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Denise sucht nach dem Tod ihres Sohnes in ihrem Beruf Vergessen. Als ihr Chef ständig zudringlich wird, bittet sie ihren Vermieter Morgan, ihren Freund zu spielen. Ein Arrangement, das sie bald nicht mehr missen möchte - sie harmonieren einfach wunderbar. Trotzdem denkt Denise nicht an Liebe, Zu groß ist noch die Trauer. Wird Morgan warten können?
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Seitenzahl: 204
IMPRESSUM
Bereit für ein neues Glück? erscheint in der HarperCollins Germany GmbH
© 1999 by Deborah A. Rather Originaltitel: „Mr. Right Next Door“ erschienen bei: Silhouette Books, New York Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.
© Deutsche Erstausgabe in der Reihe BIANCABand 1197 - 2000 by CORA Verlag GmbH, Hamburg Übersetzung: Gisèle Bandilla
Umschlagsmotive: GettyImages_LightFieldStudios
Veröffentlicht im ePub Format in 01/2018 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.
E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck
ISBN 9783733755225
Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.
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Der Ball prallte mit einem lauten Knall von der Wand zurück und pfiff an ihrer linken Seite vorbei. Denise wollte gerade einen Satz nach hinten machen, um ihn noch mit dem Schläger erreichen zu können, da wurde ihr bewusst, dass es klüger wäre, den Ball passieren zu lassen. Schnell zog sie also den Arm wieder zurück, war jedoch schon so im Schwung, dass ihr dabei der Squashschläger aus der Hand glitt und mit einem dumpfen Aufprall zu Boden fiel. Denise stolperte und stürzte auf nicht besonders elegante Weise.
Behutsam stand sie wieder auf und lehnte sich an die Wand. Immerhin konnte sie sich auf die Schulter klopfen, denn Chuck wusste nicht, dass sie ihn hatte gewinnen lassen. Allerdings hatte sie es ihm diesmal einigermaßen schwer gemacht.
Sie ging ein Stück in die Knie, stützte sich auf den Oberschenkeln ab und versuchte wieder ruhiger zu atmen. Chuck stand da, nach vorn gebeugt, die Hände in die Hüften gestemmt, und rang mit dunkelrotem Gesicht nach Luft. Auf seinem kahl werdenden Kopf glänzte der Schweiß. Bevor er sich noch über ihre Niederlage lustig machen konnte, hatte Denise schon nachgeschaut, ob ihr Schläger kaputtgegangen war.
„Ha, Dennis hat mal wieder ins Gras gebissen!“, rief er. Es galt als der Bürowitz, Denise „Dennis“ zu nennen. Chuck schwang den Schläger in ihre Richtung und fügte väterlich hinzu: „Aber Sie werden wirklich immer besser, das muss ich schon sagen!“
Denise lächelte gequält. Der alte Knabe hatte ja keine Ahnung, dass sie ihn jederzeit problemlos besiegen könnte, aber als Chef war man wohl blind für so etwas. Sie nahm sich vor, nie so selbstgefällig wie er zu werden. Wenn sie mal zum Zuge käme – und das würde sie schon irgendwann! – wollte sie eine weit fähigere Managerin sein als Chuck Dayton und seine Spießgesellen. Aber im Augenblick mussten Frauen noch besser sein als Männer, um überhaupt als ebenbürtig zu gelten.
Denise seufzte, als sie an diesen ständigen Lebenskampf dachte. Aber sie schob das Selbstmitleid beiseite und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Sie hatte ein Ziel und wusste genau, dass sie mit fünfunddreißig ihren fünfzehn Jahre älteren Chef jederzeit im Squash bezwingen könnte. Es kostete sie fast mehr Kraft, ihn jedesmal gewinnen zu lassen. Eines Tages würde er das noch merken …
Sie griff nach ihrem Handtuch, wischte sich das Gesicht ab und hörte nur mit halbem Ohr zu, als Chuck sie scheinbar kameradschaftlich dafür schalt, dass sie ihren Schläger so unkontrolliert hatte fallen lassen. Denise tat reuig, aber offenbar genügte es Chuck noch nicht, sie auf diese Art gedemütigt zu haben. Er näherte sich, legte ihr eine Hand an den Hintern und flüsterte ihr ins Ohr: „Schade, dass Sie nicht auch mal zwischen den Laken die Kontrolle verlieren.“
Bevor Denise ihm den Ellbogen ins Gesicht rammen konnte, zog er sich lachend zurück und fand sich vermutlich äußerst witzig. Denise beschränkte sich darauf, eine Drohung zu murmeln und sich zu sagen, dass sie Chuck eines Tages für seine schmierigen, sexistischen Bemerkungen würde bezahlen lassen. Seitdem sie vor zwei Monaten nach Jasper gezogen war, arbeitete sie für ihn, und seine Sündenliste wurde immer länger.
