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Diplomarbeit aus dem Jahr 2002 im Fachbereich Pädagogik - Schulwesen, Bildungs- u. Schulpolitik, Note: keine, Radboud Universiteit Nijmegen (Pädagogisches Institut des Bundes in Oberösterreich), Veranstaltung: Lehrgang zur Hochbegabtenförderung, Sprache: Deutsch, Abstract: Das Physik-Projekt "EINSTEIN FOR GRRRLS!" beabsichtigte eine Stärkung des Selbstbewusstseins von Mädchen im naturwissenschaftlichen Unterricht. Während einer kurzzeitigen Aufhebung der Koedukation und des normalen Regelunterrichts wurde den Teilnehmerinnen Wissen über Albert Einsteins spezielle Relativitätstheorie vermittelt, das über den normalen Lehrplan der Hauptschule hinausging. In flankierenden Untersuchungen wurden dabei Einstellungen zum Physik/Chemie-Unterricht erfragt.
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Vorerfahrungen
In meiner schulischen Praxis sind mir viele Fälle von im Fachbereich Physik/Chemie talentierter Mädchen begegnet, die trotz offensichtlichem Interesse am Unterricht und zum Teil exzellenter Leistungen nicht auf die Idee gekommen sind, eine Weiterbildung im naturwissenschaftlich-technischen Bereich anzustreben. Die tatsächliche Entscheidung über die Art des weiteren Schulbesuchs war oftmals vom traditionellen Rollenbild vorgegeben und nicht selten durch die Meinung bzw. Entscheidung der Mitschülerinnen (peer-group) mitbestimmt. Verschärfend wirkt sich dabei die Problematik der Koedukation aus.Hypothesen
1. Mädchen sind in Physik genau so gut wie Buben.
2. Im Gegensatz zu den Buben trauen sich die Mädchen in Physik weniger zu. Das Selbstvertrauen in die eigenen Fähigkeiten ist gerade im Bereich Physik gering ausgeprägt.
3. Durch zumindest zeitweilige Aufhebung der Koedukation kann man in einem auf Begabtenförderung zielenden Unterrichtsprojekt Fähigkeiten und Einsichten vermitteln, die jene der Buben weit übersteigen und so das fachspezifische Selbstvertrauen stärken.Realisierung
Das Physik-ProjektEINSTEIN FÜR GRRRLS!beabsichtigte eine Stärkung des
Selbstbewusstseins von Mädchen im naturwissenschaftlichen Unterricht. Während einer kurzzeitigen Aufhebung der Koedukation und des normalen Regelunterrichts wurde den Teilnehmerinnen Wissen über Albert Einsteins spezielle Relativitätstheorie vermittelt, das über den normalen Lehrplan der Hauptschule hinausging. In flankierenden Untersuchungen wurden dabei Einstellungen zum Physik/Chemie-Unterricht erfragt.
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Gibt es überhaupt hoch begabte Kinder an Hauptschulen? Ungeachtet der Schwierigkeiten bei der Definition, was Hochbegabung sei (nach veralteten eindimensionalen Ansätzen wird zum Beispiel Hochbegabung etwas willkürlich ab einem Intelligenzquotienten von 130 angenommen, was einem Anteil von 2 bis 3 % hoch Begabter an der Gesamtpopulation der schulpflichtigen Kinder entspräche(1)), handelt es sich dabei auf jeden Fall um ein seltenes Phänomen. Die Wahrscheinlichkeit, einem solchen Kind ausgerechnet in der Hauptschule zu begegnen, muss also als sehr gering eingeschätzt werden, da in Österreich nach Absolvierung der Volksschule eine Wahlmöglichkeit zwischen Hauptschule und Gymnasium (AHS-Unterstufe) besteht. Ohne die grundsätzliche Qualität der Ausbildungen in diesen beiden Schultypen in Frage stellen zu wollen, darf doch vermutet werden, dass viele Eltern allein schon des höheren sozialen Prestiges wegen eher geneigt sind, ihr Kind an ein Gymnasium zu schicken, wenn es die Volksschule mit gutem oder sehr gutem Erfolg abgeschlossen hat. Die veröffentlichten Zahlen hierzu sprechen jedenfalls eine deutliche Sprache. Hauptschulen im städtischen Bereich sind längst zu so genannten „Rest“schulen verkommen, womit ausgedrückt wird, dass kaum noch Kinder, denen von den VolkschullehrerInnen die AHS-Reife bescheinigt wird, trotzdem die Hauptschule besuchen. Im ländlichen Bereich ist diese Entwicklung hin zur AHS bei weitem nicht so stark ausgeprägt, weshalb wohl auch in einer Hauptschule mit dem einen oder anderen hoch begabten Kind zu rechnen ist. Die Schule, an der ich unterrichte und in der ich mein Projekt zur Begabtenförderung durchgeführt habe, ist im Grenzbereich zwischen Stadt und Land angesiedelt. Gunskirchen ist die Nachbargemeinde der Stadt Wels, aber zum Schulsprengel gehören ausgesprochen ländliche Gebiete wie die Gemeinden Offenhausen und Pennewang. Die Hauptschule Gunskirchen ist daher keineswegs zur „Rest“schule herabgesunken und zeichnet sich durch ein noch immer erfreulich hohes Bildungsniveau aus, was derzeit laufende Untersuchungen über den Schulerfolg unserer AbsolventInnen an berufsbildenden höheren Schulen in Wels bestätigen.
