Bachrauschen - Bernd Leix - E-Book

Bachrauschen E-Book

Bernd Leix

0,0

Beschreibung

Die Gartenschau im Schwarzwald zwischen Freudenstadt und Baiersbronn wirft lange, dunkle Schatten voraus. Ein Jahr vor Beginn des Großevents »Tal X« gibt es am Ufer des Forbachs mehrere rätselhafte Todesfälle. Haben sie etwas mit der Gartenschau zu tun? Soll die Veranstaltung in letzter Minute verhindert werden? Nein, keinesfalls! Der Freudenstädter Oberbürgermeister ist sich sicher, dass die Bevölkerung voller Begeisterung hinter der Gartenausstellung steht. Kommissar Oskar Lindt nimmt die Ermittlungen auf und taucht tief in die Historie des Tals ein.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 252

Veröffentlichungsjahr: 2025

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Bernd Leix

Bachrauschen

Kriminalroman

Impressum

Die automatisierte Analyse des Werkes, um daraus Informationen insbesondere über Muster, Trends und Korrelationen gemäß § 44b UrhG („Text und Data Mining“) zu gewinnen, ist untersagt.

Bei Fragen zur Produktsicherheit gemäß der Verordnung über die allgemeine Produktsicherheit (GPSR) wenden Sie sich bitte an den Verlag.

Immer informiert

Spannung pur – mit unserem Newsletter informieren wir Sie

regelmäßig über Wissenswertes aus unserer Bücherwelt.

Gefällt mir!

Facebook: @Gmeiner.Verlag

Instagram: @gmeinerverlag

Besuchen Sie uns im Internet:

www.gmeiner-verlag.de

© 2025 – Gmeiner-Verlag GmbH

Im Ehnried 5, 88605 Meßkirch

Telefon 0 75 75 / 20 95 - 0

[email protected]

Alle Rechte vorbehalten

Lektorat: Claudia Senghaas, Kirchardt

Satz/E-Book: Mirjam Hecht

Umschlaggestaltung: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart

unter Verwendung eines Fotos von: © Lucas / stock.adobe.com

ISBN 978-3-7349-3216-8

Haftungsausschluss

Personen und Handlung sind frei erfunden.

Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen

sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

Prolog

Wer kennt es schon, das Forbachtal im Schwarzwald?

Vom Kniebis zieht es sich nach Baiersbronn.

Bis sich das Forbachwasser mit dem der Murg vereinigt.

Ja, genau, das Bachwasser.

Seit ewiger Zeit rauscht es durch dieses Tal.

Vorbei an stolzen alten Tannenriesen.

Vorbei an schroffen Felsen.

Vorbei an lieblichen Wiesen.

Vorbei an alten Mühlen und historischen Bergwerken.

Vorbei an Hammerwerken und an Schmieden.

Seit vielen Jahrhunderten treibt es Wasserräder.

Seit vielen Jahrhunderten nutzen die Bewohner seine Kraft.

Aber wer kennt auch schon das Tal X?

Ja, richtig – Tal X.

Wer hat bereits davon gehört?

X wie geheimnisvoll,

X wie Industriegeschichte,

X wie Naturerleben,

X wie die Verbindung der Gemeinden Freudenstadt und Baiersbronn.

Verbunden durch die Gartenschau im Jahr 2025.

Tal X – ein einmaliger Erlebnisraum.

Tal X – eine faszinierende Naturschau.

Tal X – neu gestaltet mit reichen Facetten.

Tal X – eine historische Kulturlandschaft.

Aber nicht nur Waldwirtschaft und Bergwerksgeschichte, nicht nur die historische ehemalige Tuchfabrik und die Königlichen Hüttenwerke mit Stahl- und Sensenherstellung zeichnen das Tal des Forbachs aus, sondern im Jahr der Gartenschau auch eine faszinierende Blumenpracht und eine Fülle an neu geschaffenen Erholungsbereichen.

Ein Besuch lohnt sich unbedingt.

Alles heile Welt?

Nein, ganz und gar nicht!

Im Jahr vor der Gartenschau,

am Ufer des rauschenden Forbachs

geschehen unglaubliche Verbrechen.

Grausam finden mehrere Unschuldige den Tod.

Der Sensenmann holt sie sich.

Der Sensenmann mäht sie ab – unerbittlich.

Der Sensenmann geht um im Tal – im lieblichen.

Nimm Dich vor ihm in Acht, sonst bist Du vielleicht der Nächste!

Nimm Dich vor ihm in Acht, sonst droht Dein Ende.

Nimm Dich vor ihm in Acht, sonst …

1

»Dieser Gesichtsausdruck gefällt mir nicht. Nein, absolut nicht«, kam von Oskar Lindt beim Blick durch die Glasscheibe des Vernehmungsraums. »Was meinst du?«

Auch Paul Wellmann sah, was seinem Vorgesetzten offensichtlich missfiel. »Er hat so etwas Verkniffenes im Blick. Offen und ehrlich sieht anders aus.«

»Dürfte nicht leicht werden, die Wahrheit herauszufinden. Andererseits – warum sollte er es uns einfach machen? Was hätte er davon?«

»Ja, vermutlich wird er denken: Beweist es mir doch.«

Erster Kriminalhauptkommissar Oskar Lindt, der Leiter der Karlsruher Mordkommission, stand auf. »Also los. Alle Indizien sprechen klar dafür, dass er die Tat verübt hat. Schauen wir, wie wir ihn knacken können.«

Gemeinsam betraten die Ermittler den Raum.

Der Mann, auf den Kamera und Mikrofon gerichtet waren, trug sein weites weißes Hemd über der ausgewaschenen Jeans und ging barfuß in Sandalen. Glattrasiert mit randloser Brille und sauber gescheiteltem, dichtem graublondem Haar machte er einen durchaus gepflegten Eindruck.