Natürlich hatte man sie gewarnt. Chuck liebte es, seine Untergebenen niederzumachen und ihnen dann zu kündigen. Die, die vor ihm buckelten, wurden mit endlosen Aufträgen „in die Wüste“ geschickt. Die, die es nicht taten, fanden sich oft schnell auf der Abschussliste wieder. Denise hatte vor, sich nicht nur nicht abservieren zu lassen, sondern sich schließlich auf der Überholspur wiederzufinden. In fünf Jahren, also mit vierzig, wollte sie die weibliche Top-Position in der Firma innehaben. Dieser Gedanke hellte ihre Stimmung auf. Sie zog sich die Schuhe aus, steckte den Schläger in den ledernen Bezug und ging auf Strümpfen zu den Umkleideräumen.
In diesem Moment versperrte ihr jemand den Weg. Denise erkannte ihren Vermieter Morgan Holt. Dieser gutaussehende Mann irritierte sie aus irgendeinem Grund.
„Prima Spiel“, sagte er freundlich. „Muss schwierig sein zu verlieren, wenn man so offensichtlich besser ist als sein Gegner.“
Denise freute sich insgeheim, widersprach aber: „Ach, Unsinn, Chuck Dayton ist ein Crack. Aber diesmal hätte ich ihn beinahe besiegt. Vielleicht klappt es ja beim nächsten Mal.“
„Bestimmt. Haben Sie nicht mal Lust auf einen echten Wettkampf? Ich verspreche auch, Sie nicht gewinnen zu lassen.“
Morgan Holt verschränkte die sonnengebräunten Arme, auf denen blonde Härchen zu sehen waren. Sein Kopfhaar war dicht und braun und an den Schläfen bereits leicht ergraut, was das Blau seiner Augen betonte.
Denise trat zur Seite und sagte: „Nein, ich muss jetzt nach Hause.“
„Zu wem denn?“, fragte er. „Zu Ihrer Katze?“
Denise ärgerte sich. Wieso ließ er sie nicht in Ruhe? Wollte er sich etwa die Finger verbrennen? Das konnte er haben! Sie nahm den gleichen Gesichtsausdruck an wie er und lächelte giftig. „Meine Katze bietet mir weit bessere Gesellschaft als jeder, den ich kenne.“
Holt lachte. „Kann sie denn auch so richtig fies Squash spielen?“
Auf einmal hatte Denise gute Lust, ihm den Ball um die Ohren zu schlagen. Und da sie beruflich nicht von ihm abhängig war, müsste sie sich dabei nicht mal zurückhalten und könnte ihrem Ehrgeiz freien Lauf lassen. Chuck war körperlich nicht mehr so fit, Morgan Holt hingegen war vermutlich zehn Jahre jünger und dazu viel sportlicher. Sie war ebenfalls gut durchtrainiert. Vielleicht würde sie ihn nicht schlagen, aber immerhin könnte sie ihm den Sieg schwer machen.
„Ich hatte gerade ein anstrengendes Spiel“, betonte sie und hoffte, dass er sich dadurch in der besseren Position wähnte.
Holt zuckte die Achseln. „Und ich habe gerade den alten Baum hinter Ihrer Terrasse gefällt, der Ihnen so morsch erschien. Danach habe ich ihn noch zerhackt und die Scheite aufgestapelt.“
Denise musste zugeben, dass er ein guter Vermieter war. Er kümmerte sich mit der gleichen Sorgfalt um das kleine Appartementgebäude, in dem sie wohnte, wie um sein eigenes liebevoll restauriertes viktorianisches Haus, das auf demselben Grundstück stand. Anfangs hatte sie noch Bedenken gehabt, direkt hinter dem Besitzer zu wohnen, aber Jasper war eine kleine Stadt, und wenn Denise nicht täglich über dreißig Meilen nach Fayetteville fahren wollte, war die Auswahl an Wohnmöglichkeiten gering. So dicht am Arbeitsplatz zu wohnen würde den Nachteil, ständig in der Nähe des Vermieters zu sein, sicher wettmachen. Und bislang wirkte Morgan Holt weit angenehmer, als sie es erwartet hatte.
