It happened with you - Tessa Bailey - E-Book
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It happened with you E-Book

Tessa Bailey

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Beschreibung

Platz 1 der New-York-Times-Bestsellerliste. Band 2 der Romantic-Comedy-Reihe um die beiden Bellinger-Schwestern. Die Tik-Tok-Sensation endlich auf Deutsch. Fox Thornton ist ein Charmeur. Alle mögen den entspannten, humorvollen Fischer, und niemand erwartet etwas von ihm. Vor allem nicht seine weiblichen Bekanntschaften. Fox liebt Frauen, aber er zieht es vor, wenn sie kein permanenter Bestandteil seines Lebens sind – bis er Hannah Bellinger kennenlernt. Sie ist komplett immun gegenüber seinem guten Aussehen, aber seltsamerweise will sie mit ihm befreundet sein. Und so kommt Fox zu einer besten Freundin. Als Hannah aus beruflichen Gründen eine Weile in seinem Heimatort, der kleinen Hafenstadt Westport, zubringt, bietet Fox ihr sein Gästezimmer an. Schließlich ist sie seine Freundin. Seine platonische Freundin. Nur leider werden seine Gefühle mit jedem Tag des Zusammenlebens weniger platonisch – während Hannah ihn bittet, ihr bei der Verführung ihres Schwarms zu helfen. Verdammt! Warum muss Liebe nur so kompliziert sein?

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Seitenzahl: 464

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Tessa Bailey

It happened with you

Roman

 

 

Aus dem Englischen von Anja Rüdiger

 

Über dieses Buch

Warum muss Liebe nur so kompliziert sein?

Fox Thornton kennt sich mit Frauen aus. Er weiß, wie man mit ihnen flirtet, wie man sie ins Bett bekommt, wie man am nächsten Morgen geht, ohne Herzen zu brechen. Und trotzdem hat er nicht die geringste Ahnung, was er mit Hannah Bellinger anfangen soll. Sie hat kein Interesse an ihm – was gut ist, da sie als Schwägerin seines besten Freundes ohnehin tabu ist. Aber sie will mit ihm befreundet sein – was wiederum seltsam ist, denn Fox hatte noch nie eine platonische Freundin. Er hat auch noch nie mit einer Frau zusammengewohnt, aber als Hannah aus beruflichen Gründen in seinen Heimatort, die kleine Hafenstadt Westport, kommt, bietet er ihr sein Gästezimmer an. Das macht man schließlich so unter Freunden, oder? Und es ist auch ganz normal, wenn man besagte Freundin manchmal so sehr küssen will, dass man nicht mehr atmen kann, richtig?

Vita

Tessa Bailey, aufgewachsen in Kalifornien, lebt mit ihrem Mann und ihrer Tochter in Long Island, New York. Sie studierte am Kingsborough Community College und an der Pace University in New York. Ihr Studium finanzierte sie sich als Kellnerin. Nach ihrem Abschluss versuchte sie sich als Journalistin, doch die Arbeit an ihren eigenen Geschichten zog schnell ihre ganze Aufmerksamkeit auf sich. Tessa Bailey hat bereits über vierzig Romane veröffentlicht. Zuletzt gelang ihr mit der Dilogie um die Bellinger-Schwestern ein außergewöhnlicher Erfolg. «It happened one Summer» wurde mit über 200 Millionen Abrufen zu einem der beliebtesten Titel auf der Social-Media-Plattform TikTok, die Fortsetzung «It happened with you» stand auf Platz 1 der New-York-Times-Bestsellerliste. Weitere Informationen sind auf der Homepage der Autorin zu finden: www.tessabailey.com

 

Anja Rüdiger, geboren in Bonn, hat in Köln, Paris und Santander Übersetzen/Dolmetschen studiert. Fünfzehn Jahre lang hat sie in verschiedenen Verlagen als Lektorin und Programmleiterin gearbeitet. Seit 2011 ist sie als freie Übersetzerin, Lektorin und Literaturscout tätig.

Impressum

Die Originalausgabe erschien 2022 unter dem Titel «Hook, Line, and Sinker» bei Avon Books/HarperCollins Publishers, New York.

 

Veröffentlicht im Rowohlt Verlag, Hamburg, August 2023

Copyright © 2023 by Rowohlt Verlag GmbH, Hamburg

«Hook, Line, and Sinker» Copyright © 2022 by Tessa Bailey

Redaktion Claudia Wuttke

Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt, jede Verwertung bedarf der Genehmigung des Verlages.

Covergestaltung ZERO Werbeagentur, München,

nach dem Original von HarperCollins US

Coverabbildung Monika Roe

Schrift Droid Serif Copyright © 2007 by Google Corporation

Schrift Open Sans Copyright © by Steve Matteson, Ascender Corp

Abhängig vom eingesetzten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.

ISBN 978-3-644-01606-4

www.rowohlt.de

 

Alle angegebenen Seitenzahlen beziehen sich auf die Printausgabe.

Für die Pflegekräfte und Ärztinnen und Ärzte des NYU Langone Health – im Besonderen 15 West, Tisch Building, Manhattan

Prolog

15. September

HANNAH (18:00): Hey. Fox?

FOX (22:20: Hey.

H (22:22): Ich bin’s, Hannah. Bellinger? Ich hab deine Nummer von Brendan.

F (22:22): Hannah. Verdammt. Sorry! Ich hätte früher antworten sollen.

H (22:23): Kein Problem. Ist es unverschämt von mir, dir zu schreiben?

F (22:23): Überhaupt nicht, Sommersprosse. Bist du gut wieder nach L.A. zurückgekommen?

H (22:26): Ohne einen Kratzer. Aber ich vermisse den typischen Westport-Fischgeruch (nicht ganz ernst gemeint). Wie auch immer, ich wollte mich nur für die Fleetwood-Mac-LP bedanken, die du bei meiner Schwester vor die Tür gelegt hast. Das wär echt nicht nötig gewesen.

F (22:27): War ja nur eine Kleinigkeit. Ich hab gemerkt, dass du sie gern haben wolltest.

H (22:29): Wie das denn? Weil ich in Tränen ausgebrochen bin, als ich sie auf der Börse zurückgelassen hab?

F (22:30): Ein Wink mit dem Zaunpfahl sozusagen.

H (22:38): Ah. Na ja. Ich wünschte, du könntest sie hören. Pure Magie.

F (22:): Vielleicht irgendwann mal.

H (22:43): Vielleicht. Nochmals danke.

F (23:01): Du hättest mir deinen Nachnamen nicht sagen müssen. Ich kenn nur eine Hannah.

H (23:02): Sorry, ich kann nicht das Gleiche sagen. Ich kenne mehrere Foxe.

3. Oktober

FOX (16:03): Hey Hannah.

HANNAH (16:15): Hey! Was gibt’s?

F (16:16): Bin gerade wieder im Hafen eingelaufen, nachdem ich 3 Tage weg war.

F (16:18): Ich weiß, das klingt bescheuert, aber dir geht’s gut, oder?

H (16:19): Na ja, meine Therapeutin würde das vielleicht infrage stellen. Aber körperlich bin ich okay. Warum?

F (16:20): Nur ein blöder Traum. Keine Ahnung … Ich hab geträumt, dass du irgendwie vermisst wirst.

H (16:25): Das war kein Traum. Schick mir einen Heli.

F (16:25):

F (16:26): Fischer glauben immer an die Träume auf See. Manchmal bedeuten sie nichts, aber es kann auch eine Vorahnung sein.

H (16:30): Wenn sich einer von uns in dieser Freundschaft Sorgen machen sollte, dann ich. Ich hab The Perfect Storm gesehen.

F (16:32): Macht mich das dann zu Mark Wahlberg?

H (16:33): Kommt drauf an. Siehst du genauso gut in weißen Boxershorts aus?

F (16:34): Besser, Babe.

F (16:40): Das heißt, wir sind Freunde?

H (16:45): Ja. Bist du an Bord? (Ha, ein Seefahrer-Wortspiel)

F (16:48): Ich … ja, bin an Bord. Heißt das, ich kann dir öfter schreiben?

H (16:50): Ja.

F (16:55): Okay.

H (16:56): Okay.

22. Oktober

FOX (22:30): Hey, Sommersprosse. Was machst du gerade?

HANNAH (22:33): Hey. Nicht viel. Woher weiß man, ob man einen Platten hat?

F (22:33): Warum? Was ist los??

H (22:35): Mein Auto hat so ein komisches Geräusch gemacht. Also hab ich angehalten. Ich schau mal nach, was los ist?

F (22:35): Hannah, es ist schon nach 10. Bleib im Auto. SCHLIESS DIE TÜREN AB und ruf einen Abschleppwagen.

H (22:36): Ja … Aber ich könnte ihnen gar nicht beschreiben, wo ich bin. Ich war bei einer Séance von einem unserer Make-up-Artists. Ich denke, ich bin vielleicht in Los Feliz.

F (22:37): Du weißt nicht, wo du bist?

F (22:37): Hey, das ist mein Traum. Er wird wahr. Eine düstere Vorahnung.

H (22:39): Komm, das kann nicht sein.

