Fächergrün - Bernd Leix - E-Book

Fächergrün E-Book

Bernd Leix

4,3

Beschreibung

Fronleichnam. An diesem Feiertag im Juni schlägt für zwei alte reiche Brüder die letzte Stunde. Nach einem Ausflug auf die grünen Höhen des Schwarzwaldes sterben die ehemaligen Bauunternehmer so, wie sie gelebt haben: gemeinsam. In ihrem Gründerzeithaus in der Karlsruher Oststadt ereilt sie nach dem Genuss einer Flasche Rotwein ein grausamer Tod. Das Team um Kommissar Oskar Lindt steht zunächst vor einem Rätsel. Erst, als die früheren Mitarbeiter der beiden - allesamt italienischer Herkunft - in den Fokus der Ermittlungen rücken, kommt Bewegung in den Fall …

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Cover

Titel

Bernd Leix

Fächergrün

Oskar Lindts sechster Fall

Impressum

Personen und Handlung sind frei erfunden.

Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen

sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

Besuchen Sie uns im Internet:

www.gmeiner-verlag.de

© 2011 – Gmeiner-Verlag GmbH

Im Ehnried 5, 88605 Meßkirch

Telefon 07575/20 95-0

[email protected]

Alle Rechte vorbehalten

1. Auflage 2011

Lektorat: Claudia Senghaas, Kirchardt

Herstellung: Doreen Fröhlich

Korrekturen: Sven Lang, Doreen Fröhlich

Umschlaggestaltung: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart

unter Verwendung des Bildes »Afrikanische, exotische schwarze

Schönheit im Schlosspark« von: © theogott / fotolia.de

ISBN 978-3-8392-3604-8

1

Der letzte Tag der Maiwald-Brüder war sonnig und heiß. Fronleichnam, der Feiertag im Juni, passend, der Name …

Anton und Josef gestalteten ihn wie jeden Sonntag und jeden Feiertag. Kirche? Nein. Katholisch waren sie schon, aber 60 Jahre auf dem Bau, sechs Tage die Woche und am siebten Tag der Schriftkram, da blieb nicht mehr viel Zeit übrig für den lieben Gott.

Weihnachten ja, natürlich immer. Obwohl – jetzt im Alter … Sollte man da nicht öfter?

Josef sprach es manchmal aus, doch Anton meinte nur: »Bruder, wir haben Zeit. So schnell holt er uns hier nicht weg.«

Er sollte sich gründlich täuschen.

Die beiden waren auch mit 80 noch erstaunlich fit, denn für die echte Plackerei hatten sie sich schon früh ihre Handlanger eingestellt.

›Mit der Hand am Arm ist nichts verdient‹, diese Erkenntnis war den zwei Maurermeistern bereits aufgegangen, ehe sie 30 waren.

›Im Einkauf liegt der Gewinn.‹ Abbruchhäuser zum Spottpreis, renovieren mit der eigenen Firma und dann wieder losschlagen. Aber nur wenn der Preis stimmte. Sonst lieber halten und vermieten.

Die Rechnung ging auf. Jetzt nannten sie nicht weniger als 17 Mietshäuser ihr Eigen. Überall in Karlsruhe, 188 Wohnungen.

Die sahen sie sich sonntags immer an. Jeden Sonntag, jedes Haus, immer zu Fuß. Man konnte die Uhr nach ihnen stellen.

Frühstück um sieben, Hefezopf mit Butter und Honig – Sonntag halt, sonntags gönnten sie sich was –, dazu der obligatorische Malzkaffee, Briefe an die Mieter eingesteckt, um Porto zu sparen und los ging’s.

Sie klingelten nie, doch fast in jedem der Treppenhäuser, die sie hinaufstiegen, wartete jemand auf die beiden. Defekte Lichtschalter, pfeifende Wasserleitungen, nervende Nachbarn, klopfende Heizungen, wer etwas auf dem Herzen hatte, wusste, wann er die beiden Alten antreffen konnte. Anton notierte alle Wünsche in einem Aufmaßbuch. Die Woche über wurde abgehakt, man konnte sich auf die Brüder verlassen.