Andererseits hatte er von Anfang an deutlich gemacht, dass er Denise attraktiv fand, woraufhin sie genauso unmissverständlich versucht hatte, ihm zu zeigen, dass sie nicht an ihm interessiert war. Wieso sollte sie also auf seinen Vorschlag eingehen? Na ja, weil sie die Herausforderung liebte und dumm wäre, die Gelegenheit nicht zu nutzen!
„Abgemacht.“
Er lächelte, seine blauen Augen blitzten. „Platz drei, in zehn Minuten.“ Damit ging er. Die Sportschuhe hingen ihm an den Schnürbändern über der Schulter, die Shorts und das ausgeleierte graue Sweatshirt mit den abgeschnittenen Ärmeln zeigten eine Menge braune Haut.
Denise blickte ihm hinterher. Wohl kein Mann, den sie kannte, würde derart gut in so schäbiger Kleidung aussehen. Die meisten Clubmitglieder vertraten die neuesten Modetrends, als wollten sie die Sportbekleidungsindustrie ankurbeln. Apropos Mitglied: Morgan Holt konnte hier gar kein Mitglied sein! Der Club war nur für Firmenangestellte und deren Angehörige! Vielleicht war er ja mit jemandem bei Wholesale International verwandt? Aber da er betont hatte, unverheiratet zu sein, konnte es kaum seine Ehefrau sein. Dann war er wohl von jemandem als Gastspieler eingeschleust worden. Aber von wem?
Denise ließ ihre Schuhe auf der Bank stehen und ging nach draußen, um Platz drei zu reservieren. Als sie die Tafel von der Wand nahm, stand genau unter der Uhrzeit 18.15 ihr eigener Name. Der Bursche hatte den Platz einfach auf ihren Namen gebucht! Das war ja frech! Empört stellte sie die Tafel zurück und ging zurück. Na, dem würde sie es zeigen! Den würde sie genussvoll niedermachen, darauf konnte er Gift nehmen!
Drei Minuten, nachdem sie die Halle betreten hatte, war Morgan klar, dass er Denise nicht würde schlagen können. Die Entschlossenheit, die in ihren geschmeidigen Bewegungen und dem harten Glitzern ihrer dunklen Augen abzulesen war, sprach Bände. Aber er würde es ihr nicht leicht machen, o nein. Denise Jenkins schien Herausforderungen zu lieben. Mal sehen, ob er Gelegenheit bekäme, hinter ihre Fassade zu schauen. Vielleicht übernahm er sich dabei auch, er konnte sich schon vorstellen, welcher Muskelkater ihn morgen erwartete. Er schlug auf und stellte sich auf ein hartes Match ein.
Und Denise enttäuschte ihn nicht. Nicht nur was das Tempo betraf, sondern auch in der Gnadenlosigkeit des Spiels. Sie wollte um jeden Preis gewinnen, und Zusammenstöße und Stürze gehörten für sie offenbar dazu. Sie trieb ihn zigmal gegen die Wand, und ihr Schläger zischte ein paarmal so dicht an seinem Ohr vorbei, dass er unwillkürlich den Kopf einzog. Er ging mehrmals zu Boden, und sein Hemd war am Ende so verschwitzt, dass er es in die Ecke warf und mit nacktem Oberkörper weiterspielte. In dem vergeblichen Versuch, den Punkt zu machen, landete er beim letzten Ballwechsel am Boden. Denise lief sofort zurück und bereitete sich darauf vor, den Ball an die Wand oder ihm in den Rücken zu donnern.
Als sie jedoch darauf verzichtete und den Schläger sinken ließ, atmete er erleichtert auf. Bei dem Versuch, sich zur Seite zu rollen, stöhnte er vor Anstrengung und schaffte es kaum noch, den Kopf zu heben.
Denise Jenkins sah ihn von oben herab an. Ihr Pferdeschwanz hatte sich gelöst, ihre dunkelbraunen Locken schwangen frei um ihr gerötetes Gesicht. Das ärmellose Oberteil klebte ihr am Körper, ihr Hals glänzte verschwitzt. Die Knöchel der Hand, mit der sie den Schläger hielt, waren weiß, und sie rang hörbar nach Luft. Dass sie noch die Kraft hatte, in die Hocke zu gehen und höhnisch zu lächeln, fand er bewundernswert.