F (22:40): Du warst doch gerade erst bei einer Séance, wie kannst du dann Zweifel haben?

H (22:41): Weißt du was? Das geschieht mir recht.

F (22:42): Schau auf deinem Handy nach, wo du bist, und ruf einen Abschleppwagen.

F (22:43): Bitte!

H (22:45): Hast du bei all deinen Freundinnen diesen Beschützerinstinkt?

F (22:48): Ich hab keine anderen Freundinnen.

H (22:49): Gut, ich rufe einen Abschleppwagen.

F (22:49):

22. November

HANNAH (0:36): Bist du wach?

FOX(0:37): Hellwach.

H (0:38): Bist du allein?

F (0:38): Ja, Hannah. Ich bin allein.

H (0:40): Lass uns Leaving on a Jet Plane hören. Gleichzeitig und zusammen.

F (0:41): Bleib dran. Ich muss den Song erst noch runterladen.

H (0:42): Das darf nicht wahr sein.

F (0:42): Sorry, mein Handy ist kein Musiklexikon wie deins. Warum diesen Song?

H (0:44): Keine Ahnung. Ich vermisse meine Schwester. Bin ein bisschen depri deswegen. Seid ihr euch in der letzten Zeit mal über den Weg gelaufen?

F (0:45): Ich hab ihren Lippenstift an Brendans Kragen gesehen. Zählt das?

H (0:47): Das ist der Grund, warum ich dich nerve und nicht sie. Ich will die beiden auf ihrer rosa Wolke nicht stören.

F (0:51): Du nervst mich nicht, Sommersprosse. Bist du bereit?

H (0:48): Jep. Los geht’s.

F (0:51): Verrückt, wie viel besser der Song ist, als ich ihn in Erinnerung habe. Warum höre ich ihn nicht öfter?

H (0:52): Das kannst du ja jetzt. Ist das nicht wunderbar?

F (0:53): Juchhu. Bin ich jetzt dran?

H (0:55): Ui. Okay. Was hast du für mich, Pfau?

F (0:57): Etwas, um dich aufzuheitern. Hast du die Scissor Sisters in deinem Musiklexikon?

H (0:58): Das Studio-Album oder live? Beides ja.

F (0:59): Jesus, ich hätte es wissen müssen. I don’t feel like dancing in 3 … 2 … 1 …

1. Januar

FOX (12:01): Frohes neues Jahr.

HANNAH (12:02): Wünsche ich dir auch. Möge es dir einen reichen Krabbenfang bescheren.

F (12:03): Irgendwelche guten Vorsätze?

H (12:07): Eigentlich nicht. Aber ich will in diesem Jahr etwas mutiger sein. Im Job mal was wagen, weißt du? Aber mach das nicht nach. Dein Job ist gewagt genug.

F (12:09): Wie soll ich sonst an die Krabben kommen?

H (12:10): Im Restaurant, wie jeder normale Mensch.

F (12:10): Da bestelle ich immer das Steak.

H (12:11): Echt ironisch.

5. Februar

FOX (9:10): Hier regnet’s. Hast du was Schönes für die Ohren?

HANNAH (9:12): Hm. Wie wär’s mit The National? Probier mal Fake Empire.

F (9:14): Mach ich. Hast du dieses Wochenende etwas vor?

H (9:21): Nicht wirklich. Meine Eltern sind in Aspen, ich hab also sturmfreie Bude. Das hab ich in letzter Zeit oft. Und ich warte jedes Mal darauf, dass Piper mit einer Aktivkohle-Maske um die Ecke kommt.

F (9:18): Ihr Frauen schmiert euch Kohle ins Gesicht?

H (9:20): Das ist noch gar nichts. Es gibt auch Gesichtsbehandlungen mit Schnecken.

F (9:21): Oh Gott. Ich werde einfach so tun, als hätte ich nie davon gehört.

H (9:28): Hast du fürs Wochenende etwas geplant? Einen Trip nach Seattle vielleicht?

F (9:35): Wäre möglich.

F (9:36): Aber meine Mutter hat Geburtstag. Ich sollte ihr ein paar Blumen bringen und Hallo sagen.

H (9:38): Du bist ein guter Sohn. War sie schon mal bei dir in Westport?

F (9:45): Nein, noch nicht.

F (9:46): Danke für den Musiktipp, Sommersprosse. Ich melde mich.

14. Februar

HANNAH (18:03): Alles Gute zum Valentinstag! Hast du was Schönes vor?

FOX (18:05): Gott, nein. Ich brenne für mich selbst.

F (18:09): Und du? Machst du was Schönes?

H (18:22): Yes, Sir. Ich bin verabredet.

F (18:11): Mit wem??

H (18:15): Mir selbst. Sehr charmante Person. Da könnte was draus werden.

F (18:16): Mach die Frau klar. Das ist eine, die man gern seiner Mutter vorstellt.

F (18:20): Wärst du gern auf einem Date? Mit jemand anderem als dir selbst?

H (18:23): Keine Ahnung. Wär nicht schlecht. Aber für den Typ Mann, auf den ich stehe, ist der Valentinstag eine Erfindung der Konsumindustrie. Er würde mir aus Protest vertrocknete Rosen schenken.

F (18:26): Das ist ein ziemlich spezifischer Typ. Sprichst du von diesem Regisseur? Sergei, richtig?

H (18:28): Ja. Meine Schwester ärgert mich immer mit meinem Faible für mittellose Künstler.

F (18:29): Du liebst es düster und dramatisch, hm?

H (18:30): Vorsicht, ich kriege gleich einen Orgasmus.

F (18:30): Wenn ich das vorgehabt hätte, wäre es nicht dein erster.

F (18:33): Shit, Hannah. Sorry. Das ist mir so rausgerutscht.

H (18:34): Schon okay, ich hab ja damit angefangen. Liegt wohl an dem Glas Wein, das ich intus hab. #lightweight

F (18:40): Abgesehen von düster und dramatisch … Was ist denn so dein Typ Mann? Wie sieht für dich Mr. Right aus?

H (18:43): Ich denke … einer, der mich an einem schlechten Tag zum Lachen bringen kann.

F (18:44): Das hört sich eher nach dem Gegenteil deines Intellektuellen an.

H (18:45): Stimmt. Muss am Wein liegen.

H (18:48): Er müsste einen Schrank voller LPs haben. Und etwas, worauf er sie abspielen kann, natürlich.

F (18:51): Ist klar.

28. Februar

FOX (19:15): Wie war dein Tag?

HANNAH (19:17): Fühlt sich an wie Fast Car von Tracy Chapman.

F (19:18): Also … melancholisch?

H (19:20): Ja. Ein bisschen depri. Ich denke, ich vermisse Westport.

F (19:20): Komm her.

F (19:23): Wenn du möchtest.

H (19:25): Wär schön, aber wir haben gerade mit dem Casting für einen neuen Film angefangen. Schlechtes Timing.

F (19:27): Was ist mit deinem guten Vorsatz, im Job mehr zu wagen?

H (19:28): Fehlanzeige. Ich arbeite dran.

H (19:29): Ernsthaft. Jede Minute.

F (19:32): Darf ich dich daran erinnern, dass du dich, als wir uns zum ersten Mal begegnet sind, mit einem Schiffskapitän angelegt hast, der doppelt so groß ist wie du, bereit, ihm den Kopf abzureißen, weil er deine Schwester angeschrien hat. Du bist knallhart.

H (19:35): Danke, dass Du mich dran erinnerst. Ich schaff das schon. Es ist nur … Impostor-Syndrom, denke ich. In der Art von: Wie komme ich drauf, dass ich das kann? Filmmusik zu machen?

F (19:37): Ich hab ein Impostor-Syndrom.

H (19:37): Tatsächlich?

F (19:37): Wenn du mich lachen hören könntest.

H (19:39): Ich … wünschte, ich könnte. Dich lachen hören.

F (19:40): Ja. Ich hätte auch nichts dagegen, dich lachen zu hören.

P (19:45): Wie war dein Tag, Pfau?

F (19:47): Hab mit Sanders auf dem Schiff gearbeitet. Jede Menge Springsteen also.

H (19:49): Hart arbeitende Männer. Die Geld verdienen! Schwitzend in Jeans! Mit Bandanas in der Hosentasche!

F (19:50): Es ist, als ob du dabei gewesen wärst.

8. März

HANNAH (8:45): Hey. Du bist bestimmt draußen auf dem Boot.

H (8:46): Ich hoffe, es geht dir gut.

H (9:02): Es fällt mir wirklich auf, wenn du auf See bist und nicht zurückschreiben kannst.

H (9:03): Du fehlst mir dann.

H (9:10): Was ich damit sagen will, ist …Ich freue mich, dass wir Freunde sind.

H (9:18): Wenn du das nächste Mal von mir träumst, dann bitte, dass ich fliegen oder mich unsichtbar machen kann. Oder dass Cher meine beste Freundin ist. Das ist besser als ein platter Reifen.

H (9:19): Nicht dass ich davon ausgehe, dass du regelmäßig von mir träumst.

H (9:26): Natürlich träume ich auch nicht so oft von dir.

