Bad With You – Für dich riskiere ich alles - Tessa Bailey - E-Book

Bad With You – Für dich riskiere ich alles E-Book

Tessa Bailey

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Beschreibung

Die Polizistin Seraphina Newsom hat nur ein Ziel: ihren Bruder zu rächen, der vor drei Jahren auf den Straßen Brooklyns kaltblütig ermordet wurde. Der Täter, ein berüchtigter Bandenchef, ist noch immer auf freiem Fuß, und Seraphina beschließt, undercover zu ermitteln, um endlich die nötigen Beweise für seine Verhaftung zu sammeln. Der Einsatz ist gefährlich und könnte sie ihr Leben kosten. Als sie Bowen Driscol, einem weiteren Bandenchef des Brooklyner Untergrunds begegnet, weiß sie nicht, dass dieser mit dem FBI zusammenarbeitet, um ihr Leben zu schützen. Zwischen ihnen herrscht eine Anziehungskraft, die stärker ist als alles, was Seraphina bisher kannte. Und obwohl er ein Krimineller und sie eine Polizistin ist, gibt sie sich schon bald ihrem Verlangen hin ... (ca. 370 Seiten)

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Inhalt

Titel

Zu diesem Buch

Widmung

1

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Epilog

Danksagung

Die Autorin

Tessa Bailey bei LYX.digital

Impressum

TESSA BAILEY

Bad With You

Für dich riskiere ich alles

Roman

Ins Deutsche übertragen

von Anne-Marie Wachs

Zu diesem Buch

Die Polizistin Seraphina Newsom hat nur ein Ziel: ihren Bruder zu rächen, der vor drei Jahren auf den Straßen Brooklyns kaltblütig ermordet wurde. Der Täter, ein berüchtigter Bandenchef, ist noch immer auf freiem Fuß, und Seraphina beschließt, undercover zu ermitteln, um endlich die nötigen Beweise für seine Verhaftung zu sammeln. Der Einsatz ist gefährlich und könnte sie ihr Leben kosten. Als sie Bowen Driscol, einem weiteren Bandenchef des Brooklyner Untergrunds begegnet, weiß sie nicht, dass dieser mit dem FBI zusammenarbeitet, um ihr Leben zu schützen. Zwischen ihnen herrscht eine Anziehungskraft, die stärker ist als alles, was Seraphina bisher kannte. Und obwohl er ein Krimineller und sie eine Polizistin ist, gibt sie sich schon bald ihrem Verlangen hin …

Für Mackenzie.

Alles für Mackenzie.

1

Hier ist dein Hackbraten. Hoffentlich bleibt er dir im Hals stecken.

Seraphina Newsom bekreuzigte sich unauffällig, als sie den Tisch des Gastes verließ, und murmelte sicherheitshalber noch rasch ein Ave Maria hinterher. Nur wegen dieses Typen, der ihr an den Hintern gegrapscht hatte, so als würde der auf der Tageskarte stehen, sollte ihre unsterbliche Seele jedenfalls nicht dem Teufel in die Hände fallen. An der Stelle, wo er sie gezwickt hatte, war der Schmerz immer noch zu spüren, und sie schwor sich, von diesem Moment an für den Rest ihres Lebens Kellnerinnen mehr Trinkgeld als üblich zu geben. Dreißig Prozent, mindestens.

Sera atmete tief durch und ging durch die Flügeltür zur Küche. Sie wurde empfangen von blecherner griechischer Musik aus einem dröhnenden Kofferradio und dem Geschepper von Besteck und Tellern, die ins heiße Spülwasser getaucht wurden. Im nächsten Moment stellte der Koch auch schon zwei weitere Teller mit fettigem Hackbraten auf das ausgebeulte Metallblech der Durchreiche unddrückte auf die Klingel, obwohl Sera schon dastand und wartete. Sie straffte die Schultern und rief sich noch einmal in Erinnerung, weshalb sie als ausgebildete Krankenschwester und am Beginn einer Karriere bei der Polizei sich hier, in Bushwick, Brooklyn, die Schürze umgebunden hatte.

Sie war hier im Dooly’s, um an den Mörder ihres Bruders heranzukommen, ihm von Angesicht zu Angesicht zu begegnen.

»Warum hast du eigentlich noch nicht meinen Hackbraten probiert?«, fragte der Koch mit einem starken Akzent.

»Äh … wegen meiner Glutenallergie?«

»Was ist dieses Gluten eigentlich, von dem alle reden?«

Sie wollte schon antworten, biss sich dann aber doch auf die Zunge. »Wahrscheinlich nur so eine Legende, vielleicht gibt’s so was gar nicht. Wie den Weihnachtsmann und bequeme Stringtangas.« Sie freute sich über sein Stirnrunzeln und darüber, dass sie dem Koch nicht hatte sagen müssen, dass sein Hackbraten an eine überfahrene Katze erinnerte. Sie griff sich die beiden Teller und verschwand durch die Tür.

In der Gaststube herrschte Totenstille.

So unauffällig wie möglich wanderte ihr Blick zum Mittelpunkt der Stille. Zwei Stühle weiter saß Trevor Hogan. Der Mann, der ihren Bruder abgeknallt hatte.

Hogan war hier geboren und hatte immer in dieser Stadt gelebt, wo er seine Karriere mit Kleinkriminalität angefangen hatte. Autodiebstahl, Überfälle auf Feinkostläden, Schlägereien. Mit seinen Ambitionen, einer guten Portion Glück, zur rechten Zeit am rechten Ort zu sein, und einem Baseballschläger aus Metall hatte sich Hogan das Vertrauen seines Chefs erarbeitet und die Schutzgeldtruppe übernommen. Unsaubere Kreditgeschäfte, Erpressung ansässiger Geschäftsleute, was auch immer – Hogan hatte seine gierigen Finger überall mit im Spiel.

Colin, Seras Bruder, hatte gerade im New York Police Department angefangen, als Hogan seine kriminellen Aktivitäten in Richtung illegales Glücksspiel ausdehnte, und zwar in solch einem Umfang, dass er davon in zwei erfolgreiche Nachtclubs investieren konnte, was seinen Einfluss noch weiter vergrößerte. So unerfahren, wie Colin damals war, hätte ihr Bruder in Hogans Fall eigentlich gar nicht involviert werden dürfen. Er war zu jung gewesen, zu übermütig, hatte in seinem ersten Dienstjahr unbedingt eine große Festnahme landen wollen.

Aber wenn der Onkel der Polizeichef war, wurden eben Ausnahmen gemacht, egal, wie verhängnisvoll sie letztlich endeten.

Als ihr Bruder zu Tode gekommen war, hatte Sera noch als Krankenschwester in der Notaufnahme im Massachusetts General Hospital in Boston gearbeitet. Welch eine Ironie des Schicksals. Sie hatte zwar den Eid darauf abgelegt, Menschenleben zu retten, aber das Leben des Menschen, der ihr am meisten bedeutete, hatte sie nicht retten können.

Sera fuhr mit dem Daumen über den Anhänger des heiligen Michael, den sie an einem Kettchen um den Hals trug. Sie würde nicht so weit gehen zu sagen, dass die Familie Newsom regelrecht mit einem Fluch behaftet war, aber … na ja, irgendwie lag auf ihnen doch so etwas wie ein Fluch. Die letzten drei Generationen, ihr Vater eingeschlossen, waren im Dienst ums Leben gekommen. Ihr Onkel war der Einzige, den sie noch hatte, und er führte die Stadt mit harter Hand. Wenn es um die Einwohner der Stadt ging, existierte Sera für ihn nicht. In der kleinen Familie, die ihr noch geblieben war, existierte sie ebenfalls nicht. Seraphina Newsom war ein Gespenst.

Sie fand, diese Unsichtbarkeit machte sie zur besten Kandidatin für eine Undercover-Aktion, um ein einschlägiges Beweisstück zu finden, mit dem Hogan lebenslang hinter Gitter gebracht werden konnte. Im Polizeirevier kursierten schon seit Langem Gerüchte über ein Journal, in dem Hogans zwielichtige Geschäfte dokumentiert sein sollten. Die Gerüchte wurden weiter angeheizt durch den Umstand, dass er heftigen Widerstand geleistet hatte, als seine Geschäftsdaten während des ins Leere gelaufenen Mordprozesses angefordert worden waren. Wenn man dann noch bedachte, wie verdammt großspurig Hogan war, und dass es einige geringer gewichtige Zeugen gegeben hatte, die angaben, das Journal gesehen zu haben, wusste sie, dass es existieren musste. Auf den Seiten dieses Buchs waren Hogans Geheimnisse festgehalten.

