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Dreiklang, drei Bücher swingen 2015; MAN HUMAN HERE, das erste und die Frage, ob man Hashtags wirklich rauchen kann. PRO MONO, das zweite und die Frage, ob Nasenduschen mit Bukkake gleichzusetzen sind. KNSTNGGR und die Fragen: Ist das dein Hamburg, dein Massengrab? Heute schon genickelt, nein?
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Stephen Urbanski
KNSTNGGR
Neue Dramen Hamburg-Nord
Redaktion: Gus Bacchus
Cover: Tom Möller
Support: Jason B. Saiks
Best Boy: Jons-Uwe Kawulski
© Urbi et Urbanski Hamburg 2016
Elektrobücher –
TODE$$CHLAGER – Die Charts der Neuen Armut:
TAUBENHHEIM – Erstes Buch Armut
HHAU – Zweites Buch Armut
HHÄRTZCHEN IN DER GRUBE – Drittes Buch Armut
ABSCHAUMDÖRFER – Viertes Buch Armut
DER GESTANK DER GROSSEN WIESE – Letztes Buch Armut
Zweieinhalb Fibeln Anmut – Hamburger Realgrotesken:
GRUHHL (Private Poverty)
HHOOLAHOP (Momentum)
HHUG (Van Hool)
HASPDEHHXXX – Ein Facialbook in Echtzeit
NUUL – Poetry
MAN HUMAN HERE – Ein elftes Hamburger Elektrobuch
PRO MONO – Ein zwölftes Hamburger Elektrobuch
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„Denn ich habe mich getäuscht, habe mich all die schröcklich dunklen Jahre hindurch geirrt: Ich bin gar kein Sozialhilfeempfänger, nein, bin ich nicht. Ich bin Künstlersozialhilfeempfänger; ein wesentlicher, ein gravierender Unterschied. Daraus erwachsen Obligationen, ich bin der reinen Kunst verpflichtet; ihr mag es recht sein, genehm oder schlicht scheißegal, ob ich weitermache, mir nicht. Ich muss, ich kann nicht anders. Außerdem lief mir gestern ein neues Kennzeichen über den Weg: NE-GA 1887. Urbanski, Kunstnigger. Licht, Liebe, Schmerz.“
Aus: Stephen Urbanski, PRO MONO – Ein zwölftes Hamburger Elektrobuch, Kapitel: So schmeckt die Heimat, Artikel 3
Und was machst du da?
Regenbänder vagabundieren seit Tagen, Regenbänder stauben Stadt, Getier und Menschen ab. Sind die Fälle durchgezogen, beginnt der Herbst. Noch ist Sommer, kalendarisch zumindest, die da draußen schreiben ihren 19. August 2015 bei 14 Grad Celsius und 99 Prozent Luftfeuchte. PRO MONO ist noch nicht erschienen, Kate Basch liest noch einmal gegen, du sitzt groggy in deinem Verlies und bist gespannt auf das Ergebnis. Sitzt Hand in Hand mit der Sparflamme am Küchentisch und drehst dir einen Kleinen. Sitzt Schulter an Schulter mit der Sparflamme am Layouttisch und überlegst. Was ist deine Rolle? Spielst du überhaupt noch eine? Die des beschäftigungslosen Asozialhilferentners? Ausgemustert, weil „erwerbsgemindert“? Soll heißen, nur noch bedingt in der Lage, zu arbeiten, einer geregelten Beschäftigung nachzugehen. Im konventionellen, im bürgerlichen Sinne. Bürger, zur Arbeit, zur Freiheit.
Du sitzt Auge in Auge mit der Sparflamme am Schreibtisch, arbeitest nach deinen eigenen seligen Regeln an KNSTNGGR. Tom Möller hat dir ein großartiges Cover gestaltet, Rot die Fläche, ein politisches Rot, ein rufendes, ein patiniertes Rot indes wie das jener Propagandaplakate aus den hektischen Zwanzigern, eines, das aussieht, als wäre es der Strahlung einer sozialistischen Sonne zu lang ausgesetzt gewesen.
Brüder, zur Sonne, zur Freiheit.
