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Das hat Connor Bannon gerade noch gefehlt. Der Ex-Navy-SEAL hat zwei Jahre lang für den berüchtigtsten Bandenchef Brooklyns gearbeitet und ermittelt nun selbst undercover gegen Kriminelle in Chicago. Doch jetzt wurde die ehemalige Brandstifterin Erin O‘Dea seinem Team zugeteilt - und obwohl zwischen den beiden augenblicklich heiße Funken sprühen, ist Connor auch klar, dass ihm die kleine, feurige Frau mit den kurzen Jeans und den Springerstiefeln nichts als Ärger machen wird. Denn er ist es gewohnt, eisern alle Bereiche seines Lebens zu kontrollieren, und wenn Erin eines hasst, dann, wenn jemand ihr Vorschriften macht ... (ca. 370 Seiten)
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Seitenzahl: 456
TESSA BAILEY
Bad With You
Für dich gehe ich in Flammen auf
Roman
Ins Deutsche übertragen von Michaela Link
Das hat Connor Bannon gerade noch gefehlt. Der Ex-Navy-SEAL hat zwei Jahre lang für den berüchtigtsten Bandenchef Brooklyns gearbeitet und ermittelt nun selbst undercover gegen Kriminelle in Chicago. Doch jetzt wurde die ehemalige Brandstifterin Erin O’Dea seinem Team zugeteilt – und obwohl zwischen den beiden augenblicklich heiße Funken sprühen, ist Connor auch klar, dass ihm die kleine, feurige Frau mit den kurzen Jeans und den Springerstiefeln nichts als Ärger machen wird. Denn er ist es gewohnt, eisern alle Bereiche seines Lebens zu kontrollieren, und wenn Erin eines hasst, dann, wenn jemand ihr Vorschriften macht …
Für Frauen, die lieber unangepasst sind
Einmal SEAL, immer SEAL …
Connor Bannon starrte auf die Uhr an der Wand des leeren Konferenzraums und beobachtete, wie der Sekundenzeiger über die Zwölf kroch. Punkt fünfzehn Uhr. Ihm kribbelte der Nacken vor Ungeduld. Er hasste es, sich zu verspäten. Hasste es, wenn andere sich verspäteten. Wenn er bei der Navy eines gelernt hatte, dann Pünktlichkeit. Selbst jetzt, lange nach dem unrühmlichen Ende seiner militärischen Karriere, war er verdammt noch mal zur Stelle, wenn er zur Stelle sein sollte. Er konnte gar nicht zu spät kommen, selbst wenn er es gewollt hätte.
Anscheinend hatte man ihn aber in eine Einheit verdeckter Ermittler gesteckt, die diese Eigenschaft nicht mit ihm gemein hatten.
Das leere Whiteboard und die sechs freien Stühle im Raum schienen ihn zu verhöhnen. Er ging nicht gerne ahnungslos in ein Meeting. Es ging ihm gegen den Strich, unvorbereitet zu sein, aber man hatte ihm keine Wahl gelassen. Er wusste nur, dass Bowen Driscol und Seraphina Newsom mit im Team waren, von New York nach Chicago geschickt im Austausch gegen irgendwelche Gefälligkeiten, genau wie er. Zu ersten Mal seit seinem kurzen Auftritt bei den SEALs würde er auf der richtigen Seite des Gesetzes stehen.
Oder auf der falschen Seite, je nachdem, wer die Fragen stellte.
Er würde mit Betrügern zusammenarbeiten, mit Verbrechern, die sich das Gefängnis ersparen wollten. Mehr wusste er nicht, und das wurmte ihn gewaltig. Wenn die anderen vor dieselbe Wahl gestellt worden waren wie er, dann hatten sie sich dafür entschieden, dem Police Department von Chicago zu helfen, Verbrecher zu fangen, wie sie selbst welche waren, weil es das kleinere von zwei Übeln war.
Hatte er bei den SEALs noch etwas Wichtiges gelernt? Ja: Wenn es nicht wie eine Bombe aussieht, ist es wahrscheinlich eine.
Die Tür des Konferenzraums flog auf und knallte gegen die Wand. Connor griff blitzartig nach der Waffe in seinem Schulterhalfter – einer Waffe, die ihm die Uniformierten bei der Ankunft abgenommen hatten. Verdammt. Er sprang stattdessen auf die Füße und fixierte die … Bedrohung?
»Entspann dich, Trigger. Ich liebe dramatische Auftritte.«
Eine junge Frau kam in den Konferenzraum geschlendert. Ihre Kampfstiefel klimperten bei jedem Schritt, als wären Glöckchen daran befestigt. Sie trug ein T-Shirt mit der Aufschrift »Bitch, don’t kill my vibe«über zerrissenen Jeansshorts, die direkt unterhalb ihres Hinterns endeten. Eines Hinterns, den er bemerkte, noch bevor er ihr leuchtend pinkfarbenes Haar registrierte. Wer zum Teufel war das?
Sie warf einen ausgefransten Stoffbeutel auf den Tisch und fläzte sich auf den Stuhl, der seinem gegenüberstand. Den Kopf leicht zur Seite geneigt nahm sie ihn ins Visier. Der amüsierte Ausdruck auf ihrem Gesicht sorgte dafür, dass es nicht nur schön, sondern auch interessant war. Nicht nur eine nette Ablenkung, sondern eine, die er gerade nicht gebrauchen konnte. Als hätte sie dieses verdammte Extra an Bestätigung nötig.
Seit wann nahm er es Frauen übel, dass sie gut aussahen?
Betont langsam musterte sie ihn. Connor spürte, wie ihr Blick über seine Lenden glitt, und kämpfte gegen den Drang, seine Erektion zu verstecken, den er einer Frau zu verdanken hatte, in deren Gegenwart er sich erst seit dreißig Sekunden befand. Es gefiel ihm nicht. Das Gefühl, die Situation nicht unter Kontrolle zu haben, gefiel ihm nicht. Er ließ Menschen nur das sehen, was er zeigen wollte, aber irgendwie war diese Frau in den Raum gestapft, hatte gerade mal drei Worte gesagt und ihn aus dem Konzept gebracht.
»Tja.« Sie lehnte sich in ihrem Stuhl zurück und zwinkerte Connor zu. »Ich schätze, der Spitzname ›Trigger‹ ist in mehr als nur einer Hinsicht passend.«
Connor setzte sich wieder hin, grub die Finger in sein Knie und zwang sich, sich nichts anmerken zu lassen. Er hasste den Spitznamen, den sie ihm gerade verpasst hatte, aber er wollte verdammt sein, wenn er sie das wissen ließ. »Und wie heißen Sie?«
Ihre Mundwinkel zuckten. »So förmlich, Baby?« Er bemerkte ein berechnendes Flackern in ihren Augen, und noch bevor es wieder verschwand, wusste er, dass er mit ihrem nächsten Schachzug zu rechnen hatte. Sie saugte ihre volle Unterlippe zwischen die Zähne, legte beide Füße auf den Tisch und bot ihm einen Blick auf ihre Oberschenkel, der ihm den Atem stocken ließ. Sie schlug die Beine an den Knöcheln übereinander, aber erst nachdem er einen Blick auf die Stelle erhascht hatte, zu der diese Beine führten. Ein winziges Stückchen Jeansstoff, das ihre intimste Stelle bedeckte. »Nenn mich, wie du willst. Aber erwarte nicht, dass ich darauf reagiere.«
Himmel Herrgott. Wenn sie ihn noch steifer machte, würde er sich entschuldigen müssen. »Ich würde deinen Namen nur benutzen, wenn ich einen guten Grund dazu hätte.«
Sie schaukelte die Füße hin und her. »Und was sollte das für einer sein?«
Er hätte sich am liebsten anders hingesetzt. »Du hast ihn schon ausgiebig angestarrt.«
Ihre Füße blieben still. Er sah Überraschung und Unsicherheit aufblitzen, was ihn höllisch verwirrte. Hatte er ihre Signale falsch gedeutet? In der einen Minute forderte sie ihn heraus, und in der nächsten sah sie aus, als wäre sie im Scheinwerferlicht erstarrt. Oder hatte er sie nur mit ihrer großen Klappe auflaufen lassen? Seine Fähigkeit, Menschen zu durchschauen, war mehr als einmal seine Rettung gewesen, seit man ihn vor zwei Jahren bei den SEALs unehrenhaft entlassen hatte. Als Mann fürs Grobe bei der kriminellen Untergrundorganisation seines Cousins in Brooklyn waren die Fähigkeiten, die er in der Navy trainiert hatte, täglich zur Anwendung gekommen. Oft auf eine Art und Weise, an die er nicht gern zurückdachte, sich aber trotzdem dazu zwang. Um sich daran zu erinnern, wie tief er gesunken war.