»Vernehmung von Herrn Alexander Jacobs, geboren 15. Mai 1969, wohnhaft hier in Karlsruhe, Stadtteil Daxlanden, Postanschrift in den Akten«, begann Lindt zu diktieren und sah den Mann an. »Herr Jacobs, wir legen Ihnen zur Last, die Adelheid Kramer, wohnhaft gewesen in Freudenstadt, Talstraße 83, erstochen zu haben. Sie können sich zu den Vorwürfen äußern oder schweigen. Möchten Sie einen Anwalt hinzuziehen?«

»Ja, bitte. Der Crocoll soll kommen.«

»Rechtsanwalt Horst Crocoll, Karlsruhe?«

»Genau der. Kennen Sie ihn?«

»Wir unterbrechen die Vernehmung und werden Ihren Anwalt kontaktieren.«

Lindt drehte sich um und sandte einen Blick durch die Glasscheibe. Jan Sternberg saß dort und würde das gleich übernehmen. »Geht klar, Chef«, kam aus der Sprechanlage.

Anstatt nun aufzustehen und den Raum zu verlassen, blieben Lindt und Wellmann aber sitzen und richteten durchdringende Blicke auf den Verdächtigen.

Jacobs sah irritiert zurück. »Wollen Sie nicht …?«

»Rausgehen? Vielleicht später«, kam von Oskar Lindt.

»Ich werde aber nur etwas sagen, wenn mein Anwalt dabei ist.«

»Selbstverständlich. Ihr gutes Recht.«

Der Mann griff nach der Wasserflasche, die vor ihm auf dem Tisch stand, drehte den Verschluss auf und nahm einen kleinen Schluck. »Schauen Sie doch nicht so!«, gab er dann von sich.

Lindt drückte den Sprechknopf. »Haben wir Kaffee da?«

»Logisch. Wie immer«, kam Sternbergs Antwort.

»Einmal schwarz, einmal halb-halb, bitte.« Er sah Jacobs an: »Für Sie auch?«

Der schüttelte energisch den Kopf. »Nein, nicht. Aber jetzt gehen Sie doch!«

»Wieso?«

»Haben Sie sonst nichts zu tun?«

»Momentan nicht. Wir sind ganz für Sie da.«

»Ich sage aber nichts.«

»Das haben wir bereits gehört.«

Jan Sternberg brachte zwei große Kaffeetassen. Lindt und Wellmann bedankten sich und tranken synchron.

Eine steile Falte bildete sich über der Nasenwurzel des Mannes. »Wollen Sie es sich hier gemütlich machen?«

»Macht es den Eindruck?«

»Sie verunsichern mich.«

»Ist nicht unsere Absicht.«

»Wann kommt mein Anwalt?«

»Seine Kanzlei wurde informiert«, kam die Antwort aus dem Lautsprecher an der Wand hinter den Kommissaren.

»Länger als 48 Stunden dürfen Sie mich hier nicht festhalten.«

»Sie wissen Bescheid?«

Jacobs sprang auf. »Ich kenne meine Rechte.«

»Woher?« Lindt und Wellmann blieben sitzen.

»Weiß ich halt.«

Der Mann ließ sich wieder auf den Stuhl fallen.

»Aus früheren Vernehmungen?«

»Sie haben sich bestimmt über mich informiert.«

»Wir sind Profis.«

»Ich habe die Heide aber nicht umgebracht.«

»Sondern?«

»Wo sind Ihre Beweise? Waren meine Fingerabdrücke auf dem Messer?«

»Auf welchem Messer?«

»Sie werfen mir doch vor, sie erstochen zu haben.«

»Und?«

»Geht wohl kaum ohne Messer.«

»In welchem Verhältnis standen Sie denn zu Frau Kramer?«

»Verhältnis? Ich hatte kein … kein … Verhältnis mit ihr.«

»Was dann?«

»Ich … ich … kannte sie nur flüchtig.«

»Woher?«

»Von der Arbeit.«

»Eine Kollegin?«

Jacobs’ Blick verfinsterte sich. »Wollen Sie mich ausfragen?«

»Wir werden dafür bezahlt, die Wahrheit herauszufinden.«

Der Mann verschränkte seine Arme und presste die Lippen aufeinander.

Die Kommissare widmeten sich wieder ihren Kaffeebechern, blieben aber in Blickkontakt zu dem Verdächtigen.

»Es ist unangenehm, wenn Sie mich so anschauen.«

»Wie schauen wir denn?«

»So penetrant.«

»Empfinden Sie das so?«

»Ja, sehr penetrant!«, stieß Jacobs erregt aus.

»Wie sollen wir denn schauen?«

»Anders. Oder besser gar nicht.«

»Schwierig. Ziemlich schwierig.«

»Gehen Sie raus! Los, raus!«

»Schwierig.«

»Wieso?«

»Wir arbeiten hier.«

»Raus! Das ist Psychoterror, wie Sie mich die ganze Zeit anstarren.«

»Psychoterror? Kennen Sie sich damit aus?«

»Nein, aber was Sie hier abziehen, gehört garantiert dazu.«

»Garantiert?«

Alexander Jacobs’ Hände krallten sich seitlich in die Sitzfläche seines Stuhls. »Lassen Sie mich endlich in Ruhe!«

