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Ein neuer Fall des schwulen Basler Kommissars Jürgen Schneider. Ein reicher schwuler Basler Modeschöpfer wird nach einem Overkill-Delikt erstochen in seinem Haus aufgefunden. Er war offenbar ein geltungsbedürftiger und rücksichtsloser Narzisst. Die Tatumstände lassen den Kommissar an ein Delikt mit sexuellem Hintergrund denken. Keiner der Menschen aus dem Umkreis des Narzissten mochte ihn. Sein Buttler, seine Köchin und sein Chauffeur haben ihn gefürchtet und sind immer wieder Ziel seiner Wutanfälle geworden. Sie sind nur wegen des hohen Gehalts, das er ihnen gezahlt hat, in seinem Dienst geblieben, obwohl der Modeschöpfer sehr geheimnisvoll getan hat. So mussten alle Angestellten das Haus verlassen haben, wenn er Gäste erwartete. Die Angestellten haben keinen Gast jemals zu Gesicht bekommen. Ausserdem befindet sich im Haus des Modeschöpfers ein geheimnisvoller Kellerraum, zu dem niemand außer ihm Zutritt hatte. Ist einer von den Angestellten der Täter? Außer ihnen gibt es noch eine Reihe junger Männer, die zum Bekanntenkreis des Couturiers gehören und auch als Täter in Frage kämen. Jürgen Schneider ist ratlos, wer der Täter einer so grausamen Tat sein könnte. Wenige Tage später wird ein mit dem Modeschöpfer befreundeter Galerist, ebenfalls ein Narzisst, tot in seinem Haus aufgefunden. Er hatte für den Couturier eine bombastische Trauerfeier im Basler Münster organisiert und wusste offenbar mehr, als er Kommissar Schneider in einem Gespräch mitgeteilt hatte. Auch der Galerist ist auf brutale Weise umgebracht worden. In seinem Haus findet Jürgen Schneider frappante Übereinstimmungen mit dem Haus des Modeschöpfers. Was hat die beiden Narzissten miteinander verbunden? Sind sie Opfer des gleichen Täters geworden? Ein mit Jürgen Schneider und seinem Partner befreundeter Psychologe berät den Kommissar und informiert ihn über die Persönlichkeit von Narzissten. Dies öffnet Jürgen Schneider neue Wege in den Ermittlungen. Der Kommissar konzentriert sich mehr und mehr auf die jungen Männer, mit denen die beiden Toten Kontakt hatten. Durch Zufall stösst Jürgen Schneider dabei auf eine frühere Zeitungsmeldung, die ihm den Weg zur Aufklärung der Verbrechen weist. Bei seinen Ermittlungen tun sich vor dem Kommissar Abgründe von Missbrauch und Gewalt auf.
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Seitenzahl: 296
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Udo Rauchfleisch
Narzissten leben gefährlich
Udo Rauchfleisch (Jahrgang 1942) ist emer. Professor für Klinische Psychologie an der Universität Basel und Psychoanalytiker. Er hat in verschiedenen psychiatrischen Kliniken gearbeitet und ist jetzt als Psychotherapeut in privater Praxis in Basel tätig. Publikationen u. a. zu Homosexualität und Transidentität.
www.udorauchfleisch.ch
Bereits erschienen:
Der Tod der Medea - Ein musikalischer Mord
ISBN print 978–3–86361–599–4
Mord unter lauter netten Leuten
ISBN print 978–3–86361–656-4
Schwarz ist der Tod
ISBN print 978–3–86361–705-9
Himmelstürmer Verlag, Kirchenweg 12, 20099 Hamburg,
Himmelstürmer is part of Production House GmbH
www.himmelstuermer.de
E–mail: [email protected]
Originalausgabe, September 2018
Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit Genehmigung des Verlages
Rechtschreibung nach Duden, 24. Auflage.
Cover: panthermedia.net
Umschlaggestaltung: Olaf Welling, Grafik–Designer AGD, Hamburg. www.olafwelling.de
E-Book-Konvertierung: Satzweiss.com Print Web Software GmbH
Alle hier beschriebenen Personen und alle Begebenheiten sind frei erfunden.
Jede Ähnlichkeit mit lebenden Personen ist nicht beabsichtigt.
ISBN print 978–3–86361–708-0
ISBN epub 978–3–86361–709-7
ISBN pdf 978–3–86361–710-3
Personen
Jürgen Schneider,
Schwuler Kriminalkommissar, leitet die Untersuchung. Biologischer Vater von Antonio
Bernhard Mall,
Mitarbeiter von Jürgen Schneider
Mario Rossi,
Partner von Jürgen Schneider, Inhaber einer Herrenboutique. Sozialer Vater von Antonio
Anita Leupin,
Leibliche Mutter von Antonio
Sandra Frey,
Soziale Mutter von Antonio
Antonio
Sohn von Sandra Leupin und Jürgen Schneider, lebt in einer Regenbogenfamilie
Walter Steiner,
Psychologe in einer Ehe- und Familienberatungsstelle in Basel
Edith Steiner,
Frau von Walter Steiner, Prokuristin in einer Privatbank
Francesco de Moiro,
Eigentlich: Franz Meuri. Couturier
Irene Meuri,
Schwester von Francesco de Moiro
Giovanna Massoni,
Köchin bei Francesco de Moiro
Martin Berg,
Butler bei Francesco de Moiro
Heinz Keller,
Chauffeur bei Francesco de Moiro
Yves Seiler,
Kunsthändler
Mit lautem Gelächter bahnte sich eine Gruppe von fünf Männern den Weg durch die Menge der Menschen, die auf dem Barfüsserplatz im Zentrum von Basel auf die verschiedenen Straßenbahnlinien warteten.
„Drängen Sie sich doch nicht so rücksichtslos hier durch“, rügte eine ältere Frau die Männer, die ihren Hinweis aber gar nicht hörten. Sie waren, laut redend und gestikulierend, nur mit sich selbst beschäftigt.
„Unglaublich“, meinte die Frau, sich an ihren neben ihr wartenden Mann wendend, „dieser ältere Mann und diese jungen Burschen. Dass die sich nicht schämen, einen solchen Lärm zu machen! Und dieses alberne Gelächter! Die benehmen sich ja schlimmer als ungezogene Kinder.”