Diese Frau zu durchschauen war allerdings schwierig, selbst für ihn. Sie hatte ihm ihre Oberschenkel gezeigt, als fordere sie eine Reaktion heraus, aber als er sie ihr gegeben hatte, hatte sie dichtgemacht. Warum auch immer – er würde sich weigern, auch nur einen weiteren Funken Interesse zu zeigen. Er war nicht interessiert. Alles an dieser Frau schrie nach Ärger. Und damit war er fertig. Voll und ganz.
»Also.« Sie fand schließlich ihren amüsierten Gesichtsausdruck wieder. »Nach welchem guten Stück wolltest du denn eben greifen, als ich hereinkam?«
Er sah sie lediglich mit zusammengekniffenen Augen an.
»Hey, du rennst offene Türen ein. Mir hat man auch meine Lieblingsknarre weggenommen.« Sie zog einen Schmollmund. »Auf der einen Seite sind meine Initialen mit Tipp-Ex aufgemalt und so.«
Ach, jetzt kapiere ich. Sie ist verrückt. »Warum bist du hier?«
Seine barsche Frage brachte sie nicht aus der Ruhe. »Drei-Uhr-Meeting, genau wie du. Manche Leute legen einfach keinen Wert auf Pünktlichkeit.«
Bei ihrem Grinsen dachte er sofort, dass sie seine Gedanken gelesen hatte, als sie hereingekommen war. Aber das war unmöglich. Scheiße, wer war diese Frau? Eine verführerische Waffennärrin, die zufällig auch noch über eine gute Wahrnehmung verfügte? Er musste mehr wissen. Jedenfalls genug, um zu verstehen, wie sie tickte, damit er seine Neugier befriedigen und ablegen konnte. »Ich habe nicht gefragt, warum du in diesem Raum bist, sondern wie du in diesem Team gelandet bist.«
Sie inspizierte ihre Fingernägel. »Ah. Das alte Wofür-hast-du-gesessen-Gespräch. Ohne mich.« Ihre Stiefel landeten abrupt auf dem Boden. »War nur ein Witz, ich bin dabei. Aber du musst den Anfang machen.«
»Nö.«
»Also ein Patt«, flüsterte sie und ließ die Finger über den Tisch spazieren. »Ich könnte raten, warum du hier bist, aber das würde dir noch weniger gefallen, als es mir einfach zu sagen.«
Connor sagte nichts. Es würde ihm nicht gefallen. Rätselraten war noch nie sein Ding gewesen. Er beschäftigte sich nur mit Fakten. Wieder hatte er das Gefühl, dass diese Frau mehr sah als die meisten anderen Menschen. Die Aura von Chaos, die sie wie eine zweite Haut umgab, führte wahrscheinlich dazu, dass man sie unterschätzte. Er würde diesen Fehler nicht begehen.
»Du hast einen militärischen Background. Aber du bist jetzt nicht mehr dabei, nicht wahr?« Sie beugte sich über den Tisch, und er fing den entfernten Geruch von Rauch auf. Kein Zigarettenrauch. Es erinnerte eher an das Anschlagen eines Streichholzes oder an den anhaltenden Duft von Weihrauch. »Das ist nicht schwer auszurechnen, Soldat.«
»Nenn mich nicht so.«
»Dir gefällt weder Trigger, Baby, noch Soldat.« Ihre Zunge verweilte auf ihrer Oberlippe. »Wenn du keinen meiner Spitznamen magst, solltest du mir besser deinen richtigen Namen verraten.«
Connor hätte beinahe gelacht. Beinahe. Die Spitznamen waren ihre Art gewesen, ihn auf Umwegen dazu zu bringen, als erster mit seinem Namen herauszurücken. Er wäre ihr um ein Haar auf den Leim gegangen. Warum führten sie wegen einer solchen Kleinigkeit einen Krieg? Wenn dieses Meeting begann, würden ohnehin alle Namen bekannt werden.
Es wurde Zeit, dieses Mädchen wissen zu lassen, dass er keine Spielchen spielte. Zumindest nicht die Art, die man voll bekleidet spielte. Er beugte sich über den Tisch und beobachtete, wie ihre blauen Augen sich weiteten. Unter ihrem pinkfarbenen Haar musste sie blond sein, denn ihre Wimpern und Augenbrauen waren hell, ihr Teint blass. Auf meinem schwarzen Bettlaken wäre sie perfekt … die Arme über den Kopf gestreckt, außerstande, sich zu befreien. Sie würde gar nicht wirklich wünschen freizukommen.
»Ich habe nicht gesagt, dass es mir nicht gefällt, wenn du mich Baby nennst.«
Verdammt. Hatte er das gerade laut ausgesprochen? Er hatte doch beschlossen, ihr gegenüber kein weiteres Interesse zu zeigen. Wenn er eine Entscheidung traf, dann hielt er sich auch daran. Immer. Er verübelte ihr, dass sie ihn dazu brachte, von seinem Kurs abzuweichen. Wenn sie sich nicht so dicht vorgebeugt hätte, ihre kleinen Brüste gegen ihr T-Shirt gepresst, hätte er sich vielleicht an seinen Entschluss gehalten. Er hatte schon immer eine Schwäche für Frauen mit prallen kleinen Brüsten gehabt, und er hätte zehn zu eins gewettet, dass sie keinen BH trug. »Vielleicht würde ich diesen Spitznamen bloß gern unter anderen Umständen von dir hören.«
Als ihre Selbstsicherheit sichtlich ins Wanken geriet, unterdrückte Connor einen Fluch. Diese widersprüchlichen Seiten an ihr verstärkten nur sein Verlangen, mehr zu erfahren, aber er wollte sich nicht auf sie einlassen. Er konnte es sich nicht leisten. Sie hob das Kinn ein wenig, und dieser feurige Ausdruck trotz ihrer Unsicherheit törnte ihn an.
»Und welche Umstände wären das?«
Zu früh. Zu durchgeknallt. Er hatte diese Frau gerade erst kennengelernt. Sie würden zusammen arbeiten. Er konnte nicht am helllichten Tag hier sitzen und die vielen Aktivitäten aufzählen, auf die er sich gern mit ihr eingelassen hätte. Selbst wenn er es am liebsten getan hätte, nur um ihre Reaktion zu testen. Um zu sehen, ob sie ihn ebenfalls wollte. Aber was würde er tun, wenn dem so war? Sie auf den Konferenztisch ziehen, ihr das T-Shirt hochreißen und einen Blick auf diese Brüste werfen? Er würde sie in seine Wohnung mitnehmen müssen, wenn er das vorhatte, zum Teufel mit dem Meeting.
Wechsele das Thema. »Warum riechst du nach Rauch?«
Ihre Wimpern senkten sich kurz, bevor sie die Augen weit aufriss und ihr Blick ihn traf wie ein Schlag. »Weil ich Feuer lege.«
Zu jeder anderen Zeit hätte der Ausdruck auf dem Gesicht dieses heißen, bärtigen Exsoldaten Erin O’Dea einen Lachanfall beschert. Es war nicht die übliche Reaktion, die sie von Männern bekam, wenn sie auf verrückt machte. Ganz und gar nicht. Vielleicht war das der Grund, warum sie nicht lachte. Dieser Mann war nicht typisch. Er passte nicht in ihre Vorstellung davon, wie Männer sein sollten. Sie wollten ihr alle an die Wäsche, bis sie ihre lustige kleine Offenbarung brachte. Überraschung, Schätzchen. Ich bin eine verurteilte Brandstifterin. Du könntest der Nächste sein.
Einsatz für ein schauriges Gelächter.
Sie fragten nie, warum sie es getan hatte, erkundigten sich nie nach den Umständen, sondern verschwanden einfach von der Bildfläche. Ganz wie geplant. Aber dieser Typ verschwand nicht. Er war nicht mal zusammengezuckt, kein bisschen, und die Erleichterung, die ihr ins Herz sickerte, machte sie wütend. »Sei auf der Hut«, schrillten ihre Alarmglocken. Dieser Mann würde fragen, warum, und sich nach den Umständen erkundigen. Da sie ihn erst vor wenigen Minuten kennengelernt hatte, konnte sie sich dessen nicht absolut sicher sein, aber es wäre fahrlässig, ihn in dieselbe Kategorie einzuordnen wie andere Männer, die es leicht mit der Angst zu tun bekamen. Seine ruhigen grünen Augen waren so eindringlich auf sie gerichtet, dass sie sich Sorgen machte, ihre Maske könne unter dem Gewicht dieses Blickes verrutschen. Sie wollte nicht, dass er der Erste war, der sie fragte, warum. Sie wollte nicht, dass irgendjemand sie nach dem Warum fragte. Ihre Geheimnisse waren alles, was sie besaß. Wenn man mit Hunderten von Frauen hinter Gittern gelebt hatte, wo einem jegliche Privatsphäre genommen wurde, klammerte man sich an jeden noch so kleinen Rest. Und man ließ nicht wegen ein paar muskulöser Bizepse los.
