Duty & Desire – Verboten sinnlich - Tessa Bailey - E-Book
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Duty & Desire – Verboten sinnlich E-Book

Tessa Bailey

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Beschreibung

Die Polizeiakademie bereitet sie auf alles vor. Nur nicht auf die Liebe ... Jack Garrett ist nur wegen einer verlorenen Wette auf der Polizeiakademie. Cop zu werden ist für ihn keine Berufung, sondern eine Möglichkeit, Rechnungen zu bezahlen. Seine Nächte verbringt er damit, Erinnerungen in Alkohol zu ertränken und sich in One-Night-Stands zu verlieren. Niemand ahnt, warum er das tut, und genau so soll es bleiben. Manche Geheimnisse sind zu groß, zu dunkel, um sie zu teilen. Doch dann lernt er eines Abends eine irische Touristin kennen und ist sofort fasziniert von Katies offener, ehrlicher Art. Er raubt ihr noch am ersten Abend einen Kuss, ohne zu ahnen, welche Konsequenzen diese Begegnung haben wird … Sinnlich, gefühlvoll, berührend: Der zweite Band der Duty&Desire-Trilogie um drei Polizeirekruten in New York.

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Tessa Bailey

Duty & Desire – Verboten sinnlich

Roman

Aus dem Englischen von Christiane Meyer

Über dieses Buch

Perfekte, unperfekte Liebe

 

Jack Garrett ist nur wegen einer verlorenen Wette auf der Polizeiakademie. Cop zu werden, ist für ihn keine Berufung, sondern eine Möglichkeit, Rechnungen zu bezahlen. Seine Nächte verbringt er damit, Erinnerungen in Alkohol zu ertränken und sich in One-Night-Stands zu verlieren. Niemand ahnt, warum er das tut, und genau so soll es bleiben. Manche Geheimnisse sind zu groß, zu dunkel, um sie zu teilen. Doch dann lernt er eines Abends eine irische Touristin kennen und ist sofort fasziniert von Katies offener, ehrlicher Art. Er raubt ihr noch am ersten Abend einen Kuss, ohne zu ahnen, welche Konsequenzen diese Begegnung haben wird …

 

Sinnlich, gefühlvoll, berührend: Der zweite Band der Duty&Desire-Trilogie um drei Polizeirekruten in New York.

Vita

Tessa Bailey, aufgewachsen in Kalifornien, studierte am Kingsborough Community College und an der Pace University in New York. Sie lebt noch heute mit ihrem Mann und ihrer Tochter in der amerikanischen Metropole. So ist es wenig verwunderlich, dass auch ihre Duty&Desire-Trilogie in der Stadt, die niemals schläft, spielt. Mit diesen drei Romanen bringt die Autorin frischen Wind ins New-Adult-Genre: Statt wie üblich am College sind die drei Geschichten an der Polizeiakademie von New York angesiedelt.

Tessa Bailey hat bereits über zwanzig Romane veröffentlicht und stand mehrfach auf den Bestsellerlisten der New York Times und der USA Today. Mit ihrer Duty&Desire-Trilogie erscheint sie nun erstmals bei KYSS by Rowohlt Polaris.

Für Onkel Alex

Kapitel 1

Jack

In dem Bordell aufzuwachsen, in dem meine Mutter gearbeitet hat, brachte einige Nachteile mit sich. Der größte ist, dass ich viel mehr über Frauen weiß, als ein Mann wissen sollte.

Wenn sie zum Beispiel sagen, dass alles in Ordnung ist, dann ist das manchmal tatsächlich der Fall, und man sollte aufhören nachzubohren und die Klappe halten. Ich habe alles, was ich weiß, auf die harte Tour gelernt. Das ergibt sich ganz von selbst, wenn man das Badezimmer mit einer ganzen Reihe ständig wechselnder Frauen teilt und der beste Kumpel ebenfalls zwei X-Chromosomen hat. Andererseits muss ich zugeben, dass das, was ich in diesen Jahren gelernt habe, insgesamt wirklich praktisch ist. Zu wissen, wann man während einer Unterhaltung mit einer Frau vorsichtig vorgehen, wann nach vorn preschen und wann besser zurückrudern sollte, heißt, dass man nie allein nach Hause geht.

Allein ist allerdings ein komischer Ausdruck, oder?

Manchmal fühle ich mich am einsamsten, wenn ich von Frauen umgeben bin. Und das ist bei mir häufiger der Fall als bei anderen Männern. Ist das Prahlerei? Das will ich verdammt noch mal meinen. Wenn Frauen mich kommen sehen, dann flüstern ihre Hormone meinen Namen. Ich bin so gut im Bett. Und was noch wichtiger ist: Ich behandele Frauen mit Respekt. Warum sollten sie also nicht mit mir nach Hause gehen wollen? Ein paar Stunden in meinem Bett bedeuten sehr viel Spaß, einige patentierte Schmeicheleien, mehrere Orgasmen und anschließend Geld für ein Taxi. Sie könnten es schlimmer treffen.

Es ist nicht ihre Schuld, dass ich kaum anwesend bin, während all das passiert. Dass ich mir selbst wie ein perverser nackter Engel von oben aus dabei zusehe, wie ich sie berühre, und mich frage, wie lange die leichte Übelkeit wohl anhalten wird. Aber wie gesagt, das ist nicht ihre Schuld. Frauen werden schon für genügend Dinge verantwortlich gemacht – da muss ich nicht auch noch mitmachen. Ich bin da, um ihnen einen sicheren befriedigenden Fick zu bieten und sie hinterher mit einem Lächeln auf den Lippen nach Hause zu schicken.

Jack Garrett. Superheld. Beschützt die Frauen New York Citys Nacht für Nacht vor Rein-raus-fertig-Wichsern.

Ich habe zu oft mitbekommen, wie Männer Frauen wie Dreck behandeln, nachdem sie ihren Spaß mit ihnen hatten. Also ist es gar nicht so weit hergeholt, dass ich mich irgendwie berufen fühle. Ist es arrogant von mir, zu glauben, dass mein Schwanz in der Frauenwelt einen Unterschied macht? Ja. Entschuldige ich mich dafür? Verdammt, nein. Habe ich die Orgasmen und das Geld fürs Taxi schon erwähnt?

Ich habe eben meine Mutter besucht, die inzwischen als Empfangsdame bei einem Tierfriseur arbeitet – Gott sei Dank. Und wie immer, wenn ich durch die Straßen gehe, bin ich erstaunt, wie sehr sich mein altes Viertel Hell’s Kitchen verändert hat. Die Gegend heißt mittlerweile Clinton, aber das ist meiner Meinung nach völliger Mist. Für mich ist und bleibt es Hell’s Kitchen. Es spielt keine Rolle, wie viele hippe Bars, gute Restaurants oder Yogastudios hier eröffnen – ich kann unter dem ganzen Glamour noch immer den Dreck sehen. Ich komme gerade an dem Hauseingang vorbei, in dem ich im Alter von dreizehn Jahren endlich meine Hand unter Melissa Sizemores Shirt schieben durfte – um herauszufinden, dass sie die ganze Zeit über einen Wonderbra trug –, da erblicke ich den Rotschopf.

In Hell’s Kitchen gibt es jede Menge frisches Blut. Millennials in ihren Zwanzigern – zu denen auch ich gehöre – versuchen, in der Stadt Fuß zu fassen, während sie mit drei Mitbewohnern in einem winzigen Apartment zusammengepfercht sind. Ich selbst nenne im Augenblick den East-Side-Stadtteil Kips Bay mein Zuhause. Solange ich mich unter den nervtötend wachsamen Blicken meiner NYPD-Ausbilder bemühe, Polizist zu werden, habe ich nicht vor umzuziehen. Doch irgendwann, früher oder später, werde ich nach Hell’s Kitchen zurückkehren.

Und wenn diese sexy Rothaarige ein Zeichen dafür ist, was mich hier erwartet, wird das eher früher als später der Fall sein.

Aber was zur Hölle macht sie da? Auf Zehenspitzen balancierend, späht sie durch das Fenster einer Kneipe, die ich nur zu gut kenne. In ihrer Hand hält sie eine knallpinke Kamera. Mit einem beinahe ehrfürchtigen Ausdruck auf dem Gesicht macht sie Foto um Foto. Von diesem Gesicht kann ich zwar bloß das Profil erkennen, doch das reicht, um zu wissen, dass sie … süß ist. Zuckersüß sogar. Riesige Augen, hohe Wangenknochen, die Art von vollen roten Lippen, bei deren Anblick der Straßenverkehr zum Erliegen kommt. Zumindest, wenn ich am Steuer sitze.

Wenn es um Frauen geht, habe ich keinen speziellen Typ. Groß, klein, kurvig, mit Sommersprossen, gepierct, schwarz, weiß … Jede Erscheinungsform ist willkommen und geschätzt. Dieser Rotschopf hingegen … Ich kann nicht genau benennen, was mich zu ihr hinzieht, was mich einen Schritt nach dem anderen auf sie zugehen lässt. Ist es ihr Lächeln? Ist es der wackelige Tanz auf den Zehenspitzen, weil sie aufgrund ihrer mangelnden Körpergröße kaum an das Fenster kommt? Wie gesagt, sie ist wirklich süß, aber sie ist wahrscheinlich nicht auf einen One-Night-Stand aus. Noch nicht. Eigentlich stelle ich Frauen nie außerhalb von Bars nach, wo ich eine Menge Zeit verbringe, aber für diesen Rotschopf würde ich eine Ausnahme machen. Zumal ich ohnehin zu viel Zeit in Bars verbringe, wenn ihr meine beste Freundin Danika fragt. Viel zu viel Zeit. Der Alkohol macht es leichter, ja zu sagen. Ja zu den Frauen, ja zu meinen körperlichen Bedürfnissen. Er lässt mich vergessen, dass mir später übel werden wird.