Unausgesprochen herrscht die Meinung vor, eine allgemein bildende höhere Schule sei die bessere Lösung für das hoch begabte Kind. Umgekehrt reagieren manche Eltern, insbesondere wenn sie selbst akademisch gebildet sind, geradezu verzweifelt, wenn ihr Kind als nicht für eine AHS befähigt eingestuft wird.
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Im Zuge meiner ECHA-Ausbildung lernte ich auch nähere Einzelheiten über die Problematik der Underachiever (= begabte Versager; bekannt geworden als Leistungsblockierung oder Leistungsverweigerung als Folge einer gehäuften schulischen Unterforderung) kennen.(2)Zwar ist dies nicht Thema meiner Untersuchung, doch kann es vorkommen, dass solche Kinder in Volksschulen von nicht oder wenig sensibilisierten LehrerInnen als nicht für die AHS geeignet eingestuft werden und an einer Hauptschule landen. Dort wiederum besteht für das Kind auf Grund der neuen Situation, nicht wesentlich von einem/einer Lehrer/in, sondern von einem Dutzend verschiedener Personen unterrichtet zu werden, rein statistisch eher die Chance, Anerkennung und eine entsprechende Förderung zu erfahren. Ich kann in diesem Zusammenhang von einem Schüler berichten, der ursprünglich als extrem verhaltensauffällig eingestuft wurde (in der ersten Klasse versuchte er zusammen mit zwei Mitläufern während des Religionsunterrichts auf dem Dachboden der Schule Feuer zu legen. Die mangelnde Entflammbarkeit der dort verwendeten Materialen zur Wärmedämmung verhinderte den Erfolg der Aktion und damit die Möglichkeit, unsere Schule als Topmeldung in den Abendnachrichten zu bewundern. Auch später noch ließ sich der Schüler allerhand Überraschendes einfallen, da er zudem als Mitglied einer vom LehrerInnenkollegium als extrem schwierig empfundenen Klasse dementsprechenden Nährboden fand). Im Laufe seiner Hauptschulzeit fand er zunehmend Gefallen am Physikunterricht, beruhigte sich ganz allgemein und wurde in den nach Leistungsgruppen differenzierten Fächern (Deutsch, Englisch, Mathematik) in die ersten Leistungsgruppen eingestuft. Im Schuljahr 2000/2001 entschied er sich für das Wahlpflichtfach Physik/Chemie, wo er sich bald durch außergewöhnliche Leistungen hervortat.
Als Grundlage für die Leistungsbeurteilung im Wahlpflichtfach verlange ich im ersten Semester von den SchülerInnen für gewöhnlich eine Art Vertiefungsgebiet, wobei die SchülerInnen die Aufgabe haben, neben dem laufenden Unterricht, der vor allem dem praktischen Experimentieren gewidmet ist, sich selbstständig im gewählten Bereich innerhalb zweier Monate Wissen anzueignen und dieses dann als eine Art Referat dem Plenum zu präsentieren. Die Form der Präsentation ist ebenso frei wählbar wie der Inhalt, sofern es sich auf Physik, Chemie oder Technik bezieht.