Auch der hier brauchte nur noch einige wenige Stupser, und er würde das Interesse verlieren. Vielleicht war das sogar bereits der Fall und er verbarg seine Gefühle nur besser als die meisten anderen. Damit kannte sie sich bestens aus. Obwohl einige Leute, allen voran ihr Stiefvater, daran interessiert waren, dass sie offiziell für verrückt erklärt wurde, stimmte es wahrscheinlich nur halb. Ja, sie war ein wenig neben der Spur. Aus gutem Grund. Der Mann, der ihr gegenübersaß, würde das schon bald erkennen und aufhören sie anzusehen, als wolle er sie bis auf den letzten Krümel verschlingen.
Sein Blick wurde unerträglich, und Erin konzentrierte sich auf das Fenster. Nur eine einzige Glasscheibe trennte sie von der Außenwelt. Sie konnte alles überleben, sich allem stellen, solange das der Fall war. Weshalb sie nun auch hier saß. Man konnte nur einer begrenzten Anzahl von Kugeln ausweichen, bevor man eine in den Rücken bekam. Dieser Ort, dieser Job, war ihre Kugel zwischen die Schulterblätter. Getroffen, eine Verletzte.
Für Cops zu arbeiten. Die verdammte Hölle musste zugefroren sein. Sie hatte auf dem Weg hierher nicht ohne Grund auf den Bordstein gespuckt. Cops waren der Feind. Die Männer und Frauen, die ihr die Freiheit genommen hatten. Die gelacht hatten, als man sie ihrer Würde beraubt hatte. Die dachten, mit Handschellen und einer Waffe wären sie smart, dabei waren sie nur selbstgefällig. Das hatte sie mit ihren fünfundzwanzig Jahren bereits unter Beweis gestellt. Zweimal.
Die hochgezogene Augenbraue des Exsoldaten verriet ihr, dass sie lächelte. Nach dem, was sie ihm gerade erzählt hatte, deutete er dieses Lächeln wahrscheinlich als Zeichen, dass sie bekloppt war. Mission erfüllt. Zum ersten Mal, seit sie Männern abgeschworen hatte, bedauerte sie, einen davon in die Flucht zu schlagen. Aber es war absolut notwendig. Dieser Mann – dieser große, raue Kerl – war ein Vollstrecker. Mehr als das, hinter all seinem stoischen Gleichmut verbarg er ein funktionierendes Gehirn. Selbst wenn sie geneigt gewesen wäre, ihn unter gewissen Umständen Baby zu nennen, wäre das katastrophal. Man brauchte kein Genie zu sein, um zu erkennen, dass er im Bett dominant sein würde. Die Art, wie er die Fäuste ballte, als ringe er um Kontrolle, obwohl sie ganze sechzig Zentimeter entfernt saß, sagte alles. Er wäre der Typ, der eine Frau unter sich festhielt, während er voller Begierde in sie hineinstieß.
Dieses Bild hätte sie früher vielleicht angetörnt. Jetzt flößte es ihr Entsetzen ein.
Dennoch. Sie gestattete es sich, seine Lippen anzuschauen. Wer hätte gedacht, dass sie einen Bart so reizvoll finden könnte? Er war nicht struppig, sondern kurz geschnitten. Gepflegt. Er sah aus wie ein Mann, der nur mit einer Schnur und einer Regenjacke allein in der Wildnis überleben konnte. Fähig. Wie aus Stahl gemacht. Wie würde sich dieser Bart auf ihren Wangen anfühlen, an ihrem Kinn? Wenn sie sich ein klein wenig weiter über den Tisch beugte, würde er ihr vielleicht erlauben, es herauszufinden. Falls er nicht bereits zu dem Schluss gekommen war, dass sie in eine Zwangsjacke gehörte. Zieh ne Nummer, Kumpel.
»Du solltest dich jetzt besser entscheiden, ob dir dieses Meeting wichtig ist oder nicht«, knurrte er. »Denn wenn du mich weiter so ansiehst, als wolltest du mich küssen, werden wir beide gleich nicht mehr hier sein, um es zu erleben.«
Oha. Etwas, von dem sie gedacht hatte, es wäre längst erloschen, flatterte in ihrem Bauch. »Das ist aber eine ziemlich optimistische Einschätzung.«
»Realistisch.«
Erin trommelte mit den Fingern auf den Tisch, bevor sie die Hand ausstreckte, in der Absicht, an seinem Bart zu ziehen. »Ich bin bloß neugierig, wie sich das anfühlt. An gewissen Stellen.«
Er packte ihr Handgelenk, bevor sie ihn berühren konnte. »Wenn du mich anfasst, wirst du es herausfinden.«
Eine Eisschicht bildete sich unter ihrer Haut, so kalt, dass es wie blaues Feuer brannte. Ihre Muskeln verkrampften sich, bis es schmerzte. Sie konzentrierte sich auf ihre Atmung. Ein und aus. Ein und aus. Nur einmal kurz ziehen, und ihre Hand wäre frei. Nichts konnte sie halten. Dafür hatte sie gesorgt. In diesem muskulösen Körper mochte eine Menge Kraft stecken, aber sie spürte, dass er sie nicht gegen sie einsetzen würde. Es sei denn, sie forderte es heraus. Was sie auf keinen Fall tun würde.
Ihr Gehirn befahl ihr, sich aus seinem Griff zu lösen, aber ihr Körper wollte nicht gehorchen. Sie konzentrierte sich wieder auf das Fenster, auf das Fleckchen grauen Himmels, das durch das Glas sichtbar war. »Bitte, lass mich los«, flüsterte sie, zornig, dass ihre Stimme zitterte.
Er ließ ihre Hand fallen, als stünde sie in Flammen. Es gefiel ihr nicht, wie er sie ansah. Augen, die zu viel mitbekamen. Augen von jemandem, der Theorien verwarf und sich neue überlegte. Als wüsste er auch nur das Geringste darüber, was mit ihr nicht stimmte. Die meiste Zeit wusste sie es nicht mal selbst.
»Ich bin Connor.«
Erin erstarrte. Innerlich und äußerlich. Ihr wurde plötzlich warm, als hätte ihr jemand eine Fleecedecke um die Schultern gelegt. Wenn sie gedacht hatte, sie hätte ihn auch nur ansatzweise durchschaut, dann irrte sie sich. Er hätte ihrem dummen Namenskrieg nicht nachzugeben brauchen. Er hatte es getan, weil sie einen Riss in ihrer Rüstung gezeigt hatte und er ihr einen Sieg schenken wollte.
Connor.
»Wie wäre es mit einem winzig kleinen Kuss?« Scheiße. Was sollte das jetzt, bitteschön? »Ohne Zunge.«
»Wir sind hier nicht im Sommercamp.« Seine Hände ballten sich zu Fäusten. Öffneten sich wieder. »Wenn du mich küssen willst, kriegst du alles. Ich werde mich nicht zurückhalten.«
Sein schroffer Ton ließ sie schaudern. Diese Stimme barg Versprechen, die sie nicht einmal ansatzweise deuten konnte. Es war so lange her, seit sie einem Mann erlaubt hatte, sie zu berühren, aber sie wusste instinktiv, dass es mit Connor eine vollkommen neue Erfahrung sein würde. Eine, für die sie definitiv nicht bereit war und für die sie niemals bereit sein würde. Trotzdem. Sie fühlte sich … zu ihm hingezogen. Ursprünglich hatte sie sich über den Konferenztisch gebeugt, um den Mann aus der Fassung zu bringen. Bei den meisten Leuten funktionierte das. Man rückte ihnen auf die Pelle, bis sie sich für immer zurückzogen. Doch jetzt, da sie ihm so nah war, ertappte sie sich dabei, dort bleiben zu wollen. Es schadete dabei nicht, dass er ihre Hand ohne jedes Zögern losgelassen hatte. Vielleicht war es verfrüht oder ein Fehlurteil ihrerseits, aber seine Geste hatte ihr ein Gefühl von Sicherheit vermittelt. Und sie fühlte sich nicht sehr oft sicher, wenn überhaupt jemals.
Nachdem sie beschlossen hatte, auf ihre Instinkte zu vertrauen, die sie selten im Stich ließen, kletterte sie auf den Tisch und überwand auf Händen und Knien den verbliebenen Abstand. Connors Züge entglitten ihm ein kleines bisschen, er stieß rau den Atem aus, über seine breite Brust zog ein Schaudern, als er sie beobachtete. »Das sollte keine Herausforderung sein«, schnarrte er.
