Zweieinhalb Fibeln Anmut - Stephen Urbanski - E-Book

Zweieinhalb Fibeln Anmut E-Book

Stephen Urbanski

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Beschreibung

GRUHHL (Private Poverty), HHOOLAHOP (Momentum) und HHUG (Van Hool) sind Miniaturen, Surrealsatiren, Maximalskulpturen, sind ZWEIEINHALB FIBELN ANMUT – ein vorläufiger Schlussakkord der TODE$$CHLAGER-Festivalreihe.

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Stephen Urbanski

Zweieinhalb Fibeln Anmut

Hamburger Realgrotesken

BookRix GmbH & Co. KG81371 München

Das Hamburger Du

GRUHHL (Private Poverty), HHOOLAHOP (Momentum) und HHUG (Van Hool) sind Miniaturen, Surrealsatiren, Maximalskulpturen, sind ZWEIEINHALB FIBELN ANMUT – ein vorläufiger Schlussakkord der TODE$$CHLAGER-Festivalreihe. Perdu? Verloren? Non, Madame, Monsieur. Per Du mit der Dunkelheit hinter Euren Zähnen.

Zweieinhalbmal Danke

Götz Göpfert von Artdirectors Alliance fürs erneut inspirierende Coverdesign, für die Idee, das Fotomotiv „Eineinhalb Räumungen“ zu verwenden, geschossen am Thiedeweg in Hamburg-Hinschenfelde im Dezember 2006. Danke Freund und Supporter Jason B. Saiks für die Rettung jener Datei, bevor mein altes Panasonic-Handy seiner endgültigen Bestimmung zugeführt wurde. Merci Alain Danser für die Kurzeinführung in die Tücken der Metallurgie. Danke allen Daunenwesten und Weihnachtsmärkten. Danke Hamburgs schönsten & der Welt. Fron Flug- & Freihafen noch.

Chef vom Dienst

„Das Birnenblei ist das beste Blei“, meinte ein Nachtangler ungefähr irgendwo an der Elbe vor zirka vielen, vielen Jahren.

 

„Das Birnenblei rollt, das eckige Blei, das hakt.“

Pinkepank

Neu in Norn?

Urbanski / GRUHHL

(Private Poverty)

Impressum

Stephen Urbanski

 

GRUHHL

 

(Private Poverty)

 

Redaktion: Sony Bitter

Support: Jason B. Saiks

Best Boy: 8 Cent

 

© Urbi et Urbanski Hamburg 2013

 

urbi-et-urbanski.tumblr.com

 

facebook.com/stephen.urbanski.75

World of Parking

„Leben, wo Hamburg aufatmet“ tönt es vom Schilde, breitbeinig, plakativ hingepflanzt vor dem Grundstück Theresienstieg, Ecke Auguststraße auf der Uhlenhorst, wo bald ein weiterer dieser prätentiösen Plattenbauten für Besserbeschäftigte und Neureiche entstehen wird. Irgendwas Weißes aus geschäumten Beton mit grauen Stahlfenstern, irgendwas Gekeiltes samt Tiefgarage zum Parken von Größen, hinten mit einer Spielecke für teure Kinder namens Aurelius (Junge, noch) und Aurelie (Junge, nicht). Diktatur des rechten Winkels zum Durchatmen. Geschafft, endlich Ruhe. Endlich raus aus dem Elend. Hier mal unter seinesgleichen das Leben genießen. In aller Stille, ohne störende Elemente. Ohne Normalmenschen, von Spaziergängern mal abgesehen. Oder jene, die man nur hin und wieder zu Gesicht bekommt, wenn sie an der Straße die toten Blätter mit Rechen zusammenkratzen, hin und wieder gegen Abend, wenn die Löhner ihren schmuddeligen Tag in irgendeiner Kiste verstauen. Und sich in ihre trabantige Trostlosigkeit verziehen.