KNSTNGGR, die Typo des Titels nennt sich Commodore, Retro, Achtziger, Spielkonsole, Erstnerds. „Weil du ein digitaler Kunstnigger bist“, meint Tom. Namens- und Unterzeile sind in Futura, Kunst und Halle. Kulturnigger. Mit Perlenketten um den Hals zu skeptisch geschürzten Mündern. Rucksackträger. Die jeden Tag neu befüllt sein wollen, mit Eindrücken, mit Anregungen. Gern auch kontroverser Art, diskursiver Natur. KNSTNGGR soll das leisten. KNSTNGGR vagabundiert durch das Leben eines Ausgemusterten, ähnlich, wie es seine Vorfahren hielten, die TODE$$CHLAGER, Zweieinhalb Fibeln Anmut, HASPDEHHXXX, NUUL, MAN HUMAN HERE, PRO MONO. Nur anders. KNSTNGGR kehrt aus Richtung Süden kommend zurück in die Stadt, passiert die Elbbrücken, macht Halt an einer Tanke, steigt aus und sieht den Obdachlosen, der heimatlos vorm Eingang auf Betonstufen kauert, einen Pappbecher heißen Kaffees in seinen klammen Händen. Eine milde Gabe des guten Geistes, des jungen schwarzen Recken, der dort in der Esso die Nachtschicht abreißt. Ein schöner Mann mit sanfter Stimme und ebensolchen Augen. Ein Freund aller Menschen, egal, ob arm oder reich.
Reich mir mal die Nächte rüber, denkst du, denkt KNSTNGGR.
Nachts tanken die Sterne Wärme.
Sex Euren am Tag zum Leben bedeutet: keine Bohnen, weniger Milch, keinen Zucker mehr. Keinen Milchkaffee des Morgens, Procedere fällt aus: Bohnen mahlen, Milch aufsetzen, aufschäumen, Pulver durch den Filter laufen lassen, Kaffee in einen französischen Bol kippen, Milch dazu, einen Löffel Zucker rein, herrlich. Stattdessen den Instant-Trash, irgendeinen Nescafé-Verschnitt. Womöglich nicht mal den mehr. Es gilt, alles zu vermeiden, was zur Zigarette führt; Sex Euren pro Tag bedeutet: Rauchen aufgeben, Rauchen einfach lassen, von heut auf morgen, von jetzt auf gleich, ähnlich wie beim Alkohol vor mehr als sieben Jahren. Rauchen aufgeben heißt: keine Papers mehr, keine Feuerzeugbenzine. Oh, meine Zippos, was werde ich euch vermissen, was habe ich euch geliebt. Keine Filtertüten, keinen Tabak, Schluss mit dem magischen Doppeldecker, der mir den ersten Höhenflug des Tages zu schenken pflegt, Schluss mit den Helikoptern im Blut, den Rundflügen über Seelenschlackenhalden. Sex Euren bedeuten schwarzen Tee, wobei sich zwangsläufig die Frage nach Diskriminierung stellt; zwar mag Hagebuttentee gerade noch als Roter durchgehen, dennoch, von Weißem oder Gelbem ist mir nichts bekannt. Sex Euren bedeuten Morgenbeutel, einen kleinen Schuss kalte Milch dazu, fertig. Im englischen Stil halt, auch nicht schlecht. Neuen Stil schöndenken. Neuen Stil schönsprechen, performen: Morning, Sir, thou shalt be nuked.
Sex Euren bedeuten: kein gekauftes Wasser mehr, keine Gebinde, keine Sixpacks. Keine Pfandautomaten mehr, kein Anstehen, keine Zeitfresserei, kein Starren auf fremde Hinterteile, stattdessen Wasser aus der Leitung, solange es noch läuft. Eiswürfel dazu, solang noch Strom kommt. Solang noch Kühlschrank ist. Der funktioniert, der Schrank, der muss. Alle müssen funktionieren, Waschmaschine, Bügeleisen, Staubsauger, Rechner, Handy, Telefon, Stereo, Toaster: unklar. Verzichtbar. Keinen Toast mehr, toasten kostet Strom. Strom ist woanders wichtiger, Stihl bewahren, wo ist meine Kettensäge?