»Alles, was wir bisher zueinander gesagt haben, war eine Herausforderung.« Erin wusste, dass ihm gefiel, was er sah, als sein Blick über ihren Rücken glitt und auf ihrem Hintern hängen blieb. Sie wackelte kurz damit. Ein tiefes Knurren entrang sich seiner Kehle, und sie war schockiert darüber, dass es sie erregte. »Küss mich … aber fass mich dabei nicht an, okay?«
»Himmel.« Er fuhr sich mit beiden Händen übers Gesicht. »Dafür hast du dir den falschen Typen ausgesucht, Schätzchen.«
Natürlich verstärkte das ihren Wunsch, ihn zu küssen, noch mehr. Feuer zog sie magisch an. Connor hatte davon genug in sich, um eine Stadt mittlerer Größe niederzubrennen. Die Tatsache, dass er sein Feuer so gut unter Kontrolle hatte, weckte in ihr nur das Verlangen zuzusehen, wie es knisterte und raste. »Ich hab nicht gesagt, dass ich nicht anfassen darf.« Sie packte ihn am Kragen seines Shirts und zerrte ihn zu sich heran, bis ihre Münder nur zwei Zentimeter voneinander entfernt waren. »Nur du nicht.«
An seinem Kiefer zuckte ein Muskel. »Du wirst noch darum betteln, meine gottverdammten Hände auf dir zu spüren.«
Ah, Connor. Du hast ja keine Ahnung, worauf du dich einlässt. »Du kannst gern versuchen, mich zum Betteln zu bringen.«
Als wolle er ihre Bedenken zerstreuen, obwohl es ihn ärgerte, packte er mit solch unverhohlener Kraft die Tischkante, dass das Holz unter ihr ächzte. Nach einer sengenden Musterung ihres Körpers streifte er einmal mit seinem Mund den ihren, bevor er die Zunge über den Spalt zwischen ihren geschlossenen Lippen gleiten ließ. Der Raum um sie herum verschwamm. Oh. Oh, wow.
Aus dem Augenwinkel sah sie eine Gestalt in der Tür aufragen. »Tja, die Kennenlernphase ist wohl schon voll im Gang.«
Connor schoss nach vorn, um die Frau vor dem Blick des Neuankömmlings zu schützen. Sie war für ihn auf den Tisch geklettert, und niemand würde Gelegenheit bekommen, diese Szene zu genießen. Niemand außer ihm. Seine Hände streckten sich ganz von allein aus, um sie vom Tisch zu ziehen und hinter sich zu schieben.
Sie griffen ins Leere.
Aus zwei Gründen loderte Panik in ihm auf. Erstens, es gefiel ihm nicht, den Blick von dem Mann abzuwenden, der in der Tür stand, solange seine Identität nicht geklärt war. Schließlich hatte man ihm gesagt, er solle mit einem Raum voller verurteilter Sträflinge rechnen. Er musste wissen, wer eine Bedrohung darstellte, und er wollte es sofort wissen. Vor allem jetzt, da die Bedrohung sich gegen die Frau richten konnte. Zweitens, es machte ihn nervös, sie nicht anfassen zu können. Wirklich lächerlich, da nur sein Griff um ihr Handgelenk sie schon an den Rand eines Nervenzusammenbruchs gebracht hatte. Aber das verstärkte nur sein Verlangen, sie zu berühren. Ihre Angst wegzustreicheln. Sie zu besänftigen. Sie zu zähmen.
Connor riss den Kopf herum, weil er sie sehen musste. Sie winkte ihm von ihrem Stuhl aus mit dem kleinen Finger zu. Wie hatte sie sich so schnell bewegen können? Und verdammt, wie konnte sie so gelassen winken, nachdem ihm schon die kurze Berührung ihrer Münder Stromstöße durch den gesamten Körper gejagt hatte?
Er behielt sowohl sie als auch den neuen Typen im Auge. Obwohl »Typ« ein zu lockerer Begriff für jemanden war, der so selbstverständlich Autorität ausstrahlte und Respekt einforderte. Also wohl kein Hochstapler.
Captain Derek Tyler? Man hatte ihm in New York gesagt, er solle sich auf einen Mann einstellen, der keinen Bullshit duldete, und die Beschreibung passte. Vor allem stellte er keine Bedrohung für sie dar.
Connor ließ sich wieder auf seinen Stuhl fallen. Er lebte von Kontrolle. Hatte es immer getan. Was die Frau in ihm wachgerufen hatte, seit sie in den Raum getreten war, ließ sich mit nichts in seiner dreißigjährigen Erfahrung vergleichen. Er hatte beobachtet, wie sie zwischen Entsetzen, Neugier und Selbstsicherheit schwankte, und das so viele Male, dass ihm der Kopf schwirrte. So viele Dinge schienen sich bei ihr im Widerspruch zu befinden … und er hatte sich dabei ertappt, dass er gegen sie alle ankämpfen wollte. Wie würde es sich anfühlen, sich dieser ganzen Kraft in ihr zu bedienen?
Anfangs hatte sie gewollt, dass er Abstand hielt. Ihr Eingeständnis, dass sie gern »Feuer legte«, war dazu gedacht, ihn abzuschrecken. Stattdessen war seine mentale Reaktion gewesen: Zum Glück weiß ich, wie man Brände löscht. Das hatte er während der vergangenen zwei Jahre gemacht. Hatte hinter seinem unberechenbaren Cousin aufgeräumt, der es vorgezogen hatte, Dinge mit Gewalt zu lösen. Waffen, Einschüchterung, Fäuste. Egal was. Connors Leben war schon immer von Gewalt geprägt gewesen. Bilder, die sich seit seiner Kindheit in sein Gedächtnis eingebrannt hatten, dann noch die Navy. Er hatte sich nahtlos und ohne jegliche Probleme in die Geschäftsstrukturen in Brooklyn eingefügt, und genau das hatte seinen Hass geschürt. Hass darauf, dass dort ein Platz war, der die ganze Zeit nur darauf gewartet hatte, dass er bereitwillig sein Leben vermasseln und in die Hölle zurückkehren würde, in die er gehörte.
Er hatte sich dafür gehasst, wie leicht es ihm gefallen war, jemandem Schmerz zuzufügen. Es hatte sich zu leicht angefühlt, zu … gut. Eine betäubende Ablenkung von der Erkenntnis, welche Richtung sein Leben genommen hatte.
Doch er hatte einen Weg gefunden, sich davon zu befreien. Endlich. Genau aus diesem Grund sollte die pinkhaarige Pyromanin ihn kaltlassen. Chicago sollte ein Neuanfang für ihn sein. Für seine kranke Mutter. Das Wort »kompliziert« beschrieb nicht einmal annähernd »sie, die noch immer keinen Namen hatte«. Er musste sich um seine eigenen Probleme kümmern. Himmel, er hatte keine Zeit für das hier. Für sie.
Meine Güte, sie mochte es nicht, berührt zu werden. Seine Hände bedeuteten ihm alles. Ob sie als Waffen benutzt wurden oder um einer Frau Befriedigung zu verschaffen, sie waren immer bereit. Ihre eindeutigen Angebote anzunehmen, sie dann aber nicht berühren zu können, wäre pure Qual. Sie stellte seine Beherrschung auf die Probe, während sie gleichzeitig von ihm verlangte, dass er mehr Beherrschung zeigte denn je. Nein, er musste seine Faszination für sie beiseiteschieben und sich auf den Job konzentrieren. Diese Frau würde ihn um den Verstand bringen. Es wäre nicht das erste Mal, dass er nicht bekam, was er wollte. Er hatte es immer überlebt. Also würde er es überleben, nicht mit ihr ins Bett zu gehen. Wahrscheinlich.
Aber gnade Gott jedem anderen, der versuchte, sie dorthin zu kriegen.
Connor packte die Stuhlkante fester und kämpfte gegen den Verdruss an, den dieser Gedanke in ihm hervorrief. Er wandte sich wieder dem mutmaßlichen Captain zu, der sie gestört hatte, noch bevor er eine ausreichende Kostprobe von der Frau hatte bekommen können. Der Mann wirkte leicht irritiert, aber die ausgeprägten Zornesfalten zwischen seinen Augen vermittelten Connor den Eindruck, dass er wohl immer so aussah. Er blickte zwischen Connor und dem Feuermädchen hin und her und schien eindeutig fasziniert zu sein.