 

Schild tönt von „hochexklusiven Neubau-Wohnungen“, ich lese „hochexplosive Neubau-Wohnungen“. HHach.

 

GRUHHL.

FREUNDLICH & KOMPETENT

Erstes Kapitel.

Dans un instant

Die Zimmerstraße runter, „Black Licorice“ von Grand Funk Railroad im Ohr, vom 73er Album „We´re An American Band“; Don Brewer, Schlagzeuger und meist nur zweite Stimme hinter der von Gitarrist Mark Farner, kreischt, groovt und schreit sich in diesem Song die cunnilinguistische Seele aus seinem weißen Leib. Obsessiv. Siebziger Acid-Rock in Vollendung. 1973, als Liter noch Gallonen waren. 1973, als Autos noch nach Auto rochen. 1973, bevor die Ölkrise dem blinden Glauben an ungebremstes Weiter-so jäh ein Ende setzte; ein Jahr, nachdem der „Club of Rome“ mit seinem Bericht über die „Grenzen des Wachstums“ der Welt eindrucksvoll vor Augen führte, dass Ressourcen endlich sind, deren maßlose Ausbeutung in naher Zukunft einen hohen Preis fordern werde.

 

Vierzig Jahre später die Zimmerstraße runter, das Pflaster spüren, den Druck frisch hochgejazzter Breitreifen, vier eisenharte Bar unterm Hintern, schwarzer Sattelsex, bar jeden Komforts. An der Ecke Arndtstraße rechts ab und rein, das „La Fayette“, das Reichenrestaurant hinter sich bringen, Kopfsteinpflaster, Knubbelsex. Da, ein Pärchen steht mitten auf der Straße, winkt einem davonfahrenden Citroën hinterher, einem dieser neuen, seltsam verformten Dinger aus dem Oberklassenprogramm jenes französischen Autobauers, das wohl den Geist der legendären DS-Linie neu beatmen soll; „Fantômas“ 2.0. Aus dem geöffneten Schiebedach wird von gepflegten Fingern lebhaft zurückgewunken. Ich umkurve das Paar, befinde mich zwischen beiden Abschieden. Hebe die rechte Hand und winke im Fahren sowohl dem Citroën als auch dem Pärchen in meinem Rücken zu. Gelächter von hinten. Amüsement in meinem Mund. Hamburg ist der Herbstbeginn der Welt.

„Die ist für mein Model“

Falter klebt an der Balkontür, Falter will rein. Wenig Wunder, denn draußen pustet ein frischer Herbstwind jedwede Reste sommerlicher Wärme weg. Daunenwesten sind jetzt wichtig. Also, wenn etwas wichtig ist, dann sind es Daunenwesten. Über Pullovern getragen. Oder über Langarmshirts, von den ganz Mutigen. Selten jedoch über normalen T-Shirts, weil es nicht aussieht. Dünnstoff abgeschnitten unter Dickstoff abgeschnitten: wirkt disproportioniert. Und dann gibt es noch diejenigen Wenigen, die Daunenwesten, schluck: einfach so drübergezogen tragen, auf nackter Haut. Ohne irgendwas drunter. Wie LKW-Fahrer. Polen oder Ukrainer, was an sich kaum einen Unterschied macht. Ups, Verzeihung, ist mir so rausgerutscht. Im Ernst, ich mag  Daunenwesten, Konzept und Schnittmuster imponieren mir: reduziert aufs kleidsam Wesentliche. Ohne Fisimatenten. Ohne Wenn und Aber. Jacke mit abben Arm gleich Weste. So wie Auto ohne Dach gleich Cabrio. Cabrios sind die Enthaupteten unter den Autos. Daunenwesten sind die Hingerichteten unter den Klamotten. Auf die ganz Hamburg abzufahren beliebt.