Sex Euren bedeuten: Keine Brotbeläge mehr, nur noch Butter und Salz, und ja, Gott erhalts. Müsli dazu, Joghurt pur dazu. Und was ist mit den Leinensamen? Kleiner Scherz mit der Grammatik. Kleiner Scherz mit Ohrenkneifern. Weiter im Ernst, Brot: nur noch vom Bäcker, keinen Dreck von Needl mehr, deren Backwaren sind der reinste Betrug. Vollkorn mit Schrotkugeln. Unethisch. Und schlecht, wenn nicht sogar gefährlich für die Zähne. Zähne sind so wichtig; mir ist nach weißen Kreidefelsen.
Ab und an die Dosensuppe. Gulasch, Tomaten, hin und wieder Tütensuppen, Frühling, Bückling, Ei dazu? Schmeckt. Keine Lebensmitteltafeln, mögen zwar aller Ehren wert sein, doch helfen am Ende nur der Industrie, die Entsorgung abgelaufener Mittel einzusparen, zweizusparen, dreizusparen. IV-zu-sparen, die Uhr tickt, die Uhr zählt runter. Außerdem kann man dort nicht mit Karten zahlen, Tafeln kennen keinerlei Payback, Tafeln kennen keinen Bonus, umtauschen geht auch nicht, angenommen, das Weinchen schmeckt nicht, das Weinchen ist zu jung. Da staunt der Fachmann, und der Fachmann wundert sich. Gott, wie mich das alles anwidert. Her mit der Kettensäge, komm schon, Gott, wir gehen töten, wir killen dies System, wir fangen oben an, gehen runter bis zur Bückware, komm schon.
Gott, mir ist nach Massenmord.
Gott, lieber gütiger Gott, der du sitzt im Helikopter, mir ist nach Koffein. Mir ist nach Nikotin. Mir ist nach einem Break.
Medium mit Zwiebeln, Knoblauch und Salat. Toast dazu?
Unbedingt. Und zwar den mit den frischen Feuerzeugsteinen.
Das Mountainbike muss weg. Hinterrad hat eine Acht, Hinterrad muss zentriert werden, überzentriert werden, kostet dreißig Euren. Wenn die Speichen halten, Speichen machen dies eventuell nicht mehr mit, sagt der Schrauber. Bike ist zwanzig Jahre alt. Verkauf es, sage ich, ich will einen Hunderter dafür, Bike hat mal viel Geld gekostet. Tausend Geld, sage ich. Gehe sowieso lieber zu Fuß, denke ich, jeder Gang hält schlank, denke ich. Fahrräder sind was für kleine Jungs, denke ich, Männer fahren Maserati. Oder Bus. Oder Bahn, U1, U2, U3. U4 demnächst und der Schrauber lacht, sagt, kannst froh sein, wenn du einen Fuffi dafür kriegst, wenn überhaupt, HH. Schrauber lacht. Ich lache mit. Nicht. So geht das in einer Tour. Komme mir allmählich vor wie in der DDR, Mängelwirtschaft. Ich war nie in der DDR. Ich bin ein Kind der BRD. Was mittlerweile auch egal ist, jetzt, wo alle gleich sind. Täuschland, einig Einigkeit. Heiligkeit und Rechts und Scheinheit. Für diejenigen. Die sich das alles leisten können, die sich. Das alles leisten wollen, die. Dazu imstande sind.
Zu Fuß. Hier weg. Muss gehen. Irgendwie.