»Gibt’s was Interessantes zu sehen, Captain?«
Der andere Mann ließ sich Zeit mit seiner Antwort, öffnete einen Ordner und blätterte einige Papiere durch, obwohl Connors Schlussfolgerung ihn einigermaßen zu beeindrucken schien. »So reden Sie also mit Ihrem neuen Chef?«
»Wenn er sich verspätet.«
»Ich habe mich um eine ganze Stadt zu kümmern.« Er warf einen verärgerten Blick auf die Tür. »Keine Ahnung, was die anderen für eine Entschuldigung haben, aber das werde ich noch herausfinden.«
»Vielleicht haben Ihre Trottel an der Rezeption sie ja aufgehalten.« Die Frau drehte sich auf ihrem Stuhl im Kreis. »Und ich habe keine Chefs. Lediglich Unterdrücker.«
Derek sah sie ungerührt an. »Es steht Ihnen jederzeit frei zu gehen, Ms O’Dea.«
O’Dea. Connor versuchte, keinerlei Reaktion auf diese Information hin zu zeigen. Auf der anderen Seite des Tisches warf sie ihr pinkfarbenes Haar zurück und lachte. »Wenn ich hätte gehen wollen, wäre ich inzwischen auf halbem Weg zurück nach Florida.«
»Ja, ich bin mir Ihrer besonderen Fähigkeit bewusst. Deshalb sind Sie ja hier.«
Sie wirbelte erneut herum. »Ich liebe es, wenn mein Ruf mir vorauseilt.«
Florida. Besondere Fähigkeit. Connor hatte keine Zeit, darüber nachzugrübeln, was genau Derek damit meinte, bevor eine weitere Frau hereinkam. Hereinmarschiert kam, um genau zu sein. Sie schob sich immer wieder ihr pechschwarzes Haar hinter die Ohren, und der Blick ihrer neugierigen braunen Augen hatte binnen Sekunden alle drei Anwesenden erfasst. »An der Rezeption hat man mir meinen Laptop weggenommen. Ich will ihn wiederhaben.«
»Nehmen Sie Platz, Ms Banks.«
»Polly. Polly Banks«, korrigierte sie ihn und setzte sich neben O’Dea. »Da wir alle dazu erpresst wurden, hier zu sein, sollten wir auf Förmlichkeiten verzichten.«
»Sie gefällt mir.« O’Dea beugte sich vor und zog eine Haarsträhne hinter Pollys Ohr nach vorn. »Können wir sie behalten, Daddy?«
Für jemanden, der sich nicht gern berühren ließ, gefiel es ihr eindeutig, andere zu berühren. Wenn sie nicht gestört worden wären, hätte sie ihn dann berührt? Wo? Von diesen beherrschenden Gedanken war Connor abgelenkt, als ein Mann in den Raum gehumpelt kam. Er trug einen zu großen Pullover, maschinengestrickt, und darüber einen Mantel. Einen breitkrempigen Hut hatte er sich tief in die Stirn gezogen und tippte nun dagegen, um die beiden Frauen zu begrüßen. Als er den Stuhl neben Connor erreichte, ließ er sich stöhnend darauf sinken.
Connor warf Derek einen fragenden Blick zu, aber der sah bloß gelassen zurück, den Anflug eines Lächelns um den Mund. »Ich darf Ihnen Austin Shaw vorstellen. Er wird sich dem Team anschließen.«
Polly brummte: »Wenigstens sind die vom Police Department in Chicago nicht seniorenfeindlich, wenn sie schon Diebe sind.«
»Sehe ich auch so«, stimmte O’Dea mit ein. »Cooler Hut, Grandpa.«
»Danke, Liebes.« Austins Stimme zitterte vom Alter. »Ich habe ihn schon seit Jahren. Es war ein Hochzeitsgeschenk von Martha, meiner Ehefrau. Du warst wahrscheinlich noch nicht einmal auf der Welt, als ich ihn das erste Mal getragen habe.«
O’Deas Hände flatterten, als sie frenetisch Applaus schenkte. »Ihn behalten wir ebenfalls.« Sie grinste Connor an. »Du bist der Einzige, bei dem ich mir immer noch nicht sicher bin.«
»Hätte ich jetzt nicht gedacht«, knurrte er.
Derek räusperte sich, und es wurde still im Raum, eine Tatsache, die Connor noch mehr ärgerte. Dieser Mann mochte ein Captain beim Police Department von Chicago sein, aber wo er selbst herkam, hieß das gar nichts. Er war einfach ein x-beliebiger Mann, der von einem allmächtigen System gelenkt wurde. Connor wusste nur allzu gut, wie das System einen im Regen stehen ließ, wenn man nicht parierte. »Sie behalten niemanden. Es ist nicht Ihre Entscheidung, wer zum Team gehört. Denn, um es von Anfang an klarzustellen: Das ist mein Team.« Derek fasste sie alle mit einem Blick ins Auge. »Ich habe sechs Personen aus einem guten Grund aus Hunderten ausgewählt. Sobald die beiden letzten hier sind, werden wir darüber reden, worum es geht.«
Hmpf. Das ist seltsam.
Erin schaute an sich herab und fragte sich, ob man ihr das wohlige Gefühl, das sie gerade verspürte, mit bloßem Auge ansah. Sie hasste die Tatsache, erpresst worden zu sein, um hier zu erscheinen, und zu erleben, wie ihre Vergangenheit als Druckmittel dazu verwendet wurde, ihren Gehorsam zu sichern. Aber wenn man das Team aus tausend Frauen in orangefarbenen Overalls nicht mitzählte, war sie noch nie zuvor Teil einer Gruppe gewesen. Ja, ihr Anführer war ein Arschloch, der es bereits nötig gehabt hatte, seine männliche Überlegenheit über sie geltend zu machen, aber alle an diesem Tisch standen mit dem Rücken zur Wand. Sie saßen alle im gleichen Boot und steckten bis zum Hals in der Scheiße, und irgendetwas daran fühlte sich entfernt tröstlich an. So tröstlich, wie es sich für eine verurteilte Straftäterin anfühlen konnte, der bewusst war, dass ihr Status als Bürger zweiter Klasse sie entbehrlich machte und sie daher in gefährlichen Situationen eingesetzt werden würde.
Aber hey – immerhin geschah das zum Wohle eines Teams. Mit einem entzückenden alten Mann als Maskottchen.
Sie warf einen verstohlenen Blick auf Connor. Der sah sie immer noch an. Himmel, sie wünschte, er würde damit aufhören. Aber wenn er weitermachte, wäre auch das nicht übel. Es fühlte sich an, wie berührt zu werden, nur ohne die damit verbundene Angst. Sein Mund hatte sich so gut angefühlt …
»Nett von Ihnen, dass Sie auch mal auftauchen«, sagte Derek und warf dem Paar, das gerade an der Tür erschienen war, einen wütenden Blick zu. »Setzen Sie sich. Auf uns wartet Arbeit.«
Erin betrachtete die beiden, die in der Tür standen. Trotz der offensichtlichen Unterschiede bestand absolut kein Zweifel daran, dass sie zusammengehörten. Sie waren auf eine unsichtbare Art miteinander verbunden, wie Erin es noch nie erlebt hatte. Der Mann war ein Kämpfer. Jede straffe Linie seines Körpers machte das deutlich. Er sah nicht nur aus, als wäre er bereit, es mit jeder Gefahr für die Frau an seiner Seite aufzunehmen, er brannte geradezu darauf, dass jemand es auch nur versuchte, damit er diesen Jemand in die Schranken verweisen könnte. Wo Connor stämmig war und wie ein Fels dastand, hörte dieser dunkelblonde Mann in seiner abgewetzten Lederjacke kaum einmal auf, sich zu bewegen. Er bog die Finger durch, seine Augen suchten den Raum ab, seine Energie schlug Funken. Der absolute Gegensatz zu der Frau, die seine Hand ergriffen hatte, als wolle sie ihn beruhigen.
Erin merkte, dass sie die Frau offen angaffte, aber es war ihr egal. Vor zwei Jahren hatte sie Heiligabend in der Frauenstrafanstalt in Dade verbracht. Gelangweilt und rastlos war sie in einen improvisierten Gottesdienst geraten, eine Veranstaltung, die sie normalerweise gemieden hätte wie die Pest, aber es war Kinderpunsch ausgeschenkt worden. Sie hatte in der hintersten Reihe gesessen und der Geschichte von Maria und Josef gelauscht, die nach Bethlehem reisten, wo Maria schließlich Jesus aus sich herausgequetscht hatte. Die Frau, die da in der Tür stand und Gelassenheit ausstrahlte – genauso hatte sie sich Maria vorgestellt. In sich selbst ruhend … die Augen voller Wärme.
