Begleitung und Therapie straffälliger Menschen - Udo Rauchfleisch - E-Book

Begleitung und Therapie straffälliger Menschen E-Book

Rauchfleisch Udo

4,8

Beschreibung

Die Begleitung und Therapie Straffälliger stellt hohe Anforderungen. Leicht drohen die professionell und ehrenamtlich Tätigen von der Fülle der Aufgaben erdrückt und in einen emotionalen Strudel hineingezogen zu werden. Die Kommunikations- und Umgangsweisen straffälliger Klienten und Klientinnen bringen ihre Betreuer immer wieder an die Grenzen ihrer Kraft. Zahlreiche Beispiele schildern typische Situationen aus der Betreuungsarbeit und zeigen, wie wichtig dabei die Selbstreflexion und die Wahrnehmung des eigenen Erlebens der professionellen Begleiter ist. Das äußerst praxisorientierte Buch verzichtet weitgehend auf theoretische Ausführungen und richtet sich an Psychotherapeuten, Sozialarbeiter, Bewährungshelfer und Seelsorger, aber auch an ehrenamtlich Tätige, die Straffällige begleiten.Die erste Auflage des Buches erschien im Matthias-Grünewald-Verlag.

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Udo Rauchfleisch

Begleitung und Therapie straffälliger Menschen

4. Auflage

Vandenhoeck & Ruprecht

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

ISBN 978-3-525-40129-3

ISBN 978-3-647-40129-4 (E-Book)

Die erste Auflage ist 1991 im Matthias-Grünewald-Verlag, Mainz, erschienen.

© 2013, 2008, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen. Vandenhoeck & Ruprecht LLC, Bristol, CT, U.S.A. Internet: www.v-r.de

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages.

Printed in Germany.

Satz: www.composingandprint.de

Druck & Bindung: Hubert & Co, Göttingen

Inhalt

Einleitung

1 »Ich kann mich doch nicht um alles kümmern«

2 »Was ich auch tue – alles ist falsch«

3 »Sie ist wirklich eine Arme«

4 »Wir fühlen uns so wohl miteinander«

5 »Wenn es nur nicht diese schrecklichen Anderen gäbe«

6 »Und immer wieder Alkohol«

7 »Ich bin am Ende meiner Kraft«

8 »Ich habe Angst vor ihm«

9 »Ich verstehe mich selbst nicht mehr«

10 Zwischen Resignation und Hoffnung

11 Theoretische Überlegungen zur Entwicklung und Persönlichkeit von Straffälligen

Literatur

Einleitung

Ein Buch über die Arbeit mit straffälligen Menschen – was lässt sich auf diesem Wege von den dabei auftauchenden Problemen und von den Möglichkeiten, die sich dadurch eröffnen, vermitteln? Ist nicht jeder dieser Klientinnen und Klienten ein Individuum mit je eigenen Gefühlen und Reaktionsweisen, und ist nicht jede Mitarbeiterin und jeder Mitarbeiter, gleichgültig ob Professionelle oder ehrenamtlich Tätige, eine Persönlichkeit mit je eigener Ausprägung, so dass sich gar keine allgemeingültigen Aussagen machen lassen? Diese und ähnliche Fragen mögen die Leserinnen und Leser bewegen, die dieses Buch zur Hand nehmen.

Tatsächlich ist es schwierig, wenn nicht unmöglich, Handlungsanleitungen dafür zu geben, welches das »richtige« oder »falsche« Verhalten im Umgang mit straffälligen Klienten sei. Wie immer, wenn wir mit anderen Menschen umgehen, müssen wir spontan auf die jeweilige Situation, in der wir uns miteinander befinden, reagieren, müssen unsere eigenen Gefühle und die des Klienten berücksichtigen und können uns nicht an irgendwelche starren, Allgemeingültigkeit beanspruchenden Regeln halten. Und dennoch lehrt uns gerade die Arbeit mit straffälligen Menschen, dass wir zusammen mit den Klientinnen und Klienten im Strudel der Gefühle zu versinken drohen, wenn wir uns nicht darüber klar zu werden versuchen, was im Gegenüber und in uns selbst abläuft, und wenn wir unser Handeln nicht immer wieder kritisch überdenken.