»Schwierig. Sie stehen unter Tatverdacht.«

»Ich weiß nichts von einem Messer.«

»Davon haben wir auch nichts gesagt.«

»Braucht man aber zum Erstechen.«

»Meinen Sie?«

»Ja, womit denn sonst?«

»Mit einem Schraubenzieher? Mit einer Sense?«

Für den Bruchteil einer Sekunde zuckte etwas durch Jacobs’ Gesicht. »Sense?«

»Ja, Sense.«

»Haben Sie eine Sense gefunden?«

»Sollten wir das?«

»Ich besitze keine Sense. Bin doch kein Bauer.«

»Im Friedrichstal werden Sensen hergestellt.«

»Stutensee-Friedrichstal?«

»Nein, Baiersbronn-Friedrichstal.«

»Die Heide hat aber nicht im Friedrichstal, sondern im Christophstal gewohnt. Das ist weiter oben.«

»Oben?«

»Weiter oben im Tal.«

»Waren Sie bei ihr zu Hause?«

»Nicht direkt.«

»Indirekt? Wie müssen wir uns das vorstellen?«

»Im Bach.«

»Im Wasser?«

»Hinter dem Haus fließt der Forbach. Direkt dahinter.«

»Was haben Sie da gemacht?«

»Untersuchungen, aber das wissen Sie doch.«

»Was haben Sie untersucht?«

»Das Leben.«

»Und dabei die Frau ums Leben gebracht?«

»Nein. Das war nicht ich.«

»Wer dann?«

»Keine Ahnung. Ich habe sie nur gefunden.«

»Im Bach?«

»Nein, am Ufer. Steht sicherlich in Ihren Akten.«

»Möglich.«

»Habe ich Ihren Kollegen schon gesagt.«

»Wir können uns das nicht so recht vorstellen.«

»Es muss doch Fotos geben.«

»Mit Ihnen drauf?«

»Natürlich nicht.«

»Was haben Sie getan?«

»Getan?« Jacobs überlegte kurz. »Ohne meinen Anwalt …«

»Sagen Sie nichts mehr?«

»Nein. Nichts mehr.«

»Ihr gutes Recht.«

»Kommt er bald?«

Lindt wartete kurz, ob eine Antwort auf diese Frage aus der Gegensprechanlage käme, dann fuhr er fort: »Offensichtlich haben wir keine weitere Nachricht.«

Die Tür öffnete sich, Jan Sternberg legte einen Zettel vor die Kommissare und verließ den Raum.

»Ist noch bei Gericht, lese ich hier«, sagte Oskar Lindt. »Herr Crocoll kommt schnellstmöglich.«

Alexander Jacobs fing an, mit seinen Fingern auf der Tischplatte herumzutrommeln. »Ich weiß, ich hätte die Polizei informieren sollen.«

»Weshalb haben Sie es nicht getan?«

»Sie war tot.«

»Genau. Gerade deswegen.«

»Ich wollte nicht in was reingezogen werden.«

»Was haben Sie mit der Sense gemacht?«

»Mit welcher Sense?«

»Mit der Tatwaffe.«

»Lag die im Bach?«

»Wie kommen Sie darauf?«

»Sie waren doch im Bach.«

»Um zu arbeiten. Gewässeruntersuchung. Es sind Arbeiten geplant. Bauarbeiten im Bach.«

»Welche?«

»Schwellen und Abstürze sollen entfernt werden.«

»Schwellen?«

»Quer eingebaute Baumstämme, die den Wasserlauf bremsen.«

»Und Abstürze?«

»Wo die Fische nicht hochkommen bei ihrer Wanderung zu den Laichplätzen.«

»Stauwehre sozusagen?«

»Genau. Die Durchgängigkeit muss wieder hergestellt werden. Richtlinie der EU.«

»EU?«

»Die Wasserrahmenrichtlinie ist europäisches Recht. National umzusetzen.«

»Was ist dabei genau Ihre Aufgabe?«

»Voruntersuchungen. Ich bin Biologe. Und Limnologe, um es genau zu sagen. Gewässerkundler, spezialisiert auf die Analyse der Ökosysteme von Fließgewässern.«

»Deshalb haben Sie sich im Forbach aufgehalten.«

»Genau. Das ist mein Auftrag.«

»Und dabei fanden Sie die Frau?«

»Am Ufer. Die Beine im Wasser.«

»Bekleidet?«

»Die Beine nicht. Der Rest war angezogen.«

»Womit?«

»Was man im Sommer halt so trägt. T-Shirt und Shorts, glaube ich.«

»Schuhe?«

»Kann mich nicht erinnern, welche gesehen zu haben.«

»Was tragen Sie im Bach? Gummistiefel? Wathose?«

»Kommt drauf an. Wenn es heiß ist und ich den Untergrund gut sehen kann, bin ich ebenfalls barfuß unterwegs.«

»So wie jetzt?«

Jacobs schaute auf seine nackten Füße. »Ist doch normal.«

»Und die Sense, wo lag die Sense?«

»Ich … ich …«

»Ja?«

Der Mann atmete tief aus und ein. »Ein paar Meter weiter unten. Der Worb zwischen den Steinen verkeilt.«

»Worb?«

»So sagt man zum Holzstiel mit den Griffen dran. Oder Sensenbaum. Der hatte sich verhakt. Das Blatt ragte über die Wasseroberfläche in die Höhe.«

»Lang, spitz und scharf geschliffen.«

»Wie Sensen halt so sind.«

»Blutig, die Spitze?«

»Nein, ich glaube nicht.«

»Nicht mehr?«

»Vielleicht doch. Woher soll ich das wissen?«

»Also noch mal: Haben Sie Blut bemerkt?«

»An der Sense?«

»Oder woanders?«

Jacobs’ Finger verkrallten sich ineinander. »War ja nicht zu übersehen. Bei ihrem hellen T-Shirt.«

Oskar Lindt drehte sich wieder zur Glasscheibe. »Bitte das Notebook.«

Wenige Augenblicke später kam Jan Sternberg erneut in den Raum und legte das bereits aufgeklappte Gerät vor Lindt und Wellmann auf den Tisch. »Hier. Die Bilder sind offen.«

Paul Wellmann orientierte sich kurz, machte einige Klicks und verband den Rechner dann drahtlos mit dem Flachbildschirm an der Wand.

