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Aya und Loelia sind zwei Länder vor der Küste Britannias. In Aya verfügen alle Menschen über Magie, in Loelia nicht. Die junge Windnutzerin Katie, deren Vater der Berater des Königs ist, lebt in Wohlstand und mit Aussicht auf die Heirat mit dem Prinzen. In Loelia hingegen liegt Clives Zuhause, wo er sich um seine Familie sorgen und ums Überleben kämpfen muss. Doch dann zwingt ihn ein Schicksalsschlag dazu alles hinter sich zu lassen und die Grenze zu überqueren. Seine und Katies Wege kreuzen sich und plötzlich kollidieren zwei Welten. Schon bald kommen die beiden hinter Geheimnisse, die besser hätten verborgen bleiben sollen und befinden sich zwischen den Fronten. Gemeinsam versuchen sie ihre Welt und die des anderen zu retten und spüren dabei die Anziehung zwischen einander…
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Veröffentlichungsjahr: 2022
Aya
Feuer und Sturm
By Sophie Mielke
Story by Sophie Mielke
1. Fassung 16.05.2022
Für Finja und Anna,
die immer in meinem Herzen sind,
wohin wir auch gehen.
Der Mond schien hell am klaren Nachthimmel und eine warme Brise wehte über die Felder, als ein Mann, ganz in schwarz gekleidet, durch ein kleines Waldstück rannte. Vor ihm lag tiefe Dunkelheit, doch er rannte einfach hinein. Hinter ihm erklangen Schritte und Rufe und der Mann beschleunigte. Schritt für Schritt rannte er immer weiter in den Wald hinein, bis das Stimmengewirr hinter ihm verstummte. Zögerlich verringerte er sein Tempo wieder und sah sich aufmerksam zu allen Seiten um, aber alles, was er sah, war Dunkelheit. Er entspannte sich etwas und ging nun im Schritttempo weiter. Nach einigen Minuten wurde der Wald etwas lichter und das Mondlicht schimmerte durch das dichte Blätterdach der Bäume. Nun konnte der Mann seine Umgebung genauer sehen. Etwa 30 Meter vor ihm durchschnitt eine schmale Straße den Wald und der Mann blieb stehen. Aus der Ferne hörte er leises Hufgetrappel und er duckte sich hinter einen Busch. Mehrere Minuten strichen dahin, bis endlich eine Kutsche vorbeifuhr. Vier Männer standen vorne drauf und hielten ihre Schwerter in die Luft. Sie sahen sich aufmerksam zu allen Seiten um, konnten den Mann hinter dem Busch jedoch nicht entdecken.
Als die Kutsche vorübergefahren war, stand der Mann auf und ging weiter. Mit schnellen Schritten rannte er über den Weg und verschwand dann wieder im Dickicht. Die Bäume standen nun wieder enger und das Mondlicht kam nur noch vereinzelt durch die Blätter. Aber der Mann ging weiter, als wüsste er genau, wo er hintreten musste. In nur wenigen Minuten hatte er eine weite Strecke zurückgelegt und befand sich bald vor einer Art Lichtung. Die Bäume standen in einem Kreis um eine kleine Wiese und der Mann konnte den Mond und die Sterne sehen. Mit langsamen Schritten trat er aus dem Schutz der Bäume und blickte hinauf zum Himmel. Er lächelte und wollte sich gerade völlig entspannen, als hinter ihm eine Stimme erklang: „Harrison!“ Der Mann namens Harrison fuhr herum und fand sich einem Mann mit dichten Braunen Haaren und leichtem Schnurrbart gegenüber. Er war etwa im gleichen Alter wie Harrison. „Godric“, entgegnete Harrison und spuckte den Namen förmlich aus.
Langsam machte Harrison einige Schritte zurück, aber Godric folgte ihm. „Du kannst nicht entkommen“, stellte Godric fest und zeigte auf die Bäume drumherum, „Wo willst du hin? Der Wald wird hier nur noch dichter und bald wirst du nicht mehr weiter können. Die Wölfe werden dich finden und dann bist du Tierfutter.“ „Lieber das, als durch deine Hand zu sterben“, entgegnete Harrison kühl. „Wieso sollte ich dich töten, Bruder?“, fragte Godric gespielt verletzt. Harrison lachte freudlos und meinte: „Das weißt du genauso gut wie ich. Du hast mir alles genommen! Du hast mich hintergangen und fallenlassen! Mich! Ich bin dein Bruder! Wir waren mal unzertrennlich! Wir waren gleich!“ Nun lachte Godric: „Wirklich? Du denkst wir könnten gleich sein? Du bist nicht wie ich! Wir waren niemals gleich. Du hast noch nie in diese Welt gehört und das wird sich auch nicht ändern.“ „Wieso nicht?“, fragte Harrison, obwohl er die Antwort kannte, „Weil ich besser bin als du? Weil ich schlauer bin? Weil Vater mich liebt? Weil ich mächtiger bin? Was habe ich dir getan?“ „Weil du eine Gefahr für jeden Menschen unseres Landes bist. Du könntest uns alle umbringen“, erklärte Godric sachlich. Harrison schnaubte: „Du klingst genau wie Vater. Was ist nur aus dir geworden? Du warst mal der edelste Mann von allen. Gutmütig und offen für alles. Jetzt bist du genauso kalt und stur wie unser Vater. Du wärst ein wunderbarer König geworden. Nun tut mir unser Land nur noch leid! Du weißt genauso gut wie ich, dass ich meine Kräfte niemals missbrauchen würde!“
Plötzlich hob Godric drohend seine Hände und zielte mit seinen Fingerspitzen auf Harrisons Brust. „Ich hätte dich verbannen sollen, schon vor langer Zeit. Aber nun ist es unbedeutend. Ich werde dich einfach töten!“, rief Godric und ging auf Harrison zu. „Nur zu“, erwiderte Harrison und hob die Hände, „ich werde nicht mehr kämpfen.“ „Besser ist das“, murrte Godric und ohne zu zögern schoss er einen einzigen, fingerbreiten Wasserstrahl aus seiner Hand, der direkt durch Harrisons Herz ging. Einen Moment blitze Erstaunen in Harrisons Augen auf. Dann sank er auf die Knie. Harrison hob seinen Kopf und blickte zu Godric hinauf. Sein Atem ging flacher und sein Blick wurde langsam verschwommen, aber trotzdem murmelte er noch mit letzter Kraft: „Das Feuer wird brennen…“ Dann wurde sein Körper schlaff und er fiel in sich zusammen. Einige Minuten lang stand Godric einfach nur da und starrte auf den toten Körper zu seinen Füßen. Dann atmete er tief ein und schüttelte seine Hand aus. Unberührt drehte er um und ging einfach davon. Gelassen durchquerte er den Wald und kreuzte die kleine Straße. Dann ging er weiter, bis ans Ende des Waldes und zu den Feldern dahinter. Dort warteten an die hundert Männer mit erhobenen Fackeln und grimmigen Gesichtern.