»Oh Käpt’n, mein Käpt’n.« Der Kämpfer schlug sich mit der Hand aufs Herz und betonte dabei noch den schweren Brooklyner Akzent, mit dem er sprach. »Versuchen Sie nicht, sich zu schnell bei mir einzuschmeicheln. Wir sind gerade erst hier angekommen.«
Derek richtete einen kühlen Blick auf ihn. »Sie verschwenden meine Zeit, Driscol. Passen Sie auf, dass ich es nicht bereue.«
Driscol lächelte weiter, aber sein Lächeln hatte jeden Ausdruck von Humor verloren. Die Jungfrau Maria, die seine Hand hielt, flüsterte ihm etwas ins Ohr, und nach einer Sekunde nickte er. Er unterzog sie alle einer argwöhnischen Musterung und führte seine Freundin zu den verbliebenen freien Stühlen. Dann drückte er sie sanft auf einen der Sitze und trat mit vor der Brust verschränkten Armen hinter sie. Als er sein Kinn in Connors Richtung ruckte und als Antwort ein Grunzen erhielt, wurde Erin klar, dass die beiden einander kannten. Zwei starke Persönlichkeiten wie diese einigten sich nicht aus dem Nichts auf einen Waffenstillstand. Es lag eine gewisse Anspannung in der Luft, aber auch Vertrautheit.
»Sie alle haben die Wahl gehabt«, donnerte Derek. »Gefängnis oder das hier. Entweder – oder. Wenn Sie gedacht haben, ich wäre das geringere von zwei Übeln, haben Sie sich geirrt. Jeder von Ihnen verfügt über eine Fähigkeit, die Sie in diesen Raum gebracht hat, und ich beabsichtige, diese Fähigkeiten zu nutzen, um Chicago sicherer zu machen.« Er drehte den goldenen Ehering an seinem Finger. »Sie werden ein hohes Maß an Risiko eingehen müssen, und wenn Sie irgendwann zu der Ansicht gelangen, dass es im Gefängnis sicherer ist, werde ich Sie nicht daran hindern zu gehen. Aber solange Sie hier sind, zählen Pünktlichkeit und harte Arbeit. Kein Rumgammeln.«
Gemeiner Daddy. Erin hob die Hand, wartete aber nicht darauf, aufgerufen zu werden. »Wann bekommen wir unsere Knarren zurück? Ich fühle mich nackt.«
»Keine Knarren. Keine Waffen. Es sei denn, Sie haben eine ausdrückliche Genehmigung von mir.« Derek wartete, bis der Protest verebbte. »Wir treffen uns jeden Morgen, ganz gleich, ob Sie aktiv an einem Fall arbeiten oder nicht. Wenn Sie nicht auftauchen, sparen Sie sich die Mühe wiederzukommen. Ich habe die Verantwortung für Sie sechs übernommen, und ich nehme diese Verantwortung nicht auf die leichte Schulter.« Er bedachte jeden von ihnen mit einem vielsagenden Blick. »Ich bin mir sicher, dass einige von Ihnen der Ansicht sind, Polizeibeamte seien nicht gerade perfekt.«
»Amen«, murmelte Erin.
»Die reinste Untertreibung«, schnurrte Polly.
Der Captain ging vor dem Tisch auf und ab. »Es überrascht Sie vielleicht, dass ich Ihnen zustimme. Ich glaube, dass wir einiges nicht mitkriegen, weil wir dazu ausgebildet werden, auf eine bestimmte Art und Weise zu denken.« Er klopfte mit einem Knöchel auf den Tisch. »Sie wurden dazu geschaffen, auf eine andere Art zu denken. Das werde ich mir zunutze machen.«
Alle blieben einen Moment lang still und nahmen diese Worte in sich auf. Erin verspürte widerstrebend ein Fünkchen von Respekt für den Captain, weil er zugegeben hatte, dass seine Abteilung nicht perfekt war, unterdrückte die Regung aber gleich wieder, wie wenn sie mit zwei feuchten Fingern eine Kerzenflamme erstickte. Arschloch.
»Lassen Sie uns hören, welche Fähigkeiten jeder von uns besitzt«, brummte Connor, und eine Gänsehaut raste ihre Arme hinauf.
»Genau.« Driscol wippte auf den Fersen vor und zurück. »Wir müssen wissen, mit wem wir es hier zu tun haben.«
Alarm macht sich in Erins Adern breit. Sie hätte das vorhersehen müssen. Ihr spezieller Fähigkeitenkatalog konnte womöglich ihre Schwäche verraten, und das gefiel ihr nicht. Es gefiel ihr nicht, dass irgendjemand ein Mittel in die Hand bekam, mit dem er sie besiegen konnte. Als sie Connors Blick auf sich spürte, wandte sie sich ab und konzentrierte sich wieder auf das Fenster.
Sie hörte Derek seinen Ordner erneut aufschlagen. »Ich finde ebenfalls, dass es wichtig ist. Die Stärken der anderen zu kennen wird Sie zwingen, die Fähigkeiten untereinander auch zu nutzen. Neben dem Umstand, dass Sie talentierte Verbrecher sind, neigen Sie alle dazu, einsame Wölfe zu sein. Das muss ein Ende haben, sonst wird das hier niemals funktionieren.«
Pollys Stuhl knarrte neben ihr. »Spannen Sie uns nicht auf die Folter, Hitchcock.«
»Ja, es ist fast Zeit für meine Herztablette«, warf Austin ein, bevor er sich einem Hustenanfall hingab.
»Na schön.« Derek seufzte. »Obwohl jeder von Ihnen eine Geheimhaltungserklärung unterschrieben hat, dürfen Sie versichert sein, dass ich lediglich Ihre Rolle in der Gruppe definiere und nichts darüber verlauten lasse, womit Sie sich konkret Ihr Ticket ins Gefängnis verdient haben.«
Erin entspannte sich gerade so weit, um sich wieder der Gruppe zuzuwenden. Connor sah sie immer noch an, daher grinste sie ihn mit herausgestreckter Zunge an. Er verdrehte die Augen.
»Wir fangen mit Polly an«, fuhr Derek fort. »Sie ist ein Hacker, aber wir werden freundlich sein und sie als Computerspezialistin bezeichnen.«
Polly nickte eifrig. »Hacker ist okay. Nicht nötig, es zu beschönigen.«
Derek deutete auf die Jungfrau Maria. »Ich habe mich vorhin falsch ausgedrückt, als ich sagte, Sie alle hätten die Wahl zwischen hier und dem Gefängnis bekommen. Seraphina ist ausgebildete verdeckte Ermittlerin. Sie ist die Einzige in diesem Raum mit Erfahrung auf diesem Gebiet, daher wären Sie gut beraten, auf sie zu hören.«
Erin sackte vor Enttäuschung in sich zusammen. Jetzt musste sie die Jungfrau Maria hassen.
»Bowen Driscol …«
»Ich bin ihretwegen hier«, fiel Bowen Derek ins Wort. Er beugte sich über Seraphina und pflanzte eine Faust auf den Tisch. »In erster Linie beschütze ich sie, die Fälle kommen an zweiter Stelle. Das können Sie akzeptieren oder auch nicht.«
Derek und Bowen starrten einander an. Selbst Erin verhielt sich vollkommen reglos, berauscht von all dem Testosteron, das in der Luft lag. Schließlich ging Derek zum nächsten Thema über, aber Erin bemerkte, dass er nicht nachgegeben hatte. Der Captain überlegte sich gut, auf welche Kämpfe er sich einließ. Eine Lektion, die sie sich merken sollte.
»Connor Bannon, ehemaliger Navy SEAL.« Derek klopfte mit dem Ordner auf den Tisch. »Das bedeutet, dass er sich mit so ziemlich allem auskennt. Unterwanderung, Geiselbefreiung, Sprengstoffe.« Erins Herz hämmerte bei der Erwähnung von Sprengstoffen, und rote Rauchsäulen zogen vor ihrem inneren Auge auf. So hübsch. Sie packte die Vorstellung für später weg und konzentrierte sich. Wenn Connor gut in seinem Job war, warum machte er ihn dann nicht mehr? Ihr ohnehin schon beachtliches Interesse an ihm wuchs.
»Connor funktioniert gut unter Druck. Er wird das Kommando führen, wann immer ich nicht zugegen bin.«
Wenn sie sein Gesicht nicht so genau beobachtet hätte, wäre ihr der Ruck entgangen, der ihn durchfuhr. Mit dieser Ankündigung hatte er nicht gerechnet. Er war überrumpelt worden, aber er schaffte es trotzdem, sein Ist-mir-scheißegal-Gesicht zu wahren. Es weckte in ihr den Wunsch, ihm einen tollen Kuchen zu backen, voller flammender Kerzen. Oder sich den Kuss zu holen. Kuss, Feuer, Kuss, Feuer. Definitiv der Kuss. Schließlich war der Kuss vielleicht an sich schon ein Feuer.
»Erin O’Dea«, fuhr Derek fort.