Nach wenigen Augenblicken zeigte sich dort das schockierende Bild.

Ein menschlicher Körper lag im üppigen Grün der Bachufervegetation in Rückenlage, die unbekleideten Beine halb im Wasser, das helle Shirt überwiegend rot. Rot gefärbt im Bereich von Brust und Bauch.

»Kommt Ihnen das bekannt vor?«

»Sie war tot. Ohne Zweifel tot.«

»Sicher?«

»Keine Atmung, kein Puls.«

»Also haben Sie sie angefasst?«

»Am Hals. Um zu tasten.«

»Mit welchem Ergebnis?«

»Kein Herzschlag mehr.«

»Wie viel Uhr war es da?«

»Weiß ich nicht mehr genau. Nachmittag. So gegen drei, halb vier vielleicht.«

»Und das Wetter?«

»Heiß, richtig heiß. Wie schon seit einigen Tagen. Im Bach echt angenehm.«

»Und dann sind Sie weg?«

»So schnell ich konnte.«

»Wieso? Sie hätten doch den Notruf wählen können.«

Jacobs ballte die Fäuste. »Panik. Einfach nur Panik.«

»Hat Sie jemand gesehen?«

»Als ich über die Treppe in der Bachmauer hochgestiegen bin. Da waren ein paar Leute an einem Haus gestanden. Im Schatten.«

»Was haben die gemacht?«

»Keine Ahnung. Sich unterhalten?«

»Denen hätten Sie was sagen können.«

»Ich war völlig schockiert. Bin nur ins Auto und abgefahren.«

»Wo hatten Sie den Wagen geparkt?«

»Weiter oben, nicht in der Nähe der Treppe.«

»Wo genau ist diese Treppe denn?«

»Bei dem Wehr unterhalb der Gebäude. Die Heide ging da auch immer runter zum Bach.«

»Immer?«

»Zum Mähen. Daher kannte ich sie ja.«

»Mit der Sense? Zum Mähen?«

»Dieses Kraut am Ufer, das indische Springkraut, was sich überall an den Bächen so stark ausbreitet. Genauso dieser üble japanische Knöterich. Alles hat sie abgeschnitten.«

»Und ins Wasser geworfen?«

»Nein, sie hat es zusammengetragen und nach oben geschafft. Habe ich gut gefunden.«

»Weshalb?«

»Ist doch klar. Damit sich diese Neophyten nicht noch weiter ausbreiten. Echt verheerend. Verdrängen die ganze einheimische Ufervegetation.«

»Frau Kramer hat dieses Kraut also abgemäht?«

»Ja. Sie war mit Eifer dabei.«

»Mit Eifer und mit der Sense?«

»Die war ihr Werkzeug.«

»Konnte sie gut damit umgehen?«

»Geübt, absolut geübt. Sie machte das sicherlich nicht zum ersten Mal.«

»Daher haben Sie Frau Kramer also gekannt?«

»Ich war schon zwei Tage in diesem Bachabschnitt unterwegs. Sie hat sich für meine Arbeit interessiert und so sind wir halt ins Gespräch gekommen.«

»Und plötzlich lag sie da.«

Jacobs nickte. »Fürchterlich, der Anblick.«

»Wo lag sie denn genau?«

»Hinter ihrem Haus. Das steht ganz dicht am Bach.«

»Ihr Haus?«

»In dem sie gewohnt hat. Wem es gehört, weiß ich nicht.«

»Waren Sie auch mal drin, im Haus?«

»Es gibt da eine alte Werkstatt, in der früher Feilen hergestellt wurden. Man sagt Feilenhauerei dazu.«

»Feilen? Aus Metall?«

»Ich denke.«

»Was macht man damit?«

»Werkzeuge schärfen.«

»Zum Beispiel Sensen?«

»Sensen muss man dengeln. Mit einem Dengelhammer auf einem Dengelstock fein dünn aushämmern. Und während der Arbeit schärft man sie mit einem nassen Wetzstein. Das hat die Heide öfter mal gemacht.«

»Und sie hat Ihnen das Haus gezeigt?«

»Ja. Auch das riesige Wasserrad. Im Gebäude. Das sieht man von außen nicht. Alles soll wohl zum Museum werden. Für nächstes Jahr, wenn die Gartenschau im Forbachtal stattfindet.«

»Also waren Sie drin im Haus. Auch in ihrer Wohnung?«

Jacobs zuckte zusammen. »Die Wohnung? Wie meinen Sie das?«

»Waren Sie in der Wohnung von Frau Kramer?«

»Wieso interessieren Sie sich dafür?«

»Sind Sie sich nähergekommen?«

Der Mann lachte kurz auf. »Nein, nein. Was denken Sie denn?«

»Wir würden es gerne erfahren.«

»Zum Kaffeetrinken?«

»Möglicherweise.«

»Hat mich denn jemand gesehen?«

»Wobei?«

»Als ich in die Wohnung …?«

»Wäre das möglich?«

»Das Haus hat nur einen Eingang. Für die Werkstatt und für die Wohnungen.«

»Mehrere Wohnungen?«

»Zwei. Und die Büros im Erdgeschoss. Aber nur Heide hat da noch gewohnt. Der Rest steht leer.«

»Sie sagen Heide, nicht Adelheid.«

Jacobs überlegte kurz. »Hat sich so ergeben. Sie hat sich als Heide vorgestellt.«

»In der Wohnung?«

»Nein, im Bach.«

Lindt sah sein Gegenüber durchdringend an. »Wie müssen wir uns das genau vorstellen? Zwei Personen waten in kurzen Hosen im heißen Sommer im selben Bach umher. Ein Mann und eine Frau. In einem kalten frischen Bergbach im Schwarzwald. Dabei kommen sich die beiden näher.«

»Im Bach?«

»Zum Beispiel. Oder im Haus. In der Wohnung.«

»Was hätte ich in der Wohnung sollen?«

»Näherkommen?«

»Spielt das eine Rolle?«

»Möglicherweise.«

Jacobs zuckte mit den Schultern. »Wann trifft der Anwalt endlich ein?«

Lindt sah in Richtung der Glasscheibe.