Ein Mann, der ganz vorne stand, kam auf Godric zu, verbeugte sich kurz und fragte: „Habt ihr den Fremden gefasst?“ Godric lächelte und meinte locker: „Oh ja. Das Feuer wird uns nie mehr bedrohen.“ Ohne ein weiteres Wort schritt Godric durch die Menschenmenge, ohne einen von ihnen auch nur zu beachten. Er ließ die Menge hinter sich und ging zurück zu seinem Anwesen, als wäre nichts geschehen…
Viele Jahre später…
Die Sonne schien hell an diesem Frühlingsmorgen und die Vögel zwitscherten in den Bäumen, als mich ein Klirren weckte. Unten in der Küche musste das Küchenmädchen wohl gerade das Geschirr abwaschen. Lächelnd ließ ich mich in meine Kissen sinken und starrte zur Decke. Erst nach einigen Minuten raffte ich mich auf und zog die Kleider an, die das Hausmädchen am vorherigen Abend für mich rausgelegt hatte. Dann ging ich mit langsamen Schritten die alte Holztreppe des Hauses nach unten und trat in die Küche. „Guten Morgen, Maria“, begrüßte ich unsere Köchin. Sie fuhr herum und lächelte mich an. Sie war eine hübsche Frau in ihren Vierzigern mit langen braunen Haaren, die sie immer in einem geflochtenen Zopf nach hinten trug. Ich kannte sie schon fast mein ganzes Leben und sie war der liebevollste Menschen, den ich kannte. „Guten Morgen, Katie. Obwohl ich wohl lieber schon guten Abend sagen sollte. Die Sonne geht bald schon wieder unter. Ich habe dir trotzdem etwas Rührei gemacht, wenn du möchtest“, Maria zeigte auf die Pfanne und ich nickte dankbar, da mein Magen bereits knurrte. Ich setzte mich an den kleinen Tisch in der Küche und wartete darauf, dass sie mir das Essen hinstellte. „Weißt du, wo Vater ist?“, fragte ich, als Maria mit einem Teller zu mir kam. „Er ist schon früh aufgebrochen. Es gab wieder irgendwelche Vorfälle von Magiemissbrauch, glaube ich“, erklärte Maria. Ich nickte und aß hungrig mein Frühstück, während ich nachdenklich aus dem Fenster sah.
Magie. Ja, in unserer Welt gab es Magie. Jeder, der in Aya, einem kleinen Land mitten im Ozean vor Britannia, geboren wurde, wurde auch mit einer Magie geboren. Manche besaßen die Kraft des Heilens, meist wurden sie Heiler und Ärzte. Dann gab es noch die Kraft des Wasser und die der Erde. Menschen, die diese Kraft besaßen, konnten Steine und Felsen in Bewegung setzten, was sie durchaus ziemlich mächtig machte. Manche andere verfügten über kleinere Kräfte. Sie konnten zum Beispiel Blumen wachsen lassen oder mit einem bestimmten Tier sprechen. Ich konnte den Wind beherrschen. Das klingt vielleicht cool, aber eigentlich brachte es einem nicht wirklich viel. Nur dass ich bei Sturm die einzige mit einer guten Frisur war. Ich hatte die Magie von meinem Vater. Die meisten Kinder hatten die gleiche Magie, wie eines ihrer Elternteile. Mein Vater war ein angesehener Mann und arbeitete als erster Berater des Königs, König Godric Wallace dem zweiten. Er war mittlerweile seit etwa fünfzehn Jahren unser König. Mein Vater war seine rechte Hand und das brachte uns einen gewissen Wohlstand. Dadurch konnten wir uns Hausmädchen und Köche, wie Maria, leisten.
Jeder in Aya hatte seine Aufgabe und die meisten hier waren glücklich. Aber es gab auch hier, wie bei allem, eine dunkle Seite. Bei uns hieß sie Loelia. Das Land hinter unseren Grenzen. Es wurde durch eine hohe Mauer von uns getrennt und die Grenze wurde von hunderten Wächtern bewacht. Denn dahinter lebten all die Ausgestoßenen. Verbrecher, arme Menschen und die, die einfach das Pech hatten, dort geboren worden zu sein. Dort gab es keine Magie. Ihnen wurde die Magie durch einen Zauber, den nur die weisesten und besten Magier beherrschten, genommen. Aus welchen Gründen, wusste nicht einmal ich. Vielleicht weil sie einmal etwas böses getan hatten. Jeder, der eine Straftat begangen oder gegen die Ordnung der Magie verstoßen hatte, wurde nach Loelia gebracht…ohne seine Magie. Schon als kleine Kinder wurde uns eingetrichtert niemals auch nur in die Nähe der Grenze zu gehen und deshalb war ich noch nie dort gewesen. Ich hatte eine behütete Kindheit und niemals einen Sinn darin gesehen, dorthin zu gehen. Meine Eltern hatten mich immer umsorgt, da ich ihr einziges Kind war und sie nicht wollten, dass mir irgendetwas passierte.