Keine Geheimnisse, mit denen man ihn direkt aus dem Verkehr ziehen konnte. Zumindest nicht auf herkömmliche Weise. Aber in diesem Stadtviertel waren Informationen ein wertvolles Gut, und mithilfe der Namen im Geschäftsjournal würde Sera es schaffen, Hogans Machenschaften von innen heraus ganz gezielt hochgehen zu lassen.

Sobald sie Gewissheit hatte, dass der Besitz des Journals ein essenzieller Beweis für den Mord an Colin sein würde, hatte sie sich eine Woche Urlaub genommen und als Grund den dritten Todestag ihres Bruders angegeben. Und hatte ohne direkte Anweisung ihres Onkels begonnen, undercover zu ermitteln.

Wenn das vorbei war, würde sie nie wieder ihre Dienstmarke tragen. Aber sie hatte dann einen Mörder überführt.

Und anschließend würde sie untertauchen.

Sera brachte die beiden Teller mit dem Hackbraten zu zwei stämmigen Kerlen, die sich, seit Hogan hereingekommen war, nur noch leise unterhielten. Sera beobachtete Hogan dabei aus dem Augenwinkel. Seit dem Moment, als er das Dooly’s betreten hatte, war die lebhafte Atmosphäre im Lokal wie weggeblasen, so als wäre ein Schalter umgelegt worden. Die Gäste stocherten abwesend in ihrem Essen herum. Hogan machte es offensichtlich überhaupt nichts aus, welche Wirkung er auf die Stimmung im Raum hatte. Er hatte einen Arm auf die Lehne seines Stuhls gelegt, saß da und schaute sich auf dem Uralt-Fernseher des Lokals den Ultimate-Fighting-Championship-Kampf an.

Dann betrat Hogans vierköpfige Crew die Bar und ließ Seras sechsten Sinn, der in der Familie lag, aufhorchen. Hogan lehnte sich an die Bar und unterhielt sich mit dem Barkeeper, wobei er lebhaft mit den Händen gestikulierte. Seine Freunde lachten wie auf Kommando, und ein paar der Gäste schienen sich nun etwas zu entspannen. Hogan, der nicht mehr der Jüngste war und der rein äußerlich seinen persönlichen Zenit bereits überschritten hatte, kippte einen Whiskey herunter. Als er das Glas lautstark wieder auf dem Tresen abstellte, wandte er sich um und begegnete Seras Blick. Anstatt zusammenzuzucken, lächelte sie zurück und verschwand Richtung Küche, wobei sie seinen unerbittlichen Blick in ihrem Rücken spürte.

Dann ging alles ganz schnell. Mit lautem Krachen wurde die Tür vom Dooly’s aufgetreten, und ein Mann kam in den Raum, die Kapuze seines Pullovers tief ins Gesicht gezogen. Er zielte mit einer Waffe auf Hogan. Die Gäste warfen sich allesamt auf den Boden, als würde es sich um eine Erdbebenübung in der Schule handeln. Sera griff sich an die Hüfte und wollte ihre Waffe ziehen, die sie aber nicht an sich trug.

Hogan ging hinter einem der vier Männer, die inzwischen neben ihn getreten waren, in Deckung, gerade noch rechtzeitig. Statt Hogan traf die Kugel den Mann vor ihm. Der Getroffene fluchte erschrocken, fiel zu Boden und deckte dabei mit dem Körper immer noch Hogan, der sich auch auf den Holzfußboden hatte fallen lassen und nach seiner Pistole griff. Die drei anderen Begleiter zögerten nicht lange, zogen ihre Waffen und bedrohten damit den Angreifer, der sich schon wieder zurückzog und es nach draußen schaffte, bevor die Männer auch nur abdrücken konnten.

Was war das eben gewesen? Ein Mordversuch an Hogan? Einen Augenblick lang schien Sera wie angewurzelt, es brachte sie ganz durcheinander, dass Hogan beinahe von jemandem umgebracht worden wäre. Colins Tod verlangte eine andere Art von Gerechtigkeit. So einfach sollte er nicht davonkommen. Nein, das wäre nicht akzeptabel gewesen. Jahre voller Schmerz, Monate voller Arbeit … alles wäre umsonst gewesen. Und um ein Haar wäre es so gekommen. Es hatte nur wenig gefehlt.

Dann sah Sera das Blut, und das riss sie aus ihrer Erstarrung. Blut überall. Blutspritzer auf dem Spiegel hinter der Bar, Blut auf dem Boden, und da lag dieser Mann auf dem Rücken und hielt sich die Brust. Bevor sie lange nachdenken konnte, schob sie eine Gruppe von untätig Herumstehenden beiseite. Sie hatte zwar ihren Beruf als Krankenschwester an den Nagel gehängt, um Polizistin zu werden, aber der Eid, den sie geschworen hatte, machte es ihr unmöglich, nur dazustehen, während jemand zu sterben drohte. Nicht, wenn sie das verhindern konnte. »Los, den Erste-Hilfe-Koffer, der ist hinter der Bar.« Sie kniete sich neben den blutenden Mann auf den Boden und merkte, dass niemand einen Finger rührte. »Schnell. Und ruft einen Krankenwagen.«

Die Umstehenden kamen jetzt in Bewegung, endlich hatte jemand zugehört. Für einen Moment streifte ihr Blick das Gesicht des Verwundeten. Er war jung, hatte dunkles Haar und war erstaunlich gut aussehend, auch wenn der Schmerz sein Gesicht verzerrte. Von der Fallakte her kam er ihr nicht bekannt vor, und sie hätte einen Mann wie ihn auch nicht in Hogans Truppe erwartet. Sein Gesicht hatte zwar harte Züge, das wohl, aber er sah nicht so aus, als wäre er nicht mehr auf den richtigen Weg zu bringen wie die anderen. Mit flinkem, entschlossenem Griff zog sie die Hand des Mannes von seiner Brustwunde, schob seine Lederjacke beiseite und riss sein weißes T-Shirt von oben bis unten auf.

Irgendjemand stellte den Erste-Hilfe-Koffer neben ihr auf den Boden. »Bring ihm erstmal was zum Abendessen.«

Hogan. Um ihn würde sie sich später kümmern. Als sie sah, dass sich die Wunde etwa fünf Zentimeter neben dem Herzen des Mannes befand, war Sera erleichtert. Aber es konnte sein, dass die Schlüsselbeinschlagader getroffen war. Sera würde ihn am Leben halten können, bis Hilfe eintraf, aber die Zeit drängte. So sanft wie möglich schob sie die Hand unter seine Schulter und war erleichtert, als sie die Austrittswunde ertastete. Wenigstens war die Kugel sauber durchgegangen. Sera riss sich ihre Schürze herunter, rollte den gestärkten Stoff zusammen und drückte ihn auf die Wunde. Es musste höllisch wehtun, aber der Mann zuckte bloß kurz zusammen.

Sie schaute hoch und blickte Hogan direkt in die Augen. »Hast du einen Krankenwagen gerufen?«

Er lehnte sich an die Bar und kaute auf einem Strohhalm herum. In seinem Gesicht war nicht die geringste Anteilnahme zu erkennen, was Sera wieder ins Bewusstsein rief, dass er ein Monster war. Der Mörder ihres Bruders. Als Hogan lediglich mit den Schultern zuckte, ging es ihr durch und durch. »Du leistest doch einen erstklassigen Job. Wozu brauchen wir da noch irgendwelche Profis?«

Sera gelang es nicht, ihre Erschütterung zu verbergen. »Ohne medizinische Behandlung wird er sterben! Schau doch nur, wie viel Blut er schon verloren hat.« Sie fuhr sich mit der blutigen Hand über ihre Bluse und demonstrierte damit ganz ohne Absicht den Inhalt ihrer Worte.

