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Die Autorinnen zeigen, wie präventiv sprachfördernde Maßnahmen in den Regelschulunterricht integriert werden können, aber auch, wie man für Kinder mit Sprachstörungen oder Mehrsprachigkeit einen sprachtherapeutischen Unterricht gestalten kann. Anhand vieler praktischer Beispiele erläutern sie Methoden aus Bereichen wie Aussprache, Wortschatz und Grammatik. Konkrete Unterrichtsbeispiele und wertvolle Hinweise zu sprachdiagnostischen Verfahren runden die Darstellung ab und machen das nun bereits in 5. Auflage erschienene Buch zu einem unentbehrlichen Fundus für Praktiker, die Kindergruppen ein lernförderliches Umfeld für die Sprachentwicklung bieten wollen.
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Seitenzahl: 286
reinhardt
Dr. Karin Reber ist Beratungsrektorin im Förderschuldienst (Sprachheilpädagogik, Informatik) und akademische Sprachtherapeutin (Sprachheilpädagogin M. A.) in München.
Dr. Wilma Schönauer-Schneider ist Professorin für Sprachbehindertenpädagogik an der Pädagogischen Hochschule Heidelberg.
Außerdem im Ernst Reinhardt Verlag erschienen:
Reber, K.: Prävention von Lese- und Rechtschreibstörungen im Unterricht. Systematischer Schriftspracherwerb von Anfang an (2. überarb. Aufl. 2017, ISBN: 978-3-497-02674-6)
Reber, K., Schönauer-Schneider, W.: Sprachförderung im inklusiven Unterricht. Praxistipps für Lehrkräfte (2., aktualisierte Aufl. 2020, ISBN 978-3-497-03009-5)
Hinweis
Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnungen nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http://dnb.d-nb.de> abrufbar.
ISBN 978-3-497-03113-9 (Print)
ISBN 978-3-497-61561-2 (PDF-E-Book)
ISBN 978-3-497-61588-9 (EPUB)
ISSN 1868-3959
5., aktualisierte Auflage
© 2022 Ernst Reinhardt, GmbH & Co KG, Verlag, München
Dieses Werk, einschließlich aller seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne schriftliche Zustimmung der Ernst Reinhardt GmbH & Co KG, München, unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen in andere Sprachen, Mikroverfilmungen und für die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Der Verlag Ernst Reinhardt GmbH & Co KG behält sich eine Nutzung seiner Inhalte für Text- und Data-Mining i.S.v. § 44b UrhG ausdrücklich vor.
Printed in EU
Coverbild unter Verwendung eines Fotos von © creative studio – Fotolia.com
Satz: Arnold & Domnick, Leipzig
Ernst Reinhardt Verlag, Kemnatenstr. 46, D-80639 München
Net: www.reinhardt-verlag.de E-Mail: [email protected]