Dieser Schüler wählte nun die spezielle Relativitätstheorie von Albert Einstein, was ich anfangs mit großer Skepsis aufnahm, da mir das Gebiet doch sehr komplex vorkam. Die Präsentation des Schülers begeisterte mich aber dann derart, dass ich ihn unterbrach, um den Direktor zu holen, damit auch er an dieser Sternstunde des Physikunterrichts teilhaben konnte. Nicht nur, dass der Schüler die Zusammenhänge vollinhaltlich verstanden hatte, er hatte es
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sich auch zur Aufgabe gemacht, die jeweiligen Formeln abzuleiten und sie seinen MitschülerInnen so zu erklären, dass diese dem Vortrag tatsächlich zu folgen vermochten. Ich hatte von ihm gelernt, dass es möglich war, HauptschülerInnen etwas von der physikalischen Faszination der Relativitätstheorie zu vermitteln. Der Erfolg dieses Schülers wurde zum Kristallisationspunkt meiner Arbeit.
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Stellen wir uns eine Gesellschaft vor, in der es selbstverständlich ist, dass Mädchen die Schule besuchen und die Universität absolvieren, während ihre Brüder die Feldarbeit verrichten, damit das Einkommen der Familien gesichert ist. Mädchen studieren weit weg vom Elternhaus, sie reisen allein, sie wechseln vor der Ehe die Freunde, und nach einer Trennung kehrt der Mann in das Haus seiner Mutter zurück. In diesem Land gibt es keine ausgeprägten hierarchischen Strukturen, denn die Herrschaft wird als „Nichtherrschaft von Frauen bei ihrer gleichzeitigen völligen ökonomischen und sakralen Macht“ definiert. Politische Entscheidungen werden von traditionellen Ratsversammlungen getroffen, zu denen die Familien zwar männliche Mitglieder entsenden, so genannte Onkels, diese sind aber der jeweiligen Sippenmutter verantwortlich. Die faktische Macht liegt also in Händen der Frauen, was ein zusätzlicher Frauenrat, der bei wichtigen Entscheidungen zusammentritt und seine Meinung kundtut, sicherstellt. Die Frauen entscheiden selbst, welchen Mann sie heiraten und ob und wann sie sich wieder scheiden lassen. Ein uneheliches Kind zu haben ist hier keine bedauerliche und das alltägliche Leben belastende Ausnahme, sondern für diese Menschen eine Selbstverständlichkeit, sodass der Begriff einer alleinerziehenden Mutter in dieser Gesellschaft überhaupt nicht existiert, zumal nicht selten jedes Kind einer Frau einen anderen Vater hat. Stellen wir uns des Weiteren vor, in diesem Land bildet sich allmählich eine kleine Gruppe von Männern, die lautstark gegen die Benachteiligung von Männern kämpft und sich gleichzeitig bemüht, männlichen Kindern einen breiteren Zugang zur Bildung zu ermöglichen.
Was sich wie eine verknappte Inhaltsangabe des feministischen Bestsellers „Die Töchter Egalias“ von Gerd Brantenberg anhört, ist tatsächlich die Beschreibung einer real existierenden Gesellschaft. Das Volk der Khasi bewohnt den indischen Bundesstaat Meghalaya, gelegen zwischen Bangladesh und Assam im äußersten Nordosten des Subkontinents, umfasst mehr als eine Million Menschen und ist ein Beispiel für das, was EthnologInnen gern unter dem Begriff „Matriarchat“ zusammenfassen.(1)Was hat das alles nun mit dem Physikunterricht an österreichischen Hauptschulen im Allgemeinen und einer Begabtenförderung im Speziellen zu tun? Zunächst einmal, scheint es, nicht sehr viel, denn Chancengleichheit für beide Geschlechter bietet auch dieses Gesellschaftsmodell nicht, sonst hätte sich dort nicht eine Männerrechtsbewegung formiert. Aber das Beispiel der Khasi soll eingangs daran erinnern, dass die Gesellschaftsordnung, in
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der wir leben, keineswegs das einzig Mögliche darstellt und Alternativen zum Bestehenden durchaus denkbar sind.
Theoretisch gleichberechtigt, praktisch keine Chance
Ursula Scheu schreibt in ihrem Buch „Wir werden nicht als Mädchen geboren - wir werden dazu gemacht“: „Die Existenz matriarchalischer Staaten - mit einer absoluten Umkehrung der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung und somit der geschlechtsspezifischen Unterschiededeutet darauf hin, dass die heute vorfindbare Arbeitsteilung weder physiologische, noch biologische, also keine natürlichen Unterschiede zwischen den Geschlechtern hat, sondern die heute vorfindbaren Unterschiede das Resultat der spezifischen Arbeitsteilung zwischen Männern und Frauen sind.“(2)Und sie stellt fest: „Die totale Aufhebung der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung ist eine der Hauptvoraussetzungen für die Befreiung der Frauen“(3), wobei sie dies vor allem auf die Doppelbelastung der Frauen durch Beruf und Kindererziehung bezieht.