Ich schiebe diese dunklen Gedanken beiseite und konzentriere mich wieder auf die Rothaarige.

Als ich neben sie ans Fenster trete, nehme ich einen Hauch von Minze wahr und frage mich, ob es eine Bodylotion ist oder etwas anderes, das ihr diesen Duft verleiht. «Soll ich dich hochheben?»

Sie lässt sich auf die Sohlen zurücksinken und wirft mir einen kurzen Blick zu. «Ich komme schon klar. Danke.»

Eine Irin. Ihr Akzent hängt in der Luft, lenkt mich jedoch nicht von ihren großen blauen Augen ab. Von diesen Augen könnte mich nichts ablenken. Sie haben die Farbe eines hellen Winterhimmels und sind von langen schwarzen Wimpern umrahmt.

Heiß. Verdammt.

Mit ebendiesen Augen mustert sie mich nun – und wendet den Blick dann wieder dem Fenster zu. Okay. Desinteresse von einer Frau bin ich nicht gewohnt. Es funktioniert viel leichter, Frauen in Bars zu treffen. Dort gibt es keine Geheimnisse. Diese Frau hingegen könnte ebenso gut darauf warten, dass ihr Mann aus der Kneipe kommt, in der ich mein erstes Bier getrunken habe. Sie trägt zwar keinen Ehering, doch vielleicht sind sie hier im Urlaub, und sie hat ihn sicherheitshalber zu Hause in Irland gelassen.

Ich verziehe angewidert den Mund, als mir klarwird, dass ich unbewusst wie ein Polizist denke. Die verfluchte Akademie hinterlässt ihre Spuren.

«Was sehen wir uns an?», versuche ich es noch einmal.

«Du siehst mich an. Ich sehe mir dieses historische Wahrzeichen an.»

«O’Keefe’s?» Ich winke dem Barkeeper, den ich gut kenne, durchs Fenster zu. «Bist du dir sicher, dass du die Bar nicht mit dem Empire State Building verwechselst? Kommt häufiger vor. Die Gebäude sind sich einfach zum Verwechseln ähnlich.»

Ihre unglaublichen Lippen verziehen sich zu einem winzigen Lächeln. «Ich weiß, wo ich bin und was ich mir ansehe. Könntest du jetzt bitte verschwinden?»

«Du willst, dass ich gehe, nachdem ich dich gerade zum Lächeln gebracht habe?»

«Ich nehme an, dass es nicht schwierig für dich ist, ein Mädchen zum Lächeln zu bringen. Was hast du sonst noch zu bieten?»

Ich muss schmunzeln. «Was hättest du denn gern?»

Sie scheint darüber nachzudenken. «Das weiß ich erst, wenn ich es sehe.»

Ich lehne mich mit der Schulter an das Gebäude und zwinkere ihr zu. «Dann sieh mich nur weiter an.»

Sie betrachtet mein Gesicht, und ich könnte schwören, dass sie mein Aussehen nicht einmal wahrnimmt. Sie blickt tiefer in meine Augen, und noch tiefer … sucht nach mehr. Wann ist das zuletzt geschehen? Noch nie. Nicht dass ich mich daran erinnern könnte. Sie spielt kein Spielchen mit mir. Sie scheint vollkommen ehrlich zu sein. Vollkommen offen.

Wer tut so was?

«Ich entscheide, was ich mir ansehe.» Abrupt wendet sie sich wieder dem Fenster zu und hebt sich einmal mehr auf die Zehenspitzen. «Und ich glaube, ich habe genug gesehen.»

Ich bin nicht mal gekränkt. Ich bin mehr fasziniert als alles andere. Es ist nicht so, dass ich noch nie abgewiesen worden wäre – das ist mindestens schon … ein Mal passiert. Ich sollte also gehen. Nein heißt nein. Immer. Da gibt es nichts zu interpretieren. Ich finde es nur ziemlich schwierig, mich umzudrehen und diesen herrlichen Singsang in ihrer Stimme hinter mir zu lassen. Wenn ich jetzt einfach gehe, werde ich ihn nie wieder hören. Ich werde jede Chance vertun, noch einmal in diese einzigartigen Augen zu blicken. Und, verdammt, sie hat unter meiner Oberfläche nach etwas gesucht, und irgendwie stört es mich, dass sie es nicht gefunden hat. Scheiße, dabei bin ich mir nicht einmal sicher, was dort ist. Doch allein die Tatsache, dass sie es überhaupt versucht hat, weckt in mir schon den Wunsch zu bleiben. «Ich schlage dir einen Deal vor. Sag mir, warum du hier rumstehst wie ein Spanner, und ich werde gehen. Still meine Neugier, okay, Honey?»

Sie errötet leicht, was mir verrät, dass meine Attraktivität sie doch nicht komplett kaltlässt. Mein Charme zeigt Wirkung. Frauen mögen es, wenn ich um etwas bitte – ob es nun echt ist oder bloß gespielt. Dieses Mal habe ich es allerdings ernst gemeint.

Als sie sich wieder auf die Fersen sinken lässt, funkeln ihre Augen vergnügt. «Sobald ich es dir verrate, dürfte es kein Problem mehr sein, dich loszuwerden.»

Nachdem ich jetzt endlich ihre ungeteilte Aufmerksamkeit habe, will ich sie nicht mehr verlieren. Selbst wenn sie mich loswerden will, verdammt noch mal. Vielleicht sind die Lichtverhältnisse hier auf der Straße einfach schlecht, und mein Gesicht liegt im Schatten. Oder die Sonne blendet sie. Das muss es sein. «Lass mich das entscheiden.»

Mit geschürzten Lippen zieht sie ein Buch aus der Vordertasche ihres Rucksacks. Der Titel lautet: Der ultimative Führer zu den Tatorten der Mafia-Morde in New York City. Mit dem Buchrücken deutet sie zum Fenster. «Dadrin wurde während der Mafia-Kriege von 1987 Whitey Kavanaugh ermordet.» Sie wackelt grinsend mit den Augenbrauen. «Du störst hier gerade meine Tatort-Tour, Hübscher.»

Katie

In Dublin haben wir einen Ausdruck für solche Männer: Hottie.

Ich unterdrücke den Impuls, über seine Schulter zu blicken, um festzustellen, ob er vielleicht direkt von einem Filmset kommt. Denn ganz ehrlich? Er sieht unwirklich gut aus. Vom Typ her wie James Dean, nur größer. Sein Lächeln ist umwerfend. Allein die Art, wie sich an seinen Augenwinkeln kleine Fältchen und in seinen Wangen winzige Vertiefungen bilden. Ich würde sie nicht Grübchen nennen, denn dafür sind sie nicht ausgeprägt genug, nur zwei fast identische, kleine Vertiefungen um die Mundwinkel. Als würde sein Mund in Anführungszeichen stehen.

Und da hört es ja nicht auf. Da ist noch das tiefe Grübchen in seinem Kinn. Der Dreitagebart. Die dunklen, fein geschwungenen Brauen über den grünen Augen. Sein schwarzes Haar ist sehr kurz geschnitten, doch wäre es länger, würde es bestimmt perfekt über seine Stirn fallen und sein wundervolles Gesicht umrahmen. Und er ist groß. Klar. Er muss auch noch groß und durchtrainiert sein. Was auch sonst? Alles an ihm scheint vollkommen zu sein. Gott hätte so viel körperliche Perfektion auch gern auf mehrere Menschen verteilen können.

Ich zum Beispiel hätte durchaus ein paar Zentimeter mehr vertragen können. Mein Nacken beginnt jedenfalls schon zu protestieren, weil ich ihn zu lange recke, um in dieses makellose Gesicht zu blicken.

Gut, dass der Kerl jetzt verschwinden dürfte. Niemand gibt sich freiwillig mit einem Mädchen ab, das eine Schwäche für das organisierte Verbrechen hat. Zumindest nehme ich das an. Ich habe einem Mann gegenüber meine Vorlieben noch nie erwähnt. Ich spreche sowieso kaum mit Männern, wobei ich vorhabe, das während meines Aufenthalts in New York zu ändern. Sobald diese total unrealistische, wahrscheinlich computeranimierte Kreatur aufhört, zu versuchen, mich mit ihren körperlichen Vorzügen umzuhauen, geht’s los.

«Hübscher, ja?» Natürlich kommentiert er den Spitznamen, den ich ihm verpasst habe. «Und trotzdem willst du unbedingt, dass ich verschwinde.»

«Oh … Äh …» Als sein Lächeln etwas verblasst, wird mir klar, dass ich echt unhöflich war. Doch es ist mir zu peinlich, zu erklären, warum. Ihm zu gestehen, dass ich dachte, er könnte nicht ernsthaft an mir interessiert sein und würde sich auf dem Weg in die Kneipe nur über mich lustig machen … Ich meine, ich bin gerade am Flughafen JFK aus dem Flieger gestiegen und habe weder geduscht noch die Haare gekämmt. Meine Jeans und mein Tanktop sind von der Reise ganz zerknittert. Was könnte einen Mann wie ihn bitte an mir angezogen haben? «Es tut mir leid. Ich dachte nur, dass du bestimmt etwas vorhast. Ich wollte dich sozusagen … entlassen. Damit du dorthin gehen kannst, wohin du auch immer musst.»