Einleitung
1 Sprachheilpädagogischer Unterricht
1.1 Was ist sprachheilpädagogischer Unterricht?
1.2 Konzept
1.3 Zielgruppe
1.4 Unterrichtsprinzipien
2 Sprachheilpädagogische Unterrichtsplanung: Das Münchener Modell
2.1 Sprachliche Voraussetzungen und Folgen
2.2 Intention
2.3 Inhalt
2.4 Interaktion
2.5 Organisation
2.6 Medien
2.7 Methoden
3 Baustein Lehrersprache (störungsübergreifend)
3.1 Allgemeine Merkmale
3.2 Modellierungstechniken
3.3 Impuls- und Fragetechnik
4 Baustein Metasprache (störungsübergreifend)
4.1 Techniken metasprachlichen Arbeitens
4.2 Umgang mit Fachbegriffen
5 Baustein Handlungsbegleitendes Sprechen (störungsübergreifend)
6 Bausteine zur Aussprache
6.1 Grundlagen
6.2 Diagnostik
6.3 Prävention im Unterricht
6.4 Sprachtherapeutische Intervention im Unterricht
Baustein Phonetik 1: Lehrersprache und Modellierungstechniken
Baustein Phonetik 2: Mundmotorische Übungen
Baustein Phonetik 3: Auditive Analyse des Lautes
Baustein Phonetik 4: Anbahnung und Stabilisierung auf Lautebene
Baustein Phonetik 5: Verbindung mit anderen Lauten (Silben- und Wortebene)
Baustein Phonetik 6: Einbau in die Spontansprache
Baustein Phonetik 7: Stabilisierung und Transfer
Baustein Phonetik 8: Visualisierung
Baustein Phonologie 1: Modellierungstechniken
Baustein Phonologie 2: Einsatz von Minimalpaaren
Baustein Phonologie 3: Einsatz von Referenzkarten für Lautmerkmale
Baustein Phonologie 4: Verwendung von Lautsymbolen
Baustein Phonologie 5: Metasprachliche Hilfe: Schrift
7 Bausteine zum Wortschatz
7.1 Grundlagen
7.2 Diagnostik
7.3 Prävention im Unterricht
7.4 Sprachtherapeutische Intervention im Unterricht
Baustein Wortschatz 1: Elaborationstraining auf der Inhaltsebene (Lemma)
Baustein Wortschatz 2: Elaborationstraining auf der Formebene (Lexem)
Baustein Wortschatz 3: Abruftraining
Baustein Wortschatz 4: Strategietraining
Baustein Wortschatz 5: Wortbedeutung im Kontext (Kollokationen, Metaphern)
Baustein Wortschatz 6: Selbstmanagement
Baustein Wortschatz 7: Fachbegriffe
7.5 Rahmenhandlungen und Rituale im Unterricht
8 Bausteine zur Grammatik
8.1 Grundlagen
8.2 Diagnostik
8.3 Prävention im Unterricht
8.4 Sprachtherapeutische Intervention im Unterricht
Baustein Grammatik 1: Interaktionen gestalten und Formate schaffen
Baustein Grammatik 2: Lehrersprache und Modellierungstechniken
Baustein Grammatik 3: Modalitätenwechsel
Baustein Grammatik 4: Metasprache
Baustein Grammatik 5: Übung und Transfer in die Spontansprache
8.5 Prototypische Unterrichtskontexte, Rahmenhandlungen und Rituale
9 Bausteine zum Sprachverständnis
9.1 Grundlagen
9.2 Diagnostik
9.3 Prävention im Unterricht
9.4 Sprachtherapeutische Intervention im Unterricht
Baustein Sprachverständnis 1: Training metasprachlicher Fähigkeiten: Monitoring des Sprachverstehens (MSV)
Baustein Sprachverständnis 2: Intervention auf der Wortebene
Baustein Sprachverständnis 3: Intervention auf der Satzebene
Baustein Sprachverständnis 4: Intervention auf der Textebene
10 Konkrete Unterrichtsplanung mit dem Münchener Modell
10.1 Voraussetzungen der Schüler
10.2 Lernziele (Intention)
10.3 Auswahl einer Bildergeschichte und deren Vorbereitung (Inhalt)
10.4 Ableiten der individuellen Förderziele (Intention)
10.5 Sequenz zur Bildergeschichte (Inhalt)
10.6 Vorüberlegungen zur sprachheil-pädagogischen Umsetzung (Methoden)
10.7 Grobplanung (Interaktion und Organisation)
10.8 Unterrichtsverlauf (1. Stunde)
10.9 Tafelbild
10.10 Verwendete Materialien (Medien)
Ausblick
Literatur
Sachregister
Hinweise zur Verwendung der Icons
Literaturhinweise (print)
Praxis- oder Arbeitsmaterial
Informationen im Internet
Fallbeispiel / Beispiel
Kinder im Vorschul- und Schulalter zeigen immer häufiger eingeschränkte sprachliche Kompetenzen (vgl. PISA-Studien, Sprachstandsmessungen im Kindergartenalter). Sprachliche Defizite führen zu geringeren Lernerfolgen und Frustrationen im Schulalltag. Vor diesem Hintergrund entstand die Forderung, dass Lehrer die sprachlichen Fähigkeiten der Schüler intensiver in einem besonders aufbereiteten Unterricht fördern. Doch wie sieht ein derartiger Unterricht konkret aus?