Du bist herzlich eingeladen. Eingeladen, vorzufahren, vorzugsweise in irgendeinem Mainstreamdiesel, denk dir einen aus, nimm eine Marke deiner Wahl, sind sowieso alle gleich – beliebig, austauschbare Nähmaschinen. Fahr vor. Lass laufen. Ganz wichtig: Handbremse reißen. Alle raus, aussteigen, deine doofe Torte, die du dir beizeiten ins Gesicht schmieren solltest, deine doofen Kinder, nennen wir sie Moto und Bécane, du weißt schon, nach dem legendären Rennradhersteller, dem französischen, ist doch was für dich, oder? So schön traditionell, so – wertig, so – crafty. Stehst du doch drauf. Aussteigen und gestikulieren. Reden, reden, reden, hierhin laufen, dahin gucken, guck mal, Backstein, Gebäude-Schmerz, Ensemble-Schmerz. Vorsicht an der Bordsteinkante. Dinge in die Hand nehmen, Dinge aus der Hand geben. Wenn du gut bist, und, bei Gott, das bist du, dann ist es ein Rollkoffa, klappa, ratta, Rollkoffa, mal hören, wie er sich macht, auf dem neuen – Trottoir. Komm her, zunächst mal zur Probö, sehen, wie es sich anfühlt, hier in meinem Quartier, hübsch: die Leute mit den Hunden draußen, die werden hier zum Arschficken ausgeführt, hübsch: die Mittelmütter mit den Mittelkinderwagen, hübsch: das kleine Café, natürlich das eines Portugiesen, hübsch: das kleine Restaurant, natürlich das eines Portugiesen, ach: Urlaub. Ach, das Mittelmeer, die Algarve, der Atlantik, ach, die große weite Welt, gar nicht so weit weg. Den Rest gibt’s dann im Fernsehen, oder im Netz, oder, oder, oder, so viel, so gern, so schön, so immer, so weiter, und der Diesel läuft, und das Vorhaben läuft, Pläne, Pläne, Pläne, so, nun alle wieder einsteigen, klapp, klapp, die Türen, so, jetzt umständlich rückwärts raus aus der Parklücke, hui, hui, hui, so, und nun verpiss dich. Sehen uns.
Nicht.
Hoffentlich.
Nie wieda.
(Ist hier noch Platz für ein Wohnmobil?)
War dabei, als ich beim Amt anrief, um Aufklärung zu erhalten. Wollte die Frage beantwortet wissen, wieso die letzten beiden Leistungsbescheide um schlecht 200 Euren niedriger ausfielen als die vorangegangenen. War dabei, als eine weibliche Person rechts schnell das Gespräch entgegennahm. Die sich redlich um einen neutralen Tonfall bemühte, wenngleich ein unbotmäßig scharfer Unterton in ihrer Stimme erahnen ließ, was sie von meinesgleichen Leuten hielt, wenig bis gar nichts nämlich. Was zwar absolut auf Gegenseitigkeit beruhte und beruht, dennoch, ich war und bin bei solchen Anlässen von geradezu ausgesuchter Höflichkeit, pflege stets auf meine Wortwahl zu achten, wenn ich mit Crap zu tun habe. Sage obschon statt wobei, fürderhin statt künftig, fürwahr statt – nicht wahr. Rechts statt recht, allein, um mich abzugrenzen. Crap ist für mich nicht existent, als Person, als lebender Organismus nicht. Crap bleibt Crap, ist entsprechend kurz und schmerzlos abzufertigen.
War dabei, als Crap mich anfuhr, ich möge mal lesen lernen. Crap würde lediglich jene Beträge anweisen, die im betreffenden Monat anlägen. Liegt beispielsweise keine Jahreswasserabrechnung vor, liegt beispielsweise keine Heizungsabrechnung vor, liegt beispielsweise keine Jahresabrechung der Betriebs- und Nebenkosten vor, dann. Nicht. Dann. Keine. Knete, also Gelder. Ansonsten hätte Crap zu tun, hätte noch einen „Arsch voll Arbeit“, hieß es.
Wenigstens etwas, dachte ich müde. Obschon ich während des Telefonats gelernt habe, dass Versorger wie Hamburg Wasser keine zwölf Raten einziehen, sondern dass dieser eigentlich letzte Abschlag tatsächlich in und mit der Jahresabrechnung verrechnet wird. Was meiner Logik widerspricht. Meine Logik sagt: Zwölf Raten aktiv zahlen, erst danach wird abgerechnet, eigentlich, tatsächlich.