Er legt den Kopf schräg und sieht mich neugierig an. «Wohin, glaubst du, muss ich denn?»

«Hm.» Ich lehne mich ein Stückchen zurück und mustere ihn von oben bis unten. Als ich seine Augen erreiche, ist eines offensichtlich: Er glaubt, meine Antwort schon zu kennen. «Pianistenhände.»

Schock breitet sich auf seiner Miene aus, und besagte Hände zucken an seiner Seite. «Was?»

«Du hast Pianistenhände. Vielleicht bist du Klavierlehrer? Auf dem Weg zum Unterricht?» Warum ist er plötzlich so still? «Liege ich so sehr daneben?»

«Nein, aber …» Er verlagert das Gewicht von einem Bein auf das andere. «Du siehst mich an und denkst, dass ich Klavierlehrer sein könnte?»

«Was sollte ich deiner Meinung nach denn in dir sehen?» Als er nicht antwortet, werde ich nervös. «Wohin auch immer du gerade willst … Ich wollte bloß höflich sein und es dir leichtmachen zu gehen. Ich wollte nicht unfreundlich klingen oder so.»

Er schüttelt knapp den Kopf. «Wenn du möchtest, dass ich gehe, brauchst du dich nicht dafür zu rechtfertigen.» Es scheint ihm wichtig, dass ich das weiß. «Es ist deine Entscheidung, und ich hätte dich in Ruhe lassen sollen, als du mich das erste Mal dazu aufgefordert hast.»

Ich bin von Natur aus misstrauisch. «Sagst du das jetzt nur, weil ich mir Tatorte ansehe und du versuchst, mir zu entkommen?»

«Nein. Genau genommen, halte ich Tatort-Sightseeing für ziemlich cool.»

«Ist das der Grund, warum du immer noch hier bist?»

«Ja. Und weil du verdammt hübsch bist.» Er zieht die Augenbrauen hoch, während mir der Mund offen stehen bleibt. «Wenn du deine Meinung geändert hast und mich nicht mehr loswerden willst, begleite ich dich in die Bar, damit du ein anständiges Foto schießen kannst. Weißt du, auf welchem Stuhl Whitey gesessen hat, als er …?»

«Auf dem drittletzten Stuhl an der Bar.»

«Ich dachte mir, dass du das wissen würdest.» Mit einem schiefen Grinsen reicht er mir den Arm, der im Ärmel eines weichen schwarzen Kapuzenpullovers steckt. «Komm schon. Falls jemand auf dem Platz sitzt, scheuche ich ihn weg.»

«Ich gehe nicht in Bars. Das ist der Grund, warum ich wie eine Irre hier draußen rumstehe.» Die Antwort auf die Frage, warum ich diese Regel aufgestellt habe, ist persönlich – zu persönlich, um sie mit einem Fremden zu teilen. Also wende ich den Blick von ihm ab. Sonst könnte er vielleicht den Schmerz sehen, über den ich mit niemandem rede. Der Schmerz gehört mir allein. Doch ich spüre, dass er mich beobachtet, als ich meinen Fotoapparat zurück in die Kameratasche stecke und sie in meinen Rucksack lege. «Danke für das Angebot, äh …»

«Jack.» Seine Stimme klingt belegt, als er mir antwortet, und ein Schatten liegt in seinen Augen. «Und du bist …»

«Katie.» Ich hänge mir den Rucksack über die Schultern und versuche, mich daran zu erinnern, ob ich mich bei ihm bedankt habe, weil er mich hübsch genannt hat. Obwohl … selbst wenn nicht, sollte ich die Aufmerksamkeit nicht darauf lenken. Nicht dass er die Aussage noch einmal wiederholt. Ich bin mir nicht sicher, ob ich es überlebe, das zweimal an einem Tag zu hören. Nicht, ohne zu kichern und eine komplette Idiotin aus mir zu machen.

In den vergangenen vier Jahren meines Lebens habe ich nichts anderes getan, als für die Olympischen Spiele zu trainieren. Das erschöpfend endlose Training bedeutete, dass mir keine Zeit für das andere Geschlecht blieb. Und jetzt, wo das zum ersten Mal anders ist, muss ich ausgerechnet dem Urenkel von James Dean über den Weg laufen. Als ich beschloss, mich während meiner Geschäftsreise nach New York in eine Art Urlaubsaffäre zu stürzen, schwebte mir jemand vor, der nicht ganz so einschüchternd ist. Zum Beispiel ein nerdiger Büroangestellter. Oder eine männliche Politesse. «Ich will aber niemanden verurteilen oder so. Wegen der Bar. Echt. Du kannst gern hineingehen und …»

«Schon wieder. Du versuchst schon wieder, mich loszuwerden.» Sein strahlendes Lächeln ist zurück und raubt mir schier den Atem. «Gibt es in der Gegend noch mehr Tatorte, oder ist das hier dein letzter Stopp?»

«Es gibt noch einen Tatort», höre ich mich selbst sagen. Scheiße. Wie soll ich mich entspannen, wenn er mich so anlächelt? Ich muss mich von seinem Gesicht ablenken und werfe einen Blick in meinen Führer zu den verschiedenen Mafia-Morden. «McCaffrey Playground. Ist das hier in der Nähe?»

«Die Straße hinunter.» Mit einem Kopfnicken weist er in die entsprechende Richtung. «Sollen wir?»

Nein, wir sollten nicht. Erstens ist er ein Fremder in einer mir unbekannten Stadt und könnte vorhaben, mir meine Organe zu rauben. Zweitens sieht er aus wie ein Model, während ich mit den schäbigen Laufschuhen und dem Rucksack vermutlich wirke wie ein überdimensionales Kleinkind. Und drittens … Ich habe ganz eindeutig das Gefühl, dass der geheimnisvolle Jack für mich Ärger bedeutet. Nennt es einen sechsten Sinn oder gesunden Menschenverstand oder was auch immer – aber dieser Hottie mit dem Bad-Boy-Lächeln ist jemand, mit dem man sich nur zu leicht in Schwierigkeiten bringt.

Die Entscheidung müsste also glasklar sein: Wenn ein Wildfremder ohne jeden Grund Interesse an dir zeigt, solltest du vermutlich nicht mit ihm zusammen in einen dunklen Park spazieren, der schon Tatort eines Mafia-Mordes war. Ist nur so ein Gedanke. Von mir wurde allerdings mein Leben lang erwartet, mich tadellos zu verhalten. Ich habe gerade so die streng katholische Erziehung als Kind überstanden, bevor ich die anstrengenden Vorbereitungen auf die Olympischen Spiele aushalten musste. Jeder Tag meines Lebens war von anderen durchgeplant, und diese Pläne habe ich sehr gründlich und gewissenhaft befolgt.

Dieser Mann steht auf keinem Plan.

Und ich habe mir selbst während dieser zweiwöchigen Reise ein Abenteuer versprochen. Ich habe mir fest vorgenommen, einen Schwur zu erfüllen, den ich jemandem gegeben habe, den ich sehr liebe. Nämlich mein Leben auszukosten, ohne mich ständig zurückzuhalten. Nachdem ich so lange unter der Fuchtel meines Vaters stand, fühle ich mich jetzt leicht. So frei von Verantwortungen, dass ich mir nach dem Flug nicht einmal die Zeit genommen habe, um mich frisch zu machen, sondern mir direkt die Laufschuhe angezogen habe und aus dem Hotel gestürmt bin. Könnte Jack Teil meines Abenteuers sein?

Nein, das ist nicht möglich. Bestimmt filmt er nicht weit von hier entfernt eine romantische Komödie und betreibt grad nur Method Acting, um in der Rolle zu bleiben. Aber diese Hände … Seine überraschte Reaktion darauf, dass ich seine feingliedrigen Pianistenhände erwähnt habe, hat mich – auch wenn ich es nicht wollte – fasziniert.

Enttäuschung verdunkelt seine grünen Augen, je länger ich für meine Antwort brauche. Sein Lächeln wird schwächer und erstirbt schließlich ganz, sodass sein Mund nur noch eine grimmige Linie ist. Ich will gerade sagen, dass ich lieber allein weitergehe, als er mir zuvorkommt. «Mein Ego verkraftet das, Katie.» Er zwinkert mir zu, aber es ist eine traurige Geste. «Selbst wenn es verdammt lange dauern wird, diese Augen zu vergessen.»

Mein Herz schlägt mir bis zum Hals, als er sich in Bewegung setzt. Die Hände in die Hosentaschen geschoben, macht er ein paar Schritte rückwärts und lässt mich nicht aus den Augen, bis er sich schließlich umdreht und den Block hinabschlendert. Es ist verrückt, wie in meinem Bauch kleine Luftbläschen zu zerplatzen scheinen. Ich balle die Hände zu Fäusten, und mein Rucksack fühlt sich mit einem Mal tonnenschwer an. «Warte», rufe ich. Dann zucke ich zusammen. Denn jeder auf dem Gehsteig – inklusive Jack – dreht sich um, um mich anzustarren. «Äh … ich meine ihn.» Ich zeige auf Jack. «Also nur ein Spaziergang, okay?», sage ich an ihn gewandt.