„Finden Sie es … nicht schrecklich … von einer Frau … besiegt zu werden?“, fragte sie erschöpft.
Morgan schob die Hände unter seinen Kopf. „Nö“, brachte er hervor und versuchte zu Atem zu kommen. „Ich finde Frauen toll, die …“ er holte wieder Luft, „sich wehren können.“
„Sich wehren können?“ Denise benutzte den Schläger, um sich abzustützen und wieder hochzukommen. „Ich habe Sie geschlagen, falls Sie die Punkte mitgezählt haben.“
„Ich habe mitgezählt“, er stützte sich auf, „aber nächstes Mal sorge ich dafür, dass ich richtig gut in Form bin.“
„Es wird kein nächstes Mal geben. Sie hatten Ihre Chance, und damit basta.“
Morgan zog die Knie an. „Sie haben wohl Angst, doch noch zu verlieren?“
Denise wickelte das Gummiband um ihr Haar. „Sie haben nicht zugehört. Es gibt kein nächstes Mal. Und falls ich herausfinde, dass Sie meinen Namen noch mal dazu benutzen, in den Club zu kommen, werde ich es melden.“
Er lachte. „Tun Sie das. Aber dennoch bleibt die Frage, ob es nun Ihr spielerisches Vermögen war oder pures Glück.“
„Ich habe Sie glatt geschlagen, das ist alles.“
„Richtig. Aber würden Sie es noch einmal schaffen?“
Denise ging wieder in die Hocke. „Sie haben es immer noch nicht verstanden, wie? Wir sind keine Freunde, die gelegentlich miteinander Squash spielen. Wir sind Vermieter und Mieterin und weiter nichts.“
„Das kann man ja leicht ändern. Wie wäre es mit einem gemeinsamen Essen?“
Ihr Gesicht versteinerte sich. „Nein, danke.“
„Ach, nun kommen Sie schon, Denise. Was muss ein Mann tun, damit Sie ja sagen?“
Denise wendete sich ab. „Ich habe im Moment keine Lust auf Verabredungen, wenn Sie es wissen wollen. Meine Arbeit nimmt die meiste Zeit in Anspruch.“
„So war ich auch mal“, sagte er und kreuzte die Beine.
„Ach, wirklich? Und was ist geschehen? Haben Sie die große Beförderung verpasst?“
Morgan grinste. „Kommen Sie mit zum Essen, dann erzähle ich es Ihnen.“
Denise verdrehte die Augen und ging zur Tür. „Nein, danke, ich habe genug mit meiner eigenen Karriere zu tun. Ach, und übrigens“, sie drehte sich lächelnd um, „Ihr Hund hat die Angewohnheit, große, schlecht riechende Geschenke vor meinem Eingang zu hinterlassen. Sorgen Sie bitte dafür, dass es nicht mehr passiert, okay?“ Damit ging sie hinaus.
Morgan war nicht nur erschöpft, sondern nun auch entmutigt. Wie konnte er nur an diese Frau herankommen?
Denise schloss die Tür des Chefzimmers und bemühte sich um Fassung. Niemand sollte sehen, dass Chuck es mal wieder geschafft hatte, ihr den letzten Nerv zu rauben. Am liebsten hätte sie ihm die Faust ins Gesicht gerammt!
Siehst heute heiß aus, Schätzchen. Die, die sich im Büro als die Kühlsten geben, sind oft die Heißesten im Bett.
Sie schloss kurz die Augen und bereitete sich innerlich auf das vor, was zu tun war. Es war ja klar, dass Chuck sie zu seiner Assistentin gemacht hatte, um sie fortwährend zu bedrängen. Sie könnte ihn ohne weiteres wegen sexueller Belästigung belangen, aber damit würde sie sich jegliche Chancen auf Beförderung verspielen. Um jetzt noch zu verlieren, hatte sie schon zu viel eingesetzt.
Sie straffte die Schultern und ging durchs Vorzimmer in den Flur. Von dem aus konnte man in zahlreiche kleine Arbeitsräume treten. An einer offenen Tür klopfte sie gegen den Rahmen.