War dabei, als sich meine kleinen mauen Zellen bemühten, diese Zeilen in verständlicher Wortwahl zu Tastatur zu bringen; im Gegensatz zum kryptischen Paralleldeutsch besagter Leistungsbescheide. War dabei, als es mir gelang, Crap statt Dreck, Scheiße oder Fotze zu tippen. War dabei, als ich mir im Traum vergangener Nacht einen Hochprozentigen nach dem anderen auf ex in meinen gepeinigten Schlund schüttete. Schmeckten, als hätte ich nie mit dem Trinken aufgehört. Vielleicht sollte ich fürderhin wieder damit anfangen, obschon ich mir geschworen hatte, mit Crap dieser Art fürwahr – nicht wahr?
Schlecht schreiben, wenn gut gemeint ist.
Gestern Abend auf der Straße gehört: „An alter Stelle, in alter Frische.“
Der Fußpilz ist weg, komplett. Mein Hausarzt hat ganze Arbeit geleistet, die richtige Salbe verschrieben, Nebenwirkungen?
Gestern Abend auf der Straße gehört: „An alter Stelle, in alter Frische.“
Die rechte Schulter ist soweit wieder hergestellt, Orthopädin und Hausarzt haben ganze Arbeit geleistet. Sie hatte mir seinerzeit eine Ellenbogen-Spange verschrieben, er mir drei Cortisonspritzen verpasst; Rest regelt der Körper von allein, meinte mein Arzt. Nebenwirkungen? Traf eine Nachbarin die Tage, sah aus wie ein Gespenst, totenblass, tiefe Augenringe, sie humpelte. Wäre an jenem Tage das erste Mal seit Wochen wieder draußen, meinte sie, hätte sich die Hacke gebrochen. Wie das?, wollte ich wissen. Cortison, meinte sie, jahrelange Einnahme, meinte sie. Geht von ganz allein, meinte sie.
Gestern Abend auf der Straße gehört: „An alter Stelle, in alter Frische.“
Mit der Analfissur ist das so eine Sache. Zwar hat der Heiler ganze Arbeit geleistet, die Globuli aus Padaborn haben den Punkt getroffen; je nach Tagesform sind die Beschwerden entweder fast verschwunden, auszuhalten, dann und wann jedoch erneut von penetranter Aufdringlichkeit, es juckt, es brennt, es schmiert. Habe beschlossen, den Riss zu einem Teil von mir zu machen, ähnlich wie den Seelenkrebs, der mir seit Jahren wie ein zweiter Schatten folgt. Beschlossen, kein Messer ranzulassen; mein Bedarf an Kittelmenschen wie Chirurgen, Rot- oder Blaukreuzschwestern, schmallippigen Berichtswesen und Kassenarbeitern, Apothekern oder sonstigen Um- und Nachsorgern ist für dieses eine Leben mehr als gedeckt. Und falls das alles nichts hilft, kann ich immer noch zum Hündchen mutieren und mich zum Arschficken mehrmals täglich ausführen lassen.
„An alter Stelle, in alter Frische.“
Die beste Krankheit taugt nichts, so lautete einst ein geflügeltes Wort; wie so viele Altvordere benutzte es auch mein Vater sehr gern und dann und wann, falls mal was war, ein Schnupfen, ein Steinschlag, sprich: Verstopfung. Mein Vater ist schon lange tot, starb qualvoll an Krebs vor bald dreißig Jahren. Mancher Krebs, selbst der beste, taugt nichts.
Erkenntnis.
Autowagen sagt: „Der geht Style.“
Die Fenster, die Türen, die Zargen, die Fliesen, die Flächen, die Rahmen, die Leisten, die Ritzen, sämtliche Oberflächen sind mehr als fällig, müssen dringend behandelt, gereinigt, geputzt, gewischt, gesaugt, poliert und konserviert werden.
Gewaschen werden: die auf Maß gefertigte Gardine im Bad. Der Duschvorhang. Die edlen Vorhangstoffe aus purer Seide im Wohnzimmer. Im Schlafzimmer. Dringend runter und rein. Dringend runter und raus, ab mit ihnen zur Reinigung. Heute im Angebot: Drei Oberhemden statt IV zum Preis für fünf. Mal alle fünfe teurer werden lassen. Konzept. Idee. Umsatz. Gewinn. Wachstum. Wohlstand. Reichtum. Ist man reich, kann man andere machen lassen, ja, lassen. Lassen ist mein Lieblingswort. Lassen liegt mir, sagte ich das bereits? An anderer Stelle, in alter Frische? Zum richtigen Zeitpunkt das richtige Wort?