Plötzlich riss mich die Stimme meiner Mutter aus meinen Gedanken: „Katherine! Hast du es aus dem Bett geschafft? Das wurde aber auch höchste Zeit! Du weißt doch, dass wir an den Hof müssen! Der Ball beginnt schon bald und der Prinz sucht sich heute seine Braut!“ Ich drehte mich um und fand mich meiner Mutter gegenüber, die kerzengerade im Türrahmen stand. Sie war eine hochgewachsene Frau mit langen, hellbraunen Haaren. Jetzt gerade hatte sie ihre Haare zu einem strengen Dutt nach oben gebunden und sah in ihrem marineblauen Kleid wunderschön aus. Ich hatte meine Haare von ihr geerbt. Auch ich hatte die gleichen, fast blonden Haare, die im richtigen Licht gold leuchteten. „Ja Mutter. Ich bin gleich fertig“, murmelte ich und rannte die Treppe nach oben. „Eine Dame rennt nicht!“, schrie meine Mutter mir hinterher, aber ich ignorierte sie. Schnell kämmte ich meine Haare und steckte sie ebenfalls in einen Dutt nach oben. Ein paar Strähnen ließ ich gewollt vorne herausfallen. Lächelnd begutachtete ich mich einen Moment im Spiegel. Mein Kinn war leicht kantig, sah aber nicht zu streng aus. Meine tiefblauen Augen strahlten und ließen mich irgendwie noch jünger wirken. Ich war achtzehn Jahre alt und definitiv nicht bereit für das Leben.
Ich ging mit langsamen Schritten wieder die Treppe hinunter und in den Salon, wo meine Mutter mit verschränkten Armen auf mich wartete. Doch als sie mich sah wurde ich Blick weicher und sie lächelte: „Dann lass uns los. Ich bin gespannt, wen der Prinz sich aussucht. Wenn du so aussiehst vielleicht sogar dich…“ Nebeneinander gingen wir durch die große Eingangstür und stiegen in die Kutsche, die auf dem Platz auf und wartete. „Zum Schloss“, sagte meine Mutter dem Kutscher und setzte sich neben mich. Die Kutsche rollte an und ich blickte meiner Mutter in die Augen. Einige Minuten herrschte eine unangenehme Stille und aus irgendeinem Grund wandte sie sich unbehaglich von mir ab. „Was ist Mutter?“, fragte ich nach einer Weile. Sie zögerte und wollte ganz offensichtlich nicht antworten, aber ich drängte sie weiter: „Sag schon.“ Sie seufzte und entgegnete: „Katherine. Du bist jetzt achtzehn Jahre alt. Du weißt, dein Vater und ich lassen dir so viele Freiheiten, wie wir nur können aber…“ „Aber was?“, wollte ich plötzlich aufgebracht wissen. „Schatz, wir möchten, dass du einen Mann findest und heiratest“, beendete meine Mutter ihren Satz und ich wäre am liebsten sofort aus der Tür gesprungen: „Ich…ich soll heiraten? Aber wen denn?“ Wieder zögerte eine Mutter. „Ach, ihr habt auch schon einen Mann für mich?“, fragte ich etwas ungläubig. „Es tut mir leid, Katherine. Aber du durftest schon viel länger als gut für dich, tun was du wolltest“, erklärte meine Mutter. „Darf ich bitte selbst entscheiden, was gut für mich ist?“, rief ich aufgebracht.
Meine Mutter schwieg und ich atmete tief ein, um mich zu beruhigen. „Wen…wen soll ich heiraten?“, brachte ich gepresst heraus. Meine Mutter atmete tief ein und antwortete: „Du weißt, dein Vater und der König verstehen sich sehr gut und…sie haben sich geeinigt, dass es vielleicht für alle Beteiligten gut wäre, wenn du…wenn du den Prinzen heiraten würdest.“ „Den Prinzen?“, war alles, was ich herausbrachte. „Ja. Sebastian Wallace der dritte“, bestätigte meine Mutter. „Nein…“, flüsterte ich und sah meine Mutter fast flehend an, „Das könnt ihr mir nicht antun.“ „Was heißt hier antun? Er wird irgendwann König und du dann seine Königin. Was könnten wir besseres für dich tun?“, entgegnete meine Mutter ebenfalls ungläubig. „Keine Ahnung, vielleicht mir die Wahl lassen? Ich möchte nicht Königin werden. Und noch weniger möchte ich Sebastian Wallace heiraten. Ich kann ihn nicht einmal leiden“, stellte ich bitter fest. Meine Mutter seufzte und sah an, als wäre ich ein keines Kind: „Ach Katherine-“ „Nein! Sieh mich nicht so an!“, schrie ich wütend und mir stiegen Tränen in die Augen. „Schrei mich nicht an!“, brüllte meine Mutter ebenfalls wütend zurück und ich zuckte zusammen, „Ich bin deine Mutter! Zeige gefälligst etwas Respekt!“ „Entschuldigung“, gab ich kleinlaut zurück und sie entspannte sich etwas.