»Keine weitere Nachricht«, kam Jan Sternbergs Stimme aus dem Lautsprecher.

»Dann bitte das Material fürs Probenehmen.«

»Ja, Chef.«

Der Verdächtige riss die Augen auf. »Welche Probe?«

Der Kommissar wartete kurz ab, bis sein Mitarbeiter den Behälter in den Vernehmungsraum gebracht und vor ihm auf den Tisch gestellt hatte. Dann wandte er sich wieder an Alexander Jacobs. »DNA-Analyse. Sind Sie einverstanden?«

»Nein, natürlich nicht. Was wollen Sie damit?«

»Vergleichen.«

»Womit?«

»Mit genetischen Spuren, die gefunden wurden.«

»Ich habe keine Spuren hinterlassen«, entfuhr dem Mann.

»Umso besser. Dann können wir das mit der Analyse ja überprüfen.«

»Nein. Ich lasse mich nicht analysieren.«

»Wir haben Sie ja nur gefragt, ob Sie dazu bereit wären. Möglicherweise wird aber der Haftrichter eine Probe anordnen.«

»Haftrichter? Was soll das heißen?«

»Wir vernehmen Sie als Beschuldigten.«

»Ich bin doch freiwillig mitgekommen.«

»Richtig. Das haben uns die Kollegen auch so berichtet.«

»Aber nur zu einer Befragung als Zeuge.«

»Hat sich in der Zwischenzeit geändert. Wie ich Ihnen zu Beginn der Vernehmung mitgeteilt habe.«

Jacobs fuhr sich nervös durch die Haare. »Wann kommt endlich dieser Anwalt?«

»Wir wissen es nicht. Aber sicherlich ist es für Sie von Vorteil, wenn Sie kooperieren. Kann sich strafmildernd auswirken.«

Aufs Neue schoss der Mann in die Höhe. »Ich habe die Heide nicht umgebracht.«

»Wer dann?«

»Woher soll ich das denn wissen?«

»Vielleicht haben Sie jemanden bemerkt?«

»Da war niemand im Bach außer ihr und mir.«

»Wann haben Sie Frau Kramer zuletzt lebend gesehen?«

»Lebend?«

»Ja. War das am selben Tag, an dem Sie sie gefunden haben?«

»Nein. Einen Tag zuvor.«

»Als sie Ihnen das Haus gezeigt hat?«

»Ja.«

»Und die Wohnung?«

Jetzt wurde Jacobs richtig böse. »Hören Sie endlich auf mit dieser Wohnung!«

»Waren Sie drin?«

Der Mann setzte sich wieder auf seinen Stuhl und verschränkte die Arme. »Meinen Anwalt. Sofort!«

»Kennen Sie den persönlich?«

»Ja, von …«

»Von früher?«

»Er hat mich rausgehauen. Ich war unschuldig.«

»Sie wurden freigesprochen.«

»Also kann ich gehen?«

»Damals wurden Sie freigesprochen. Aus Mangel an Beweisen.«

»Wenn man eine Tat nicht begangen hat, gibt es auch keine Beweise.«

»Und wie ist es jetzt? Haben Sie Frau Kramer erstochen?«

»Nein!«, schrie Jacobs erregt durch den Raum. »Wieso hätte ich das tun sollen?«

Lindt ließ einige Sekunden verstreichen, bevor er fortfuhr. »Sagen Sie es uns.«

»Zum Donnerwetter noch mal, ich war es nicht.«

»Sie wurden am Tatort gesehen.«

»Unmöglich. Da kann niemand hinsehen. Hinter diesem Haus ist alles ganz dicht bewachsen.«

»Frau Kramer hat offensichtlich ausgelichtet. Mit einer gut geschärften Sense.«

»Da steht nicht nur dieses Kraut. Auch Bäume und Sträucher. Die konnte sie nicht abmähen.«

»Trotzdem gibt es Zeugen, die Sie gesehen haben.«

»Sicherlich nicht bei der Tat.«

»Aber in der Nähe des Tatorts. Sie kamen die Mauertreppe hochgestiegen.«

»Dabei wurde ich beobachtet?«

»Möglicherweise. Sie selbst haben uns doch von Leuten berichtet, die in der Nähe standen.«

»Zum tausendsten Mal: Ich war es nicht. Es kann auch ein Unfall gewesen sein.«

»Ein Unfall?«

»Ja, die Steine im Bach sind glitschig. Da kann man leicht ausrutschen.«

»Ist Ihnen schon passiert?«

»Natürlich. Aber im Hochsommer macht es nichts aus, wenn man nass wird.«

»War Frau Kramer auch nass?«

»Woher soll ich das denn wissen?«

»Sie haben sie doch angefasst.«

»Ja, aber nur wegen dem Puls.«

»Wie könnte denn ein Unfall passiert sein?«

Jacobs überlegte. »Sie gleitet aus, stolpert, lässt die Sense los und fällt hinein.«

»Aha.«

»Vielleicht. Wäre doch denkbar.«

»Wer weiß … wer weiß …?«

»Ich weiß es nicht«, antwortete Jacobs patzig.