»Anwesend.«
Es gelang ihr, sich von Connor abzulenken und auf Derek zu konzentrieren, aber erst nachdem sie sah, wie die Lippen des massigen Ex-SEALs ihren Vornamen formten. Erin. Sie hatte einen Kloß im Hals vor Nervosität angesichts der bevorstehenden Offenbarung ihrer speziellen Fähigkeit. Bisher hatten ihre Instinkte bei keinem der Anwesenden Alarm geschlagen, aber es war noch zu früh, um zu wissen, was für Leute das eigentlich waren. Ob sie die Art von Menschen waren, die sie bis an ihre Grenzen gehen ließen. Ihr infamer Ruf provozierte und forderte heraus. Manche wollten beweisen, dass die Gerüchte über sie übertrieben waren.
Dereks Stimme zwang sie, sich wieder einzuklinken. »Ihr Spitznahme ist Erin-›weg ist sie‹-O’Dea. Das sollte Ihnen alles verraten, was Sie wissen müssen. Sie verleiht dem Ausdruck ›Entfesselungskünstler‹ eine ganz neue Bedeutung. Es gibt keine Handschellen und keine Betonzelle, die sie lange festhalten könnten.«
Nicht ganz,dachte sie, verzichtete aber darauf, das laut auszusprechen. Aller Augen ruhten auf ihr. Sie spürte, wie die Blicke über ihre Haut glitten, und das verursachte ihr Juckreiz. Im Zentrum der Aufmerksamkeit zu stehen funktionierte für sie nur, wenn es zu ihren eigenen Bedingungen geschah. Nicht zu denen eines anderen.
Erin zeichnete mit einem Finger die Form eines Halbmondes auf den Tisch. »Die Polizisten sind so was von schnuckelig mit ihren klimpernden Schlüsseln und eisernen Vorhängeschlössern.« Sie zog die Schultern hoch. »Ich möchte sie einfach nur in ihre kleinen Wangen kneifen.«
Sie ertappte Seraphina dabei, wie sie ein Lachen unterdrückte, und beschloss, dass sie sie nur halb zu hassen brauchte. Derek hatte, was man ihm zugute halten musste, kein Problem mit ihrer Darstellung von Cops, sondern schüttelte nur müde den Kopf. »Nicht dass ich das pinkfarbene Haar nicht schön fände, Erin, aber Sie sind damit zu leicht zu erkennen. Kümmern Sie sich bis morgen darum.«
Verdammt. Sie hatte gewusst, dass man ihre Aufmachung nicht durchgehen lassen würde. Da sie nie der Typ gewesen war, der einer Sache direkt zustimmte, legte sie die Stiefel auf den Tisch und ließ die Glöckchen klimpern. Glöckchen, die nur dann einen Laut von sich gaben, wenn sie es ihnen erlaubte. So hatte sie sich dazu erzogen, die leisest möglichen Abgänge zu machen. »Ich denk drüber nach, Captain. Fahren Sie mit der Vorstellerei fort.«
Dereks Kiefer zuckte und er beäugte Erins Stiefel, verkniff sich aber jede Bemerkung. »Zu guter Letzt haben wir hier Austin Shaw. Einfach ausgedrückt, Austin ist ein Hochstapler. Er kann sich in jede Situation einfügen, ohne weiter aufzufallen. Er spricht mehrere Sprachen fließend, und bei denen, die er nicht beherrscht, bringt er einen authentischen Akzent zustande. Er ist alles und nichts. Rettungsschwimmer, Barkeeper, Millionär … Er ist genau das, was die anderen sehen sollen.«
Die fünf tauschten verwunderte Blicke, aber nur Bowen ergriff das Wort. »Sie meinen früher mal, richtig?« Er musterte den vornübergebeugten alten Mann. »Nichts für ungut, Opa, aber wenn wir nicht in einem Altersheim an einem Fall von verschwundenen Gebissen arbeiten, sehe ich dich nirgendwo verdeckt ermitteln.«
Austin nahm seinen Hut ab und warf ihn auf den Tisch. Gleichzeitig straffte er sich, und seine Haltung verlor binnen Sekunden alle Alterserscheinungen. Er schlüpfte aus dem Mantel und fuhr sich mit einer Hand durch sein zerzaustes braunes Haar. Erin klappte der Unterkiefer herunter. Er war ein junger Mann … noch dazu einer zum Anbeißen. Sie bemerkte Connors düstere Miene und zuckte die Achseln.
Austin, der nun aussah, als wäre er gerade aus den Seiten des Herrenmagazins GQ getreten, verschränkte die Hände hinterm Kopf und zwinkerte Polly dabei zu. »Also, meine Herrschaften«, sagte er in einem entfernt britischen Tonfall. »Irgendwelche Fragen?«
Connor warf seine überdimensionale Reisetasche auf die Holzdielen und sah sich in seiner neuen Wohnung um. Das Police Department hatte zwei Einheiten im obersten Stockwerk eines Gebäudes am Logan Square gemietet, wo sie kostenfrei wohnen würden, solange sie zu dem Team von verdeckten Ermittlern gehörten. Da Bowen und Sera sich bereits irgendwo unabhängig von den anderen niedergelassen hatten, erwartete Derek anscheinend, dass Polly und Erin sich eine, er und Austin die andere Wohnung teilten. Die Mädchen hatten den Eindruck vermittelt, als sei ihnen das Arrangement gleichgültig, hatten schnell ihre Sachen gepackt und waren losgefahren, um die neue Bleibe in Augenschein zu nehmen.
Bei ihm und Austin lagen die Dinge anders. Keiner von ihnen hatte sich für die Idee erwärmt, Wohnraum mit einem Wildfremden zu teilen, und sie hatten beide ziemlich lautstark protestiert, als Derek ihnen das Arrangement erklärte. Nach seiner kleinen Showeinlage hatte Austin kein Blatt vor den Mund genommen, sodass Connor sich einfach zurückgelehnt und abgewartet hatte. Derek, der bei einem anderen Meeting gebraucht wurde, hatte ihnen im Wesentlichen erklärt, dass sie sich, wenn es nach ihm ging, verpissen und auf einer Müllkippe kampieren konnten. Austin behauptete, er habe bereits einen Platz zum Pennen, daher hatte Connor die Wohnung für sich allein genommen.
Nicht schlecht. Damals in Brooklyn hatte er abwechselnd mal in einer heruntergekommenen Zwei-Zimmer-Wohnung, mal in dem verfallenen Haus seiner Mutter in der Bronx gewohnt, wenn sie zu krank gewesen war, um allein zu sein. Er hatte noch nie irgendwo gelebt, wo es so viel Sonnenlicht gab. Es fiel durch mehrere Fenster, sogar durch ein Oberlicht, das sich direkt über der Wohnküche befand. Die Möbel, die man bereitgestellt hatte, waren funktional, und mehr brauchte er nicht. Nichts Mondänes, nur vier weiße Wände und ein Platz, an dem er schlafen konnte. Beide Schlafzimmer waren ungefähr gleich groß, daher nahm er das mit Blick auf die Straße. So konnte er jeden sehen, der kam oder ging.
Wie aufs Stichwort sah er, wie Erin und Polly unten auf dem Gehweg sich dem Gebäude näherten. Der riesige Kaffeebecher in Pollys Hand erklärte, wieso er das Gebäude vor ihnen erreicht hatte. Erin bückte sich, hob einen kleinen Zweig vom Boden auf und steckte das Ende mit einem Feuerzeug in Brand, das sie aus ihrer Tasche geholt hatte. Sie hielt den Zweig hoch wie eine olympische Fackel und lief im Kreis. Ohne mit der Wimper zu zucken, streckte Polly die Hand aus und löschte die Flamme mit Kaffee.
Connor schüttelte den Kopf. Gott, wie hatte er während der letzten Stunde vergessen können, welche Wirkung Erin auf ihn hatte? Sie war hundert Meter entfernt, und doch reagierte sein Körper, als wäre sie nackt und würde rittlings auf ihm sitzen.
Scheiße. Daran hätte er nicht denken sollen.
Fünf Stockwerke tiefer sah Erin ihn am Fenster stehen und warf ihm eine Kusshand zu.
Himmel, sie würde direkt gegenüber auf demselben Flur wohnen. Vielleicht hätte er sich ein Beispiel an Austin nehmen und nach einem anderen Quartier Ausschau halten sollen. Wie sollte er sich konzentrieren, wenn sie so nah war? Er hatte sie kaum berührt, und trotzdem wusste er, wie sie sich anfühlen würde. Biegsame Glieder und glatte, geschmeidige Haut. Er hatte an diesem Nachmittag genau gesehen, wo er sein wollte: unter diesem Fleckchen Jeansstoff. Er wollte ihre Beine spreizen und sie dort beißen. Sie bereuen lassen, dass sie ihm jemals einen Blick auf ihren Sweet Spot gegönnt hatte. Dafür sorgen, dass sie dankbar dafür war. Und alles Mögliche dazwischen.