Die meisten Mieter waren zufrieden – die meisten.

Sonntags gönnten sie sich was. Nach Haus Nummer zehn war Mittag, Mühlburg, Gasthaus mit Metzgerei oder umgekehrt. Der Chef schlachtete auch für die Maiwalds – für jeden ein Schwein pro Jahr. Viel billiger, als alles in kleinen Portionen einzukaufen. Sonntags nahmen sie Rind, jeden Sonntag.

Sieben Häuser, fünf Kilometer und 400 Treppenstufen später waren sie wieder zu Hause.

In einem ihrer Objekte wohnten die beiden selbst. Oststadt mit Hinterhof und Lagerschuppen.

Da stand noch immer der alte Lastwagen, Mercedes natürlich, Kurzhauber, Baujahr 72, moosgrün, mit der weißen Schrift auf beiden Türen: ›Gebrüder Maiwald‹, ein geschwungener Halbkreis, gewölbt nach oben, darunter einfach: ›Karlsruhe‹. Keine Straße, keine Telefonnummer. Wer etwas von den Maiwalds wollte, fand sie in der Nähe ihres Lastwagens. Neben dem Laster ein paar kleinere Baumaschinen, Betonmischer, Rüttelplatte, Gerüstteile, der Rest im Schuppen.

Alles alt, aber topp gepflegt. Auch ihr gemeinsamer Pkw passte zu der Sammlung: 200er Diesel, riedgrün, 28 Jahre auf dem Buckel und nicht der kleinste Rostfleck, selbstverständlich Mercedes. »Das Teuerste ist auf Dauer das Billigste.«

Sonntags gönnten sie sich was, Feiertags auch. Eine Flasche Roten zusammen. Seit Jahren derselbe herbe Franzose. Den Jahresvorrat lieferte ihnen einmal im Jahr ein Händler.

Im Sommer verbrachten sie die Abende draußen im schattigen Hof. Zwei Stühle und ein Tisch neben dem dicken, runden Blech des moosgrünen Kurzhaubers. Eine kleine Bank, falls Besuch kam. Selten.

Es gab kaum Besuch im Leben der Gebrüder Maiwald, nur Mieter.

Es gab auch keine Frauen im Leben der Gebrüder Maiwald. »Frauen sind teuer«, sagte Josef gelegentlich und blickte Anton dabei durchdringend an. Anton schaute weg und sagte dabei höchstens: »Zu teuer.«

Selbst Eva kam nur ein Mal im Jahr. Immer Neujahr, immer aus Anstand. Oder? Anton und Josef waren sich einig: »Der Blick«, sagten sie stets, wenn ihre einzige Nichte wieder gegangen war.

Auch an diesem heißen Feiertag im Juni saßen die Brüder im Schatten. Feiertage waren keine Sonntage, also auch keine ›Haus-Tage‹.

Trotzdem besondere Tage, Tage, um etwas zu unternehmen. Ausflugstage mit dem tannengrünen Diesel. Gegen sieben waren sie aus dem Schwarzwald zurückgekommen. Die Hochstraße war Pflicht, einmal im Jahr. Baden-Baden–Mummelsee, von dort zu Fuß den steilen Weg hinauf auf die Hornisgrinde, den höchsten Berg im Nordschwarzwald. Frische Waldluft, halb Baden zu Füßen, Aussicht bis nach Karlsruhe, wohin denn sonst? Wirklich noch fit, die Achtzigjährigen. Halt, Anton war erst 78. Er hob das Glas: »Auf unsere Feiertage.« Sie tranken aus und starben.

Sie starben gemeinsam, so, wie sie ihr ganzes Leben verbracht hatten. Kein schöner Tod, doch unausweichlich.