Selbst aus dieser Entfernung ist der Anblick, wie Jack den Mund zu einem Grinsen verzieht, atemberaubend.

Als ich auf ihn zugehe, scheinen meine Schritte auf dem warmen Beton ein Wort immer und immer wieder zu flüstern.

Ärger. Ärger. Ärger.

Kapitel 2

Jack

Ich werde diese Frau mit nach Hause nehmen.

Katie kommt auf dem Gehweg auf mich zu. Die kleinen Brüste unter ihrem Tanktop wippen bei jedem Schritt auf und ab. Ihre roten Haare flattern im Wind, und ich kann fast schon spüren, wie sich diese Haare zwischen meinen Fingern anfühlen werden. Wie es sein wird, wenn diese Haare über meinen Bauch und bis zu meinen Oberschenkeln streichen. Für gewöhnlich wären wir jetzt schon auf dem besten Weg zu diesem Teil des Abends. Stattdessen spaziere ich mit ihr zum Park. Ich schätze, es gibt für alles ein erstes Mal.

Nicht dass ich eine andere Wahl gehabt hätte, wenn ich mehr Zeit mit ihr verbringen will, da sie nicht in Bars geht. Sie geht nicht in Bars. Wo ich meine Abende meistens ausklingen lasse. In letzter Zeit sogar jeden Abend. Das heißt, dass sie nicht trinkt. Ein braves Mädchen. Es stand in ihren blauen Augen, dass sie einen verdammt guten Grund hat, warum sie ihre Zeit nicht in Kneipen vergeudet. Als sie mir diese Information gegeben hat, hätte das mein Stichwort sein sollen, abzuhauen, doch ich blieb stehen. Und wartete darauf, dass sie mich erhören würde. Warum?

Ich habe keine Ahnung, ob ich gut genug für diese Art von Unternehmung bin, ob ich es überhaupt noch kann. Ein Spaziergang im Park. Smalltalk. In der Highschool habe ich mich noch mehr auf die Dates konzentriert und mehr Energie in die Verabredung gesteckt. Ich habe Zeit mit den Mädchen verbracht, aber es ging damals auch noch nicht darum, sich gegenseitig möglichst schnell ins Bett zu kriegen. Erst mit sechzehn rückte der Sex dann in den Mittelpunkt – und es gefiel mir. Ich lauschte den Unterhaltungen der Freier. Ich verfolgte aufmerksam, wie die Freundinnen meiner Mutter sich über ihre Kunden austauschten. Und ich lernte, im Bett richtig gut zu werden. Es gab mir das Gefühl, etwas … wert zu sein. Und daran schien nichts verkehrt zu sein, weil alle um mich herum genauso dachten und lebten.

Ich kann gut … vögeln. Habe ich noch andere Talente? Sicher. Ich kann zum Beispiel eine Gruppe von Menschen mit altbewährten Kartentricks und einer Partie Armdrücken mühelos bei Laune halten. Doch darüber hinaus wüsste ich nicht, was ich Katie noch zu bieten hätte.

Katie hat bisher nicht viel von sich erzählt, aber einiges ist mir aufgefallen. Sie ist organisiert. Die kleinen Eselsohren in ihrem Buch über die Mafia-Morde und die Art, wie sie den Fotoapparat in die Kameratasche zurückgeräumt hat, haben mir das verraten. Sie hat auch Sinn für Humor, setzt ihn aber nicht ein, um zu flirten. Jedenfalls nicht bei mir. Aber wenn sie mich mit ihren blauen Augen ansieht, schlägt mein Magen einen Purzelbaum.

Außerdem hat sie tolle Brüste.

Was habe ich also zu bieten? Offensichtlich ist ihr mein umwerfend gutes Aussehen scheißegal. Ich könnte sie vielleicht damit beeindrucken, dass ich eine Ausbildung zum Polizisten mache, aber irgendetwas sagt mir, dass sie mich durchschauen würde. Sie würde erkennen, dass die Akademie nur ein notwendiges Übel für mich ist. Dass es nichts ist, worauf ich stolz bin – anders als bei meinen Mitrekruten. Der Job ist für mich bloß Mittel zum Zweck, um meine Miete zu bezahlen und meine Mutter unterstützen zu können. Hätte ich gegen Danika nicht eine Wette verloren, hätte ich mich niemals an der Akademie eingeschrieben und einen anderen Weg gefunden, um über die Runden zu kommen. Das habe ich immer.

Es frustriert Danika und unseren Mitbewohner Charlie – dessen Vater und Bruder im Department hohe Tiere sind – so richtig, dass ich die Ausbildung nicht ernst nehme. Dass ich die Hälfte der Zeit betrunken auftauche und die Übungen wie ein Schlafwandler absolviere. Vielleicht denke ich einfach nicht, dass das alles einen Sinn hat. Ich kann mir nicht vorstellen, außerhalb von Bars und Schlafzimmern souverän aufzutreten. Ich bin dort. Ich nehme am Training teil. Aber ich fühle mich nicht wirklich anwesend. Es scheint mir ein überraschend realistischer Traum zu sein – die Halogenlichter, die Übungen, die Jogginghosen. Aber ich bin nicht dazu bestimmt. Ich weiß nicht genau, ob ich überhaupt für irgendetwas bestimmt bin außer dafür, möglichst viel Spaß zu haben.

Katie tritt auf dem Gehweg zu mir. Sie hat die Daumen unter die Träger ihres Rucksacks gesteckt. Ich bin gute zwanzig Zentimeter größer als sie, und da ich alles andere als ein Heiliger bin, richte ich meinen Blick direkt auf den Rand ihres Tanktops. Mein Körper reagiert auf den Anblick ihrer Brüste, die sich in die Cups ihres weißen BHs schmiegen, und ich schlucke ein Stöhnen herunter. Wie gern würde ich sie jetzt berühren.

Ich fühle mich echt zu ihr hingezogen. Mehr als zu jeder anderen Frau, an die ich mich erinnern kann. Ich will damit aufhören, so zu tun, als wäre ich der Typ Mensch, der Touristen aus Nettigkeit in den Park begleitet. Viel lieber will ich eine halbwegs flache Oberfläche finden, auf der ich mir ins Gedächtnis rufen kann, wofür ich gut bin.

«Also … Lebst du hier in der Gegend?»

Nur den Bruchteil einer Sekunde nachdem ich den Blick von ihrem Dekolleté genommen habe, sieht Katie mich an. Das war knapp. «Nicht mehr. Ich bin hier aufgewachsen, aber ich lebe jetzt an der East Side.»

«Oh, da befindet sich, glaube ich, mein Hotel.» Sie kommt mir vor wie ein neugieriges Erdmännchen, als sie sich zwischendurch immer wieder auf die Zehenspitzen stellt, um alles in den Schaufenstern der Läden sehen zu können, an denen wir vorbeikommen. Sie hat ihren Fotoapparat wieder hervorgeholt und knipst von allem ein Foto, was ihr vor die Linse kommt. «Ich bin erst heute Nachmittag angekommen und konnte mich noch nicht orientieren, aber das Hotel ist in der Nähe des UNO-Hauptquartiers. Ist das im Osten?»

«Ja.» Ich komme Katie unweigerlich näher, als zwei Männer sich auf dem Gehweg an uns vorbeidrängen. Wäre sie ganz allein in den Park gegangen, wenn ich sie nicht begleitet hätte? Ich bin mir nicht sicher, ob mir die Vorstellung gefällt. Nein, der Gedanke gefällt mir definitiv nicht. «Bist du ganz allein hier in New York, Snaps?»

Sie bleibt abrupt stehen und blinzelt mich an. «Snaps? Wie das englische Wort für ‹knipsen›?»

«Da du buchstäblich alle fünf Sekunden ein Bild schießt …»

Sie strahlt übers ganze Gesicht, als sie anfängt zu lächeln. Und dann geht sie weiter.

Ist sie … amüsiert? Ich laufe los, um sie einzuholen. «Hör mal, ich sage ja nicht, dass Frauen sich nicht um sich selbst kümmern können, aber es ist schon spät und du kennst dich in dieser Stadt nicht aus. Etwas Vorsicht wäre deshalb durchaus angebracht.»

«Ich weiß deine Sorge um mich zu schätzen.»

«Aber du ignorierst das.»

«Ja.» Wir sind nur noch einen Block vom Park entfernt, und ich kann sehen, dass er so gut wie menschenleer ist. Lediglich ein alter Mann mit Baseballkappe füttert Tauben. Ich versuche, mir gerade eine andere Taktik zu überlegen, um die zuckersüße Rothaarige davor zu bewahren, während ihres New-York-Aufenthalts überfallen zu werden, als sie mich abrupt aus meinen heroischen Gedanken reißt. «Erzähl mir eine Geschichte über diesen Park. Wenn du hier aufgewachsen bist, müsstest du doch eine kennen.»

Glaubt sie wirklich, dass ich sie mit meinen Erinnerungen und Gedanken unterhalten kann? Die Vorstellung macht mich froh und nervös zugleich. «Klar.» Ich kratze mich an der Wange, während mir eine Reihe von Bildern durch den Kopf geht. «Also gut. Ein paar Einheimische haben im Park gern Schachturniere ausgetragen.» Ich kneife ein Auge zusammen und zeige zu den Tischen in einiger Entfernung. Dabei komme ich Katie so nah, dass sich unsere Schultern berühren. «An den Tischen neben dem Basketballfeld. Nur sechs Stammspieler konnten dort spielen, und immer gewann derselbe Typ. Isaiah. Sie hatten eine Art … Wanderpokal, den der Sieger bekam. In Wirklichkeit war es eher eine Plakette, auf die sie mit einem Messer etwas eingeritzt hatten.»