Er kniff die Augen leicht zusammen und deutete mit dem Strohhalm in ihre Richtung. »Warum fragst du ihn nicht selbst, was er will?«

Sie schaute wieder zu dem Verletzten hin. »Keinen Krankenwagen«, brachte der Mann zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor und wurde dabei bleich vor Anstrengung. »Lieber verblute ich hier.«

Hogan schaute ihnen amüsiert zu. »Da siehst du’s.« Er gab dem Barkeeper ein Zeichen, dass er noch einen Drink wollte. »Hast du einen Namen, Florence Nightingale?«

Er ist noch kaltblütiger, als ich es mir je hätte vorstellen können.

Sera atmete tief durch und konzentrierte sich auf seine Frage. Sie hatte ihre falsche Identität bis ins kleinste Detail durchgeplant. Den Namen und die Geschichte, die sie erzählen würde, wenn sie einmal so nah an Hogan herankommen würde, dass sie sie brauchte. Sie hätte aber nie gedacht, dass sie sie so bald benötigen würde, und vor allem nicht in so einer Situation.

»Sera.«

Er kippte seinen Whiskey hinunter. »Kriegst du ihn wieder hin, Sera? Er ist mein Cousin. Wenn er draufgeht, wird meine Mutter sauer.«

Ja. Vielleicht konnte sie sein Leben retten. Nein, sie würde sein Leben retten. Obwohl der verwundete Mann so ganz anders war als ihr Bruder, sie würde nicht zulassen, dass jemand starb, nur weil Hogan zu seinem Leben gehörte. Es mochte irrational sein, aber indem sie dem Mann das Leben rettete, würde sie vielleicht ein klein wenig ausgleichen können, dass sie mehrere Hundert Kilometer entfernt gewesen war, als ihr Bruder auf dem kalten Gehweg starb. Davon durfte Hogan jedoch nichts erfahren, sonst würde sie ihr Leben aufs Spiel setzen. »Ihn wieder hinkriegen?« Sie lachte ungläubig. »Er braucht ärztliche Versorgung, ein Krankenhaus. Ich bin Kellnerin.«

»Ja? So hörst du dich aber nicht an.«

»Soll ich etwa die Tageskarte aufsagen oder was?«

Hogans Gelächter dröhnte durch die Bar, aber genauso schnell wurde er auch wieder ernst. Einen Moment lang schaute er sie eindringlich an, dann nickte er seinen Männern zu. »Schafft Connor auf den Rücksitz. Aber legt vorher ein Handtuch darunter, verdammt nochmal.« Und als fiele es ihm nachträglich ein, fügte er hinzu: »Und sie kommt mit.«

2

Bowen Driscol behielt die brennende Zigarette im Mund, als ihm die beiden Cops die Hände auf den Rücken drehten und ihn auf die Motorhaube des Streifenwagens drückten. Eine Gruppe gerade vorbeilaufender junger Mädchen blieb stehen, um zu gaffen. Sie kicherten, als Bowen ihnen zuzwinkerte. Einer der beiden Polizisten hatte die Hand zwischen seinen Schulterblättern, sodass Bowen sich nicht bewegen konnte. Er hörte das Klacken von Metall, als der andere Polizist die Handschellen von seinem Gürtel löste und sie ihm anlegte. Als die Hand auf seinem Rücken ihn dabei etwas zu fest hinunterdrückte, gab Bowen seufzend auf und spuckte die Zigarette auf die Straße.

»Also hört mal, ich bin auch eher von der rauen Sorte, aber wir kennen uns ja kaum.«

»Schnauze, Driscol.«

»Könnt ihr mir vielleicht verraten, warum ich festgenommen werde?« Er verkniff sich ein wütendes Knurren, als die Handschellen in seine Haut schnitten. »Oder sieht ein Rendezvous mit euch immer so aus?«

»Ihrer Mutter scheint es nichts ausgemacht zu haben.« Der Polizist hievte ihn von der Motorhaube hoch und bugsierte ihn auf den Rücksitz des Wagens, ohne zu merken, wie er mit seiner gedankenlosen Bemerkung bei Bowen einen wunden Punkt getroffen hatte. »Warum ich Sie festnehme?« Mit einem Schulterzucken warf der Cop die Wagentür zu. »Suchen Sie sich einfach was aus«, rief er Bowen zu.

Während das Polizeifahrzeug durch die Straßen von Bensonhurst fuhr, wo Bowen aufgewachsen war und wo er wahrscheinlich auch sterben würde, versuchte er, sich weiter unbesorgt zu geben. Er kannte hier jede Ecke, jede Gasse und jeden Ladenbesitzer. Hier war er zu Hause. Er hasste und liebte diesen Teil der Stadt. Er liebte ihn, weil er ihm so vertraut war, und hasste ihn dafür, dass er zu seinem Gefängnis geworden war, seitdem er widerwillig sein Erbe angetreten hatte.

Obwohl es geradezu an Folter grenzte, mit gefesselten Händen in einem Polizeiwagen sitzen zu müssen, war er in gewissem Sinne doch auch erleichtert. Hatten sie ihn endlich geschnappt? Hatten sie endlich genug Informationen in der Hand, um ihn hinter Gitter zu bringen? Gott, zu einem guten Teil hoffte er, dass dem so war, selbst wenn er eher sterben würde, als dass er es diesen eingebildeten Arschlöchern gegenüber zugeben würde. Er war es satt, verdammt noch mal, sich immer wieder umsehen zu müssen, wenn er die Straße entlanglief und sich fragte, ob heute vielleicht der Tag gekommen war, an dem jemand versuchte, seine Herrschaft als Boss zu beenden. Er hatte den Job nie gewollt. Seit sein Vater in Rikers Island auf seinen Prozess wartete, war ihm diese tonnenschwere Last aufgebürdet worden. Ja, er war auch früher nie ein Heiliger gewesen, aber jetzt hatten die Leute Angst vor ihm, und zwar nicht wegen seiner Vorliebe für Straßenkämpfe. Jetzt hatten sie Angst, dass man ihnen die Beine brach, nur weil sie ihre Schulden nicht zurückzahlen konnten. Sie drehten sich um und liefen davon, wenn sie ihn sahen – als sei er der Leibhaftige höchstpersönlich.

Er dachte angestrengt nach um herauszufinden, weshalb sie ihn in die Finger bekommen hatten. Natürlich waren sie verpflichtet, es ihm zu sagen, aber das New York Police Department hielt sich nie an die Regeln. Nicht ihm gegenüber. Sie wussten, dass er Süd-Brooklyn unter Kontrolle hatte, aber sie hatten ihm bisher nichts anhängen können – was sie ziemlich fuchsig machte und ihn diebisch freute. Würde sich das alles heute ändern? Das Schweigen der Männer war gelinde gesagt ungewöhnlich. Normalerweise ließen sie keine Gelegenheit aus, irgendwelche dummen Sprüche vom Stapel zu lassen.

Bowen runzelte die Stirn, als sie an der Abzweigung zum Polizeirevier vorbeikamen und weiter in Richtung Manhattan fuhren. »Wohin geht denn die Reise, Jungs?«

»Lassen Sie das mal ruhig unsere Sorge sein«, sagte der Polizist am Steuer.

»Ich habe nie gesagt, dass ich mir Sorgen mache.« Jetzt hätte er gerne eine Zigarette gehabt. »Ich frage mich nur, ob ich jemanden bitten muss, dass er meine Topfpflanzen gießt.«

Die Cops tauschten Blicke aus. »Sie haben Pflanzen?«

»Was ist? Ihr könnt euch mich wohl nicht als häuslichen Typen vorstellen?«

Bowen erblickte sich plötzlich im Rückspiegel und musste lachen. Mit einem blauen Auge und einer Platzwunde auf der Unterlippe sah er weiß Gott nicht aus wie einer, der sich um seine Pflanzen kümmerte. Ja, er sah aus wie ein platt gefahrener Haufen Scheiße. Das war nichts Neues. Er konnte sich nicht daran erinnern, sein Gesicht jemals ohne irgendeine Blessur im Spiegel gesehen zu haben. Dieser Ausdruck der Erschöpfung in seinen Augen aber … der war neu. Rasch wandte er den Blick ab und schaute aus dem Fenster. Sie fuhren gerade über die Brooklyn Bridge. Was zur Hölle hatten sie mit ihm in Manhattan vor?