»Haben Sie die Sense aus ihr rausgezogen und sie auf den Rücken gedreht?«

»Sie machen mich ganz kirre mit Ihren blöden Fragen!«

»Wir wollen es genau wissen. Also haben Sie?«

»Diese Sense rausgezogen? Aus der Heide?«

»Und dann in den Bach geworfen?«

»Ihre Fingerabdrücke wurden auf dem Sensenblatt gefunden.«

»Meine … meine …?«

»Ja, zweifellos. Deshalb vernehmen wir Sie ja auch als Beschuldigten.«

»Ich … ich …«

»Bitte – wir hören. Was möchten Sie uns sagen?«

»Nichts!«, schleuderte Alexander Jacobs den Kommissaren entgegen. »Die Sense habe ich mal angefasst. Ja, als die Heide sie mir gezeigt hat. Aber ich habe nichts getan.«

»Beweisen Sie es uns!«

»Pah! Das ist Ihre Arbeit! Beweisen Sie mir Ihre ungeheuerliche Anschuldigung.«

»Wir sind gerade dabei, Fakten zu erheben.« Lindt klopfte mit seinem Zeigefinger auf die Box, die vor ihm stand. »Daher auch unsere Bitte nach einer genetischen Probe.«

»Nein!«

»Wir bitten nur. Freiwillig. Der Richter wird nicht bitten. Der wird eine Anordnung erlassen.«

Jacobs zog die Augenbrauen zusammen, doch er schwieg.

»Wenn Sie die Tat nicht begangen haben, können Sie beruhigt einer Probe zustimmen. Das Ergebnis müsste Sie dann ja entlasten.«

»Datenschutz! Meine Gene lasse ich nicht analysieren.«

»Gut. Das nehmen wir zur Kenntnis.« Der Kommissar wartete kurz auf eine mögliche Antwort, dann fuhr er fort:

»Wir haben auch in Frau Kramers Wohnung Spuren gesichert.«

»Und? Was habe ich damit zu tun?«

»Fremd-DNA. Stammte nicht von ihr.«

»Von wem dann?«

»Von Ihnen?«

»Woher soll ich das wissen?«

»Wann waren Sie denn drin bei ihr?«

Jacobs ballte die Fäuste. »Mir reicht es jetzt wirklich!«

Lindt lächelte ihn an. »Sie dürfen gerne noch darüber nachdenken. Vorläufig nehmen wir Sie in Gewahrsam.«

»Sie wollen mich einsperren?«

»Es gibt verschiedene Ausdrücke dafür. Einsperren, das haben Sie gesagt.«

Der Kommissar klappte den Rechner zu, erhob sich und tupfte sich mit einem Stofftaschentuch über die Stirn. »Ja, so ein kühler Schwarzwaldbach, der wäre echt was Feines. Davon kann man in der Karlsruher Sommerschwüle nur träumen.«

Dann verließ er den Vernehmungsraum. Paul Wellmann folgte ihm.

2

»Schon ein spezieller Fall, dieser Jacobs«, fasste Lindt zusammen. »Mal sehen, was der Richter sagt, wenn wir ihn vorführen.«

»Vorbestraft ist er ja nicht«, stellte Paul Wellmann fest. »Aber wie ich das lese, wurde er nur freigesprochen, weil man ihm die Tat nicht nachweisen konnte. Wie sagt man doch so schön: Ein Geschmäckle bleibt trotzdem.«

»Jemanden zu ersticken, ist nicht einfach zu belegen. Kissen fest auf den Kopf drücken und abwarten, bis sich nichts mehr tut. Bewährte Methode«, kam von Jan Sternberg.

»Hast du auch einen bettlägerigen Erbonkel und kannst es nicht erwarten?«, hakte Lindt nach.

»Leider nicht. Meine Verwandtschaft erfreut sich bester Gesundheit und ist außerdem nicht besonders vermögend.«

»Es würde sich also gar nicht lohnen?«

»Nein, Chef. Zudem müsste geteilt werden. Bei vier Geschwistern bleibt nicht viel für den Einzelnen übrig.«

»Damals hatte der Jacobs aber einen Sack voller Schulden. Die waren danach weg«, sagte Paul. »Offenbar turnt er unbeschwert und leichtfüßig in allen möglichen Gewässern umeinander.«

»Und dreht Stein für Stein um. Die Bachlebewesen sitzen in der Regel darunter. Die fängt er mit seinem Kescher ein und registriert sie«, wusste Oskar Lindt.

»Hoppla, du kennst dich aus«, wunderte sich Paul. »Bist du vielleicht in deiner Freizeit noch als Hobbyforscher tätig?«

Lindt verdrehte die Augen. »Carla hat mich gedrängt, ein Wochenende lang so ein Naturschutzprojekt mitzumachen.«

»Im kalten Schwarzwaldwasser?«

»Tatsächlich. Oben im Gaistal bei Bad Herrenalb. Hat aber durchaus Spaß gemacht. Und wir konnten eine Menge lernen.«

Paul sah ihn an. »Und du bist wirklich barfuß im Wasser rumgewatet?«

Oskar zwinkerte. »Schwarzwaldbäche sind auch im Sommer ziemlich frisch. Deswegen habe ich das Carla überlassen. Die ist da eher schmerzfrei und für solche Herausforderungen empfänglich. Für mich gab es neue Gummistiefel. Mit Neoprenfutter. Sehr angenehm.«

»Also bist du nicht gewatet, sondern gestiefelt? Auch ausgerutscht?«

»Nein, ich war vorsichtig. Acht geben, Schritt für Schritt. Ich hab mir nicht mal die Stiefel gefüllt. Nichts passiert.«