Doch von all dem hörten die fünf Männer nichts. Sie waren längst auf dem Steinenberg angelangt und gingen hinauf zum Bankenplatz.
Es war tatsächlich eine merkwürdige Gruppe: das Zentrum bildete ein Mann Ende 50 in einem hellbraunen Wintermantel, der bei jedem Schritt das Nerzfell, mit dem er gefüttert war, sehen ließ. Der Mann trug einen breitkrempigen schwarzen Hut und um den Hals hatte er ein grellrotes Chiffontuch geschlungen. Er war umgeben von vier jungen Männern um die 20, die sich um ihn scharten und sich gegenseitig darin zu überbieten versuchten, ihn zum Lachen zu bringen.
Der ältere Mann genoss sichtlich die Aufmerksamkeit, die ihm die jungen Männer zukommen ließen, und feuerte sie noch weiter an, indem er mal dem einen, mal dem anderen die Wange tätschelte und ihn in die Seite puffte. Jede Berührung des älteren Mannes quittierten die jungen Männer mit einem Aufschrei und gellendem Gelächter.
Unvermittelt wurde es jedoch still, als die Gruppe den Bankenplatz erreicht hatte. Der ältere Mann hatte einem Taxi gewunken, hatte jedem der vier Männer noch einmal die Wange getätschelt und war, offenbar zum Erstaunen seiner Begleiter, ins Taxi gestiegen und davongebraust. Die vier zurückbleibenden Männer schüttelten ungläubig die Köpfe, als könnten sie nicht fassen, dass der Spaß so unvermittelt ein Ende gefunden hatte.
Sie verabschiedeten sich mit Küssen voneinander, die aber nicht Ausdruck einer engen Gefühlsbeziehung, sondern eine rein routinemäßige Form der Verabschiedung zu sein schienen. Dann ging jeder seines Weges.
Martin Berg wunderte sich, als er um acht Uhr morgens die Haustür bei seinem Arbeitgeber aufschloss und unter der Tür des Wohnraums Licht schimmern sah.
So früh ist der doch im Allgemeinen nicht wach, dachte er. Nach den durchzechten Nächten schläft er doch immer mindestens bis zehn Uhr. Und heute schon um diese Zeit im Wohnraum?
Als Martin Berg die Tür zum Wohnraum öffnete, entfuhr ihm ein Schrei des Entsetzens. Auf dem Boden sah er den Körper seines Arbeitgebers in einer riesigen Blutlache. Das Zimmer war total verwüstet. Die kostbaren chinesischen Vorhänge waren zerschnitten und hingen in Lappen von den Gardinenstangen herab. Die fast mannshohe chinesische Vase, eine Rarität, die sein Arbeitgeber sich etliche hunderttausend Franken hatte kosten lassen, lag zertrümmert am Boden. Und die kostbare Sammlung von Meissner Porzellan war nur noch ein Scherbenhaufen.
Mit zitternden Fingern wählte Martin Berg die Nummer der Polizei und meldete das Verbrechen. Er nannte dem Beamten, der die Meldung entgegennahm, die Adresse und der Beamte schärfte Martin Berg ein, nichts anzurühren und zu warten, bis die Kollegen von der Mordkommission gekommen wären.
Erschüttert ließ sich Martin Berg in einen der Sessel sinken, die im Flur standen, und vergrub den Kopf in den Händen. Der 45jährige, schlanke Mann zitterte am ganzen Körper.
„Das kann doch nicht wahr sein“, murmelte er und ein Schauer lief ihm über den Rücken, als vor ihm wieder das Bild seines in seinem Blut liegenden Arbeitgebers auftauchte.
Obwohl die Polizisten bereits nach knapp zehn Minuten da waren, erschien es Martin Berg wie eine Ewigkeit. Er öffnete den drei Polizisten die Haustür und wies, unfähig, ein Wort herauszubringen, auf die Tür zum Wohnraum.
„Kommen Sie, wir unterhalten uns woanders“, meinte einer der Polizisten. „Vielleicht können Sie für uns ja Kaffee kochen. Der könnte Ihnen jetzt auch noch guttun, denke ich.”
Martin Berg nickte, führt ihn in die Küche und stellte mit zitternden Händen die Kaffeemaschine an.
„Mit Milch und Zucker?“, fragte er den Polizisten mit tonloser Stimme.
„Danke. Ich nehme ihn gerne schwarz. Nun setzen Sie sich auch mal und beruhigen sich, soweit Ihnen das möglich ist. Meine Kollegen von der Mordkommission werden gleich da sein und mit Ihnen sprechen.”
Schon wenige Minuten später läutete es. Der Polizist öffnete die Tür und ein Ende 30jähriger, 1.95 m großer, durchtrainiert wirkender Mann kam herein. Er war in Begleitung eines zweiten, etwas jüngeren Mannes.
Der Polizist wies auf Martin Berg. „Er hat den Toten gefunden. Die Kollegen von der Spurensicherung sind schon bei der Arbeit.”
„Ich bin Kommissar Jürgen Schneider, und das ist mein Kollege Bernhard Mall“, stellte sich der Kommissar vor.
„Und Sie sind?“
„Ich bin Martin Berg, Butler bei Herrn de Moiro.”
Bei der Erwähnung des Namens seines Arbeitgebers überlief ein Zittern den Körper des Butlers.
Jürgen Schneider legte ihm beruhigend die Hand auf die Schulter.
„Wenn Sie Herrn Mall und mir auch noch einen Kaffee machen könnten, wären wir Ihnen sehr dankbar, Herr Berg.”
„Selbstverständlich“, murmelte dieser. „Entschuldigen Sie, dass ich nicht von mir aus daran gedacht habe.”
„Das ist schon in Ordnung. Es ist ja klar, dass Sie in dieser Situation durcheinander sind.”