 

Erinnerungen an den letzten warmen Spätsommerabend: hatte mich auf eine Bank ans Falkensteiner Ufer begeben, vielleicht hundert, zweihundert Meter vom Leuchtturm entfernt. Gegen sieben, wenig los. Der eine oder andere Hund wurde ausgeführt. Das eine oder andere Pärchen ruhte im späten Sand. Der eine oder andere Jogger lief der einen oder anderen Form hinterher. Der Anleger schwankte in der Dünung, wippte hoch und runter vom Wellengang vorbeifahrender Schiffe. Motorboote Richtung Yachthafen Wedel, behutsam. Kleinere Containerschiffe Richtung Hafen, langsam. Fähre von Helgoland, Katamaran, schnell. Sehr schnell. Elbinsel Neßsand im Licht der untergehenden Sonne: unbeeindruckt. Sonne: unbekümmert ihrem Untergang entgegen. Hatte mich dorthin geflüchtet, um dem Lärm von Entdachten, dem Furor der Halb-Armen in meinem Quartier zu entfliehen, ein letztes Mal in aller Stille dem sanften Licht des Abschiedes vom Sommer zu huldigen. Hatte mir die vorletzte Packung Marlboro aus einer geschenkten Stange zollfreier Zigaretten gegriffen zur Feier des Tages. Wollte puren Luxus genießen, nicht erst aufwändig Zigaretten drehen müssen. Wollte jede wertvolle Sekunde inhalieren, die Dämmerung abwarten, das erste kühle Dunkel. Freute mich auf die Kette der Leuchtfeuer am Elbufer, aufgereiht Richtung Hafen mit seinem gleißenden Lichtermeer. Bling, bling, junge Daunenweste näherte sich. Junger Mann, etwas über zwanzig. Schlank. Gerade Haltung, die vieles noch vor sich hatte. „Entschuldigung, haben Sie vielleicht mal eine Zigarette? Würde sie auch bezahlen.“ Befremdlich. Als würde ich jemanden fragen, Entschuldigung, haben Sie mal einen Euro? Würde ihn auch bezahlen. Ich reichte ihm eine. „Haben Sie vielleicht auch Feuer?“ Ich gab ihm welches. Er sog. Er nuckelte, er naschte. „Und?“, fragte ich, „schmeckt?“ „Ich rauche nicht mehr“, meinte er zwischen zwei tiefen Zügen. „Aha“, meinte ich und musste grinsen. „Die ist für mein Model“, setzte er nach, nickte Richtung Wasserkante. Eine wirklich sehr, sehr hübsche Blondine watete vorn im Flachen, spielte anmutig Füßeln und Fangen mit den Wellen, was denen durchaus zu gefallen schien. Mal was anderes als das übliche Geschlendere oder Gewetze, dachten die Wellen und murmelten dankbar. „Bin Berufsfotograf“, setzte die junge Daunenweste erklärend hinzu, nickte und schwieg dann. Schick, klingt ähnlich aufregend wie Berufsfeuerwehrmann, dachte ich schmunzelnd. Klingt ähnlich seriös wie Berufsfußballer, dachte ich und lächelte angetan. „Und?“, fragte er nach einer kurzen Weile, „wollen Sie jetzt einen Euro oder nicht?“ Ich deutete mit dem Kopf in Richtung seiner blonden Modelschönheit, sagte, „kann ich die mal kennenlernen? Würde sie auch bezahlen.“ Seine Augen zwinkerten. Meine Augen lachten. „Geh weg, Weste“, knurrte ich und fletschte die Zähne, spaßeshalber.

 

Falter flattert an der Balkontür, jetzt von innen. Falter muss irgendwie reingekommen sein. Nun will Falter wieder raus. Falter scheint auch nicht so recht zu wissen, was er will.

 

Falter hat das Daun-Syndrom.

& gleich

Guck mal, Rolf & Bernd.

 

Huch, Rocket & Wink.

 

Hey, Möbel & Konsorten.

 

Alles klar, B & K.

 

Hm, Mägde & Knechte.

 

Oh, Uebel & Gefährlich.