Sie starben nicht sofort, es dauerte seine Zeit, aber eine halbe Stunde, nachdem sie die Flasche mit dem herben Franzosen geleert hatten, spürten sie eine leichte Übelkeit. Beide – gleichzeitig. Anton befühlte seinen Bauch. »Komisch, mir wird’s grad so …«

»Dir auch? Ob der Hirschbraten heut Mittag …?«

»Vielleicht ein ziemlich alter Hirsch, schon etwas angegammelt?«

»So fühl ich mich auch grad, richtig verg…« Weiter kam Josef nicht, er schlug sich die Hand vor den Mund, schoss in die Höhe, warf dabei den Stuhl um, torkelte ein paar Schritte vorwärts und übergab sich lautstark in den Hofgully.

»Schad um den Hirsch«, kommentierte sein Bruder, doch noch ehe Josef den Wasserschlauch aufgedreht hatte, um sein Erbrochenes wegzuspülen, tat Anton es ihm gleich.

»… und um die Spätzle«, wischte sich Josef mit dem Taschentuch über den Mund. »Geht’s wieder?«

Anton schüttelte den Kopf und schickte die nächste Ladung in den Ablauf. Aus dem dritten Stock wurden sie beobachtet.

Josef richtete mühsam den Wasserstrahl auf den Eisenrost, dann keuchte er: »Ich muss rein, dringend!«, und hielt sich den Bauch.

Auch Anton fühlte aufs Mal ein gewaltiges Rumoren in seinem Unterleib. Unscharf sah er den Bruder die Eingangstreppe nach oben schwanken, danach konnte auch er es nicht mehr aushalten – nicht mehr halten. Er drehte sich um, wollte losrennen, stolperte fast, erreichte in letzter Sekunde die Toilette im Schuppen, verhakte sich mit den Hosenträgern, riss die Hose nach unten, doch zu spät. Er verfehlte die Schüssel um einen ganzen Meter. Er fiel auf die Knie, übergab sich ein drittes Mal und kippte ohnmächtig zur Seite.

Seinen Bruder fand man neben der Toilette liegend, steif und kalt, zusammengekrümmt in Exkrementen und Erbrochenem, aschfahl, ohne Puls und Atmung, viele Stunden später, es wurde bereits wieder hell … der Notarzt verzichtete auf eine Wiederbelebung.

2

»Verdammte Sch…!«, entfuhr es Jan Sternberg, der als Erster des Karlsruher Kripo-Teams eintraf. Entsetzt ließ er seinen schweren Alukoffer fallen, trat zwei Schritte zurück und blieb schreckensstarr stehen. Nur mühsam konnte er den Würgereiz unterdrücken.

»Wo ist der Bruder?«, presste Hauptkommissar Oskar Lindt hervor, der nur eine halbe Sekunde brauchte, um die Situation zu erfassen.

Sternberg schaute ihn verständnislos an. »Noch einer? Wieso?«

Lindt zeigte durch das sperrangelweit geöffnete Fenster zur anderen Straßenseite. »Über 20 Jahre haben wir da drüben gewohnt. Auch ein Haus der Gebrüder Maiwald. Die waren immer zusammen.«

»Beim Sterben anscheinend nicht«, kommentierte Paul Wellmann, der Dritte im Bunde, nachdem auch er einen flüchtigen Blick auf den Toten geworfen hatte.

»Hier drin ist keiner mehr«, antwortete einer der Sanitäter.

»Absuchen!«, kommandierte Lindt. »Die haben alles gemeinsam gemacht. Der andere muss irgendwo sein.«

»Flüchtig?«

»Quatsch, der würde seinen Bruder nie alleine lassen.«

»Außer, er hat ihn …«

»Jan, geh suchen!«, herrschte ihn sein Chef an. »Ich kenne die beiden.«

»Wer hat Sie alarmiert?«, wandte sich der Kommissar an den Notarzt.

»Keine Ahnung, wir müssen die Leitstelle fragen«, antwortete einer der Sanitäter und hatte bereits das Handy am Ohr.

»Oskar!«, schallte Paul Wellmanns Stimme über den Hof. Der Tonfall verhieß nichts Gutes. Lindt verstand sofort und stürmte nach draußen.

»Hier«, tönte es vom Lagerschuppen her. Wellmann und Sternberg traten kreidebleich aus der Tür.

Lindt musste sich an der Wand festhalten. Er begann, am ganzen Körper zu zittern. Dasselbe grässliche Bild. Anton im Schuppen, Josef im Haus.