Wir erreichen die Ecke des Parks, und ich lege meinen Arm um Katies Schultern. Vielleicht mache ich das, weil ich nie so lange brauche, ehe ich die Frau berühre, an der ich interessiert bin. Vielleicht habe ich mich auch nur selbst dazu auserkoren, sie heute Abend zu beschützen, und die Verantwortung macht mich nervös. Ich weiß es nicht. Doch ich tue es, und sie erstarrt, lässt es allerdings geschehen und windet sich nicht sofort wieder aus meiner Umarmung.

«Wie auch immer …» Ich atme langsam und bedächtig aus. «Derselbe Typ gewann das Turnier also wieder, aber der Verlierer wollte nicht zum verdammt hundertsten Mal wohlwollend und höflich sein. Also warf er die Plakette in einen vorbeifahrenden Müllwagen.»

«Nein …», haucht sie. «Der war aber ein schlechter Verlierer.»

«Ein ganz schlechter sogar.» Gott, ihre melodische, heisere Art zu sprechen, macht süchtig. Sobald ich mit der Geschichte fertig bin, werde ich aufhören zu reden, damit ich ihr die ganze Zeit zuhören kann. «Und so rennt der Gewinner dem Müllwagen und seiner geliebten Siegestrophäe hinterher. Es gelingt ihm nach vier Blocks, den Wagen anzuhalten, aber die Müllpresse hat bereits ganze Arbeit geleistet und die Plakette zerquetscht.»

Sie wirft mir aus leicht zusammengekniffenen Augen einen misstrauischen Blick zu. «Muss ich gleich weinen?»

«Wenn das der Fall sein sollte, sei gewarnt. Die Tränen einer Frau haben keinerlei Wirkung auf mich. Du kannst dir von mir aus die Augen ausheulen. Dagegen bin ich vollkommen immun.»

«Wirklich?»

«Verdammt, nein, natürlich nicht. Ich würde mich auf dem Gehweg zusammenrollen und um Gnade winseln.»

Ihr Lachen kitzelt mich tief im Innersten. «Dann solltest du besser dafür sorgen, dass die Geschichte ein gutes Ende nimmt.»

Ich stoße einen leisen Pfiff aus. «Isaiah ging mit der kaputten Trophäe zurück in den Park, und der Zweitplatzierte half ihm dabei, die Plakette zu reparieren?»

«O nein, du Lügner.» Sie keucht und boxt mir in die Rippen. «Du hast das Ende verändert. Ich will das echte Ende, oder ich erhebe offiziell Einspruch.»

«Bei wem? Bei der Vereinigung der Geschichtenerzähler?»

«Ja.» Sie kichert, und mir werden zwei Dinge bewusst. Ich schlage mich ganz gut hier. Ich habe nichts getrunken. Und ich erwarte keinen Sex. Noch nicht. Ich mache das gut. Allerdings bin ich mir nicht sicher, wie lange ich das noch durchhalten kann. Wir sind gerade mal fünf Minuten unterwegs, und mein Herz beginnt schon zu hämmern, und meine Zunge fühlt sich dick an. Ich will einen Drink. Ich will, dass Katie im Bett die Beine für mich breitmacht. Ich will das Hochgefühl, mir nützlich vorzukommen. Das verspüre ich bloß, wenn ich einer Frau Lust bereite.

«Äh …» Ich zupfe an dem Band meines Kapuzenpullovers und zwinge mich dazu, mich verdammt noch mal zu entspannen. Aber ernsthaft. Was mache ich hier? Der Spaziergang mit dieser jungen Frau, die kichert und einen Rucksack trägt. Der Versuch, es langsam angehen zu lassen. Wieso? Was hat diese Frau an sich, dass sich mein Innerstes beinahe schmerzhaft zusammenzieht? «Gut, hier kommt das echte Ende. Sag nicht, dass ich nicht versucht hätte, den Schlag abzumildern.»

Wir gehen in den Park. Sie löst sich von mir, dreht sich um die eigene Achse, um die Szenerie auf sich wirken zu lassen, und ich schwöre bei Gott, dass ich für einen Moment tatsächlich glaube, dass sie eine Illusion ist und ich mir das alles nur einbilde. «Na schön. Ich bin auf das Schlimmste vorbereitet.»

«Isaiah fiel auf seinem Weg zurück in den Park in einen Gullyschacht.»

Der alte Mann, der auf der Parkbank sitzt und die Tauben füttert, brummt. Hm, hm. Wahrscheinlich, weil er schon vor zehn Jahren an derselben Stelle saß und Zeuge des Ganzen wurde.

Katie starrt mich an, als läge das Schicksal der Menschheit in meinen Händen. «Hat Isaiah den Sturz überlebt?»

«Das hat er.» Ich nehme den Rucksack von Katies Schultern, da er schwer aussieht und ich beschlossen habe, ihn für sie zu tragen. Sie scheint sich nicht einmal bewusst zu sein, dass ich ihn ihr abnehme, weil sie so auf das Ende der Geschichte fixiert ist. «Er wäre auf einem Weichenhebel der U-Bahn-Schienen gelandet, aber die Plakette hat zum Glück verhindert, dass der Hebel ihn aufgespießt hat.»

Sie nickt bedächtig. «Dann ist die Moral der Geschichte, dass es in Ordnung ist, ein schlechter Verlierer zu sein.»

«Nein. Die Moral der Geschichte ist, dass es in der Stadt zahllose versteckte Gefahren gibt und du sie deshalb nicht allein erkunden solltest.»

Ich nehme ihr die Kamera aus der Hand und mache eine Aufnahme von ihr, wie sie mich empört ansieht. Wodurch sie nur noch ärgerlicher wird. «Wie kannst du es wagen, mir eine Lektion zu erteilen? Ich habe Urlaub!»

Zeit für Schmeicheleien. Ich lege den Kopf schräg und setze ein reumütiges Lächeln auf. «Kannst du mir noch einmal verzeihen, Snaps? Ich mache mir doch nur Sorgen.»

«Und wie passen die Sorgen und die Lügen bitte schön zusammen?»

«Ziemlich gut, ehrlich gesagt.»

Unsere Finger berühren sich, als sie ihre Kamera wieder zurücknimmt. «Ich werde mich von jemandem wie dir nicht um den Finger winkeln lassen, Jack.»

«Wir werden sehen.»

Mir gefällt es nicht, dass kurz ein besorgter Ausdruck über ihr Gesicht huscht. Trotzdem folge ich ihr, als sie nun weiter in den Park hineingeht. Und mit jedem Schritt wächst mein Verlangen.

Kapitel 3

Katie

Wenn ich mich nicht irre, ist Jack der große böse Wolf, und ich bin das Rotkäppchen.

Zumindest fühle ich mich so, als er nun hinter mir durch die schnell hereinbrechende Nacht schlendert. Es ist seltsam. In einer Sekunde fühle ich mich in seiner Nähe ganz sicher und geborgen, und in der nächsten frage ich mich, ob er sich wohl überlegt, wie er mich am besten zum Abendessen zubereiten könnte.

Als der Wind plötzlich auffrischt, beginne ich zu frösteln und bekomme eine Gänsehaut. In meinem Rucksack ist eine Strickjacke, doch Jack trägt ihn. Ich müsste vermutlich vor ihm stehen bleiben, um die Jacke hervorzuholen, während er den blöden Rucksack mit seinen großen, starken Händen hält. Dann müsste ich mir vor seinen Augen etwas überziehen. Das ist mir viel zu intim, viel zu sexuell. Allein der Gedanke daran ist mir schon zu viel. Ich soll unter den Blicken seiner wachsamen grünen Augen eine Strickjacke anziehen? Da können wir uns ja gleich in mein Hotelbett legen und es tun …

Woher kam denn jetzt dieser Gedanke?

Ich muss unter Jetlag leiden. Darum stelle ich mir vor, wie Jack auf mir liegt, nur eine Hälfte seines Gesichts durch die Lampe auf meinem Nachttisch im Hotel erhellt. Nein. Nein, nein, nein. Ich kann diesem Mann auf gar keinen Fall sagen, dass ich Jungfrau bin, weil ich vier Jahre lang auf einem Schießstand eingesperrt war. Aber ich müsste es ihm sagen. Alles andere wäre nicht angemessen. Ich lebe zwar gerade meine rebellische Seite aus, doch ich kann nicht jede Spur meiner guten Erziehung einfach so ablegen.

Er könnte mir dabei helfen, einen Punkt auf meiner «Katie erobert New York»-Liste abzuhaken.

Sobald ich den Gedanken zulasse, verwerfe ich ihn auch schon wieder. Jack würde jemanden wie mich einfach verschlingen und anschließend wieder ausspucken. Ich werfe einen Blick über die Schulter und ertappe ihn dabei, wie er mich ansieht, als wäre das Verschlingen genau das, was ihm vorschwebt. Vielleicht vorher noch etwas Flambieren und Glasieren, wenn er schon mal dabei ist.