Der junge Mann schaute auf und lächelte. „Ms. Jenkins!“
„Ken, ich muss mit Ihnen sprechen.“
„Ja, gern, was gibt es denn?“
„Nicht hier. In fünf Minuten in meinem Büro, okay?“
Denise ahnte, dass er wusste, was das bedeutete. Ken Walters war jung verheiratet und der Vater eines Babys. Laut Chuck war gerade das das Problem. Ken gebe nicht alles, finde seine Familie wichtiger als die Firma. Es interessierte Chuck nicht, dass das Baby zu früh geboren war und einen Herzfehler hatte, und das, nachdem seine Frau schon eine Fehlgeburt erlitten hatte. Es stimmte, dass Ken die Verkaufsquote nicht gerade gefördert hatte, aber das war unter den Umständen ja wohl verständlich. Für Chuck Dayton jedoch zählten nur Statistiken. Wenn es nach Denise gegangen wäre, hätte sie Ken erst mal an einen weniger anstrengenden Posten versetzt, bis er wieder fähig war, volle Leistung zu bringen. Aber sie fragte ja niemand.
Sie ging in ihr Büro zurück, entschlossen, Walters zu helfen, so gut sie konnte.
Sie konnte gerade noch ein Telefonat beenden, da war er schon da, ohne dass ihre Sekretärin ihn hätte ankündigen können. Er schien genau zu wissen, was auf ihn zukam.
Denise schlich nicht lange um den heißen Brei herum. „Tut mir leid, Ken, ich weiß, es ist unfair, aber ich muss Ihnen kündigen.“
Er wurde blass und senkte den Kopf. Die geballten Hände schob er in die Taschen. „Oh, verdammt!“
Denise drückte den Knopf der Sprechanlage. „Betty, bringen Sie mir den Brief, sobald er fertig ist.“ Sie wendete sich wieder an Ken. „Setzen Sie sich. Ich lasse meine Sekretärin gerade einen Empfehlungsbrief für Sie schreiben und habe mir erlaubt, für Sie einen Termin mit einem Geschäftsfreund in Rogers abzumachen.“ Sie lächelte vage. „Ich dachte mir, Sie hätten nichts dagegen.“ Dann schob sie ihm einen Zettel zu, auf dem sie Details notiert hatte.
Walters setzte sich überrascht und zog den Zettel zu sich hin. Es schien eine Ewigkeit zu dauern, bis er die wenigen Worte durchgelesen hatte.
Denise räusperte sich. „Ich weiß, der Abschluss einer Krankenversicherung wird wegen der derzeitigen Gesundheitsprobleme Ihres Babys schwierig, aber das habe ich ebenfalls in Betracht gezogen. Ich weiß zufällig, dass beide Firmen denselben Versicherer haben, und werde – unauffällig – das veranlassen, was möglich ist, damit alles abgedeckt ist.“ Nun lächelte sie offen. „Aber sehen Sie zu, dass das Bewerbungsgespräch gut verläuft. Ich habe Ihnen die Tür geöffnet, Sie müssen dafür sorgen, dass Sie auch hineinkommen, verstanden?“
Ken Walters faltete sorgfältig den Zettel zusammen und steckte ihn ins Jackett. Dann schaute er Denise dankbar an. „Es ist eine Schande, dass niemand zu wissen scheint, was für ein netter Mensch Sie sind. Sie verbergen es offenbar gut.“
„Es wäre mir lieb, wenn Sie niemandem etwas davon sagen würden.“
Walters nickte und stand auf. „Keine Sorge, ich werde Sie nicht verraten.“
Denise lächelte. „Wenn Sie sich beeilen, schaffen Sie es noch, Ihr Büro leer zu räumen, bevor Sie zu dem Bewerbungsgespräch fahren.“
„Ich weiß gar nicht, wie ich Ihnen danken soll. Ich bin wirklich froh, wenn ich meiner Frau sagen kann, ich habe überraschend den Job gewechselt, anstatt: Ich bin gefeuert.“
Denise hob warnend die Hand. „Noch ist nichts unter Dach und Fach. Sie könnten alles verderben, wenn Sie mit der falschen Einstellung dorthin gehen.“
„Keine Sorge, ich bin schließlich Verkäufer, und das Top-Produkt bin ich selbst. Es waren harte Monate, aber ich bin bereit, mich wieder nach oben zu kämpfen. Vielleicht ist diese Chance genau das, was ich brauche.“ Er klopfte auf seine Jackentasche. „Ich nehme den Brief mit, wenn ich gehe.“
Denise stand auf und streckte ihm die Hand hin. Ken nahm sie in seine beiden und hielt sie fest. „Vielen Dank, das werde ich Ihnen nie vergessen.“ Er verließ das Büro mit einer deutlich anderer Haltung als der, mit der er gekommen war.
