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Diese Kinder da, sage ich und deute auf den Spielplatz. Süß, meint sie. Kommen auch irgendwann unter die Erde, sinniere ich. Hör auf mit dem Scheiß, meint sie, sonst bist du gleich unter der Erde! Hör auf mit dem Scheiß, sage ich.
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Stephen Urbanski
BAAL III
Elektrobuch
Redaktion: Chief Angesehen
Cover: Tom Möller
Support: Jason B. Saiks
Best Girls: Sissi Bonn, Susan von Sykowski
Besten Dank: Matthias Geissler, Sebastian Goll, Uwe Kopf, Moritz Reichelt, Karl Burkhard Timm, Martin Westenberger
© Urbi et Urbanski Hamburg 2016
Elektrobücher /
TODE$$CHLAGER – Die Charts der Neuen Armut:
TAUBENHHEIM – Erstes Buch Armut
HHAU – Zweites Buch Armut
HHÄRTZCHEN IN DER GRUBE – Drittes Buch Armut
ABSCHAUMDÖRFER – Viertes Buch Armut
DER GESTANK DER GROSSEN WIESE – Letztes Buch Armut
Zweieinhalb Fibeln Anmut – Hamburger Realgrotesken:
GRUHHL (Private Poverty)
HHOOLAHOP (Momentum)
HHUG (Van Hool)
HASPDEHHXXX – Ein Facialbook in Echtzeit
NUUL – Poetry
MAN HUMAN HERE – Ein elftes Hamburger Elektrobuch
PRO MONO – Ein zwölftes Hamburger Elektrobuch
KNSTNGGR – Neue Dramen Hamburg-Nord
OINOWSKI – Elektrobuch
facebook.com/stephen.urbanski.75
urbi-et-urbanski.tumblr.com
@urbieturbanski
Ich wollte ihn jung und verbraucht.
Kapitel 1: Jahr Mai!
Hinführung: Sechs Sätze für Heloten.
Kapitel 2: Juno it all!
Hinführung: Sieben Sätze für Despoten.
Kapitel 3: Siebenschläfer!
Hinführung: Acht Sätze für Idioten.
Kapitel 4: 08/16!
Abführung: Neun Sätze für Kojoten.
Anführung: Zehn Sätze für Lofoten.
Melody Nails!
(La Gente! La Gente! La Gente!)
F off.
Salon Platz.
107 Nachrichten.
Kunsthartzer.
Im Endeffekt.
Er singt ja auch sehr gern.
Chief Angesehen sagt: Morgen ist auch noch ein Tab.
Overbanked versus Beowulf Binkowski.
Mucevic versus Stanislaw Stonawski.
Wäre, wäre, Hafenfähre.
Haus der Familien.
Milf zum Mitnehmen.
Direkte Rede.
Es gibt Regeln.
Kältebus (Eis zum Mitnehmen).
Burberry kürzen.
A-LL 1411, deutsches Kennzeichen.
Waschpulver, Weichspüler.
MIL-CH 1412, deutsches Kennzeichen.
Schrank Pauli.
A-XT 1414, deutsches Kennzeichen.
Mehr so Parvenü.
SL-OW 1415, deutsches Kennzeichen.
Scheckheftgepflegt (der Redaktion bekannt).
Dichter, Denker, Gegenlenker.
„Ich möchte es nicht.“
„Aber es steht Ihnen doch zu!“
„Nix da, ich überspringe dieses, wie nennen Sie das? Arbeitslosengeld I? Will ich nicht, ich will Hartz, ich will IV, ich will Sie! Bitte ficken Sie mich nach Aktenlage, gern auch nach Belieben.“
„Wie gesagt, wir können hier momentan rein gar nichts für Sie tun, schönen Tag noch.“
„Sagen Sie, komme ich bei Ihnen in den Genuss von solch hübschen Begriffen wie – Bewegungsangebot? Ich wäre dann soweit.“
„Hören Sie, ich.“
„Ich bin ein Euro?“
„Bin nicht.“
„Kooperationsgespräch?“
„Zuständig!“
„Darf ich Ihnen mal eine persönliche Frage stellen? Sind Sie eine Hete?“
„Und wenn überhaupt, dann erst nach Ablauf des ALG I, alles Gute.“
„Heterosexuell? Macht nichts, bitte ballen Sie die Rechte zur Faust, ganz fest, sehr schön, so, und jetzt fisten Sie mich, ja, so ist gut. Nehmen Sie ruhig mal beide Fäuste zur Hand, wunderbar, so geht das, Sie machen das sehr gut. So, und jetzt den Kleiderständer, komm schon, fuck me dead.“
Freiheit. Aufstehen früh des Morgens, Spiegel zeigt die langen Locken, blaue Augen noch im Schlaf, Lider schwer, doch der Spiegel nickt, der Spiegel sagt: gut so, gut gehalten.