Das Opfer muss ein sehr vermögender Mann gewesen sein, dachte Jürgen. Schon als der Kollege, der die Meldung des Verbrechens entgegengenommen hatte, Jürgen Schneider die Adresse genannt hatte, war dem Kommissar klar gewesen, dass es sich wahrscheinlich um ein Verbrechen in gehobenen Basler Kreisen handeln müsste. Wer es sich leisten konnte, in einem Haus an der Rheinpromenade zu wohnen, musste gut betucht sein.
Diese Annahme hatte sich bestätigt, als Jürgen zusammen mit seinen Kollegen das Haus betreten hatte. Die Wohnung erstreckte sich offenbar über mehrere Stockwerke. Die Sessel in der Eingangshalle, die Teppiche, die Bilder an den Wänden, alles wies auf viel Geld hin. Auch die Küche, in der er nun mit Bernhard Mall und Martin Berg saß, war geradezu luxuriös eingerichtet, mit einer Kaffeemaschine, die einem 5-Sterne-Hotel alle Ehre gemacht hätte.
Als der Butler ihnen den Kaffee serviert und wieder Platz genommen hatte, begann Jürgen das Gespräch.
„Berichten Sie uns doch bitte, was sich heute Morgen hier ereignet hat. Der Kollege hat mir gesagt, Sie hätten den Toten gefunden. Wer ist das?“
„Das ist Herr de Moiro, bei dem ich als Butler angestellt bin. Ich bin heute Morgen wie üblich um acht Uhr in das Haus gekommen und habe im Wohnraum Licht gesehen.”
„War die Wohnzimmertür offen?“
„Nein. Da es im Flur dunkel war, habe ich das Licht unter der Tür her schimmern sehen. Ich dachte, dass Herr de Moiro ...“ Bei Erwähnung des Namens brach die Stimme von Martin Berg ab. Er räusperte sich und setzte neu an: „Ich dachte, dass er schon im Wohnraum sei, was aber ganz ungewöhnlich für ihn wäre. Sie müssen wissen, er feiert meist die Nächte durch und steht nie vor zehn Uhr auf. Als ich in den Wohnraum kam, sah ich ihn am Boden liegen, in einer riesigen Blutlache.”
Ein Zittern durchlief den Butler. Er hatte sichtlich Mühe, die Fassung zu bewahren. Der Kommissar nickte ihm aufmunternd zu.
„Das war solch ein schreckliches Bild“, fuhr Martin Berg zögernd fort. „Das ganze Zimmer ist verwüstet. Das reinste Chaos. Die Vorhänge hängen nur noch in Fetzen von den Gardinenstangen, die kostbare chinesische Vase in tausend Stücken und die teure Sammlung von Meissner Porzellan nur noch ein Scherbenhaufen!“
„Haben Sie im Haus irgendetwas Außergewöhnliches bemerkt?“
„Nein. Es war alles wie sonst. Die Haustür war allerdings nicht abgeschlossen, sondern nur zugezogen. Das hat mich gewundert, weil Herr de Moiro immer sehr darauf bedacht ist, dass alle Türen gut verschlossen sind. In den anderen Räumen des Hauses war ich noch nicht. Ich habe ja sofort die Polizei angerufen und habe im Flur auf die Beamten gewartet.”
„Wir schauen nachher die anderen Zimmer noch mit Ihnen zusammen an. Wissen Sie, wie Herr de Moiro den gestrigen Abend verbracht hat? Offenbar hatte er ja einen Gast. Und wenn Sie keine Auffälligkeiten an der Tür und am Schloss des Hauses bemerkt haben, muss er seinen Mörder ja selbst in das Haus gelassen haben.“
„Herr de Moiro hatte praktisch jeden Abend Einladungen oder war bei irgendwelchen Partys. Aber wer seine Gäste waren und zu wem er gegangen ist, hat er nie gesagt. Wenn Gäste zum Abendessen kamen, musste Frau Massoni, die Köchin, alles vorbereiten und ich musste den Tisch decken. Aber Herr de Moiro legte größten Wert darauf, dass wir nicht mit seinen Gästen zusammentrafen. Ich habe eigentlich nie verstanden, warum ihm das so wichtig war“, fügte der Butler kopfschüttelnd hinzu.
Tatsächlich merkwürdig, dachte Jürgen und warf seinem Kollegen Bernhard Mall einen bedeutungsvollen Blick zu.
Bernhard runzelte die Stirn und wandte sich nun an Martin Berg: „Hat Herr de Moiro mal eine Andeutung gemacht, warum Sie nicht mit seinen Gästen zusammentreffen sollten?“
„Nein. Er legte nur größten Wert darauf, dass Frau Massoni und ich und auch sein Chauffeur, Heinz Keller, verschwunden waren, ehe seine Gäste eintrafen.”
„Aber dann weiß ja vermutlich sein Chauffeur, bei wem Ihr Arbeitgeber eingeladen war. Er wird ihn ja dahingefahren haben. Wir werden später noch mit ihm sprechen.”
„Nein, das weiß Heinz Keller sicher nicht. Wir haben mal darüber gesprochen und Heinz hat mir erzählt, dass Herr de Moiro sich immer nur per Taxi zu Einladungen fahren ließ. Mit seinem Chauffeur ist er nur zu Veranstaltungen, ins Kino und ins Theater und zum Einkaufen gefahren. Alles Private hat er von uns ferngehalten.”
Bernhard und Jürgen nickten nachdenklich.
Mit den Worten: „Seit wann arbeiten Sie für Herrn de Moiro?“ übernahm Jürgen wieder die Befragung des Butlers.
„Ich habe die Stelle vor acht Jahren bekommen und war sehr froh, dass die Bewerbung geklappt hat. Herr de Moiro hatte offenbar eine große Zahl von Bewerbern und hat alle, die in Frage kamen, auf Herz und Nieren geprüft. Das hat mir Frau Massoni mal erzählt. Sie arbeitet schon viel länger bei Herrn de Moiro und hat miterlebt, wie er die Bewerber auf ihre Eignung geprüft hat. Offenbar war ihm sehr wichtig, dass die Person, die er als Butler anstellen würde, unverheiratet war und sich zur absoluten Verschwiegenheit über alles, was hier im Haus vor sich geht, verpflichtete.”