In der Literatur gibt es viele theoretische Konzepte und Modelle zum Unterricht für Kinder mit Sprachstörungen (z. B. Braun alll 2004). Diesen Konzepten fehlt jedoch häufig die enge Verzahnung mit der Praxis bzw. eine empirische Überprüfung im Schulalltag (u. a. Baumgartner 1997; 2006). In den vorrangig wissenschaftlichen Abhandlungen überwiegen modellhafte Beschreibungen von Unterrichtsdimensionen und begriffliche Diskussionen, ob ein derartiger Unterricht als sprachfördernd, sprachtherapeutisch, therapieimmanent etc. zu bezeichnen ist.
Wir haben uns für den Begriff des sprachheilpädagogischen Unterrichts entschieden, der den pädagogischen und heilpädagogischen Bezug betont und Förderung und Therapie gleichermaßen einbezieht. Unser Anliegen ist neben einer Darstellung der Grundlagen vor allem die Verzahnung mit der Praxis.
Für Kinder mit grammatikalischen Störungen existiert bereits das Konzept der Kontextoptimierung, das im sprachheilpädagogischen Unterricht effektiv angewendet wird (Motsch 2017; Berg 2011). Sprachheilpädagogische Maßnahmen für andere Sprachbereiche (Aussprache, Wortschatz etc.) sind jedoch meist auf die Individualtherapie ausgerichtet und nur eingeschränkt auf Gruppen und Unterricht übertragbar.
Im vorliegenden Buch erläutern wir deshalb umfassend Bausteine eines sprachheilpädagogischen Unterrichts für die wichtigen sprachlichen Bereiche Aussprache, Wortschatz, Grammatik und Sprachverständnis.
Zielgruppe sind vor allem Praktiker, d.h. Lehrer an Grund-, Förder- und Sprachheilschulen sowie Studierende dieser Lehrämter, die ihren Unterricht unter spezifisch sprachheilpädagogischen Aspekten planen und durchführen.
Konkrete Fördermaßnahmen, Beispiele und Praxistipps für Sprachförderung in inklusiven Settings finden sich in Reber / Schönauer-Schneider 2020, Lüdtke / Stitzinger 2017 oder Mußmann 2012.
In den ersten beiden Kapiteln beschreiben wir Grundlagen für den sprachheilpädagogischen Unterricht und erläutern die sprachheilpädagogische Unterrichtsplanung nach dem Münchener Modell.
Das Münchener Modell orientiert sich mit seinen sechs Dimensionen an bereits bestehenden theoretischen Modellen. Wir führen die Theorie in diesem Buch jedoch im Sinne der Praxis weiter: Zu jeder Dimension werden praktische Umsetzungsmöglichkeiten und Unterrichtsbeispiele aufgezeigt.
Den Schwerpunkt bilden methodische sprachheilpädagogische Bausteine in den einzelnen Sprachbereichen. In den Kapiteln 3 bis 5 werden störungsübergreifende Methoden (Lehrersprache, Metasprache, handlungsbegleitendes Sprechen) beschrieben, die vielfältig anwendbar sind.
Störungsspezifische Methoden zu den Sprachbereichen Aussprache, Wortschatz, Grammatik und Sprachverständnis werden in den Kapiteln 6 bis 9 erläutert und mit zahlreichen Unterrichtsbeispielen illustriert. Eine frühe sprachliche Förderung von Risikokindern kann Folgeerscheinungen wie Lernstörungen oder psychosoziale Auffälligkeiten verhindern. In diesem Sinne gliedern wir jeden Bereich in sprachliche Prävention bei gefährdeten Kindern und Intervention für die Arbeit mit sprachbehinderten Kindern.
Die praktische Umsetzung erfolgt vorrangig in Form von Bausteinen, da eine rezeptartige, starre Anwendung der Methoden im Unterricht wenig praktikabel und für die Kinder ineffektiv ist. Die angegebenen Bausteine müssen vielmehr für die eigene Klasse und einzelne Schüler ausgewählt und adaptiert werden.