»Wisst ihr, mir gefällt eure geheimnisvolle Art, Jungs. Das ist irgendwie sexy.«

Anstatt zu antworten, stellten sie den Polizeifunk lauter, um seine Worte zu übertönen. Es kostete ihn seine ganze Kraft, den Officers keine weiteren Fragen mehr zu stellen, bis sie ein paar Minuten später beim Präsidium des NYPD ankamen. Das Herz klopfte ihm bis zum Hals, als sie ihn aus dem Auto zogen, aber er gab sich alle Mühe, gelangweilt zu wirken.

Das war’s dann wohl. Jetzt bin ich erledigt.

Kein Angstmachen mehr, kein Rückgriff auf Gewalt, um Schulden einzutreiben. Keine Anweisungen mehr an seelenlose Typen, die nicht wussten, was Reue bedeutete. Das alles war vorbei.

Die beiden Officers führten ihn durch die Eingangstür, und alle drehten sich nach ihnen um, von allen Seiten schlugen ihm Feindseligkeit und Ablehnung entgegen. Bowen versuchte den stechenden Schmerz an seiner Unterlippe zu ignorieren und grinste seinem Publikum zu, das ihn gebannt anstarrte. »Tag, die Herren.« Nur zu gern hätte er einen Hut aufgehabt, um zum Gruß mit dem Finger daranzutippen. »Schönes Wetter heute. Kein Wölkchen am Himmel, ja, verdammt noch mal.«

Es war ihm nicht vergönnt, die wütenden Kommentare darauf zu hören, denn die Polizisten schleppten ihn durch einen Gang und schoben ihn gleich ins erste Vernehmungszimmer. Er war wütend, dass er so herumbugsiert wurde, aber er tat den Männern nicht den Gefallen, sich das anmerken zu lassen. Trüge er keine Handschellen, hätte er schon längst auf sie eingeprügelt, und das wussten sie. Und die beiden wussten auch, dass er es leicht mit ihnen aufnehmen und sie mühelos in den Sack stecken konnte. Kämpfen war sein Leben. Er kämpfte oft und gut. Deshalb war er ziemlich überrascht, als sie ihm die Handschellen öffneten. Das lenkte ihn sogar von seiner Wut ab.

»Okay. Ich gebe auf. Worum geht’s?«

»Setzen Sie sich.« Der Polizist, der ihn hierher geführt hatte, schob ihm mit dem Fuß den Metallstuhl hin und lehnte sich dann mit verschränkten Armen an die Wand. »Das werden Sie noch früh genug erfahren.«

Er blieb stehen und drehte sich ein Stück um, als sich die Tür zum Vernehmungsraum abermals öffnete und ein älterer Mann mit ernstem Gesicht hereinkam. Bowen erkannte ihn sofort und hob überrascht die Augenbrauen: Es war der Polizeichef, Commissioner Newsom.

Bowen hatte ihn unzählige Male im Fernsehen bei Pressekonferenzen gesehen. Das war sein Ding. Knappe Statements, um die Leute zu beruhigen. Public Relations. So ein Typ würde ganz sicher keine Gauner aus Brooklyn vernehmen. Da warf Newsom eine Aktenmappe auf den Metalltisch und nickte ihm zu. »Wo haben Sie sich das blaue Auge eingefangen, Driscol? Haben Sie denn jetzt, wo Sie die Verantwortung haben, keine Leute, die die Drecksarbeit für Sie machen?«

Diesem Mann würde er todsicher nicht den Hintergrund für seine beständigen Veilchen verraten. Er würde ihm nicht sagen, dass er immer dann, wenn er Schulden eintrieb und das Geld nicht gezahlt wurde, den anderen erst einmal zuschlagen ließ, bevor seine Männer den Rest der Botschaft überbrachten. Er nahm den Schmerz dieses ersten Hiebs mit Gelassenheit hin, sehnte sich geradezu danach. In letzter Zeit war das das Einzige, was ihn noch daran erinnerte, dass er lebte. Manchmal hoffte er sogar, dass kein Geld gezahlt werden würde, so wie letzte Nacht. Bei dem Gedanken an den verzweifelten Blick des Mannes, vor dessen Tür Bowen aufgetaucht war, stieg ihm ein bitterer Geschmack in den Mund.

Kein Geld für mich, wie? Los, gib mir eine aufs Maul. Tu’s doch. In einer Stunde, wenn du wieder aufwachst und mich verfluchst, wirst du froh sein, es getan zu haben.

»Warum haben Sie mich hierher bringen lassen?« Bowen ließ sich auf den Stuhl fallen, ohne Newsoms Frage zu beantworten. »Nicht, dass ich die besondere Gastfreundschaft nicht zu schätzen wüsste.«

»Sie machen Ihrem Ruf als Klugscheiße alle Ehre.« Mit diesen Worten setzte sich Newsom und fuhr sich mit der Hand über sein müdes Gesicht. Er trug einen Schnurrbart. »Hören Sie zu, ich bin nicht hier, um mit Ihnen dumme Spielchen zu spielen, und ich würde es begrüßen, wenn Sie es genauso halten könnten.«

»In Ordnung.« Bowen zündete sich eine Zigarette an. »Schießen Sie los.«

Um Newsoms Kinn spielte ein entschlossener Zug. Die beiden Polizisten hinter ihm bewegten sich kurz, hielten aber inne, als Newsom die Hand hob. »Wir haben ein Problem, und soweit ich weiß, sind Sie in der Lage, uns zu helfen.«

Bowen hielt mitten in seinem zweiten Zug an der Zigarette inne. »Ihnen helfen?« Als ihn Newsom einfach nur anblickte, lachte er laut. »Und gleich wache ich auf, und das war nur ein Traum, stimmt’s?«

»Nein, ich fürchte nicht.« Newsom öffnete die Aktenmappe und überflog den Inhalt. »Und falls Sie es genau wissen wollen: Ich habe mich auch nicht darum gerissen, das Gesocks, das wir seit einem Jahr zu belangen versuchen, um Hilfe zu bitten.«

»Schmeicheleien bringen Sie auch nicht weiter.« Bowen nahm einen tiefen Zug von seiner Zigarette und blies den Rauch in Richtung eines der mürrisch dreinblickenden Officers. »Okay. Wobei benötigen Sie meine Hilfe? Ich würde vorher zumindest gerne wissen, was ich da ablehne.«

»Sie klingen so, als seien Sie sich ganz sicher.«

»Gut. So sollte es auch klingen.«

Der Commissioner murmelte etwas, aber Bowen konnte nur das Wort »Fehler« verstehen. »Wie wäre es, wenn ich es Ihnen schriftlich vorlege, und Sie entscheiden dann?«

Bowen schwieg und beobachtete Newsom durch den Zigarettenqualm, der im Raum hing.

Der Polizeichef seufzte müde. »Wir haben den Kontakt zu einer Polizistin in einem Undercover-Einsatz verloren. Das mag wie ein Klischee klingen, aber sie hat gegen die Regeln verstoßen und die Aktion auf eigene Faust gestartet.« Er schaute für einen Moment auf seine Hände. »Wir wollen, dass Sie Kontakt zu der Polizistin aufnehmen, in erster Linie um abzuklären, dass sie lebt und dass es ihr gut geht. Sie muss aus der ganzen Sache hervorgehen, ohne dass ihr etwas passiert.«

»Undercover.« Bowen spürte ein Prickeln im Nacken. »Und gegen wen wird ermittelt?«

»Denken Sie etwa, ich würde einen Namen preisgeben, ohne dass Sie schriftlich zugestimmt haben zu kooperieren?«

Bowen antwortete nicht. Das Wort »kooperieren« hing in der Luft wie der Geruch von verrottendem Müll.