So neu ist diese Idee nicht, denn schon Friedrich Engels schrieb: „Die Befreiung der Frau wird erst möglich, sobald diese auf großem gesellschaftlichen Maßstab an der Produktion sich beteiligen kann, und sie häusliche Arbeit nur noch in unbedeutendem Maß in Anspruch nimmt. Und dies ist erst möglich geworden durch die moderne Großindustrie, die nicht nur Frauenarbeit auf großer Stufenleiter zulässt, sondern förmlich nach ihr verlangt, und die auch die private Hausarbeit mehr und mehr in eine öffentliche Industrie aufzulösen strebt.“(4)Freilich weist Scheu darauf hin, dass die Beteiligung der Frauen am gesellschaftlichen Produktionsprozess keineswegs zur erhofften Aufhebung ihrer minderwertigen Stellung geführt hat. Das Ergebnis sei lediglich die Doppelbelastung durch Beruf und Haushalt. Die Lösung, die der real existierende Sozialismus für diese Problematik anzubieten hatte, bestand lediglich in einer teilweisen Vergesellschaftung der Haushaltsfunktionen. Gerade bei der Kindererziehung folgte bestenfalls eine Verlagerung vom privaten in den kollektiven Bereich, was der Anteil von Frauen in pädagogischen Berufen unzweifelhaft unterstreicht. Und gerade hier lässt sich die fortwährende Benachteiligung der Frauen sehr leicht nachweisen. So betrug der Anteil von Volksschullehrerinnen in Österreich bereits 1986 nahezu 100 %, bei Universitätslehrern dagegen ist der Frauenanteil stabil - bei weniger als 20 %(5).
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Job-Ghettos
Die Berufsfelder, in denen Frauen tätig werden, sind wesentlich eingeschränkter als die der Männer. Diese Situation lässt sich in allen Stufen nachweisen, begonnen beim „Trio infernal“ der Lehrberufe in Österreich, die von Mädchen gewählt werden (mehr als 2/3 aller Mädchen entscheiden sich für die Berufe Einzelhandelskauffrau, Friseurin oder Bürokauffrau - und das bei immerhin über 270 verschiedenen Lehrberufen!) und zieht sich hin bis in die universitäre Ausbildung. Nicht zu unrecht sprechen Seager und Olson von so genannten „Job-Ghettos“, also Tätigkeiten, die fast ausschließlich von Frauen ausgeübt werden und die Männer für gewöhnlich als unter ihrer Würde betrachten. Sie fassen zusammen: „Trotz einiger Ausnahmen gilt im Allgemeinen, dass Tätigkeiten, die als Frauenarbeit definiert werden, schlecht bezahlt sind, einen niedrigen Status haben und wenig Sicherheit bieten: daher kann man von `Job-Ghettos´ sprechen.“(6)
Nicht viel besser stellt sich die Situation ganz allgemein beim Studium dar: So waren zum Beispiel in den Niederlanden 1995 die Hälfte aller StudienanfängerInnen weiblich. Bis zur Promotion sank der Frauenanteil aber auf ca. 31 % und bei den ordentlichen Professuren sackte die Frauenquote gänzlich ab auf 3,6 %. Gerade der letztere Umstand, qualitativ auf alle Staaten der europäischen Union übertragbar, ist insofern interessant, als der Anteil der Frauen an allen SchülerInnen in Österreich, die die Schullaufbahn mit Matura abschließen, bereits über 50 % liegt, und jener, die studieren, beständig ansteigt(7). Doch bei der Wahl der Studienrichtungen wird das ganze Dilemma der Frauen offenbar: Insbesondere bei den so genannten technischen Studienrichtungen und den Naturwissenschaften wie Physik, Geowissenschaften, Chemie und Mathematik lag der Anteil von Frauen unter den Erstsemestrigen zwar noch zwischen 10 und 40 %, bei den Promotionen aber nur mehr bei 5 bis 20 %. Die Studienrichtung Biologie, inzwischen mehrheitlich von Frauen belegt, bildet hier nur insofern eine Ausnahme, als der Anteil der Frauen erst mit der Habilitation auf ca. 10 % absinkt. Natalie Angier macht für diese, wie sie meint, „unnatürliche Selektion unter den Frauen“ in den Naturwissenschaften das von Männern dominierte Berufungssystem bei Professuren verantwortlich(8). Weitere negative Faktoren, etwa „verlorene Jahre“ durch eigene Kinder und die damit häufig verbundene quantitativ geringere Zahl von Publikationen, erschweren Frauen zusätzlich eine wissenschaftliche Karriere.