»Und welche Tierlein habt ihr gefunden?«

»Ach, wenn ich das noch wüsste.« Lindt überlegte. »An abgestorbenem Holz ganz kleine Krebse, Muscheln, Schnecken. Auch Larven von Insekten zum Beispiel. Und natürlich Feuersalamander, winzige Forellen und andere Fische.«

»Also drehst du einen Stein um und der Krebs schaut dich an?«

»Manche sind größer, andere siehst du nur mit der Lupe in voller Schönheit.«

»Schönheit?«

»Besonders ein sehr seltener Fisch hat mir gefallen. Die Groppe, die lebt im Kiesbett und die glotzt. Ja, die ist ziemlich platt und hat Mordsaugen.«

»Womit wir wieder beim Thema wären«, stellte Paul fest. »Hat der Jacobs die Kramer nun erstochen? Was meint ihr? Was sagt euer Bauchgefühl?«

Oskar Lindt wiegte den Kopf hin und her. »Er hat öfter mal ausweichend geantwortet. Besonders auf die Frage, ob er in der Wohnung war. Kein Ja, kein Nein. Damit macht er sich in meinen Augen ziemlich verdächtig.«

»Und mehrfach hat er gezuckt. Ist es euch auch aufgefallen? Seit unserer Schulung schaue ich immer ganz genau hin.«

»Konnte ich durch die Scheibe nicht so gut sehen. Meinst du diese Mikrozuckungen, die Lügen-Zeichen?«

»Exakt. Ein paarmal. Minimal zwar, aber doch deutlich.«

Oskar stimmte zu. »Habe ich auch bemerkt. Geht unwillkürlich. Wie heißt es so schön: Nicht willentlich beeinflussbar. Gut, dass wir das Gespräch aufgezeichnet haben.«

In diesem Moment traf Rechtsanwalt Horst Crocoll ein. »Lindt, Sie schon wieder. Das hätte ich mir ja denken können«, lachte der untersetzte, ziemlich runde Jurist. »Abgenommen haben wir beide wohl nicht seit unserem letzten Zusammentreffen.«

»Danke für das Kompliment«, konterte der Kommissar und hielt sich die Hand an seinen recht ansehnlichen Bauch. »Man nennt es auch Gourmet-Gewölbe. War teuer in der Anschaffung.«

»Die Mitarbeiterinnen in meiner Kanzlei sagen seit Neuestem: Unser Chef hat eine Lebensmittel-Schwangerschaft«, gluckste Crocoll. »An eine Entbindung sei aber nicht zu denken.«

Dröhnendes Gelächter füllte den Nebenraum des Vernehmungszimmers.

»Spaß muss sein«, meinte der Anwalt. »Zurück zum Ernst. Wen hat der Jacobs dieses Mal umgebracht?«

»Sie werden natürlich wieder alles tun, um ihn rauszuhauen«, kam von Lindt. »Doch ich kann Ihnen gleich sagen: Die Fakten sprechen gegen ihn.«

»Fingerabdrücke auf der Tatwaffe?«

»Sie sind ein echter Hellseher.«

»Pistole oder Revolver?«

»Nichts davon. Es geht um Erstechen.«

»Gefällt mir«, grinste Crocoll. »Mit Messern kenne ich mich aus. Besuchen Sie mich doch mal an meinem Gartengrill. Dann zeige ich Ihnen meine Sammlung. Über 30 verschiedene Kochmesser. Allein zwölf aus Damaszenerstahl.«

Lindt leckte sich die Lippen. »Hmm, leichtfertig, ziemlich leichtfertig. Bei allem, was mit Essen zu tun hat, bin ich dabei. Kommt aber drauf an, was Sie seziert auf den Grill legen.«

»In letzter Zeit vermehrt alle Arten von Fisch. Für Sie auch gerne ein schönes Stück argentinisches Rind.«

»Wie? Aus Übersee? Nichts Heimisches?«

»Meine Stammmetzgerei hat leider zugemacht. Und die Qualität bei den anderen hat nachgelassen. Mittlerweile muss man genau hinschauen, was man angeboten bekommt.«

»Tja, gewusst, wo. Ich kann Ihnen da ein paar hervorragende Adressen …« Lindt stockte abrupt, als er durch die Glasscheibe ins Vernehmungszimmer blickte. »Ist ihm nicht gut?«

»Los, rein!« Jan Sternberg war als Erster an der Tür und riss sie auf.

Alexander Jacobs lag mit dem Oberkörper auf dem Tisch, zitterte und gab seltsame Laute von sich.

»Hallo! Was ist mit Ihnen?«

»Ich … ich …« Mehr brachte der Mann nicht heraus, dann begann er zu würgen.

Paul Wellmann griff nach einem Papierkorb und hielt ihn hin. Gerade noch rechtzeitig. Zwei Mal schwallartiges Erbrechen.

»Cola, Apfelsaft? Schnell!«, forderte Horst Crocoll. »Er ist im Unterzucker.«

Jan Sternberg rannte los, Oskar Lindt griff zum Telefon.

Als der Notarzt ins Karlsruher Polizeipräsidium kam, hatte sich Alexander Jacobs dank des süßen Apfelsafts bereits leicht stabilisiert. Mit einer Glucose-Infusion und in Begleitung zweier Streifenbeamter wurde er liegend abtransportiert.

»Wohin?«, wollte Lindt wissen.

»Ins Städtische«, kam die knappe Antwort.

»Woher …?«, wollte der Kommissar von Horst Crocoll wissen.

»In meiner Kanzlei ist das auch mal passiert. Damals war es aber nicht so dramatisch.«

»Kann es passieren, wenn er sich aufregt?«, fragte Paul Wellmann.

»Wieso? Wie hart haben Sie ihn denn angefasst?«

Die Kommissare schauten sich an. »Eigentlich … eigentlich …«

»Aha! Ich will das Video sehen«, forderte der Anwalt.