»Die Polizistin sucht nach einem Beweisstück«, fuhr der Polizeichef fort. »Kurz gesagt, es ist ein Beweisstück, das ich brauche – das wir brauchen. Ich wollte es zwar nicht auf diese Weise beschaffen, aber sie steckt da jetzt mittendrin.«

»Beweisstück wofür?«

»Für Bestechung. Damit sollten Sie sich ja auskennen.« Er legte die Fingerspitzen beider Hände aneinander. »Was mich zu Ihrer zweiten Aufgabe führt. Wenn die Polizistin tatsächlich lebt und wohlauf ist, dann lassen Sie ihr ein kurzes Zeitfenster, um ihre Mission fortzuführen. Wenn sie erfolgreich ist und findet, wonach wir suchen, bringen Sie mir das Beweisstück, bevor es verloren geht oder sie getötet wird.« Er schüttelte den Kopf. »Eine Anfängerin, verdammt noch mal. Die hat da so tief im Sumpf überhaupt nichts verloren.«

»Das hört sich ja immer verlockender an.« Bowen blickte die beiden Lakaien an. »Ich mache mir nicht besonders viel aus Cops. Ein unerfahrener, lebensmüder Frischling? Warum sollte ich mich darauf einlassen?«

»Das sollten Sie, Mr Driscol, weil wir Ihnen sonst das Leben sehr schwer machen können. Wir kennen die näheren Umstände, die zur Verhaftung Ihres Vaters geführt haben.« Newsom schwieg einen Moment, als wolle er seinen Worten Zeit geben, zu sacken. Bowen behielt seine Miene sorgfältig unter Kontrolle, damit man ihm den Schock nicht anmerkte. Damit hatte er absolut nicht gerechnet. »Uns ist bekannt, dass Sie von der drohenden Festnahme ihres Vaters wussten und ihn nicht gewarnt haben, weil es jemanden gefährdet hätte, der Ihnen sehr nahesteht. Ich denke, ein paar Ihrer Leute würden es interessant finden, dass Ihre Schwester als inoffizielle Informantin gearbeitet hat, meinen Sie nicht auch?«

Bowen drückte die Zigarette an seiner Schuhsohle aus. Ihm war übel. Vor Schuld, vor Furcht. »Dafür haben Sie keine Beweise.«

Newsom lächelte. »Die brauchen wir auch nicht. Die bloße Andeutung würde Ihren Rücken schon zur Zielscheibe machen. Und den Ihrer Schwester.«

Der Polizeichef schwieg, während seine Furcht einflößenden Worte sackten. »Bis jetzt haben wir unsere Ressourcen noch nicht dafür eingesetzt, um Ihre Regentschaft als kleiner König zu beenden. Das kann sich aber sehr bald ändern. Ich lege Ihnen nahe mitzuspielen, Driscol. Es sei denn, Sie wollen hinter Gittern enden wie Ihr armer alter Vater.«

Das traf Bowen wie eine Bombe, aber er schaffte es gerade noch, seine lässige Haltung aufrechtzuerhalten. Wie sein Vater. Er konnte daran gerade nicht denken. Nicht, solange die Cops ihn hier angafften. Er hatte Ruby seit seiner Kindheit den Rücken gestärkt, und sie ihm. Nie hätte sie der Polizei Informationen gegeben, die diese gegen ihn verwenden konnte. Bevor sie irgendeiner Menschenseele davon erzählen würde, würde sie sich eher die Zunge abbeißen. Es sei denn …

»Lassen Sie mich raten.« Bowen fuhr sich mit der Hand durch das Haar. »Hinter diesem Spiegel da steht Troy Bennett. Er ist es, der Ihnen so großzügig meine Dienste in Aussicht gestellt hat.«

Newsoms Lippen zuckten. »Sie begreifen schnell. Haben Sie je daran gedacht, Polizist zu werden?«

Die Beamten hinter ihm lachten, als sei schon allein die Idee urkomisch, er könne etwas anderes sein als ein Krimineller. Ausnahmsweise einmal machte er ihnen deswegen keinen Vorwurf. Bowen wandte sich zum Einwegspiegel und zeigte den Mittelfinger. Rubys Freund, der Mann, der es geschafft hatte, die Falschspielerin wieder auf den Pfad der Tugend zurückzuführen, war Bowen von Anfang an ein Dorn im Auge gewesen. Er hätte wissen müssen, dass es dazu kommen würde, als Ruby sich mit einem Cop einließ.

Ein paar Augenblicke später öffnete sich die Tür und Troy kam mit einer Tasse Kaffee herein. »Bowen.«

Bowen erwiderte den Gruß nicht und schob das Kinn vor, während er Newsom anblickte. »Vorher war meine Antwort nein, jetzt ist sie: Nein, verdammt noch mal.«

Troys Lippen wurden schmal, bevor er sich an den Commissioner wandte: »Kann ich mit ihm bitte kurz unter vier Augen sprechen?«

Newsom nickte knapp und verließ den Raum, gefolgt von seinen beiden Lakaien. Bowen zündete sich eine neue Zigarette an und warf das Feuerzeug auf den Tisch. »Du verschwendest deine Zeit.«

»Warum hast du auf die Anrufe deiner Schwester nicht reagiert?«

Die Frage brachte ihn aus dem Konzept, und zugleich machte sie ihn sauer. »Was soll das hier sein? Eine Familientherapiesitzung?« Er stand auf und ging im Zimmer umher. »Es gab eine Zeit, da durfte ich michihr nicht mal auf hundert Meter nähern, weil du es so wolltest.«

»Sie vermisst dich.« Troy zuckte mit den Schultern. »Wenn sie unglücklich ist, bin ich es auch.«

Bowen ignorierte den stechenden Schmerz in seiner Brust. »Ach ja? Komische Art, mich zu vermissen. Sagt ihrem Polizistenfreund genau das, was mich den Kopf kosten kann.«

»Das wird es nicht, weil du uns helfen wirst.«

»Keine Chance.«

Troy ging zum Metalltisch und schlug die Mappe mit seiner Akte auf. Bowen sah ihm dabei zu, wie er durch die Akte blätterte und dann ein Foto herauszog. »Ich soll dir das eigentlich nicht zeigen, bis du zugestimmt hast, uns zu helfen, aber ich mache es trotzdem. Und weißt du, warum?«

»Ist mir egal.«

»Weil ich dir vertraue«, meinte Troy. »Genug, um Newsom davon zu überzeugen, dass bei dir noch nicht Hopfen und Malz verloren ist und du in diesem Fall weiterhelfen könntest. Hier geht es auch um meinen Arsch.«

Ich vertraue dir. Bowen wollte diese Worte nicht hören. Es gefiel ihm nicht, wie sie auf ihn wirkten. Man sollte ihm kein Vertrauen schenken. Nicht nach all dem, was er hatte tun müssen. Nicht, nachdem er zugelassen hatte, dass sein eigener Vater hinter Gitter gekommen war. Dass seine Schwester fast ermordet worden wäre. »Tut mir leid, euch hängen zu lassen, aber ich riskiere es lieber, dass mein Rücken zur Zielscheibe wird.«

»Es gibt hier keine anderen Optionen, Mann. Du kennst diese Welt zur Genüge, und wenn die Alternative ist, dass Newsom Ruby verpfeift – und einen Grund findet, dich einzulochen –, dann musst du es einfach tun.« Troy schüttelte den Kopf. »Du weißt, dass ich deine Schwester schützen werde. Und wenn es bedeutet, dass wir die Stadt verlassen müssen und niemals zurückkehren werden. Und alles zurücklassen, wofür sie gearbeitet hat. Aber ich glaube, das wirst du nicht wollen.« Troy fluchte und warf das Foto auf die Tischplatte. Entschlossen hielt Bowen den Blick weiter auf Troy gerichtet, er weigerte sich, das Foto anzuschauen. Troy deutete auf das Bild. »Das ist die Gelegenheit für dich, die ganze Scheiße wiedergutzumachen, die du gebaut hast. Die Chance, einmal in deinem Leben etwas Gutes zu tun. Ruby sieht das Gute in dir. Willst du beweisen, dass sie unrecht hat?«

»Leck mich am Arsch«, zischte Bowen, voller Hass auf Troy, der seine Schwäche gegen ihn ausspielte. Vieles auf der Welt war ihm absolut egal, aber nicht seine Schwester. Deshalb hatte er sie völlig aus seinem Leben ausgeschlossen. »Und wo wir gerade dabei sind, sieh zu, dass sie sich verdammt noch mal von mir fernhält. Ich will sie bei mir in der Gegend nicht sehen.«

»Beschützt du sie noch immer?«, fragte Troy leise. »Wir beide wissen, dass das jetzt meine Aufgabe ist.«

»Dann mach deinen Job und sorg dafür, dass sie einen Bogen um Brooklyn macht.«

Troy nickte nachdenklich und ließ ihn nicht aus den Augen. Um seinem Blick auszuweichen, schaute Bowen zur Seite und blickte dabei versehentlich auf das Foto.