Connor trat vom Fenster weg und wünschte, er wäre nicht der Typ Mann, dem es gegen den Strich ging, dass zwei Frauen ihre Koffer selbst die Treppe hinauftrugen. Wenn er nicht dieser Typ gewesen wäre, hätte er in die Dusche gehen und zu der Fantasie masturbieren können, die in seinem Kopf herumspukte, seit er das Polizeirevier verlassen hatte. Erin wieder auf Händen und Knien auf dem Tisch im Konferenzraum. Nur dass sie diesmal in die andere Richtung schaute, während er sie von hinten dumm und dämlich vögelte. Er hatte sie nie in einem anderen Ton sprechen hören als in diesem kehligen Schnurren, aber ihre Schreie der Befriedigung hallten irgendwie schon jetzt in seinem Kopf wider.
Machte ihn das zu einem kranken Spinner? Er hatte sich noch nie für seine Vorliebe für rauen Sex geschämt, aber Erin hatte bereits Zeichen von Angst vor einer simplen Berührung gezeigt. Er konnte sich ihre Reaktion überhaupt nicht vorstellen, wenn sie die Bilder sähe, die seine Fantasie unaufhörlich hervorbrachte. Warum hatte sie dieses rastlose Verlangen in ihm geweckt? Das Verlangen war immer da gewesen, aber nie so fordernd. So drängend.
Fluchend stapfte er aus der Wohnung und ging die Treppe hinunter, um Erin und Polly mit ihrem Gepäck zu helfen. Sie saßen in dem winzigen, mit Briefkästen ausgestatteten Foyer auf ihren Koffern und tranken Kaffee. Sie schwiegen, und Polly schien tief in Gedanken versunken, während Erin versuchte, mit einem Fingernagel das Schloss eines Briefkastens zu knacken.
Ihre Miene hellte sich auf, als sie ihn sah. »Baby, wieso hast du so lange gebraucht?« Ihr Ellbogen traf Pollys Rippen, die fast von ihrem Koffer fiel. »Ich habe dir ja gesagt, dass er runterkommen würde.«
»Ja, unser furchtloser stellvertretender Kommandant.« Polly lächelte höflich. »Ich habe Gutes gehört, aber nichts von dir direkt. Ich glaube, dass du während des ganzen Meetings kein Wort gesagt hast.«
Connor nahm einen Koffer in jede Hand. »Ich hatte dem nichts hinzuzufügen.«
»Nein?« Sie folgte ihm. »Hast du nicht mal das Bedürfnis verspürt, ihn darauf hinzuweisen, dass er uns in eine Parodie von Twen-Police verwandelt? Ich hatte es jedenfalls.«
Tatsächlich war ihm das sehr wohl aufgefallen. »Solange wir keine Schlaghosen tragen müssen.«
Polly lachte, aber es war ein solch mädchenhafter Laut im Vergleich zu ihrer sonstigen Sachlichkeit, dass er überrascht aufschaute. Polly schien nicht zu bemerken, dass etwas nicht stimmte, aber hinter ihr hatte Erin sich eine Hand auf den Mund geschlagen, um ihr eigenes Gelächter zu ersticken.
»Was ist mit Derek?«, fragte Polly. »Er trägt einen Ehering, und ich muss zugeben, dass er ziemlich attraktiv ist, aber ich kann ihn mir nicht mit einer Ehefrau vorstellen. Mir scheint, dass er bereits mit seinem Job verheiratet ist.«
Connor hatte null Interesse daran, über den Familienstand des Captains zu spekulieren, daher stieß er einen erleichterten Seufzer aus, als Erin sich zu Wort meldete. »Wir sollten seine Frau auf eine Portion Empanadas einladen und es herausfinden.«
»Das ist ein sehr konkreter Plan«, bemerkte Polly. »Aber unnötig. Ich würde mich viel lieber in die Unterlagen zu ihren Finanzen hacken.«
Die Glöckchen an Erins Stiefeln klimperten. »Umso mehr Empanadas für mich.«
Connor drehte sich auf dem Treppenabsatz um und ging die letzten Stufen zu ihrer Wohnung hinauf, wo er beide Koffer vor der Tür abstellte. »Überprüft die Schlösser, wenn ihr drin seid, und überzeugt euch davon, dass sie funktionieren. An allen Fenstern und Türen. Wenn sie kaputt sind, lasst es mich wissen.«
Erin nahm eine Haarklammer aus ihrer Tasche und schob sie ins Schloss. Zwei Drehungen und ein Klimpern später, und die Tür sprang auf. »Dieses Schloss ist okay.«
Polly ließ einen Schlüssel in ihrer Hand baumeln. »Beim nächsten Mal könnten wir den hier benutzen.«
Connor befand, dass er besser hineingehen und die Schlösser selbst untersuchen sollte. Erin mochte eine Entfesselungskünstlerin sein, aber hoffentlich war nicht auch jeder andere in der Lage, ihre Tür so leicht zu öffnen wie sie. Anderenfalls würde er auf ihrem Sofa schlafen, bis die Schlösser zu seiner Zufriedenheit repariert worden waren. Erin so nahe zu sein wäre die ultimative Folter, wenn er sie nicht jedes Mal, wenn sie im selben Raum waren, gegen eine Wand pressen durfte. Als könne sie jeden einzelnen seiner Gedanken lesen, stolzierte sie an ihm vorbei durch die Tür und strich ihm im Vorbeigehen mit einer Hand über seine Bauchmuskeln, wodurch ihm eine Hitzewelle in die Lenden fuhr. Polly schürzte die Lippen und folgte Erin.
Ihre Wohnung war nach dem gleichen Grundriss wie seine angelegt, nur dass sie nach hinten rausging, sodass sie weniger Sonnenlicht hatten. Erin ging in eins der Schlafzimmer und kam fast sofort mit blassem Gesicht wieder heraus. Einen Moment lang stand sie unruhig im Wohnzimmer, bevor sie in das zweite Schlafzimmer ging. Connor wartete darauf, dass sie wieder herauskam, und bemerkte es kaum, als Polly ihr Gepäck in das erste Schlafzimmer rollte, das Erin verschmäht hatte. Immer noch keine Erin.
Ungehalten über sich selbst, weil er ihr am liebsten ins Schlafzimmer folgen wollte, obwohl das eine unglaublich idiotische Idee war, beschäftigte Connor sich damit, alle Fensterschlösser zu untersuchen und die Wohnungstür von innen zu testen. Alles war in Ordnung. Auf dem Weg ins Bad, um das Fenster dort ein zweites Mal zu checken, sah er Erin vollkommen reglos in der Mitte des Schlafzimmers stehen. Sie blickte mit angespannten Schultern auf das kleine rechteckige Fenster. Eine Sprungfeder, die jeden Moment losspringen konnte.
»Hey«, sagte Connor. »Alles in Ordnung bei dir?«
Erin wirbelte herum. »Ich bin okay. Alles ist okay.«
Ihr Blick irrte ziellos umher. Das gefiel ihm nicht. Was albern war, denn so war sie die ganze Zeit über immer mal wieder gewesen. »Hier ist alles sicher.«
Sie lächelte, aber das Lächeln wirkte traurig. Ein wenig erzwungen. »Nicht vor mir.«
»Nein, nicht vor dir.« Geh zurück in deine Wohnung. Du hast keine Ahnung, wie man jemanden tröstet. Oder warum sie überhaupt Trost braucht. Er räusperte sich und wandte den Blick ab. »Ich bin in der Wohnung gleich gegenüber.«
»Dessen bin ich mir bewusst. Ich werde wahrscheinlich die ganze Zeit an nichts anderes denken.«
Ihre Ehrlichkeit ließ ihn aufhorchen. »Warum das?«
Sie blinzelte. »Weil wir uns geküsst haben. Das war alles sehr erotisch, nicht wahr?«
»Ja.« Er schüttelte den Kopf, hin- und hergerissen zwischen quälendem Verlangen und dem Bedürfnis zu lachen. Wo zum Teufel kam dieses Mädchen her? »Das könnte man sagen.«
»Ich habe es gerade gesagt.« Sie ließ sich auf den Boden fallen und zog die Knie an die Brust. »Geh wieder in deine Wohnung, Baby. Ich muss mich akklimatisieren.«
Connor blieb kurz, wo er war. Es widerstrebte ihm, sie allein zu lassen, solange sie so verloren wirkte. Scheiße, er wollte sie einfach weiter anschauen … Aber als sie die Augen schloss und zu summen begann, fühlte er sich wie ein Eindringling. Mit einem letzten Blick in ihre Richtung ging er zurück in seine Wohnung, um auszupacken.
Es war das Geräusch, das ihr endgültig den Rest gab. Jedes Mal.