Sobald die Tür geschlossen war, fühlte Denise sich irgendwie verloren. Dabei war es eigentlich unsinnig, Ken Walters war schließlich kein Freund, sie war seine Chefin. Er hatte gerade erst begonnen, sie als Menschen zu sehen, und das lag nur an ihr. Wieso empfand sie nur das Gefühl eines Verlustes? Nichts hatte sich wirklich geändert. Sie hatte immer noch ihre Karriere, und das war alles, was sie brauchte. Oder?
Denise schaute aus dem Fenster. Morgan ließ eine Frisbee-Scheibe durch die Luft sirren und lachte, als Reiver, sein großer schwarzbrauner Hund, einen Riesensatz machte und sie in seinen kräftigen Kiefern fing. Er landete mit fliegenden Ohren auf allen vieren. Als Morgan sich nach vorn beugte, sprang Reiver an ihm hoch und warf ihn dabei um. Er legte die Frisbee-Scheibe auf Morgans Brust ab und fuhr ihm mit der langen rosa Zunge übers Gesicht. Morgan versuchte einerseits, den Hund hinunterzuschieben und ihn gleichzeitig zu umarmen. Dabei musste er so lachen, dass ihm beides nicht gelang.
Als er sich umdrehte und Denise entdeckte, erstarb sein Gelächter. Er schob den Hund zur Seite, setzte sich auf und starrte zu ihr herüber. Denise tat so, als hätte sie ihn nicht beobachtet, nahm einen Schluck Kaffee und streichelte ihre Katze. Offenbar missfiel ihm nun schon ihr bloßer Anblick. Er stand auf und ging zu seinem Haus.
Denise wendete sich seufzend ab. Eigentlich sollte sie doch froh sein. Sie wollte weder sein Interesse noch das eines anderen, also wieso reagierte sie nur so? Sie fühlte sich irgendwie leer, das erste Mal seitdem sie ein neues Leben angefangen hatte …
Sie erhob sich aus dem Lehnstuhl, schob die Katze hinunter und ging zum Bücherbord. Etwas unentschlossen nahm sie ein Fotoalbum heraus, stellte die Tasse ab und öffnete es.
Jeremy lächelte ihr entgegen, als rundes kleines Baby in einem blauen Einteiler. Sie blätterte um. Jeremy schob, nur mit einer Windel bekleidet und mit glücklichem Gesicht, seine Karre um die Ecke. Nein, das konnte sie nicht ertragen. Sie klappte das Buch zu, drückte es sich kurz an die Brust und stellte es wieder an seinen Platz.
Sie konnte es noch immer nicht aushalten, sich anzusehen, wie er größer geworden war und sich verändert hatte, wie der Babyspeck verschwunden und er kräftiger geworden war, wie sein Gesicht zunehmend Intelligenz und Erfahrung spiegelte. Und am schlimmsten war, dass es, nachdem er acht Jahre alt war, keine Bilder mehr gab, für alle Zeiten. Nie mehr würde es ein Bild von Jeremy mit zehn geben oder zwölf oder einundzwanzig.
Denise schloss die Augen gegen den nie enden wollenden Schmerz. Auch nachdem einige Jahre vergangen waren, war es nicht leichter geworden zu begreifen, dass sie ihr einziges Kind verloren hatte.
An der Haustür klopfte es. Sie ging in den Flur und öffnete. Vor ihr stand Morgan Holt mit einer Schüssel in der Hand.
„Haben Sie eine Minute Zeit?“
Eine Minute? dachte Denise und freute sich gleichzeitig, dass sie ihn falsch eingeschätzt hatte. Die alten Gewohnheiten saßen fest, dennoch sagte sie: „Höchstens. Ich muss heute Abend noch einigen Papierkram erledigen und …“ Der Kater drängte sich zwischen ihre Füße in Richtung Ausgang. „Smithson, bleib hier!“ Sie packte ihn gerade noch an seinem blaugrauen Schwanz. Morgan kam schnell herein und schloss die Tür.
Sogleich schmiegte sich der Kater miauend um seine Fußgelenke.