Häufig bemängeln Kritiker, dass zwar einzelne Dimensionen der Unterrichtsplanung mit praktischen Beispielen erläutert sind, eine Zusammenführung dieser jedoch ausbleibt. In Kapitel 10 zeigen wir deshalb am Beispiel einer Bildergeschichte, wie eine sprachheilpädagogische Unterrichtsplanung konkret in allen Dimensionen realisiert werden kann.
Zur besseren Lesbarkeit sind personenbezogene Bezeichnungen in männlicher Form dargestellt, beziehen sich aber in gleicher Weise auf alle Geschlechter.
Die vollständigen Quellenangaben der praxisrelevanten Literatur befinden sich jeweils am Ende der einzelnen Kapitel und nicht im gesamten Literaturverzeichnis.
Definition
„Generell handelt es sich beim sprachheilpädagogischen Unterricht um einen Oberbegriff zur Förderung und Therapie in schulischen Institutionen, der auf die Sprache des Kindes zentriert ist und durch Individualtherapie zu ergänzen ist“ (Grohnfeldt / Schönauer-Schneider 2020, 265).
Aus heutiger Sicht ist sprachheilpädagogischer Unterricht nicht mehr mit sprachtherapeutischem Unterricht gleichzusetzen, sondern umfasst als Oberbegriff sowohl Maßnahmen der Sprachförderung als auch spezifisch sprachtherapeutischen Unterricht. Diese beiden Unterformen bilden Extreme eines Kontinuums sprachheilpädagogischen Wirkens zur Prävention und Intervention im Unterricht (Abb. 1).
Definition
Maßnahmen der Sprachförderung sind unspezifisch. Sie sind Basis und Entwicklungsbegleitung für alle Kinder (vgl. dbs 2007) und dienen in erster Linie der Prävention von Sprachstörungen.
Abb. 1: Sprachheilpädagogischer Unterricht als Oberbegriff
Sprachförderung
Der Lehrer benötigt zur Sprachförderung keine grundständige Ausbildung im Bereich Sprache, sollte sich aber durch entsprechende Fortbildungsmaßnahmen über Möglichkeiten der Sprachförderung im Unterricht qualifizieren. Sprachförderung wird durchgeführt von Erziehern in Kindergärten, von Lehrern in Regelschulklassen, von Lehrern für Deutsch als Zweitsprache in Sprachlernklassen, von Sonderschullehrern in Sonderbzw. Förderschulen etc.
Sprachtherapeutischer Unterricht
Haben sich bei Schülern jedoch bereits Sprachstörungen ausgebildet, reicht eine allgemeine Sprachförderung im Unterricht nicht mehr aus. Die Kinder benötigen einen sprachtherapeutischen Unterricht, d. h. spezifische Interventionsmaßnahmen, die aus dem sprachtherapeutischen Bereich stammen. Sprachtherapeutischer Unterricht orientiert sich an den individuellen sprachlichen Bedürfnissen einzelner Schüler und kann nur auf der Basis einer sprachlichen Förderdiagnostik von einer spezifisch im Bereich Sprachheilpädagogik und / oder Sprachtherapie ausgebildeten Lehrkraft umgesetzt werden. In Analogie zu Dannenbauers (1997b, 168) Definition von Sprachtherapie kann sprachtherapeutischer Unterricht wie folgt umschrieben werden:
Definition
Sprachtherapeutischer Unterricht umfasst
(1) jene spezifischen Interaktionssequenzen,
(2) die von einem entsprechend sachkundigen Lehrer
(3) in zielgerichteter, planvoll auf der Basis einer sprachlichen Förderdiagnostik strukturierter und wissenschaftlich begründeter Weise
(4) in schulischen Institutionen organisiert werden,
(5) um eine Person mit erwarteter oder bereits eingeschränkter sprachlicher Handlungsfähigkeit
(6) mit dem Ziel der Prävention, Überwindung bzw. Besserung und Kompensation sprachlicher Defizite zu unterstützen.
Sprachtherapeutischer Unterricht ist generell durch sprachliche Individualtherapie zu ergänzen und hinsichtlich seiner Effizienz immer wieder zu überprüfen.