Sie atmete hörbar ein und schien sich zu beruhigen. „Also, Katherine. Wir fahren jetzt zum Ball und du wirst dich gut verhalten. Prinz Sebastian wird dir einen Antrag machen und ich möchte dich bitten, noch einmal darüber nachzudenken. Es wäre ein Schande für unsere Familie, wenn du ablehnst“, bemerkte meine Mutter und ich lachte freudlos. „Vielleicht hättet ihr da vorher drüber nachdenken sollen. Oder zumindest mit mir sprechen sollen!“ Meine Mutter erwiderte nichts und blickte stattdessen schweigend nach draußen. Etwas beleidigt tat ich es ihr gleich und schaute auf die Felder neben mir. Der Weg bis ins Schloss war eigentlich nicht weit, aber holprig, weshalb die Pferde nur langsam voran kamen. Der großer Wald, der an die einen Seite des Landes angrenzte, machte es auch nicht wirklich besser. Aber nach einer gefühlten Ewigkeit, in der Mutter und ich uns grimmig anschwiegen, konnte ich endlich das Schloss sehen. Groß und mächtig stand es auf einem hohen Hügel, hinter dem sich die flachen Berge zu einem kleinen Gebirge türmten. Vier Türme ragten an allen Ecken auf und Fahnen mit dem Wappenzeichen wehten im Wind. Das Wappen bestand aus einem Falken, der durch eine Windböe flog. Unter ihm befand sich ein Berg und daneben das Meer in Form einer Welle. Ich fand die Adligen, die über all die Jahrhunderte in diesem Schloss lebten, noch nie wirklich kreativ.
Vor vielen Jahrhunderten war das Schloss gebaut worden. Damals hatten noch reiche und arme Menschen, Verbrecher und Menschen mit jeder Art von Magie zusammen gelebt. Erst mit König Samus dem vierten, unserem früheren König, wurde die Mauer gebaut. Dann verstarb er und König Godric der zweite stieg auf den Thron. Er verschärfte all die Maßnahmen seines Vaters nur noch mehr. Aber all das war erst kurz nach meiner Geburt, also wusste ich nicht mehr, als das, was man mich gelernt hatte.
Der Anstieg zum Schloss war lang und die Pferde hatten Mühe, die Kutsche über den unebenen Pflasterstein zu ziehen, aber schließlich fuhren wir durch das hohe Holztor und hielten auf dem großen Vorplatz. Zwei Stallburschen kamen angerannt und kümmerten sich um die Pferde, während ein Hofdiener zu mir trat und mir seine Hand reichte. Dankend nahm ich sie an und stieg vorsichtig die Stufen der Kutsche hinunter.
Meine Mutter erschien neben mir und warf mir einen warnenden Blick zu. Mürrisch schaute ich weg und starrte stattdessen auf die mächtige Tür, die ins Schloss führte. Sie war mit goldenen Zeichen und Linien verziert und ließ mich auch nach all den Jahren noch ehrfürchtig die Luft anhalten. „Komm, Katherine“, sagte meine Mutter ungeduldig und ging voran, die wenigen Treppenstufen hinauf und durch die Tür, die ein Wärter für sie öffnete. Widerwillig folgte ich ihr und ging in den großen Eingangssaal. Ein riesiger Kronleuchter hing von der Decke und zwei Wendeltreppen aus Stein führten an beiden Seiten nach oben. Meine Mutter und ich gingen geradeaus weiter und betraten den nächsten Saal, den Thronsaal. Auch hier hing ein wunderschöner Kronleuchter von der Decke und Statuen standen überall an den Wänden. Gemälde von ehemaligen Königen hingen neben ihnen und blickten mich von oben herab an. Obwohl es nur Bilder waren, ließen mich all diese Blicke erschaudern. Vor den Statuen standen Tische mit Häppchen und Kellner liefen mit Tabletts voller Champagner herum.
Nachdem ich den ganzen Saal in Augenschein genommen hatte, blickte ich endlich nach vorne. König Godric der zweite saß gerade und machtvoll auf seinem Thron. Sein lockiges, graues Haar kam unter der goldenen Krone hervor und seine Augenringe ließen ihn irgendwie sehr alt aussehen. Vor ihm stand eine Menschenmenge von mindestens dreißig Menschen in edlen Gewändern. Rechts neben dem König stand seine Frau, Königin Elizabeth Wallace und auf der linken Seite standen die beiden Prinzen. Prinz Sebastian und Prinz Darron. Sie waren beide nicht sehr viel älter als ich. Prinz Sebastian, den ich offenbar heiraten sollte, hatte helles, blondes Haar und grüne Augen, die durch den ganzen Saal zu scheinen schienen. Er trug einen beigen Anzug und stand selbstsicher und seiner Position viel zu bewusst neben seinem Vater. Prinz Darron stand schon immer im Schatten seines Bruders. Er war jünger, hatte das dunkelbraune Haar seiner Mutter und war nicht ansatzweise so selbstbewusst. Unsicher fuhr er sich mit der Hand durch die Haare und sein Blick huschte nervös durch die Menschenreihen.
Neben der Königsfamilie entdeckte ich meinen Vater. Er war ein stattlicher Mann, der sich aus dem Nichts eine Karriere aufgebaut hatte und er war auch mein Leben lang ein fantastischer Vater gewesen, aber in diesem Moment wollte ich nichts mehr, als ihm den Hals umzudrehen. Denn er stand lächelnd da, zwinkerte mir zu und wusste ganz genau, was kommen würde, denn er war teils der Grund dafür. Wie hatte er mir das nur antun können? Aber darüber würde ich wohl später mit ihm reden müssen, denn plötzlich erhob sich König Godric und räusperte sich. Die Menge verstummte und Godrics Stimme ertönte hell und klar: „Meine lieben Damen und Herren. Es freut mich sehr, dass sie so zahlreich zu unserem jährlichen Ball erschienen sind. Doch heute ist es nicht nur irgendein Ball, denn wie sie vermutlich alle wissen, wird heute mein Sohn Sebastian seine Braut wählen. Es könnte jede von ihnen sein. Machen sie sich einen schönen Abend und genießen sie den Ball!“ König Godric setzte sich wieder auf seinen Thron und plötzlich setzte Musik ein und Prinz Sebastian löste sich aus seiner Position. Mit langsamen, eleganten Schritten kam er die drei Treppenstufen herunter und ging durch die Menge. Die jungen, heiratswilligen Damen, an denen er vorbeiging, fielen entweder fast in Ohnmacht oder wollten sich ihm an den Hals werfen. Aber er ignorierte sie alle und kam stattdessen zu mir. Als er mich erreicht hatte, verbeugte er sich und nahm meine Hand, um sie zu küssen. „Madame Katherine. Würden sie mir die Ehre erweisen und mit mir tanzen?“, fragte er höflich. Ich warf meinem Vater einen vernichtenden Blick zu und willigte widerwillig ein.