»Können Sie bekommen. Selbstverständlich«, brummte Lindt. »Aber wir haben ihn nur ganz normal befragt.«

»Jaja. Ganz normal. Und ihm das blutverschmierte Messer unter die Nase gehalten? Tut man auch nicht. Der Jacobs ist ziemlich sensibel.«

»War kein Messer.«

»Ach. Habe ich nicht Erstechen gehört?«

»Die Tatwaffe ist eine Sense. Und seine Fingerabdrücke sind drauf.«

»Toll, mal was Neues. Sense hatte ich noch nie. Und wen soll er ›ersenst‹ haben?«

»Eine Frau im Schwarzwald. Am Forbach bei Freudenstadt.«

Horst Crocoll sah den altgedienten Kommissar kopfschüttelnd an. »Freudenstadt? Und Sie führen die Ermittlungen?«

Lindt rollte die Augen. »Der Pforzheimer Polizeipräsident ist sein Schwager. Nein, sein Ex-Schwager. Die frühere Frau Jacobs ist dessen Schwester.«

»Okay. Ich verstehe. In diesem Fall dürfen seine eigenen Kripo-Mitarbeiter natürlich nicht tätig werden.«

»Außerdem wohnt der Jacobs in Daxlanden. Wir haben ihn zu Hause abgeholt. Die Freudenstädter Kollegen hatten uns darum gebeten.«

»Ja, ich weiß noch von damals. Der Name war mir natürlich bekannt, als meine Kanzlei mir eine Nachricht geschickt hat.«

»Kissen auf Kopf. Erbonkel stellt die Atmung ein. Jacobs ist finanziell saniert. Wir haben nachgelesen.«

Crocoll hob den Zeigefinger. »Lindt, Lindt. Stellen Sie keine falschen Behauptungen auf. Sonst wird das nichts mit unserem gemeinsamen Grillen.«

»Das täte mir äußerst leid«, schmunzelte der Kriminalhauptkommissar. »Eine Gartenparty bei Karlsruhes erfolgreichstem Strafverteidiger lasse ich mir natürlich nicht entgehen.«

»Sag ich doch. Also, was werfen Sie meinem Mandanten vor? Wurde er gesehen, wie er dieser Frau die Sense in den Bauch gerammt hat?«

»Wollen wir es uns nebenan im Besprechungsraum gemütlich machen?«, schlug Lindt vor. »Der Haftrichter muss auch jede Minute eintreffen.«

Die Konferenz dauerte nur eine halbe Stunde. Richter Hartmann ordnete trotz des anwaltlichen Protests Untersuchungshaft an und verfügte auch, dass eine DNA-Probe bei Alexander Jacobs entnommen werden sollte.

»Wir halten es für unbedingt notwendig, auch das Haus und das Auto des Tatverdächtigen zu durchsuchen«, forderte Oskar Lindt.

»Veto!«, kam von Horst Crocoll. »Was soll das bringen? Tatort ist doch Freudenstadt. Und dazu noch an einem Bach.«

»Lindt, tragen Sie vor«, kam vom Richter. »Ich kann Herrn Crocoll verstehen. Welche Verdachtsmomente würden eine Durchsuchung rechtfertigen?«

»Wir brauchen auf jeden Fall umfassende Kenntnis über die Persönlichkeit und die Lebensumstände des Beschuldigten. Wir sollten Computer und Handy analysieren. Chatverläufe halten wir für sehr wichtig, um mögliche Kontakte zum Opfer prüfen zu können. Anruflisten müssen wir ebenfalls durchsehen, aber auch Handschriftliches.«

Hartmann kratzte sich am Ohr und sah den Anwalt an. »Sie werden sicherlich Beschwerde dagegen einlegen?«

»Da können Sie Gift drauf nehmen.«

»Ich schlafe drüber und werde Ihnen morgen früh meine Entscheidung mitteilen.«

»Haus und Auto sind bereits versiegelt«, informierte Lindt. »Es kann also nichts anbrennen. Wir können uns noch etwas gedulden.«

Die Kriminaltechnik startete nach der richterlichen Genehmigung gegen 11 Uhr am nächsten Tag. Solange Alexander Jacobs noch bewacht im Städtischen Klinikum behandelt wurde, nahmen vier Beamte unter der Leitung von KT-Chef Ludwig Willms sein kleines Haus im Karlsruher Stadtteil Daxlanden auseinander.

Elektronische Geräte und Aktenordner wanderten in große Kisten und wurden in einen bereitstehenden Transporter verladen. Den Campingbus brachte ein Abschleppwagen in eine Halle der Polizei zur näheren Untersuchung.

Auch Oskar Lindt ließ es sich nicht nehmen, einen Abstecher zum Haus Jacobs zu machen. »Ludwig, wart ihr schon im Bad und im Schlafzimmer?«

»Oskar, hetz mich nicht. Wir machen eins nach dem anderen.«

»Los, Bewegung!«, lachte der leitende Kommissar. »Du bist doch sonst auch flott unterwegs.«

»Jaja«, knurrte Willms. »Ganz im Gegensatz zu dir renne ich gerne mal zehn oder 20 Kilometer durch den Hardtwald.«

»Rennen, was für ein grässliches Wort. Mir reicht normale Spaziergängergeschwindigkeit. Wer alt werden will, sollte Sport absolut meiden, denn …«

»… Sport und Turnen füllen Gräber und Urnen«, fiel ihm sein Kollege ins Wort. »Doch darüber gehen die Meinungen bekanntermaßen stark auseinander.«

Lindt zog erst amüsiert die Augenbrauen hoch und schlüpfte dann in Überschuhe und Einmalhandschuhe, um sich selbst einen Überblick zu verschaffen.