Er wankte aus der Tür. Seine Kollegen saßen schon am Tisch neben dem alten Laster. Für Lindt blieb die Bank. »War immer der Besucherplatz«, sagte er mühsam.

»Spusi kommt, Chef.« Jan Sternberg hatte trotz des schrecklichen Anblicks nicht vergessen, was zu tun war.

Der Kommissar sank stumm in sich zusammen. Schlimm, wenn er die Leute kannte.

Der Sanitäter blieb drei Schritte entfernt stehen. »Sie haben das Band abgehört, kein Name drauf.«

»Also anonym«, stellte Jan Sternberg fest.

»Nur Straße und Hausnummer, dann: ›Erdgeschoss, da liegt einer im Klo.‹ ›Ansprechbar?‹ ›Tot!‹ Männliche Stimme, das war alles.«

»Danke«, antwortete Paul Wellmann, »wir holen das Band später ab.« Dann zeigte er auf den Tisch, um den sie saßen.

Lindt wischte sich die Schweißperlen von Stirn und Nacken. »Sonntags gönnten sich die beiden was. Immer denselben Roten.«

»Zwei Gläser, also kein Besuch?«

»Am liebsten waren sie für sich, auch früher schon.«

»Du hättest es ja nicht weit gehabt.«

Der Kommissar schüttelte den Kopf: »Ich bin mir nicht sicher, ob sie mir ein Glas angeboten hätten. Ihre Sparsamkeit war legendär. Nur sonntags …«

»Gönnten sie auch anderen was?«

»Die Miete war nicht billig, aber im Allgemeinen gab es keine Klagen. Sie hielten ihre Häuser in Schuss.«

»Viele?«

»Vermutlich, aber Genaues hat man nie erfahren.«

»Wird sich jetzt ändern, Chef«, mischte sich Jan in das Gespräch ein. »Bin gespannt, wer das alles erbt.«

Lindt zeigte auf ihn: »Genau, du wirst das herausfinden.«

Ein Uniformierter vom Streifendienst, der gleichzeitig mit der Rettung eingetroffen war, kam zum Tisch: »Eine Hausbewohnerin hat von oben gesehen, wie sie sich übergeben haben. Beide, da rein!« Er zeigte auf den Gully.

»Und weiter?«

»Sind sie eiligst weg, der eine ins Haus, der andere in den Schuppen.«

»Natürlicher Tod scheidet in diesem Fall wohl aus.«

Lindt zog die Stirn in Falten und schaute seinen jungen Kollegen durchdringend an: »Ich wär mal wieder nicht von selbst draufgekommen. Komm, Paul, lass uns fahren.«

Am großen, dunkelgrün gestrichenen Hoftor trafen sie auf Ludwig Willms, den Chef der Kriminaltechnik. »Einer im Haus, einer im Schuppen. Nehmt euch auch den Hof vor, den Wasserablauf und die Weingläser dort auf dem Tisch.«

»Und ihr? Schon fertig?«

»Ludwig, zieh Gummistiefel an, du wirst sie brauchen!«

Für den Rest des Tages sprach Oskar Lindt nicht mehr viel. Er zog sich in sein separates Büro zurück, vergrub sich in irgendwelchen Akten und rauchte dabei eine Pfeife nach der anderen. Nur seine Frau rief er an: »Die Maiwald-Brüder, ja, beide. Heute Abend mehr.«

»Kein Wunder, dass ihr beide so schnell abgehauen seid«, streckte Ludwig Willms den Kopf zu Lindts Bürotüre herein. »Ein Glück, dass jetzt das Wochenende kommt. Nach dieser Sauerei brauch ich dringend Erholung. Wir haben Masken aufgezogen – so was hab ich schon jahrelang nicht mehr gesehen.«

»Und gerochen, meinst du wohl.«

Der KTU-Chef nickte. »Die Leichen sind in der Rechtsmedizin und vom Drumrum haben wir Proben genommen. Das Labor ist dran. Also, wenn du mich fragst …«

»Vielleicht frag ich dich am Montag«, erwiderte Lindt so kurz angebunden, dass Willms die Tür schnell wieder zuzog.