Sebastian zog mich in die Mitte des Saals und stellte sich in Position. Die Streicher setzten zu einem Walzer an und Sebastian legte eine Hand auf meine Hüfte. Dann hob er meine Hand und zog mich näher an ihn. Seine Füße bewegten sich im Takt und ich folgte seinen Schritten. Seine Hände waren warm und ließen etwas in mir vibrieren. Sein Duft stieg mir in die Nase und zu meinem Ärger roch er ausgesprochen gut, nach frischem Moos gemischt mit süßem Harz. Aber ich ignorierte es und hob arrogant meinen Blick. Sebastians und meine Blicke trafen sich und er lächelte. „Woran denkt ihr?“, fragte Sebastian, während er mich in eine Drehung zog. Als ich wieder festen Boden unter meinen Füßen hatte, erwiderte ich etwas zu trotzig für eine Dame: „Ich denke daran, wie ich hier am schnellsten wieder wegkomme.“ Immerhin war Ehrlichkeit eine meiner Stärken. Sebastians Lächeln schwankte einen Moment, aber er fand seine Selbstsicherheit schnell wieder: „Ist das so? Soll ich euch vielleicht behilflich sein?“ Ich verdrehte genervt die Augen und meinte: „Nein danke. Was ich eigentlich sagen wollte, war, dass ich darüber nachdenke, wie ich am schnellsten von euch wegkomme.“ Ich wusste, dass das hier sehr riskant war, aber ich wollte auf keinen Fall einen Prinzen heiraten, der erst vergangene Woche öffentlich erklärt hatte, dass er persönlich alle Verbrecher einfach umbringen würde und die Existenz von Loelia als nicht vertretbar finde. Genau so war sein Wortlaut bei der letzten Kundgebung gewesen und ich hatte wirklich nicht den Anspruch mich ihm gegenüber respektvoll zu verhalten.
Ich wusste zwar nicht wirklich, was hinter der Grenze ablief, aber ich war der Ansicht, dass jeder Mensch ein vernünftiges Leben verdient hatte. Und alles, was ich bisher so gehört hatte, stellte keine wirklich guten Lebensumstände in Loelia dar. „Okay“, Sebastian riss mich aus meinen Gedanken und blickte mich forschend an. „Was?“, hakte ich verwirrt nach. „Okay, ich habe es verstanden. Ihr habt etwas gegen mich. Die Frage ist nur, was? Denn jede andere Frau in diesem Saal würde morden, um nur einen Tanz mit mir zu teilen. Und ihr scheint es eher als eine Qual zu empfinden“, erklärte Sebastian und schwenkte mich gekonnt nach hinten. Elegant drehte ich mich einmal um mich selbst und kam dann zurück zu ihm. Meine Füße bewegten sich wie von selbst im Takt und ich konzentrierte mich wieder auf Sebastian. „Nun, mich stört, dass ihr so dermaßen von euch selbst überzeugt seid. Außerdem scheinen euch die Leben eurer Untertanen vollkommen unbedeutend zu sein. Ein Menschenleben kann euch nicht viel Wert sein, wenn euch die Bewohner von Loelia am liebsten verbrennen würden“, entgegnete ich selbstsicher. Sebastian sah mich finster an und einen Augenblick dachte ich, ich hätte es geschafft. Aber dann setzte er wieder sein Lächeln auf und lachte plötzlich. Er lachte einfach so.
Verwirrt starrte ich ihn an und wäre fast stehengeblieben. „Lacht ihr etwa über mich?“, fragte ich gespielt verletzt. „Oh nein, nein. Ich würde niemals über euch lachen. In meinen Augen seid ihr die unglaublichste Frau in diesem Raum, wie könnte ich je über euch lachen?“, Sebastian schien das ernst zu meinen und einen Moment war ich geschmeichelt. „Aber wieso lacht ihr dann?“, wollte ich nun interessiert wissen. „Naja, ihr habt euch tatsächlich meine Rede angehört. Ihr seid die erste Frau, die sich tatsächlich politisch engagiert und ihre Meinung offen sagt. Alle anderen hier, sagen eh nur das, was sie denken, das mir gefallen würde. Aber ihr seid anders“, erklärte Sebastian. „Nun, ihr kennt mich ja schon eine Weile länger, nicht wahr? Wieso ist das so erstaunlich?“, fragte ich, nicht wirklich überzeugt. „Ja, ich kenne euch schon ziemlich lange. Und das macht es umso erstaunlicher. Ich kenne euch fast mein ganzes Leben, zumindest vom Sehen, aber unterhalten habe ich mich nicht allzu häufig mit euch. Aber mein Vater hat mir gesagt, ich solle mich nicht um euch bemühen. Ich solle eine adlige Frau heiraten, weil es für unser Land von Vorteil wäre. Aber ich dachte nur an euch. Weil ihr nicht so seid, wie all die anderen, die mich heiraten wollen. Ihr seid eigensinnig und stark, ihr habt eine eigene Meinung und das schätze ich.“
Meine Schritte stockten einen Moment und ich kam ins Wanken. Doch bevor ich auch nur fallen konnte, hatte Sebastian auch schon seine Hände um meine Hüfte gelegt und mich an sich gedrückt. Für meinen Geschmack viel zu nah. Die Tanzetiketten schienen ihm vollkommen hinfällig zu sein, denn er zog mich weiter an sich und ich spürte seinen Atem dicht an meinem Gesicht. „Vorsicht, MyLady“, raunte er mir ins Ohr und ich erschauderte. Meine Nackenhaare stellten sich auf, während er sich langsam wieder in den Tanz wiegte. „Also? Was denkt ihr?“, fragte Sebastian leise und mit zweideutigem Unterton. Wieder zögerte ich. Seine ganze Art brachte mich irgendwie aus dem Konzept. „Was soll ich denken?“, hakte ich verwirrt nach. Ich war vollkommen von der Rolle. „Heiratet ihr mich?“, wiederholte Sebastian seine Frage. Die Musik setzte aus und die Menschen um uns herum hörten auf zu tanzen, um die Tanzfläche zu verlassen. Nur ich blieb stehen und starrte Sebastian einfach nur an. Ich wusste nicht, was ich tun sollte. Irgendetwas an ihm ließ mein Gehirn aufhören zu denken und ich musste etwas dagegen tun. Ohne etwas zu erwidern trat ich zurück, knickste einmal kurz und drehte mich um. Ich musste hier ganz schnell raus. Mit schnellen Schritten ging ich zu einer der großen Türen, die raus auf eine Veranda führten.