Jeder sprachheilpädagogische Unterricht umfasst sowohl allgemeine, unspezifische sprachfördernde Maßnahmen (z. B. Wortschatzarbeit als Unterrichtsprinzip, umsichtige Gestaltung der Lehrersprache) als auch Anteile spezifisch sprachtherapeutischen Unterrichts (z. B. Integration therapeutischer Maßnahmen zur Verbzweitstellung für ein Kind der Klasse, das diese gerade erwerben soll).
Von obigem Begriffsverständnis leitet sich stringent das diesem Buch zugrunde liegende Konzept des „sprachheilpädagogischen Unterrichts“ ab. Es umfasst zu jedem der dargestellten sprachlichen Lernbereiche folgende Methoden:
1. Methoden der Prävention: unspezifische Maßnahmen zur Sprachförderung sowie
2. Methoden der Intervention: Methoden und Bausteine sprachtherapeutischen Unterrichts
Prävention
Präventive Sprachfördermaßnahmen sollten immer dann eingesetzt werden, wenn einer Gruppe Kinder mit Risikofaktoren im Bereich Sprache angehören (z. B. mehrsprachige oder sprachschwache Kinder), was in jeglichen Bildungseinrichtungen möglich ist. Diese Kinder benötigen ein besonders sprachanregendes Milieu, damit die Entstehung einer Sprachbehinderung verhindert werden kann.
Sprachheilpädagogischer Unterricht
Sprachförderung
Sprachtherapeutischer Unterricht
Ziel: Prävention
Ziel: Intervention
unspezifische Maßnahmen
spezifische sprachtherapeutische Maßnahmen auf der Basis einer individuellen sprachlichen Förderdiagnostik
durchgeführt von Pädagogen
durchgeführt von Pädagogen mit vertiefter Qualifikation im Bereich Sprache
an jeglichen Bildungseinrichtungen (Kindergärten, Regelschulen, Förderschulen, …)
an Bildungseinrichtungen, in denen Lehrer mit differenziertem sprachtherapeutischem Wissen tätig sind (momentan v. a. Förderschulen, aber auch Regelschulen, …)
für Kinder mit Risikofaktoren im Bereich Sprache
für Kinder mit Sprachbehinderungen
Abb. 2: Sprachförderung und sprachtherapeutischer Unterricht
Intervention
Für Kinder mit bereits entwickelten Sprachbehinderungen (Sprach-, Sprech-, Stimm- und Schluckstörungen) bzw. Schriftsprachstörungen sind derartige unspezifische Maßnahmen in der Regel jedoch nicht mehr ausreichend. Sie benötigen einen spezifischen sprachtherapeutischen Unterricht, der von Pädagogen mit einer vertieften Qualifikation im Bereich Sprache durchgeführt wird. Hier sollten spezifische sprachtherapeutische Interventionen auf der Basis einer individuellen sprachlichen Förderdiagnostik integriert werden. Die Grundvoraussetzungen für diesen an der Sprache orientierten Unterricht sind derzeit insbesondere an Förderschulen oder inklusiven Einrichtungen gegeben, da dort Sprachheillehrer neben präventiven Sprachförderphasen auch spezifisch sprachtherapeutische Maßnahmen in ihren Unterricht integrieren. Durch dieses Buch wollen wir einen Beitrag dazu leisten, dass sprachheilpädagogischer Unterricht – insbesondere durch präventive Maßnahmen – einer größeren Zahl von Kindern zugute kommen kann.
Sprachheilpädagogischer Unterricht unterstützt einerseits Kinder mit Risikofaktoren im Bereich Sprache und andererseits Kinder mit Sprachbehinderungen. Im Folgenden werden diese Zielgruppen näher beschrieben.