Autowagen sagt: „Der geht Style.“
Vielleicht stimmt das gar nicht, vielleicht ist Reinheit ein Trugbild, denn bei näherem Hinsehen entpuppen sich die meisten Autowagen als schmutzig, weisen eindeutige Gebrauchsspuren auf, rosten an Stellen, Müll liegt auf Fußmatten, Aschenbecher sind benutzt, oder ein Täubchen hat im Flug Treibstoff abgelassen, einmal rüber über den Lack, die Haube, das Dach.
Tauben gehen gerne fliegend kacken.
Autowagen sagt: „Der geht Style.“
Vielleicht ist alles Kunst. Sollte ich meine verdreckte Behausung zur Kunst erklären. Ich wohne in Kunst. Ich schlafe in Kunst. Ich lebe in Kunst. Kunst ist Leben, jede Sekunde, jede Begegnung, jedes Geräusch. Jeder Ton macht die Musik. Jeder Atemzug die Luft. Jede Bewegung den Schritt. Den entscheidenden Schritt nach vorn. Bis es nicht mehr geht.
Autowagen sagt: „Der geht Style.“
Alles wiederholt sich, so auch ich mich.
Geburt ist Leben ist Sterben ist Kunst.
Urbanski, Abnippelnigger. Irgendwann, wenn seine Zeit gekommen ist. Weiß nicht, kann man das so sagen? Oder ist das pornografisch? Werde ich dereinst auf der Bahre liegen im finalen Spermabad der Zeit, einen letzten Schluckauf als Reflex, bevor das Leben verrinnt, der Tod zum Tropfen wird?
Es ist okay, am Küchentisch zu sitzen, sich einen Kleinen zu drehen und dem Bauerwartungsland da draußen zuzuhören. Fenster und Balkontür stehen offen, schließlich steht hier noch Sommer auf der Verpackung gefälligst. Irgendjemand hantiert mit den Klappen einer Müllcontainertür, klapp, klapp, danach herrscht wieder Ruhe; vielleicht hat man sich gefälligst selbst entsorgt. Irgendein Rollkoffer rumpelt die Straße entlang, macht ein Geräusch wie das eines vorbeifahrenden Zuges. Ich gehe zum Fenster, strecke und dehne mich, sehe eine fette Halbarmtätowierte in schwarzen Topfetzen zur kurzen Camohose, eine grell Blondierte mit weißen Vandalensocken in Sandalen, die den Koffer zieht; Padaborn ist augenscheinlich eingetroffen. Es schüttelt mich, ich kehre zum Küchentisch zurück, nehme erneut Platz und beginne, die Fenster des gegenüberliegenden Blocks zu scannen in der vagen Hoffnung, die nächste Gefälligkeit zu erblicken. Vor Zeiten wohnte dort im obersten Stock eine schwarzhaarige Schlampe, die sich gern zu zeigen schien, ihr zwar mittelaltes, wenn auch üppiges Drüsenfleisch wahlweise in schwarzen oder roten BHs zur Schau stellte. Was mich wiederum stehenden Gliedes zur Toilette stürzen ließ, um zu gucken, ob das Waschbecken frei war.
(Im Traum wird mir ein Schriftstück übergeben, in welchem akribisch sämtliche Sozialleistungen der vergangenen Jahre aufgelistet sind, Position für Position, die Hilfen zum Lebensunterhalt, alle angefallenen Wohnungskosten, selbst jene für Fort- und Weiterbildungen wie EDV-Schulungen unter dem Motto „Auf ein Word“ bei „Arbeiten & Dergel City Nord e.V.“.)