Ich schwitzte am ganzen Körper und hatte plötzlich Schwierigkeiten zu atmen. Panisch öffnete ich die Tür und trat hinaus in die kühle Nachtluft. Hier draußen befand sich im Moment niemand, weil alle zu dem Prinzen wollten, um ihm zu imponieren. Endlich löste sich der Druck von meiner Brust und ich konnte wieder frei atmen. Langsam beruhigte sich mein Herzschlag wieder und ich ging einige Schritte nach vorne bis an die Balustrade. Dahinter befand sich ein weiter Garten, von dem ich in der Dunkelheit jedoch nicht viel erkennen konnte. Eine junge Frau rannte kichernd und Hand in Hand mit einem jungen Mann über den langen Kiesweg und verschwand in der Dunkelheit. Ich war vollkommen allein. Nachdem meine Aufregung langsam verraucht war, fühlte ich mich nun plötzlich unwohl ganz allein in der Kälte. Obwohl die Sterne hell von dem wolkenlosen Himmel schienen, warfen die Mauern des Schlosses dunkle Schatten auf mich.
Meine Beine taten so weh. Ich konnte kaum noch stehen. Erschöpft ließ ich mich auf mein hartes Bett fallen und drehte mich müde auf den Rücken. Träge öffnete ich meine Augen und starrte die graue Decke über mir an. In den Ecken hingen Spinnweben und braune Schimmelflecken bildeten sich an einigen Stellen. Eine Spinne glotzte mich von der hintersten Ecke aus an und ich seufzte. Jeden Tag das gleiche. Morgens musste ich früh aufstehen und abends kam ich erst spät wieder nach Hause. Und auch dann konnte ich noch nicht schlafen. Mühsam setzte ich mich auf. Mein Zimmer war winzig und bestand nur aus einem Bett und einem kleinen, uralten Holzschrank an dem ein halb zerbrochener Spiegel hing. Mehr hätte nicht rein gepasst. Aber trotzdem konnte ich mich glücklicher schätzen als die meisten hier…hier in Loelia. Jeden Tag mussten wir auf den Feldern ackern und dem König drei Viertel unserer Ernte abgeben. Er ließ viel zu hohe Steuern eintreiben und ließ jeden, der nicht genug hatte, fast zu Tode prügeln. Die Wachen an den Grenzen schlugen einfach nur aus Spaß Frauen und Kinder, die vorbei kamen und ich hasste es so sehr. Aber was konnte ich denn tun? Mein Vater war schon kurz nach meiner Geburt gestorben und meine Mutter war mittlerweile alt und krank. Ich musste jeden Tag hart arbeiten, um sie und meine beiden jüngeren Schwestern über die Runden zu bringen. Kecia und Viven waren das einzig Gute in meinem Leben und ich tat alles, um sie zu beschützen.
Schwermütig stand ich wieder auf, obwohl meine Beine stark protestierten. Müde rieb ich mir die Augen und öffnete die Tür. Dahinter befand sich das winzige Esszimmer und daneben das Zimmer, in dem meine Mutter und meine Schwestern schliefen. Es war der größte Raum des Hauses. Draußen war die Sonne schon lange untergegangen und nur wenige Kerzen beleuchteten die Küche. Meine Mutter stand gemeinsam mit Kecia am Herd und sah mich an. „Hey Clive. Komm her mein Schatz, es gibt Essen“, erklärte Mutter liebevoll und ich setzte mich dankbar auf den Stuhl. Sie war erst fünfundvierzig Jahre alt, aber das Leben in Loelia machte jedem zu schaffen und wenige wurden überhaupt so alt. Ihr Haar war bereits grau und sie hatte tiefe Falten im Gesicht. Kecia sah genauso aus, wie sie früher. Kecia hatte dunkle, schwarze Haare und braune Augen. Ihr Gesicht war rund und sie selbst so unschuldig.
Kecia stellte mir einen Teller mir einem Stück Brot und etwas Eintopf auf den Tisch. „Bitte schön. Wir haben schon gegessen, aber es sollte noch warm sein“, erklärte sie und ich aß es hungrig auf. „Wo ist Viven?“, fragte ich zwischen zwei Brotbissen und sah meine Mutter erwartungsvoll an. Sie schwieg. Etwas in meiner Brust zog sich zusammen und ich sah stattdessen Kecia fragend an. „Wo ist sie?“ „Clive, sie…“, begann Kecia, aber ihre Stimme brach. Ich vergaß zu essen und stand stattdessen auf. „Was ist passiert?“, wollte ich ernst wissen und ging zu Kecia hinüber. Ich spürte, dass etwas nicht stimmte. „Sie ist schon zu Bett gegangen“, meinte Kecia sachlich, aber ich wusste, dass das nur die halbe Wahrheit war. „Wieso?“, fragte ich also weiter und wartete auf eine Antwort. Schließlich seufzte Kecia und antwortete leise: „Heute morgen hatte sie starkes Fieber. Sie hat Husten und Schüttelfrost. Vor zwei Stunden kam der Doktor. Er meinte, sie habe vielleicht die Grippe.“ Ich schluckte. Mein Herz raste plötzlich unnatürlich schnell und Schweiß lief meinen Rücken herunter. Davor konnte ich sie nicht beschützten… „Und was können wir tun?“, fragte ich besorgt. Nun stand Kecia den Tränen nahe. Ich nahm ihre Hand und drückte sie fest, als könnte ich ihr dadurch Kraft geben. „Der Doktor sagt, er kann nichts tun. Nur einige Menschen, die die Magie der Heilung besitzen könnten ihr helfen, aber…Du weißt, die leben in Aya…“, erklärte Kecia und schluchzte. Ich zog sie an meine Schulter und spürte, wie ihr Körper erbebte.