„Das klingt ja richtig geheimnisvoll“, meinte der Kommissar. „Was geht denn hier im Haus vor sich?“
Martin Berg zögerte und war sichtlich bemüht, die richtigen Worte zu wählen.
„Ich weiß ja nicht viel über das Privatleben von Herrn de Moiro. Aber irgendwann habe ich gemerkt, dass er sich sehr viel mit jungen Männern abgibt. Wie diese Beziehungen genau aussehen, weiß ich natürlich nicht – und ich will ihm, um Gottes Willen, nichts unterstellen“, fügte der Butler geradezu ängstlich hinzu.
„Ich habe Herrn de Moiro einmal zufällig in der Stadt gesehen, wo er mit vier jungen Männern herumzog. Entschuldigen Sie, Herr Kommissar, wenn ich das so despektierlich ausdrücke. Aber hier zu Hause war er immer sehr ruhig und distinguiert, der perfekte Gentleman. Mit den jungen Männern aber war er ... wie soll ich sagen? ... so ganz anders. Ausgelassen. Aber irgendwie auch albern. Entschuldigen Sie, dass ich das so ausdrücke. Ich will Herrn de Moiro nicht schlechtmachen. Aber sein Verhalten mit den jungen Männern hat eigentlich gar nicht zu ihm gepasst. Er hat sich wie ein Gockel benommen und hat sich, fand ich jedenfalls, auch sehr distanzlos den jungen Männern gegenüber verhalten.”
„Inwiefern distanzlos?“
„Er hat ihre Wangen getätschelt und einen hat er sogar auf offener Straße auf den Mund geküsst. Das geht mich ja eigentlich nichts an. Nur hätte ich das von ihm nicht erwartet. Er bezahlt mich gut und ist im Allgemeinen mir gegenüber auch höflich.”
Jürgen runzelte die Stirn und fragte: „Sie sagen, er hätte sich Ihnen gegenüber im Allgemeinen höflich verhalten. Das heißt: mitunter ist er auch unhöflich gewesen?“
Martin Berg zögerte.
„Man soll ja nicht negativ über Tote sprechen. Und verstehen Sie mich bitte nicht falsch, Herr Kommissar. Das gibt es ja immer mal, dass ein Arbeitgeber schlechte Laune hat und sie an seinen Angestellten auslässt. Das nehme ich ihm auch gar nicht übel.”
„Das ist schon recht, Herr Berg. Da es für uns wichtig ist, uns ein möglichst realistisches Bild von dem Opfer einer Gewalttat zu machen, interessiert es mich schon, inwiefern Herr de Moiro mitunter unhöflich war.”
„Er war ab und zu einfach gereizt. Weiß der Himmel, was ihn geärgert hat. Und dann hat er seinen Frust halt an mir ausgelassen.”
Es klopfte und einer der Männer von der Spurensicherung kam herein.
„Wir sind gleich mit unserer Arbeit im Wohnraum fertig. Im Zimmer herrscht das reinste Chaos. Der Gerichtsarzt hat den Toten untersucht. Könnt ihr schnell kommen, damit er euch seine Befunde mitteilen kann?“
„Warten Sie bitte einen Augenblick, Herr Berg. Wir kommen gleich zurück und möchten dann gerne mit Ihnen zusammen die anderen Zimmer im Haus anschauen.”
Als Jürgen und Bernhard den Wohnraum betraten, schauten sie sich entsetzt an. Der Butler und der Kollege von der Spurensicherung hatten zwar von einem Chaos gesprochen, dass aber ein solches Durcheinander herrschte, hätten sie sich nicht träumen lassen. Die chinesischen Vorhänge vor den großen Fenstern waren total zerschnitten und hingen nur noch in Fetzen herab. Und der Boden war übersäht mit den Scherben der chinesischen Vase und des Meissner Porzellans.
In der Mitte des Raumes lag in einer riesigen Blutlache die Leiche eines Mannes, den Jürgen auf Ende 50 schätzte. Das bunte Seidenhemd, das er trug, wies ein große Zahl von Einstichen auf und war mit Blut verschmiert. Eine weitere Blutspur verlief über die Genitalgegend, offenbar hervorgerufen durch einen tiefen Stich.
Als Jürgen und Bernhard sich der Leiche näherten, erhob sich Dr. Ralph Elmer, der Gerichtsarzt, der den Toten untersucht hatte.
„Puh, das ist heavy!“, meinte er. Während er sonst im Allgemeinen lockere Sprüche klopfte, wenn er seine Untersuchung abgeschlossen hatte, schien ihm die heutige Situation offensichtlich doch nahe zu gehen.
„Da muss jemand ja eine wahnsinnige Wut auf diesen Mann gehabt haben! 29 Messerstiche habe ich gezählt. Alle mit größter Wucht dem Opfer zugefügt. Und dann noch dieser Stich und der tiefe Schnitt in die Genitalien. Das weist ja mehr als deutlich auf ein sexuelles Motiv des Mordes hin.”
Jürgen nickte. Er hatte schon viele Opfer gesehen. Aber eine solche Brutalität, wie sie aus diesen Verletzungen sprach, hatte er noch nie erlebt. Auch Bernhard war sichtlich betroffen und schüttelte entsetzt den Kopf.
„Zum Todeszeitpunkt kann ich dir bis jetzt sagen: etwa gegen Mitternacht. Todesursache: die Stiche, von denen schon einer genügt hätte, den Tod herbeizuführen. Die Stiche sind mit größter Heftigkeit mit einem spitzen, langen Gegenstand, wahrscheinlich mit einem langen, scharfen Messer, zugefügt worden. Mehr Details, wie immer, nach der Obduktion von Martin Hofer. Ich gehe dann mal und überlasse euch das Feld. Ciao.”
„Unglaublich die Brutalität, mit der dieser Mord verübt worden ist!“ meinte Bernhard erschüttert, als er mit Jürgen zusammen zur Küche zurückging. „Der Butler hat ja schon angedeutet, dass es viel Geheimnisvolles um das Opfer gibt. Und offensichtlich spielt die Sexualität als Motiv ja auch eine Rolle, wie die Genitalverletzung zeigt. Da werden wir eine Menge Arbeit haben, Jürgen.”