Freiheit. Kaffee, Stick vom Homegrown, 16:9-Wahrnehmung, Rechner läuft sich warm, Mails, Google, Medien, mal schauen, was das Netz kann, mal sehen, was das Netz draufhat. Eine twittert: Ehre-wem-Ehre-gebührt-Tattoo gesehen, möchte weinen. Einer postet: Nachmittags am Eisladen war’s dann soweit, eine schleckte ihr Smartphone ab. Irgendeine Meinungsplattform titelt: Mittelschicht vor Spielabbruch. Unfreiwillig?
Freiheit. Word-Datei, 1/1 Seite ist die Leinwand, die es zu bespielen gilt, täglich eine forsche Story. Eine ganze Seite leer, mein Format, an das ich mich halte, sklavisch. In Fällen dürfen sie mal überlaufen die Zeilen, Deserteure nur in Ausnahmefällen, alte CvD-Regel, spiele nicht mit Umbrüchen.
Freiheit, ich kann tun und lassen, was ich will.
Lassen, vor allem.
Dies tun, Bücher schreiben. Freiheit. Zwei Millionen Menschen arm, siebenstelliges Leben unter prekären Verhältnissen, und die Zahl wird weiter wachsen. Ich gebe ihnen eine Stimme, meine Seiten sagen: so kann es kommen, so kann es sich anfühlen. Stephen Kampnagel Urbanski: Autor, Scanner, Mohr zur Welt. Schildert das Leben eines Wohlstandsverlierers im Pussy-Ghetto: Hamburg, Stadtteil Winterhude. Plus Barmbek-Süd, La Uhlenhorst, fußläufig, mein Kiez. Deutschland, mein Buddy.
Deutschland, Gesellschaft. Online, Gemeinschaft?
Täglich eine neue Story. Täglich eine neue Headline. Die nächste lautet: 107 Nachrichten. Freiheit ist das höchste Gut.
Der Spiegel nickt und sagt: Umlauf, gut so, weiter.
Meldung: Stephen Urbanski, Poet, Chronist, beschreibt, was ist. Meldung: Start war im Winter 2012. Meldung: Jetzt ist Mai. Meldung: Wonnemonat 2016. Meldung: Sonnenbrüder, zur Freiheit. Meldung: Die sich eine solche Schwester erlauben können. Meldung: Der SoVD schreibt mich an. Meldung: Sozialverband begrüßt mich als neues Mitglied. Meldung: „Wir sorgen dafür, dass die Stimmen sozial Benachteiligter gehört und berücksichtigt werden.“ Meldung: SoVD legt Pflaster dem Schreiben bei, die Packung sagt, „flachgelegt gehöre ich zum Altpapier“. Meldung: Selten so stimmig angesprochen worden.
(Morgenappell: Thunderbird vermeldet den Eingang von 107 elektrischen Nachrichten, auf Facebook war ein Scheißesturm entbrannt, entzündete sich an einem meiner Posts, ich hatte ein Foto geteilt, ein Pic von 1970, das Bild zeigte eine Ferrari-Studie, den Prototyp eines Flitzers, eines kleinen kompakten Flügeltürers, Model lässig dran gelehnt, ein hübsches Mädchen lächelte in lasziver Pose, das Ganze in gestochenem Schwarzweiß, scharf umrissen, sinnlich. Ich hatte „Scheiß auf die neue Fahrradkultur“ dazu geschrieben.)
(Shitstorm ging die ganze Nacht hindurch, man bepöbelte sich, ein Rennradjünger im Clinch mit einem Autowagennarren, das F-Wort fiel, Fotze hier, Fotze da, Fotzen bis zum Morgengrauen. Als ich das Mail-Programm öffnete, dachte ich, oh, nein, dachte ich und las sämtliche Kommentare, mochte es nicht glauben. Als ich mir das Original auf Facebook anschaute, hatte Fressenbuch den gesamten Thread bis auf die ersten zehn noch recht unverfänglichen Beiträge bereits gelöscht; Schneebesen, Zensur, dachte ich und ließ mich davon pürieren.)
(„Du Fotze, deine Autos verpesten die Umwelt.“ „Du Fotze, es geht nichts über den Geruch von Benzin.“ „Du Fotze, schon mal eine Frau geleckt?“ „Klar, und zwar die Fotze deiner Mutter.“)
Meldung: BAAL III wird mein fünfzehntes Elektrobuch.