H (9:39): Wie auch immer. Lass bald was von dir hören!

Kapitel 1

Hannah Bellinger war immer eher eine Nebendarstellerin gewesen. Die Hauptrolle spielten andere. Sie war der Typ «Beste Freundin». Hätte sie zur Zeit des Regency in England gelebt, hätte sie bei jedem Duell als Sekundant die Pistole gereicht, aber nie selbst abgedrückt. Dieser Unterschied wurde ihr glasklar bewusst, als sie in dem dunklen Probenraum der Produktionsfirma Storm Born saß und einer offenbar zum Filmstar geborenen Frau dabei zusah, wie sie sich gerade die Seele aus dem Leib spielte.

Hannahs Hände verschwanden in den Ärmeln ihres Shirts wie zwei Schildkröten, die sich in ihre Panzer zurückziehen, wobei ihre Finger sich weiter an das Klemmbrett in ihrem Schoß klammerten. Jetzt war es so weit. Das große Finale. Im Produktionsstudio ging der Hauptdarsteller die Szene mit der hoffentlich letzten Bewerberin des Tages durch. Seit dem frühen Morgen gaben sich die kulleräugigen Jungschauspielerinnen die Klinke in die Hand. Und war es nicht typisch, dass der Funke bei Christian erst dann übersprang, wenn Hannah am Verhungern war und sie von dem vielen abgestandenen Kaffee einen schalen Geschmack im Mund hatte?

Aber so war eben das Leben einer Produktionsassistentin.

«Du hast mir nicht vertraut», flüsterte die rothaarige Schauspielerin gerade mit bebender Stimme, und die vom Mascara durchsetzten Tränen hinterließen schwarze Schlieren auf ihren Wangen. Verdammt, dieses Mädchen hatte Feuer. Sogar Sergei, der Autor und Regisseur des Projekts, saß da wie gebannt. Den Bügel seiner Brille zwischen den traumhaft vollen Lippen, hatte er die Beine übereinandergeschlagen und wippte ununterbrochen mit seinem Fuß – seine «Ich bin beeindruckt»-Haltung. Da Hannah nun schon seit zwei Jahren für ihn arbeitete – und fast genauso lange heimlich in ihn verknallt war –, kannte sie alle seine Gesten. Und die Rothaarige konnte ihren Hintern darauf verwetten, dass sie die Rolle in Glory Daze bekommen würde.

Sergei drehte sich zu Hannah um, die in einer Ecke des eiskalten Probenraums kauerte, und zog vielsagend eine seiner schwarzen Augenbrauen hoch. Der gemeinsame Moment des Triumphs war so unerwartet, dass das Klemmbrett von Hannahs Schoß rutschte und klappernd auf den Boden fiel. Aufgeregt griff sie danach, wollte aber den Moment der Einigkeit mit dem Regisseur nicht verlieren, hechtete also nach vorn, um Sergei den erhobenen Daumen zu zeigen. Nur um dann festzustellen, dass ihr Daumen im Ärmel ihres Shirts steckte und eine seltsame seesternartige Geste dabei herauskam, die er sowieso nicht bemerkte, weil er sich schon wieder der Bühne zugewandt hatte.

Ich bin echt ein Vollpfosten.

Hannah legte das Klemmbrett wieder auf ihre Oberschenkel und tat so, als würde sie sich äußerst ernsthaft ein paar Notizen machen. Zum Glück war es im hinteren Teil des Raums dunkel, sodass niemand sehen konnte, wie ihr Kopf sich tomatenrot verfärbte.

«Ende der Szene!», rief Sergei und erhob sich applaudierend von der Tischreihe, die für die Produzenten vor dem Bühnenbereich aufgebaut worden war. «Hervorragend. Einfach hervorragend.»

Die Rothaarige, Maxine hieß sie, strahlte über das ganze Gesicht, während sie gleichzeitig versuchte, die tropfende Wimperntusche mit dem Saum ihres schwarzen Shirts wegzuwischen. «Oh wow. Vielen Dank.»

«Das hat sich gut angefühlt.» Christian seufzte und gab Hannah mit einem Zeichen zu verstehen, dass sie ihm seinen Cold-Brew-Kaffee servieren solle.

Stets zu Diensten.

Sie erhob sich von ihrem Stuhl, legte das Klemmbrett zur Seite, nahm den metallenen Thermobecher des Schauspielers aus dem Minikühlschrank an der Wand und brachte ihn ihm. Als sie ihn Christian hinhielt und er keine Anstalten machte, danach zu greifen, biss sie die Zähne zusammen und hielt ihm den Trinkhalm an die Lippen. Tatsächlich besaß er die Frechheit, ihr in die Augen zu sehen, während er geräuschvoll saugte, und sie starrte mit versteinerter Miene zurück.

Du hast es so gewollt.

Einen normalen Job, mit dem sie ihr eigenes Geld verdiente – und nicht mehr auf die Millionen angewiesen war, die ihr Stiefvater auf der Bank hatte. Sie müsste nur einmal ihren Nachnamen fallen lassen, und der gute Christian würde sich wahrscheinlich an seinem Cold Brew verschlucken. Aber abgesehen von Sergei wusste niemand, dass Hannah die Tochter des legendären Produzenten Daniel Bellinger war, und dabei wollte sie es auch belassen.

Stieftochter, korrigierte sie sich im Geiste.

Eine Unterscheidung, die sie vor dem letzten Sommer nie gemacht hätte.

Hatte die Reise nach Westport vor sechs Monaten wirklich stattgefunden? Die Wochen, in denen sie über der Bar in dem kleinen Kaff an der Pazifikküste im Nordwesten gelebt und die Kneipe zusammen mit ihrer Schwester Piper liebevoll restauriert hatte, um ihren leiblichen Vater zu ehren, kamen ihr wie ein verschwommener Traum vor. Einen, den sie nicht abschütteln konnte. Er drängte sich in ihr Bewusstsein und machte sie in den seltsamsten Momenten wehmütig. So wie jetzt, als Christian seine stets träumerisch blickenden Augen verdrehte, um ihr mitzuteilen, dass es an der Zeit war, den Strohhalm zu entfernen.

«Danke», maulte er. «Jetzt muss ich wahrscheinlich gleich pinkeln.»

«Sieh es doch mal positiv», murmelte Hannah, um den überschwänglichen Sergei nicht zu unterbrechen. «Im Badezimmer gibt es Spiegel. Da kannst du dich angucken. Deine Lieblingsbeschäftigung.»

Christian schnaubte, und seine Mundwinkel zuckten. «Gott, du bist so ein Miststück. Ich liebe dich.»

«Erzählst du das deinem Spiegelbild?» Sie tauschten schmunzelnd einen Blick.

«Ich glaube, ich spreche für das ganze Produktionsteam, wenn ich sage, dass wir unsere Lark gefunden haben», sagte Sergei in diesem Moment und ging um den Tisch herum, um beide Wangen der vor Freude hüpfenden Schauspielerin zu küssen. «Wir beginnen Ende März mit den Dreharbeiten. Bist du dabei?» Ohne die Antwort der jungen Frau abzuwarten, hielt Sergei eine Hand über die Augen. «Ich sehe jetzt einen ganz anderen Drehort für die Aufnahmen. Die Energie, die Christian und Maxine gemeinsam erzeugen, funktioniert nicht vor der Kulisse von Los Angeles. Da bin ich mir sicher. Die beiden sind so geerdet. So ursprünglich. Passen perfekt zusammen. Wir brauchen einen weicheren Drehort. L.A. würde sie nur blockieren, sie bremsen.»

Hannah verstummte und beobachtete, wie die Produzenten an den Tischen nervöse Blicke tauschten. Das künstlerische Temperament war mehr als ein Klischee – und Sergei neigte dazu, sprunghafter zu sein als die meisten. Er hatte einmal dafür gesorgt, dass die gesamte Crew am Set Augenbinden trug, damit sie die Magie einer Szene nicht zerstörten, indem sie zusahen. Jedes Paar Augen raubt dem Geheimnis seine Tiefe! Aber dieses Temperament war einer der Hauptgründe, warum Hannah sich zu dem Regisseur hingezogen fühlte. Er arbeitete mit dem Chaos und beugte sich den Launen der Kreativität. Er glaubte an seine Entscheidungen und hatte keine Zeit für Bedenkenträger.

Echtes Führungspotenzial.

Wie das wohl war? Der Star im Film seines eigenen Lebens zu sein? Hannah hatte so lange die zweite Geige gespielt, dass sie schon meinte, unter Arthritis in den Fingern zu leiden. Ihre Schwester Piper hatte seit ihrer Kindheit das Rampenlicht für sich beansprucht, und Hannah hatte es nie etwas ausgemacht, am Rand der Bühne auf ihr Stichwort zu warten, um ihre Nebenrolle so gut wie möglich zu spielen. Dabei hatte sie Piper auch schon mal aus dem Gefängnis freikaufen müssen. Darin konnte sie glänzen. Sie unterstützte die Heldin an ihrem Tiefpunkt, sprang ein, um die Hauptdarstellerin zu verteidigen, wenn es nötig war, und sagte im entscheidenden Moment das Richtige.