„Wir dürfen nicht vergessen, die Kollegen von der Spurensicherung noch zu fragen, ob sie Gläser oder Geschirr gefunden haben, die uns etwas über den oder die Gäste sagen können, Bernhard. Als wir uns eben im Zimmer umgeschaut haben, habe ich kein Geschirr gesehen, was ja komisch ist, wenn Herr de Moiro in der letzten Nacht einen Gast hier hatte.”
„Das scheint mir auch so. Jetzt schauen wir uns zuerst aber mal mit Herrn Berg zusammen das Haus an. Vielleicht finden wir da wichtige Hinweise, die unsere Ermittlungen weiterbringen.”
Zusammen mit Martin Berg machten sich Jürgen und Bernhard auf den Weg durch das Haus. Wie Jürgen schon beim Eintreten in das Haus vermutet hatte, war es sehr groß und erstreckte sich, wie der Butler ihnen erklärte, über zwei weitere Etagen.
Im Parterre lägen der große Wohnraum, eine Toilette und die Küche. Im ersten Stockwerk befinde sich die Bibliothek, ein Raum, den der Butler als „Fernsehzimmer“ bezeichnete, ein „Ruhezimmer“, in dem Herr de Moiro seinen Mittagsschlaf zu machen pflege, und eine weitere Toilette. Im zweiten Stock seien das Schlafzimmer seines Arbeitgebers und das Badezimmer.
Die drei Männer stiegen die Treppe hinauf. Das erste Zimmer, das Martin Berg ihnen öffnete, war die Bibliothek. Die Wände des Raumes mit den großen Fenstern, die den Blick zum Rhein freigaben, säumten hohe Bücherregale aus dunklem Holz. Jürgen schätzte diesen Raum auf mindestens dreißig Quadratmeter. Am Boden lagen dicke Teppiche, die beim Gehen jeden Laut verschluckten, und in der Mitte des Raumes stand ein großer Sessel mit verstellbarem Kopf- und Fußteil. Außerdem gab es einige Schreibpulte und davor große Bürostühle. Alles schien vom Teuersten zu sein.
Wie Jürgen bei einem Blick in die Bücherregale feststellte, fanden sich dort Gesamtausgaben von Goethe, Schiller, Kleist, aber auch von moderneren Autoren wie Jean Paul Sartre, Albert Camus, James Baldwin und Truman Capote. Außerdem entdeckte Jürgen die sieben Bände von Prousts „A la recherche du temps perdu“ sowie Bände mit Gedichten von Paul Verlaine, Charles Baudelaire, Hermann Hesse und Rainer Maria Rilke. Der Hausherr ist offenbar ein sehr gebildeter Mann gewesen, dachte Jürgen, denn er schien alle Werke in Originalsprache gelesen zu haben.
Neben den klassischen und modernen Werken fanden sich in etlichen Bücherregalen erotische Romane und diverse pornographische Bücher. Die meisten Regale waren jedoch angefüllt mit Videos, deren Titel bereits unmissverständlich erkennen ließen, dass es um Sex, und zwar zum Teil offensichtlich um Hardcore-SM, ging. Diesen Raum müssen wir später noch genauer untersuchen, dachte Jürgen.
„Gibt es hier irgendetwas, was Ihnen ungewöhnlich oder verändert vorkommt, Herr Berg?“
„Nein, es ist alles so, wie es immer war.”
„Gut. Dann schauen wir uns das nächste Zimmer mal an.”
Der nächste Raum, den der Butler Jürgen und Bernhard öffnete, war das sogenannte „Fernsehzimmer“. Eine der Wände wurde von einem riesigen Monitor eingenommen, der eher einer Kinoleinwand als einem privaten Fernsehmonitor glich. Dazu gehörte eine perfekte technische Ausrüstung mit Beamer.
„Wow!“ entfuhr es Bernhard. „Das ist ja unglaublich! Ein Fernsehzimmer mit allen Raffinessen der Technik ausgestattet. Ich hätte mir nie träumen lassen, dass es so etwas in einem Privathaus gibt.”
Im Raum standen mehrere große Sessel und ein schweres Sofa aus schwarzem Leder, das gut und gerne fünf bis sechs Personen Platz bot. Hier also hatte Herr de Moiro seine Abende beim Genuss von Pornovideos verbracht, dachte Jürgen.
Auch in diesem Raum konnte der Butler nichts feststellen, das ungewöhnlich war.
Der Weg führte die drei Männer weiter in den Raum, den Martin Berg als das „Ruhezimmer“ seines Arbeitgebers bezeichnet hatte. Jeder Schritt in diesem Raum wurde von dem schweren Teppich, der Jürgen an ein riesiges Schaffell erinnerte, verschluckt. In der Mitte des Zimmers stand eine Liege mit hydraulisch verstellbaren Kopf- und Fußteilen, wobei es Jürgen fast peinlich war, dieses luxuriöse Möbelstück innerlich als „Liege“ bezeichnet zu haben. Der Hausherr wäre wegen einer solchen Bezeichnung sicher zutiefst beleidigt gewesen. Doch Jürgen fiel keine geeignetere Bezeichnung ein. Die Lautsprecher in den Ecken des Raumes wiesen darauf hin, dass Herr de Moiro seine Ruhestunden offenbar zum Teil mit entsprechend beruhigender Musik untermalt hatte.
Auf Jürgens Frage, ob der Butler etwas sehe, das in irgendeiner Weise ungewöhnlich sei, schüttelte Martin Berg, wie schon in den anderen Räumen, den Kopf. Alles sei so wie immer.
Unvorstellbar, dachte Jürgen, dass wir hier in einem Raum völliger Ruhe sind und ein Stockwerk tiefer ein Toter in einem Raum liegt, der der Schauplatz eines brutalen Verbrechens und mutwilliger Zerstörung ist.
Jürgen, Bernhard und Martin Berg stiegen nun in den zweiten Stock hinauf. Der Butler öffnete die Tür auf der rechten Seite des Flurs und ließ die Polizeibeamten in das Schlafzimmer eintreten.