Plötzlich kam alles in ihm zum Stillstand. Ohne auch nur darüber nachzudenken, griff er nach dem Foto, um es sich näher anzusehen. »Wer ist das?«

»Das ist die Polizistin, zu der wir die Verbindung verloren haben. Seit einer Woche.« Troy dämpfte seine Stimme und stellte sich mit dem Rücken zur verspiegelten Glasscheibe. »Sie ermittelt in der Sache Trevor Hogan.«

Bowen gelang es nicht, seine Überraschung zu verbergen. »Dieses Mädchen? Mit den Sommersprossen und dem Rosenkranz um den Hals? Sie ermittelt in Hogans Umfeld, undercover?« Als Troy einfach nur nickte, stieß Bowen einen leisen Fluch aus. Er verstand selbst nicht, warum er so auf die Fotografie reagierte, aber er konnte nicht abstreiten, dass sie seinen Beschützerinstinkt ansprach. Eine hübsche Brünette lächelte ihn an, die Augen leicht zusammengekniffen wegen der Sonne, die Hand um das Kreuz an ihrer Halskette gelegt. Sie gehörte auf keinen Fall in die Nähe dieses skrupellosen Hogan, des Mannes, der seit Kurzem in Nord-Brooklyn das Sagen hatte. Wenn er auch nur den leisesten Verdacht schöpfte, würde er sie ohne zu zögern umbringen.

Bowen wusste aber etwas, das Troy nicht bekannt war. Er und Hogan planten für den neunten Mai ein gemeinsames Ding. In gut einer Woche. Dank eines Typen, der Brooklyn vor einiger Zeit den Rücken gekehrt hatte und nun seine Hehlerei auf das Ausland verlagert hatte, wurde eine Ladung gestohlener Computer-Hardware erwartet, die auf neutralem Boden ausgeliefert werden sollte. Wie vom Lieferanten gefordert, würden Hogan und er die Ware zu gleichen Teilen unter sich aufteilen, sozusagen als Geste des guten Willens zwischen Nord- und Süd-Brooklyn, denn Rangeleien um die Ware würden nur unnötig das Risiko erhöhen, dass der Hehler erwischt wurde. Falls Bowen mit der Polizei kooperieren wollte, bot sich ihm hiermit eine ideale Gelegenheit für den Einstieg.

Falls er kooperieren wollte? Du liebe Güte, zog er das ernsthaft in Erwägung? Geistesabwesend strich er mit dem Finger über das Foto. »Wie heißt sie?«

»Seraphina«, antwortete Troy und räusperte sich. »Hogan hat ihren Bruder getötet und wurde nicht dafür belangt. Du kannst sicherlich nachempfinden, dass man für seine Geschwister immer nur das Beste will. Nur hat sie dazu leider keine Gelegenheit bekommen.«

Bowen verspürte ein tiefes Mitgefühl für das Mädchen. Sollte er das machen? Zum Informanten werden? Wenn er einschreiten würde und das Mädchen – Seraphina – schützte, würde er um eine Gefängnisstrafe herumkommen, und seine Schwester würde ihr schönes neues Leben weiterführen können. Und, verdammt noch mal, irgendjemand musste diese impulsive Polizei-Novizin doch wieder nach Hause bringen, oder etwa nicht? Es konnte gut sein, dass das Foto schon älter war, aber wenn sie auch nur halb so unschuldig war, wie sie darauf aussah, würde Hogan sie zum Frühstück verspeisen.

Was gab es da noch lange zu überlegen? Er hatte keine Wahl.

»Wie lange habe ich, um sie da rauszuholen?«

»Je schneller, desto besser. Mehr als eine Woche ist nicht drin.«

Perfektes Timing. »Ihr müsst mir sagen, wonach sie sucht. Ohne Informationen lasse ich mich auf nichts ein.«

Troy dämpfte seine Stimme. »Finanzdaten. Ein Geschäftsbuch mit sämtlichen Aufzeichnungen.« Er verschränkte die Arme. »Es haben schon ein paar andere gegen Hogan undercover ermittelt. Sie … haben nicht lange durchgehalten, aber lange genug, um zu bestätigen, dass er handschriftlich über seine Geschäfte Buch führt.«

Bowen beschloss, dass es unklug wäre zu erwähnen, dass er dieses verdammte Journal selbst gesehen hatte. Er griff wieder nach der Zigarettenschachtel in seiner Hosentasche. »Bringen wir es hinter uns. Ich hasse Formulare.«

3

Sera hasste den Mann vom ersten Augenblick an.

Aber weil Hass eine Sünde war, entschied sie sich für abgrundtiefe Abneigung. Vor fünf Minuten hatte er das Rush, Hogans Nachtclub, betreten und sie seitdem nicht mehr aus den Augen gelassen. Wie er so mit seinem Whiskeyglas in der Hand an der Bar saß, wirkte er beinahe unauffällig, fiel aber dennoch irgendwie auf. Sein Gesicht schmückte ein ziemlich übles blaues Auge, was ihn aber nicht im Geringsten daran hinderte, den Club mit dem Selbstbewusstsein eines Mannes zu betreten, der es gewohnt war, die Veilchen selbst auszuteilen. Groß, breitschultrig und mit den ausgeprägten Muskeln eines körperlich tätigen Mannes, zog er die Aufmerksamkeit von Männern wie auch von Frauen auf sich, erntete teils bewundernde, teils aber auch ängstliche Blicke. Jede seiner Bewegungen sagte, als wenn er es laut ausgesprochen hätte, komm mir bloß nicht blöde. Sein dunkelblondes Haar war so zerzaust, dass es nach Absicht aussah, so als hätte sich gerade eine Frau daran zu schaffen gemacht.

Sera schüttelte über sich selbst den Kopf, als ihr bewusst wurde, dass sie ihn ganz unverhohlen finster angeschaut hatte. Es war normalerweise nicht ihre Art, sich vorzustellen, wie eine Frau auf dem Gipfel der Ekstase einem Mann das Haar zerzauste.

Sie ermahnte sich halblaut selbst, nahm ihr Tablett und wandte sich um, fest entschlossen, den Fremden nicht weiter zu beachten. Seit zwei Wochen arbeitete sie nun schon als Kellnerin in Hogans Nachtclub, und war bisher kein bisschen näher an belastendes Material herangekommen. Er hatte ihr ein Zimmer im Obergeschoss gegeben und sie angewiesen, seinen Cousin gesund zu pflegen, dessen Gesundheitszustand sich zu verschlechtern begann und ihr große Sorgen bereitete. Sie hatte sich schon gefragt, ob der Mann überhaupt überleben wollte. Sie hatte Hogan bekniet, ihn in ein Krankenhaus zu bringen, obwohl sie wusste, dass das ihre Chancen verschlechtern würde, Hogan zur Strecke zu bringen. Trotz ihrer eindringlichen Bitten hatte Hogan eine ärztliche Behandlung abgelehnt, und sie hatte den Verletzten ungeachtet aller Schwierigkeiten nach ein paar Tagen stabilisieren können.

Als sie ihn halbwegs wieder hinbekommen hatte und er aus dem Schlimmsten heraus zu sein schien, dachte sie, Hogan würde ihr nun sagen, sie solle die Koffer packen. Stattdessen hatte er ihr eine Schürze zugeworfen. Ob er zu dem Entschluss gekommen war, ihre medizinischen Kenntnisse könnten auch in Zukunft nützlich sein, oder ob er einfach keine Ahnung hatte, was er sonst mit ihr hätte anstellen sollen, konnte sie nicht sagen. Dass sie keine Antwort darauf hatte, begann ihr zuzusetzen, machte sie langsam nervös. Sie hatte sogar schon mehrmals gebeten, nach Hause gehen zu dürfen, damit es nicht so aussah, als würde sie hier unbedingt herumlungern wollen, aber er hatte sie immer wieder abgewiesen und seinen verletzten Cousin als Vorwand genommen, sie weiterhin bei sich zu behalten. Sera hatte ihn bei verschiedenen Gelegenheiten ertappt, wie er sie beobachtete, mit nachdenklichem Blick, als würde er über ihr Schicksal nachsinnen. Dieses kühle, berechnende Verhalten verunsicherte sie, und seine Vorsicht war für ihre Ermittlungen nicht gerade förderlich. Gestern früh aber hatte sie einen Blick auf das Geschäftsjournal erhaschen können. Sie würde in ihrem Bemühen, ihn seiner gerechten Strafe zuzuführen, nicht nachlassen.