 

Ah, Hans & Gabi.

 

Schade, Max & Consorten.

 

Frisch auf, May & Olde.

 

Schau an, Pappnase & Co.

 

Hummel Hummel, Hein & Fiete.

 

Aua, Putz & Partner.

 

„Ich rauche gern“, Scholz & Friends.

 

Sehr wohl, Samt & Sonders.

 

Da, Dumrath & Fassnacht.

 

Amore Tresore, Donner & Reuschel.

 

Auf den Kopf, Kühne & Nagel.

 

Klempnert euch einen, Dichtung & Wahrheit.

 

Fahrt Ford, Storck & Söhne.

 

Von der Ah & Lunk: Hamburg hat die schönsten & der Welt.

 

(An Cotton & Acryl: Ihr seid nicht aus Hamburg. Unethisch obendrein. Rechts und billig. An C&A: bis nie.)

 

(An Butterfas & Butterfas & alle Daunenwesten: Rettet die Welt. Mitsamt Hinz & Kunzt. Jetzt & gleich?)

The Ageist

Es ändert nichts an der Idee, die Idee war gut. Selbst, wenn statt des erhofften Brockens original italienischen Parmesans samt Käsehobel, selbst, wenn statt der erwarteten Schälchen Oliven grün, Oliven schwarz, eingelegt in Chili, selbst wenn, et voilà, selbst wenn statt der Meterware französischen Baguettes am Ende nur frugale Käsecracker angeboten werden, ändert dies nichts an der Idee. Die Idee war gut. Und selbst, wenn für diese Kilometerware vom Laufband eine Spende fällig wird, ändert dies nichts an der Idee, die Idee war gut. Denn als armer Mensch musst du mehr denn je sehen, wo du bleibst. Ideenreich sein. Findig sein, um fündig zu werden. Also warum nicht Vernissagen abklappern? Auf denen es meistens gut zu essen und zu trinken gibt, in der Regel kostenlos, aber nicht, nein, nie umsonst. Die Idee war gut, wirklich.

 

Dabei sind Vernissagen gemeinhin das nackte Grauen. Allein das Wort „Vernissage“ verspricht oft mehr, als es halten kann; die schöne, wenn nicht sogar zutiefst melancholisch deutsche Wendung „Ausstellungseröffnung“ hingegen redet nicht lang drum rum: Kartoffelchip statt Amuse-Gueule. Leitungswasser statt Château Bardot. Kaltes Licht statt Kronleuchter. Punkt. Aus. Bilder. Malerei. Skulpturen. Fotografie. Collagen. Ende.

 

Es gibt zwei Sorten Vernissagen. Zum einen die der sogenannten Jungen Wilden. Wo man sich selbst – feiert. Seinesgleichen Aufgeregte. Seinesgleichen Schnellerregte, die neben dem Stöbern im Netz nach Vintage-Adidas noch Zeit gefunden haben, irgendwas unruhig Urbanes auf Leinwand zu spritzen. Oder einen Baumstamm zu behäkeln. Oder den Rechner rechnen zu lassen. Dazu legt ein Bart auf. Solange er seinesgleichen Töne zelebriert, aus einer – Cloud, beispielsweise, mag das egal sein. Dem Tanz auf dem Wohlan durchaus förderlich. Aber nein, Bart ist ein ganz Schlauer. Bart wildert im Vintage. Also alles vor seiner Zeit. Alles vor – 1987. Das Grauen. Wenn jetzt selbst Söhne und Töchter uns Älteren die Abseitigkeiten Gott sei Dank längst vergangener Peinlichkeiten vor Ohren führen, hört der Spaß auf. Peinlichkeiten wie Sandra: „Maria Magdalena“. Weil Bart das witzig findet, oder, Achtung: kultig. Weil Bart vom Dorf kommt.