Es war ein sehr großer Raum mit einem Boxbett, wie Jürgen sofort erkannte. Jürgens Partner Mario Rossi hatte ihm in den vergangenen Monaten immer wieder Prospekte von Boxbetten mitgebracht und ihn zu überreden versucht, ein Boxbett zu kaufen, das nach Marios Meinung zu einem „völlig neuen Schlafgefühl“ führe. Als Jürgen die Preise gesehen hatte, die um 10'000 Franken lagen, war für ihn klargeworden, dass der Kauf eines solchen Bettes zurzeit nicht drin liege.
Das Boxbett im Schlafzimmer des Mordopfers hatte eine Breite von mindestens zwei Metern. Offenbar war es nicht nur für den Hausherrn gedacht, sondern gleich mit berechnet für die jungen Gespielen, von denen der Butler berichtet hatte, dachte Jürgen. Das Bett war unbenutzt. Über dem Bett lag eine mit arabischen Mustern verzierte schwere Decke.
Das Auffälligste in diesem Raum aber waren die Spiegel. Sie bedeckten nicht nur die Türen des großen Kleiderschranks, der eine ganze Wand füllte, sondern auch alle Wände. Sogar die Decke dieses Raumes war mit Spiegeln bedeckt, so dass man sich beim Betreten des Schlafzimmers unendlich oft und von allen Seiten sah. Jürgen und Bernhard waren total irritiert und ihnen wurde fast schwindlig bei diesem Anblick. Sie brauchten einen Augenblick, bis sie sich orientiert hatten und sich wieder sicher auf ihren Beinen fühlten.
„Wer hält es denn aus, in einem solchen Raum zu leben und zu schlafen?“ entfuhr es Bernhard. „Das ist ja ein Spiegelkabinett wie auf dem Jahrmarkt. Ich würde da total irre.”
„Herr de Moiro hat diesen Raum sehr geschätzt“, erklärte der Butler, wobei unklar blieb, ob dies lediglich eine Feststellung war oder ob ein kritischer Unterton mitschwang.
Jürgen und Bernhard verschafften sich einen kurzen Überblick über das Schlafzimmer.
„Wir werden die Wohnung versiegeln müssen, bis unsere Kollegen von der Spurensicherung alles genau untersucht haben“, erklärte Jürgen dem Butler. „Haben Sie persönliche Dinge im Haus, die Sie dringend benötigen? Dann zeigen Sie uns die, damit wir Ihnen erlauben können, sie mitzunehmen.”
Martin Berg schüttelte den Kopf.
„Herr de Moiro hat uns nicht gestattet, irgendwelche persönlichen Dinge mit ins Haus zu bringen. Alles, was wir für unsere Arbeit brauchten, hat er uns geliefert. Ich muss nichts mitnehmen. Wenn Sie versiegeln sagen, heißt das, dass wir längere Zeit keinen Zutritt zum Haus haben?“
„So ist es. Könnten Sie übrigens jetzt gleich die Köchin und den Chauffeur anrufen und bitten, schnell vorbeizukommen. Aber bitte sagen Sie den beiden am Telefon noch nichts vom Tod von Herrn de Moiro. Das möchte ich selbst tun, wenn sie hier sind. Die Köchin und der Chauffeur müssten auch sagen, ob sie etwas aus dem Haus brauchen. Die Befragung können wir dann später im Kommissariat machen, Bernhard“, fügte er, zu seinem Kollegen gewendet, hinzu.
Während der Butler mit der Köchin und dem Chauffeur telefonierte, schauten sich Jürgen und Bernhard im Schlafzimmer um. Wie in den anderen Räumen herrschte auch hier eine mustergültige Ordnung. Im Schrank hingen Dutzende von Anzügen, darunter ein schwarzer und ein weißer Frack sowie ein schwarzer und ein hellblauer Smoking. Alles offensichtlich teure Markenartikel wie die Etiketten von Dolce & Gabbana, Yves Saint Laurent, Hugo Boss, Giorgio Armani, Calvin Klein und anderen Designern zeigten. Außerdem befanden sich in den Schränken und Kommoden eine große Zahl von Hemden in nahezu allen Farben und an die 50 Krawatten und Fliegen.
Als sie die Kommode öffneten, in der Unterwäsche lag, musste Jürgen unwillkürlich schmunzeln. Sein Partner Mario führte eine Herrenboutique und verkaufte diese Art von teurer Unterwäsche. Vielleicht war das Mordopfer ja sogar einer seiner Kunden gewesen. Er müsste Mario das unbedingt heute Abend fragen.
Die Spurensicherung müsste sich den Raum sorgfältig vornehmen. Jetzt konnten Bernhard und er sich nur einmal einen ersten Überblick verschaffen.
Wie schon in den anderen Räumen verneinte der Butler Jürgens Frage, ob Martin Berg im Schlafzimmer irgendetwas entdecke, was ihm ungewöhnlich vorkomme, oder ob etwas fehle. Es sei alles so, wie er es gestern Abend hinterlassen habe.
Der zweite Raum im zweiten Stock war das Badezimmer. Jürgen hatte schon etliche große Badezimmer gesehen, aber noch nie einen Raum wie diesen. An der einen Wand befanden sich vier große Waschbecken mit glänzenden Armaturen. In einer Ecke dieses mindestens zwanzig Quadratmeter großen Raumes sah er einen Whirlpool, der sicher drei bis vier Personen Platz bot. Der Butler sah die Überraschung des Kommissars und erklärte mit sichtlichem Stolz, zum Whirlpool gehöre ein Programm mit verschiedenfarbigen Lichtern.
Außerdem befanden sich in diesem Badezimmer eine große, in den Boden eingelassene Badewanne, in die man über einige Stufen hinabstieg, und zwei Duschen, die je auch zwei bis drei Personen Platz boten.
„Ihr Arbeitgeber muss ein sehr vermögender Mann gewesen sein“, meinte Jürgen, zu Martin Berg gewendet. „Was hat er denn beruflich gemacht?“
„Herr de Moiro war nicht mehr berufstätig. Früher hat er in der Modebranche gearbeitet, wie mir die Köchin, Frau Massoni, mal erzählt hat. Er hat dann, ein Jahr nachdem ich angefangen habe, bei ihm zu arbeiten, viel Geld von seinen Eltern geerbt. Danach hat er aufgehört zu arbeiten. Genaueres kann Ihnen sicher seine Schwester erzählen.”
