereinander gedrängten Reihen, immer gleich und doch sich nie wiederholend, aufsteigend und abfallend in Wellen wie ein lang anhaltender Schrei.

Wenn auch Austerlitz an jenem Junimorgen des Jahres 1967, an dem ich schließlich nach Breendonk hinausgefahren bin, auf dem Antwerpener Handschuhmarkt nicht mehr sich eingefunden hat, so überkreuzten sich unsere Wege doch auf eine mir bis heute unbegreifliche Weise fast auf einer jeden meiner damaligen, ganz und gar planlosen belgischen Exkursionen. Bereits wenige Tage nachdem wir uns in der Salle des pas perdus des Zentralbahnhofs kennengelernt hatten, bin ich ihm zum zweitenmal begegnet in einem Industriequartier am Südwestrand der Stadt Lüttich, das ich, zu Fuß von St. Georges-sur-Meuse und Flémalle herkommend, gegen Abend erreichte. Die Sonne durchbrach noch einmal die tintenblaue Wolkenwand eines heraufziehenden Gewitters, und die Fabrikhallen und -höfe, die langen Reihen der Arbeiterhäuser, die Ziegelmauern, die Schieferdächer und Fensterscheiben leuchteten wie von der Glut eines inwendigen Feuers. Als der Regen in die Straßen zu rauschen begann, flüchtete ich mich in eine winzige Schankstube, die, glaube ich, Café des Espérances hieß und wo ich, zu meiner nicht geringen Verwunderung, Austerlitz an einem der Resopaltischchen über seine Notizen gebeugt fand. Wie von da an immer fuhren wir bei dieser ersten Wiederbegegnung in unserem Gespräch fort, ohne auch nur ein Wort zu verlieren über die Unwahrscheinlichkeit unseres erneuten Zusammentreffens an einem solchen, von keinem vernünftigen Menschen sonst aufgesuchten Ort. Von dem Platz, an dem wir damals in dem Café des Espérances bis weit in den Abend hinein gesessen sind, sah man durch ein rückwärtiges Fenster hinunter in ein vor Zeiten vielleicht von Flußauen durchzogenes Tal, in dem der Widerschein der Hochöfen einer gigantischen Eisengießerei gegen den dunklen Himmel hinauflohte, und deutlich entsinne ich mich noch, wie Austerlitz mir, indem wir beide so gut wie unverwandt auf dieses Schauspiel starrten, in einem mehr als zweistündigen Diskurs auseinandersetzte, wie im Verlauf des 19. Jahrhunderts die in den Köpfen philanthropischer Unternehmer entstandene Vision einer idealen Arbeiterstadt unversehens übergegangen war in die Praxis der Kasernierung, wie ja immer, so, erinnere ich mich, sagte Austerlitz, unsere besten Pläne im Zuge ihrer Verwirklichung sich verkehrten in ihr genaues Gegenteil. Es war mehrere Monate nach diesem Zusammentreffen in Lüttich, daß ich Austerlitz auf dem ehemaligen Brüsseler Galgenberg wiederum rein zufälligerweise in die Hände gelaufen bin, und zwar auf den Stufen des Justizpalasts, der, wie er mir sogleich sagte, die größte Anhäufung von Steinquadern in ganz Europa darstellte.