Denise nahm Smithson auf. Er war ein großes, selbstbewusstes Tier, den so leicht nichts aus der Ruhe brachte. Wie ein König kam er sich vor in seiner kleinen Welt, obgleich er selten die Wohnung verließ und dann eigentlich nur in einem Tragekorb. Er duckte sich weg, als Denise ihm den Kopf kraulen wollte. Um sein Missfallen zu demonstrieren, setzte er seine gekürzten Krallen ein und sprang von Denises Arm hinunter. Dann zog er wieder einen engen Kreis um Morgans Fußgelenke und fuhr fort, an der Tür zu schnuppern.
Morgan lachte. „Wie heißt er noch mal?“
„Smithson. So wie ‚der Sohn von Smith‘.“
„Aha, sein Vater hieß also Smith.“
„Donnerwetter, viele Leute begreifen das nicht.“
„Dass Sie eine Katze namens Smith hatten und nun eins der Jungen großgezogen haben? Sehen Sie, wir haben doch noch mehr gemeinsam als Squash und dieselbe Wohngegend.“
„Und das wäre?“
„Offenbar sind wir beide tierlieb.“
Denise sah ihn zweifelnd an. „Ich schätze, wir passen zusammen wie Hund und Katze.“
Er lachte. „Das weiß man nie.“ Er hielt die dampfende Schüssel hoch. „Übrigens, was das hier angeht, es soll eine Entschuldigung dafür sein, dass ich Ihren Namen ohne Ihre Einwilligung benutzt habe, um in den Club zu kommen. Sozusagen.“
Denise musste lächeln. Es tat ihm also ‚sozusagen‘ leid? „Na ja, das hört sich nicht gerade nach einer echten Entschuldigung an. Riecht aber gut.“
„Ja, eine Art Entschuldigungsauflauf. Ich dachte … na ja, wir könnten so etwas wie Freunde werden, rein nachbarschaftlich.“
Merkwürdigerweise empfand Denise einen Hauch von Enttäuschung, aber sie nahm sein Friedensangebot an. Sie schaute in die Auflaufform.„Was ist es denn?“
„Mageres Hühnchen, Käse, Kartoffeln, Brokkoli und Blumenkohl. Mit ganz wenig Fett.“
Es roch köstlich, aber Denise betrachtete die Schüssel kritisch. „Magerer Käse?“
„Aus Magermilch, bei meiner Pfadfinderehre.“
Morgan sah nicht gerade wie jemand aus, der an eine Diät denken musste. Denise erinnerte sich daran, als er mit nacktem Oberkörper weitergespielt hatte … Er folgte ihr in die Küche. „Heißt das, dass Sie immer so bewusst essen?“
Er stellte die Schüssel auf den Küchentresen und schlug sich auf den Bauch. „Hey, mit fünfundvierzig ist es nicht so leicht, in Form zu bleiben, wie Sie glauben! Das werden Sie eines Tages auch noch feststellen.“
„Fünfundvierzig! Das hätte ich nicht gedacht!“
Er grinste. „Danke.“
Denise wusch sich die Hände, nahm zwei Teller aus dem Schrank sowie Gläser, Besteck und Servietten.
Er fragte: „Bin ich denn mit eingeladen?“
„Nachbarn essen doch gelegentlich zusammen, oder?“
Morgan lachte. „Na ja, gelegentlich. Aber was ist mit dem Papierkram?“
Ihre Ausrede. „Ach, der kann warten.“
„Prima. Haben Sie Brot? Und vielleicht etwas Salat?“
Denise wies auf ein Schränkchen und schaute in den Kühlschrank. „Ich habe ein bisschen Grünzeug, aber kein Dressing.“
In dem Schränkchen fand Morgan Rotwein und Brot und meinte: „Darum kümmere ich mich.“
Sie legte den Salat auf den Tresen. „Bedienen Sie sich.“
Morgan machte sich an die Arbeit, und es wurde schnell deutlich, dass er Freude daran hatte. Das Ergebnis spiegelte das wider.
Als sie schließlich am Tisch saßen, bei frisch geröstetem Toast, einem gut gewürzten Salat und dem Käse-Hühnchen-Auflauf, lächelte Denise zum ersten Mal seit Tagen und gab einen genießerischen Laut von sich.
„Gut, nicht? Möchten Sie das Rezept haben?“, fragte er.
Sie schüttelte den Kopf. „Sehr lecker, aber das Rezept möchte ich nicht haben.“
„Sie kochen nicht gern?“
„Dazu habe ich keine Zeit.“