„Das wollte ich Sie gerade fragen, Herr Berg: Wer sind die nächsten Angehörigen von Herrn de Moiro? Sie haben erwähnt, dass seine Eltern gestorben sind und er eine Schwester hat. Gibt es noch weitere Geschwister?“
„Soweit ich weiß, hat er nur die eine Schwester. Sie heißt nicht ‚de Moiro’, sondern, wie mein Arbeitgeber eigentlich auch heißt – beziehungsweise hieß“, korrigierte der Butler sich, „sie heißt Meuri, Irene Meuri, und wohnt in Zürich oder irgendwo in der Nähe von Zürich. Ihre genaue Adresse kenne ich leider nicht.”
„Die finden wir schon heraus“, beruhigte Jürgen ihn. „Warum hat Ihr Arbeitgeber denn seinen Namen geändert? Wissen Sie das?“
„Frau Massoni hat mir mal erzählt, Meuri sei ihm einfach nicht fein genug gewesen. Das wusste sie von der Schwester von Herrn de Moiro. Die Schwester ist eine nette Frau und hat, soweit ich weiß, nur wenig Kontakt zu ihrem Bruder gehabt. Sie fand seinen Lebensstil übertrieben, so hat sie das, glaube ich, einmal formuliert, als die beiden einen heftigen Streit hatten, den ich mitbekommen habe. Worum es ging, weiß ich aber nicht. Nur, dass sie mit seinem Lebensstil nicht einverstanden war, hat sie ihm unmissverständlich klargemacht. Er war unheimlich gekränkt und hat sie quasi rausgeworfen. Ich glaube, nachher war sie nie wieder hier in seiner Wohnung.”
„Wann war denn dieser Streit?“
„Das war kurze Zeit nach dem Tod der Eltern.”
„Hat Herr de Moiro außer diesem Haus noch andere Häuser oder Wohnungen?“
„Nein. Soweit ich weiß nicht. Er hatte, glaube ich, mal ein Chalet in der Nähe von Montreux. Das hat er verkauft. Als ich den Streit zwischen ihm und seiner Schwester mitbekommen habe, hatte ich den Eindruck, es ging um die Erbschaft und speziell auch um dieses Haus.”
„Danke, Herr Berg. Wir werden das mit der Schwester von Herrn de Moiro noch genauer klären.”
„Übrigens“, unterbrach der Butler Jürgen, „hier im Haus gibt es im Keller noch einen Raum. Er heißt offiziell ‚Freizeitraum’. Ich habe aber keine Ahnung, was dort drin ist. Herr de Moiro ist ja kein Bastler. Deshalb fand ich den Namen ‚Freizeitraum’ immer etwas eigenartig. Den Schlüssel zu diesem Raum hat nur Herr de Moiro gehabt“, fügte der Butler hinzu. „Und diesen Schlüssel hat er, soweit ich weiß, irgendwo versteckt. Ich habe gesehen, als ich einmal unerwartet den Wohnraum betreten habe, dass er ihn irgendwo in seinem Schreibtisch in eine der Schubladen gelegt hat. In welche weiß ich aber nicht. Es war uns nicht erlaubt, diesen Raum im Keller zu betreten.”
„Dann hatten Sie aber einen sehr geheimnisumwitterten Arbeitgeber, muss ich sagen. Was hatte er denn zu verbergen, dass Sie seine Gäste nicht sehen und den Kellerraum nicht betreten durften? Wirklich sehr eigenartig!“
Martin Berg nickte, äußerte sich aber nicht weiter.
Als Jürgen, Bernhard und der Butler wieder im Erdgeschoss angekommen waren, öffnete sich die Haustür und eine zirka 60jährige Frau und ein Mitte 40jähriger Mann betraten den Flur. Die Frau war klein und leicht übergewichtig. Genauso, wie man sich eine Köchin vorstellt, dachte Jürgen. Sicher hat sie selbst Freude an dem, was sie kocht. Der Mann hingegen war hager und musterte die Polizeibeamten mit einem fast feindseligen Blick.
Jürgen stellte sich und Bernhard vor.
„Ich bin Giovanna Massoni“, meinte die Frau und drückte den Polizeibeamten herzlich die Hand.
„Und Sie sind Heinz Keller, der Chauffeur von Herrn de Moiro?“, meinte Jürgen und wendete sich dem Mann zu, der mit Frau Massoni zusammen hereingekommen war.
„Ja“, antwortete er und schaute die Polizeibeamten misstrauisch an.
„Was ist denn passiert?“, wendete sich Frau Massoni sichtlich besorgt an Jürgen. „Ein Polizeiwagen vor dem Haus und hier überall Polizei. Ist hier eingebrochen worden? Hoffentlich ist Herrn de Moiro nichts passiert. Das war sicher ein Schock für ihn, dass jemand eingebrochen ist.”
„Ich muss Ihnen leider die traurige Mitteilung machen, dass Herr de Moiro tot ist. Er ist in der vergangenen Nacht umgebracht worden“, antwortete Jürgen.
„Das ist nicht wahr. Das kann doch nicht sein!“ rief sie entsetzt. „Umgebracht sagen Sie? Wer macht denn so etwas?!“
Frau Massoni ließ sich auf einen der Sessel im Flur sinken, schlug die Hände vor die Augen und begann hemmungslos zu schluchzen.
Martin Berg legte ihr tröstend die Hand auf die Schulter.
„Komm in die Küche, Giovanna. Ich mache dir einen Kaffee.”
„Ja, lassen Sie uns alle in die Küche gehen. Da können wir in Ruhe miteinander reden“, meinte Jürgen.
Während der Butler Kaffee für alle kochte, wendete Jürgen sich der Köchin und dem Chauffeur zu.