Nebendarstellerinnen wollen oder brauchen keinen Ruhm. Sie begnügen sich damit, die Hauptdarsteller bei ihrer Mission zu unterstützen. Und Hannah war mit dieser Rolle zufrieden. Oder etwa nicht?

Ungewollt drängte sich ihr eine Erinnerung auf.

Eine Erinnerung, die sie aus irgendeinem Grund nervös machte.

An diesen einen Nachmittag vor sechs Monaten auf einer Schallplattenbörse in Seattle, als sie sich wie die Nummer Eins gefühlt hatte. Als sie mit Fox Thornton, einem Königskrabbenfischer und Frauenheld erster Güte, all die Platten durchstöbert hatte. Als sie Schulter an Schulter gestanden und sich ein Paar AirPods geteilt hatten, um Silver Springs zu hören, war die Welt um sie herum wie ausgeblendet gewesen.

Eine kleine Anomalie.

Nur ein Zufall.

Unruhig, wahrscheinlich wegen der neun Tassen schwarzen Kaffees, die sie im Laufe des Tages getrunken hatte, stellte Hannah Christians Thermosbecher zurück in den Kühlschrank und wartete am Rande ab, welchen Curveball Sergei dem Team zuwerfen würde. Tatsächlich liebte sie seine unerwarteten Spielzüge, womit sie allerdings ziemlich alleine war. Der Sturm seiner Fantasie war nicht zu stoppen. Es war beneidenswert. Es war heiß.

Dieser Mann war genau ihr Typ.

Andersrum war das eher nicht der Fall, wenn sie die letzten zwei Jahre richtig deutete. «Was soll das heißen, dass Los Angeles nicht mehr als Kulisse funktioniert?», fragte einer der Produzenten. «Wir haben bereits sämtliche Genehmigungen eingeholt.»

«Bin ich der Einzige, der den Regen in dieser Szene fallen sieht? Die stille Melancholie, die sich um die beiden herum entfaltet?» Wer wollte nicht mit einem Mann zusammen sein, der, ohne mit der Wimper zu zucken, solche Sätze fallenließ? «Wir können sie nicht dem rohen Lärm von Los Angeles aussetzen. Das würde sie überfluten. Wir müssen die Nuancen herauskitzeln. Wir müssen Sauerstoff, Raum und Sonnenlicht hereinlassen.»

«War nicht gerade von Regen die Rede?», bemerkte einer der Anwesenden trocken.

Sergei lachte auf diese Weise, wie es Künstler tun, wenn jemand zu dumm ist, ihre Vision zu begreifen. «Eine Pflanze braucht Sonnenlicht und Wasser, um zu wachsen, nicht wahr?» In hitzigen Momenten wie diesen war Sergeis russischer Akzent nicht mehr zu überhören. «Wir brauchen einen subtileren Ort für das Shooting. Einen Ort, der die Schauspieler in den Mittelpunkt stellt.»

Latrice, die Hannah als Location-Scout abgelöst hatte, hob langsam die Hand. «Wie … Toluca Lake?»

«Nein! Außerhalb von Los Angeles. Stellt euch vor …»

«Ich weiß einen Ort.» Hannah sagte es, ohne nachzudenken.

Ihr Mund bewegte sich, und dann hingen die Worte in der Luft wie eine Comicblase, zu spät, um noch zu platzen. Alle drehten sich um und sahen sie an. Eine sehr unvorteilhafte Position für eine Nebendarstellerin, auch wenn es erfrischend war, dass Sergeis Blick länger als die üblichen flüchtigen Sekunden auf ihr ruhte. Das erinnerte Hannah unpassenderweise an jemand anderen, der ihr seine ungeteilte Aufmerksamkeit geschenkt hatte und ihre Stimmung manchmal aus einer einzigen Textnachricht schloss.

Um diesen nutzlosen Gedanken zu verdrängen, quasselte sie einfach weiter. «Letzten Sommer habe ich einige Zeit in Washington verbracht. In einem kleinen Fischerort namens Westport.» Sie war aus zwei Gründen darauf gekommen: Erstens wollte sie Sergeis Idee unterstützen und sich möglicherweise ein flüchtiges Lächeln von ihm verdienen. Und zweitens: Es wäre eine Möglichkeit, eine Dienstreise zu ihrer Schwester zu machen. Abgesehen von einem kurzen Besuch an Weihnachten hatte sie Piper und ihren Verlobten Brendan in den letzten sechs Monaten nur einmal gesehen. Und sie zu vermissen, verursachte einen ständigen Schmerz in ihrem Magen.

«Ein Fischerort», sinnierte Sergei, rieb sich das Kinn und begann, im Kopf das Drehbuch umzuschreiben. «Erzähl mir mehr davon.»

«Nun.» Hannah wickelte ihre Hände aus den Ärmeln. Denn mit geballten Fäusten in einem UCLA-Shirt konnte man einen genialen Regisseur, einen Location-Scout und eine Gruppe Produzenten nicht überzeugen. In diesem Moment verfluchte sie ihre morgendliche Entscheidung, ihr blondes Haar unter einer Basecap zu verstecken. Bloß nicht das Kleine-Schwester-Image noch verstärken. «Westport ist ein malerischer Ort direkt am Meer, nebelverhangen, geheimnisvoll und doch wunderschön. Die meisten Einwohner leben dort seit ihrer Geburt, und sie sind sehr, ähm» – stur, unfreundlich, wundervoll, beschützend – «pragmatisch. Sie leben vom Fischfang, und ich denke, man kann sagen, dass dort eine gewisse melancholische Grundstimmung herrscht. Wegen der Fischer, die ertrunken sind.»

Wie ihr Vater, Henry Cross.

Hannah musste den Kloß in ihrem Hals erst herunterschlucken, bevor sie fortfahren konnte. «Es ist urig. Von der Witterung gezeichnet. Es ist wie» – Hannah schloss die Augen und durchforstete ihre mentale Playlist – «kennt ihr die Band Skinny Lister, die eine Art moderne Interpretation von Seemannsliedern macht?»

Alle starrten sie verdutzt an.

«Schon gut. Ihr wisst doch, wie sich Seemannslieder anhören, oder? Stellt euch eine überfüllte Bar voller mutiger Männer vor, die Achtung und Respekt vor dem Meer haben. Stellt euch vor, sie singen ein Loblied ans Wasser. Das Meer ist ihre Mutter. Ihre Geliebte. Es sorgt für sie. Und alles in dieser Stadt spiegelt diese Liebe zum Meer wider. Der feuchte Nebel in der Luft. Der Geruch von Salzwasser und Sturmwolken. Das Wissen in den Augen der Bewohner, wenn sie in den Himmel schauen, um das kommende Wetter zu beurteilen. Respektvoll. Ehrfürchtig. Überall hört man das Plätschern des Wassers an den Stegen, krächzende Möwen, das Summen der Gefahr … » Hannah brach ab, als sie merkte, dass Christian sie anstarrte, als hätte sie seinen Kaffee mit Katzenpisse vertauscht.

«Wie auch immer, das ist Westport», schloss sie. «So fühlt es sich an.»

Sergei sagte lange Zeit nichts, und Hannah zwang sich, in dem seltenen Glanz seiner Aufmerksamkeit ruhig stehen zu bleiben. «Das ist der richtige Ort. Dorthin müssen wir gehen.»

Die Produzenten warfen Hannah tödliche Blicke zu. «Uns steht kein entsprechendes Budget zur Verfügung, Sergei. Wir werden neue Genehmigungen beantragen müssen. Reisekosten für die gesamte Besetzung und die Crew. Die Unterbringung.»

Latrice tippte auf ihr Klemmbrett und schien sich auf die Herausforderung zu freuen. «Wir könnten einen Bus chartern. Es ist ein weiter Weg, aber nicht unmöglich. Das ist viel billiger, als zu fliegen.»

«Macht euch um das Geld keine Sorgen», sagte Sergei mit einer wegwerfenden Handbewegung. «Ich kümmer mich um Crowdfunding und investiere mein eigenes Geld. Was auch immer nötig ist. Hannah und Latrice, ihr kümmert euch um die Genehmigungen und die Organisation der Reise?»

«Geht klar», sagte Hannah und nahm damit eine Reihe schlafloser Nächte in Kauf. Latrice nickte und zwinkerte ihrer Kollegin zu.

Noch mehr tödliche Blicke von den Männern, die so dumm gewesen waren zu glauben, sie hätten etwas zu sagen. «Wir haben uns den Ort noch nicht einmal angesehen …»

«Wir verlassen uns auf Hannah. Sie kennt die Stadt offensichtlich wie ihre Westentasche. Ihr habt doch die Beschreibung gehört?» Sergei musterte seine Produktionsassistentin, als sähe er sie zum ersten Mal, und Hannahs Zehen krümmten sich in ihren roten Chucks. «Beeindruckend.»

Nicht rot werden. Zu spät.

Sie war eine Tomate.

«Danke.» Sergei nickte und suchte seine Sachen zusammen, warf sich seine abgenutzte Ledertasche über die schmale Schulter, wobei seine jungenhaften dunklen Locken durcheinanderwirbelten. «Wir bleiben in Kontakt», rief er Maxine zu und verließ das Studio.

