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»Und was haben wir bisher so getrieben in unserer Dienstzeit?« »Die Bösen gefangen und hinter Schloss und Riegel gebracht.« »Genau. Aber wenn wir mal schneller wären? Wenn wir ein Mal, nur ein einziges Mal verhindern könnten, dass etwas passiert?« Familiendrama am Rande des Nationalparks Schwarzwald: Auf ihrem Bauernhof machen sich Vater und Sohn das Leben zur Hölle. Die Heimat verkaufen? Niemals! Ein heftiger Streit entbrennt. Das Unheil scheint unvermeidbar, aber eine Verwandte will das Schlimmste verhindern. Verzweifelt bittet sie den Karlsruher Kommissar Oskar Lindt um Hilfe. Ist es schon zu spät, oder kann der erfahrene Mordermittler eine Bluttat gerade noch verhindern?
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Seitenzahl: 251
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Bernd Leix
Schwarzwald Hölle
Oskar Lindts zehnter Fall
Bisherige Veröffentlichungen im Gmeiner-Verlag:
Blutspecht (2014), Mordschwarzwald (2013), Fächerkalt (2012), Fächergrün (2011), Fächertraum (2009), Waldstadt (2007), Hackschnitzel (2006), Zuckerblut (2005), Bucheckern (2005)
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Im Ehnried 5, 88605 Meßkirch
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Alle Rechte vorbehalten
1. Auflage 2016
Lektorat: Claudia Senghaas, Kirchardt
Herstellung/E-Book: Mirjam Hecht
Umschlaggestaltung: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart
unter Verwendung eines Fotos von: © Felix Schollmeyer – Fotolia.com
ISBN 978-3-8392-4964-2
Personen und Handlung sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.
Januar 2015 – der Nordschwarzwald liegt unter einer weichen weißen Decke. In den Tälern herrscht gelegentlich Tauwetter, doch in den Hochlagen hält sich der Schnee schon seit einigen Wochen. Dort, wo die urwüchsigen Wälder, Grinden und Karseen des vor einem guten Jahr gegründeten Nationalparks Schwarzwald liegen, herrscht winterliche Ruhe. Auerhahn und Rothirsch bewegen sich kaum – Energiesparen ist überlebensnotwendig.
Jede Störung, jedes Aufscheuchen verbraucht Reserven.
Die Parkbesucher respektieren das. Wer hierher kommt, nimmt Rücksicht auf die Bedürfnisse der Natur. Niemals quer durch die Wälder. Ehrensache, auf den gespurten Skiloipen oder gekennzeichneten Wanderwegen zu bleiben.
Die Parkverwaltung tut das Ihre dazu. Die Touristen werden auf wenige Strecken gelenkt, und für diejenigen Naturliebhaber, die ein besonderes Outdoor – Erlebnis suchen, werden von Rangern geführte Schneeschuhwanderungen angeboten.
Das Einhalten der Regeln ist eine Selbstverständlichkeit geworden. Eine Spur wilder heißt der Slogan des Nationalparks, und wer als Gast die einzigartige Wildnis genießen und bestaunen will, der weiß sich zu beherrschen und sorgsam mit der Natur umzugehen.
Auch in der örtlichen Bevölkerung im oberen Murgtal hat ein weitgehendes Umdenken stattgefunden. Bei der Bürgerbefragung im Frühjahr 2013 waren noch 78% der Baiersbronner Contra-Nationalpark eingestellt. Mittlerweile finden sich nun mehr und mehr Einheimische, die ihre Haltung verändert haben. Nicht nur, dass viele dem großen Schutzgebiet gegenüber jetzt innerlich positiv gesonnen sind, nein, auch die direkten Aktivitäten nehmen zu. Als ehrenamtliche Ranger führen sie Besuchergruppen oder arbeiten als festangestellte Mitarbeiter in den vielfältigen Bereichen für die Fortentwicklung der Naturschutzziele.
Einen großen Beitrag zur Akzeptanz des Parks hat die örtliche Gastronomie geleistet. Immer mehr Hoteliers und Gastwirte erkennen die Chancen, die der Nationalpark für ihr eigenes Gewerbe bietet. Gezielt machen sie damit Werbung, erschließen neue Kundenkreise, bieten zunehmend regionale Produkte auf ihren Speisekarten an und lenken die Urlauber direkt zu den Naturerlebnisangeboten des Parks.
Der Nationalpark selbst ist der Natur vorbehalten.
Menschen sind im Park zu Gast, um die Natur zu erleben.
Menschen arbeiten im Park, um die Natur zu schützen.
Menschen machen die Natur im Park für andere Menschen erlebbar.
Die Schwarzwälder, die Einheimischen, sie leben in den Orten der Umgebung.