Hoffentlich würde morgen die ganze Warterei endlich ein Ende haben. Gestern hatte sie zufällig ein Telefonat von Hogan mitbekommen, das er an einem ihrer Tische im Club geführt hatte. Er würde für eine Woche die Stadt verlassen, um sich einen Überblick über die Geschäfte in seinem anderen Nachtclub an der Küste von New Jersey zu verschaffen. Wenn sie hierbleiben sollte, um sich um seinen Cousin zu kümmern, dann würde sie endlich die Gelegenheit haben, irgendwann unbemerkt in das Büro im Untergeschoss zu gehen und sich dort umzusehen.

Ohne es zu wollen, schaute sie wieder zu dem Mann an der Bar. Irgendwie kam er ihr bekannt vor, aber sie wusste nicht, woher. Bisher hatte er sie abschätzend angeschaut, jetzt sah er einfach nur wütend aus. Merkwürdig.

»Schätzchen, ich bin am Verdursten.«

Sera wandte sich mit einem aufgesetzten Grinsen um und räumte die leeren Biergläser von drei Männern ab. »Noch mal das Gleiche?«

Als Antwort kam lediglich ein Grunzen. Sera nickte und schlängelte sich zwischen den Tischen hindurch, um die Getränke an der Bar zu holen.

Es war Freitagabend, noch recht früh, und das Rush begann sich zu füllen. Obwohl sie noch nicht lange hier war, wusste sie bereits, was die Stammkunden wollten. Das Rush ähnelte keinem der Nachtclubs, die sie kannte, und das waren zugegebenermaßen nur sehr wenige. Keine aufwendigen, überteuerten Drinks, kein distanziertes, vornehmes Publikum. Hierher kamen raue Typen, misstrauisch gegenüber allen Neulingen, wozu auch sie gehörte. Nach ein paar Schichten schienen sie sie akzeptiert zu haben, aber nur, weil sie zu Hogan gehörte.

Sera lehnte sich mit den Ellbogen auf den hochklappbaren Teil der Theke und wartete, bis der Barkeeper sie mit seinen blutunterlaufenen Augen prüfend ansah. »Zwei Flaschen Bud, ein Carlsberg.«

»Alles klar, Süße.« Während er ans andere Ende der Bar schlurfte, um die Bierflaschen aus dem Kühlschrank zu holen, merkte Sera, wie der Mann, der sie so anstarrte, näher kam. Es machte sie wütend, wie es auf ihrer Haut kribbelte, als er langsam und lässig auf sie zuschlenderte. Sie wollte sich nicht mit ihm unterhalten und wünschte im Stillen, der träge Barkeeper möge sich mit der Bestellung etwas beeilen. Aber sie hatte kein Glück. Sie würde jede Wette eingehen, dass er sich noch nie im Leben bei irgendetwas beeilt hatte.

»Also, wenn ich auf Trinkgeld angewiesen wäre, dann würde ich mehr lächeln.«

Die Worte wurden so dicht hinter ihr gesprochen, dass sich ihr die feinen Nackenhärchen aufstellten und ihr ein kräftiger Schauder über den Rücken lief. Sie hatte plötzlich ein flaues Gefühl im Magen, und dann wurde ihr auf einmal ganz heiß. Sie musste nach Luft schnappen. Wegen seiner Unverfrorenheit? Wegen ihrer Reaktion auf diesen Fremden? Sie wusste es nicht.

Reiß dich zusammen. Spiel deine Rolle. Sie setzte ein Lächeln auf und wandte sich um, um mit einer Retourkutsche zu antworten, aber sie brachte kein Wort heraus, denn sie schaute in das bestaussehende, umwerfendste Männergesicht, das sie je gesehen hatte. Seine grauen Augen wirkten müde, aber sie blickten sie fest an, und er lächelte leicht. Von Weitem hatte er attraktiv gewirkt, sogar mit diesem sicherlich schmerzhaften blauen Auge. Von Nahem … nun ja, er blieb nicht ohne Wirkung auf sie. Und wie er auf sie wirkte. Das konnte sie sich auf keinen Fall leisten, wenn sie ihr Spiel weiterspielen wollte.

Sera trat einen Schritt zurück. »Es ist nicht einfach zu lächeln, wenn man so angestarrt wird.«

»Dann lächelst du wohl nicht so oft, du bist schließlich eine scharfe Braut.«

Wow. Hä? Es kam wie ein Schock. Diese merkwürdige körperliche Anziehungskraft, die sie verspürte. Nur wegen dieses Spruchs? Bis jetzt hatte sie sich nie etwas aus dem Brooklyn-Akzent gemacht, aber so wie er »scharfe Braut« sagte, spürte sie auf einmal Schmetterlinge im Bauch. Vielleicht war es auch der aufrichtige Tonfall gewesen. Er hatte es so gesagt, als ob er es auch wirklich meinte. Und wie er sie dann auch noch dabei anschaute, mit diesem festen Blick, das haute sie einfach um. Typisch, der erste Mann, der eine solche Wirkung auf sie hatte, musste ausgerechnet dann in ihrem Leben auftauchen, wenn sie undercover ermittelte.

Damit kannst du dich nicht auch noch auseinandersetzen. Wimmel ihn ab.

Als der Barkeeper endlich das Bier auf die Theke stellte, hätte sie den Mann am liebsten geküsst. »Entschuldigung. Ich muss arbeiten. Ich habe Gäste, und die wollen was zu trinken.«

»Ach ja?« Er nahm einen Schluck Whiskey, man sah, wie sich die Halsmuskeln bewegten. »Dann will ich jetzt auch was zu trinken.«

»Für diesen Bereich bin ich nicht zuständig.«

Zu spät wurde ihr klar, dass sie gerade das Falsche gesagt hatte. Er stellte sein leeres Glas auf die Theke und ging gemächlichen Schrittes zu den Tischen im hinteren Bereich des Clubs. Er ließ sich auf den nächsten freien Stuhl fallen, ganz in der Nähe des Tisches, an dem sie vorher bedient hatte, und sah sie erwartungsvoll an. Sie drehte sich um und wollte den Barkeeper gerade bitten, für diesen dreisten Kerl noch einen Whiskey einzuschenken, aber da stand schon ein volles Glas auf dem Tresen. Offenbar konnte er doch schnell sein, wenn er wollte.

Sera gab sich alle Mühe, gelassen zu wirken, aber sie musste dabei die Zähne zusammenbeißen. Sie stellte alle vier Drinks auf das Tablett, bediente zuerst die drei Männer und ignorierte das Schnauben des Fremden, der sie um ein Lächeln gebeten hatte.

»Hat ja ganz schön gedauert«, sagte einer von den dreien. »Es sollte mal jemand mit Hogan sprechen, dass er dir Feuer unter deinem scharfen Hintern macht.«

Hinter ihr wurde ein Stuhl so heftig zurückgeschoben, dass sie vor Schreck zusammenzuckte. Die drei Männer waren völlig perplex und machten große Augen, als ihr Verehrer sich mit geballten Fäusten über den Tisch beugte. »Ihr werdet euch auf der Stelle entschuldigen.«

Einer der Männer stand auf und streckte die Hand wie zur Versöhnung aus. »Scheiße Mann, ich hab nicht gewusst, dass sie zu dir gehört. I-ich wusste nicht … sie …«

Der Fremde schlug mit der Faust auf den Tisch, und eins von den frisch gezapften Bieren kippte um. »Ich habe gesagt, ihr werdet euch entschuldigen. Ich kann es auf den Tod nicht leiden, wenn ich um etwas zweimal bitten muss.«

Sofort begannen alle drei Männer, sich zu entschuldigen, und Sera konnte nur versöhnlich nicken. Wer war dieser Kerl? Die drei Männer wirkten ganz erschrocken darüber, dass sie ihn verärgert hatten. Als ginge es um ihr Leben. Langsam richtete sich ihr Bewunderer auf, ging zurück an seinen Tisch und setzte sich wieder. Im Club war es mucksmäuschenstill geworden, aber er schien das nicht zu bemerken, oder es war ihm egal. Sera fiel nichts Besseres ein, als ihm das Whiskeyglas hinzustellen. Als sie gehen wollte, fasste er sie am Handgelenk.