Aber dann bemerkt er mein Zittern, runzelt die Stirn, macht meinen Rucksack auf, holt die Strickjacke hervor und reicht sie mir. «Falls das nicht reichen sollte, kannst du mein Sweatshirt haben.»

«Oh.» Gott, es ist verführerisch, sich von seinem Duft umhüllen zu lassen, aber das kann ich nicht. Das wäre ja noch sinnlicher, noch sexueller als die Sache mit der Strickjacke. Und ich grüble wieder darüber nach, ob Jack nun der böse Wolf ist … oder ein Schaf im Wolfspelz. «Ach, das … das wird schon reichen. Danke», sage ich und nehme die Strickjacke entgegen.

Er sieht mich eindringlich an und nickt, bevor er den Rucksack wieder zumacht und ihn sich lässig über die Schulter hängt. «Also, wo hat der Mord stattgefunden? Sprich mit mir, Snaps.»

«Gut.» Ich hole das Buch über die Mafia-Morde aus meiner Hosentasche, lecke meinen Zeigefinger an und blättere auf die richtige Seite. «Dieser Mord war eher schnell als brutal. Er passierte am helllichten Tag Mitte der Achtziger, und das Opfer war …» Nachdem ich einen Moment lang das Schwarz-Weiß-Foto des Tatorts betrachtet habe, drehe ich mich um und weise auf die Parkbänke. «Er wurde dort hinten gefunden. Mit einer Schusswunde in der linken Schläfe. Zeugen behaupteten, dass der Täter stark humpelte. Schon bald war deshalb das Gerücht im Umlauf, der einheimische Bösewicht Frank Donahue wäre der Schütze gewesen. Aber niemand in der Gegend konnte mit Sicherheit sagen, welches Bein der Täter nachgezogen hat, und so konnte diese Theorie nicht bestätigt werden. Und dann änderten die Zeugen ihre Geschichten plötzlich komplett – wahrscheinlich, weil sie Angst vor Vergeltung hatten oder nicht als Verräter dastehen wollten. Also blieb der Fall theoretisch ungelöst.»

Jack scheint ein Lachen unterdrücken zu müssen. «Theoretisch?»

«Na ja …» Ich senke die Stimme, bis sie nicht mehr als ein Flüstern ist. «Es wäre nicht schwierig, ein Humpeln vorzutäuschen, um den Verdacht auf eine bestimmte Person zu lenken. Jemanden, den die Polizei sowieso schon im Visier hat. Also vielleicht nicht nur theoretisch.»

«Himmel. Das ist genau der Grund, warum ich dich während deines kleinen Besuchs in New York begleiten sollte.»

Jack als mein Stadtführer? Wann ist das Thema denn aufgekommen? «Ich kann dir nicht ganz folgen.»

«Herumzulaufen, in alten Mordermittlungen herumzustochern, neue, gefährliche Theorien aufzubringen …» Er beißt sich auf die Unterlippe und mustert mich mit seinen grünen Augen von den Zehenspitzen bis zum Kopf. «Du brauchst mich an deiner Seite. Ich will nicht, dass du irgendwann in der Neuauflage deines Tatort-Führers auftauchst.»

Ich kann mir ein Lachen nicht verkneifen. «Und du würdest dich für eine Fremde in Gefahr begeben?»

Zwischen uns herrscht kurz Schweigen. «Ja. Ich glaube, das würde ich.» Seine Schritte klingen schwer, als er auf mich zukommt. Er ist so nahe, dass ich meinen Kopf leicht in den Nacken legen muss, um ihm ins Gesicht sehen zu können. «Und du wirst für mich ja nicht mehr lange eine Fremde sein, oder?»

Ungezügelte Hitze breitet sich in meinem Bauch aus, bis hinab in meine Knie, und lässt sie weich werden. Verdammte Scheiße. Dann ist es also so. Er ist der böse Wolf, und obwohl ich mich eindeutig zu Jack hingezogen fühle – wer nicht? –, brennt das Feuer, das er in mir entfacht, viel zu heiß, viel zu intensiv.

Im Gegensatz zu den meisten Frauen in meinem Alter habe ich keinerlei sexuelle Erfahrungen. Nach der Tragödie war einfach keine Zeit für so etwas. Als Ablenkung konzentrierte mein Vater sich vollkommen auf die Olympischen Spiele – und somit auf mich. Vielleicht hat Jack gespürt, dass ich leichte Beute sein würde? Meine innere Stimme sagt mir, er würde das nicht ausnutzen, aber, verdammt, ich habe zu wenig Erfahrung mit Männern, um mir da sicher zu sein.

Dabei ist es nicht gerade hilfreich, dass ich von Natur aus misstrauisch und fasziniert vom organisierten Verbrechen bin.

Überhaupt nicht.

«Äh … Ich glaube nicht, dass ein Bodyguard nötig ist.» Ich tue so, als wäre ich in das Buch vertieft, und gehe einen Schritt zurück – weg von Jack und von seiner magnetischen Anziehungskraft. «Weißt du nicht, dass die Leute den Zorn einer Rothaarigen fürchten? Meine Haare beschützen mich, wohin ich auch immer gehe.»

«Oder sie erhöhen deinen Wiedererkennungswert», murmelt er. «Ist das alles, was du während deines Aufenthalts hier machen möchtest? Alte Tatorte besichtigen?»

«O nein. Das ist nur ein Punkt auf meiner Liste.»

Als mir die Worte über die Lippen kommen, weiß ich bereits, dass ich sie nicht hätte aussprechen sollen. Niemand weiß von der Liste – außer mir selbst. Sie steckt zwischen den letzten Seiten des Buches in meinen Händen. Gut versteckt vor den Blicken anderer. Diese Liste könnte genauso gut mein Tagebuch sein, so persönlich ist sie. Doch ich weiß in der Sekunde, in der Jack die Augenbrauen hochzieht und mich verführerisch anlächelt, dass ich nicht ohne eine Erklärung davonkommen werde. Nicht so einfach jedenfalls. «Liste?»

«Shoppingliste. Ich liebe es, shoppen zu gehen, weißt du?»

«Netter Versuch. Probier’s noch mal.»

«Lebensmittelliste. Ich leide unter einer Weizenunverträglichkeit, also muss ich aufpassen, was ich esse, und mich mit Vorrat eindecken. Es ist ziemlich umständlich, aber ich habe mich daran gewöhnt.»

«Das war schon sehr gut, ich bin allerdings noch immer nicht überzeugt.» Er verschränkt die Arme vor der Brust. «Was für eine Liste?»

Ich stapfe hinüber zu einer Parkbank und setze mich. Mir fällt auf, dass der Mann, der die Tauben gefüttert hat, gegangen ist, sodass Jack und ich nun allein in dem dunklen Park sind. Obwohl ich davon überzeugt bin, dass er der böse Wolf ist, habe ich aus irgendeinem Grund keine Angst. Vielleicht sollte ich das aber. Meine behütete Kindheit ist der Grund dafür, dass ich Gefahren trotz meines Misstrauens nicht so leicht erkenne. Ich werfe kurz einen Blick durch den Zaun des Parks hindurch und sehe, dass genügend Menschen auf der Straße unterwegs sind und dort sogar noch ein Hot-Dog-Verkäufer steht. Falls ich in Schwierigkeiten geraten sollte, könnte ich um Hilfe rufen.

Als ich meine Aufmerksamkeit wieder auf Jack richte, hat sich zwischen seinen Augenbrauen eine steile Falte gebildet, als ob er meine Gedanken erraten hätte. «Hey. Wir können auch woandershin gehen. Wo mehr los ist, wenn du willst, Snaps.»

Die Erinnerung daran, wie er vorhin auf meinen Wunsch hin gehen wollte, taucht vor meinem inneren Auge auf. Er mag verführerisch sein, doch er ist nicht aggressiv. «Bei mir ist alles okay. Willst du dich setzen?»

Er lässt sich neben mich auf die Bank sinken. Wie ein Prinz, der sich auf seinen Thron setzt, legt er den Arm auf die Rückenlehne. Seine Finger sind nur ein kleines Stückchen davon entfernt, meinen Hals zu berühren. Allein die Wärme, die er verströmt, lässt mich erschauern. Der ruhige Blick aus Jacks Augen tut sein Übriges. «Sag es mir.»

«Es ist albern …» Ich verstumme. «Nein, eigentlich ist es gar nicht albern. Ich habe eine Liste der Dinge erstellt, die ich während der zwei Wochen in New York tun möchte. Nichts Weltbewegendes. Es geht eher darum, Spaß zu haben. Den hatte ich schon lange nicht mehr.» Ich spüre, wie sich seine Fingerspitzen meinem Hals weiter nähern, und beeile mich nervös, weiterzusprechen. «Das heißt aber nicht, dass du Mitleid mit mir haben musst, Jack. Mir geht es gut.»

«Okay. Wenn du sagst, dass es dir gutgeht, dann glaube ich dir.»

«Einfach so?»

Mit dem Mittelfinger streicht er meinen Nacken hinab. «Einfach so.»

Ich kann seine federleichte Berührung zwischen meinen Beinen spüren, doch ich zwinge mich dazu, meine Knie nicht zusammenzupressen, damit ich mich nicht verrate. «Wie wäre es mit einem Deal?» Gott, ich klinge so atemlos, als könnte ich eine neue Lunge vertragen. «Ich werde dir einen Punkt auf meiner Liste nennen.»

«Und was springt für mich bei dem Deal heraus?»