Ich habe in diesem Buch die Darstellung theoretischer Konzepte bewusst knapp gehalten und mich bemüht, möglichst weitgehend ohne den Ballast von psychologischen Fachausdrücken auszukommen. Es ist mir wichtig, ein anschauliches, möglichst erlebnisnahes Bild von einigen Grundproblemen zu vermitteln, die sich bei der Betreuung und Therapie straffälliger Menschen ergeben. Dabei gehe ich, wie die Kapitelüberschriften erkennen lassen, jeweils vom Erleben der Betreuenden aus und zeige auf, welches die Hintergründe solcher Gefühle sind, das heißt, was sie über die Betreuenden und die Klientinnen und Klienten aussagen. Meine Ausführungen richten sich an Menschen, die im Bereich der professionellen und halbprofessionellen Hilfe (Bewährungshilfe, Seelsorge, Sozialarbeit) tätig sind, aber auch an Psychotherapeutinnen und -therapeuten sowie an andere Fachleute, die straffällige Klienten behandeln und begleiten. Für diejenigen Leserinnen und Leser, die sich etwas intensiver mit der psychischen Situation von Straftätern und mit den spezifischen Bedingungen ihrer Entwicklung auseinandersetzen wollen, habe ich in Kapitel 11 in knapper Form mein vor allem auf tiefenpsychologischen Überlegungen basierendes Konzept dargestellt (eine ausführlichere Diskussion dieser Probleme findet sich in meinem Buch »Dissozial«, 1981, neu aufgelegt 1999 unter dem Titel »Außenseiter der Gesellschaft. Psychodynamik und Möglichkeiten zur Psychotherapie Straffälliger«).

Sind wir in der Begleitung straffälliger Menschen tätig, sei es in Form einer mehr oder weniger intensiven Betreuung, sei es in Gestalt einer Psychotherapie, so müssen wir uns die Frage vorlegen, welches denn die Ziele sind, die wir mit unserer Arbeit anstreben. Es mag vordergründig erscheinen und in mancher Leserin/manchem Leser vielleicht das ungute Gefühl erwecken, es gehe um eine reine »Anpassung« der Klienten, wenn ich als erstes Ziel die Deliktfreiheit nenne. Bedenken wir jedoch, dass die Delinquenz dieser Menschen letztlich Ausdruck ihrer inneren Not, ein geradezu verzweifelter Schrei nach Hilfe ist, so wird klar, dass ein Mensch, der sich nicht mehr in Straftaten verwickelt, seine inneren und äußeren Schwierigkeiten zumindest zu einem wesentlichen Teil gelöst hat. Hinzu kommt, dass sich der Delinquent durch jede neue Straftat immer tiefer in soziale Probleme und psychische Konflikte verwickelt und schon aus diesem Grund die Unterbrechung des Teufelskreises der Delinquenz einen wesentlichen Schritt auf dem Weg zu einem befriedigenderen Leben der Klientinnen und Klienten darstellt.

Ein weiteres Ziel der Betreuung und Therapie liegt darin, diesen in viele soziale Schwierigkeiten verstrickten Menschen zu einer besseren sozialen Integration zu verhelfen. Schon in Kindheit und Jugend haben die Probleme im Elternhaus begonnen, das oft von materieller Not und psychischen Konflikten geprägt war, haben zu Aufenthalten in Pflegefamilien und Heimen geführt, was zum Teil schwerste Beziehungsstörungen zur Folge hatte, haben Schul- und Berufsausbildungen beeinträchtigt, mitunter sogar völlig verunmöglicht, haben später zur Delinquenz und daraus resultierenden Aufenthalten in Strafanstalten geführt und haben schließlich eine Fülle sekundärer Folgen nach sich gezogen, wie finanzielle Überschuldung, Leiden unter dem Etikett »Vorbestrafter« sowie Arbeits- und Wohnprobleme. Angesichts dieses sozialen Elends muss es eine vordringliche Aufgabe jeglicher Betreuung sein, dem straffälligen Klienten dabei behilflich zu sein, wieder – oder oft: erstmals – in der sozialen Welt Fuß zu fassen.

Dazu gehören indes nicht nur Arbeit und Wohnung, wenngleich dies auch wichtige Dimensionen sind, sondern ebenso die Fähigkeit, befriedigende mitmenschliche Beziehungen aufnehmen und aufrechtzuerhalten. Die Entwicklung der Beziehungsfähigkeit ist eine schwierige und oft langwierige Aufgabe, da viele straffällige Menschen in ihrem bisherigen Leben in dieser Hinsicht zum Teil schwerste Enttäuschungen und Verletzungen sowie eine große Zahl von Beziehungsabbrüchen erlebt haben. Es ist jedoch eben dieser Bereich, in dem wir in erster Linie ansetzen und Veränderungen bewirken können, da der Kern jeder Begleitung und Therapie die Beziehung zwischen Klient und Betreuenden ist.