»Bekomme ich jetzt das Lächeln?«

»Und was, wenn nicht?«, fragte sie ein wenig schärfer als beabsichtigt. »Brüllst du mich dann an, bis ich die Mundwinkel in die richtige Position gebracht habe?«

Er fuhr ihr mit dem Finger in einer Kreisbewegung über die Handfläche und schaute sie aufmerksam an. »Vorsicht, Marienkäfer, man sieht deine Punkte.«

Was soll denn das heißen? Sie riss ihre Hand aus seinem Griff. »Vielleicht bewahre ich mir das Lächeln für meinen Freund auf.«

Er lehnte sich langsam zurück und nahm einen Schluck Whiskey. Aus seinem Gesicht war jede Spur von Heiterkeit verschwunden. »Wenn du einen Freund hast, dann wird er bald schwer enttäuscht sein.«

»Warum?«

»Weil ich noch nie besonders gut darin war, mit jemandem zu teilen.«

Völlig schockiert starrte Sera ihn an. Sie wusste instinktiv, dass sie ihn nicht vor den drei Männern in ihrem Rücken herausfordern sollte, die ganz sicher auf jedes Wort lauschten. Aus irgendeinem Grund schienen sie Angst vor dem Fremden zu haben, und bis sie nicht durchblickte, was hier eigentlich gespielt wurde, würde es ihrer Sache nicht zuträglich sein, eine Szene zu machen. Sie stellte ihr Tablett ab. Diesen Kommentar konnte sie nicht einfach so stehen lassen. Sie teilen? Als sei sie eine Dose Cola? »Was glaubst du eigentlich, wer du bist?«, flüsterte sie.

Er schaute auf ihren Mund. »Der Kerl, der dich heute Abend küssen wird.«

»Einen Scheiß wirst du«, platzte es aus ihr heraus, und bevor sie Gelegenheit hatte, groß nachzudenken, hatte sie sich auch schon bekreuzigt. »Ich weiß nicht mal, wie du heißt.«

Er hob die Augenbraue. »Hast du dich da eben bekreuzigt?«

»Ich würde dir raten, das auch mal zu versuchen, aber bei dir scheint ja Hopfen und Malz verloren zu sein.«

»Keinen Streit, bitte.« Er beugte sich vor und legte die Hände zwischen die Knie. Wie er den Kopf so zur Seite neigte, das brachte wahrscheinlich die meisten Frauen dazu, hysterisch zu kreischen. Ihr fiel wieder ein, dass er ihr noch immer nicht seinen Namen genannt hatte. »Ich mache dir ein Angebot …«

»Oh nein.« Sie schüttelte den Kopf. »So beginnt jede Folge von Dateline NBC.«

»Ach, Schätzchen«, murmelte er so leise, dass sie ihn kaum verstehen konnte, »wie bist du denn bloß hier gestrandet?«

Sera wusste nicht, wie sie auf diese verwirrende Frage reagieren sollte. Deshalb nahm sie ihr Tablett und wollte zurück Richtung Bar gehen, doch seine Stimme ließ sie innehalten.

»Wenn ich dich zum Lächeln bringe, dann bekomme ich meinen Kuss.« Er stand auf und nahm ihr das Tablett sanft aus der Hand. »Das ist der Deal. Ist dir das harmlos genug?«

»Nichts an dir ist harmlos«, rutschte es ihr im Flüsterton heraus. »Gibt es keine anderen Frauen, die du küssen kannst?«

»Klar gibt’s die.« Ohne hinzusehen stellte er ihr Tablett auf dem Tisch ab. »Aber keine von denen bekreuzigt sich, nachdem sie ›einen Scheiß‹ gesagt hat, und ich bin außerdem auch nicht darauf aus, sie lächeln zu sehen, so wie dich.«

»Du scheinst mir trotzdem verrückt zu sein.«

Seine Lippen zuckten. »Und wenn schon? Wenn ich so verrückt bin, dann ist an dem Deal ja nichts Schlimmes. Kein Lächeln, kein Kuss.«

Sie machte den Fehler, einen Moment lang zu zögern. Bevor sie protestieren konnte, nahm er sie bei der Hand und zog sie in den hinteren Bereich der Bar. »Halt. Halt. Ich habe Gäste.«

»Die kommen schon klar.« Er verflocht seine schwieligen Finger mit ihren und schob sie weiter in den Gang, vorbei an den Toiletten und in die Küche. Der Koch und sein Gehilfe schauten kurz auf, aber es schien sie nicht zu stören, dass sie von diesem verrückten Gast durch die Küche geschleift wurde. Sie wollte sie schon um Hilfe bitten, als ihr Kidnapper die beiden mit Namen grüßte. Na großartig.

»Wo willst du mit mir hin?« Sera mochte zwar wissen, wie man sich verteidigte, aber es wäre unklug, mit diesem Mann, über den sie aber auch gar nichts wusste, irgendwohin zu gehen, wo sie alleine waren. Sie warf dem Koch einen verzweifelten Blick zu. »Hilfe!«

Sie hörte die beiden Männer lachen, als der Fremde sie in die schmale Gasse hinter dem Club zerrte. Die Küchentür fiel hinter ihnen ins Schloss. Sie war hier noch nie gewesen und brauchte einen Moment, um sich zu orientieren. Über der Tür summte ein Lüftungsventilator, und aus einiger Entfernung waren Straßengeräusche zu hören. Es hatte geregnet, der Asphalt war feucht, und von den Regenrinnen des Wohnhauses gegenüber tropfte das Wasser. Eine kühle Brise wehte, und Sera schlang die Arme um sich, weil es sie fröstelte.

Ihr Kidnapper hielt sie immer noch fest an der Hand, aber er bückte sich, um einen Kiesel aufzuheben. Während sie ihm sprachlos zusah, warf er den Kiesel gegen das nächst gelegene Fenster des Gebäudes auf der anderen Seite der Gasse.

»Was machst du da?«

Er hob einen Finger und lächelte, als hinter dem Fenster das Licht anging. »Wart’s ab«, sagte er.

Als das Fenster mit einem Fluch geöffnet wurde, drückte er ihre Hand und zog sie näher an sich heran. Sera stolperte und stieß mit dem Kopf an seine Armbeuge, die nach Whiskey und Rauch roch. Über ihnen erschien eine weißhaarige Frau in einem Hausmantel und blickte suchend in die Dunkelheit. Sie schien über die Störung ganz und gar nicht erfreut.

»Mrs Petricelli, Sie sehen heute Abend besonders bezaubernd aus«, rief Seras Entführer. »Singen Sie doch etwas für uns, bitte.«

»Für Sie?« Sie stemmte eine Faust in die Hüfte. »Ich gebe keine Gratisvorstellungen.«

Er schlug sich mit der freien Hand auf die Brust. »Aber ist meine unsterbliche Liebe denn kein angemessenes Entgelt?«

Sera war überrascht, als die Dame ihre Hand zum Hinterkopf führte und ihre Frisur richtete. Die anfängliche Wut über das Kidnapping hatte sich mittlerweile in Staunen verwandelt. Sie konnte es nicht lassen, ihn von unten herauf anzuschauen und sich zu fragen, wie es sein konnte, dass dieser derart ausgelassene Mann noch vor wenigen Augenblicken drei Männern, die doppelt so alt waren wie er, eine Heidenangst eingejagt hatte.

In der Bar hatte sie ihn auf den ersten Blick wegen seiner müden Augen älter geschätzt. Jetzt, mit dem schelmischen Grinsen und dem Funkeln in seinen Augen, musste sie ihre ursprüngliche Annahme revidieren. Er war sicher nicht älter als dreißig.