Und das war, wie man in der Branche sagt, ein Wrap.

Hannah floh vor den drohenden Blicken der Produzenten aus dem Raum und nahm auf dem Weg zur Damentoilette bereits ihr Handy aus der Gesäßtasche, um Piper anzurufen. Sie wollte ungestört sein, aber bevor sie den Anrufbutton anklicken konnte, steckte Latrice den Kopf durch die Tür herein.

«Hey», sagte sie und zeigte Hannah den gehobenen Daumen. «Gute Arbeit. Ich brauche dringend mal eine Luftveränderung. Zusammen kriegen wir das hin.»

Gott sei Dank hatten sie zu Hannahs Entlastung Latrice als Location-Scout engagiert. Sie hatte Power. «Das wird super. Ich schreibe dir eine E-Mail, sobald ich telefoniert habe.»

«Perfekt.»

Wieder allein und gestärkt durch das Vertrauen der Kollegin, rief Hannah nun Piper an. Ihre Schwester meldete sich nach dem dritten Klingeln und klang völlig außer Atem.

Begleitet von einem sehr deutlichen Quietschen von Bettfedern.

«Ich will gar nicht wissen, was du gerade gemacht hast», sagte Hannah. «Aber grüß Brendan von mir.»

«Hannah lässt grüßen», richtete Piper ihrem Verlobten aus, der sie offensichtlich gerade vernascht hatte, was in ihrem Haus ständig vorkam. Hannah hatte es unfreiwillig oft genug mitbekommen, nachdem sie im Sommer eine Zeit lang bei den beiden gewohnt hatte. «Was gibt’s, Schwesterherz?»

Hannah setzte sich auf die Ablage neben dem Waschbecken. «Ist euer Gästezimmer frei?»

Das Rascheln des Bettzeugs im Hintergrund. «Warum? Oh mein Gott. Warum?» Hannah sah bildlich vor sich, wie ihre Schwester vor Freude herumsprang. «Kommst du her? Wann?»

«Bald», sagte sie, nur um einschränkend hinzuzufügen: «Falls wir eine Drehgenehmigung bekommen.» Für einen Moment war es still.

«Eine Genehmigung für Dreharbeiten in Westport?»

«Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich Sergei gerade davon überzeugt habe, dass es der einzige Ort auf der Welt ist, der für seine Vision infrage kommt.» Hannah schnaubte. «Meine Überredungskünste werden oft unterschätzt.»

«Hier wird doch wohl kein Filmteam anrücken», sagte Brendan im Hintergrund.

Hannahs Herz zog sich zusammen. Die überschwängliche Art ihrer Schwester neben der knurrigen, unaufgeregten Persönlichkeit ihres Verlobten war ihr so vertraut. Sie vermisste die beiden so sehr.

«Sag dem Captain, dass es nur für ein paar Wochen ist. Und ich werde dafür sorgen, dass der Hollywood-Staub von jedem kostbaren Pflasterstein geschrubbt wird, bevor wir wieder abreisen.»

«Überlass ihn mir», sagte Piper leichthin. «Er wird schon merken, wie meine Laune steigt, wenn meine Schwester in der Stadt ist. Und natürlich kannst du bei uns wohnen, Hanns. Ja, natürlich. Nur … Ich hoffe, ihr lasst euch noch einen Monat Zeit. Brendans Eltern kommen bald zu Besuch. Dann brauchen sie das Gästezimmer.»

«Oh», meinte Hannah leicht enttäuscht. «Wenn das mit der Genehmigung schnell geht, könnte es schon Ende März so weit sein. Sergei ist Feuer und Flamme.» Sie drehte sich ein Stück auf der Ablage und zuckte zusammen, als sie im Spiegel die wirren Haarsträhnen entdeckte, die seitlich aus ihrer Cap herausragten. «Mach dir keinen Stress, ich kann auch mit der Crew im Hotel wohnen. Hauptsache, wir sehen uns.»

«Kannst du Sergei nicht ein bisschen hinhalten? Du könntest behaupten, dass das Wetter in Westport im April besonders trübe ist?»

«Woher wusstest du, dass er auf alles Trübe steht?»

«Sein letzter Film hieß immerhin Fragmented Joy, nicht wahr?»

«Gutes Argument.» Hannah lachte, presste das Telefon fester an ihr Ohr und versuchte auf diese Weise, die Wärme ihrer Schwester zu spüren. «Aber im Ernst. Mach dir keine Sorgen wegen der Sache mit dem Gästezimmer. Es ist kein großes …»

«Mir fällt da gerade etwas ein», unterbrach Piper sie. «Aber … vergiss es.»

Hannah legte den Kopf schief, als ihre Schwester zurückruderte. «Was?»

«Nein, wirklich. Es war eine blöde Idee.»

«Sag es mir trotzdem. Damit ich es bestätigen kann.»

Piper schien zu überlegen. «Ich wollte sagen, dass bei Fox ein Zimmer leer steht. Und wie du weißt, ist er oft für längere Zeit mit Brendan auf dem Boot unterwegs. Aber ansonsten ist er zu Hause, deshalb ist es eine schlechte Idee. Vergiss es einfach.»

Blöd war eher, dass allein die Erwähnung des teuflischen Charmeurs ausreichte, dass Hannah vom Waschtisch sprang und anfing, ihr Haar zu sortieren. «Ich finde die Idee gar nicht so schlecht», sagte sie und nahm Fox damit gewissermaßen in Schutz, obwohl sie sich seit sechs Monaten nicht mehr gesehen hatten.

Es hatte nur die täglichen Nachrichten gegeben.

Die sie Piper gegenüber bestimmt nicht erwähnen würde. «Schließlich sind wir befreundet.» Senk deine Stimme. «Wir verstehen uns gut.»

«Das weiß ich, Hanns», sagte Piper nachsichtig.

«Und du weißt auch …» Hannah senkte ihre Stimme noch mehr: «Dass ich immer noch etwas für eine gewisse Person übrighabe.» Irgendwie hatte Hannah plötzlich das Bedürfnis, Piper – und vielleicht auch sich selbst – davon zu überzeugen, dass sie mit diesem Fischer, der an jedem Finger fünf Frauen hatte, wirklich nur befreundet war. «Bei Fox zu wohnen, wäre eine Möglichkeit. Wie du gesagt hast, wird er ohnehin nur die Hälfte der Zeit da sein. Ich kann den Kühlschrank mit Essen vollstopfen, was ich in einem Hotelzimmer nicht kann. Das senkt die Kosten fürs Catering und bringt mir ein paar Pluspunkte bei Sergei ein.»

«Apropos Sergei, wirst du ihn endlich fragen?»

Hannah atmete tief durch und blickte zur Tür. «Ja, ich denke, das könnte jetzt, wo ich mich bewährt habe, ein guter Moment sein. Es gibt bereits einen Music Supervisor auf der Gehaltsliste, ihr Name ist Brinley, aber ich werde darum bitten, sie ein wenig unterstützen zu dürfen. Das ist doch zumindest ein Schritt in die richtige Richtung, oder?»

«Verdammt richtig», sagte Piper und klatschte in die Hände. «Du schaffst das, Hanns.»

Vielleicht.

Oder auch nicht.

Hannah räusperte sich. «Würdest du für mich mit Fox über die Sache mit dem Gästezimmer reden? Er könnte sich unter Druck gesetzt fühlen, wenn ich ihn direkt frage. Nur vorsichtshalber, für den Fall, dass wir wirklich im März kommen und dein Gästezimmer schon belegt ist.»

Piper zögerte kurz. «Okay, Hanns. Hab dich lieb.»

«Ich dich auch. Und gib dem Seebären einen Kuss von mir.»

Hannah beendete auf ein Kichern von Piper hin das Gespräch und tippte sich mit dem Handy grübelnd an die Lippen. Warum raste ihr Puls auf einmal so? Doch wohl nicht, weil die Möglichkeit bestand, dass sie ein Zimmer in Fox’ Wohnung beziehen könnte? Als sie sich kennengelernt hatten, war Hannah die Attraktivität von Brendans Stellvertreter auf dem Boot durchaus aufgefallen. Aber nachdem sein Handy ununterbrochen geklingelt hatte und jedes Mal eine andere Frau dran gewesen war, hatte sie schnell begriffen, dass er sein Aussehen und seine Chancen beim anderen Geschlecht schamlos ausnutzte.

Fox Thornton war nicht ihr Typ. Für eine Beziehung kam er nicht infrage. Aber er war ihr Freund.

Hannahs Finger schwebte kurz über dem Display ihres Handys, bevor sie die Nachricht antippte, die er ihr am Vorabend kurz vor dem Einschlafen geschickt hatte.

F (23:32): Heute war meine Laune Hozier-würdig.

H (19:29): Und ich war in Amy-Winehouse-Stimmung.