Der Bau dieser singulären architektonischen Monstrosität, über die Austerlitz zu jener Zeit eine Studie zu verfassen gedachte, ist, wie er mir erzählte, in den achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts auf das Drängen der Brüsseler Bourgeoisie überstürzt in Angriff genommen worden, ehe noch die grandiosen, von einem gewissen Joseph Poelaert vorgelegten Pläne im einzelnen ausgearbeitet waren, was zur Folge hatte, daß es, so sagte Austerlitz, in diesem mehr als siebenhunderttausend Kubikmeter umfassenden Gebäude Korridore und Treppen gäbe, die nirgendwo hinführten, und türlose Räume und Hallen, die von niemandem je zu betreten seien und deren ummauerte Leere das innerste Geheimnis sei aller sanktionierten Gewalt. Austerlitz erzählte weiter, daß er, auf der Suche nach einem Initiationslabyrinth der Freimaurer, von dem er gehört habe, daß es sich entweder im Kellergeschoß oder auf den Dachböden des Palastes befinde, viele Stunden schon durch dieses steinerne Gebirge geirrt sei, durch Säulenwälder, an kolossalen Statuen vorbei, treppauf und treppab, ohne daß ihn je ein Mensch nach seinem Begehren gefragt hätte. Bisweilen habe er auf seinen Wegen, ermüdet oder um sich nach der Himmelsrichtung zu orientieren, bei den tief in das Gemäuer eingelassenen Fenstern hinausgeschaut über die wie Packeis ineinander verschobenen bleigrauen Dächer des Palais oder hinunter in Schluchten und schachtartige Innenhöfe, in die nie noch ein Lichtstrahl gedrungen sei. Immer weiter, sagte Austerlitz, sei er durch die Gänge geschritten, einmal links- und dann wieder rechtsherum, und endlos geradeaus, unter vielen hohen Türstöcken hindurch, und ein paarmal sei er auch über knarrende, provisorisch wirkende Holzstiegen, die hie und da von den Hauptgängen abzweigten und um einen Halbstock hinauf- oder hinunterführten, in dunkle Sackgassen geraten, an deren Ende Rolladenschränke, Stehpulte, Schreibtische, Bürosessel und sonstige Einrichtungsgegenstände übereinandergetürmt gewesen seien, als habe hinter ihnen jemand in einer Art Belagerungszustand ausharren müssen. Ja, so behauptete Austerlitz, er habe sogar sagen hören, daß sich in dem Justizpalast, aufgrund seiner tatsächlich jedes Vorstellungsvermögen übersteigenden inneren Verwinkelung, im Verlaufe der Jahre immer wieder einmal in irgendwelchen leerstehenden Kammern und abgelegenen Korridoren kleine Geschäfte, etwa ein Tabakhandel, ein Wettbüro oder ein Getränkeausschank, hätten einrichten können, und einmal soll sogar eine Herrentoilette im Souterrain von einem Menschen namens Achterbos, der sich eines Tages mit einem Tischchen und einem Zahlteller in ihrem Vorraum installierte, in eine öffentliche Bedürfnisanstalt mit Laufkundschaft von der Straße und, in der Folge, durch Einstellung eines Assistenten, der das Hantieren mit Kamm und Schere verstand, zeitweilig in einen Friseurladen umgewandelt worden sein. Dergleichen apokryphe Geschichten, die in sonderbarem Kontrast standen zu seiner sonstigen, rigorosen Sachlichkeit, erzählte mir Austerlitz auch bei unseren noch folgenden Begegnungen nicht selten, etwa als wir einen stillen Novembernachmittag lang in einem Billardcafé in Terneuzen saßen — ich erinnere mich noch an die Wirtin, eine Frau mit dicken Brillengläsern, die an einem grasgrünen Strumpf strickte, an die glühenden Eierkohlen in dem Kaminfeuer, an das feuchte Sägemehl auf dem Fußboden, den bitteren Zichoriengeruch — und durch das von einem Gummibaum umrankte Panoramafenster hinausblickten auf die ungeheuer weite, nebelgraue Mündung der Schelde. Einmal, in der Vorweihnachtszeit, kam Austerlitz mir auf der Promenade von Zeebrugge entgegen, als es Abend wurde und nirgends eine lebende Seele zu sehen war. Es stellte sich heraus, daß wir beide auf derselben Fähre gebucht hatten, und so sind wir langsam miteinander zum Hafen zurückgegangen, zur Rechten die leere Nordsee und rechterhand die hohen Fassaden der in die Dünen gesetzten Wohnburgen, in denen das bläuliche Licht der Fernseher zitterte, sonderbar unstet und gespensterhaft. Als unser Schiff auslief, war es schon Nacht geworden. Wir standen zusammen auf dem hinteren Deck. Die weiße Fahrspur verlor sich in der Dunkelheit, und ich weiß noch, daß wir einmal meinten, wir sähen ein paar Schneeflocken sich drehen im Lampenschein. Erst bei dieser nächtlichen Überquerung des Ärmelkanals erfuhr ich übrigens durch eine von Austerlitz beiläufig gemachte Bemerkung, daß er eine Dozentur innehatte an einem Londoner kunsthistorischen Institut. Da es mit Austerlitz so gut wie unmöglich war, von sich selber beziehungsweise über seine Person zu reden, und da also keiner vom anderen wußte, woher er stammte, hatten wir uns seit unserem ersten Antwerpener Gespräch stets nur der französischen Sprache bedient, ich mit schandbarer Unbeholfenheit, Austerlitz hingegen auf eine so formvollendete Weise, daß ich ihn lang für einen Franzosen hielt. Es berührte mich damals sehr seltsam, als wir in das für mich praktikablere Englisch überwechselten, daß nun an ihm eine mir bis dahin ganz verborgen gebliebene Unsicherheit zum Vorschein kam, die sich in einem leichten Sprachfehler äußerte und in gelegentlichen Stotteranfällen, bei denen er das abgewetzte Brillenfutteral, das er stets in seiner linken Hand hielt, so fest umklammerte, daß man das Weiße sehen konnte unter der Haut seiner Knöchel.

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In den nachfolgenden Jahren habe ich Austerlitz fast jedesmal, wenn ich in London war, an seinem Arbeitsplatz in Bloomsbury unweit des British Museum besucht. Ein, zwei Stunden bin ich dann meist bei ihm gesessen in seinem engen Büro, das einem Bücher- und Papiermagazin glich und in dem zwischen den