Die Fenster stehen auf Kipp, die Wohnung riecht frisch, denn eine seidenweich warme Luft hat vom Steingarten Besitz ergriffen und somit auch von Räumen, Mauern, Waschmaschinen. Seidenweich, geht das Kurzgehose wieder los da draußen, gruselig. Warm die Raumtemperatur, acht volle Monate lang durchgeheizt: September, Oktober, November, Dezember, Januar, Februar, März, April, die Körper, die Heizkörper abgeschaltet erst am Vatertag. Denn seitdem grölt und grinst die Sonne, die Bäume, sie stehen im schrillen Neongrün, das Gras holt mächtig auf, die Vögel, sie twittern, die Nornen, sie lauern, Tauben murren, Türen von Müllcontainern klappern wie Skelette, Türen werden geschlagen, vielleicht waren sie frech. Reifen schnurren wie die Kätzchen, die Reifen fühlen sich wohl. Diesel brummen wie die Bienchen, Diesel tuckern umtriebig, Bratschenklänge von Rollkoffern wie Kammermusik, Ledersohlen gerben sich ihren Weg zu Bus und Bahn, zum Flughafen, man ist mobil, will was sehen und hören von der Welt für Geld. Geht das Weißgehose wieder los bei den Weibern, liederlich, guck nicht hin, Urbanski, lass es, schau nur auf dich, mach Headlines, hier, neu: Kältebus. Milf zum Mitnehmen. Burberry kürzen. Es gibt Regeln. Direkte Rede. Waschpulver, Weichspüler. A-LL 1411, deutsches Kennzeichen. MIL-CH 1412, deutsches Kennzeichen. Mehr so Parvenü. Kunsthartzer?
Hashtag, dass wir nicht lachen.
Satz: Irgendetwas ist mit Rucksäcken.
Ich lege BAAL III hinein, mein elektrisches, dies neue, noch zu schreibende Sommerfibelchen in vier Abschnitten mit je einem Pausengong und einem feuchten Kuss am Schluss, zum Abschied. Doch kommen wir zunächst zur Begrüßung, Chief Angesehen sagt: „Ich wollte ihn jung und verbraucht“; sein Vorwort ist Programm, denn zwischen diesen beiden Gegensätzen schwingt das Pendel hin und her, den einen Tag fühlt er sich jung, jünger sogar denn je zuweilen. An anderen Tagen wiederum weniger, da geht es ihm wie mir, da fühlen wir uns wie weggeschmissen, wie abgelegt, wie ein vergessener Tornister.
Satzzeichen: Irgendetwas ist mit Rucksäcken.
An solchen Tagen muss man sich strecken, den Drecksack am Schlafittchen packen und sagen: Wenn kaum noch jemand an dich glaubt, dann lass dich nicht beirren, davon nicht, im Gegenteil, erhebe, recke und konzentriere dich, box dich warm, fokussiere den Gegner, lass ihn nicht aus den Augen, achte auf dessen Ausweichmanöver, tanz du ihn aus, berausche dich am Kampf und erzwinge den Sieg durch Ausdauer, freue dich wie ein Champion, wie ein Weltmeister im Schwergewicht auf jede neue Sentenz, die aus dem Triumph erwächst, auf jedes Diktum, auf jede neue Zeile, die da kommt, keine Sorge, sie wird dich schon finden, dich umarmen und hochleben lassen, denn schließlich bist du Romancier, ein Job nur für Gewinner.
Irgendetwas ist mit Rucksäcken.
Derzeit scheinen viele einen solchen zu tragen.
Ihr Päckchen, könnte man sagen, könnte man. Klagen?
Satzbau: „Bitte legen Sie keine weiteren Einkäufe mehr aufs Kassenband“, erklingt eine robotische Frauenstimme aus den Lautsprechern bei Lidl, und wir müssen dann doch lachen. Denn, wie gesagt, sie wollen es, sie wollen uns, sie finden uns, sie kommen zu uns, unaufgefordert. Wir müssen nur hinhören, hingucken, hingehen, wir müssen es nur sollen, letztlich. Und machen an dieser Stelle Halt, freuen uns auf die nächste Headline, den nächsten guten Gedanken, nicht wahr, Chief?
Angesehen?
Gespräch: Irgendetwas ist mit Frisuren.