Sie wohnen oben auf den Höhen, auf dem Kniebis oder in Herrenwies.
Sie wohnen in den Tälern, die sich Richtung Rhein hinausziehen.
Sie wohnen im Langenbach und in der Schönmünz.
Sie wohnen im Murgtal zwischen Forbach und Baiersbronn.
Dort, in Sichtweite der hohen Berge, steht ein alter Bauernhof.
Dort, umgeben von den dunklen Wäldern, wohnen Vater und Sohn.
Dort, am Rand des Nationalparks, machen sie sich das Leben zur Hölle.
Zur Hölle mitten im Schwarzwald.
Die Blicke.
Es waren seine Blicke.
Es war die Art, wie er mich ansah.
Jahrelang schon.
Niemals sprach er es aus, doch für mich bestand kein Zweifel.
In seinen Augen war es zu lesen.
Abscheu, Verachtung, Mitleid.
Nur ein klein wenig Mitleid.
Diese Blicke.
Niemand sonst bemerkte sie.
Niemand sonst fing sie auf.
Niemand sonst verstand, was sie sagten.
Und sie trafen mich. Jeden Tag, jeden Tag mehr, tief in meinem Innersten.
Eigentlich war ich ja in der stärkeren Position. Ich hatte das Sagen. Ich konnte Forderungen stellen. Ich konnte bestimmen. Er war auf mich angewiesen. Seit Mutters Tod ganz und gar.
»Überschreib mir den Hof«, hatte ich gesagt. »Dann bleib ich. Einer muss ja für dich sorgen.«
Wochenlang, monatelang. Immer wieder fing ich damit an.
Er gab mir keine Antwort.
Höchstens: »Muss ich mir noch überlegen.«
Er ließ sich von mir die Wäsche waschen.
Er aß, was ich ihm kochte.
Er hielt mir den Stumpf seines Beines hin, wenn er eingerieben werden wollte.
Vieles hätte er selbst gekonnt, aber er tat es nicht.
»Vater, ich bin für dich da. Ich bleibe hier wohnen. Ich kümmere mich um dich, aber dafür brauch ich Sicherheit. Ich möchte den Hof.«
Zu dieser Zeit begann er, mich so anzusehen.
Ich verstand ihn nicht. Wieso hatte er Angst, seinen Besitz weiterzugeben? Irgendwann würde ich sowieso alles erben.
Er sprach nicht darüber. Er schaute nur.
Ich versuchte es mit mehr Druck. »Ich hab mir eine Wohnung angesehen. Zwei Zimmer, drunten in Baiersbronn, die reicht für mich.«
Die Sprache seiner Augen war eindeutig: ›Du gehst nicht. Nein, das tust du nicht.‹ Doch aus seinem Mund kam nichts.
Er sprach mit mir nur das Allernötigste. Manchmal tagelang gar nichts. Er schüttelte nicht einmal mit dem Kopf, wenn ich ihn wieder bedrängte.
Wer war hier der Stärkere?
Ich, der junge kräftige Waldarbeiter?
Ich, der täglich im Staatswald an zig Bäumen die Motorsäge ansetzte?
Ich, der das Haus in Ordnung hielt, die Tiere fütterte und die Wiesen pflegte?
Oder er?
Der Frührentner, der sich höchstens ein Mal in der Woche in sein kleines Auto setzte und zur Sparkasse fuhr oder eine Kleinigkeit einkaufte?
Der Invalide, der vor vielen Jahren mit seinem Motorrad auf der Passstraße hoch zum Ruhestein aus der Kurve geflogen war und dessen linker Unterschenkel nicht gerettet werden konnte?
Der ewige Nörgler, der aus dem Achertal hierher eingeheiratet hatte, obwohl er auch schon damals die Arbeit in der kleinen Landwirtschaft nur sehr widerwillig machte?
Die Leute im Dorf hatten es oft zu meiner Mutter gesagt. Bevor sie den langen Kerl aus dem Badischen heiratete und auch später immer wieder.
Mit dem würd’ sie nicht glücklich werden. Der hätt’ so einen komischen Blick.
Der tät ja mit niemandem schwätzen. Der hielte sich wohl für was Besseres.
Immerhin war er Buchhalter. Früher, bis vor zehn Jahren. Fast ein Vierteljahrhundert bei der gleichen Firma oben in Freudenstadt. Maschinenbau, internationale Kunden.
Ja, dort war er ›auf dem Büro‹ gewesen. In der Kreisstadt. Immer korrekt, immer aufrecht, immer im Anzug. Ohne Krawatte, aber mit geschlossenem oberstem Kragenknopf. Er konnte sich zwar nur günstige Anzüge leisten, aber die Art, wie er sie trug, und der Gesichtsausdruck, den er dazu aufsetzte, drückte seine ganze Verachtung für die anderen aus.