Es war unter guten Freunden üblich, sich darüber auszutauschen, welche Art von Musik ihren Tag bestimmt hatte. Und es spielte keine Rolle, wie sehr sie sich auf diese abendlichen Nachrichten freute. Bei Fox zu wohnen, stellte keinerlei Risiko dar. Es war möglich, mit einem Mann, der puren Sex ausstrahlte, nur befreundet zu sein – und sie würde kein Problem haben, das zu beweisen.

Zufrieden mit ihren Schlussfolgerungen griff Hannah zum Handy und begann mit der Organisation.

Kapitel 2

Fox ließ sich in die Sofakissen zurückfallen, führte eine Bierflasche zum Mund und nahm einen langen Schluck. Nur so konnte er den Drang unterdrücken, über den ernsten Gesichtsausdruck des Mannes ihm gegenüber lauthals zu lachen. «Was soll das, Cap? Setzt du mir die Pistole auf die Brust?»

Es war nicht so, dass er Brendan noch nie verärgert gesehen hätte. Gott weiß, das hatte er. Aber nicht in den letzten sechs Monaten. Seit der Captain der Della Ray mit Piper zusammen war, hatte er ihn nur noch glücklich erlebt. Das ging sogar so weit, dass er selbst begann, seine Einstellung zu Beziehungen neu zu überdenken.

Ja, tatsächlich.

«Nein, ich setze dir nicht die Pistole auf die Brust», sagte Brendan und rückte die Mütze auf seinem Kopf zurecht. Dann nahm er sie ab und legte sie auf seine Knie. «Aber wenn du das Gespräch über die Übernahme des Bootes weiter hinausschiebst, muss ich es vielleicht doch tun.»

Es war das achte Mal, dass Brendan Fox gebeten hatte, ihnauf der Della Ray als Kapitän abzulösen. Am Anfang war Fox vollkommen verblüfft gewesen. Hatte er den Eindruck erweckt, dauerhaft die Verantwortung für fünf Männer übernehmen zu wollen? Wenn ja, dann musste es ein Unfall gewesen sein. Er begnügte sich lieber damit, Befehle entgegenzunehmen, gute Arbeit zu leisten und dann mit seiner Heuer zu verschwinden, ganz gleich, ob er sein Geld im Herbst mit dem Krabbenfischen oder den Rest des Jahres mit Fischfang verdiente.

Einem Königskrabbenfischer lag es im Blut, auch unter Druck seinen Mann zu stehen. Er hatte neben Brendan auf der Della Ray gestanden und dem Tod ins Auge geblickt. Mehr als einmal. Aber gegen die Natur anzukämpfen, war nicht das Gleiche, wie das Kommando über eine Mannschaft zu übernehmen. Entscheidungen zu treffen. Zu den Fehlern zu stehen, die er unweigerlich machen würde. Das war eine ganz andere Art von Druck – und Fox war sich absolut nicht sicher, ob er dafür geschaffen war. Genau genommen war er sich auch nicht sicher, ob die Mannschaft glaubte, dass er dazu geschaffen war, sie zu führen. Er hatte genug Erfahrung, um zu wissen, dass die Mannschaft eines Fischerboots ihrem Kapitän vollstes Vertrauen entgegenbringen musste. Jedes Zögern konnte einem Mann das Leben kosten. Und diese Flachpfeifen nahmen ihn so schon kaum ernst, geschweige denn als denjenigen, der die Befehle erteilte.

Alles, was er brauchte, war ein Platz zum Schlafen und Baseballgucken, ein paar Bier am Ende eines harten Tages und einen willigen weiblichen Körper in der Dunkelheit.

Wobei das Bedürfnis nach bedeutungslosem Sex zuletzt nicht mehr so dringend gewesen war.

Tatsächlich war es kaum zu spüren gewesen.

Fox knirschte mit den Zähnen und konzentrierte sich. «Es ist nicht nötig, mir die Pistole auf die Brust zu setzen.» Er zuckte mit den Schultern. «Ich sagte doch, ich fühle mich geehrt, dass du an mich denkst. Aber ich bin nicht interessiert.» Er klemmte die Bierflasche zwischen seine Schenkel und strich über das geflochtene Lederband an seinem Handgelenk. «Ich bin gerne bereit, dich hin und wieder zu vertreten, aber ich suche nichts Dauerhaftes.»

Brendan betrachtete Fox’ kahle Wohnung mit strengem Blick. «Das sieht man.»

Tat man wirklich. Jeder, der Fox’ Zweizimmerapartment mit Blick auf Grays Harbor zum ersten Mal betrat, ging davon aus, dass er gerade erst eingezogen war, obwohl er in Wirklichkeit schon das sechsjährige Jubiläum in dieser Wohnung hinter sich hatte.

Dabei hatte er nicht vor, Westport noch mal zu verlassen. Vor Jahren hatte er in Minnesota das College besucht, aber das war nicht gut gelaufen. Selbst schuld. Wie hatte er je glauben können, dass Westport ihn einfach so freigab? Es holte ihn zurück. Würde es vermutlich immer wieder tun. Sein erster Aufbruch hatte ihn den größten Teil seines Einfallsreichtums gekostet, und jetzt? Konzentrierte er sich mit seinen einunddreißig Jahren auf das, was noch übrig war, auf die Fischerei.

Und auf Frauen. Zumindest war das bis vor Kurzem so gewesen.

«Hast du schon mal daran gedacht, Sanders zu fragen?» Fox zwang sich, die Finger von seinem Armband zu lassen. «Er könnte den zusätzlichen Verdienst gebrauchen, wenn das Baby da ist.»

«Sanders gehört an Deck. Dein Platz ist im Steuerhaus – sagt zumindest mein Bauchgefühl.» Brendan sah seinen Freund ernst an. «Das zweite Boot ist fast fertig. Ich werde eine neue Crew zusammenstellen, mit mehr Männern. Aber ich möchte die Della Ray in guten Händen wissen. In Händen, denen ich vertraue.»

«Mein Gott, du lässt echt nicht locker», sagte Fox lachend, stand auf und ging zum Kühlschrank, um ein weiteres Bier zu holen, obwohl er das erste nur zur Hälfte getrunken hatte. Hauptsache, er hatte etwas zu tun. «Ein Teil von mir genießt das fast. Ich habe nicht jeden Tag die Gelegenheit, meinem Captain eine Absage zu erteilen.»

Brendan brummte. «Ich krieg dich noch klein, du sturer Mistkerl.»

Fox schenkte ihm über die Schulter ein herausforderndes Lächeln. «Das wird dir nicht gelingen. Und ausgerechnet du bezeichnest mich als stur, nachdem du nach dem Tod deiner Frau noch sieben Jahre lang den Ehering getragen hast.»

«Na ja», grummelte Brendan. «Ich habe einen guten Grund gefunden, ihn abzunehmen.»

Und schon strahlte er wieder wie ein Honigkuchenpferd.

Fox lachte, öffnete sein zweites Bier und warf den Deckel in die Spüle. «Da wir gerade von dem Grund für die Beendigung deines selbst auferlegten Zölibats sprechen: Solltest du nicht zu Hause sein und mit Piper zu Abend essen?»

«Sie hält die Spaghetti für mich warm.» Brendan rutschte unbehaglich auf seinem Platz hin und her und warf Fox seinen Laserblick zu, der in der Crew berüchtigt war. Er bedeutete: Setz dich hin und halt die Klappe. «Ich bin noch aus einem anderen Grund hier.»

«Hoffentlich keine Ratschläge in Sachen Frauen! Denn inzwischen bist du mir weit voraus. Wenn du von mir wissen willst, was deine Liebste will, frag mich lieber nach dem Periodensystem. Denn davon hab ich mehr Ahnung.»

«Ich brauche keine Ratschläge.» Brendan sah seinen Freund durchdringend an. «Hannah kommt her.»

Fox’ Kehle wurde eng. Er hatte sich gerade setzen wollen, als Brendan diese drei Worte sagte, weshalb er jetzt schnell noch mal umdrehte, um ein unnötiges Kissen für seinen Rücken aufzuschütteln, damit er seinem ältesten Freund bei seiner Antwort nicht in die Augen sehen musste. Gott, wie absolut erbärmlich das war! «Ach ja? Warum?»

Brendan verschränkte seufzend die Arme vor der Brust. «Du weißt doch, dass sie immer noch für diese Produktionsfirma arbeitet. Und irgendwie hat sie den Regisseur davon überzeugt, dass Westport ein guter Drehort wäre.»

Fox’ Lachen hallte in dem kargen Wohnzimmer wider. «Du bist bestimmt total begeistert.»

Brendan war so etwas wie der inoffizielle Bürgermeister von Westport. Er war bekanntermaßen ein Mann weniger Worte, aber wenn er seine Meinung zu etwas kundtat, hörten ihm alle verdammt gut zu. In anderen Städten wurden Fußballstars verehrt. In Westport waren es die Fischer – und vor allem der Mann am Steuer. «Es ist mir egal, was sie hier tun, solange sie mir nicht auf die Nerven gehen.»

«Leute aus L.A., die dir nicht auf die Nerven gehen», überlegte Fox laut und bemühte sich, das Gespräch über Hannah hinauszuzögern. Es fühlte sich an wie eine seltsame, selbst auferlegte Strafe. «Wie war das noch beim letzten Mal?»