 

Dann gibt es die Ausstellungseröffnungen 50plus. Die Künstler dieser Altersklasse haben noch Kunst studiert, und zwar deutlich vor 1987. Erzählen langatmig in ihrer Eröffnungsrede, als Kunststudenten und –studentinnen, also deutlich vor 1987, hätten sie leerstehende Häuser okkupiert, um dort ausstellen zu können. Irre. Eine halbe Stunde später geben sie endlich den Rundgang frei, man steht vor großformatigen Bildern, die Sachen wie ein Abflussrohr zeigen, wohl von Klos leerstehender Häuser inspiriert. Irre. Was egal wäre, gäbe es das Publikum nicht, mithin ein einziger 50plus-Splattermovie. Das ältliche Lesbenpärchen, stumpfe, gräuliche kurze Kampfhähnchenhaare zu wirklich sehr, sehr unfreundlichen Blicken, dazu rückseitig festgeschnallte Tornister, weil man ständig auf Patrouille ist, bebrillt im Krieg gegen das verhasste Patriarchat. Oder jene Dickliche in quietschgelben Strumpfhosen in Stiefeln mit klobigen, hohen Hacken – etwas, was sie wohl für High Heels hält –, zu Walla-Walla-Mantel mit rückseitig angebrachtem Minirucksack in Herzform, weil sie ständig unterwegs ist, auf der Suche nach einem strammen männlichen Muskel, der sie aus ihrer zitronigen Einsamkeit reißt, ein großes Herz, das gnädig über ihren eingefrorenen, geschürzten, schlecht gelaunten Kulturmund hinwegsieht. Mit Wangenwarze komma alt? Unbedingt. Highlight jedoch ist der Klatsch-Opa. Der Klatsch-Opa ist kleinwüchsig, nachlässig gekleidet, weil’s egal ist. Meint Klatsch-Opa. Und steht damit für die Mehrheit frühvergreister 50plus-Splattermovie-Widergänger. Irgendwann lässt man sich halt – gehen. Klatsch-Opa wachsen Spargel aus Nase und Ohren. Was egal wäre, machte es jemanden wie mich nicht schon wieder hungrig. Doch leider gibt’s nur Käseohren. Klatsch-Opa fiel schon unangenehm auf, als er während der Eröffnungsrede permanent Beifall spendend die Hände zusammenschlug, und zwar laut, sehr laut. Um dann draußen vor der Tür zu lamentieren, die Räume würden so sehr hallen. Man entwickelt in Fällen wie solchen schnell und überraschend Sympathien für die islamische Scharia, wo Stimmungsdieben die Hände abgehackt werden. Rettung naht indes aus dem Ausland. Sieht zwar aus wie unser aller Großmutter, redet aber in einem Akzent, wo man kein Raketentechniker sein muss, um amerikanische Ostküste herauszuhören. Weich, dabei akzentuiert, gebildet, bestens zu verstehen – unserem Hamburgisch als deutschem Pendant nicht unähnlich. Sie sei aus Philadelphia. Oh, sage ich. You know Philadelphia?, fragt sie. Und ich muss mir ein Schmunzeln verkneifen. Sie auf den gleichnamigen, überaus leckeren Frischkäse aus dem Hause Kraft hinzuweisen, wäre müßig. Yes, I do, sage ich. TSOP, sage ich, The Sound Of Philadelphia, 1974, sage ich und summe die Melodie. Sie stimmt mit ein und wir lächeln. Sie sei im Ruhestand, Lehrerin gewesen. Beschäftige sich aktuell mit allgemeinen, gesellschaftlichen Fragen. Also mit Fragen zur Gesellschaft. Ich habe keine. Sie meint, es gibt Sexisten, Rassisten und, neu: „Ageists“. Ich mag das Wort. Es handle sich bei den Ageists um Angejahrte, die ihr Alter wie eine Monstranz vor sich her trügen. Disgusting, meint sie. Hätte ihre Schüler seinerzeit gebeten, sie nicht anders zu behandeln, nicht anders mit ihr zu reden, nur, weil sie älter sei. Okay, sage ich seufzend. Und zwinge mich, meine müden Augen von diesem grundgütigen Mütterchengesicht abzuwenden. Merke, dass ich hungrig bin, mein Magen ist ein einziger Leerstand. Fasse den Vorsatz, demnächst eine Europalette Kraft „Philadelphia“-Frischkäse zu ordern, und zwar in der Vollfettstufe. Cracker von Bahlsen dazu? Unbedingt. Und dann besetze ich eine Körper-Ruine und stelle ich mich darin selbst aus, Titel: „Me & My Monstrance“. Alter hat das schönste & der Welt.