„Leider kann ich Ihnen zu dem Mord an Herrn de Moiro noch nichts sagen. Wir haben mit unseren Ermittlungen gerade erst angefangen. Wahrscheinlich ist er um Mitternacht umgebracht worden. Wir werden das Haus für einige Zeit versiegeln müssen, bis unsere Kollegen von der Spurensicherung alle Zimmer genau untersucht haben. Gibt es irgendetwas, was Ihnen beiden gehört und das Sie in den nächsten Tagen benötigen?“
Frau Massoni und Herr Keller schüttelten den Kopf.
„Wir haben keine persönlichen Dinge hier im Haus. Alles, was wir für unsere Arbeit brauchen, stellt Herr de Moiro uns“, erklärte die Köchin. „Er hat uns von Anfang an gesagt, dass er nicht möchte, dass wir irgendwelche persönlichen Dinge hierherbringen. Wenn wir gekommen sind, haben wir uns sofort in einem Umkleideraum im Keller umgezogen. Herr de Moiro hat uns dort einen Raum mit Schränken, in denen wir unsere Kleidung versorgen konnten, zugewiesen.”
Der Chauffeur nickte zustimmend.
„Wenn Sie sich im Keller umgezogen haben, haben Sie doch vielleicht auch mal einen Blick in den Freizeitraum Ihres Arbeitgebers geworfen“, meinte Jürgen betont beiläufig.
„Wohin denken Sie?“, mischte sich nun erstmals der Chauffeur in die Diskussion ein. „Dieser Raum ist doch topsecret! Er ist verschlossen und es ist niemandem von uns erlaubt, ihn zu betreten.”
„Finden Sie das nicht merkwürdig, dass es einen Raum im Haus gibt, den keiner von Ihnen betreten durfte?“ fragte Bernhard. „Wenn Herr de Moiro ihn benutzt hat, musste er doch ab und zu gereinigt werden. Wer hat das denn gemacht?“
„Das habe ich mich auch manchmal gefragt“, meinte der Butler. „Keine Ahnung, ob er das selbst gemacht hat – was ich mir aber nicht vorstellen kann – oder ob das einer seiner jungen Freund gemacht hat.”
„Ich würde jetzt gerne noch mit Ihnen, Frau Massoni, alleine sprechen. Mein Kollege, Herr Mall, wird sich in der Zeit mit Ihnen, Herr Keller, unterhalten.”
Zu Bernhard gewendet, fuhr Jürgen fort: „Ich gehe mit Frau Massoni in die Bibliothek. Du kannst mit Herrn Keller ja in das Fernsehzimmer gehen. Herr Berg, könnten Sie sich bitte noch zur Verfügung halten, bis wir unsere Gespräche beendet haben?“
„Selbstverständlich, Herr Kommissar. Ich warte hier in der Küche.”
Jürgen und Bernhard stiegen in den ersten Stock hinauf. Jürgen ging mit der Köchin in die Bibliothek, während sich Bernhard mit dem Chauffeur in das Fernsehzimmer begab.
Frau Massoni hatte sich inzwischen wieder einigermaßen gefasst. Sie ließ sich auf einen der Stühle sinken, die an einem Tisch in der Ecke des Raumes standen.
„Sie sind ja schon recht lange bei Herrn de Moiro angestellt, wie Herr Berg uns berichtet hat“, begann Jürgen.
Die Köchin nickte und wieder füllten sich ihre Augen mit Tränen.
„Wer tut denn nur so etwas und bringt Herrn de Moiro um?“
„Hatte er denn Feinde, Frau Massoni?“
„Wer hat die nicht? Und ein so bekannter Mann wie er hat sicher Feinde, weil sie ihn um seinen Reichtum beneiden, oder“, sie zögerte und suchte nach Worten, „oder vielleicht gab es auch Männer, die sich von ihm zurückgewiesen fühlten und deshalb wütend auf ihn waren.”
„Können Sie mir das noch etwas genauer erklären?“
„Man soll ja nichts Schlechtes über Tote sagen. Aber Herr de Moiro hat sicher einige junge Männer vor den Kopf gestoßen, weil er eine Zeit lang eine sehr enge Beziehung zu ihnen hatte und sich dann plötzlich zurückgezogen hat.”
„Kennen Sie einen solchen Mann oder wissen wenigstens seinen Namen?“
Die Köchin zuckte mit der Schulter.
„Wir haben seine Gäste nie gesehen. Ich musste immer alles vorbereiten, den Tisch decken, Getränke bereitstellen und Speisen zubereiten. Aber wenn die Gäste kamen, mussten wir alle verschwunden sein.”
Nach kurzer Pause fuhr Frau Massoni fort: „Einmal hat mich aber ein junger Mann angerufen, jedenfalls hatte ich aufgrund seiner Stimme den Eindruck, er sei jung gewesen. Woher er meinen Namen kannte, ist mir ein Rätsel. Er weinte am Telefon und bat mich inständig, ein gutes Wort für ihn bei Herrn de Moiro einzulegen. Ich habe ihm gesagt, dass das unmöglich sei. Ich dürfe Herrn de Moiro nie sagen, dass er mit mir Kontakt gehabt habe. Mein Arbeitgeber wäre sicher wahnsinnig wütend geworden, weil er doch unter keinen Umständen wollte, dass wir irgendetwas über seine Gäste wüssten. Wahrscheinlich hätte er mir fristlos gekündigt.”
„Den Namen dieses jungen Mannes kennen Sie nicht?“, fragte Jürgen.
„Nein, Herr Kommissar. Er hat mir aber seine Telefonnummer hinterlassen, damit ich zurückrufen könnte. Ich glaube, ich habe sie irgendwo notiert. Ich müsste mal zu Hause nachschauen.”
„Das wäre sehr wichtig, Frau Massoni. Wir müssen möglichst viele Menschen kennenlernen, zu denen Herr de Moiro Kontakt hatte. Entschuldigen Sie, wenn ich Sie das jetzt frage, das machen wir routinemäßig mit allen Menschen, mit denen Herr de Moiro zu tun hatte: Können Sie mir sagen, wo Sie in der vergangenen Nacht gegen Mitternacht gewesen sind?“
„Wo ich gewesen bin? Sie verdächtigen doch nicht etwa mich, Herrn de Moiro umgebracht zu haben?!“, rief die Köchin entsetzt.