6,99 €
Das Thema Behinderung ist komplex. Gerade für Einsteiger gibt es wenige und weit verstreute Informationen. Dieses Buch soll das ändern. Sie erfahren etwa, welche Behinderungen es generell gibt, welche Institutionen das Behindertenwesen ausmachen, wie die unterschiedlichen Lebensbereiche aussehen und vieles mehr. Dieses Buch richtet sich an Personen, die sich beruflich in das Thema Behinderung und Inklusion einarbeiten wollen. Angesprochen sind zum Beispiel Schwerbehinderten-Vertretungen, Betriebsräte, Sozialarbeiter und andere Personen, die im Bereich Behinderung arbeiten.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 69
Einführung
Was ist Behinderung
Behinderung und Schwerbehinderung
Selbst- und Fremd-Wahrnehmung
Amtliche Sicht
Klassifikation von Behinderungen durch das ICF
Formen von Einschränkungen
Sinnes- und Körperbehinderungen
Kognitive Behinderungen
Chronische, psychische und seltene Erkrankungen
Ältere Menschen, Spät- und Mehrfachbehinderte
Demographie bei Behinderung
Dimensionen Von Behinderung/Wie stark wirkt sich eine Behinderung aus?
Die persönliche Dimension
Die soziale Dimension
Die öffentliche Dimension
Sichtbare und unsichtbare Behinderungen
Bewältigung von Behinderungen
Medizinische und berufliche Rehabilitation
Hilfsmittel
Strategien
Menschliche Assistenz
Schwerbehinderung und Behindertenausweis
Behinderung und Schwerbehinderung
Merkmale des Schwerbehindertenausweises
Amtliche Bewertung der Behinderungen
Beantragung und Änderung
Nachteilsausgleiche
Gesetzgebung
Akteure der Behindertenhilfe und Selbsthilfe
Kostenträger und Leistungserbringer
Träger der Behindertenhilfe
Lebensbereiche
Bildung
Ausbildung und Arbeit
Wohnen
Kultur und Freizeit
Das soziale Hilfesystem
Leistungsträger
Die Leistung Persönliches Budget
Beratung für behinderte Menschen
Behinderungs-übergreifende Organisationen
Behinderung und Selbsthilfe
Die organisierte Selbsthilfe
Informelle Selbsthilfe
Peer Counselling
Was heißt Inklusion?
Inklusion als Prozess
Exklusion – Separation - Integration - Inklusion
UN-Konvention über die Rechte behinderter Menschen
Hintergründe
Aufbau der BRK
Aufgaben der Unterzeichner
Prinzipien der Inklusion
Universeller Anspruch
Selbstbestimmung und Empowerment
Doppelte Wahlfreiheit
Partizipation/Beteiligung Nichts über uns ohne uns
Proaktive Politik
Disability Mainstreaming
Schutz der Minderheit
Barrierefreiheit
Stand der Inklusion
Bildung
Arbeit
Gesellschaft
Aktionspläne für Inklusion
Weiterführende Informationen
Anhang
Anhang A Liste der verwendeten Abkürzungen
Anhang B Zeitachse der BRK
Anhang C Rechte behinderter Menschen aus der UN-BRK
Dieser Leitfaden soll Sie in das Behindertenwesen sowie in die Grundkonzepte der Inklusion einführen. Er wird zum gleichnamigen Workshop als Begleitmaterial angeboten, kann aber auch unabhängig davon verwendet werden.
Das Ziel ist, Ihnen Basiswissen zu vermitteln. Die meisten Themen werden deshalb nur überblicksartig dargestellt. Um sich spezifisch in die einzelnen Bereiche einzuarbeiten, benötigen Sie zusätzliche Ressourcen. Sie finden am Ende des Leitfadens eine kommentierte Linkliste zu weiteren Informationen.
Zu mir selbst: Ich arbeite seit dem Jahr 2010 als Redakteur für das Portal für behinderte Menschen https://www.familienratgeber.de/.