«Das war etwas anderes. Da ging es um Piper.» Die Spitzen von Brendans Ohren leuchteten rot. «Wie auch immer, jedenfalls werden meine Eltern zu Besuch sein, wenn die hier anrücken. Deshalb kann Hannah unser Gästezimmer nicht benutzen.»

Fox tat, als wäre er verärgert. «Also hast du ihr meins angeboten.»

Es war schwer zu sagen, ob Brendan ihm das Schauspiel abkaufte. «Piper hatte die Idee eigentlich schon verworfen, aber Hannah schien interessiert zu sein.»

Fox’ Daumennagel grub sich unter das Etikett an der Bierflasche, und er riss einen sauberen Streifen an der Seite herunter. «Wirklich? Hannah will hier wohnen?» Warum wurden seine Handflächen feucht? «Wie lange dauert der Dreh? Wie lange würde sie bleiben?»

«Zwei Wochen oder so. Die Hälfte der Zeit wärst du eh nicht da. Wenn wir auf dem Boot sind.»

«Richtig.»

Aber die andere Hälfte der Zeit würden sie sich diese Wohnung teilen. Wie, zum Teufel, sollte sich Fox dabei fühlen?

Und was noch wichtiger war – und diese Frage stellte er sich selbst viel zu oft –, was sollte er für Hannah empfinden? Er hatte nach der Zeit am College noch nie, nicht ein einziges Mal, eine feste Freundin gehabt. Letzten Sommer waren Hannah und ihre Schwester in Westport gestrandet, zwei reiche Mädchen aus L.A., denen Daddy das Taschengeld gestrichen hatte. Fox hatte nur versucht, Brendan bei seinen Ambitionen bei Piper zu unterstützen, indem er die jüngere Schwester mit einem Spaziergang zum Plattenladen abgelenkt hatte.

Später waren sie zusammen zur Vinylbörse gegangen. Und in den letzten sechs Monaten hatten sie regelmäßig gechattet, was in ihm Gefühle ausgelöst hatte, die er nicht einordnen konnte.

Sex war kein Thema zwischen ihnen.

Das war schon früh klar gewesen, und zwar aus einer ganzen Reihe von Gründen. Der erste Grund war, dass er nicht in lokalen Gewässern fischte.

Wenn er die Gesellschaft einer Frau brauchte – und das war mal wieder fällig –, fuhr er nach Seattle. So lief er nicht Gefahr, versehentlich mit der Schwester oder der Frau oder der Cousine des Cousins von jemandem zu schlafen, und konnte seine Hände danach in Unschuld waschen. Konnte nach Westport zurückkehren, ohne zu fürchten, dort auf eine der Frauen zu treffen, mit denen er geschlafen hatte. Ganz einfach. Kein Stress. Easy-peasy.

Der zweite Grund, warum er nicht mit Hannah schlafen konnte, war der Mann, der gerade in seinem Wohnzimmer saß. Brendan hatte ihn gewarnt, und die Botschaft war angekommen. Mit Pipers kleiner Schwester zu schlafen, würde das Unheil förmlich heraufbeschwören. Denn wenn Hannah sich in ihn verliebte, würde Fox zweifellos ihre Gefühle verletzen. Und das würde seinem Kapitän und besten Freund das Leben zur Hölle machen, denn die Bellinger-Schwestern hielten zusammen.

Aber es gab für Fox noch einen dritten, und zwar den wichtigsten Grund, die Finger von Hannah zu lassen: Sie war seine Freundin. Sie war eine Frau, die ihn wirklich mochte, nicht nur seine Fähigkeiten im Bett. Ihre Nähe fühlte sich erschreckend gut an. Mit ihr zu reden.

Sie hatten Spaß. Sie lachten viel zusammen.

Die Art, wie Hannah ihre Umgebung mit Liedtexten kommentierte, brachte ihn zum Nachdenken. In den sechs Monaten, nachdem sie Westport verlassen hatte, hatte er den Sonnenaufgang bewusster wahrgenommen. Er hatte angefangen, auf andere Menschen zu achten, auf das, was sie taten. Er hörte aufmerksam Musik. Sogar seine Arbeit schien eine größere Bedeutung zu haben. Und all das hatte Hannah bewirkt. Sie brachte ihn dazu, sich umzusehen und nachzudenken.

Brendan starrte ihn mit zusammengezogenen Augenbrauen an. Unbehaglich.

«Natürlich kann Hannah hier bleiben. Aber bist du sicher, dass das eine gute Idee ist?» Fox spürte, wie sein Magen sich zusammenzog. «Den Leuten würde auffallen, dass sie hier ist. Mit mir.»

Brendan antwortete ausweichend. «Sicher wird es Gerede geben. Aber solange das, worüber die Leute sprechen, nicht wirklich passiert …»

«Nun sag es schon.» Fox gab einen ungeduldigen Laut von sich, denn er wusste, was jetzt kommen würde. «Sag mir einfach, dass ich sie nicht ficken soll.»

Der Captain rieb sich die Stirn. «Ich hasse es, darauf rumreiten zu müssen. Dein Sexleben ist deine Sache, aber es könnte schwieriger sein, wenn sie hier wohnt. Auf engem Raum und so weiter.»

Daher wehte also der Wind. Fox hatte sich schon so was gedacht, als Brendan gekommen war, aber so leicht wollte er ihn nicht davonkommen lassen. Sie waren beide Männer, die regelmäßig Verantwortung für das Leben von anderen übernahmen, doch sie belehrten sich nicht gegenseitig. Das war zu viel des Guten. Vielleicht war das der Grund, warum sich das Gespräch dieses Mal wie ein Schlag in die Magengrube anfühlte und nicht mehr wie ein freundschaftlicher Klaps.

Als Fox weiter beharrlich schwieg, seufzte Brendan schließlich auf. «Hannah ist meine zukünftige Schwägerin. Und damit wird sie immer ein Teil meines Lebens sein. Also Hände weg.» Er machte eine entschlossene Geste. «Und das war das letzte Mal, dass ich das Thema erwähnt habe.»

«Bist du sicher? Ich kann dir sonst für morgen einen Termin geben …»

«Sei kein Idiot.» Beide bemühten sich sichtlich, ihren Ärger abzuschütteln, rückten ihre Shirts zurecht und taten so, als würden sie sich für das Fernsehprogramm interessieren. «Wir hätten dieses Gespräch wahrscheinlich sowieso nicht führen müssen, denn soweit ich weiß, ist Hannah immer noch in diesen Regisseur verknallt. Sergei.» Brendan tippte auf sein Knie. «Soll ich in dieser Sache auch etwas unternehmen? Ihm drohen, dass ich ihm den Kiefer breche, wenn er Hannah wehtut?»

«Nein. Herrgott, es ist doch nicht seine Schuld, dass sie ihn mag.» Fox überschlug sich fast beim Sprechen, um so den Druck in seiner Brust zu lindern. Er wusste seit dem Sommer, dass Hannah etwas für diesen Sergei übrighatte, und sie hatte im Februar immer noch für ihn geschwärmt, also war es wahrscheinlich dumm von ihm zu hoffen, dass sich die Sache erledigt hatte. Er sprach nicht gern darüber, denn sobald der Name dieses Mannes fiel, hätte er am liebsten ein Loch in seine Trockenbauwand getreten. «Du wirst mit deinen Eltern hinreichend beschäftigt sein. Ich behalte es im Auge, wenn du willst. Diese Sache mit dem Regisseur.»

Warum, um Gottes willen, bot er an, das zu tun?

Er hatte keinen blassen Schimmer.

Immerhin sorgte Brendans dankbares Nicken dafür, ihrer Unterhaltung von eben die Schwere zu nehmen. Fox mochte ein Frauenheld sein, aber man konnte darauf vertrauen, dass er seinen Freunden den Rücken freihielt. Was das anging, konnte man sich blind auf ihn verlassen. «Wirklich?»

Fox zuckte mit den Schultern und nahm einen Schluck von seinem Bier. «Klar. Wenn ich glaube, dass sich dort etwas tut, werde ich …» Als Erstes fiel ihm Sabotage ein. «Dafür sorgen, dass sie sicher ist.» Er wollte gar nicht wissen, warum diese Worte sich wie warmer Honig auf seinen glühenden Nervenenden ausbreiteten. Hannah beschützen. Was für eine Verantwortung das sein würde. «Nicht dass sie dazu nicht selbst in der Lage wäre», fügte er schnell hinzu.

«Klar, sicher», sagte Brendan. Ebenfalls schnell. «Aber trotzdem …»

«Ich werde ihn nicht aus den Augen lassen.»

Brendan atmete tief durch und klopfte auf die Armlehne seines Stuhls. «Okay. Gut, dass das geklärt ist.»

Fox deutete mit seinem Bier geradeaus. «Zur Tür geht’s da lang.»