Es ist okay, am Küchentisch zu sitzen und sich die Fingernägel zu schneiden; seltsam, mit welch schöner Regelmäßigkeit ein gerade erst Geschnittener von der rechten Hand abzuspringen weiß und irgendwohin verschwindet, manchmal findet man ihn auf dem Tisch, beispielsweise hinterm Brillenetui oder keck im Aschenbecher lagernd; doch in der Regel landet sowas auf dem Boden mehrere Meter entfernt – erstaunlich, welch enorme Sprungkraft solch ein Altnagel entwickeln kann.
(„Die Nachzahlung Hamburg Wasser in Höhe von 44,01 Euro wird mit den Leistungen für September 2015 überwiesen, schließlich sind wir per Grundsicherungsgesetz dazu verpflichtet. Selbstverständlich werden auch alle weiteren Kosten künftig übernommen, so, wie Sie es seit Jahr und Tag gewohnt sind.“)
Ich finde den Nagel vor einem Stapel alter Karten aller Sparten rechts auf dem Tisch, zumeist handelt es sich um Eintrittskarten irgendwelcher Bundesligaspiele oder solche von Begegnungen aus den Untiefen der Hamburger Oberliga; eine Broschüre zum „Tag des offenen Denkmals“ von 2014 ist ebenfalls darunter, zuoberst liegt ein Zettel mit dem Vermerk „Brechen Gnädigste auch Bahn?“. Der Spruch ist toll, wenn auch nicht von mir, kann mich zumindest nicht erinnern.
(„Sie und wir wissen jedoch, dass Sie ein Leben in Schande führen. Haben Sie schon einmal darüber nachgedacht, diesen nichtswürdigen Zustand ein für alle Mal zu beenden? Frau Korinth steht Ihnen bei Fragen zur Durchführung werktäglich zwischen 08:00 Uhr und 08:30 Uhr unter der Anwahl 040/88 88 88 mit Rat und Tat zur Seite. Besagte halbe Stunde reicht in der Regel, darin haben wir Erfahrung, das dürfen Sie glauben. Langer Rede, geldlich Sinn, Sie würden sich und der Gemeinschaft unbescholtener Steuerzahler, uns allen also, einen wahrlich großen Gefallen erweisen. Denken Sie bitte in Unruhe darüber nach, rufen Sie uns bald an. Das Gespräch ist kostenfrei, wenn auch nicht umsonst. HH, Heil Hitler.“)
Es ist okay, am Küchentisch zu sitzen und nach einer passenden Antwort zu suchen, nach einem geeigneten Satz: „Jetzt bloß nichts ans Zeug flicken lassen“ wäre so einer. Ein toller Spruch, ein Diktum mit Tradition, wenn auch nicht von mir.
Sofern ich mich rechts erinnere.
UE-EI 1919, Kennzeichen, neu. Es gibt keine neuen Kennzeichen, es gibt nichts mehr zu vermelden, alles bleibt wie es ist. Selbst der Sommer geht seinen sozialistischen Gang, geht dem Ende entgegen. Ich habe mich entschlossen, nichts mehr zu machen, in der Wohnung nicht, nirgends. Habe beschlossen, nicht mehr so deutsch zu sein, so gründlich, so ordentlich, so – pedantisch. Hasen betrachten, dann fangen, pfeffern und darin liegen lassen, so könnte die Losung lauten. Leben Sie einfach, leben Sie weiter, denke ich, beschließe, mich fürderhin zu siezen und gönne mir eine persönliche Klatschminute, klatsch, klatsch, klatsch, die Hände zum Himmel zur Feier des Tages.
Ein Männlein steht im Wal.de: Es kann jetzt nur noch darum gehen, mit Freu.de und in Wür.de kalt zu werden. Apropos Bür.de, apropos Wür.de – geht noch was mit uns beiden, mein Deutschland? Sind wir noch zusammen? Oder leben wir schon getrennt? Gibt es Pfannen, Gerichte? Sind die Anwälte bezahlt? Was ist mit den Kindern? Sind sie versorgt? Haben wir überhaupt welche? Wurden wir überrascht? Sind wir geläufig?
Braten wir uns ein Ei drauf?
Keine bezahlten Kinder.
Keine Sterbegeldversicherung.
Rettet den Wald.