Unser aller Sau

Ich lehnte mich aus dem Fenster, rief: „Das musst du mich gerade fragen, Frederik!“ Ich lehnte mich aus dem Fenster, brüllte: „Ausgerechnet du, Frederik!“ Ich lehnte mich aus dem Fenster, kreischte: „Ausgerechnet! Von wegen: Urbanski, du kennst dich doch aus. Von wegen: Urbanski, du bist doch Ex-Hool. Von wegen: Urbanski, was heißt DSF? DSF, Urbanski! Als wüsstest du das nicht ganz genau, Frederik. Als wüsstest du nicht am besten, dass das von einem eurer Zweitliga-Zecken stammt. Von einem eurer Nachwuchs-Hools, einer, der durch die Stadt pilgert und alles damit vollschmiert, DSF, DSF, DSF. Alles, jedes, überall: DSF, DSF, DSF. Was können die Fassaden dafür? Was können die Stromkästen dafür? Was die Brücken, was die Treppenstufen an der Michelwiese? Und ja, ich kenne mich damit aus. Und ja, ich erinnere mich noch an den ungefähren Zeitpunkt, als der Sender, welcher sich damals noch Deutsches Sport Fernsehen nannte, DSF in der Abkürzung, die Rechte an der Übertragung sämtlicher Zweitligapartien erwarb. So auch die eurer komischen Kacktruppe. Und nun hattet ihr den Salat, Montagabend, Santa Pipi gegen Erzgebirge Aue. Santa Paula gegen Köln. Santa Merkwürden gegen Kaiserlautern. Statt euch zu freuen. Statt happy zu sein, dankbar, mal die Spiele live im Free TV sehen zu können. Können, nicht müssen. Aber nein, aber nein, war ja wieder Ausverkauf. Aber nein, aber nein, war ja wieder Seelenverkauf. Aber nein, aber nein, war ja wieder Anbiederung, Ranschmeißen an den Kommerz. Weil ihr ja so unangepasst seid, die Freibeuter der Liga, Independent, Rote Flora. Und dann zog einer von euch los und schmierte. Und dann zog einer von euch los und bestraft seitdem die ganze Stadt. Was können wir dafür? Was kann die Stadt dafür, Frederik? Was die Treppen, die Tribünen an der Michelwiese, Frederik? Und außerdem heißt der Sender mittlerweile Sport 1, Frederik. Ruf mal deine Doofzecke an und stecke ihm das, Frederik. Ihr kennt euch doch alle untereinander, Frederik, vereint gegen den Ausverkauf der Fankultur, Frederik. Sport 1, Frederik. Nicht DSF, du PPenner.“ Danach haben wir erstmal zwei Minuten nicht miteinander gesprochen. Danach haben wir erstmal vier Minuten nicht miteinander gesprochen. Danach haben wir erstmal acht Minuten nicht miteinander gesprochen. Danach haben wir erstmal eine ganze Weile nicht miteinander gesprochen.