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Die Utopie: Frauen forschen
Die Naturwissenschaften gelten zwar als der Inbegriff der Objektivität, aber selbst sie werden von Geschlechterstereotypen zumindest beeinflusst. Ohne die leidige Problematik der Professorenberufung hier zu thematisieren, muss es doch an Hand der seltenen Beispiele weiblicher Forschungstätigkeit einleuchten, wie viel die Wissenschaft zu gewinnen hat. In der Primatenforschung wurde spätestens durch die Arbeiten von Dian Fossey, Jane Goodall und Biruté Galdikas und dem damit verbundenen explosiven Erkenntniszuwachs deutlich, wie wichtig es wäre, auch weibliche Sichtweisen in den Fragestellungen der Grundlagenforschung zuzulassen.(9)
Die Utopie, die sich bei der Betrachtung der Fakten aufdrängt, ließe sich nun wie folgt formulieren:Sowohl die Frauen könnten ihren gesellschaftlichen Status allgemein verbessern, wenn sie vermehrt technische und wissenschaftliche Berufe anstrebten, als auch Wissenschaft und Technik würden von weiblichen Sichtweisen ganz direkt profitieren.Wie aber soll das funktionieren? An Bildungsmöglichkeiten mangelt es in Österreich nicht, dennoch scheinen sich die Frauen für wissenschaftlich-technische Berufe nicht zu interessieren. Diese Lebenswelten sind Männer-dominiert und eine Vielzahl weiterer Faktoren wirkt abschreckend. Doch die Wurzeln dieses Ungleichgewichts liegen tiefer! Eine dieser Wurzeln berührt offenbar sogar meine Tätigkeit als Physik/Chemie-Lehrer in der Hauptschule. Wie der „Erstkontakt“ mit Physik in der Schule auf Mädchen wirkt, welche Einflüsse Geschlechterstereotypen haben und was dabei die Begabtenförderung für eine Rolle spielen kann, darauf will ich im Folgenden genauer eingehen.
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Vor sechs Jahren eröffnete ich einer Mutter bei einem Elternsprechtag, ihre Tochter sei begabt in Physik/Chemie. Die Dame, von Beruf Bäuerin, erblasste und stammelte entsetzt: „Des hot´s ja no nia net gebn in unsara Famülie!“ Worauf ich der Frau, leicht verärgert über ihre Reaktion, erwiderte: „Beruhigen Sie sich, gnädige Frau, das ist nicht ansteckend.“
3.1. Traditionelle Bildungswege für Mädchen
Dass Mädchen in der Sekundarstufe I oftmals die besseren schulischen Leistungen erbringen als Buben, ist ein Gemeinplatz. Auch das Fach Physik/Chemie bildet hier keine Ausnahme. Aber diese Erfolge haben keinerlei Auswirkungen auf die Wahl des weiteren Bildungsweges. So kommt es zwar alle paar Jahre vor, dass sich ein Mädchen am Ende der Pflichtschulzeit für eine Höhere Technische Lehranstalt (HTL) entscheidet, aber diese Entscheidung ist oft etwas, was man als „schwere Geburt“ bezeichnen kann. Viele Einzelgespräche sowohl mit der Schülerin als auch mit den betroffenen Eltern sind nötig, um das Gefühl zu vermitteln, dass esmöglichist, eine technische Schule zu besuchen. Und nicht selten folgt dann im letzten Moment ein Meinungsumschwung, sodass sich das Kind doch für eine „traditionellere“ Bildungsanstalt entscheidet - bei uns also meist eine Handelsakademie (BerufsbildSekretärin), eine Höhere Bildungsanstalt für wirtschaftliche Berufe (HBLA, früher: Höhere Bildungsanstalt für wirtschaftlicheFrauenberufe- dieser Schultyp wird in Wels zu 99 % von Mädchen besucht) oder vergleichbare Schultypen.