Auch zu Hause war der Kommissar ziemlich einsilbig. Carla verstand, denn ihr ging der Tod der Maiwalds ebenfalls sehr nahe. Sie lebten zwar schon lange in der Waldstadt, aber die Erinnerung an ihre frühere Wohnung war längst nicht verblasst.

»Ob noch viele unserer früheren Nachbarn dort wohnen?«, fragte Carla beim Essen, und Oskar begann tatsächlich, etwas aufzutauen.

»Keine Ahnung, Jan und Paul gehen hausieren. Morgen bekomm ich die Liste.«

Sie legte ihre Hand auf die seine: »Ich seh die Brüder immer noch vor mir, das große grüne Holztor, der alte ratternde Lastwagen.«

»Eigentlich waren sie ja in Ordnung«, meinte Oskar zögernd.

»Was heißt eigentlich?«

»So als Vermieter halt. Aber sonst … na, wie soll ich sagen, ziemlich eigen. Meinst du nicht?«

»Die Miete war auch nicht höher als anderswo, die Wohnung schön groß und wenn was zu reparieren war, haben sie es anstandslos gemacht.«

»Vielleicht ist eigen ja nicht der richtige Ausdruck. Ich hab heut den halben Tag drüber gebrütet, wie ich die beiden denn beschreiben könnte.«

»Zurückgezogen? Eher nicht, durch ihr Baugeschäft waren sie doch überall bekannt.«

»Aber trotzdem gab’s nicht viele, mit denen sie näheren Kontakt hatten. Keine Freunde, keine Verwandten. Das hätten wir doch sonst mitgekriegt auf der anderen Straßenseite.«

»Einen zufriedenen Eindruck haben sie aber schon gemacht«, überlegte Carla. »Und gegrüßt hat man sich immer.«

Oskar schnitt nachdenklich an seinen Rouladen herum: »Vielleicht waren sie sich ja einfach selbst genug. Der Betrieb und die ganzen Häuser, damit kann man ein Leben verbringen.«

»Ich wette, die sind steinreich.«

»Waren, Carla, wenn, dann waren sie steinreich, jetzt nützen ihnen alle ihre Mietshäuser nichts mehr. Reich und doch arm, aber auch das wissen wir morgen.«

»Als geizig galten sie schon damals.«

»Sparsam, geizig, wo ist da der Unterschied? Ihr Frauen seht das natürlich gleich, wenn einer zehn Jahre denselben Sonntagsanzug trägt.«

»Es war wirklich auffallend. Ich glaube nicht, dass die jemals Urlaub gemacht haben.«

»Die hatten einfach ein geregeltes Leben, das hat ihnen gereicht.«

Gegen halb neun am Montagmorgen kam KTU-Chef Willms mit ersten Laborergebnissen: »Kein natürlicher Tod, so viel steht fest.«

»Danke, Ludwig, das lag schon gestern auf der Hand.«

»Wenn der Herr Hauptkommissar alles besser weiß, dann bitte. Was war die Todesursache?«

»Nach diesem Bild gab es für uns hier keinen Zweifel. 3:0 für Gift. Von dir wollen wir nur den Wirkstoff wissen.«

»Okay, ihr seid auf der richtigen Spur, aber viele Alternativen gab es ja wirklich nicht.«

»Also, rück’s raus.«

»Taxin heißt der Stoff. Wer kennt den?«

Allgemeines Schulterzucken.