Brendan brummte etwas und verabschiedete sich. Fox stellte sein Bier zur Seite, stand auf, durchquerte den Raum und blieb vor dem Schrank stehen, den er auf einem Trödelmarkt erstanden hatte. Er hasste es, Möbel zu kaufen, aber er brauchte einen Platz, um die Schallplatten aufzubewahren, die er zu sammeln begonnen hatte. Die erste hatte er auf ihrer Reise nach Seattle gekauft. Die Rolling Stones. Exile on Main Street. Hannah hatte ihn dazu ermutigt, als er sie auf der Schallplattenbörse entdeckt hatte.

Und irgendwie hatte ihn gestört, dass das verdammte Ding so einsam dastand, also war er zu Disc N Dat, dem Plattenladen im Ort, gegangen und hatte ein paar weitere gekauft. Hendrix, Bowie, die Cranberries. Klassiker. Der Stapel war so groß geworden, dass er in seiner Stille irgendwie anklagend wirkte, und so hatte er – nachdem er ein paar Wochen lang versucht hatte, es sich auszureden – einen Plattenspieler bestellt.

Fox griff hinter den Schrank, wo er den Schlüssel aufbewahrte, und nahm ihn aus dem Lederetui. Er schloss die Tür auf und betrachtete den bunten Plattenstapel, zögerte nur eine Sekunde, bevor er das Album von Madness herauszog. Dann senkte er die Nadel auf Our House. Nachdem er sich den Song bis zum Ende angehört hatte, zückte er sein Handy und startete den Song erneut, nahm einen Audioclip auf und schickte ihn an Hannah.

Ein paar Minuten später schickte sie ihm einen Clip mit der Titelmelodie von Golden Girls zurück.

Durch die Musik hatten sie sich gerade darüber verständigt, dass sie in seinem Gästezimmer übernachten würde – und so war es die ganze Zeit gewesen, seit Hannah Westport verlassen hatte. Fox fürchtete jeden Tag, dass Hannah ihm nicht mehr schreiben könnte, hielt jeden Abend den Atem an, und wenn die Nachricht kam, holte er erleichtert Luft.

Er schluckte, drehte sich um und schaute ins Gästezimmer. Hannah war in L.A. Dies war eine Freundschaft, die auf mehr beruhte, reiner war, als er es gewohnt war. Und sie war sicher. Schreiben war sicher. Eine Möglichkeit, jemandem etwas zu geben, ohne allzu viel zu verlieren.

Aber wie würde es weitergehen, wenn sie in seiner Wohnung wohnte?

Kapitel 3

Zwei Wochen lang hatten Hannah und Latrice Tag und Nacht geschuftet, um den Location-Tausch von L.A. nach Westport im Namen der künstlerischen Vision zu organisieren. Sie hatten die Geschäftsleute in Westport umworben, die Handelskammer bearbeitet, hatten Genehmigungen eingeholt und für die Unterkunft gesorgt. Und nun waren es nur noch ein paar Meilen, bis der gecharterte Bus den kleinen Fischerort in Washington erreichen würde.

Wenn Hannah bei den Dreharbeiten zu Glory Daze beruflich vorankommen wollte, hieß es jetzt oder nie. Sie musste endlich ihre Frau stehen und Sergei um ihre Chance bitten. Denn sobald der Bus anhielt, würde er losrennen und der Moment wäre verstrichen.

Nervös lehnte sich Hannah in den Ledersitz zurück und wischte sich mit den Händen über das Gesicht. Sie zog ihre AirPods heraus, schaltete Bob Dylans größte Hits aus und steckte die Kopfhörer in ihre Taschen. Dann nahm sie ihre Basecap ab und fuhr sich, ihr Spiegelbild im Fenster betrachtend, mehrmals mit den Fingern durchs Haar. Doch sie verharrte in ihren Bewegungen, als ihr klar wurde, dass der improvisierte Aufhübschungs-Versuch nicht funktionierte. Sie sah immer noch wie eine Assistentin aus. Die niedrigste Stufe in der Nahrungskette.

Und definitiv nicht wie jemand, dem Sergei einen ganzen Filmsoundtrack anvertrauen würde.

Hannah drückte sich mit weichen Knien tiefer in den Sitz und ließ die dröhnenden Geräusche des Busses ihren Seufzer übertönen. Über den Sitz vor ihr hinweg beobachtete sie, wie Sergei und Brinley, die für den Soundtrack zuständig war, die Köpfe zusammensteckten und dann über etwas lachten.

Und Brinley?

Sie hatte im Gegensatz zu ihr eindeutig das Zeug zur Hauptdarstellerin. Ein perfekt aussehender, geschmackvoller brünetter Import aus New York, die zu jedem Outfit eine andere Statement-Halskette trug. Eine Frau, die einen Raum betrat und den Job bekam, für den sie sich beworben hatte, weil sie schon danach aussah. Weil sie Selbstvertrauen ausstrahlte und sich holte, was ihr zustand.

Zum Beispiel Hannahs Traumjob.

Vor zwei Jahren hatte Hannah ihren Stiefvater bewusst darum gebeten, ihr einen Einstiegsjob bei einer Produktionsfirma zu besorgen, und er hatte Sergei bei Storm Born kontaktiert. Auf Hannahs Wunsch hin hatte ihr Stiefvater den Regisseur gebeten, ihre Verbindung diskret zu behandeln, damit sie einfach Hannah sein konnte und nicht die Stieftochter des berühmten Produzenten Daniel Bellinger. Hannah hatte einen Bachelor-Abschluss in Musikgeschichte von der UCLA, aber die Filmbranche war Neuland für sie. Hätte sie die Verbindung zu Daniel ausgenutzt, hätte sie wahrscheinlich sogar eine Stelle als Produzentin bekommen, aber was brachte das, wenn sie sich in der Branche nicht auskannte? Es war ihre Entscheidung gewesen, von der Seitenlinie aus zu lernen.

Und das hatte sie. Da sie für eine Menge Organisation und Papierkram zuständig war, hatte sie genug Gelegenheiten gehabt, Brinleys Cue-Sheets und Synchronisationsverträge zu studieren und Insiderwissen zu sammeln. Niemand wusste von ihrem heimlichen Interesse an diesem Bereich der Filmproduktion. Und Hannah hatte die praktische Erfahrung gefehlt. Aber nun, zwei Jahre später, war sie bereit, in der Rangordnung aufzusteigen.

Sie beobachtete Sergei und Brinley mit einem Kloß im Hals. Die beiden arbeiteten hinter den Kulissen, aber sie hatte genauso viel Respekt vor ihnen wie vor den berühmten Schauspielern. Und allmählich war sie es leid, Christians Trinkhalm zu halten und herumkommandiert zu werden.

Eine salzige Brise strömte durch das offene Busfenster herein. Das weckte Hannahs Sehnsucht und schmeichelte ihrer Haut, aber es war auch ein eindeutiges Zeichen dafür, dass es nicht mehr weit bis Westport war. Wenn sie auch nur den kleinsten Schritt in die richtige Richtung machen wollte, musste sie jetzt handeln.

Hannah steckte die Basecap in ihre Tasche und ignorierte die neugierigen Blicke der Schauspieler und der Crew, als sie mit hängenden Schultern nach vorn ging. Ihr Puls raste, und ihr klopfte das Herz bis zum Hals. Als sie schließlich neben Sergei und Brinley stand, lächelten die beiden sie erwartungsvoll an. Freundlich. Wie um zu sagen: Erklär doch bitte, warum du unser Gespräch unterbrichst.

Nicht zum ersten Mal fragte sich Hannah, ob Brinley und Sergei etwas miteinander hatten, aber der Abstand zwischen ihnen – und der Ring an Brinleys Finger – sprachen dafür, dass sie nur Freunde waren.

Tatsache war allerdings, dass die beiden eng zusammenarbeiten mussten. Die Koordination der Filmmusik war ein komplizierter Prozess, der oft erst in der Postproduktion entstand. Aber bei Storm Born wurde die Liste der Titel, die den Dialogen unterlegt oder zu stummen Bildsequenzen gespielt werden sollten, direkt während der Dreharbeiten entschieden. Das hieß, sie hingen stark von der Stimmung des Moments ab (also von Sergeis Launen). Und anstatt Neukompositionen in Auftrag zu geben, wurde bevorzugt bereits vorhandene Musik verwendet und entsprechend gekürzt.

Für Hannah gab es nichts Schöneres, als einen bestimmten Moment mit dem richtigen Lied zu untermalen, um die Atmosphäre zu verdeutlichen. Musik war so etwas wie das Rückgrat des Films. Eine Zeile aus einem Lied konnte Hannah helfen, ihre eigenen Gefühle zu definieren, und die Möglichkeit, diese Leidenschaft in Kunst umzusetzen, war etwas, wonach sie sich jeden Tag sehnte.

Frag sie. Der Bus ist gleich da.

«Ähm …»

Oh, ein guter Anfang. Ein Füllwort.

Hannah suchte in sich verzweifelt nach der Frau, die mutig genug gewesen war, in einem Raum voller Produzenten und kreativer Talente Westport als Drehort vorzuschlagen. Wahrscheinlich hatte die Sehnsucht nach diesem Ort für sie gesprochen. «Brinley. Sergei», sagte Hannah und zwang sich, beiden in die Augen zu sehen. «Ich habe mich gefragt, ob …»