Außerdem habe ich lange Zeit in der Blinden-Selbsthilfe mitgewirkt. Durch die Lektüre zahlreicher Bücher, Weblogs, Facebook-Gruppen, Nachrichtenportalen und durch viele persönliche Gespräche konnte ich mir einen umfassenden Einblick verschaffen. Dieser Einblick war nicht nur fachlich, er zeigte mir auch viel über die unterschiedlichen Einstellungen und Probleme der Betroffenen. Dieses Wissen und diese Erfahrung habe ich in diesen Leitfaden einfließen lassen.
In dieser Publikation wird durchgängig der Begriff Behinderung für alle Personen und Personengruppen verwendet. Das gilt also auch für Menschen, die sich selbst nicht als behindert betrachten, aber Anspruch auf einen Grad der Behinderung hätten. Dafür hat sich bisher kein anderer geeigneter Begriff gefunden. Als Synonym wird der Begriff "betroffen" im Sinne von "es betrifft ihn/sie auch" verwendet.
Der Leitfaden erhebt keinen wissenschaftlichen Anspruch. Er richtet sich an Menschen aus der Praxis. Ich verzichte daher auf die Darstellung theoretischer Konzepte aus den Sozialwissenschaften oder den Disability Studies.
Der leichteren Lesbarkeit wegen wird durchgängig die männliche Form verwendet, es sind natürlich immer Personen aller Geschlechter gemeint.
Viele Beispiele stammen aus dem Bereich Blindheit und Sehbehinderung. Das liegt nicht daran, dass diese Behinderungen wichtiger sind als andere. Vielmehr kenne ich mich als selbst Betroffener in diesem Bereich am besten aus.
Wenn Sie mögen, senden Sie mir gerne Feedback. Ich werde es dann in eine neue Auflage einfließen lassen.
Im ersten Teil wollen wir uns ansehen, was Behinderung eigentlich bedeutet. Dabei sollte bedacht werden, dass es eine soziale und eine amtliche Sicht auf Behinderung gibt. Diese Perspektiven weichen teils deutlich voneinander ab.
Der Begriff Behinderung umfasst Einschränkungen des Körpers inklusive der Sinneswahrneh-mungen und inneren Organe, Probleme der kognitiven Verarbeitung im Gehirn sowie psychische Einschränkungen. Dabei spielt es keine Rolle, ob diese Einschränkungen von Geburt an bestehen, später hinzukamen oder durch äußere Ereignisse wie Unfälle eingetreten sind.
Andere Begriffe wie Handicap, Einschränkung (englisch impairment), Beeinträchtigung und so weiter werden oft synonym verwendet. Da hier teils unterschiedliche Bedeutungen hineingelesen werden, rate ich dazu, den Begriff Behinderung zu verwenden. Andere Konzepte wie "besondere Menschen" oder "Menschen mit Unterstützungsbedarf" sind so schwammig und vieldeutig, dass sie für einen professionellen Diskurs ungeeignet sind.
Geburts-Behinderte sowie Sinnes- und körperbehinderte Menschenbezeichnen sich selbst häufig als behindert.
Chronisch, kognitiv oder psychisch erkrankte Menschen bezeichnen und sehen sich häufig nicht als behindert. Da viele dieser Erkrankungen für andere Personen nicht wahrnehmbar sind, werden sie oft verheimlicht. Allerdings können sich auch psychische und chronische Erkrankungen stark auf die Lebensführung auswirken. Dementsprechend können auch diese Menschen Anspruch auf einen Schwerbehindertenausweis haben.
Auch ältere Menschen mit alterstypischen Einschränkungen wie Demenz oder einer Seheinschränkung sehen sich häufig selbst nicht als behindert. Die Erkrankungen gehören zum Alter dazu oder werden zumindest so wahrgenommen.
Ein Betroffener sagt im Allgemeinen nicht: "Ich bin behindert", sondern nennt die konkrete Behinderung. Er sagt also eher: "Ich bin blind" oder "ich bin querschnittsgelähmt".
Das wird relevant, wenn man etwa in einer großen Organisation die Gesamtheit der behinderten Menschen ansprechen möchte. Eine allgemeine Ansprache könnte so aussehen:
Personen mit einem festgestellten Grad der Behinderung
Personen mit einer anerkannten Schwerbehinderung
Personen mit einer festgestellten psychischen oder chronischen Erkrankung oder einer Behinderung
Wie Behinderungen von den Betroffenen und von der Gesellschaft wahrgenommen werden, wandelt sich stetig. Aktuell gibt es drei Paradigmen:
Das älteste Modell ist rein biologisch orientiert: Der Mensch wird nach seiner Leistungsfähigkeit gemessen. Da es in der Vergangenheit nur einfache Hilfsmittel und kaum Barrierefreiheit gab, war es den behinderten Menschen kaum möglich, an der Gesellschaft teilzuhaben. Es lag im Wesentlichen beim Individuum, seine Einschränkungen auszugleichen. Dieses Modell war lange Zeit vorherrschend und ist es in vielen Weltregionen nach wie vor.
Das bio-soziale Modell geht davon aus, dass die Gesellschaft dafür verantwortlich ist, dass Barrieren entstehen. Diese Sichtweise drückt sich in dem Slogan "Ich bin nicht behindert, die Gesellschaft behindert mich" aus. Dieses Modell ist aktuell beliebt bei großen Teilen der Behindertenbewegung. Das bio-soziale Modell bürdet der Gesellschaft die gesamte Verantwortung auf, während das Individuum als ein handlungsunfähiges Objekt der Gesellschaft erscheint.
Das sich heute allmählich etablierende Modell ist das bio-psycho-soziale Modell. Es geht von einer Wechselwirkung zwischen Individuum und Gesellschaft aus. Der Mensch hat Einschränkungen und die Gesellschaft schafft zusätzliche Barrieren. Durch spezifische Maßnahmen können die Einschränkungen ausgeglichen und die Barrieren reduziert werden. Behinderte Menschen werden unterstützt und nicht allein gelassen, behalten jedoch den Einfluss auf ihr Schicksal.
Vor allem bei den jüngeren behinderten Menschen werden sich voraussichtlich das dritte Modell und das entsprechende Selbstbild durchsetzen. Sie werden selbstverständlich davon ausgehen, dass sie Teil der Gesellschaft sind und diese mitgestalten wollen. Sie werden sich jedoch nicht als Opfer der Gesellschaft betrachten, da ihr Selbstverständnis als handlungsfähiges Subjekt das nicht widerspiegelt.
Im amtlichen Sinne gilt eine Person als behindert, wenn sie einen Grad der Behinderung erhalten hat. Schwerbehindert ist eine Person mit einem GdB von 50 oder höher. Der Grad der Behinderung und die amtlich anerkannten Einschränkungen werden im Feststellungsbescheid mitgeteilt und können mit diesem Bescheid nachgewiesen werden. In manchen Fällen reicht auch ein ärztliches Attest oder eine professionell durchgeführte Messung etwa von einem Optiker oder Hörgeräte-Akustiker, um eine Einschränkung nachzuweisen.
Eine Behinderung muss mindestens sechs Monate bestehen bzw. voraussichtlich mindestens sechs Monate bestehen, um amtlich bescheinigt zu werden. Eine temporäre Einschränkung wie ein gebrochener Arm zählt in diesem Sinne nicht als Behinderung.
Bei einigen Erkrankungen wie einem Herzinfarkt oder Schlaganfall wird zumeist der Rehabilitationsprozess abgewartet, bevor ein Antrag auf einen GdB bearbeitet wird.
Der Hintergrund ist, dass in der Regel nicht absehbar ist, welche mittelfristigen Einschränkungen die Krankheit mit sich bringt bzw. was sich mit einer Reha und anderen Maßnahmen ausgleichen lässt.
Behinderungen werden seit dem Jahr 2001 mit dem ICF – Internationale Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit (International Classification of Functioning, Disability and Health) eingeteilt.
Während frühere Modelle rein biologisch fundiert waren, basiert die aktuelle ICF auf einem bio-psycho-sozialen Modell. Es betrachtet also nicht nur die Physiologie einer Person, sondern bezieht auch das Umfeld mit ein.