Studien zu sprachlichen Fähigkeiten
1. Kinder mit Risikofaktoren im Bereich Sprache: In den PISA-Studien schnitten Schüler mit niedrigem sozioökonomischen Status und / oder Migrationshintergrund besonders schlecht in ihren Leseleistungen ab. Als ausschlaggebend dafür wird v. a. eine mangelnde Beherrschung der deutschen Sprache gesehen (Klieme 2010). Alarmierend sind ferner Zahlen aus Sprachstandsmessungen im Vorschulbereich. Kurz vor der Einschulung weisen teilweise bis zu 45 % der Kinder sprachliche Leistungen auf, die einer Förderung und / oder Therapie bedürfen (Siegmüller et al. 2007).
sprach- und schriftfernes Milieu
Viele Kinder aus sprach- und schriftfernem Milieu sowie mit Migrationshintergrund benötigen demnach sprachfördernde Maßnahmen im Unterricht. Präventive Sprachförderung zielt für diese große Zielgruppe im Grundschulbereich darauf ab, Folgeerscheinungen wie Schriftspracherwerbsstörungen und abfallende schulische Leistungen durch Sprachverständnisprobleme und geringe Kenntnisse in den Bereichen Aussprache (z. B. fehlende Lautunterschiede, in der jeweiligen Muttersprache), Wortschatz und Grammatik zu verhindern oder zumindest zu verringern.
Beschreibung der spezifischen Sprachentwicklungsstörung
2. Kinder mit Sprachstörungen / Sprachbehinderungen: Viele Autoren (u. a. Grimm 2012) gehen davon aus, dass 6–8 % aller Kinder eine spezifische Sprachentwicklungsstörung (SSES) aufweisen. „Spezifisch“ bedeutet, dass vorrangig die Sprache gestört ist und keine anderen Primärbeeinträchtigungen vorhanden sind, die Art und Ausmaß der Störung erklären können: Die Kinder haben keine sensorischen Beeinträchtigungen (Sehen, Hören), keine erkennbaren neurologischen Schädigungen, keine mentale Retardierung (d. h. weitgehend normale Intelligenz) und keine sozio-emotionalen Auffälligkeiten (z. B. Autismus). Die Definition von SSES erfolgt über diese Ausschlusskriterien (Grimm 2012) und wird derzeit stark diskutiert (u. a. Kauschke et al. 2019). Kinder mit SSES sind keine einheitliche Gruppe. Sie zeigen individuelle Probleme meist auf mehreren Sprachebenen. Im Vorschul- und Schulalter sind grammatikalische Defizite am auffälligsten, weshalb diese Störung früher auch als „Dysgrammatismus“ bezeichnet wurde. Untersucht man die Kinder jedoch genauer, so stellt man fest, dass Dysgrammatismus ein Teilsymptom neben weiteren Schwierigkeiten in der Aussprache, im Wortschatz, in der Kommunikation und im Sprachverständnis darstellt. Einige Kinder zeigen Störungen nur auf einer Sprachebene (z. B. Semantik).
langfristige Auswirkungen
Eine SSES ist eine andauernde Störung mit langfristigen Auswirkungen auf das Jugend- und Erwachsenenalter (Dannenbauer 2002a). Schüler mit SSES brauchen deshalb einen sprachheilpädagogischen Unterricht mit Prävention und Intervention in den Bereichen Aussprache, Wortschatz, Grammatik, Sprachverständnis und stellen somit dessen Hauptzielgruppe dar. Diese Kinder werden in Sprachheilschulen, Förderzentren, inklusiven Einrichtungen und Regelgrundschulen unterrichtet.
Lernschwierigkeiten
Sprachstörungen treten häufig in Kombination mit Lern- und Verhaltensauffälligkeiten auf. Insbesondere Schüler mit Lernschwierigkeiten haben meist ähnliche Probleme im Bereich Sprache wie Kinder mit SSES, werden jedoch aufgrund der Ausschlusskriterien nicht zu dieser Gruppe gezählt. Die sprachlichen Defizite sind vorrangig in den Bereichen Wortschatz, Grammatik und Sprachverständnis zu beobachten. Aus Sprachstörungen können sich auch Lernschwierigkeiten entwickeln. Studien belegen ein Absinken des nonverbalen Intelligenzquotienten bei Schülern mit Sprachstörungen im Laufe der Schulzeit von bis zu 20 Punkten (Dannenbauer 2001a; Theisel et al. 2021), d. h. ein Schüler, der im Vorschulalter einen nonverbalen Intelligenzquotienten von 100 hatte, rutscht allmählich auf bis zu 80 ab und kann als „lernbehindert“ eingestuft werden. Sprachliche Prävention und Intervention im Unterricht sind deshalb bei lernbeeinträchtigten Schülern besonders wichtig, da eine Sprachstörung primär verantwortlich sein könnte.