Als sie sich schließlich wieder gefangen hatte, wandte ich mich an meine Mutter. Sie hatte schweigend daneben gestanden und abwesend die Wand angestarrt. „Mutter…“, flüsterte ich und umarmte sie ebenfalls, „ich besorge ihr einen Heiler!“ Entschlossen löste ich mich von ihr und wollte am liebsten gleich losgehen, aber meine Mutter hielt mich zurück: „Nein Clive, bitte! Geh nicht. Es ist dunkel und spät. Du solltest nicht mehr gehen. Es nützt doch nichts.“ „Ich werde nicht tatenlos zusehen, wie Viven stirbt!“, brachte ich all meine Gedanken auf den Punkt. Meine Mutter nickte traurig, ließ mich jedoch nicht los: „Dann geh morgen. Aber nicht mehr heute Nacht.“ Widerwillig rang ich mit mir selbst, gab aber schließlich nach. „In Ordnung. Darf ich zu ihr?“, fragte ich und meine Mutter ließ mich los. Sie nickte und ich öffnete vorsichtig die Tür zu Vivens Zimmer. Sie lag zusammengekauert in ihrem Bett und schlief unruhig. Ich setzte mich zu ihr und streichelte behutsam über ihre Haare. Sie sah so unschuldig und verletzlich aus, wie sie da so lag. Ihr langes, braunes Haar fiel ihr über das Gesicht und ihre geschwungenen Lippen vibrierten bei jedem Atemzug. Ich sah ihr an, dass sie auch im Schlaf litt. Ihre Haut glühte und Schweiß ließ ihr Gesicht auch in der Dunkelheit leicht glänzen. Meine Entschlossenheit wuchs nur noch mehr und ich nahm mir vor, morgen schon in aller Früh zu der Grenze zu gehen und um Einlass zu bitten. Vielleicht würden die kalten Wachen ein einziges Mal zeigen, dass sie ein Herz hatten.
Mit langsamen Schritten ging ich durch den Saal. Ich fühlte mich, als würden mich alle anstarren, obwohl mich eigentlich niemand bemerkte. Sebastian tanzte mit einer anderen wunderschönen, jungen Dame und ich wünschte mir, er würde doch lieber sie zur Braut wollen. Doch sobald er mich sah, verabschiedete er sich von seiner Tanzpartnerin und kam zu mir. „Da seid ihr ja wieder“, bemerkte der Prinz etwas säuerlich und ich konnte es ihm nicht verdenken. „Es tut mir leid. Ich wollte euch nicht verärgern. Ich brauchte nur etwas Zeit für mich“, erklärte ich. Er zog eine Augenbraue hoch, erwiderte jedoch nichts. Stattdessen reichte er mir seinen Arm und ich hakte mich dankend bei ihm ein. „Also, Katherine-“, wollte Sebastian beginnen, doch ich unterbrach ihn sofort: „Bitte nennt mich Katie.“ Er zögerte einen Moment, nickte dann jedoch. Er ging mit mir in eine Ecke des Saals, wo nicht so viele Menschen standen und begann erneut: „Also…Katie. Ich sehe, dass ihr euch unsicher seid und ich will euch zu nichts zwingen. Aber ich möchte den Wünschen meines Vaters eine Frau zu heiraten und auch vor allem meinen Wünschen euch zu heiraten, möglichst nachkommen. Ihr seid die Tochter des ersten Beraters und es wäre alles andere als typisch, wenn ich euch heirate. Andererseits haben fast alle in diesem Saal mitgekriegt, dass ich um euch werbe und es wäre eine Schande für meine und für eure Familie, wenn ihr ablehnt. Daher frage ich erneut, würdet ihr mir die Ehre erweisen und meine Frau werden?“
Alles in mir sträubte sich dagegen, ja zu sagen und ich wäre am liebsten einfach davon gerannt. Aber was sollte ich tun? Ich hatte mittlerweile Angst vor meinem eigenen Vater und ich wusste nicht, was passieren würde, wenn ich ablehnte. Mein Vater würde sicher seinen Posten verlieren und ich würde unsere Familie in den Ruin stürzen…so viel zu Selbstbestimmung… Aber ich war eine Dame, die durchaus alle Sitten und Pflichten gelernt hatte und in diesem Moment tat ich das einzige, was mir richtig erschien. Ich holte tief Luft und blickte Sebastian die Augen. Dann erwiderte ich kühl und direkt: „Ja.“ Während Sebastian erleichtert anfing zu lächelnd, wurde der Druck auf meiner Brust nur noch stärker. Das Atmen fiel mir schwer und plötzlich war mir viel zu warm. Sebastian nahm meine Hand und führte mich durch die Menge, aber ich sah nur noch verschwommen. Es schien, als würde die Welt stillstehen. Wie in Trance, folgte ich Sebastian und ging die Stufen zum Thron hinauf. Dort stellte Sebastian mich vor König Godric und sagte etwas, doch ich verstand nur die Hälfte. Ich merkte nur, wie der König plötzlich aufstand, lächelte und etwas zu der Menschenmenge sagte. Dann zog mich jemand in eine Umarmung. Erst später merkte ich, dass es meine Mutter war. Mir wurde schwindelig und ich verlor das Gleichgewicht. Die Welt um mich herum drehte sich viel zu schnell und ich wusste nicht mehr, wo oben oder unten war. Ich fiel nach hinten und jemand fing mich auf. Danach war alles schwarz.