Über die intensive Gefühlsbeziehung, welche eine längere Begleitung mit sich bringt, kann es dann auch gelingen, den Klienten nach und nach mehr Zugang zum eigenen Erleben finden zu lassen. Immer wieder ist man beim Zusammentreffen mit straffälligen Menschen erschüttert festzustellen, wie fremd sie sich selbst sind, wie wenig sie die eigenen Gefühle spüren und wie unfähig sie letztlich sind, die in ihnen liegenden Möglichkeiten zu nutzen. Vieles im gefühlsmäßigen Bereich ist über Jahre und Jahrzehnte verschüttet worden, und es sind gegenüber dem eigenen Erleben und anderen Menschen Mauern aufgebaut worden, die schließlich alle Spontaneität zu ersticken drohen und diese Menschen gefühlsmäßig versteinern lassen. Diese Mauern behutsam abzubauen und den Klienten zu ermöglichen, mit der Zeit einen Weg aus ihrem inneren Gefängnis zu finden, ist ein zentrales Ziel der Betreuung.

Diese Teilziele sind selbstverständlich nicht unabhängig voneinander, sondern stehen in enger Wechselwirkung miteinander. So bedarf es, um das Ziel der Deliktfreiheit zu erreichen, sowohl der beruflichen Integration als auch der Verbesserung der Beziehungsfähigkeit der Klienten. Dies ist jedoch kaum möglich, ohne dass der straffällige Mensch einen besseren Zugang zu seinen eigenen Gefühlen, zu seinen Wünschen, Hoffnungen und Ängsten gefunden hätte. Ein solches Ziel wiederum ist nur erreichbar, wenn es den Betreuenden gelingt, eine tragfähige Beziehung zu den Klientinnen und Klienten herzustellen und an den in der Beziehung auftauchenden Konflikten zu arbeiten.

Die enge Verquickung sozialer und psychischer Probleme ist ein charakteristisches Merkmal straffälliger Menschen und erfordert ein spezifisches Vorgehen in Psychotherapie und Betreuung. Anders als bei vielen Klienten, mit denen wir sonst zu tun haben, kann man sich bei der Arbeit mit ihnen nicht in erster Linie auf einen bestimmten Störungsbereich konzentrieren, weil hier die Hauptkonflikte lägen. Es ist bei ihnen vielmehr notwendig, gleichzeitig die psychischen ebenso wie die sozialen Probleme im Auge zu behalten und an ihnen simultan zu arbeiten. Dieses bifokale Behandlungskonzept stelle ich in Kapitel 11 genauer dar.

Über die genannten Teilziele hinweg stellt die Förderung der Autonomie der Klientinnen und Klienten den Kern unserer Bemühungen dar. Ein solches Ziel scheint mir gerade bei diesen Menschen vordringlich zu sein, die von Kindheit an hilflos und ohnmächtig einer Welt gegenüberstanden, die sie als fremd und feindlich erlebten und die ihnen nicht gerecht zu werden vermochte. Förderung, ja oft überhaupt erst Entwicklung von Autonomie ist bei ihnen auch insofern ein zentrales Ziel, als diese Klienten durch ihre Straffälligkeit mit all den sich daran knüpfenden Folgen auch in ihrem heutigen Leben die Abhängigkeit, in der sie sich befinden, noch vergrößern. In tragischer Weise inszenieren sie so das Drama ihrer frühen Beziehungserfahrungen immer wieder von neuem bis in die Gegenwart.

Möge dieses Buch allen, die bereit sind, sich auf die Begleitung und Therapie straffälliger Menschen einzulassen, Mut machen, Hilfe bieten und in ihnen den Funken von Hoffnung lebendig halten, der ihnen Kraft für ihre Arbeit gibt.

Udo Rauchfleisch

1 »Ich kann mich doch nicht um alles kümmern«

Übernimmt man die Begleitung oder Therapie eines straffälligen Menschen, so entsteht im Betreuenden zumeist schon nach kurzer Zeit der Eindruck, von der Fülle der Aufgaben geradezu erdrückt zu werden: finanzielle Überschuldung, Wohn- und Arbeitsprobleme, familiäre Notsituationen und Konflikte, Kontakte zu Angehörigen und zu den Mitarbeitern der verschiedensten Sozialdienststellen – und nicht zuletzt schwerwiegende psychische Probleme der Klienten. Wie soll eine einzige Person, ob Professioneller oder freier Mitarbeiter, diese vielen verschiedenen Aufgaben auch nur annähernd erfüllen? Sollte man sich nicht lieber ganz von dieser Arbeit zurückziehen oder sich zumindest aufeine eng umschriebene Aufgabe beschränken und vor allem übrigen die Augen verschließen? Diese und ähnliche Gedanken drängen sich über kurz oder lang wohl jedem auf, der sich auf eine intensive Betreuung straffälliger Klienten einlässt. Es ist nach meiner Erfahrung sogar wichtig, dass man derartige Gefühle auftauchen lässt und bewusst wahrnimmt und sie nicht, weil sie den eigenen Idealvorstellungen von der guten Therapeutin oder vom guten Betreuer widersprechen, sofort beiseite schiebt. Es gibt zumindest zwei Gründe, die dafür sprechen, solche eigenen Gefühle sehr ernst zu nehmen:

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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