Verhaltensauffälligkeiten
Aus einigen Sprachstörungen (v. a. im Bereich Sprachverständnis) können Verhaltensauffälligkeiten entstehen, die sich im Schulalter verstärken. Manchen verhaltensauffälligen Schülern bereitet es Schwierigkeiten, Sprache im Unterricht zu verstehen und umzusetzen. Sie schalten beispielsweise ab oder zeigen Störverhalten. Gezielte Maßnahmen aus dem Bereich Sprachverständnis sind für diese Kinder hilfreich.
Schriftspracherwerbsstörungen
Kinder mit Sprachstörungen entwickeln gehäuft auch Schriftspracherwerbsstörungen. Dieser Bereich muss deshalb im sprachheilpädagogischen Unterricht besonders beachtet werden.
Siegmüller, J., Bartels, H. (Hrsg.) (2017): Leitfaden Sprache Sprechen Stimme Schlucken. 5. Aufl. Elsevier, München
Sprachheilpädagogischer Unterricht legt einen besonderen Schwerpunkt auf sprachliche Lernprozesse. Deshalb werden in besonderem Maße übergreifende Unterrichtsprinzipien umgesetzt, die helfen, ein sprachförderndes Lernumfeld zu gestalten:
Zusammenfassung
Übergreifende Unterrichtsprinzipien
Primat der SprachlernprozesseMultiperformanzprinzipProzess- und FörderdiagnostikGestaltung eines sprachlich-kommunikativen MilieusVerbesserung des SelbstwertgefühlsSprachgestörte Kinder haben häufig geringe sprachliche Ausdrucksmöglichkeiten, u. a. einfache, rigide Satzmuster, unorganisierte und unzusammenhängende narrative Strukturen sowie Wortfindungsschwierigkeiten (vgl. Dannenbauer 2002a). Über ganzheitliche basale Förderung hinaus sind spezifisch sprachliche Hilfestellungen und Maßnahmen nötig, um den Spracherwerb voranzubringen.
Primat der Sprachlernprozesse
Nach dem Primat der Sprachlernprozesse werden alle Gestaltungsfelder (Inhalte, Methoden, Medien) in allen Unterrichtsfächern nachhaltig genutzt, um die (gestörte) sprachliche Kommunikation der Schüler zu verbessern.
Multiperformanzprinzip
Im Sinne des Multiperformanzprinzips sollen sprachliche Strukturen (z. B. neue Begriffe) auf vielfältige Weise in verschiedenen Modalitäten geübt werden: Die Schüler üben diese zu verstehen (Rezeption), nachzugestalten (Reproduktion), selbst aktiv zu gestalten (Produktion), zu reflektieren (Metasprache) sowie schriftlich zu gebrauchen (Lesen, Schreiben) (Dannenbauer 2002b).
Prozess- und Förderdiagnostik
Eine gezielte Auswahl von sprachheilpädagogischen Maßnahmen ist nur durch eine genaue Kenntnis des Sprachstands (Prozess- und Förderdiagnostik) möglich.
sprachlich-kommunikatives Milieu
Aufgrund von kommunikativen Misserfolgen fehlt diesen Kindern meist die Motivation, sich sprachlich zu äußern und sich in ein Unterrichtsgespräch einzubringen. Ein wichtiger Baustein der Sprachförderung im Unterricht ist deshalb „die Gestaltung des sprachlich-kommunikativen Milieus“ im Sinne eines „sprachschaffenden Unterrichts“ (Dannenbauer 1998, 90), in dem möglichst viele Unterrichtssituationen zur gezielten Versprachlichung genutzt werden.
Selbstwertgefühl
Durch die Adaption der Sprachumgebung an die Fähigkeiten der Kinder erfahren diese Erfolgserlebnisse und können dadurch ihr Selbstwertgefühl steigern. Gezieltes und häufiges Lob durch den Lehrer unterstützt die emotionale Stabilität von sprachgestörten Kindern.