»Pflanzliches Gift, kommt in der Eibe vor.«

»Eibe«, wollte Jan Sternberg wissen, »die gibt’s doch in jedem Gartencenter. Ist das nicht so ein kleiner Strauch mit grünen Nadeln? Den kannst du dort kaufen, um ’ne Hecke zu pflanzen. So was soll giftig sein?«

»Im Herbst kriegt der rote Beeren«, erinnerte sich Oskar Lindt. »Hinterm Schloss stehen ganz viele. Das sind aber keine so kleinen Dinger, die können mehrere Meter hoch werden.«

Ludwig Willms legte einige Blätter auf den Tisch. »Kopien aus verschiedenen Büchern zum Thema Giftpflanzen. Von dieser Eibe ist praktisch alles giftig: Nadeln, Triebe, Rinde, alles, außer der roten Hülle der Beeren.«

»Die kann man essen?«

Willms klopfte auf die Kopien: »Jan, wenn das stimmt, was hier drinsteht, sollen diese Hüllen richtig süß schmecken, vielleicht etwas schleimig. Der Kern muss allerdings raus, der ist wieder giftig.«

»Selbstversuch gefällig? Marmelade vom Giftstrauch?«, schlug Paul Wellmann vor.

»Okay, ich koche und ihr probiert«, zeigte Sternberg auf Lindt und Wellmann. »Falls es schiefgeht, werden wenigstens zwei Hauptkommissarsstellen frei.«

»Wär doch schade um uns, so kurz vor der Pension. Meinst du nicht, Paul?«

»Danke, mir ist schon schlecht. Wenn ich an die Bilder von gestern denke – so wie die beiden alten Brüder will ich wirklich nicht enden.«

»Passt aber genau zu diesen wissenschaftlichen Abhandlungen.« Der KTU-Chef suchte die entsprechenden Stellen in seinen Unterlagen. »Hier: Erbrechen, Diarrhöe …«

»Dia… – was?«

»Durchfall, Jan, und von beidem gab es ja wirklich genug. Dann Bewusstlosigkeit, Pulsrasen, Blutdruckabfall, verlangsamter Puls, Atemlähmung, Herzstillstand.«

»Schreibt das auch der Doc?«

Willms schlug den Bericht der Gerichtsmedizin auf: »Zuerst zentrale Erregung, anschließend zentrale Lähmung, betrifft sowohl die Atmung als auch das Herz-Kreislauf-System.«

»Und wie haben die Maiwalds dieses Taxin zu sich genommen?«

»50 bis 100 Gramm Nadeln pro Person reichen als letale Dosis.«

»Nadeln? Niemand isst doch grüne Nadeln von einem Strauch.«

»Sie haben das Gift ja auch nicht gegessen, sondern getrunken. Eindeutige Spuren in der Weinflasche und den Gläsern. Der Stoff löst sich in Alkohol.«

»Die Frage ist also, wurden die Brüder vergiftet oder haben sie sich selbst …?«

»Paul, du bist auf der richtigen Fährte. Jedes Jahr gibt es in Deutschland mehrere Tausend Vergiftungen mit Taxin.«

»Sagt wer?«

»Die Statistik der Vergiftungszentralen.«

Familienvater Sternberg schreckte hoch: »Zum Beispiel Kinder, die Zweige in den Mund nehmen?«

»Alles schon vorgekommen, deswegen solltest du euren Garten lieber mit ’ner anderen Hecke einzäunen.«

»Mehrere Tausend Fälle im Jahr, unglaublich.« Lindt wunderte sich: »Komisch, dass man nicht mehr davon hört.«

»Nicht jede dieser Vergiftungen endet letal, Oskar. Wie bei allen Giften – die Dosis macht’s. Pferde zum Beispiel sollen sehr empfindlich sein.«

»Bei den Maiwalds hat’s jedenfalls gereicht.«

Willms schlug die Akten zu: »Der Rest ist euer Part: Suizid oder Mord?«

Lindt lehnte sich zurück: »Du hast gestern im Dreck gewühlt, Ludwig, jetzt kommt unser schmutziges Geschäft, wer hat’s getan, wer hatte ein Motiv?«

3

»Mord«, fragte Staatsanwalt Conradi, »Doppelmord?«, als ihn Lindt in seinem Büro aufsuchte und von den Ergebnissen der Rechtsmedizin und des Labors unterrichtete. »Halten Sie das für denkbar?«

»Im Moment müssen wir alles in Betracht ziehen. Selbstmord, Totschlag, Mord, die ganze Palette eben. Wellmann und Sternberg sind schon wieder vor Ort und schauen, was sie finden. Für die Öffentlichkeit haben wir allerdings noch nichts.«

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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