 

Gestern an der Alster, Schöne Aussicht: die Feenteichbrücke. Vollgeschmiert, die gesamte Balustrade. DSF, DSF, DSF. Dazu ein Aufkleber: „Der Stadtschmierfink war hier.“ Ich hasse diesen PPenner. Aus zwei Gründen, weil er mich erstens dazu gebracht hat, einen meiner besten Buddies zu Unrecht einen solchen zu schimpfen. Und weil er zweitens unsere schöne, zutiefst melancholische Rechtschreibung nicht beherrscht: DSSF wäre gewagt, aber richtig gewesen. Blöder PPenner.

Quoi (Alain schon)

Alain schreibt: „Koffertierchen. Morgens ist diese Stadt voll von denen. Rennen. Wie Kakerlaken. Verschwinden in Türschlitzen. Bäh. Supereklig.“ Urbanski schreibt: „Diese Stadt will Mini. Diese Stadt kriegt Mini.“ Alain antwortet: „Will Mini, kriegt Citroën.“ Urbanski antwortet: „Sehe ich Anzugträger, könnte ich kotzen.“ Alain antwortet: „Sehe ich Kostümchen, nenne ich sie Votzen.“ „Wotzen.“ „Xotzen.“ Peute schaltet sich ein, sagt: „Bitte wahren Sie Funkdisziplin.“ Alain schreibt: „Wenn, dann SMS-Disziplin, ihr Amateure.“ Urbanski schreibt: „Verpiss dich, Peute.“ Alain schreibt: „Allein schon: die Peute. Kann keinen weiblichen Artikel mehr hören zurzeit. Blöde Zotzen. Wollen dauernd gehostet werden. Warum eigentlich?“ Urbanski schreibt: „Stehe neulich vor der Tür einer Freundin. Klingel, warte, klingel noch mal. Niemand öffnet. Kommt bemerkenswert Hübsche mit Kinderkarre vorbei. Im Wagen Knirps, vielleicht drei. Drei kreischt: will der denn!?“

 

Alain schreibt: „Hä?“ Urbanski schreibt: „Ich sage: der? Dehne: deeeeer? Deeeer will jemanden besuchen.“ Alain schreibt: „Deeeer ist gut.“ Urbanski schreibt: „Gut. Weißt du, was die bemerkenswert Hübsche zu Drei sagt? Deeeeer hat seine Schlüssel vergessen.“ Alain schreibt: „Ja. Genau. So sind sie. Wir sagen: besuchen. Sie machen Wohnen draus. Hosten. Beziehungen. Verhältnisse.“ Urbanski schreibt: „Allein schon. Alleine.“ Alain schreibt: „Allein schon: die bemerkenswert Hübsche. Kann keinen weiblichen Artikel mehr hören zurzeit.“ Urbanski schreibt: „Unterschrieben. Allein schon: die Verkehrsverhältnisse.“ Alain schreibt: „Unterschrieben. Allein schon: die Diesel, die Verkehrsverhältnisse.“ Urbanski schreibt: „Unterschrieben. Allein schon: die Diesel, die Verkehrsverhältnisse, die Straßenverhältnisse.“ Alain schreibt: „Unterschrieben. Allein schon: die Diesel, die Verkehrsverhältnisse, die Straßenverhältnisse dieser Stadt.“ Urbanski schreibt: „Unterschrieben. Diese Diesel machen mich krank.“ Alain schreibt: „Unterschrieben. Diese Stadt macht mich krank.“ Diese Stadt mischt sich ein, fragt: „HHä?“

Wotanik

Du weißt, dass es mit dieser deiner Stadt buchstäblich vorangeht, wenn du den, Achtung, Aufwertung: Ersten Jogger im Botanischen Garten siehst. Einer, der sich als ganz normaler Besucher getarnt reingeschlichen hat, um seine Runden zu drehen. Seine Erlebnisrunden. Seine Ereignisrunden. Der Erste Jogger im Botanischen Garten zu Flottbek in Hamburg verwandelt diesen Hort kontemplativ gelehrten Durchatmens in einen trendy Eventrahmen. Was kommt nach dem Run auf die Botanik? Joggen durch die Desy-Röhre? Wettlauf mit den Teilchen?