Als ich wieder aufwachte, brummte mein Schädel und mir war schwindelig. Vielleicht hatte ich etwas zu viel getrunken? Oder es war doch einfach zu viel Stress gewesen. In diesem Moment fiel mir wieder ein, was ich Sebastian versprochen hatte und wäre am liebsten wieder bewusstlos geworden. Widerwillig öffnete ich meine Augen und sah mich um. Ich befand mich in einem Himmelbett mit Vorhängen, das in einem großen Zimmer mit hohen Fenstern stand. Helles Sonnenlicht fiel herein und ich musste blinzeln. Wo war ich? Als Antwort öffnete sich die Tür am Ende des Raums und Sebastian kam herein. Er hatte seinen Anzug gegen ein lockeres Oberteil und eine edle Hose gewechselt und seine Haare standen wirr in alle Richtungen von seinem Kopf ab. Als er mich sah, lächelte er und kam zu mir. „Ihr seid wach“, bemerkte er und setzte sich vorsichtig auf meine Bettkante. „Sieht ganz so aus“, erwiderte ich nur leise und er schmunzelte. Er fuhr sich mit der Hand durch die Haare und sah dabei irgendwie süß aus, wie er mich besorgt musterte. Aber ich verbot mir diesen Gedanken sogleich wieder. Ich würde ganz sicher nicht anfangen Sebastian zu mögen. „Wie geht es euch?“, fragte Sebastian besorgt und nahm meine Hand. Ich wollte sie wegziehen, aber da fiel mir erneut mein Versprechen ein. Er war mein Verlobter… Also ließ ich meine Hand, wo sie war und antwortete mit rauer Stimme: „Den Umständen entsprechend. Ich weiß nur nicht, was passiert ist.“ Mein Hals war trocken und ich musste hustete, woraufhin Sebastian mir ein Glas reichte. Es war leer und ich wollte gerade etwas sagen, da füllte es sich, wie von Zauberhand, mit klarem Wasser. Das hatte ich ganz vergessen. Fast alle Mitglieder der Wallace Familie verfügten über die Magie des Wassers. Dankend nahm ich das Glas entgegen und trank gierig.
Wieder lächelte Sebastian und dieses Mal fand ich es nicht annähernd so süß. Es war eher so, als würde er über mich lachen. Und das gefiel mir ganz und gar nicht. „Ich denke, ihr habt nur etwas zu viel getrunken und wart einfach erschöpft“, erklärte Sebastian, als wäre ich ein kleines Kind. Ich zog meine Hand aus seinem Griff und blickte Sebastian herausfordernd in die Augen: „Was hat euer Vater zu unserer Verlobung gesagt? Ich war etwas neben der Spur.“ „Er freut sich sehr euch bald seine Schwiegertochter nennen zu dürfen. Ich habe mir erlaubt auch schon ein kleines Gespräch mit eurem Vater zu führen und er freut sich ebenfalls sehr.“ Ich lachte freudlos auf. Natürlich hat er das. Ich wusste nicht genau, an wen das ging.
Ich räusperte mich und versuchte mich aufzusetzen, obwohl sich alles um mich herum drehte. „Vorsicht!“, rief Sebastian, doch ich ignorierte ihn. Ich holte tief Luft und setzte mich aufrecht in das Bett. Ich bemerkte, dass das Zimmer wirklich schön war, aber eigentlich fand ich das ziemlich nebensächlich. „Wieso bin ich hier?“, wollte ich nach einer Weile wissen. Sebastian zögerte, entgegnete dann jedoch: „Naja, ihr seid jetzt meine Verlobte. Ich habe mir erlaubt, euch in einem Zimmer des Schlosses unterzubringen. Ich will nicht, dass meine Verlobte in einem gewöhnlichen Haus wohnt.“ Den letzten Satz hätte er lieber nicht sagen sollen. Wut flammte in mir auf und ich hätte Sebastian am liebsten geschlagen. Doch ich war eine Dame und wusste trotz meines Temperaments, wie ich mich zu benehmen hatte.
Ich holte Luft und sah Sebastian tief in die Augen. Dann sagte ich mit kalter und bestimmter Stimme: „Wagt es nicht, mein Elternhaus als gewöhnlich zu bezeichnen. Wagt es nicht, euch einzubilden, über mich bestimmen zu können. Ich gehöre euch nicht. Ja, ich habe zugestimmt und ich werde euch heiraten. Aber ganz sicher werde ich mir nicht das Denken verbieten lassen. Und wenn ich in meinem Elternhaus, in meinem Zuhause, schlafen möchte, dann tue ich das. Und ihr habt keinerlei Recht, euch über mich hinwegzusetzen!“ Sebastian sah mich einen Moment sprachlos an, dann lächelte er wieder ungerührt. Ich hätte durchdrehen können. „Wieso lacht ihr jetzt schon wieder?“, wollte ich wütend wissen. „Nichts, nichts“, winkte Sebastian ab und ich wünschte, dass Blicke hätten töten können. Er räusperte sich und meinte: „Entschuldigung, das war unhöflich. Ich möchte mich bestimmt nicht über euch hinwegsetzten und ich möchte euch auch gar nicht besitzen. Vergebt mir…“ Er lächelte zuckersüß und plötzlich schlug mein Herz unnatürlich schnell. Wie konnte dieser Mann mich nur immer wieder um seinen Finger wickeln? Widerstrebend nickte ich und schwang meine Füße aus dem Bett. „Was tut ihr?“, wollte der Prinz überrascht wissen.