Verachtung für die, die in Latzhose und Arbeitskittel einem Handwerk nachgingen. Verachtung für die, die sich an der Drehbank die Hände schmutzig machten, und Verachtung für die, die in der Landwirtschaft schufteten und nach Kuhstall stanken.
Warum hat der eigentlich auf einen Hof geheiratet? Er will ja doch nix schaffen!
Einige der Nachbarn sprachen es aus, wenn meine Mutter wieder einmal alleine auf einer der steilen Bergwiesen stand, um mit dem Rechen das Heu zu wenden.
Ach, hatte sie dann meistens geantwortet, wir dürfen dankbar sein, dass er so eine gute Stellung hat. Mit der Landwirtschaft kann man ja nichts mehr verdienen. In ein paar Jahren ist Schluss, dann verkaufen wir die Kühe und den Bulldog. Mir wird das alles auch zu viel.
Dass sie es nicht tat, lag hauptsächlich an mir. Schon als Kind fühlte ich mich wohl bei Liesel und Emma im Stall. Diese beiden und noch weitere drei Kühe zu melken, beherrschte ich bereits, als ich zehn war. Ausmisten, morgens vor der Schule, das machte mir nie was aus, auch wenn trotz Duschen noch ein leichter Geruch an mir haften blieb. Und wenn ich mit unserem roten Porsche-Traktor auf dem Hof rumkurven konnte, war ich sowieso der King.
Lag auch damals schon Verachtung für mich im Blick meines Vaters?
Sein Sohn, der die Schule nur mit Mühe schaffte. Sein Sohn, der niemals ein Buch zur Hand nahm, ja, dem es eine echte Qual bereitete, wenn er lesen oder etwas schreiben musste. Sein Sohn, der viel lieber draußen war, als die Hausaufgaben zu machen. Sein einziges Kind, sein Sohn, den er gerne auch in einem Büroberuf gesehen hätte.
Stattdessen begann ich meine Lehre als Forstwirt, früher hätte man Holzhauer gesagt, droben in Obertal, im Staatswald. Morgens half ich im Stall, danach setzte ich mich auf mein Moped und fuhr in den Wald, um zu arbeiten. Abends wieder Landwirtschaft, Futtergras holen, misten, melken – ich tat es immer gern.
Bis zu dem Tag, als die Liesel sich im Stall erschreckte. Vielleicht hatte ihr eine dicke Rinderbremse in die Nase gestochen? Sie machte einen Satz zur Seite und drückte meine Mutter an die Wand. Ganz alleine war sie im Stall, niemand konnte ihr Rufen hören. Abends, als ich von der Arbeit kam, fand ich sie, längst tot, innerlich verblutet. Ein Riss in der Bauchschlagader, sagte die Polizei später.
Von diesem Tag an ging es los.
»Der Lindt!«, keuchte die rotgesichtige Frau am Eingang des Karlsruher Polizeipräsidiums. »Ich muss zum Lindt.«
Der Uniformierte musterte Lisbeth Wein. »Sie sind nicht von hier.«
»Nein, wieso?«
»Es schwäbelt ein bissel.«
»Ja und? Was dann? Darf ich deswegen nicht rein?« Das Rot in Lisbeths Gesichts wurde noch eine Spur kräftiger. »Sie, ich kenn den Lindt. Der hat sich schon bei uns erholt. Mit seiner Frau.« Sie griff in ihre Handtasche, zog ein schmales grünglänzendes Faltblatt heraus und streckte es dem Beamten hin. »Da! Gästehaus Tannengrund in Baiersbronn. Falls Sie auch mal Urlaub in guter Luft machen wollen. Da draußen …« – sie zeigte zur dicken Eingangstür – »… da draußen ist ja ein Mordsgestank.«
»Nur jetzt im Winter und bei Hochnebel, dann drückt’s ziemlich.«
»Also was ist jetzt? Lassen Sie mich endlich durch!«
»Net so schnell, gute Frau«, entgegnete ihr der Polizist in breitem Karlsruher Badisch. »Was wolle’ Sie denn von ihm?«
Entrüstet stemmte Lisbeth die Hände in die Hüften. »Geht Sie doch nix an. Das sag ich nur ihm selbst.« Wieder suchte sie in ihrer Tasche und brachte diesmal eine Visitenkarte mit dem baden-württembergischen Landeswappen zum Vorschein. »Da! Da steht’s drauf. Oskar Lindt, Erster Kriminalhauptkommissar. Die Kart’ hat er mir gegeben, damals. Wenn mal was ist, hat er g’sagt.«
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