Wie muss ich mir das vorstellen?, fragt eine Freundin am Telefon, Haare bis zur Brust, so lang? Und das mit deiner hohen Stirn? Und das in deinem Alter, füge ich in Gedanken hinzu. Ja. Haare bis zur Brust, so lang. Und das mit meiner hohen Stirn, ja, und das in meinem Alter, sechzig, die neue Null seit April. Und es ist weniger so, dass ich mich nach Vergangenheiten zurücksehne, nicht nur, aber auch, klar. Nein. Ich möchte anecken, auffallen, provozieren, optisch aus der Zeit fallen, der Gegenwart etwas entgegensetzen, dieser Generation, die da draußen umgeht und auf Bildschirme glotzt, diesen Kopfrunters, diesen Bald-Angepassten, diesen Demnächst-Spießern, diesen Nichtraucher-Vegan-Gendernazis. Mit Kinderwunsch, mit Kaderplanung, dreisprachig zu gebären, wenn möglich, eins: deutsch. Zwei: Englisch. Drei: Gesangsunterricht. Altklug in Reih und Glied, einreihen, Reihenhaus, in Reihe geschaltet, denen kaufe ich nichts ab.
Ist es so? Dass nach der Generation Traumschloss, der Generation Verpiss-dich, der Generation An/Aus nun die Generation Genau das Sagen hat, und wenn ja, was hat sie mitzuteilen? Nun, scheinbar eine ganze Menge, wenn man sie so sieht, den Kopf unten, den Kopf am Headset, und jedes zweite Wort lautet „genau“. Genau dies, genau das, M, AM, genau.
Die Affirmativen: Lieb sein, alert bleiben, Optionen offen halten, derer gibt es viele, zu viele? Bin ich ungerecht, liege ich falsch? Steht 17:04 in Beziehung zu 17 und 4? Wie spät ist es? Traumschloss: „Frank, dein Haar brennt“, LSD-Gelage, 1973. Alle lagen irgendwo rum, einer fing Feuer. Verpiss-dich: Ich bin ein Antichrist, Sex Pistols, 1977. An/Aus: Alles nach 1990. Genau: Alle um 1990 Geborenen.
Gesang: Irgendetwas ist mit Frisuren. Haarige Angelegenheit, könnte man sagen, könnte man. Klagen, Hashtag: Neudeutsch.
Kartendeutsch, keinerlei Angriffsflächen bieten.
Nicht wahr, mein morsches Kind?
„Sie haben also zugeschlagen.“
„Ja, und zwar so was von! Chucks! In Grau! 69,99 Euren! Mit den bis dato weißesten Schnürsenkeln meines Lebens! Wie weiß sind die denn bitte!?“
„Toll.“
„Dazu noch ein zweites Paar 501, tiefseedunkelblau! 99,95 Euren! Gekauft! Von meinem Geburtstagsgeld! A! A! Apfelpo!“
„Blues der Besitzlosen.“
„Optik!“
„Jazz der Trostlosen.“
„Oberflächen!“
„Soul der Seelenlosen.“
„Äußerlichkeiten!“
„Scheinen Ihnen ja mächtig am Herzen zu liegen, mein Bester.“
„Nur! Nur noch!“
„Wie auch immer, gehen Sie mal davon aus, dass ich derlei Tand aus dem Manuskript streichen werde, und zwar ohne mit den Wimpern zu zucken. Persönliche Eitelkeiten sind passé, was zählt, ist die Gemeinschaft.“
„Entfernen? Ohne Rücksicht auf Verluste?“
„Genau so ist es.“
„Sie haben genau gesagt.“
„Genau.“
„Bitte künftig auf die Wortwahl zu achten, ich bin da, nun ja, etwas empfindlich.“
„Gestrichen.“
„Sekunde, Sie mögen zwar der zuständige Redakteur sein, aber noch bin ich hier der Autor, noch bestimme ich, was reinkommt, was nicht.“
„Sucht sich das Meer sein Wasser aus?“
„Apropos Sucht, wussten Sie, dass ich seinerzeit in siebzehn verschiedenen Stammkneipen gleichzeitig verkehrte, sage und schreibe? Habe mir neulich mal jede einzelne namentlich ins Gedächtnis gerufen: Eins, zwo, drei, vier, fünf, sechs, sieben, acht, neun, zehn, elf, zwölf, dreizehn, vierzehn, fünfzehn, sechzehn, siebzehn, habe die Ehre. Na, Chief, was sagen Sie dazu? Chief, hallo? Angesehen?“
Er meint es ernst, es wird Streichungen geben, Kürzungen, was nichts anderes heißt, als dass ich vieles, wenn nicht sogar das meiste neu dichten muss, wenn Chief Angesehen mit mir fertig ist, sozusagen. Geschichten wie „Er singt ja auch sehr gern“ wird es dann schlicht und einfach nicht mehr geben: zu dreist, zu dumm, zu sehr im Meldewesen verhaftet. Und das Feuilleton fällt ihm derweil auch noch in die Arme, gestern ging nämlich die erste Rezension von OINOWSKI ein, verfasst von MG Moabit, einem Kritiker aus der Hauptstadt: