Bei den Trümmern von Babylon - Karl May - E-Book

Bei den Trümmern von Babylon E-Book

Karl May

4,6

Beschreibung

Von Bagdad aus führt Kara Ben Nemis und Hadschi Halef Omars Weg weiter zu den Ufern des Euphrat. Sie folgen der Spur eines Geheimbundes, erforschen die Rätsel der "Todeskarawane" und greifen in aufregende Geschehnisse am Turm zu Babel ein. Schließlich kommt es zu einem überraschenden Wiedersehen mit der weisen Marah Durimeh. Die vorliegende Erzählung spielt Mitte der 70er-Jahre des 19. Jahrhunderts. Fortsetzung von Band 26 "Der Löwe der Blutrache". Die Bände 28 "Im Reiche des silbernen Löwen" und Band 29 "Das versteinerte Gebet" setzen die Handlung teilweise fort, stellen aber auch einen autobiografischen Schlüsselroman dar, entstanden aus Mays Eindrücken seiner großen Orientreise 1899/1900. Der ursprl. Titel dieser ehemals vierbändigen Reiseerzählung lautete "Im Reiche des silbernen Löwen I-IV".

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KARL MAY’s

GESAMMELTE WERKE

BAND 27

BEI DEN TRÜMMERN

VON BABYLON

REISEERZÄHLUNG

VON

KARL MAY

Herausgegeben von

Lothar und Bernhard Schmid

© 2000 Karl-May-Verlag

ISBN 978-3-7802-1527-7

1. Nach Hille

Am Tag nach dem am Schluss des vorigen Bandes beschriebenen Abend unternahmen wir den geplanten Ritt zum Turm von Babylon, jetzt von den dortigen Beduinen Birs Nimrud genannt.[1] Man rechnet von Bagdad nach Hille drei kurze Tagesreisen. Mit unseren schnellen Pferden brauchten wir nicht so lange Zeit, und darum fiel es uns nicht ein, den Ritt schon am Vormittag zu beginnen; wir ließen vielmehr gerade wie damals die größte Tageshitze vorüber und ritten, nachdem wir uns von unserem Wirt und seinem dicken Onbaschi verabschiedet hatten, den Fluss hinauf und über die Brücke zum rechten Tigrisufer.

Als wir von dort aus einen Blick zurücksandten, lag die Stadt, gerade wie damals, in hellem Sonnenglanz vor unseren Augen. Links sahen wir den Volksgarten, die von Midhat Pascha angelegte Pferdebahn und die Quarantäneanstalt, hierauf das Kastell und hart am Wasser das Gouvernementsgebäude; rechts lag die Vorstadt mit der alten Mostanßir. Dann dehnte sich die von Minaretts und Moscheekuppen überragte Häusermasse aus, über die sich der Dunst- und Staubschleier breitete, welcher Bagdad eigen ist.

Von hier aus wandten wir uns zum Oschach-Kanal, und als wir diesen hinter uns hatten, sahen wir vor uns die freie Wüste. Ja, es ist Wüste. Da, wo vor nicht gar langer Zeit Garten an Garten sich reihte, wo Tausende von Palmen winkten, Blumen dufteten und herrliche Früchte glänzten, da dehnt sich eine unabsehbare, trostlose Wüste westwärts bis an das Ufer des Euphrat aus.

Durch diese Einöde führte unser Weg erst zum Khan Asad und dann nach dem Khan Bir Nust, den wir kurz vor Abend erreichten. Im Khan selbst zu übernachten, fiel uns wegen des dortigen Ungeziefers nicht ein; wir suchten ihn nur auf, um unsere Pferde zu tränken, und ritten dann noch ein Stück in der Richtung zum Khan Iskenderije weiter, wo wir abstiegen, die Tiere anpflockten und unsere Decken zum Lager ausbreiteten.

Wir hatten bis hierher keinen einzigen schiitischen Pilger und keinen einzigen Leichentransport gesehen, dennoch sagte Halef, als wir uns nebeneinander niedergesetzt hatten:

„Sihdi, riechst du nichts? Mir ist ganz so, als ob wir uns im Pesthauch der Todeskarawane befänden. Geht es dir nicht auch so?“

„Ja, ganz genau wie dir“, antwortete ich. „Die Erinnerung wirkt auf unsere Geruchsnerven. Ich sehe die Todeskarawane nicht bloß an mir vorüberziehen, sondern ich rieche sie auch. Es war entsetzlich damals, ganz entsetzlich, und es ist kein Wunder, dass unsere Nasen den Leichenduft, welcher ihnen damals zu grausam mitspielte, heute noch nicht vergessen haben.“[2]

Todeskarawane, Karwan el Amwat, wie der Beduine sagt, was ist das?

Der Mohammedaner schiitischen Glaubens ist überzeugt, dass ein jeder Moslem dieser Sekte, dessen Leiche in Kerbela oder Nedschef Ali begraben wird, ohne alle weiteren Hindernisse sofort in das Paradies komme. Bekanntlich zerfallen die Anhänger des Islam in die beiden Abteilungen der Sunniten und Schiiten. Das Wort Sunna, zu deutsch ‚Weg‘ oder ‚Richtung‘, bezeichnet alle auf eine Tat oder einen Ausspruch Mohammeds bezüglichen Traditionen, die für solche Fälle, in denen der Koran sich entweder gar nicht oder undeutlich ausspricht, als Gesetze Geltung haben. Die Sunna bildet also für ihre Anhänger neben dem Koran die hauptsächlichste Quelle der Religions- und Lebensvorschriften. Nebenbei, doch ebenso hauptsächlicherweise unterscheiden sich die Sunniten von den andersgläubigen Mohammedanern auch dadurch, dass sie die drei Kalifen Abu Bekr, Omar und Othman als rechtmäßige Nachfolger des Propheten anerkennen. Zu ihnen gehören fast alle Moslems in Afrika, auch Ägypten, in der Türkei, in Syrien, Arabien und in der Tatarei. – Schia heißt so viel wie ‚Partei‘. Die Schiiten verwerfen die genannten drei Kalifen und behaupten, nur Ali und seinen Nachkommen habe die Kalifenwürde gebührt. Sie sind meist über Persien und Indien verbreitet, während sie in anderen Ländern nur vereinzelt vorkommen. Man schätzt sie auf zwanzig Millionen, während es über zweihundert Millionen Sunniten gibt.

Die Schiiten widmen Ali und seinen Nachkommen, besonders aber seinen Söhnen Hassan und Husseïn, eine so übertriebene und dabei leidenschaftliche Verehrung, dass er und alle zu seiner Nachfolge berechtigten Nachkömmlinge von einigen extremen Parteien sogar für Inkarnationen Gottes gehalten werden. Sie haben, obgleich sie das nicht zugeben, die ursprüngliche Lehre durch mystische und pantheistische Hineinlegungen verfälscht und stellen die Behauptung auf, dass die Sunniten zu vernichten oder doch noch viel mehr als die Juden, Christen und Heiden zu hassen und zu verfolgen seien. Daher die jahrhundertealten, erbitterten und blutigen Kämpfe zwischen diesen beiden Richtungen. Es ist Blut, sehr viel Blut geflossen, es sind Grausamkeiten verübt worden, welche niederzuschreiben sich die Feder sträubt, und noch heute ist dieser Hass nicht verlöscht. Er glimmt fort und fort und bricht bei jeder Veranlassung in helle, vernichtende Flammen aus. Es versteht sich ganz von selbst, dass diese Erbitterung ihre meisten Opfer in den Gegenden sucht und findet, wo Sunniten und Schiiten vermischt wohnen oder öfters aufeinander stoßen, und das findet ganz besonders statt in der Grenzprovinz Irak Arabi mit den beiden nicht weit von Bagdad liegenden heiligen schiitischen Städten Nedschef Ali und Kerbela.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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