«Du darfst mich begleiten.»

Er streicht weiter über meinen Nacken und bringt mich mit den bedächtigen Berührungen um den Verstand. Und es funktioniert. Seine warme und männliche Präsenz auf der Bank umhüllt mich. Ich habe das Bedürfnis, mich zu ihm umzudrehen und an seine Brust zu schmiegen. «Also, falls ich dem Deal zustimmen sollte, darf ich dich zu einem Abenteuer begleiten?»

«Woher wusstest du, dass ich es ein Abenteuer nenne?»

Die Grübchen erscheinen wieder. «Es kommt mir wie etwas vor, das du sagen würdest.» Er denkt offenbar über die Bedingungen des Deals nach. «Und was ist mit dem Rest der Liste? Alles oder nichts.»

Ich straffe die Schultern. Ich bin mir nicht sicher, ob es eine bewusste Bewegung von ihm ist oder nicht, aber er legt die ganze Hand auf meinen Nacken und streicht mit dem Daumen in mein Haar. Mir stockt der Atem. «Hast du denn gar nichts aus der Geschichte mit der Schachtrophäe gelernt? Wenn du dir zu viel wünschst, tut sich unter dir ein Gullyschacht auf und verschluckt dich.»

Er atmet scharf aus. «Gott, du bist so verdammt süß, Katie. Wie lange soll ich noch so tun, als würde ich dich nicht hier und jetzt küssen wollen, bis du nicht mehr aufrecht sitzen kannst?»

Meine Knie pressen sich zusammen, um den Blitz abzuwehren, der zwischen meine Schenkel fährt. «So … so verhältst du dich, wenn du so tust, als ob? Echt? Mit der Massage und allem?»

«Du hast ja keine Ahnung, Snaps.» Sein Lachen klingt gequält, als er aufsteht und ein paar Schritte geht. Mein Nacken fühlt sich ohne die Berührung seiner Hand schrecklich kalt an. «Gut. Du hast deinen Deal. Ein Punkt auf der Liste, den ich mit dir zusammen erleben darf. Abgemacht. Fürs Erste.»

«Fürs Erste?»

Jack neigt den Kopf. «Du entschließt dich ja vielleicht später noch, mir mehr zu erzählen.»

«Kommt jetzt die Stelle, an der du mir sagst, dass du sehr überzeugend sein kannst?»

Er winkt mich mit einem Finger zu sich heran. «Wenn du mir schon Worte in den Mund legst, Süße, dann benutz doch deine Zunge dazu.»

Ich springe auf. «Okay. Das hier ist eine Nummer zu groß für mich.»

«Scheiße, Katie. Warte.» Mit gespreizten Fingern fährt er sich durch sein kurzes Haar. «Es tut mir leid. Ich bin derjenige, für den das hier eine Nummer zu groß ist. Die meisten Frauen sind nicht daran interessiert, sich mit mir auf einer Parkbank zu unterhalten, okay? Ich weiß nicht, was du von mir erwartest.»

«Ich hatte noch keine Zeit, um mir zu überlegen, was ich erwarte.»

«Geh nicht. Geh … einfach nicht.» Er lässt langsam die Hände sinken, als wollte er mich dazu bringen, mich wieder zu setzen, doch mein Herz hämmert wie verrückt und ich spiele ernsthaft mit dem Gedanken, wegzurennen. Ich dachte, ich hätte begriffen, wie hypnotisch und sexy Jack ist. Aber bis zu dem Moment, in dem er mich aufgefordert hat, meine Zunge zu benutzen, habe ich ihn unterschätzt. Ich habe diesen Mann erst vor einer halben Stunde kennengelernt und wünsche mir bereits, dass er mich ins Bett zerrt. Und für jemanden, der sich wegen einer harmlosen erotischen Phantasie mit dem olympischen Fackelträger aus Tonga schon schuldig gefühlt hat, ist das sehr viel auf einmal. Sehr viel.

Er könnte sich über mich lustig machen, weil ich noch Jungfrau bin. Sobald wir die Unbekümmertheit von zwei Fremden hinter uns gelassen hätten, könnte ich ihn enttäuschen. Und ich könnte … Ja, ich könnte beginnen, ihn zu mögen. Vielleicht mag ich ihn schon. Doch er lernt bestimmt unzählige Frauen kennen, die Zeit mit ihm verbringen wollen. Und das finde ich sehr einschüchternd.

«Danke, dass du mich in den Park begleitet hast, Jack …» Ich nehme meinen Rucksack von der Bank. «Aber ich muss gehen.»

«Scheiße. Ich hab’s echt versaut, oder? Du willst einfach verschwinden.»

Ich denke, es ist der hohle Klang seiner Stimme, der mich dazu bringt, herauszuplatzen: «Ich werde im Cherry Hill Fountain im Central Park tanzen. Morgen Abend.»

Er wird ganz still, und irgendwo in der Ferne erklingt das Heulen einer Sirene. Will das Universum mir damit sagen, dass ich die richtige Entscheidung getroffen habe, ihm meine Pläne mitzuteilen? Ich schätze, ich werde es herausfinden. «Das ist verboten, du könntest dafür verhaftet werden.»

«Dann könnte ich jemanden brauchen, der Schmiere steht.» Da haben wir es. Ich habe den Verstand verloren. Und als die Sorge in Jacks Miene von einem breiten, irgendwie piratenhaften Lächeln verdrängt wird, verschwinden auch noch die letzten zusammenhängenden Gedanken aus meinem Kopf … Mir schlägt das Herz bis zum Hals. «Wir sehen uns dann.»

«Einen Kuss.» Er macht einen Schritt nach vorn. Seine breite Brust hebt und senkt sich. «Ich weiß, dass ich zu viel verlange, Snaps. Aber ich fühle mich, als müsste ich sterben, wenn ich dich ohne einen Kuss gehen lasse.»

So fühle ich mich auch. Ich kann es nicht leugnen. Diese Anziehungskraft ist verdammt schlecht für meine geistige und körperliche Gesundheit. Wahrscheinlich taucht er morgen Abend nicht einmal auf. Seine Schauspielpartnerin in der romantischen Komödie wird ihn mit einer Einladung, irgendwo auf einer sonnigen Dachterrasse etwas zu trinken, ablenken, und ich … Ich werde wahrscheinlich niemals wieder die Chance bekommen, diesen umwerfend gut aussehenden Mann zu küssen. Dieser Trip nach New York ist nicht nur eine Aufstiegschance im Job, er ist auch die Gelegenheit, meine Komfortzone zu verlassen.

Tu es, Katie. Vergiss die Bedenken. Sei kein Feigling.

Was ist das Schlimmste, was passieren könnte?

«Bloß einen», flüstere ich.

Seine Augen beginnen zu glühen, als er zwei große Schritte macht und mich an sich zieht. Ich höre, wie mein Rucksack auf dem Boden landet. Und dann nehme ich nichts anderes mehr wahr als Jacks Mund.

Was ist das Schlimmste, was passieren könnte?

Er könnte mich küssen, als würde mein Geschmack ihn befreien. Und genau das tut er. Eine große, starke Hand liegt an meinem Hinterkopf, die andere an meiner Wange. Er neigt meinen Kopf so sacht, dass ich nicht mit seinem gierigen Hunger rechne. Aber er verschlingt mich, seine Zunge dringt in mich ein, geschmeidig, sündhaft. Die Kraft der Empfindungen lässt mich zurücktaumeln. Jack folgt mir, ragt über mir auf, stöhnt in meinen Mund, nimmt, saugt auf, fordert mehr. Er hält mich fest, und seine Lippen erobern meinen Mund. Er ist der böse Wolf, und ich bin die Beute, die ihm in die Falle gegangen ist. Nur nehme ich es nicht wie eine gute Beute einfach so hin. Nach dem ersten Schreck über die Flut der Empfindungen stürze ich mich willentlich in sie hinein.

Ich packe den Stoff von Jacks Sweatshirt und drücke beinahe flehentlich den Rücken durch. Er reagiert prompt und schmiegt seinen harten Schoß an meinen weichen. Sein Atem streicht über meine Lippen, während sich unsere Körper aneinander reiben. Er zieht die Augenbrauen zusammen, als würde er Schmerz empfinden.

«Mehr, Katie. Bitte, ich …»

Ich zerre ihn wieder an mich und bringe ihn mit meinem Kuss zum Schweigen. Mit seinen Händen, die Sehnsucht und Verlangen in mir auslösen, streicht er meine Seiten hinunter, packt meine Hüfte und zieht mich auf die Zehenspitzen. Er drängt seine Erektion gegen mich. An der Art, wie er mich jetzt küsst, ist nichts Zurückhaltendes oder Sanftes mehr, und ich stelle mir vor, dass er eine Frau auch so küsst, wenn er in sie eindringt. Er überwältigt einfach ihre Sinne, bis sie bloß noch Lust und Verlangen empfindet und ihn alles machen lässt, was er will.

Und ich habe mir Gedanken darüber gemacht, mir vor ihm eine Strickjacke überzuziehen.

Vielleicht ist es lächerlich – vielleicht bin ich lächerlich –, aber das ist der Gedanke, der mich dazu bringt, mich von Jack zu lösen. Gierig sauge ich die kühle Nachtluft ein. Jack hat die Stirn an meine gelegt und dreht sie leicht hin und her, als würde er den Kopf schütteln. Oder als wollte er etwas leugnen. Ich weiß es nicht.

Irgendwie finde ich die Kraft, mich aus seiner Umarmung zu befreien. Ich bücke mich und hebe meinen Rucksack auf. «Nur um das mal festzuhalten», bringe ich atemlos hervor. «Das waren zwei Küsse. Sag also nicht, ich wäre nicht großzügig.»

Er sieht mich mit seinen grünen Augen an, und ich lese darin Entschlossenheit. «Wir sehen uns morgen, Snaps. Wage es ja nicht, daran zu zweifeln.»

Ich nicke. Die Hitze, die er verströmt, scheint nach mir greifen zu wollen, als ich an ihm vorbei zum Ausgang des Parks gehe. Während ich ein Taxi suche, spüre ich die ganze Zeit seine Blicke in meinem Rücken. Und ich frage mich, wie um alles in der Welt ich die harmlose Urlaubsaffäre mit einem Nerd von meiner Liste streichen soll, wenn Jack da ist und mich so küsst.

Kapitel 4

Jack

Es gibt doch nichts Besseres als Alkohol gegen einen Kater, oder?

Ich warte darauf, dass die Umkleidekabine sich leert, um einen letzten Schluck billigen Wodka mit Orangensaft aus meiner Wasserflasche zu nehmen, bevor ich sie wieder ins Regal stelle. Mein Kopf entspannt sich, und das Brennen in meinem Hals lässt nach. Ich bin wieder auf dem Damm. Es kommt sehr selten vor, dass ich mit einem Kater aufwache, aber ihr könnt euren Arsch darauf verwetten, dass ich mich gestern Abend nach dem Kuss im Park mit Katie hemmungslos betrunken habe.

Was zur Hölle ist passiert?

Sie bat mich, ihr eine Geschichte zu erzählen. Während ich sprach, hörte sie mir aufmerksam und neugierig bis zum Ende zu. Sie beobachtete mich, hielt die Luft an, wartete. Ich fing an, mich zu fragen, was ich sonst noch tun könnte, um ihr Interesse auch außerhalb des Bettes aufrechtzuerhalten.

Was soll ich deiner Meinung nach denn in dir sehen?

Nachdem sie mich mit ihren forschenden Fragen und ihrer aufrichtigen Verletzbarkeit entblößt hatte, ohne mir auch nur ein Kleidungsstück auszuziehen, wäre ich bereit gewesen, für diesen Kuss meine Nieren zu verkaufen. Beide. Vielleicht wollte ich unbedingt wieder zur Vernunft kommen, und der Kuss war der einzige Weg, um das zu erreichen. Ich meine, es konnte unmöglich so gut sein, wie ich es mir vorstellte. So vielversprechend wie ihr freches Lächeln, ihr Witz, ihr Esprit, ihre Intelligenz – und ihre perfekten Brüste. Doch der Kuss hatte mein Blut in Feuer verwandelt. Ich war davon überzeugt, dass wir den Abend auf jeden Fall nackt und verschwitzt beenden würden. Aber sie ging einfach weg und ließ mich dort mit wild hämmerndem Herzen und einem Ständer stehen, den ich erst nach sieben Whiskey-Shots wieder loswerden konnte.

Ich habe mich noch immer nicht erholt. Ich zähle die Minuten, bis ich sie wiedersehen kann. Ich will diesen ruhigen und dennoch neugierigen Blick wieder auf mir spüren und ihn festhalten. Und dieses Mal länger. Der verdammte Kuss hat mich so aus der Bahn geworfen, dass ich mir letzte Nacht nicht einmal ihre Telefonnummer oder den Namen ihres Hotels habe geben lassen. Wenn sie heute Abend nicht auftaucht, habe ich keine Ahnung, was ich tun soll. Facebook ist natürlich eine Option, aber es gibt bestimmt fünftausend Katies in Irland. Aber nur eine von ihnen macht mich nervös und weckt Sehnsucht in mir.

Das wird schon wieder vergehen. Diese Nervosität, diese Sehnsucht. Sobald wir im Bett landen und ich sie gevögelt habe, bin ich wieder der gute alte Jack, der nichts und niemanden ernst nimmt. Der Absturz nach Katie mag härter sein als sonst, doch sie ist es allemal wert.

Obwohl … Was wäre, wenn ich mich nach dem Sex mit Katie nicht wie Scheiße fühlen würde? Manchmal glaube ich, dass die Reue nach dem Sex etwas ist, in das ich mich absichtlich flüchte. Was wäre, wenn das aufhören würde?

Vielleicht fühle ich mich mit Katie danach nicht benutzt und schlecht. Vielleicht ist das möglich?

Mein Magen zieht sich zusammen. Will ich mich denn danach überhaupt gut fühlen?

Überall Hände, mein Kopf umnebelt vom Duft blumigen Parfüms, leises Gelächter, schweres Atmen.

Die Bilder treffen mich vollkommen unvermittelt, und meine Hand schießt in den Spind, schließt sich um die Wodkaflasche und zieht sie heraus. Ich zittere, als ich die Flasche an die Lippen setze.

«Garrett.» Danikas Stimme knallt wie ein Peitschenschlag durch die Kabine und reißt mich aus meinen hässlichen Gedanken. Meine älteste Freundin aus Kindertagen steht im Eingang der Männerumkleide – die Frau kennt keine Grenzen – und sieht mich mit leicht schräg gelegten Kopf und der wütend verzogenen Miene an, die sie so gut beherrscht. «Das Training beginnt gleich. Brauchst du eine schriftliche Einladung?»

«Eine einfache E-Mail sollte eigentlich reichen», witzele ich mit der Flasche an den Lippen und nehme noch einen großen Schluck.

«Ich lach mich tot.» Sie verschränkt die Arme vor der Brust und zeigt mir deutlich, dass sie nicht in der Stimmung für meinen Mist ist. Früher hat es viel länger gedauert, bis sie sauer wurde, doch in letzter Zeit scheint sie gereizt zu sein und schneller die Geduld mit mir zu verlieren. Wir wohnten als Kinder im selben Gebäude in der 10th Avenue und waren bereits drei Jahre lang befreundet, bevor ich den Mut fand, ihr zu erzählen, warum ich sie nie zum Spielen zu mir eingeladen hatte. Aber sie war bereits dahintergekommen, womit meine Mutter sich ihren Lebensunterhalt verdiente. Während ich also dasaß und wie ein Fisch auf dem Trockenen den Mund auf- und zuklappte, boxte sie mir gegen die Schulter und meinte, sie würde höher zielen, falls ich je wieder was vor ihr verheimlichen würde.

Danika ist neben meiner Mutter der einzige Mensch, den ich liebe. Diese Liebe ist bedingungslos. Das heißt, dass ich mich bloß ihr zuliebe jeden verdammten Tag zusammenreiße und in die Polizeiakademie gehe. Als ihr erster Freund ihr im Streit «aus Versehen» einen Kinnhaken verpasste, band ich ihn in Unterwäsche an einen Hydranten auf dem West Side Highway. Zwei Wochen später spannte ich ihm seine neue Freundin aus.

Ich erzähle jedem, der es wissen will, dass Danika meine Schwester ist. Niemand glaubt mir, weil sie aus Kolumbien stammt, doch das ist mir egal. Ich empfinde es eben so.

Und in diesem Moment scheint meine Schwester mich gerade umbringen zu wollen.

«Stell den Scheiß weg.» Sie würde am liebsten ungeduldig mit dem Fuß auf den Boden tippen. Ich kann es ihr ansehen. «Würde es dich umbringen, wenigstens ab und zu mal pünktlich zum Training zu erscheinen, ohne hier abgeholt werden zu müssen?»

Ich mache die Tür zu meinem Spind zu und begebe mich Richtung Ausgang. Als ich auf Danika zugehe, werfe ich ihr einen Dackelblick zu. «Oh, sei doch nicht so gemein zu mir, D.» Als sie sich nicht rührt und in der Tür stehen bleibt, tippe ich ihr sacht auf die Nasenspitze. «Vielleicht gehe ich nicht gern allein.»

Seufzend presst sie die Lippen aufeinander und schiebt die Hand in die Tasche ihrer Uniformhose. Im nächsten Moment steckt sie mir ein Pfefferminzbonbon in den Mund. «Du solltest inzwischen wissen, dass ich nicht auf dein Hilfloser-Junge-Theater reinfalle.»

«Du hältst das für Theater?»

«Früher schon.» Sie beißt sich auf die Unterlippe und sieht aus, als wollte sie noch mehr sagen. Doch als ihr Blick auf die Uhr an der Wand hinter meiner Schulter fällt, flucht sie: «Wir haben keine Zeit für diesen Mist. Beweg deinen Hintern.» Ich folge ihr durch den Korridor in die Sporthalle und muss mich an der Wand abstützen, als meine Füße mir nicht richtig gehorchen wollen. «Lieutenant Burns stellt uns heute einen neuen Ausbilder vor und verhält sich ziemlich enigmatisch.»

«Cool, cool. Und enigmatisch heißt …»

«Geheimnistuerisch.»

«Das wusste ich.» Ich zwinkere ihr zu, als sie mir über ihre Schulter hinweg einen genervten Blick zuwirft. «Wann ist der Lieutenant nicht geheimnistuerisch?»

Danika bleibt vor der geschlossenen Tür zur Sporthalle stehen und strafft die Schultern. «Woher soll ich das wissen? Ich achte nicht darauf, was der Mann so macht.»